Der Künstler im Moor von Lupus-in-Fabula (Halloweenevent) ================================================================================ Kapitel 1: Der Friedhof ----------------------- Dieser liebliche Duft! Die Frau drehte sich im Kreis. Die Leute der Ferienhausvermietung sahen zu ihr, lächelten und freuten sich über die Fröhlichkeit. Die zwei Koffer stellte sie an den Wiesenrand. Sie sah in die Sonne und streckte ihre Arme Richtung Himmel. Ihr Taxifahrer wartete geduldig. Er half der Frau, die Koffer hereinzutragen, bevor er sich mit einem Handkuss verabschiedete. Sie war sofort verliebt! Die schlichte und doch rustikale Dekoration. Die Blumen, die ihren Duft auch im Haus verbreiteten. Langsam schritt die Frau durch das Haus. Sog jedes Detail des ländlichen Hauses ein. Lächelte entzückt oder schaute interessiert. Automatisch nahm sie das Handy und knipste Fotos. Sie würde später ihren altmodischen Fotoapparat holen und sich erneut auf die Pirsch nach bezaubernden Motiven machen. Das Gesicht der Frau erhellte sich bei dem Gedanken, sich auf die Veranda zu setzen und zu skizzieren. Die Sonne schien durch die Fenster, lockte mit ihrer Wärme. Allerdings musste sie zuerst auspacken. Richtig ankommen. Sich ausruhen. Der Hunger meldete sich. Sie atmete tief ein und aus. Der Duft von Lavendel kitzelte in ihrer Nase. Von draussen hörte man den Gesang der Vögel. Das Summen der Insekten. Hier würde sie arbeiten und nachforschen können. Auf dem Küchentisch stand ein kleines Willkommensgeschenk. Ein Esskorb mit Produkten aus der Region. Lina schnitt sich Brot und Käse, zupfte ein paar Weintrauben und goss sich ein Glas Milch ein. Sie bewunderte die Rosen, die wunderschön in einer Vase arrangiert wurden. Mit den Fingern zeichnete sie die Buchstaben ihres Namens nach. Im Gegensatz zu ihrer Schwester mochte sie ihren Namen sehr und vermied ihren Spitznamen. Während sie sich einen Imbiss gönnte, kreisten die Gedanken. Das Leben konnte so wunderschön sein. Sie hatte solches Glück, in einer liebevollen Familie aufgewachsen sein. Eine Schwester zu haben, die energisch dem Leben entgegenschritt. Ein lautes Lachen entschlüpfte spontan aus ihrem Mund. Ja, sie bewunderte ihre Schwester und sie war ihr Vorbild. Daher entschied sie sich, ihren eigenen Weg zu gehen. Die Kunst.                                                                                       [***] Tagebucheintrag 18XX 03.Juni Unsicher sehe ich in meine Zukunft. Was hat Gott mit mir vor? Soll ich seinem Pfad folgen? Oder einen anderen Weg gehen? In der heiligen Messe kommt mein Herz nicht mehr zur Ruhe. Ich empfinde Neid in meiner Seele. Stets sehe ich sein Gesicht, bevor ich den Schlaf sinke. Sehe seine Augen. Voller Daseinsfreude. Sehe sein Lächeln. Schelmisch. Möchte in seinen Armen versinken. Wäre nicht meine Schwester.                                                                                         [***] Die Sonne schenkte weiterhin ihre Wärme der Natur. Die Frau schlenderte durch den Friedhof. Sie hatte in ihrem ledergebunden Notizbuch das Wichtigste mit blauem Marker angestrichen. Kopien aus Kunstbänden waren in einem edlen Hefter aus Rosenholz verwahrt. Hier sollten die Informationen zu finden sein, die sie suchte. *Ein Geheimnis von einer adeligen Familie. Das bis unentdeckt in der Zeit verweilte.* Die Frau setzte sich auf eine Holzbank. An einigen Stellen war das Holz morsch. Käfer krabbelte herum. Sie musste sich beherrschen, nicht ihre Kamera herauszunehmen und einige Schnappschüsse einzufangen. Noch einmal ging sie die Notizen durch. Eine Familie mit hohem Ansehen. Wurden verdächtig, sich mit Magie zu beschäftigen. Hatten ein Familienwappen, welches sich rätselhaft änderte. Ohne erwähnenswerte Begründung. Der Namen ihrer Kinder verschwanden auf mysteriöse Weise aus dem Familienstammbaum. Merkwürdigerweise wurden ein Detail nur einmal in einem Brief erwähnt. Ungeduld kroch in ihr hoch. Wie konnte diese Familie einfach aus der Geschichte verschwinden? Natürlich mahlte der Zahn der Zeit an einigen Familien und löschte dessen Existenz aus. Aber so? Verbissen suchte sie in den Worten und Zahlen nach einem Anhaltspunkt, den sie übersehen hatte. Plötzlich fühlte sie in sich eine Unruhe. Sie konnte es nicht in Worte fassen. Unruhig huschten ihre Augen zwischen ihren Notizen und Bilder hin und her. Ihr Atem ging schneller. Sie schwitzte. In ihren Ohren rauschte es. Stimmen und Erinnerungen. Gerüche und Musik. Sie verlor sich in einen Strudel, der sie verschlingen versuchte. Ein Schatten lauerte über ihren Kopf. Streckte die Hand nach ihr aus. „Mademoiselle, darf ich mich setzten?“ Erschrocken sprang die Angesprochene auf. Errötet nickte sie und nahm ihre Unterlagen. Als der Mann sich setzte, fühlte sie sich entspannter. Sie schenkte dem Mann ein Lächeln. Seine Haare waren schwarz wie Pech, mit leichten weissen Strähnen. Im Licht betrachtet gab es ein faszinierendes Spiel dieser beiden Farben. Sein Gesicht war bleich. Obwohl er eine ältere Person war, wie seine Altersflecken verrieten, war sein Gesicht faltenfrei. Sein Lächeln makellos. Dennoch war das Anziehende seine Augen. Ein Grau, wie nicht von dieser Welt. Ein Grau, das Barmherzigkeit ausstrahlte. Die Frau konnte ihren Blick nicht von diesen Augen lassen. Der Fremde sah sie freundlich an. Väterlich, als würden sie sich schon lange kennen. Fast hätte sie gefragt, ob er sich Fotografien lassen würde. Eine Weile schwiegen sie. Der Fremde sah in den Himmel. Worüber dachte er nach? Immer wieder spähte die Frau zu den älteren Herren. Er trug seine Haare zu einem Pferdeschwanz. Er schützte sich mit einem altmodischen Hut vor der Sonne. Seine schwarzen Lederschuhe waren poliert. Seine dunkelgrauen Hosen zierten Bügelfalten. Sein Hemd war schneeweiss, was ihn noch bleicher erschienen liess. Eine weinrote Weste rundete sein Outfit ab, in deren Tasche eine schmückende Spinnenlilie platziert war. Achtsam versuchte sie sich jedes Detail zu merken. Irgendwie konnte sie das Gefühl nicht loswerden, ihn zu kennen. [***]   Tagebucheintrag 18XX 06.Juni Ich sprach mit meiner Mutter. Sie versteht meine Sorgen nicht. Meine Schwester blüht mit jeglichem Tag ein Stück mehr auf. Bloss Vater schenkt mir seine ganze Liebe. Wird Gott mir weiterhin seine Güte schenken, so wie es Vater tut?                                                                                       [***] „Wirklich?“ Der Fremde nickte und lächelte freundlich. Aufgeregt sammelte die Frau ihre Habseligkeiten, um ihn zu folgen. Der Mann führte sie zu einem Teil des Friedhofes, von dem nur Eingeweihte wussten. Die Fusswege wurden nicht mehr gepflegt, die Hecken nicht geschnitten. Unkräuter wucherten in den Beeten. Verzaubert konnte sie es nicht lassen und schoss einige Fotos. Der Mann wartete geduldig. „Mademoiselle, wir sind angekommen.“ Der Fremde zeigte mit einer leichten Verbeugung das Familiengrab. Der Rosenstrauch umschlang die hünenhafte Tafel. Moos hat sich in den Buchstaben festgesetzt, Flechten haben sich in den Stein gefressen. Das Wappen war noch zusehen. Die Frau blinzelte. Wieder kam dieses Gefühl in ihr hoch. Es fühlte sich an, als wäre sie zu Hause.                                                                                        [***] Die Schwestern sassen sich gegenüber. Beide attraktiven Damen aus edlem Hause. Brav studierte die Einte die Heilige Schrift. Ihre feinen Hände hielten das Buch. Sanft atmete sie ein und aus. „Sœur, bitte überlege es dir gut.“ Schweigend sah die Lesende auf. Ihre Hände zitterten leicht. Ihr Herz schmerzte bei diesen Worten. War dies eine Prüfung? Wollte ihre Sœur … „Bitte! Ich möchte dich vor Leid bewahren.“ Die Bibel glitt zu Boden. Ohne ein Wort verliess sie das Zimmer.                                                                                        [***] Das Abendrot färbte den Friedhof in ein rötliches Licht. Ihr Magen knurrte. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken. Sie war erschöpft. Ihre Augen tränten. War sie eingeschlafen? Einen Moment war sie sich nicht mehr sicher, wo sie war. Erst, als sie die Stimme des Fremden hörte, fand sie wieder zu ins hier und jetzt. „Mademoiselle? Fühlen Sie sich unwohl? Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“ Vorsichtig blinzelte die Frau. Bewegte ihre Hände und kreiste ihren Kopf. Es knackte leicht. Sie blickte in das Gesicht des Mannes, der ihr seine Hand hinhielt. Sie blinzelte erneut. „Ich habe Hunger. Habe beim Erforschen die Zeit vergessen.“ Fürsorglich nickte der Mann. „Ich habe noch Brot und Käse“, sprach er und lächelte. Sie nahm dankbar seine Hand und das Angebot an. Während sie zusammen sassen, schwiegen beide. Die Atmosphäre war malerisch. Das Essen schmeckte trotz seiner Einfachheit deliziös. Er begleitete sie zu einem Taxi. Sah ihr besorgt nach. Sie hatte keine Namen ausgetauscht. Und trotzdem murmelte er ihren Namen beim Abschied. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)