Pet von Maginisha ================================================================================ Kapitel 23: ------------ Warmes Holz presste sich gegen Makotos Fußsohlen, während er langsam den Flur entlangging. Ein kurzer Blick zur Haustür verriet, dass diese immer noch geschlossen war. Es machte auch nicht den Eindruck, als wäre vor Kurzem jemand hier vorbeigekommen. Trotzdem spürte Makoto, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war … zu ruhig.   Vor dem Schlafzimmer hielt Makoto an. Die Stelle, an der er zuvor gestanden hatte, wirkte wie ein Mahnmal. Eine Erinnerung an das, was er getan hatte. Makoto wandte den Kopf ab und sich stattdessen der Tür zu. Lauschend lehnte er sich vor und konnte doch nichts hören. Nicht der geringste Laut drang durch die braun gerahmte Papiernachbildung und Makotos Herzschlag verdoppelte sich. Das, was er wahrnahm, war nicht die Stille eines Ortes, an dem jemand schlief oder reglos im Bett lag, nachdem er sich … verausgabt hatte. Vielmehr empfand er ein Gefühl der Leere. Als wäre der Raum verlassen. Unbewohnt. Zutiefst beunruhigt richtete Makoto sich auf, zögerte noch einen Moment und schob dann entschieden die Tür beiseite.   Drinnen herrschte Chaos. Angefangen von dem zerwühlten Bett, den teilweise heruntergerissenen Laken bis hin zu den Spielzeugen und anderen Dingen, die in einem wilden Haufen auf dem Boden verteilt lagen. Die Flasche, die Makoto umgefallen gewähnt hatte, stand aufrecht und ordentlich verschlossen da. Daneben glitzerte, benutzt und vergessen, der merkwürdig geformte, grau-rosa Phallus. Unweit davon eine Lache trübweißer Flüssigkeit. Ein organischer Geruch tränkte die Luft. Offenbar hatte Aki zu Ende gebracht, was er unter Makotos inquisitiven Ohren begonnen hatte. Davon abgesehen war der Raum leer. Aki war weg.   Nein!   Makoto prallte zurück. Unfähig auf diesen Umstand zu reagieren, stand er einfach nur da. Angst kroch seinen Rücken hinauf. Sein Blick irrte zum Wohnzimmer. Auch dort war niemand. Makoto wusste es, noch bevor er den Spalt bemerkte. Jemand hatte die Terrassentür geöffnet. Die weißen Gardinen bewegten sich im Wind. Daneben ein Weg in die Freiheit. Gerade groß genug, um eine schmale Person durchzulassen. Makoto wurde kalt.   Mechanisch, so als müsse er sich zu jeder Bewegung zwingen, wandte er sich vom Schlafzimmer ab und der neu entdeckten Öffnung zu. Wie in Trance wankte er in ihre Richtung. Dabei konnte er den Luftzug auf seinem Gesicht spüren, die zunehmende Kühle des Fußbodens, die Glasscheibe unter seinen Fingern. Er blickte hinaus. Draußen eine kleine Plattform. Ein Tisch mit drei Stühlen. Eine Treppe, die in den Garten hinabführte. Ein Weg in die Wälder. Makoto wusste, dass er jetzt hätte dort hinaus stürmen müssen. Nach Aki suchen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Irgendetwas war … nicht richtig, doch noch bevor er den Finger darauf legen konnte, was es war, hörte er hinter sich ein Klicken. Makoto gefror in der Bewegung.     Atmen. Es war das Einzige, das Makoto noch zu tun wagte. Vor ihm beschlug die Scheibe. Der kondensierende Dunst ließ die Reflexion, die er darin sah, immer wieder für einige Momente unscharf werden. Trotzdem konnte Makoto deutlich die Gestalt erkennen, die hinter ihm stand. Es war Aki. Der Junge stand neben dem Küchentresen. Er hatte die Arme erhoben und in Makotos Richtung gestreckt. In seiner Hand eine Pistole. Makoto schluckte. „Schließ die Tür.“   Makoto blinzelte. Langsam, bemüht, keine hastigen Bewegungen zu machen, streckte er die Hand aus. Er fasste den Griff, der an der Tür angebracht war. Ein dunkler Bogen, mit Schrauben im Holz verankert. Makoto drückte dagegen und schob die Tür in den Rahmen. „Ganz zu.“   Wieder gehorchte Makoto. Seine Finger ergriffen den langen Hebel an der Seite der Tür. Er legte ihn um. Es knisterte, als die Konstruktion zurück in die Füllung gedrückt wurde. Ein leises Knirschen war zu hören, als der Hebel einrastete. Danach herrschte erneut Stille. Nur Makotos Atem füllte seine Sinne. Er und der Herzschlag, der durch seinen Körper raste. „Dreh dich um.“   Makoto tat, wie ihm geheißen wurde. Die Hände etwa auf Brusthöhe erhoben, drehte er sich langsam zu Aki herum. Was er sah, nahm ihm den Atem.   Die schmale Gestalt in dem verknitterten Unterhemd. Der rechte Fuß und der Kopf in weiße Verbände gehüllt, der Rest fleckig, blau, blutig und zerkratzt. Alles an ihm hätte kostbar sein müssen. Zart. Fragil. Und doch war da diese Waffe in seiner Hand und der Ausdruck in seinem Gesicht. Er war es, der Makoto sagte, dass Aki ganz genau wusste, was er tat. In seiner Kehle formte sich ein Klumpen. „Woher hast du …?“   Die Frage war dumm. So dumm, dass Makoto es nicht wagte, die Frage zu Ende zu stellen. Denn er kannte die Antwort. Es war seine eigene Schuld.   Aki schnaubte. Er bleckte die Zähne.   „Glaubst du etwa, du warst leise, als du sie versteckt hast? Noch dazu an einem Ort, an dem ich sie sehen konnte? Glaubst du das wirklich?“   Makoto zuckte zusammen. Für einen Moment fragte er sich, wie Aki wohl an den hohen Schrank herangekommen war. Wahrscheinlich hatte er dafür einen der Stühle benutzt. Er hatte ihn genommen, war darauf geklettert, hatte die Waffe geholt und den Stuhl danach wieder zurückgestellt. Alles, ohne dass Makoto auch nur das Geringste davon mitbekommen hatte. Er musste unglaublich schnell gewesen sein. Und präzise. Makoto wurde noch kälter.   „Und jetzt?“   Erneut eine dumme Frage, die Aki sofort mit einem spöttischen Laut beantwortete. Er hob die Waffe und zielte genauer.   „Jetzt wirst du sterben.“ Sein Mundwinkel hob sich ein Stück, bevor er hinzufügte: „Was schade ist, denn eigentlich … mochte ich dich.“   Da war ein Zögern in Akis Stimme. Etwas, das Makoto aufmerken ließ und ihn im gleichen Moment an etwas erinnerte. Etwas, das Aki über Sasori Kodama gesagt hatte. Ihm wollte nur einfach nicht einfallen, was es gewesen war. Akis Finger spannte sich über dem Abzug. „Du musst das nicht tun.“   Der Satz war hastig hervorgestoßen. Im Grunde nicht mehr, als der verzweifelte Versuch, das Unausweichliche noch ein wenig hinauszuzögern. Und doch drückte Aki nicht ab. Er knurrte. „Und dann was? Erwartest du, das sich mich einfach so wieder einsperren lasse?“   Makoto musste plötzlich an seinen Traum denken. Den Schneeleoparden. Er schüttelte den Kopf. „Nein! Natürlich nicht, aber ich … könnte dich gehen lassen.“   Ein Teil von ihm wusste, dass er sich gerade vollständig zum Narren machte. Wie oft schon hatte er auf der anderen Seite gestanden. Meist hatten die Leute nicht gebettelt, aber wenn sie es getan hatten, hatte Makoto nur umso schneller abgedrückt. Um es zu beenden. Er hatte keine Wahl gehabt.   Aber Aki hat eine Wahl. Ich muss ihn überzeugen.   Makoto versuchte seinen Atem zu beruhigen. Seine Stimme. „Du musst das nicht tun“, wiederholte er eindringlich. „Ich … ich schwöre dir, dass ich dich nicht verfolgen werde. Nimm das Auto, mein Handy, das Geld. Alles. Ich verspreche dir, dass ich dich nicht aufhalten werde. Du bist frei.“   Gelbe Augen funkelten Makoto herausfordernd an. „All das bekomme ich auch, wenn ich dich töte.“   Makoto schluckte. Er wusste natürlich, dass das stimmte. Er war ein Risiko für Aki und doch …   „Aber dann würde das Blut eines Menschen an deinen Händen kleben. Ist es wirklich das, was du willst?“   Für einen Moment herrschte Stille, dann war plötzliche in leises Lachen zu hören. Aki lachte. Es war ein wunderbarer Laut und gleichzeitig einer, der Makoto das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aki legte den Kopf schief. „Glaubst du wirklich, dass mir das etwas ausmachen würde?“   Die Frage wurde von einem Aufblitzen begleitet. Etwas, das man leicht für etwas anderes hätte halten können, doch Makoto war sich plötzlich sicher, was es bedeutete. Hoffnung. „Ja“, sagte er langsam und widerstand dem Drang, sich dabei über die trockenen Lippen zu lecken. „Ja, ich denke, das würde es.“   Aki klappte den Mund zu. Da war plötzlich ein Flackern in seinem Blick. Eine Unsicherheit, von der Makoto wusste, dass sie ihn noch gefährlicher machte, und die doch seine einzige Chance darstellte.   Immer noch hämmerte Makotos Herz in seiner Brust. Er wusste, dass er nichts zu verlieren hatte. Nicht einmal, wenn Aki abdrückte. Aber Aki … ihn konnte er vielleicht noch retten. „Du hast selbst gesagt, dass du mich magst. Warum also willst du mich töten?“   Kaum, dass er es ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass das die vollkommen falsche Richtung war. Trotzdem machte er weiter. „Ich weiß, dass ich … nicht immer nett zu dir war. Ich habe dich zurückgewiesen und du warst enttäuscht. Das tut mir leid. Aber weißt du, ich konnte doch nicht …“   „Halt die Klappe!“ Akis Stimme schnappte über und er riss die Waffe wieder nach oben, die er während Makotos Rede um einige Millimeter gesenkt hatte. Seine gelben Augen funkelten vor Zorn. „Halt die Klappe!“, schrie er noch einmal. „Du bist ein elender Feigling. Ein Lügner. Ein Mörder. Du hast diese Männer erschossen, in der Gasse hinter der Garküche, und willst mir jetzt Vorhaltungen machen? Glaubst du etwa, ich könnte das nicht?“ Wie, um Makoto das Gegenteil zu beweisen, zielte Aki jetzt auf Makotos Kopf, ebenso wie dieser es bei den drei Bozos getan hatte. Makoto hatte keine Ahnung, woher Aki das wusste, aber es machte auch keinen Unterschied. Aki war wild entschlossen zu schießen, und doch sah Makoto genau, dass seine Unterlippe zitterte. Der Anblick schnitt Makoto ins Herz. „Doch. Doch, ich denke, das könntest du“, versicherte er eilig. „Aber ich glaube, du willst es nicht. Habe ich recht?“   Makoto sah, wie Aki die Lippen aufeinander presste. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter dem gerippten Stoff. Unsinnigerweise kam Makoto in diesem Moment in den Sinn, dass Aki unter dem Hemd nackt sein musste. Vielleicht sogar wund, immerhin hatte er …   Seine Aufmerksamkeit schnappte nach oben, als Aki erneut Anstalten machte, den Abzug zu betätigen. Aki fletschte die Zähne. „Was?“, fauchte er und sein Grinsen wurde bösartig. „Hast du etwas entdeckt, dass dir gefällt. Das du haben willst? Benutzen? So wie alle anderen?“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, hob Aki den verletzten Fuß. Er streckte ihn vor, richtete ihn auf Makoto und beschrieb dann langsam einen eleganten Kreis. Wie ein Balletttänzer setzte er danach nur die Zehenspitze auf den Boden und zog sie langsam zu sich heran. Seine Augen funkelten, als er Makoto anblaffte. „Das ist es doch, was du willst, oder? Was du schon die ganze Zeit haben wolltest. Und ich hätte es dir geschenkt. Aber du hast mich weggestoßen. Als wäre ich es nicht wert. Als würdest du mich verachten. Dich für etwas besseres halten. Los! Gib es zu, dass es so war. Sag es!“ Wütend stieß Aki mit der Pistole in die Luft. Makoto hielt unbewusst den Atem an. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich auf diese Weise ein Schuss löste. Makoto hatte Leichen gesehen, die so ihren Tod gefunden hatte. Während eines Streits, einer Schlägerei, bei der plötzlich Waffen im Spiel gewesen waren. Es war immer Makotos größte Angst gewesen, bei so etwas zwischen die Fronten zu geraten. Jetzt war er es, der auf der einen Seite des Streits saß. Die andere hielt eine Pistole.   Makoto schluckte. „Ich … verachte dich nicht.“ „Ach nein?“, grollte Aki und ließ ein bitteres Lachen hören. „Und doch hast du mich gezwungen, das Halsband zu tragen. Sein Halsband, nachdem er mich …“   Akis Stimme versagte. Makoto musste zugeben, dass er inzwischen Schwierigkeiten hatte. Akis Gedankensprüngen zu folgen. Was er jedoch verstand, war, dass Aki jetzt begann, mit einer Hand an dem Halsband zu zerren. Seine Finger kämpften mit dem Verschluss, während er Makoto nicht aus den Augen ließ. Endlich hatte er es geschafft. Das schwarze Leder rutschte von seinem Hals. Wie eine weitere Waffe streckte Aki es in Makotos Richtung. „Du hast mich gezwungen, es zu tragen“, behauptete er noch einmal. Makoto schüttelte den Kopf. „Aber du wolltest es doch. Du hast mich darum gebeten.“   „Ich habe WAS?“   Akis Stimme kippte endgültig. Er kreischte. „Ich habe niemals darum gebeten, das Zeichen desjenigen zu tragen, der mich so … so …“   Makoto wagte kaum Luft zu holen. „So was?“, fragte er, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt. „So hintergangen hat.“   Akis Atem ging jetzt schnell. Sein Blick funkelte und flackerte. In der einen Hand hatte er immer noch die Pistole, in der anderen das Halsband. Das, von dem Makoto gedacht hatte, dass er es tragen wollte. Der Knoten in seiner Brust wuchs. „Oh Aki, ich … Es tut mir leid. Ich wusste nicht … Ich dachte, du … wolltest das.“ Aki sah ihn an. In seinem Gesicht spiegelten sich Wut, Enttäuschung und Trauer. Makoto wusste jetzt, dass er so ziemlich alles falsch gemacht hatte. Von Anfang an. Er hatte gedacht, verstanden zu haben, worum es Aki ging, wie er tickte, doch er hatte sich geirrt. So fatal geirrt.   Makoto sank auf die Knie. „Aki“, sagte er leise. Er sah, dass sein Tun den Jungen verwirrte. Nicht auf eine gute Weise, aber Makoto wusste, dass es endlich an der Zeit war, Dinge auszusprechen. Dinge, die er lieber für sich gehalten hätte, aber …   „Ich wollte dich.“   Makoto wusste nicht genau, warum er damit anfing, aber auf seltsame Weise war ihm bewusst, dass es das war, was Aki hören musste. „Ich wollte dich, aber ich …“ „War zu feige.“ Aki spuckte ihm die Anschuldigung mitten ins Gesicht. Makoto spürte förmlich, wie sie an ihm herunterrann und von seinem Kinn zu Boden tropfte. Nur mit Mühe widerstand er dem Drang, sie wegzuwischen. „Ja“, gab er zu. „Ja, ich war zu feige, es mir einzugestehen. Ich wollte nicht, dass du es weißt. Aber das ist nicht der einzige Grund.“   Aki ließ ein unwilliges Schnauben hören. Seine Augen blitzten wild. „Du hattest Angst vor Sasori. Angst davor, was er mit dir tun würde, wenn du mich nimmst.“   Makoto stockte. Das war es, was Aki angenommen hatte? Shisus Worte kamen ihm in den Sinn. Dass er mit Aki spielen sollte. Makoto schüttelte leicht den Kopf. „Nein, das war es nicht. Eigentlich hatte ich sogar die Erlaubnis, ja fast schon den Befehl, mit dir zu tun, was immer ich möchte. Doch das war es nicht, was mich zurückgehalten hat.“   Makoto sah, dass seine Worte Dinge mit Aki anstellten. Es war, als würde jedes von ihnen etwas in ihm zum Einsturz bringen. Ein Gebäude aus Lügen, das er errichtet hatte um zu ertragen, was nicht zu ertragen war. Und doch musste Makoto ihm die Wahrheit sagen. Er musste. „Das, was mich zurückgehalten hat, Aki, warst du.“   Makoto sah Aki blinzeln. Fragend legte er den Kopf schief. „Ich? Aber ich habe doch …“   Makoto ließ ihn nicht ausreden.   „Du hast dich bemüht, mich zu verführen, ja. Du hast dumme Dinge getan, schmerzhafte Dinge, Dinge, von denen du annahmst, dass sie mir gefallen würden. Und du hattest recht. Dir zu widerstehen, war das Schwerste, das ich je tun musste. Und eigentlich habe ich es auch nicht geschafft. Du weißt, was ich getan habe. Du weißt, dass du gewonnen hast.“   Makoto zögerte kurz, bevor er weiter sprach, denn was jetzt kam, war essentiell, damit Aki verstand.   „Aber du hast nicht ein einziges Mal gefragt, was ich möchte, und das nur aus einem Grund. Weil es nicht ich bin, den du willst. Denn tief in deinem Inneren sehnst du dich nur nach einem. Nach ihm.“   Bei seinen letzten Worten hatte Makoto mit dem Kopf auf das Halsband gedeutet, das Aki immer noch in seiner Hand hielt. Akis Blick folgte der Geste mit den Augen. Er schluckte. „Du hast auch nie gefragt, was ich möchte.“   Makoto sah, wie die schmale Gestalt in sich zusammenfiel. Die Hand mit der Waffe sackte herab, die Schultern wanderten in Richtung Erdboden, der Rücken krümmte sich. Ein winziger Teil von Makoto wollte erwidern, dass er Aki sehr wohl nach Dingen gefragt hatte. Welche Suppe er essen wollte zum Beispiel, oder ob ihm kalt war, doch er verkniff sich diese Spitzfindigkeit. Das, warum es ging, war weit entfernt von Nudeln und Brühe. Es ging darum, was Akis Herz wollte, und das, da war Makoto sich sicher, war nicht er. Es war dieser furchtbare Mann, der Aki auf mehr als alle erdenklichen Weisen wehgetan hatte. Wie genau konnte Makoto nur erahnen, doch irgendwie war er sich sicher, dass es auch keine Rolle spielte. Sasori Kodama hatte Aki betrogen. Deswegen war er geflohen. Weil er es nicht ausgehalten hatte. Doch die Freiheit war nicht das, was Aki wollte. Obwohl es so sein sollte. Er wünschte sich, dass jemand ihn besaß. Ihm Halt gab und Würde und Anerkennung für das, was er zu geben bereit war. Was unglaublich viel war, wenn Makoto bedachte, was der Junge alles angestellt hatte, um ihn herumzukriegen. Doch Sasori Kodama hatte diese Gabe mit Füßen getreten. Er hatte sie zerquetscht, beschmutzt und verdreht, bis Aki schließlich davongelaufen war.   Plötzlich wünschte Makoto sich, dass er derjenige hätte sein können, der Aki rettete. Doch er konnte es nicht. Denn Aki wollte nicht ihn. Aki wollte Sasori Kodama. Noch immer.   Makoto atmete. „Dann haben wir wohl beide Fehler gemacht“, sagte er leise. Ganz kurz glitt sein Blick zu der Waffe, die Aki immer noch in der Hand hielt. Er wusste, dass er keine Chance hatte, sie zu erreichen, selbst wenn er es versucht hätte. Außerdem wollte er es gar nicht. Sein Schicksal war ohnehin besiegelt. Aki hob langsam den Kopf. Seine Augen schimmerten feucht. „Und jetzt?“, wollte er wissen. Seine Stimme war brüchig. Es war nichts mehr übrig von der stolzen, kämpferischen Fassade, die er gerade noch gezeigt hatte. Geblieben war nur der Schmerz. Die Wunde tief in seinem Herzen die blutete und blutete.   Makoto deutete ein Lächeln an. „Ich weiß nicht. Wir könnten … etwas essen. Möchtest du das?“   Es war eine Hand, die er Aki entgegenstreckte. Obwohl er wusste, dass es keines ihrer Probleme löste, fiel ihm doch nichts anderes ein, was er Aki hätte anbieten können. Was er hätte anbieten dürfen.   Akis Lippen umspielte ein trauriges Lächeln. „Und dann?“, fragte er erneut. Es brach Makoto das Herz, ihn so zu sehen. Noch einmal versuchte er zu lächeln. „Dann … könnten wir fernsehen. Du könntest ein Bad nehmen, wenn du möchtest. Ich lasse dir heißes Wasser ein und dann …“   Aki lachte trocken. Es war ein Laut wie zerbrochenes Glas. „Und dann?“, fragte er noch einmal. Makoto schauerte, als er sah, dass die Wut in Akis Blick zurückgekehrt war. Wut und Hoffnungslosigkeit. „Soll ich mich wieder von dir fesseln lassen? Ans Bett binden, damit ich nicht fortlaufe?“   Makoto schüttelte schnell den Kopf. „Nein, keine Fesseln. Ich verspreche dir …“ „Was?“, schnappte Aki dazwischen. Er lachte. Es klang grausam. „Was versprichst du mir? Dass alles gut werden wird?“   Noch einmal lachte er, dieses Mal mit einer Spur von Wahnsinn. Seine Finger krampften sich um die Waffe in seiner Hand. „Denn das wird es nicht. Das wird es nie wieder.“   Makoto schluckte. Mit einem Mal hatte er das untrügliche Gefühl, dass Aki ihm etwas Wichtiges verschwiegen hatte. Wieder tauchte das Bild aus seinem Traum vor ihm auf. Die zwei Käfige. In einem Aki, der Schneeleopard, und in dem anderen …   „Was hast du getan?“   Aki hob den Kopf nicht. Er drehte ihn lediglich so, dass er Makoto ansehen konnte. Die weißen Haare fielen ihm ins Gesicht. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Das, was ich von Anfang an hätte tun sollen. Ich bin gegangen. Aber zuvor habe ich Sasori noch das weggenommen, was ihm am liebsten auf der Welt war.“   Makoto erstarrte. Eiswasser floss plötzlich durch seine Adern und ihm wurde klar, dass er sich schon wieder geirrt hatte. Aki war nicht zart, klein oder zerbrechlich. Er war gefährlich und vollkommen verrückt. „Heißt das, du …“   Makoto traute sich nicht, es auszusprechen. Immerhin wusste er nicht, ob in seinem Traum genug Wahrheit steckte, um seine Befürchtung zur Gewissheit zu machen. Und doch …   „Ich kann nicht zurück.“   Aki sagte diesen Satz so klar, dass Makoto wusste, dass er es ernst meinte. Egal, was der Grund dafür war, Aki würde eher sterben als zurückzugehen. Vermutlich machte es nicht einmal einen Unterschied. So wie Makoto Sasori Kodama kannte, würde er, was auch immer Aki getan hatte, nicht ungesühnt lassen. Er würde ihn bestrafen, vielleicht sogar foltern, und dann … töten. Es führte kein Weg daran vorbei.   Makoto atmete ein und wieder aus. „Dann geh“, sagte er leise. Er wusste, was er damit heraufbeschwor, aber es gab keinen anderen Weg.   Aki schnaubte. „Und du wirst mir nicht folgen?“   Makoto hob den Kopf und blickte Aki geradeheraus ins Gesicht. „Wenn Sasori Kodama herausfindet, was ich getan habe, wird er mich ohnehin umbringen. Du weißt das. Du kennst ihn besser als ich. Wenn ich dich laufen lasse, habe ich mich des gleichen Verbrechens schuldig gemacht wie du. Er wird keine Gnade walten lassen. Nicht dieses Mal.“   Aki sah ihn an. Lange sah Aki ihn an, bevor er leise nickte. „Ja“, sagte er. „Du hast recht. Er wird dich töten und das werde ich nicht zulassen.“ Mit diesen Worten hob Aki die Waffe und schoss.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)