Zum Inhalt der Seite

Die Tochter des Schmieds

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen! Ich habe das ganze vor Jahren geschrieben und überarbeite nach und nach alles. Ich hoffe es gefällt euch. Gebt mir doch gerne Rückmeldung, entweder durch einen Kommentar oder auch durch eine Nachricht. :) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Teil 1, Kapitel 1

Teil 1

„Aus den Trümmern unserer Verzweiflung

bauen wir unseren Charakter.“

-Ralf Waldo Emerson

1

 

Es war der erste Morgen diesen Jahres an dem die Sonne schien. Sie schlich sich langsam über die nahen Hügel und Wälder und tauchte das kleine Dorf in einen warmen Schein. Trotz der frühen Morgenstunden regte sich dort schon das Leben. 

In der einzigen Schmiede des Dorfes hörte man schon eine Stunde vor Sonnenaufgang das klong klong des Hammers auf dem Amboss. Dort arbeitete ein Mädchen, sie war gerade fünfzehn und die Jüngste in ihrer Familie.

„Mariann,“, rief ihr Vater, „Heiz die Esse weiter an und bring mir schnell die große Zange!“

Sie trat den Blasebalg und musste sich dabei beinah mit ihrem ganzen Körpergewicht darauf stützen. Da sich ihr Vater keinen Lehrling leisten konnte übernahm sie seit längerem diese Rolle und unterstützte ihn wo sie konnte.

Das Dorf in dem sie lebten war arm, sie hatten alle wenig Geld und alle wenig zu essen. Vor einigen Jahren war Krieg ausgebrochen und so wurden alle jungen und kampffähigen Männer eingezogen und starben nun reihenweise an der Front. Ihr Vater hatte ein steifes Bein, deshalb konnte er im Dorf bleiben und weiter seiner Arbeit nachgehen. Er stellte alles her, was man mit Eisen machen konnte, Hufeisen, Scharniere, sogar Nägel. Seine Leidenschaft jedoch waren Messer und Schwerter. Er hatte über die Jahre eine kleine Sammlung an Dolchen, Lang- und Breitschwerter und sogar Streitäxten aufgebaut. Einen Großteil davon hatte er an die Soldaten abgeben müssen und so waren nur noch wenige Schätze übrig die er hatte verstecken können. Die großen Ritter und Schwertschmieden hielten ihren Vater für einen einfachen und nicht besonders guten Hufschmied eines kleinen Dorfes in der Nähe der Grenze, sodass sie bisher Ruhe vor ihnen hatten.

„Vater, ich sollte mich langsam um den Haushalt und das Essen kümmern.“ sie lief zur Haustür und hörte ihn hinter sich brummen. Seit dem Tot ihrer Mutter vor einigen Jahren war er Still geworden. Er vergrub sich in seiner Arbeit und sie vermisste sein kehliges Lachen und die Spiele die sie gespielt hatten. Sie erinnerte sich noch gut wie er sich um seine Frau gekümmert hatte, er hatte sie gepflegt, gewaschen, ihr die Haare geflochten und war Tag und Nacht an ihrer Seite. Zu der Zeit erkrankten viele und auch wenn die alte Naan, die kräuterkundige im Dorf, ihr bestes gegeben hatte, hatten nicht alle überlebt. Sie erinnerte sich wie ihr Vater im Haus wütete und den schlechten selbst gebrannten Schnaps trank als er vom Tod seiner Frau erfuhr. Mariann und ihre Schwester Christa waren zu der Zeit oft bei Naan. Sie konnten es nicht ertragen wenn ihr Vater trank. An einem Tag standen die beiden wieder bei der Alten vor der Tür. Christa hatte eine blaue Wange, da ihr Vater einen Topf nach ihr geworfen hatte als er betrunken war. Naan sagte damals, sie sollen doch in die Küche gehen sich einen Tee kochen und sie dürfen alles aus ihrer Vorratskammer nehmen worauf sie Lust hatten, während sie sich ein Tuch um die Schultern zog und in Richtung Schmiede aufbrach. 
 

Als sie am späten Abend scheu und ängstlich vor ihrem Haus standen und durch die Haustür traten war der Wohnraum aufgeräumt und es duftete nach Eintopf. Sie hatten nie heraus gefunden was Naan getan hatte oder was sie zu ihm gesagt hatte, doch seit diesem Tag gab sich ihr Vater jede mühe. Er vergrub sich zwar in seine Arbeit, aber er hatte seit diesem Tag nicht einen Tropfen Alkohol mehr angerührt.

Da in Zeiten des Krieges alle verfügbaren Lebensmittel an die Front geschafft wurden blieb nicht viel für die Bevölkerung übrig, so hatte Marinns Vater ihr gezeigt wie man Kleintiere mit Fallen fieng. Diese Fallen musste sie nun ablaufen damit sie für heute einen schönen Eintopf kochen konnte. Sie schlüpfte in ihre Stiefel, schnappte sich ihr Tuch und warf sich einen Beutel über die Schulter. Als sie aus der Haustüre trat hörte sie von nebenan noch immer das rhythmische Klong Klong ihres Vaters bei der Arbeit. Sie sprang die  Stufen hinunter auf die Straße und lief mit schnellem Schritt zwischen den Häusern entlang auf die andere Straßenseite in richtung der Felder. In der Straße die sie überquerte roch es immer nach frischen Brot und bei diesem Duft lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

Vielleicht habe ich heute Glück und es sind genug Tiere in den Fallen. Dann könnte ich eins gegen einen Laib Brot tauschen, dachte Mariann hoffnungsvoll.
 

Sie überquerte die Felder und verschwand beinahe lautlos im Dickicht des Waldes. Auf ihrer Route zu den Fallen lief sie alle ihr bekannten Stellen ab um Beeren und Früchte zu sammeln. Natürlich war es noch zu früh in diesem Jahr und es würde noch einige Wochen dauern bis die Beeren reif wären, doch es war gut zu wissen wie weit die Natur um einen herum war. Auch wenn es zu früh für Beeren war gab es doch anderes das sie Sammeln konnte. Schon auf der kleinen Lichtung roch sie das knoblaucharoma des Bärlauchs. Sie zog ihr Messer aus dem Stiefel und schnitt die Blätter ab. Sie sammelte etwa zwei Hände voll bevor sie zu ihrer ersten Schlingfalle weiter ging.

Ihre erste Schlingfalle war leider leer. Sie richtete sie und hoffte morgen etwas mit ihr zu fangen. Auf dem weg zu ihrer zweiten Falle gelangte sie durch ein kleines Birkenwäldchen. Zartes Morgenlicht durchbrach die Blätterkrone, Mariann blickte sich um und genoss für einen Moment das Zwitschern der Vögel. Sie genoss die Ruhe und atmete noch einmal Tief ein bevor sie zur nächsten Falle weiter ging. Hier hatte sie mehr Glück gehabt. Ein Eichhörnchen war ihr in die Schlinge getreten und hatte sich selbst stranguliert. Sie musste nur noch das Tier aus der Falle holen, die Schlinge erneut richten und das Eichhörnchen in den Beutel legen. Um zur nächsten Falle zu gelangen musste sie sich nach Südosten richten und tiefer in den Wald hinein gehen. Sie orientierte sich an dem Stand der Sonne, obwohl das im tiefen Wald nicht einfach war. Sie fand eine schöne, mächtige Eiche, hängte den Beutel über einen erhöhten Ast und kletterte in die Krone. Flink und klein wie sie war schaffte sie es in kürzester Zeit ganz oben zu sein. Schon seit ihrer frühsten Kindheit war sie häufig in den Wipfeln der Bäume zu finden gewesen. Diese Eiche war größer als die anderen Bäume in der Umgebung, so konnte sie den Wald von oben betrachten.
 

Sie richtete sich nach Nordwesten, dort konnte sie schwach das Dorf ausmachen, im Nordosten sah sie ganz hinten am Horizont die weit entfernten Berge. Die Legenden besagten, dass die Berge von Zwergen bewohnt würden und diese komplett ausgehöhlt seien. Mariann mochte die Sagen und Geschichten, denn in jeder Sage gab es etwas wahres. Vor zwei Sommern hatte sich in einer ihrer Fallen ein kleiner Waldkobold verfangen. Als sie ihn befreite hatte er wild geflucht und mit einem angespitzten Ast immer wieder auf ihre Hand eingestochen. Als sie ihn endlich befreit hatte, hatte  er ihr einen Ast angeworfen und war im Gebüsch verschwunden. Danach hatte sie nie wieder einen Waldkobold oder ähnliches gesehen. Als sie zwei Tage später wieder nach der Falle sah lag dort ein wunderschöner grüner Stein. Sie glaubte es war ein Dankeschön des Kobolds gewesen. 

Es gab auch Legenden über Elfen und Waldfeen, doch seit Jahrhunderten hatte man nichts mehr von ihnen gesehen. Es hieß sie seien alle ausgestorben, gejagt und getötet worden.

Mariann drehte sich nach Süden. Dort konnte sie in der Ferne einen dunklen Streifen sehen. Das war das Reich der Trolle. Man sagte die Trolle seien größer als ein ausgewachsener Mann und viel stämmiger und kraftvoller. In manchen Geschichten haben sie eine dicke, ledrige Haut in anderen Schuppen und wieder in anderen soll ihr Rücken von Hörnern gespickt sein. 

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, langsam wurde es Mittagszeit und Mariann kletterte die Eiche hinunter, schnappte sich den Beutel und eilte zur nächsten Falle. Dort hatte sie wieder Glück und ein Eichhörnchen war darin, es würde heute also einen leckeren Eintopf geben. Sie machte sich auf den Weg nach Hause.

Als sie ins Dorf hinein lief stieg ihr wieder der Duft des Brotes in die Nase. Sie wägte kurz ab ob sie doch eins der Eichhörnchen eintauschen sollte, entschied sich aber dagegen. Vom weiten hörte sie schon klong klong aus der Schmiede. Ihr Vater hatte wohl noch keine Pause eingelegt. Sie beeilte sich ins Haus zu kommen um ihm etwas zu Essen in die Schmiede zu bringen.
 

Mit dem Holzbrett in der Hand trat sie in die Schmiede ein und steuerte auf ihren Vater zu.

„Hier du musst was essen, sonst kannst du den Hammer bald nicht mehr halten.“

„Danke, ich mach das nur noch zu Ende.“, er schenkte ihr eines seiner seltenen Lächeln und beugte sich wieder über seine Arbeit.

Er scheint einen guten Tag heute zu haben, ging es ihr durch den Kopf und sie lächelte strahlend zurück.

Sie machte sich daran das Essen vorzubereiten und die übrige Hausarbeit zu erledigen. Kochen, Putzen, Beeren und Kräuter sammeln, einmachen für den Winter, in der Schmiede helfen, dies waren alles ihre Aufgaben. Manchmal kam ihre Schwester Christa vorbei doch nachdem sie geheiratet hatte, hatte sie mit ihrem eigenen Haushalt genug zu tun.

Die Sonne war schon dabei unterzugehen, als ihr Vater endlich Feierabend machte. Mariann schmeckte den Eintopf ab und würzte mit etwas Salz nach. Sie musste sparsam damit sein, Salz war teuer und sie hatten nicht mehr viel.

Sie saßen zusammen am Esstisch und aßen gemeinsam den Eichhörncheneintopf. Sie erzählte von ihrem Tag, was sie alles erledigt hatte und dass sie am nächsten Morgen wieder in den Wald wollte nach den Fallen schauen. Ihr Vater hatte heute einen weiteren Auftrag bekommen. Er musste die Hufeisen des alten Gauls vom Nachbarn anpassen. Durch das wenige Geld versuchten die Leute zu tauschen und er nahm oft Gemüse oder Eingemachtes für seine Arbeit , manchmal auch Dinge wie Seife oder Stoffe. 

Vor dem Zubettgehen schrubbte sie noch das Geschirr während ihr Vater die Eichhörnchenfelle zum Gerben vorbereitete. 

Es war ein langer Tag gewesen. Morgen würde sie zuerst wieder mit ihrem Vater in die Schmiede und ihm helfen die Esse an zu heizen. Wenn sie es schaffte würde sie bei Naan vorbei, sie hatte ihr vor Jahren das Lesen und schreiben bei gebracht und das wollte geübt werden. 

Mariann fiel auf ihre mit Stroh gefüllte Matte, zog sich die alte Steppdecke bis unter die Nase und schlief augenblicklich ein um kurz vor Morgengrauen wieder auf zu stehen.

Teil 1, Kapitel 2

2.
 

Es war noch immer dunkel als Mariann durch laute Geräusche aufschreckte. Diese blöden Raben, dachte sie während sie sich im Halbschlaf auf die andere Seite rollte. Aus dem anfänglichen Rabenschrei wurde lautes Klirren und Angstschreie. Sie wagte sich kaum aus dem Bett und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen als sie langsam auf das kleine Fenster zu schlich.

Sie sah Feuer, riesengroße, bullige Gestalten, die Keulen schwangen und Menschen, die versuchten vor ihnen davon zu laufen. Es polterte vor ihrer Tür und ihr Vater stolperte herein.

„Schnell zieh dir was an! Flieh!“ In der einen Hand hatte er ein Schwert, in der anderen seinen Hammer.

Mariann zog sich schnell ihr Kleid über und schlüpfte in ihre Stiefel. Sie hastete gemeinsam mit ihrem Vater die Treppe hinunter, als mit großen Krachen ihre Haustür zersplitterte. Ein riesiges Geschöpf, mit Hauern, die aus dessen Maul ragten und einer Keule in der Hand stand in den Resten der Tür. Es trug eine Art Helm und ein Lendenschurz. Die Keule war mit riesigen eisernen Stachel gespickt.

„Verschwinde Mariann!“ , ihr Vater stellte sich schützend vor sie, „Versteck dich, bring dich in Sicherheit.“

„Aber Vater...“ „Verschwinde!“, rief er eindringlich und sah sie flehend an.

Mit wild klopfendem Herz drehte sie sich auf der Treppe um und stürzte zurück in ihr Zimmer. Sie schob die Kommode vor die Tür, sah sich panisch um, schnappte sich, ohne zu denken, ihr Tuch. Sie hörte dumpfe Geräusche vor der Tür und schreie ihres Vaters. Ihr schossen die Tränen in die Augen, während sie durch ihr Fenster auf das Dach kletterte. Sie war gerade auf dem Dach angekommen, als sie unter sich eine Erschütterung spürte und Holz knacken hörte.

Das Monster hatte die Tür aufbekommen und war nun auf der Suche nach ihr. Voller Panik krabbelte Mariann über das Dach und versuchte zur anderen Seite zu kommen. Sie blickte nach unten und sah gerade noch wie ihrem Nachbar, dem das Maisfeld gehörte, den Schädel mit einer Keule zertrümmert wurde. Sie schlug sich eine Hand auf den Mund, um den Schrei zu unterdrücken und rutschte vom Dachrand zurück. Auf allen vieren krabbelte sie in Richtung der kleinen Lücke zwischen ihrem und dem Nachbarhaus. Mit ihrem Ärmel wischte sie sich die Tränen vom Gesicht und klärte ihren Blick. Am Dachrand angekommen atmete sie einige Male tief durch, bevor sie sich traute über die Schindeln zu spähen. Das kleine Gässchen lag im Schatten, rechts auf der Straße war Geschrei zu hören. Sie schob sich weiter vor, um mehr in der Gasse zu erkennen. Sie war leer.

Okay, du schaffst das, du kannst dich hier in die Gasse runter lassen, versuchte sie sich in Gedanken zu beruhigen. Sie blickte noch einmal zurück und konnte gerade sehen, wie zwei große, ledrige Hände sich am Dach festhielten. Ihr Herz schlug schneller, kaum zu glauben, dass es noch schneller schlagen konnte. Sie hievte ihren Körper über die Dachkante und versuchte sich langsam runter zulassen. Sie hing etwa Mannshoch über dem Boden. Auf dem Dach konnte sie die schweren Schritte des Monsters hören und sie ließ los. Beim Aufprall durchfuhr sie ein schmerzhafter Ruck. Reflexartig drückte sie sich gegen ihre Hauswand in den Schatten. Sie hielt sich eine Hand auf den Mund, um ihre Atemgeräusche zu unterdrücken, als neben ihr eine Schindel zerbrach. Mariann war wie erstarrt, sie wollte kein einziges Geräusch machen und dem Monster einen Anlass geben, um sich auch in diese Gasse hinunter zu lassen. Es kam ihr vor, als würde sie Stunden so reglos dastehen, bis sie endlich schwere Schritte auf dem Dach hörte. Sie blieb noch einen Moment reglos stehen, bevor sie sich langsam Richtung Straße schob, immer an die Hauswand gepresst. Es waren Menschen und Monster gleichermaßen auf der Straße, doch nur die Menschen lagen reglos auf dem Boden. Zehn Schritte. Nur zehn Schritte bis zur anderen Straßenseite, weitere fünfzehn zwischen den Häusern entlang und bis zum Wald. Unbemerkt würde sie es nie dorthin schaffen. Ihr Herz schlug wie wild und Mariann fuhr sich mit den Händen über die Augen. Mariann, du musst schnell sein! Renn! Jetzt! Los! In Gedanken schrie sie sich selbst an. Wenn du jetzt nicht rennst stirbst du! Und was ist, wenn ich sterbe, weil ich jetzt renne? Vater wollte das du dich versteckst! Tu´s für ihn!

Sie sammelte all ihren Mut und rannte aus ihrer Deckung heraus und direkt dem Monster entgegen. Es war das selbe hässliche Exemplar, das eben auf dem Dach war. Jetzt sah sie es von nahem, es hatte Warzen im Gesicht und einer der großen Eckzähne die aus dem Maul ragten war abgebrochen und auf dem Bauch prangte eine große Schnittwunde. Es hob die von Blut triefende Keule und schwang sie in Richtung ihres Kopfes. Mariann wählte den direkten weg und rannte auf es zu, warf sich auf den Boden und schlitterte direkt durch dessen Beine hindurch. Sie spürte das Brennen in ihren Händen und ihren Schienbeinen als sie aufschürften. Sie rappelte sich auf der anderen Seite so schnell sie konnte auf und stolperte auf die gegenüberliegende Gasse zu. Sie spürte wie es die Keule nach ihr schwang und hörte wie sie direkt hinter ihr auf den Boden krachte. Ihr rann kalter Schweiß die Stirn hinunter, ihre Haare klebten ihr im Nacken. In der Gasse angekommen sprang sie über einen leblosen Körper und landete in einer dunklen Pfütze. Lauf weiter, lauf weiter, das waren die einzigen Gedanken die sie zuließ. Sie musste wieder einem von diesen Monstern ausweichen, dieser war Glücklicherweise mit jemand anderen Beschäftigt. Hinter sich hörte sie die dumpfen lauten Schritte ihres Verfolgers, er krachte mit dem anderen Ding zusammen. Ihr Verfolger landete auf dem Boden und sie schaffte es um die nächste Ecke und steuerte direkt auf Maisfeld und damit Waldrand zu.

Sie keuchte und der Schweiß brannte in ihren Augen. Sie krachte in den Wald, die Äste zerkratzten ihr Gesicht und mit ihrem Rock blieb sie in den Ästen hängen. Sie änderte die Richtung und lief nach Südosten. Sie wollte so viele Haken wie möglich schlagen, damit ihre Verfolger ihre Spur verloren. Sie rannte bis sie an einen kleinen Bach kam und folgte diesem dann flussaufwärts in Richtung Süden. Sie war sich nicht sicher, wie lange sie schon rannte, ihre Stiefel und ihr Rock waren komplett durchweicht und in ihren Ohren rauschte ihr Blut. Sie versuchte sich zu beruhigen und fiel in einen gleichmäßigen Trab, damit sie noch mehr Strecke hinter sich bringen konnte. Sie lief durch das Wasser, falls sie Hunde hatten, würde sie hier Schwierigkeiten bekommen ihre Fährte zu verfolgen. Irgendwann verließ sie den Bach und lief nach Südwesten.

Es wurde schon langsam Morgen, zartes Licht fiel in den Wald und Nebel schwebte über dem Boden. Die Vögel stimmten ihre guten Morgenlieder an, so als wäre das alles nur ein schrecklicher Traum gewesen. Mariann sprang auf einen umgestürzten Baum und balancierte diesen entlang, um auf derselben Seite wieder nach unten zu springen. Hier wechselte sie die Richtung und lief strikt nach Süden. Ihr Atem ging nun keuchend und sie gönnte sich eine kurze Verschnaufpause und orientierte sich neu. Sie war nun wieder in dem ihr bekannten Teil des Waldes, bald würde sie an ihr Versteck kommen. Es war eine kleine Höhle, die sie vor Jahren mit den Jungen aus dem Dorf entdeckt hatte. Sie war erleichtert, das Blut rauschte noch immer durch ihre Ohren und ihr Atmen ging stoßweise. Aus ihrem Trab wurde ein kraftloses Laufen. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, bis sie von hinten gepackt wurde und ihr eine kalte Hand auf den Mund gepresst wurde. Sie fing an zu schreien, besser gesagt sie versuchte es. Sie trat wild um sich und wehrte sich.

„Hör auf! Ich bin´s.“ raunte es an ihrem Ohr. Sie kannte die Stimme, es war Naan´s Enkel Lugh. Sie beruhigte sich und seine Hand löste sich von ihr. Sie drehte sich um und umarmte ihn kräftig.

„Ich dachte, es seien alle tot!" Tränen schossen ihr in die Augen. Er drückte sie zurück und schob sie dann sanft von sich weg. Seine blonden Haare hingen ihm wie immer ins Gesicht. Er kam erst vor etwa sieben Jahren zu ihnen ins Dorf. Seine Familie lebte damals nahe der Grenze und wurden bei einem der ersten Angriffe abgeschlachtet. Er hatte als einziger überlebt, gerade einmal neun Jahre war er alt gewesen. Dabei wurde er schwer verletzt und trug nun die Narben unter anderem auch in seinem Gesicht.

„Nein, es haben auch noch ein paar andere geschafft.“, er drehte sie um und sie konnte ein paar kleine Kinder entdecken. Sie kauerten sich in die Höhle und hatten rot verquollene Augen. Sie froren und zitterten und Mariann gab ihnen ihr Tuch. Sie saßen auf Tannennadeln damit sie wenigstens vor der Bodenkälte geschützt waren.

„Waren das diese Wesen die ich denke die es waren?“, fragte sie Lugh und hoffte er verneinte. Sein Gesicht verhärtete sich. „Ja, das waren Trolle.“

Mit diesem Geständnis sank Mariann kraftlos in sich zusammen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Die Erschöpfung und die Müdigkeit überfiel sie.

„Ich bin die ganze Zeit gerannt und habe Haken geschlagen, damit sie mir nicht folgen können.“

„Du bist seit dem Angriff gerannt? Es sind doch schon Stunden vergangen.“ fragte eins der Mädchen. Sie war vielleicht sieben oder acht. Wenn Mariann sich richtig erinnerte, war das die jüngste Tochter vom Bäcker.

„Warte kurz, ich richte dir einen Platz.“, sagte Lugh beim herausgehen, kurz darauf kam er wieder mit weiteren Zweigen in der Hand und legte sie für Mariann auf den Boden. Sie nahm dankend Platz und streckte ihre müden Glieder aus. Ihr Körper fühlte sich so unheimlich schwer an. Ihr Kindheitsfreund gab ihr ein paar Zweige, damit sie sich damit zudecken konnte.

„Ruh dich aus, ich halte Wache.“, sagte er. Sein Gesicht strahlte trotz des Schreckens so viel Wärme aus, er drückte ihre Hand und war wieder aus der Höhle verschwunden. Eins der Kinder weinte, das leise Schluchzen begleitete Mariann in den Schlaf.

Sie war wieder im Dorf. Die Straßen waren leer und es herrschte ein seltsames rot orangenes Licht. Es war als würde die Luft brennen. Sie lief die Straße entlang und es war kein einziges Geräusch zu hören, nicht einmal Käfer surrten oder zirpten. Sie blickte sich nach allen Seiten um, es war kein Leben weit und breit. Plötzlich stand sie vor ihrem Haus. Die Tür war offen, sie trat ein. „Vater“, rief sie, „Wo bist du?“. Ihre Schritte knarrten auf dem Dielenboden. Das Haus lag still und verlassen da. Die Räume waren wie immer, nichts war zerstört oder anders. Sie trat aus dem Haus heraus, denn irgendetwas zog sie nach Links. Sie schritt die Straße entlang. Sie wollte umkehren doch ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr. Sie lief Richtung Marktplatz. Schritt für Schritt trieb ihr Körper sie dort hin während ihr Geist schrie und dagegen ankämpfte. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit. Auf dem Marktplatz angekommen hob sich ihr Blick und sie konnte das pure Grauen sehen. Sie hatte die Dorfbewohner gefunden. Auf dem Marktplatz stand eine junge Eiche. Jeder einzelne Bewohner war mit Seilen an den Baum gebunden, manche an den Stamm, andere hingen von den Ästen. Aufgeknüpft, wie Verbrecher. Ihre schmerzverzerrten Gesichter starrten sie an. Der Boden war getränkt in ihrem Blut. Die Pfütze wurde größer, Mariann trat einen Schritt zurück. Die Pfütze hatte sie schon eingeholt. Das Blut kletterte an ihren Beinen hoch, umschlang sie, hielt sie fest. Sie öffnete den Mund und schrie, das Blut sickerte in ihren Mund und erstickte jeden Laut.

Mit einem unterdrückten Schrei schreckte sie auf. Eine Hand lag auf ihrem Mund. Panik ergriff sie, sie wehrte sich und wusste nicht wo sie war. Erst als sie Lugh's Gesicht sah, beruhigte sie sich wieder. Kalter Schweiß rann ihr von der Stirn. Der Schrecken ihres Traums steckte ihr noch in den Gliedern. Er legte sich einen Finger auf die Lippen und deutete ihr ihm zu folgen. Sie traten vorsichtig aus der Höhle, jeder Muskel in ihrem Körpers schmerzte. Sie hatte zwar geschlafen, doch es war alles andere als erholsam gewesen. Es war früher Nachmittag und die Vögel zwitscherten. Ein paar Meter vor der Höhle setzte sich Lugh auf einen umgestürzten Baum. Mariann setzte sich daneben, einige Zeit herrschte Stille.

„Bis hierher haben es insgesamt sechs geschafft. Zwei Mädchen, das eine sechs, das andere acht, zwei Jungen, der eine dreizehn, der andere zehn und wir beide. Wir sind die ältesten, wir müssen uns etwas einfallen lassen.“, brach er das Schweigen.

„Es haben bestimmt noch mehr überlebt, sie sind nur woanders hin.“ versuchte Mariann so hoffnungsvoll wie möglich zu antworten.

„Wir müssen so schnell es geht von hier weg, was ist, wenn sie uns suchen?“

„Du hast recht. Vorher sollten wir vielleicht etwas essen um wieder zu Kräften zu kommen. Ich habe nicht allzu weit von hier eine Falle aufgestellt, vielleicht haben wir Glück und ich habe etwas gefangen. Solange es Tag ist, ist es auch nicht schlimm ein Feuer zu machen, wir müssen nur darauf achten, dass es nicht raucht.“ meinte Mariann, „Und einen kleinen Bach gibt es hier auch, weißt du nicht mehr?“

Als Lugh damals ins Dorf kam, war Mariann das einzige Kind, das mit ihm gespielt hatte. Er hatte anfangs kein Wort mit ihr gesprochen, das kam erst viel später. Er war damals dabei gewesen, als sie die Höhle entdeckt hatten.

„Stimmt, das hatte ich vergessen.“, er stand auf, „Komm, lass uns was zu Essen suchen.“

Er ging zur Höhle und gab dem ältesten Jungen Anweisungen, dieser Nickte. Mariann kontrollierte unterdessen ihre Stiefel. An ihnen klebte eine dunkle Kruste, von der sie sich einredete, es sei nur Schlamm. Das Messer steckte noch im Schaft, sie hatte Angst gehabt, sie hätte es verloren auf ihrer Flucht. Sie stand auf und die beiden liefen zu der Falle. Sie waren bereits zehn Minuten still nebeneinander her gelaufen, als Mariann das Schweigen brach. „Wir müssen zurück ins Dorf.“

„Die Kinder können wir nicht wieder dorthin bringen.“, antwortete Lugh.

„Ich rede auch nicht von den Kindern,“ Mariann sah ihn an. „Ich rede davon, dass wir beide ins Dorf müssen. Dort gibt es Vorräte, die wir gebrauchen könnten. Danach können wir uns auf den Weg machen zu den Nachbardörfer. Du warst doch schon mal mit Naan dort, oder?“

„Ja, sie hat dort die Kranken behandelt. Das ist aber schon lange her.“

„Wir erklären den Kindern den Weg und treffen sie dann nachdem wir die Vorräte eingesammelt haben.“

Sie kamen an die Falle und hatten Glück, es hatte sich ein Kaninchen in der Falle verheddert. Das würde den Kindern die nötige Kraft geben. Mit einer geübten Handbewegung brach Mariann dem Kaninchen das Genickt und aus dem Augenwinkel sah sie, wie Lugh dabei wegsah.

„Bist du sicher, die vier würden es auch ohne uns ins nächste Dorf schaffen? Du weißt ja nicht ob die Trolle noch da sind, vielleicht töten sie uns bei dem Versuch, an Vorräte zu kommen.“ gab Lugh zu bedenken.

„Ich weiß aber ich muss einfach sehen, was sie dem Dorf angetan haben.“ Mariann traute sich nicht, ihm von ihrem Traum zu erzählen. Sie wusste das es eine blöde Idee war, doch sie wollte sehen was passiert war, sie wollte ihren Vater sehen. Vielleicht hatte ihre Schwester mit ihrem Mann auch überlebt und sie versteckten sich irgendwo im Dorf.

Auf dem Rückweg hielten Mariann ausschau nach geeignetem Zunder und Lugh kontrollierte immer wieder die Steine in der Hoffnung, einen Feuerstein zu finden. Mariann brach kleine Zweige von einem toten Baum ab und wie es schien hatte Lugh auch Glück. Er testete den Stein mit Marianns Messer und kleine Funken stoben davon. Sie lächelten sich an, vielleicht war heute das Glück mit ihnen.

An der Höhle angekommen, hatten die Kinder schon Stöcke gesammelt und eine Kuhle für das Feuer gegraben. Sie hatten noch genug Licht für etwa zwei bis drei Stunden, danach wurde es zu gefährlich, ein Feuer zu machen. Mariann bereitete direkt das Kaninchen vor und Lugh brachte das Feuer in Gang. Das Kaninchen duftete hervorragend, es ließ den Kindern das Wasser im Mund zusammen laufen. Während das Tier über dem Feuer schmorte, erklärte Lugh den Jüngeren ihren Plan. Man sah ihnen die Angst und den Schrecken an. Sie sollten allein etwa vier Tage durch den Wald laufen und das nächste Dorf finden. Wahrscheinlich bräuchten sie sogar länger mit ihren kurzen Beinen.

Nachdem sie sich die Bäuche vollgeschlagen hatten, richteten sie die Höhle und das drumherum wieder genauso her, wie sie sie gefunden hatten. Die Feuerstelle wurde ausgetreten und mit Erde bedeckt.

„Ihr lauft etwa drei Stunden nach Nordosten, dort ist unser nächster Treffpunkt, es ist ein alter Dachsbau. Um den Bau sind viele Kiefern und etwa ein halber Kilometer davor fließt ein Bach entlang. Wenn wir bis Sonnenaufgang nicht zu euch gestoßen sind dann geht ihr ohne uns los.“ erklärte Lugh, zeigte in die Richtung in die sie gehen sollten und zeichnete mit einem Stock eine Karte in den Dreck.

„Wenn die Mädchen nicht mehr können, müsst ihr sie tragen. Und jetzt wiederhol nochmal wo ihr hin müsst.“ ergänzte Mariann. Jack, der älteste Junge gab alles Haargenau wieder. Er nickte ihnen zu und lief mit dem jüngsten Mädchen an der Hand los.

Mariann und Lug gingen in die entgegengesetzte Richtung los, um direkt ins Dorf zu kommen. Als sie am Waldrand ankamen legten sie sich auf die Lauer. Sie waren nah genug an den Feldern, um das Dorf zu sehen, aber weit genug im Unterholz, um vom Dorf aus nicht gesehen zu werden.

Das Dorf lag still da, es bewegte sich nichts.

„Lass uns weiter nach Westen laufen, dort haben wir am meisten Schutz, wenn wir ins Dorf hineinlaufen.“, flüsterte Lugh neben ihr.

Mit vorsichtigen Schritten und die Umgebung beobachtend schlichen sie durch das Geäst zur anderen Seite an den Dorfrand. Mariann war merklich angespannt, sie blickte sich immer wieder um und blieb alle paar Meter stehen, um zu lauschen. Das Dorf sah so friedlich aus, als wäre alles nur ein schlimmer Traum gewesen. Am anderen Ende des Dorfes angelangt, legten sie sich wieder auf die Lauer. Die Sonne schob sich langsam, aber unaufhörlich zum Horizont hin. Sie würden nicht mehr lange Licht haben.

„Lass es uns versuchen.“ Mariann lief gebückt aus dem Schutz des Waldes. Am Haus angekommen drückte sie sich an die Hauswand und blickte vorsichtig um die Ecke. Lugh folgte langsam.

„Was siehst du?“ fragt er neben ihr. Sie blickte ihn an, in ihren Augen hingen Tränen „Tote.“

Es war kein Troll mehr zu sehen, sie traute sich um die Ecke und stand auf der Straße. Der Boden war mit dunklen Pfützen übersät und Körper lagen herum. Teilweise seltsam verdreht. Ein kleines Mädchen lag unter ihrer Mutter. Ein alter Mann lag nicht weit daneben. Mariann zwang sich aufzusehen und die Straße entlang zu gehen.

„Lass mich vorgehen bis zur nächsten Ecke. Wenn die Luft rein ist, winke ich dich zu mir.“ bevor Lugh Einwände erheben konnte, war sie schon weg. Mariann schlich bis zur nächsten Häuserecke und verschwand dahinter. Auch hier war kein Leben zu finden, nur die Körper, die am Boden lagen. Sie wischte sich mit dem Ärmel über ihr Gesicht. Ein Schluchzen wollte sich aus ihrer Kehle schleichen, als sie schwere Schritte auf sich zukommen hörte. In ihr flammte Panik auf, ein Monster war noch in der Stadt geblieben. Sie suchte nach einem Versteck und verschwand in einer engen Gasse hinter einer Kiste. Die Schritte liefen an ihr vorbei. Sie konnte nur hoffen, dass Lugh schlau genug gewesen war, sich zu verstecken. Als die Luft rein schien, schlüpfte sie aus ihrem Versteck und verschwand um die Ecke. Sie sollten raus aus dem Dorf, sie hatte recht gehabt, es war eine schlechte Idee gewesen. Sie lief den Weg zurück, den sie gekommen war und sah aus dem Augenwinkel wie etwas auf sie zuraste. Bevor sie sich ducken konnte, spürte sie schon den stechenden Schmerz in ihrem Kopf und ging zu Boden. Das Letzte, was sie sah waren große, wulstige Füße, die vor ihr stehen blieben. Sie merkte wie sie an den Haaren hochgehoben wurde, bevor alles schwarz wurde.

Teil 1, Kapitel 3

3

Zuerst spürte Mariann nur den pochenden Schmerz in ihrem Kopf. Ihre Lider waren schwer, aber sie zwang sich sie zu öffnen. Sie lag in einem grob gezimmerten Käfig, ihr Kopf auf dem Boden. Als sie versuchte sich aufzusetzen, durchfuhr sie ein stechender Impuls. Sie ließ sich wieder zurück auf die rechte Seite fallen. Sie konnte den Kopf nicht anheben. Ihre Finger befühlten die schmerzhafte Stelle. Sie war verkrustet. Ihr Blut war getrocknet und nun klebte ihre Wunde am Boden des Käfigs. Sie versuchte vorsichtig die Kruste abzuschaben und den Kopf zu heben. Noch mehr Schmerz. Ein keuchen entfuhr ihr und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie atmete einige Male tief durch und versuchte sich auf den kommenden Schmerz vorzubereiten und riss den Kopf nach oben. Ein leiser Schrei entfuhr ihr, der zu einem leisen Wimmern wurde. Heißes Blut floss ihre rechte Gesichtshälfte hinunter. Sie presste einen Ärmel an die Wunde.

Dröhnende Schritte kamen auf Mariann zu. Eine große Trollfratze erschien in ihrem Blickfeld. Instinktiv wich sie bis an ihre Gitterstäbe zurück.

"Bóka.", sagte die tiefe Bassstimme und stellte ihr einen grob geschnitzten, hölzernen Becher hin. Er drehte sich um und stapfte wieder davon. Mariann folgte ihm mit ihren Blicken. Sie sah sich um, zu ihrer linken war ein Feuer, um das die großen Gestalten saßen und standen. Zu ihrer rechten und hinter ihr standen noch mehr Käfige. Manche waren leer, doch in anderen saßen verängstigte Menschen. Manche weinten und schluchzten, andere wippten hin und her. Sie erkannte ein Mädchen aus dem Dorf, sie war etwa in dem Alter ihrer Schwester Christa. Sie hieß Lorei, wenn sie sich richtig erinnerte.

Sie widmete sich dem Becher vor sich, sie roch daran und begutachtete die Flüssigkeit darin. Mariann nippte daran und stellte fest das es Wasser war. Hastig trank sie aus dem Becher und verschluckte sich daran. Das kühle Nass war ein Segen für ihre trockene Kehle. Sie ließ etwas übrig um ihre Wunde so gut sie konnte zu säubern. Sie riss ein Stück von ihrem Saum ab und träufelte etwas Wasser drauf. Vorsichtig tupfte sie das Tuch auf ihre Schläfe. Es brannte und tränen rannen ihre Wangen hinab. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte die Wunde endlich auf zu bluten. Sie atmete tief durch und versuchte das Pochen und den Kopfschmerz zu ignorieren. Ihre Glieder fühlten sich steif und unbeweglich an. Sie lies ihren Blick in ihrer Zelle umherschweifen. Der Boden ihres Käfigs war aus Brettern gezimmert worden und die Gitterstäbe bestanden aus mehrfach verflochtenen Weidenästen. Es gab sogar eine kleine Zellentür an dem ein Schloss hing. Ihr kam ihr Messer wieder in den Sinn und fühlte in ihrem Stiefel danach. Es war nicht mehr an seinem Ort. Entweder sie hatten sie nach Waffen durchsucht oder sie hatte es Schlicht verloren.

Ein Schluchzen wollte sich ihre Kehle hinauf stehlen, doch sie rang die Angst hinunter. Sie war nicht aus dem Dorf entkommen um nun hier zu sterben. Ihre Schläfe pochte schmerzhaft als sie ihren Blick schweifen ließ um sich einen Überblick zu verschaffen. Trotz dem langsam dämmrig werdenden Lichts konnte sie erkennen, dass sie auf einer Lichtung waren. Am Waldrand konnte sie Fackeln erkennen und zu ihrer linken brannte ein Feuer um das sich manche der Trolle versammelten. Sie zählte insgesamt zweiundzwanzig Trolle. Entsetzen machte sich in ihrem Inneren breit. Es gab Gerüchte über Menschen die von Trollen verschleppt wurden. Sie besagten, dass sie Menschen ihren Gott opferten, oder sie verspeisten. Wenn sie nicht getötet wurden, wurden sie als Sklaven verkauft. Sie wollte nicht irgendeinem bösartigen Gott geopfert werden und sie wollte auch nicht bis ans Ende ihrer Tage Nachttöpfe ausleeren. Es breitete sich eine bittere Erkenntnis in ihrem Inneren aus. Ihr Vater wurde von Trollen getötet, ihr Dorf ausradiert, sie wurde verschleppt. Wenn sie noch Glück hatte, würde sie ein Leben als Sklavin führen. Doch nur wenn sie Glück hatte.

Sie würde nie all die Dinge tun und sehen, die sie erleben wollte. Sie würde nie das Mäwar-Gebirge vom nahen sehen, sie würde nie die Hauptstadt sehen, nie das Meer. Sie würde niemals durch das Land reisen und in den Steppen von Tjiebara die Sterne zählen. Tränen rannen über Mariann ́s Gesicht. Alle Wünsche und Träume würden nicht wahr werden. Sie würde nie ihre Schwester wiedersehen und nie wieder Ärger von ihrem Nachbarn bekommen, weil sie durch seine Felder gerannt war. Sie zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Sie fing an, leise zu schluchzen und vergrub den Kopf in ihrem Kleid. Sie weinte ohne Unterlass, bis der Schlaf sie irgendwann übermannte.
 

Gerade als der Himmel sich rosa verfärbte und die Vögel leise ein Lied anstimmten, wurde Mariann von laut gebrüllten Befehlen geweckt. Sie brauchte einen Moment bis ihr klar wurde wo sie war. Sie beobachtete wie die Trolle sich zum Aufbruch bereit machten. Einer lief zwischen den Käfigen hindurch, füllte den Gefangenen den Becher und legte ihnen eine Scheibe trockenes Brot hinzu. Andere verstauten das Proviant auf einem Karren. Viel hatten diese Trolle nicht dabei. Soweit Mariann erkennen konnte, hatten diese Trolle keine Decken oder Zelte dabei, Waffen jedoch hatten sie genug. Sie lagen auf einem Haufen in dem Karren, neben dem Proviant.

Der Troll, der Mariann gestern den Becher gebracht hatte, stapfte wieder auf sie zu. Mit Furcht im Blick sah sie zu ihm auf, doch er schaute einfach nur auf sie herunter. Er griff nach den Bändern, die an einer Seite befestigt waren und nahm den Käfig auf die Schultern. Andere Trolle tat es ihm nach. Die Karawane war nun bereit und auf ein Zeichen des Anführers trabten alle los. Sie liefen die Lichtung entlang. Zu ihrer linken konnte sie die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen ausmachen. Das hieß, sie liefen nach Süden. Ins Land der Trolle, nach Amul´ach.
 

Mariann musste sich stark konzentrieren, um sich nicht zu übergeben. Auf dem Rücken des Trolls schaukelte sie in ihrem Käfig hin und her. Hin und her im Gleichschritt. Sie konnte seinen Rücken und seinen Hinterkopf sehen. Seine Haut war dick, ledrig und hatte eine grau grüne Farbe. Sie erinnerte Mariann an einen Felsen an dem Moos wuchs. Auf seinen Schultern waren große Stacheln und auf seinem Kopf thronte ein wilder Büschel an schwarzem Haar. Es trug so etwas wie ein Wams und eine einfache Hose. Seine Füße waren nackt und in seinen Ohrläppchen waren riesengroße Löcher. Sie hingen hinab und wackelten bei jedem Schritt mit. Soweit sie das im Wald erkennen konnte stand die Sonne schon hoch am Himmel. Es müsste bald Mittagszeit sein. Hoffentlich machten sie bald eine Pause, Mariann musste langsam wirklich dringend erleichtern.

Wie aufs Stichwort hörte sie von vorne einen Pfiff. Der Konvoi hielt an und das große Wesen nahm die Schultergurte ab und ließ sie langsam zu Boden.

„Entschuldige,“, sagte Mariann schüchtern und vorsichtig, „Ich müsste mich mal ganz dringend erleichtern." Der Troll sah sie verständnislos an.

„Latrine... Pinkeln.“, sie zeigte in ihren Schritt und versuchte ihm irgendwie klar zu machen was sie von ihm wollte. Er sah sie noch etwas an und stapfte dann davon. Er stapfte zu einem anderen Troll und sie sah wie ihr Tragetroll auf sie zeigte und der andere ihm zu nickte. Als er nun tatsächlich mit einem Seil in der Hand den Käfig aufschloss starrte sie ihn ungläubig an und kroch zögernd auf die Öffnung zu um hinaus zu klettern. Er band ihr das Seil um den Hals und um die Hüfte und benutzte es als eine art Leine. Sie hatte nicht gedacht das er sie tatsächlich hinaus ließ doch nun führte er sie von der Lichtung hinunter in den Wald hinein. Er schubste sie hinter ein Gebüsch und drehte sich um. Mariann konnte sich endlich erleichtern und auch die Bewegung tat ihren steifen Gliedern gut. Sie spähte aus dem Gebüsch hinaus und sah wie der Troll ihr den Rücken zukehrte. Sie befühlte den Knoten auf ihrem Rücken und überlegte wie sie am besten dieses Seil los würde. Da spürte sie einen heftigen Ruck. Sie stolperte aus dem Gebüsch hinaus und fiel direkt in die Große Hand des Trolls. Er hatte sie Aufgefangen und stellte sie wieder sanft auf die Beine. Mariann sah auf und schaute in große steingraue Augen.

"Danke.", sie blickte ihn an und versuchte aus seinem Gesicht zu lesen. Er brummte nur und stampfte zurück ins Lager. Mit eiligen Schritten folgte Mariann, ihr Verstand arbeitete auf hochturen. Dieser Troll war anders und vielleicht gab es für sie doch eine Möglichkeit der Sklaverei zu entfliehen. Sie musste sich etwas überlegen.

Zurück im Lager band er sie los. Sie streckte sich noch einmal und kletterte zurück in ihren Käfig. Er schloss die Gitterstäbe und zog sich zum Wagen zurück. Mariann behielt ihn im Auge und beobachtete ihn, als er Wasser und etwas zu Essen an die Gefangenen verteilte.

Sie bekamen alle Brot und etwas Käse. Mariann kaute auf dem Brot herum und ließ ihren Blick durch das Lager schweifen. Nach und nach erkannte sie eine Art Hierarchie. Der Anführer dieser Gruppe war ein wüst aussehender, beängstigender Troll. Er war groß, mit kahlem Kopf. Seine Nase war wulstig und breit und aus den Nasenflügeln ragte ein angespitzter Knochen. Seine Haut war braun und mit Warzen bedeckt. Zwei Eckzähne ragten aus seinem Maul und über seinen Schultern hing ein Fell. Mariann sah den Troll, der bei dem Angriff in ihr Haus kam. Die Schnittwunde an seinem Bauch war nun verkrustet und wie es schien hielt er sich viel bei dem Anführer auf. Sie berieten sich und er führte die direkten Befehle des Anführers aus. Der Rest der Horde schien keine erkennbar unterschiedliche Ränge zu haben.

Es wurden Befehle gebrüllt und alle Trolle packten zusammen und schritten zu ihren Käfigen und schulterten sie. Im gleichmäßigen Rhythmus der Schritte konnte sie wieder auf den Rücken des grau grünen Trolls blicken.

An ihrem Käfig zogen die Bäume vorbei. Der Wald wurde ganz langsam etwas lichter. Am Abend des nächsten Tages würden sie aus dem südlichen Wald hinaus sein. Sie waren nun nicht mehr weit entfernt von der Grenze zu Amul´ach.

Mariann versuchte das schwanken des Käfigs auszublenden und sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Sie beobachtete den Troll hinter ihr, dieser zog den Wagen und sah genauso grimmig aus wie die anderen. Sie waren alle größer als ein normaler Mensch, stärker und hatten große Pranken.

Als sie sich früher in ihrer Kindheit noch mit den Jungen im Dorf gerauft hatte, war sie mit den Gleichaltrigen immer gleich Stark gewesen. Doch als diese Älter wurden, waren sie irgendwann stärker. Ihr Vater hatte damals nur gelacht und gesagt: "Sie mögen vielleicht Stärker sein, jedoch bist du klein und flink. Vergiss das nie.". Bei den Gedanken an ihren Vater wurde ihr Herz ganz schwer. Sie dachte an die Schmiede und wie sie schon am frühen Morgen mit ihrem Vater dort war und arbeitete. Er hatte sich immer so viel Mühe gegeben ihre Mutter zu ersetzen. Sie dachte an ihre Schwester Christa, die ihr in vielen Dingen weibliche Unterstützung gab. Erst als ihr die Tränen auf die Hand tropften merkte sie dass sie weinte. Mariann zog die Knie an und vergrub ihr Gesicht in ihrem Kleid. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf.

Ihr Kopf lag noch immer auf ihren Knien, als die Sonne unterging und sie einen Lagerplatz aufschlugen. Der Troll kam, füllte ihren Becher, legte ihr etwas zu Essen hin. Sie blickte kurz auf, nahm ein Stück Brot und drehte sich von ihm Weg.

Der Schlaf kam schneller als sie dachte und der Morgen kündigte sich bald darauf wieder an. Es war ein traumloser und unruhiger Schlaf gewesen. Sie spürte, wie ihr Gesicht vom Weinen verquollen war. Ihr Kopf tat an der Wunde weh. Das laute Trollbrüllen dröhnte nur so durch den Wald und ließ die Waldbewohner aufschrecken.

Dieser Vormittag war genau wie der davor. Sie versuchte das schwanken des Käfigs auszublenden und ihre steifen Glieder auszustrecken.

Zur Mittagszeit hörte sie die dröhnenden Schritte des Trolls auf sie zu kommen. Er führte sie wieder aus, damit sie sich erleichtern konnte. Sie fühlte sich wie ein Hund, jedoch kam sie so auch mal aus ihrem Käfig raus. Mit dem Seil um Hals und Taille führte er sie wieder in den Wald hinein. Er blieb vor einem Gebüsch stehen und sah Mariann auffordernd an. Sie ging auf das Gebüsch zu, blieb noch einmal stehen und drehte sich um.

"Mein Name ist übrigens Mariann. Danke, dass du mich aus dem Käfig holst.", sagte sie, ihr Herz klopfte wie wild. Ein tiefes knurren ertönte aus seiner Kehle.

"Geh weiter!", knurrte er mit seiner Bassstimme.

"Du... Du kannst ja meine Sprache!", Mariann war ganz erstaunt, sie holte Luft, um noch etwas zu sagen. Da schubste er sie in das Gebüsch.

"Nun mach schon!", presste er zwischen seinen Hauern heraus. Mit laut pochendem Herz stolperte sie hinter das Gebüsch. Er spricht meine Sprache! Wieso spricht er meine Sprache?, war alles woran sie denken konnte, während sie sich beeilte. Sie stolperte aus dem Gebüsch, während er sich schon umdrehte und nur einen flüchtigen Blick über die Schulter warf. Er zog einmal kräftig an der Leine, sodass sie hinfiel und sich das Knie aufschlug. Er beachtete sie nicht, während er wieder zurück zum Käfig lief und sie hinein schubste. Sie beobachtete ihn, versuchte zu verstehen, warum er einerseits freundlich zu ihr war, aber andererseits auch nicht. Es schien, als wäre er ein Außenseiter. Er unterhielt sich kaum mit anderen Trollen. Saß nicht mit ihnen ums Feuer. Was machte ihn so anders? Es war, als würden die anderen Trolle ihn nicht achten oder respektieren. Der Troll mit der grau grünen Haut verteilte wieder Wasser und Brot. Er schenkte Mariann zwar Wasser ein, jedoch bekam sie kein Brot. Er bestrafte sie, weil sie mit ihm gesprochen hatte. Er stapfte an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie nahm einen Schluck Wasser und versuchte es sich in ihrem kleinen Käfig so bequem wie möglich zu machen.

Kurz darauf wurden wieder Befehle gebrüllt und es ging weiter. Mariann legte sich so gut es ging auf den Rücken und beobachtete den Himmel. Sie beobachtete die Wolken, wie sie langsam und gemächlich vorbei zogen. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, sie wäre zuhause. Sie stellte sich vor, wie sie durch den südlichen Wald streifte. In ihren Gedanken war sie in der Nähe der Höhle, lehnte an einen Baum und schaute durch die Äste in den Himmel. Sie stellte sich vor, wie der Baum sich leicht im Wind bewegte und die Sonnenstrahlen sich in den saftig grünen Blättern brach. Sie hörte das Lachen der Kinder, die an dem Bach dort spielten. Als sie die Augen öffnete, war sie wieder in der Wirklichkeit angekommen. War wieder in dem Käfig auf dem Rücken des Trolls. Das Glücksgefühl, dass sie für diesen kurzen Moment in ihrer Tagträumerei verspürt hatte, war wieder verschwunden. Zurück blieb die Angst vor der Ungewissheit ihrer Zukunft.

Am Abend diesen zweiten Tages ihrer Gefangenschaft, hatten sie ein Lager an einem kleinen Fluss aufgeschlagen. Hier standen die Bäume weit auseinander und der Boden war steinig. Ihr Käfig stand neben dem von Lorei, dem Mädchen im Alter ihrer Schwester. Lorei hatte die Knie angezogen und wippte leicht hin und her. Sie starrte auf ihre Füße und sah nicht einmal auf, als man ihr Brot, Käse und Wasser gab. Es war als wäre sie ganz weit weg. Irgendwo weit weg an einem schönen Ort und nur ihre Hülle saß in diesem Käfig.

Mariann bekam wieder nur Wasser.

Die Trolle machten ein Feuer. Ein Jäger kam aus dem Wald und hatte ein Reh über die Schulter geworfen. Sie zerlegten und häuteten das Tier und brieten es über dem Feuer. Das Knurren in Marianns Magen wurde immer stärker. Neben ihrem Käfig entdeckte sie ein paar Gänseblümchen. Sie zupfte die Blüten ab und schob sie sich in den Mund. Mariann kaute auf ihnen herum und stellte sich vor, es wäre ein Stück von dem Reh das über dem Feuer hing. Sie ließ ihren Blick weiter umher schweifen und entdeckte in der Reichweite ihres Käfigs einen Stein, der eine scharfe Seite zu haben schien. Sie blickte sich nach den Trollen um. Sie waren um das Feuer verteilt und aßen das Reh. Es dämmerte schon und bald würde sie aus der Entfernung nicht mehr richtig zu erkennen sein. Mariann beschloss auf die Dunkelheit zu warten und sich dann um den Stein zu kümmern.

Kaum eine Stunde später hatte sich die Nacht schon pechschwarz über sie gelegt. Nur das Feuer erhellte das Lager. Sie hatten ihre Gefangenen weit vom Feuer entfernt abgestellt, sodass die Käfige im Halbdunkel lagen. An diesem Abend konnte Mariann nur einen Bewacher ausmachen. Er saß an den Wagen gelehnt und neben sich hatte er eine Fackel. Er schnitzte in Gedankenversunken an einem Stück Holz herum.

Mariann nutzt die Gelegenheit um nach dem Stein zu greifen. Sie musste sich weit durch die Gitterstäbe drücken bis sie ihn mit den Fingerspitzen zu fassen bekam. Sie zog den Arm zurück und versteckte den Stein unter ihrem Kleid. Sie sah sich um und ihr Herz klopfte schnell. Niemand achtete auf sie, geschweige denn auf die Käfige. Der Wärter saß noch immer über seine Schnitzarbeit gebeugt und die anderen Trolle vergnügten sich am Feuer. Sie holte den Stein hervor und begutachtete ihn. Sie hatte Recht gehabt. Der Stein war etwa so groß wie ihre Hand, es war, als wäre er von einem größeren Stück abgebrochen. An einer Seite war der Stein abgerundet und Mariann konnte ihn gut greifen, am anderen Ende lief er spitz und scharf zusammen. Sie könnte ihn benutzen und die Weidenstäbe ihres Käfigs durchzuschaben. Sie lächelte als sich ein Plan in ihrem Geist formte. Sie würde eine gute Gelegenheit abwarten und dann damit beginnen sich zu befreien. Mariann steckte den Stein in ihre Tasche und rollte sich in ihrem Käfig zusammen. Noch immer mit dem Lächeln auf den Lippen beobachtete sie noch ihre Umgebung, bevor sie sanft in den Schlaf glitt.

Mariann erwachte als der Morgen den Himmel rosa verfärbte. Das Lager schlief noch, sogar der Wachmann war eingenickt. Die ersten Vögel stimmten leise ein Lied an. Sie sah sich um, als sie zu den anderen Käfigen blickte, entfuhr ihr ein leiser Schrei. Tränen schossen ihr in die Augen. Es waren wohl nicht alle so zuversichtlich eingeschlafen wie sie selbst. Lorei hatte einen Streifen ihres Kleides abgetrennt und diesen an die obersten Streben des Käfigs gebunden. Das andere Ende um ihren Hals. Sie kniete in dem Käfig und wurde von dem Stoff um ihre Kehle aufrecht gehalten. Ihre Haare fielen in schwarzen Wellen ihren Rücken hinab. Ihre Augen waren blutunterlaufen und schauten leer in die Ferne.

„Hilfe! Sie braucht Hilfe!“, Mariann hatte einen kurzen Moment gebraucht, doch jetzt brüllte sie nach dem Wachmann. „Hilfe! Helft ihr doch!“

Dröhnende Schritte kamen auf sie zu. Der Wachtroll blieb stehen und rieb sich die Stirn.

„Ahbisbáh.“, murmelte das hässliche Wesen. Schlagartig war leben im Lager. Der Offizier kam angelaufen, sah was geschehen war. Ein Knurren ertönte und mit voller Wucht schlug der Offizier dem Wachtroll ins hässliche Gesicht. Dieser ging zu Boden und wurde brüllend vom Offizier beschimpft und getreten. Der Wachtroll hielt sich die Nase. Blut lief sein Gesicht hinunter.

Mariann war zutiefst bestürzt. Ihr liefen die Tränen über das Gesicht und ein Schluchzen entkam ihrer Kehle. Die Menschen in den anderen Käfigen reagierten wie sie. Sie waren unruhig, weinten, manche schrien. Mariann drückte sich die Hand auf den Mund, doch ihr Schluchzen wurde lauter und bald weinte sie laut. Der Offizier trat ein letztes Mal auf den Troll ein, drehte sich um, um zusehen wer da so laut weinte. Er kam auf Mariann zu schlug gegen den Käfig und brülle sie an: „Silesdó estipe brat!“

Mariann biss auf ihren Ärmel und versuchte keinen Laut zu machen.

Mit Blut überströmten Gesicht öffnete der andere Troll Lorei's Käfig. Er Schnitt das Stück Stoff durch und hob sie heraus. Er trugt sie an den Waldrand und ließ sie dort zu Boden fallen.

Die übliche Morgenroutine nahm ihren lauf. Der grau grüne Troll nahm Mariann auf die Schultern und die Karawane stapfte wieder los. Mariann warf einen Blick zurück auf den toten Körper. Sie hatte einen dicken Klos in ihrem Hals und Tränen traten in ihre Augen. Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn sie nur ein mal mit ihr hätte reden können. Sie zog die Knie an und vergrub ihr Gesicht in ihrem Kleid. Es vergingen Stunden bis sie wieder den Kopf hob. Der Troll hatte sie längst abgesetzt. Ihr Becher war gefüllt und Brot lag neben ihr. Sie bekam endlich etwas zu essen. Sie knabberte an ihrem Brotkanten. Mit roten und geschwollen Augen blickte sie sich um, die Landschaft hatte sich verändert. Der dichte Wald war nun zu einem sumpfigen Gelände geworden. Es waren noch immer Bäume überall, jedoch nicht mehr so dicht wie zuvor. Der Boden war matschig und die Trolle mussten aufpassen wo sie hintraten, wobei es aussah, als würde sie sich mit solchem Gelände auskennen. Sie entdeckte den Käfig, an dem noch immer die Reste des Stofffetzens von den oberen Streben hing. Er flatterte leicht im Wind. Mariann fasste einen Entschluss. Heute Nacht würde sie versuchen zu fliehen, auch wenn sie dabei Sterben würde. Sie würde nicht warten bis sie an ihren Ziel ankamen. Mariann befühlte den Stein in ihrer Tasche, ja sie würde alles dafür geben zu Entkommen.

Sie sah den grau grünen Troll mit seinem schwarzen Haarbüschel auf sie zu kommen. Er führte sie wohl wieder aus. Mit der Leine auf dem Rücken stapfte sie durch knöcheltiefen Matsch, weg vom Lager. Es gab nicht so viel Gebüsch, deshalb schlüpfte sie hinter einen großen Baum. In ihrem Kopf formte sich ihr Fluchtplan. Sie würde bis zur Nacht warten, und dann die Holzstäbe mit dem Stein durch Schaben. Alles weitere musste sie improvisieren.

Als ihr Käfig wieder geschultert wurde rollte sie sich zusammen und ruhte sich aus. Sie blickte in den Himmel und sah die Wolken vorbei ziehen. Sie fragte sich was Lugh gerade tat, ob er in einem der Nachbardörfer war und diese gewarnt hatte. Ob er schon Richtung Norden zog, weg von der Grenze und dem Krieg. Hatte er seine Großmutter beerdigt? Er hatte es zwar nicht ausgesprochen, jedoch hatte Mariann es ihm angesehen. Sie hoffte sie würde ihn irgendwann wieder sehen. Sie schloss die Augen und langsam glitt sie in den Schlaf.

Mariann war wieder im Dorf. Die komplette Umgebung war grau schattiert. Die Straßen waren leer, kein Nachbar war zu sehen. Sie hörte das vertraute klong aus der Schmiede und langsam schritt sie auf ihr Haus zu. Rhythmisch erklang das klong klong. Sie spähte um die Ecke in die Schmiede hinein. Ihr Vater stand mit dem Rücken zu ihr.

„Vater? Vater bist du´s?“, fragte Mariann. Ihr Vater schlug nur weiter auf das glühende Eisen ein. „Vater?“, fragte sie noch einmal.

„Bist du schon wieder in Schwierigkeiten geraten?“, sprach ihr Vater, „Ich sage dir doch immer, du sollst dem Ärger aus dem Weg gehen. Doch nein, nein, meine Mariann ist wie ihre Mutter, handelt, bevor sie denkt. Tut nie das was man ihr sagt.“, nun drehte er sich um, auf seinem Gesicht lag ein liebevolles Lächeln, „Das nächste Mal musst du rennen und darfst nicht zurückkehren. Hast du mich verstanden?“, er drehte sich nun zu seiner Arbeit um. Klong klong schlug er auf das Eisen. Langsam entfernte sich ihr Vater von ihr, obwohl sie auf ihn zu lief. Sie lief immer schneller.

„Vater, warte!“, Mariann schrie und rannte, doch er entfernte sich nur mehr.

„Du musst das nächste Mal rennen und nicht zurückkehren. Denk daran, du bist schneller und flinker als die anderen.“, seine Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Vater, warte! Ich will nicht wieder alleine sein! Ich schaffe es nicht ohne dich!“, ihr Vater war nicht mehr zu sehen. Um sie herum war nur noch Dunkelheit.
 


 

Als Mariann die Augen wieder aufschlug, war es Nacht. Ihr Käfig stand auf dem Boden. Sie setzte sich auf und zog die Knie an. In ihrem Gesicht glitzerten Tränen. Sie musste mehrfach tief durchatmen, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Sie vermisste ihren Vater. Sie vermisste es sogar, in der Schmiede zu arbeiten. Neue Tränen flossen und sie wischte sie mit ihrem Ärmel weg. Sie musste sich beruhigen und einen kühlen Kopf bewahren, sonst starb sie bei ihrem nächtlichen Vorhaben auf jeden Fall. Sie blickte sich um. Der Platz an dem sie stand wurde kaum von dem Feuer beleuchtet an dem die Trolle standen. Zudem hatte sie das Glück, dass ein anderer Käfig vor ihr stand. Im Wald waren wieder ein paar Fackeln aufgestellt, jedoch lange nicht so viele wie die letzten Tage. Die Trolle schienen sich hier sehr sicher zu fühlen. Mariann würde diese Sicherheit heute Nacht ausnutzen. Sie befühlte den Stein in ihrer Tasche und blickte sich um.

Einige Stunden vergingen, im Lager war es ruhig geworden. Mit pochendem Herzen zog Mariann den Stein aus ihrer Tasche und begann an der Seite zum Wald an den Stäben zu schaben. Sie musste aufpassen keine lauten Geräusche zu machen. Sie blickte sich regelmäßig um und lauschte auf ungewöhnliche Geräusche. Sie musste viel Kraft aufwenden um an den Weidenästen überhaupt etwas auszusetzen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie den ersten Weidenast durch. Sie musste noch mindestens einen weiteren durchschaben, damit sie sich durch die Lücke quetschen konnte. Sie schabte weiter und warf einen Blick über die Schulter. Es schien keiner etwas gemerkt zu haben. Mariann schüttelte den Arm aus. Sie musste wesentlich mehr Kraft aufwenden als sie dachte. Sie schabte weiter und war endlich bei der Hälfte angekommen, als sie plötzlich Bewegung im Lager wahrnahm. Rufe und Befehle erklangen. Sie drehte sich um. Es war ein Feuer ausgebrochen. Auf der anderen Seite des Lagers hatte eine Kiste mit Lebensmitteln Feuer gefangen. Die Flammen loderten in den Nachthimmel. Ein Troll kam auf die Gefangenen zu, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Mariann versteckte schnell den Stein und rollte sich vor der abgetrennten Strebe zusammen. Ihr Herz klopfte so laut, sie dachte, der Troll müsse es hören. Er warf nur einen kurzen Blick auf sie und lief zum Feuer. Mariann konnte es nicht genau erkennen, jedoch sah es so aus als versuchten sie das Feuer austreten. Es wurde immer heller, es schien als wären noch mehr Feuer ausgebrochen. Das war ihre Chance. Sie drehte sich um und schabte hektisch an der Weidenstange.
 

Erst als es dämmerte, traute sich Lugh unter der Veranda hervor. Er blickte sich mehrfach um und musste seinen ganzen Mut zusammennehmen. Er schlich im Schatten zum Haus seiner Großmutter. Die Tür war zersplittert und das Haus komplett verwüstet. Er fand Naan halb auf der Treppe liegend, halb auf dem Boden. Sie war kalt und ihre Glieder begannen gerade wieder weich zu werden. Liebevoll nahm er ihre Hand in seine und strich über ihre runzeligen Finger. Die Tränen sprudelten nur so hervor und er ließ dem Schluchzen freien lauf. Sie war die einzige Familie gewesen die er noch hatte. Als keine Tränen mehr kamen stand er auf, ging hinaus in ihren Garten und nahm eine Schaufel aus ihrem Schuppen. Er beerdigte sie in ihrem geliebten Kräutergarten zwischen der Schafgarbe und dem Salbei. Zurück im Haus packte er Proviant, ein paar Heilkräuter und alle möglichen Dinge, von denen er dachte, die helfen könnten, in eine Tasche. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er das Haus, in dem er die letzten Jahre gelebt hatte, verließ. Während er das Grab ausgehoben hatte, hatte er sich Gedanken gemacht was er nun tun würde. Da seine Großmutter nun tot war, war Mariann die einzige Familie, die er noch hatte. Er würde den Trollen hinterhergehen und schauen, ob er sie irgendwie befreien könnte. Bevor er ihnen jedoch hinterher konnte, musste er noch Marianns Vater beerdigen. Sie würde es so wollen.

Es war ein ganzer Tag vergangen, seit Mariann gefangen genommen wurde und Lugh machte sich endlich auf den Weg. Die Spur der Trolle war einfach zu verfolgen, sogar für Lugh. Sie verwischten nichts und es schien sie nicht zu kümmern. Er lief bis tief in die Dunkelheit hinein und erst als er immer wieder über Steine, Äste oder Wurzeln stolperte legte er eine Pause ein. Als es nur einen kleinen Streifen der Morgensonne am Himmel zu sehen gab, machte er sich wieder auf den Weg. Er sah immer wieder in der Ferne Rauch aufsteigen. Die Trolle machten längere Pausen und aßen dabei am Feuer, er wiederum machte kaum Pausen und aß im gehen. Er machte nur eine kurze Pause, als er an den Leichnahm eines Mädchen kam. Er hatte sie kaum gekannt, doch er wollte sie nicht so am Waldrand liegen lassen. Seine Zeit reichte nicht, um ein richtiges Grab auszuheben, es musste also eine flache Grube reichen. Er wollte einfach nicht das sich die Tiere des Waldes an ihren Überresten satt fraßen. Er musste nun die Zeit wieder einholen und lief so schnell er konnte den Spuren hinterher. Am Abend sah er nicht allzu weit Rauch von einem Lagerfeuer aufsteigen. Er hatte sie eingeholt. Lugh blieb stehen und versuchte sich zu beruhigen. Nun musste er einen kühlen Kopf bewahren, damit er sie herausholen konnte. Er schlich zwischen den Bäumen entlang, der Wind trug ihre Stimmen zu ihm. Seltsamerweise war er innerlich ganz ruhig. Als er den Entschluss gefasst hatte, Mariann zu retten, hatte er gedacht, er würde viel mehr Angst haben. Ja er hatte Angst, es wäre dumm keine zu haben, jedoch half ihm seine Entschlossenheit und seine ruhigen Atemzüge.

Er konnte nun Feuerschein zwischen den Bäumen ausmachen. Er hielt sich gebückt und schlich vorsichtig immer näher. Sie hatten kaum Wachen aufgestellt, was ihm nun zugute kam. Hinter einem Gebüsch ging er in die Hocke und versuchte das Lager zu überblicken. In seiner Nähe stand ein Karren, nicht weit davon hatten sie ein Lagerfeuer gemacht. Die meisten Trolle standen um das Feuer herum. Ganz schwach konnte er am anderen Ende Käfige erkennen. Mariann müsste also dort hinten sein. Lugh beobachtete noch etwas das Lager. Irgendwie muss ich Zeit schinden, um sie aus dem Käfig zu holen, dachte er, während er nervös auf seiner Unterlippe kaute.
 

„Na, hast du mich vermisst?“, sie hörte ein Flüstern. Mariann fuhr zusammen.

„Lugh? Ich glaubs nicht!“, sie drückte sich an die Gitterstäbe. Sein blasses Gesicht erschien vor ihr in der Dunkelheit.

„Ich hol dich hier raus! Wir müssen uns beeilen, ich glaube sie haben das Feuer bald gelöscht.“, er hatte ein Messer in der Hand und versuchte den Weidenast durchzuschneiden.

„Hast du etwa das Feuer gelegt? Du glaubst nicht wie froh ich bin dich zu sehen!“, ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Er wollte sie befreien!

„Ich dachte, mit dem Feuer lenke ich sie ab.“, sagte Lugh während er sich an dem Weidenast zu schaffen machte. Ruck zuck hatte er den Ast durch. Das Geschrei im Lager wurde immer lauter. Sie warf einen Blick zurück. Die Trolle rannten hektisch durcheinander, sie sah wie einer versuchte eins der Feuer auszutreten. Ihre Chance! Lugh drückte so gut es ging die Stäbe zur Seite und Mariann zwang sich hindurch. Sie war schon zur Hälfte draußen, als sie nicht fern von ihnen Geschrei hörten. Ein Troll rannte wieder zum Karren und die beiden erstarrten noch in der Bewegung. Sie hörte Lugh keuchen während sie den Atem anhielt. Der Troll schien die Szene gar nicht zu sehen. In Panik packte er noch ein weiteres Wasserfass und raste zurück.

„Ich zieh dich raus!“, raunte es an ihrem Ohr. Er packte sie an den Oberarmen und stemmte ein Bein gegen den Käfig. Mit einem leisen platsch landeten die beiden im Matsch. Mariann war schneller auf den Beinen und zog Lugh auf die Füße. Wortlos sprintete sie in das Dunkel des Sumpfes und ihr Freund folgte. Sie waren gut zehn Meter von dem Lager entfernt, als hinter dem nächsten Baum eine große Gestalt mit grauen Augen auftauchte.

Mariann blieb abrupt stehen. Oh nein, oh nein, oh nein! Schrie es in ihrem Kopf. Lugh prallte gegen sie. „Ohje...“, murmelte er hinter ihr. Vor ihnen stand der Troll, der Marianns Käfig getragen hatte. Er sah nur auf sie runter. Mariann kam es vor, als würde er nur sie anschauen und würde die Situation nicht verstehen.

„Geht, beeilt euch.“, sagte er.

„Was?“, damit hatte Mariann nicht gerechnet.

„Geht!“, wiederholte er.

Zögerlich ging Mariann an ihm vorbei. Lugh wollte schnell weiter und zog sie an der Hand.

„Warte,“, Mariann drehte sich noch einmal zu dem grau grünen Riesen um, „Verrate mir deinen Namen.“

„Ich heiße Flesó.“, brummte er zurück.

Mariann nickte, „Ich danke dir Flesó!“. Mit diesen Worten sprintete sie los. So schnell die Beiden konnten wateten sie durch knöcheltiefen Matsch. Sie rannten und rannten im Slalom zwischen den Bäumen hindurch. Sie bogen wild ab, ohne eine Ahnung zu haben wo sie genau hin liefen. Das Geschrei wurde langsam immer leiser, bis sie nichts mehr hörten.
 

Lugh war in einen schnellen Trab verfallen und Mariann passte sich an seine Geschwindigkeit an. Sie hatte nicht gewusst, dass er so ausdauernd war. Immer wieder rutschte einer der beiden im Matsch aus oder stolperte über einen Wurzel. Gerade Lugh, der nur mit einem Auge sehen konnte, hatte es schwer. Sie wurden immer kraftloser und so wie es aussah hatte Lugh die letzten Tage auch nicht viel gegessen, geschweige denn geschlafen. Mit feinem Licht kündigte sich der Morgen an. Aus dem schnellen Trab war ein stolpern und schlendern geworden. Sie mussten sich dringend ausruhen. Als sie die ersten Vögel singen hörten, fanden sie einen umgestürzten Baum, an dem sie rasten konnten. Mitsamt den Wurzeln war er aus dem Boden gerissen. Die beiden mussten kein Wort sagen, der andere wusste, dass sie dort Rasten würden.

Kraftlos setzten sie sich auf den Stamm. Die Stille wurde nur durch ihre keuchenden Atemzüge und dem Gesang der Vögel unterbrochen. Mariann lehnte sich mit dem Rücken an die Wurzeln und streckte die Beine auf dem Stamm aus.

„Was war das mit diesem Troll?“, keuchte Lugh.

„Ich weiß es nicht. Er war manchmal nett und manchmal nicht. Er hat mich zum erleichtern aus dem Käfig geholt, was die anderen Gefangenen nicht durften.“, antwortete Mariann Gedankenversunken, „Egal was das war, ich schulde ihm etwas.“

Sie blickte zum Himmel, langsam wurde das schwarz zu blau. Lugh beobachtete sie und holte einen Wasserschlauch aus seinem Beutel hervor. Mariann hatte nicht einmal bemerkt, dass er einen dabei hatte. Er trank gierig einige Schlucke und reichte den Schlauch an Mariann weiter. Während sie trank begutachtete Lugh die Wunde an Marianns Schläfe. Er hob ihr Haar an und drückte auf die verkrustete Stelle. Sie zuckte zurück.

„Das hätte eigentlich genäht werden müssen.“, ganz in seinem Element drückte er an verschiedenen Stellen, „Noch einmal öffnen möchte ich sie nicht. Wahrscheinlich werden dir da an der Schläfe keine Haare mehr wachsen und die Narbe wird relativ groß. Ist dir schlecht? Oder schwindelig?“

„Nein, als ich aufgewacht bin war mir schlecht aber jetzt nicht mehr.“, sie beobachtete sein sorgenvolles Gesicht.

„Das ist gut, das heißt der Schlag war halb so schlimm und du bist mit kleineren Blessuren davon gekommen. Du hast versucht sie zu säubern oder?“, ein erleichtertes Lächeln bildete sich.

„So gut ich konnte, ich hatte ja kaum Wasser zur Verfügung. Wie hast du mich eigentlich gefunden?“

„Als du mich dort auf der Straße zurück gelassen hast, hab ich mir erst mal ein Versteck gesucht und natürlich kam dann dieser Troll und hat dich verschleppt. Es war wirklich einfach der Spur zu folgen. Sie waren nicht darauf bedacht unbemerkt weg zu kommen.“, er zuckte mit den Schultern und fügte leise hinzu, „Ich hab Naan und deinen Vater beerdigt.“,

„Danke. Auch für das mit meinem Vater.“, sie drückte seine Hand. „Wir müssen uns überlegen wie es jetzt weiter geht. Ich denke, wir sollten so viel Strecke wie möglich zwischen uns und den Trollen bringen.“

„Wir sollten uns erst ausruhen. Ich übernehme die erste Wache und du versuchst etwas zu schlafen.“, Lugh stand auf und stapfte davon.

Mariann sah ihm nach. Er hatte sie befreit. Das würde sie ihm nie vergessen. Sie schaute sich noch einmal um, schloss die Augen und lauschte dem rascheln der Baumkronen. Die Himmelsflecken zwischen den Bäumen waren nun von einem satten blau. Sie schloss die Augen und versuchte ihren Kopf auszustellen um etwas ruhe zu finden. Irgendwann spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Mit verschwommener Sicht öffnete sie die Augen.

„Hey, es sind jetzt fast zwei Stunden vergangen. Wir sollten bald weiter.“, murmelte Lugh und sah sich um. „Ich weiß nicht genau wie weit wir von den Trollen weg sind, aber wenn sie uns suchen müssen wir weiter.“

„Du hast Recht, aber du solltest dich auch noch ausruhen.“, Mariann streckte sich, jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte. Ihr Kreuz fühlte sich an als hätte sie die letzten Wochen auf spitzen Steinen gelegen.

„Nein, ich halte noch durch bis heute Abend. Ich habe dort hinten einen hohen Baum entdeckt, vielleicht kannst du hinauf klettern und findest heraus wo wir sind.“, er zeigte mit der Hand zwischen den Wurzeln des umgestürzten Baumes hindurch.

Mariann stand langsam auf und streckte sich, währenddessen holte Lugh zwei Äpfel aus seinem Beutel. Einen reichte er ihr und in den anderen biss er genüsslich. Mariann schloss die Augen als sie auf dem ersten Stück Apfel herum kaute. Er war saftig und süß und es schmeckte einfach traumhaft.

„Was hast du denn noch alles eingepackt?“, wollte Mariann wissen.

„Ich habe das in den Beutel geworfen was ich Zuhause gefunden habe. Ein Laib Brot, Käse, vier Äpfel,“, er sah auf den angebissenen Apfel in seiner Hand, „Jetzt nur noch zwei. Dann habe ich noch zwei Wasserschläuche aufgefüllt, ein paar Kräuter, Dinge zum verarzten und ein Messer.“

„Unterwegs können wir ja noch etwas Essen sammeln wenn wir etwas finden.“, antwortete Mariann während sie gemeinsam auf den Baum zu liefen.

Sie stapften durch den knöcheltiefen Morast auf eine große Schwarzerle zu. Sie hatte eine schwarz graue, rissige Borke und einen außergewöhnlich großen Durchmesser. Durch die Risse in der Borke hatten ihre Füße guten halt beim hinaufklettern. Sie kletterte so hoch wie die Äste sie tragen konnten. Die Schwarzerle war nicht groß genug um weit über den Sumpf hinweg schauen zu können, jedoch konnte sie grob die Umgebung erkennen. Richtung Norden lag der Südliche Wald, sie sah kleine Rauchfahnen aufsteigen. Andere Trollgruppen hatten wohl weitere Dörfer niedergebrannt. In Richtung Süden sah sie nur braunes und graues Land. Dort hin würden sie jedenfalls nicht gehen. Im Osten konnte Mariann spitze hohe Berge erkennen. Vom weiten sahen sie aus wie die spitzen Zähne des Kobolds den sie vor Jahren aus ihrer Falle befreit hatte.

Als sie wieder unten ankam, sah Lugh sie erwartungsvoll an.

„Ich habe Rauchfahnen gesehen aus der Richtung aus der wir kamen. Ich denke wir sollten in einem großen Bogen zurück nach Norden gehen. Im Osten sind spitze Berge, sie sehen aus wie Reißzähne. Lass uns erst mal in diese Richtung gehen, die Berge sind ein guter Orientierungspunkt.“, erklärte sie. Lugh nickte und gemeinsam stapften sie nach Osten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück