Nemesis von Yayoi ================================================================================ Kapitel 8: Neue Pläne --------------------- Die Verhandlungsteilnehmer begutachteten höchst konzentriert die Grafik, die auf der weißen Leinwand abgebildet war und mögliche strategische Angriffspunkte aufzeigte. Plötzlich verschwamm das Bild und ein anderes tauchte auf, das sich langsam verschärfte. Sabers Vater war darauf zu sehen, Blut lief sein Gesicht herunter. „Vater!“ Saber sprang auf. „Helft...uns! Angriff...Outrider!“ Dann wurde der Bildschirm dunkel. Ohne eine Erlaubnis abzuwarten, rannten Saber und Colt zu Ramrod. Saber warf sich in Fireballs Satteleinheit und fuhr die Systeme hoch. „Ramrod an Kavallerie-Oberkommando auf Yuma!“ Colt versuchte eine Hypercomverbindung herzustellen, aber es kam keine Antwort. „VERDAMMT!“, schrie Colt und schlug mit der Faust auf die Konsole. Seine komplette Familie war in Gefahr! „Ich versuch es weiter, geh du deinen Raumanzug anziehen und überprüfe dann sämtliche Waffen. Wir müssen auf alles vorbereitet sein.“ Sabers Stimme war ruhig und konzentriert, auch wenn er sich keinesfalls so fühlte. Colt ließ sich das nicht zweimal sagen und verschwand sofort, um die Aufträge zu erledigen. Der Schotte berechnete unterdessen den kürzesten Weg zu seinen Eltern, aber sie würden zu spät kommen. Wieder setzte er einen Notruf zum Kavallerie-Oberkommando ab, aber es schien wie ausgestorben. Dann versuchte er nochmals, den Kontakt zu seinen Eltern herzustellen, aber auch hier blieb der Erfolg aus. ‚Mensch, warum fliegt Ramrod nicht schneller?‘, dachte Saber bei sich. Seine Hände zitterten unkontrolliert. Colt kam etwas später wieder zurück in den Kontrollraum und übernahm die Steuerung, so dass Saber seinen Raumanzug anziehen konnte. Der Cowboy überprüfte von seiner Satteleinheit aus Ramrods Waffensysteme und sendete wieder und wieder den Notruf aus, jedoch ohne Erfolg. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und die Sorge um seine und Sabers Familie wuchs mit jeder Sekunde. Endlich hatten sie die Highlands erreicht. Ihnen bot sich ein grauenvolles Bild. Schloss Rider existierte nicht mehr. Dort, wo es einst gestanden hatte, lagen nur noch Gesteinsbrocken herum und einzelne Rauchschwaden stiegen in die Luft. „Oh nein! Wir sind zu spät!“, flüsterte Saber tonlos, obwohl er es schon die ganze Zeit wusste, dass sie niemals rechtzeitig eintreffen konnten. Colt schwieg. Saber landete Ramrod neben der Ruine und schnell rannten die Beiden hinaus. „ROBIN! SINCIA! JOSH“ Colts Stimme verhallte über der unglaublichen Stille. Nicht einmal ein Vogelzwitschern war zu hören. „SINCIA! MOM! DAD!“, rief Saber. Es kam keine Antwort. Über den Highlands lag die Stille des Todes. Saber lief einige Schritte umher. Sein Blick fiel auf ein kleines braunes Fellknäuel. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er seinen Hund Scotty erkannte. Er lag auf der Seite, eine Blutlache hatte den Boden rot gefärbt. Sein Bellen würde nie wieder erklingen. Saber legte ihn traurig und mit einem schweren Kloß im Hals wieder zurück, ging wieder zur Ruine und begann einige Steine wegzuräumen. Er fand angebrannte Kleidungsstücke, die eindeutig aus Sincias Schrank stammten. Tränen rannen ihm die Wangen hinunter. Er grub weiter. „ROBIN!“ Colt suchte die nähere Umgebung ab. „JOSH!“ Er war aufgewühlt, sein Magen verriet ihm nichts Gutes. Die Spuren zeigten ihm, dass es ein überraschender, hinterhältiger Angriff gewesen war. Hinter einer kleinen Kuppe sah er sie, ihre leblosen Körper, Seite an Seite, die beide mit dem Gesicht nach unten im Gras lagen. „ROBIN! JOSH!“, schrie er und rannte zu ihnen hin. „Robin! Josh! Ich bin da!“ Tränen füllten seine Augen, als er sie umdrehte und beide gleichzeitig in seinen Armen hielt. Ein Blaster hatte sie hingerichtet, direkt zwischen die Augen. „ROBIN!!!!!“, schrie er wieder, während er ihre leblosen Körper hin und her wiegte. „Warum hab ich euch nur hierher gebracht? Ihr hättet noch leben können, hätte ich euch in Yuma gelassen!“ Colt drückte die leblosen Körper an sich und schluchzte lautlos. Seine Tränen verfingen sich in den Haaren von Josh und Robin und nässten auch ihre kalten, blassen Gesichter. Saber grub immer tiefer und warf große Gesteinsbrocken hinter sich, die er unter normalen Umständen keinesfalls hätte bewegen können. Doch seine Trauer verlieh ihm immense Kräfte. Immer wieder rief er nach seinen Eltern und Sincia, aber er erhielt keine Antwort. Unter dem nächsten Stein, den er beiseite warf, entdeckte er eine blutige Hand, die ein Schwert mit hielt. Das Familienwappen der Riders war im Griff eingearbeitet. „Vater!“ Sabers Tränen versiegten für einen Moment vor Schreck. Er wuchtete den großen Stein beiseite und fand die Leiche von Edward Rider, seinem Vater, der wie ein tapferer Highland-Krieger mit einem Schwert in der Hand diese Welt verlassen hatte. „VATER!“, schrie Saber in seiner Verzweiflung und fühlte seinen Puls, natürlich vergebens. Wie ein Wahnsinniger warf er mit neuer Kraft die Steine beiseite und fand kurz darauf seine Mutter, die ganz in der Nähe seines Vaters unter dem Trümmerhaufen begraben war. Sabers Hoffnung schwand. Sein Gesicht war heiß und aufgequollen von den Anstrengungen und den Tränen, aber er musste Gewissheit haben. Sincia fehlte noch, und es bestand noch die geringste Möglichkeit, dass sie überlebt hatte. Er musste sie finden. Über Colt hatte sich der Schatten der Trauer und der eisigen Trance gelegt. Er trug Robins und Joshs Leichen zurück zur Ruine und legte sie neben Scotty. Colts Blick war kalt und klar, wie der eines rachedurstigen Kopfgeldjägers. Die Outrider hatten nicht nur seine Frau und ihren Bruder, sondern auch seine ungeborene Tochter kaltblütig ermordet! Er würde nicht eher ruhen, bis dieser Verlust gerächt war, das schwor er sich! Er stakste über das Trümmerfeld zu Saber hinüber, der immer noch die Gesteinsbrocken durch die Gegend warf, um seine Frau zu finden. „Sincia!“, rief er immer wieder, aber seine Stimme war nicht mehr so kraftvoll wie zu Beginn der Suche. Seine Hoffnung, sie lebend zu finden, sank von Minute zu Minute. Schweigend griff Colt sich ebenfalls einen Stein und schleuderte ihn weit weg. Es dauerte noch fast eine Stunde, ehe Colt Sincias Leiche freigelegt hatte. Ein herabstürzender Stein hatte sie im Genick getroffen. ‚Wenigstens hatte sie einen schnellen Tod gehabt‘, dachte Colt tonlos, ehe er Saber herbeirief. „NEIIIN! SINCIA!“ Saber warf sich auf die Steine und nahm Sincia hoch. Ihr Kopf hing in einem unnatürlichen Winkel schlaff herab Saber hielt Sincia im Arm und weinte hemmungslos. Colt stand mit gesenktem Kopf daneben. Sie hatten alles verloren. Als Sabers Tränen sehr viel später versiegt waren, legte Colt ihm eine Hand auf die Schulter. „Es ist Zeit für uns, Abschied zu nehmen.“ Saber blickte den Cowboy mit roten Augen an, nickte und stand auf. Er trug Sincia hinüber zu Robins Leiche, wo Colt auch Sabers Eltern aufgebahrt hatte. „Ich denke, da drüben ist ein schönes Plätzchen“, sagte Colt mit rauer Stimme und deutete auf einen kleinen Hügel, von dem aus man einen atemberaubenden Blick auf Loch Gaeloch aus hatte. Saber nickte nur und schlurfte hinter Colt her. Dann machten sich die beiden Star Sheriffs daran, die letzte Ruhestätte für die Familien Rider und Wilcox auszuheben. Der Boden war hart, sehr viele Steine waren darin und es dauerte fast bis zum Einbruch der Dämmerung, bis die Gräber wieder zugeschüttet waren. Colt hatte aus abgebrochenen Ästen ein Kreuz für jedes Grab errichtet und nun standen er und Saber schweigend nebeneinander und nahmen Abschied von ihren Familien. Saber hatte alles auf einen Schlag verloren. Seine Frau, seine Familie, seine Heimat. Er stand mit leeren Händen da und konnte es nicht begreifen. Er ließ seinen Blick über die Weiten der Highlands schweifen und bemerkte dicke Rauchschwaden überall dort, wo die benachbarten Schlösser und Dörfer waren. Die Highlander, das einst so stolze und kämpferische Volk, zu dem er gehörte, gab es seit dem heutigen Tag nicht mehr. Sie waren ausgerottet worden von den blutrünstigen Phantomwesen. Saber ging schluchzend in die Knie. Colt stellte sich hinter ihn und legte ihm die Hände auf die Schultern. Er verstand Sabers Trauer, er selbst hatte dieses als kleiner Junge durchgemacht, was ihn sehr viel härter gemacht hatte, als Saber bisher war. Saber mochte noch so gut in seiner wissenschaftlichen Ausbildung gewesen sein, aber auf so eine Situation konnte man sich theoretisch einfach nicht vorbereiten. Das einzige was Colt jetzt tun konnte, war ihm als Freund beiseite zu stehen. Seine Trauer musste jeder von ihnen alleine verarbeiten und das würde sicherlich nicht einfach werden. Aus diesem Grund sagte Colt auch keine tröstenden Worte zu Saber, sondern stand einfach nur bei ihm und ließ ihn weinen. Er selbst hatte das Gefühl, als ob er nie wieder weinen könnte. Die Outrider hatten ihm das Herz heraus gerissen, indem sie Robin, Josh und seine ungeborene Tochter ermordeten. „Es ist kalt“, bemerkte Colt leise zu Saber. Es war schon lange dunkel, aber die beiden Männer standen und knieten immer noch regungslos vor den Gräbern ihrer Familien. Saber griff nach Colts Hand und zog sich hoch. „Ja, du hast Recht, lass uns reingehen“, sagte er tonlos. Die beiden Witwer gingen zu Ramrod, dem Friedenswächter, der imposant unter dem Nachthimmel thronte. „Du gehst erst einmal unter die Dusche“, ordnete Colt an, „und ich mach uns einen heißen Kaffee. An Schlaf ist diese Nacht eh nicht zu denken...“ Saber befolgte Colts Rat. Er schlich wie in Trance zu seinem Privatschrank, um sich frische Kleidung zu holen, da seine schmutzig und zerrissen war. In der Schranktür blickte Sincia lächelnd von einem Foto aus zu ihm hinunter. Es zeigte sie in einer Wiese voller Kleeblätter von der Sorte, wie Saber ihr einst eines in seinem Tagebuch geschenkt hatte. Bisher hatte es ihnen immer Glück gebracht. Wieder schossen ihm die Tränen in die Augen und er stützte sich auf einem Einlagebrett ab. „Warum nur? Was hast du ihnen jemals getan?“ Eine plötzliche Übelkeit überkam ihn, und er schaffte es gerade noch, zur Toilette zu rennen, ehe er sich übergeben musste. Colt stand in der Küche von Ramrod und schüttete Kaffeepulver in den Filter. Seine Gedanken weilten in der Vergangenheit. Er erinnerte sich wie er eines Morgens - es war noch kein Jahr her - in die Küche bei ihnen zu Hause kam, wo Robin gerade den Kaffee vorbereitete. Er hatte sie umarmt und ihr einen leidenschaftlichen Kuss gegeben, den er immer noch auf seinen Lippen fühlen konnte, wenn er die Augen schloss. „Colt“, sagte sie damals zu ihm und sah ihm tief in die Augen, „wir...“ In ihrem Hals bildete sich ein dicker Kloß und sie konnte nicht mehr weiter sprechen. Lächelnd hob sie ihre Hand und spreizte ihren Daumen, Zeige- und Mittelfinger ab. Ihr Mann brauchte einige Sekunden, um das zu verstehen, aber dann strahlte er über beide Ohren. „Ist es wirklich wahr?“ unterbrach er sie und schaute sie glücklich an. Das schönste Lächeln erhellte über ihr Gesicht als sie seine Frage bestätigte: „Ja!“ Colt hob sie überglücklich hoch und drehte sie im Kreis, bis ihnen beiden schwindelig war und sie sich setzen mussten. Und jetzt...? Jetzt war sie tot. Wut und das Gefühl machtlos zu sein stiegen in Colt hoch. Er fegte die Kaffeetassen von der Theke, die mit einem lauten Krachen zerschellten. „VERDAMMTE OUTRIDER!“ Obwohl er dachte, er würde nie wieder weinen können, liefen jetzt wieder Unmengen an Tränen seine Wangen hinab. „Robin!“, schluchzte er immer und immer wieder, aber auch das brachte sie nicht zurück. Als seine Tränen getrocknet waren, ging Colt los, um nach Saber zu sehen. Er brauchte seine Gesellschaft, auch wenn sie nicht reden würden. Er fand seinen Chef zusammengekauert auf dem Boden neben der Toilette, wo er lautlos weinte. Der Texaner berührte ihn vorsichtig am Arm, woraufhin Saber ihn erschreckt mit geröteten Augen ansah. Sein Gesicht und seine Hände wiesen erhebliche Dreckspuren vom Graben auf, stellte Colt fest. Er selbst sah wahrscheinlich auch nicht besser aus, aber was machte das schon in dieser Situation? Colt hielt Saber die Hand hin, die dieser zögernd annahm und sich hochziehen ließ. Wieder in der Küche griff Colt in den Schrank und stellte eine große Whiskyflasche auf den Tisch. „Ich glaube, wir können beide einen guten Schluck vertragen“, sagte er rau und holte noch zwei Gläser. Die zerbrochenen Kaffeetassen lagen unbeachtet auf dem Boden. Saber ließ das alles monoton über sich ergehen, ihm war alles egal. Er wünschte, er wäre nie Commander Eagles oder besser König Jarreds Nachricht gefolgt, dann hätte er hier sein können, als es zum Angriff kam. Es nagte hart an ihm, dass er als Star Sheriff nicht in der Lage gewesen war, seine eigene Familie zu beschützen. Und das Kavallerie-Oberkommando? Warum reagierte niemand auf den Notruf? Sie hätten viel schneller da sein können und wahrscheinlich das Schlimmste verhindert. Saber griff nach dem Whiskyglas und ließ das starke Getränk seine Kehle hinunter laufen. Als das bernsteinfarbene Getränk in seinem Magen ankam, fühlte er zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder ein Lebenszeichen in sich; Wärme stieg in ihm auf und verteilte sich gleichmäßig in seinen erschöpften Gliedern. Aber seine Trauer blieb, sie würde ihn wohl sein ganzes Leben begleiten. Colt saß ihm schweigend gegenüber und starrte in sein Glas. Er sah schlimm aus, schwarze Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet und sein Gesicht schien mehr Falten zu haben als sonst. Auch er hatte alles verloren, was ihm lieb und teuer war. Die ganze Nacht hingen die beiden ihren Gedanken nach. Noch vor ein paar Tagen war die Welt in Ordnung, sie waren glücklich verheiratete Ehemänner in den besten Jahren ihres Lebens. Nun waren sie Witwer, und ein neuer Krieg stand vor der Tür. Sie redeten kein Wort, in stiller Übereinkunft schenkten sie sich abwechselnd die Gläser wieder voll bis die Flasche leer war. Danach kam die nächste dran. Und dann noch eine. Und dann graute der Morgen. Diesmal hatte der Whisky seine Wirkung verfehlt. Er ließ das Geschehene nicht vergessen, wie sie sich beide für eine Zeitlang erhofft hatten. In seinem Trauernebel stellte Colt überrascht fest, dass er gar nicht wusste, wie viel Saber vertragen konnte. Aber dann kam von irgendwoher ein anderer Gedanke, der ihn daran erinnerte, dass Saber ein Highlander war, die quasi mit Whisky im Blut geboren worden waren. Er lächelte ihn an und ließ seinen Kopf auf den Tisch aufschlagen. Er betrat das Land der Träume als erster. Saber Rider hörte den dumpfen Schlag und unwillkürlich musste er schmunzeln. Aber nur kurz, denn wie der Cowboy so friedlich schlafend am Tisch lag, erinnerte ihn daran, wie er selbst als kleiner Junge oftmals beim Abendessen am Tisch eingeschlafen war, nachdem er den ganzen Tag mit anderen Kindern gespielt hatte. Seine Eltern hatten ihn dann lächelnd in sein Zimmer gebracht und ihn am nächsten Tag ein extra großes Frühstück hingestellt. Schwankend erhob sich Saber und holte eine Decke aus dem Schlafraum, die er über dem Cowboy ausbreitete. Trotz der beachtlichen Whiskymenge, die er getrunken hatte, war sein Gang erstaunlich gerade. Saber goss sich den letzten Rest der dritten Flasche in sein Glas und ging dann nach draußen zu den Gräbern, über die sich ein dichter Nebelschleier zog. Als er vor den Gräbern stand waberte ein Ring aus Nebel um ihn herum. „Lass das alles nur einen schlechten Traum sein!“, sagte Saber, prostete dem Nebelring zu und trank das Glas aus. Einer alten schottischen Sage zufolge wurden Wünsche wahr, die in einem Nebelring ausgesprochen wurden. Saber Rider hatte es noch nie ausprobiert, aber er wünschte sich, dass an dieser Sage mehr dran war, als an den Geschichten über Nessie, das Monster von Loch Ness. Colt erwachte ein paar Stunden später, als der Whisky wieder seinen Weg nach draußen suchte. Unter Schmerzen richtete sich der Cowboy aus seiner unbequemen Position auf und stellte fest, dass Saber nicht mehr da war, und sein Glas auch nicht. Colt taumelte zur Toilette und erleichterte sich. Danach spritzte er sich kaltes Wasser ins Gesicht, was ihn wieder einigermaßen zur Besinnung brachte, jedoch die gefühlte Breite seines Kopfes auch nicht verringern konnte. „Saber?“, rief er mit rauer Stimme, erhielt aber keine Antwort. Colt schlurfte langsam durch Ramrods Gänge. Alle seine Glieder taten ihm von der Anstrengung und der beachtlichen Alkoholmenge weh. Er hoffte, ihn im Kontrollraum zu finden, aber auch hier war er nicht. Colts Blick fiel auf Aprils Satteleinheit und langsam kam die Erinnerung in ihm hoch. „Sie war es nicht!“, stellte er fest, „Sie kann es gar nicht gewesen sein, das ist doch ein abgekartetes Spiel, ist das doch!“ Seine Sinne kehrten zu ihm zurück und sein Gehirn begann zu arbeiten. Noch ein wenig ungelenk machte Colt sich auf den Weg zu den Familiengräbern, wo er Saber Rider schließlich fand. Saber kniete vor Sincias Grab. Seiner Blässe nach zu urteilen, war er schon ziemlich lange hier draußen. Colt konnte den Anblick nicht länger ertragen und ging ein paar Schritte. Seine Gedanken weilten wieder bei seiner Familie. Er holte seinen Blaster aus dem Halfter und ließ in unentwegt in seinen Händen hin und her wandern. ‚Tim, damals, als die Outrider mir meine Eltern nahmen, hast du mich aufgefangen und mir das Schießen beigebracht, damit ich Rache üben kann.‘ Manchmal redete der Texaner in Gedanken mit seinem Mentor, Timothy Dooley. Er half ihm, schwerwiegende Rückschläge zu analysieren und zu verarbeiten. Colt atmete tief ein und bog in einen kleinen steinigen Pfad ein, der zu einer Stelle führte, von der aus man eine gute Aussicht über Loch Gaeloch hatte. ‚Aber was jetzt? Ich dachte, wir würden in Frieden leben können, dass es die Outrider nicht mehr geben würde. Ich weiß, ich muss Rache üben, nur dieser Gedanke bringt mich jetzt weiter. Aber habe ich auch die Kraft dazu?‘ Sein Blick ging an der Felswand entlang und er konnte die Kreuze von seinem Standpunkt aus sehen, wohl wissend, dass sein Partner immer noch davor kniete und versuchte zu begreifen. ‚Und was wird aus Saber – und aus unserem Team?‘ Noch fast drei Stunden starrte Colt auf den See hinaus, ohne jedoch wirklich etwas zu sehen und ohne Antworten auf seine Fragen zu finden. Als er zu Saber Rider zurückkehrte, hatte dieser sich eine neue Flasche Alkohol besorgt, die bereits zu einem Drittel leer war. „Saber“, sagte Colt erschreckt und ging neben ihm in die Hocke, wobei ihm eine gewaltige Alkoholfahne entgegen schlug. Der Cowboy verzog jedoch keine Miene, sondern fuhr mit besorgter Stimme fort: „Das bringt doch gar nichts!“ „Lass mich in Ruhe!“, nuschelte Saber so abweisend, dass Colt nicht noch einen Versuch startete, ihn zur Vernunft zu bringen. Er beschloss, ihn wieder allein zu lassen und ging in den Kontrollraum. Er wollte Commander Eagle und König Roland von dem Angriff berichten. Doch als Colt den Kontrollraum betrat, leuchtete dort das Notrufsignal. Alarmiert startete Colt die Wiedergabe. Auf dem Bildschirm erschien Commander Eagle; Blut lief ihm über sein Gesicht und hinter ihm waren dicke Rauchwolken zu sehen und Sirenen zu hören. „Star Sheriffs! Wir werden angegriffen! Die Outrider meldeten uns, dass sie das gesamte Neue Grenzland in ihren Händen haben! Sie haben uns unterwandert! Viele Menschen wurden bereits im Vorfeld entführt und versklavt. Vertraut niemandem und taucht selbst unter. Sie dürfen euch nicht erwischen, ihr seid die letzte Hoffnung für das Neue Grenzland! Bitte kommt nicht hierher, dafür ist es zu spät!“ Der Commander atmete tief ein und fuhr fort: „Und wenn ihr meine Tochter findet...“ In diesem Moment gab es einen hellen Blitz und der Bildschirm verfärbte sich rot. „COMMANDER!“, schrie Colt mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Mit aller Kraft schlug er auf die Konsole vor sich. „Verdammte Outrider!“ Tränen der Wut überkamen ihn und er lehnte sich kraftlos in Aprils Satteleinheit zurück, von wo aus der den Notruf empfangen hatte.. Die Situation wurde immer hoffnungsloser, nicht nur für ihn und Saber, sondern jetzt auch für das gesamte Neue Grenzland. Die Outrider waren ihnen zuvor gekommen. Der Cowboy hatte Saber über den Tod von Commander Eagles und vom Untergang des glorreichen Königreichs Jar überbracht. Der Highlander hatte sie mit geringen Interesse zur Kenntnis genommen. Aber Colt war sich nicht sicher, ob er die Bedeutung dieser Worte verstanden hatte. ‚Nie hätte ich gedacht, dass Saber aus der Bahn zu werfen ist.‘ Der Texaner saß etwas abseits auf dem Trümmerhaufen, der gestern noch Schloss Rider gewesen war und beobachtete seinen Vorgesetzten, wie er abwechselnd den Grabstein umarmte und seine Familie beweinte und dann wieder tiefe Schlucke aus seiner Whiskyflasche nahm. ‚Ob ich es vermag, ihn wieder auf seine Bahn zu bringen? Kann ich überhaupt so stark sein, wo ich doch selbst alles verloren habe?‘ In den nächsten Stunden dachte Colt über viele solcher Fragen nach, auf manche fand er Antworten, auf andere nicht. Er wusste, dass seine Trauer ein langwieriger Prozess werden würde und am Liebsten würde er sich so wie Saber in eine Ecke verziehen und alles hinwerfen. Aber tief in seinem Herzen lauschte er seinem Ruf nach Rache; die Outrider hatten ihm zum zweiten Mal alles genommen. Einmal schon hatte er mit seinem Team den Feind geschlagen, wieso also nicht noch einmal? Dazu musste aber das Ramrod-Team komplett sein - Colt wusste jetzt, was zu tun war. Sein Blick wanderte wieder zu Saber. Er war inzwischen aufgrund der durchzechten Nacht und des übermäßigen Alkoholgenusses auf dem Boden eingeschlafen, die Flasche lag leer neben ihm. Der Cowboy rappelte sich auf. Vom langen Sitzen auf den ungemütlichen Steinen taten ihm die Knochen weh und beschwerten sich jetzt wegen der ungewohnten Bewegung. Die Sonne neigte sich schon wieder dem Horizont entgegen. Colt nahm seinen Hut ab und ging wieder zum Grab seiner Familie und blieb davor stehen. Einige Augenblicke zögerte er aus falscher Scham, doch ein Versprechen sollte laut ausgesprochen werden. „Geliebte Robin, lieber Josh, meine süße Tochter Sophie.“ Colt suchte einige Sekunden nach den richtigen Worten, ehe er fortfuhr: „Es tut mir leid, dass ich nicht rechtzeitig da war, um euch zu helfen. Dann wäre heute vielleicht alles anders. Oder wenn die Outrider zuerst Jarr angegriffen hätten, würde ich jetzt vielleicht an eurer Stelle liegen.“ Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, denn er wollte nicht weinen, nicht bei diesem Versprechen. „Ihr wisst vielleicht gar nicht, wie sehr ihr mir fehlt, vielleicht spürt ihr es aber auch von da oben aus? Geliebte Familie, ich kann euch nicht versprechen, ob ich ohne euch jemals wieder lachen kann oder glücklich sein kann, aber eines verspreche ich euch hiermit: Ich werde alles in meiner Macht Stehende dafür tun, die Outrider für immer zu vernichten. Robin, du hast immer an das Gute in den Phantomwesen geglaubt, aber es hat sich als falsch herausgestellt. So sehr wünschte ich, dass du Recht behalten hättest. Familie Rider, ich hoffe, auch ihr habt mein Versprechen gehört. Ich gebe es euch im Namen eures Sohnes und Ehemanns Saber.“ Er holte tief Luft und legte seine rechte Hand auf sein Herz. „Nehmt ihr mein Versprechen an?“ In diesem Augenblick erstrahlte eine helle lang gezogene Sternschnuppe am Horizont, die Colt als Antwort annahm. „Danke“, flüsterte er und eine innere Ruhe breitete sich in ihm aus, als er ein letztes Mal seinen Blick über die Grabhügel wandern ließ. Er setzte seinen Cowboyhut wieder auf und hob dann Saber hoch und trug ihn an Bord von Ramrod, ohne sich noch einmal umzudrehen. An Bord legte er Saber in sein Bett und begab sich in die Kommandozentrale. Er legte alle Kontrollen auf Fireballs Sattelmodul um und überprüfte die Anzeigen, bevor er einen Hypercomruf startete. „Ramrod ruft das Kavallerie-Oberkommando!“ Rauschen. „Ramrod an das Kavallerie-Oberkommando! Yuma, hört ihr mich?“ Rauschen. „Einmal noch: Kavallerie-Oberkommando? Seid ihr da?“ Rauschen. „Jetzt habe ich Gewissheit“, sagte Colt zu sich selbst. „Die Star Sheriffs gibt es auch nicht mehr. Ich hoffe nur, dass es wenigstens ein paar gibt, die rechtzeitig geflohen sind. Und genau die gilt es zu finden!“ Er setzte einen Kurs zum Königreich Jarr, um die Leichen von Commander Eagle und König Roland zu bergen. Das war er ihnen und April schuldig. Außerdem bestand noch die geringste Hoffnung, ihre Navigatorin wieder zu finden und vielleicht würde auch Fireball mit seinem Vater zurückkehren. ‚April‘, dachte der Cowboy und wurde traurig. Bis eben hatte keiner von ihnen an die junge Wissenschaftlerin oder den Rennfahrer gedacht. ‚Wo seid ihr? Lebt ihr überhaupt noch?‘ *** April lebte noch, aber sie war ein weiteres Mal dem Tod von der Schippe gesprungen. Auch Garys Stadt der Träume war von den Outridern nicht verschont worden. Die äußeren Gebäude waren komplett zerstört, die wenigen Gäste, die dort ihre Nachtlager aufgeschlagen hatten, tot. Nur die Gebäude, die in der Höhle gebaut waren, hatten den Angriff unbeschadet und unbeachtet überlebt. Gary ging fassungslos durch die Trümmer seines Lebenswerkes, nachdem der Angriff vorüber und die Überlebenden geborgen waren. Von den 32 Einwohnern hatten nur 18 überlebt. Ein schwerer Verlust. Er selbst war gerade in seinem Büro gewesen, als seine Stadt dem Erdboden gleichgemacht worden war. Es ging alles rasend schnell. Der Angriff war geplant, die Raketen zielsicher positioniert worden. Gary stiegen Tränen der Wut und Verzweiflung in die Augen, als er den Schutthaufen durchschritt, der einmal seine Stadt gewesen war. Die heißen Explosionen hatten den Schnee geschmolzen, der die Dächer der Häuser bedeckt hatte und gaben den Blick auf versengtes Gras, verkohlte Holz- und Steinreste frei. Von weiter hinten drang leise das Stöhnen der Verletzten zu ihm hinüber, die bereits einigermaßen fachmännisch versorgt wurden. Wäre Elisabeth noch am Leben... „Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Gary sich laut. Er ging in die Hocke, um einen der Steinbrocken aufzuheben. Gedankenverloren drehte er ihn in seinen Händen hin und her. Der starke, selbstsichere Mann war mit dieser Situation mehr als überfordert. ‚Immer dachte ich, meine Stadt wäre unsichtbar und wir sicher. Aber würde das Königreich zu solch drastischen Mitteln greifen, wenn sie meine Stadt entdeckt hätten? Ich kann es mir nicht vorstellen.‘ April war nur leicht verletzt worden. Sie hatte sich zum Angriffszeitpunkt im Höhleninneren aufgehalten und war aufgrund des Lärms nach draußen gestürmt. Sie half dabei, die Verwundeten zu versorgen. Die junge Frau war erschüttert darüber, welches Leid über sie hereingebrochen war, aber dennoch verstand sie, dass ihre Unterstützung gebraucht wurde. Sie ging nicht zimperlich damit um, dass ihre Arme blutverschmiert waren oder zögerte nicht, gebrochene Arme zu schienen. Und irgendwie kam ihr das alles bekannt vor, als hätte sie es schon oft gesehen und erlebt. Doch dieser Gedanke schwebte so leise in ihr, dass sie ihn nicht weiter verfolgte. Gary saß fast eine Stunde allein auf einem Steinhaufen, eines seiner ehemaligen Hotels, und überlegte. Wie gelähmt ließ er seine Blicke über seinen unrechtmäßig erworbenen Besitz gleiten. Langsam setzten seine Gedanken wieder ein. Er musste jetzt beweisen, dass er ein wahrer Anführer war. Diese Situation trieb ihn an die Grenzen seiner bisherigen Laufbahn als Betrüger, aber er war dafür bereit, es dem Königreich zu zeigen! „HEY!“, rief er zur Höhle hinüber. „Ich brauche drei Helfer!“ Kurz darauf kamen drei einigermaßen heil gebliebene Männer zu ihm. „Das Königreich hat versucht, uns unsere Stadt der Träume zu nehmen! Ich muss zwar zugeben, dass ich immer dachte, sie sei ausgezeichnet versteckt, weil das Gebirge zu gefährlich ist, aber ich habe mich getäuscht. Wir begraben die Toten und ziehen uns in das Berginnere zurück und bauen unsere Stadt wieder auf. Wir lassen uns nicht unterkriegen!“ „Du hast Recht, Gary“, erwiderte Steve, der Außenposten, der ebenfalls zu den Freiwilligen gehörte. „Aber vielleicht sollte ich mich mal unters Volk mischen, um zu hören, was die Zeitungen sagen, bevor wir uns hier wieder niederlassen. Wir sind entdeckt worden.“ Gary überlegte kurz und nickte schließlich. „Mach das. Vielleicht ist es besser, wenn wir das erst einmal wissen. Wenn mein Gleiter noch in Ordnung ist, kannst du ihn benutzen.“ „Ok. Ich mach mich gleich auf den Weg.“ Stunden später kam Steve zurück. Die Überlebenden hatten sich in der Höhle in einem der erhaltenen Hotels versammelt, um gemeinsam um die Toten zu trauern und über ihre Zukunft zu beratschlagen. Die Gesichter wandten sich zu Steve, als er zur Tür hereinplatzte. Seine Miene war versteinert. „Was ist los, Steve?“, fragte Nancy ihn ängstlich, sprang auf und eilte zu ihm. Steve nahm sie in den Arm und ließ sich zum Tisch zurückführen, um den sie alle herum saßen und setzte sich. „Es ist schrecklich. Sie sind alle tot. Alle....tot.“ Er vergrub sein Gesicht in Nancys Bluse und drückte sie fest an sich. „Wer?“, fragte Gary erschöpft nach. Die Leichen zu bergen war sehr anstrengend gewesen. Da der Boden gefroren und obendrein zum Ausheben der Gräber aufgrund seines steinigen Untergrunds nicht geeignet war, hatten sie ihre leblosen Freunde im ewigen Schnee begraben. „Das ganze....Königreich ist eine...eine Geisterstadt. Ich habe gesucht, aber niemanden gefunden.“ Steve hob seinen Kopf und blickte in die Runde. Nancy hatte aufgehört ihn sanft zu streicheln, zu sehr war sie von seinen Worten gefesselt. „Ist das wahr?“, fragte nun auch April leise. „Aber wie kann das sein?“ „Ich glaube, es war ein Outriderangriff. Ich habe einige zerstörte Phantomjäger gesehen.“ Steve beruhigte sich langsam wieder. Nancys Nähe hatte dafür gesorgt. „Outrider? Aber der Krieg ist doch vorüber!“, brauste Gary auf. „Bist du dir wirklich sicher?“ „Es gibt keinen Zweifel. Es waren die Phantomwesen, ob der Krieg vorbei ist oder nicht.“ „Wer sind die Outrider?“, fragte April dazwischen, da sie der Unterhaltung nicht folgen konnte. „Warum greifen sie uns an?“ „Mädchen“, sagte Gary väterlich. „Das ist eine lange Geschichte und ich möchte sie an diesem Abend nicht erzählen. Wir hatten für heute genug Leid.“ „Aber wie geht es jetzt weiter?“, wollte Simon, ein Gast wissen, der ein Verband um den Kopf trug, weil er von ein paar herumfliegenden Steinen getroffen worden war. „Wir bleiben hier“, bestimmte Gary. „Sie werden nicht noch einmal Gebiete angreifen, die sie bereits für tot halten....wenn sie wiederkommen.“ „Aber könnte es nicht sein, dass noch andere überlebt haben? Sollten wir nicht nach ihnen suchen?“, warf Sandrine DeGaulle ein, eine Schmugglerin, die hier Zuflucht gesucht hatte. „Ja, das sollten wir tun“, nickte Gary, nachdem er sich diesen Gedanken gut überlegt hatte. „Aber nicht mehr heute. Morgen werden wir einen Trupp nach Jar schicken. Jetzt sollten wir alle versuchen, ein wenig Schlaf zu finden.“ Am nächsten Tag flogen Sandrine, Steve und Gary persönlich nach Jar, um das Ausmaß der Katastrophe zu sehen. „Die Scanner zeigen nichts an“, stellte Steve fest. „Flieg zum Königshaus und lande dort“, befahl Gary. „Das Königshaus verfügt mit Sicherheit über Schutzbunker und wenn, dann finden wir am Ehesten dort Überlebende.“ „Und was zu essen“, warf Sandrine ein. Gekonnt landete Steve den Gleiter auf einem einigermaßen Trümmerfreien Platz und die Drei stiegen mit gezogenen Blastern aus. „Wir bleiben zusammen“, ordnete der Anführer an und ging voran ins zerstörte Königshaus. Ein Flügel des Gebäudes war komplett zusammengefallen, während sich an dem anderen schwarze Brandschäden zeigten. Der Rauchgeruch wurde immer stärker, je mehr sich die kleine Gruppe näherte. Mit einem großen Schritt stieg Gary über eine umgestürzte Marmorstatue ins Innere des Gebäudes. Doch auch hier trafen die Drei nur Tod und Zerstörung. Es war deprimierend und entsetzlich. Viele Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt oder unter schweren Steinbrocken vergraben. Sandrine war normalerweise eine Frau, die viel ertragen konnte, doch hier liefen ihr die Tränen leise über die Wangen. Soviel Elend wünschte sie nicht einmal ihrem ärgsten Feind. „Wer seid ihr?“, ertönte plötzlich ein Stimme hinter der kleinen Gruppe, die sich über eine weitere Leiche gebeugt hatten. Erschrocken fuhren sie herum und schauten zu dem Mann, der sich leise angeschlichen hatte und ein Gewehr auf sie richtete. „Keine Outrider“, antwortete Gary und ließ seinen Blaster sinken. Der Mann wedelte mit seinem Gewehr zu den anderen Beiden, die daraufhin ihre Waffen ebenfalls wegsteckten. „Ich habe schon dreimal alles abgesucht. Hier gibt es keine Überlebenden“, erzählte der Bewaffnete und ließ das Gewehr nun ebenfalls sinken. Schwermütig atmete er aus und trat näher. „Woher kommt ihr und woher seid ihr?“, wollte er wissen. „Unsere Stadt liegt im Jaréme-Gebirge. Wir sind alles gesuchte Verbrecher, aber ich schätze, das zählt jetzt nicht mehr.“ Gary ließ sich müde auf eine zerbrochene Marmorbank nieder und stellte sie der Reihe nach vor. „Dich hab ich auch schon mal auf meiner Liste gehabt, als ich noch Kopfgeldjäger war“, erwiderte der Mann. „Ich bin Colt Wilcox, von den Star Sheriffs. Oder das, was davon übrig geblieben ist. Mein Partner Saber Rider ist auch hier, aber ihm geht’s nicht sonderlich gut.“ „Von den Star Sheriffs?“, horchte Gary auf und blickte Colt in die Augen. „Dann solltet ihr mitkommen. April ist bei uns. Aber sie weiß nicht, wer sie ist.“ „April lebt und ist bei euch?“, hakte Colt noch einmal nach. Schien es in dieser schweren doch noch etwas Gutes zu geben? Gary nickte. „Steve hat sie gefunden. Es war Rettung in letzter Sekunde.“ Colt warf dem Retter einen dankbaren und erleichterten Blick zu. „Ich muss mich selbst davon überzeugen. Können wir zu ihr?“ „Natürlich“, antwortete Gary sofort. Normalerweise hatte er andere Pläne mit April gehabt, aber die Situation hatte sich drastisch geändert. Jetzt fühlte er sich sogar richtig gut dabei, die blonde Frau wieder mit ihrem Kollegen zusammen zu bringen. „Unseren Gleiter hast du bestimmt gesehen. Wir können sofort los.“ „Nein, nicht sofort. Ich muss noch Saber Bescheid geben. Er würde sich sicher freuen, sie wieder zu sehen, nach allem, was passiert ist“, sagte Colt. „Was genau ist hier passiert?“, meldete sich Sandrine zu Wort. „Ich meine, was ist offensichtlich, aber wer war es?“ Der Cowboy war bereits ein paar Schritte zum Ausgang gegangen, die beiden Männer waren ihm bereits gefolgt, als er innehielt. „Es war ein Outriderangriff“, erklärte er tonlos. „Sie haben unser Dimension von langer Hand unterwandert und uns von innen heraus zerstört. Es gibt kaum Überlebende....“ Dann setzte der Kopfgeldjäger seinen Weg fort, um zu dem unterirdischen Hangar zu gehen, wo Ramrod versteckt war. Die kleine Gruppe folgte ihm nach ein paar Sekunden regloser Erstarrung, in der sie Colts Worte zu verstehen versuchten. Aber das Ausmaß der Katastrophe war nur schwer zu erfassen für jemanden, der nur diesen kleinen Ausschnitt gesehen hatte. Saber saß in Ramrods Küche und starrte vor sich hin. Er bemerkte nicht einmal, dass Colt eingetreten war. „Saber“, rief Colt ihn und setzte sich neben ihn auf die Bank. Er beachtete nicht die erschrockenen Gesichter der kleinen Gruppe, die den Anführer der Star Sheriffs immer nur in aufrechter, starker Haltung gesehen hatten. „Saber, ich habe Überlebende gefunden. Sie haben ein Versteck in den Bergen“, erklärte er dem apathischen Mann. Langsam richtete Saber seinen Blick auf die beiden Männer und die Frau, die in der Nähe der Tür standen. „April ist bei ihnen“, sagte Colt und Sabers Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf den Cowboy. „Ist das wahr?“, fragte er mit rauer Stimme. „Wir fliegen hin und werden selbst nachsehen, okay?“ Colt ließ von Saber ab und wandte sich wieder an Gary. „Kann Ramrod dort landen?“ „Das ist kein Problem. Die Höhle ist groß genug, dass euer Schiff hineinpasst und vor unliebsamen Blicken geschützt ist. Wir sollten los.“ „Ich mache die Systeme startklar. Einer von euch kann euer Schiff holen und es dann in unserem Hangar parken. Wir sollten nichts Funktionierendes zurücklassen, schon gar nicht so etwas Wichtiges wie einen Gleiter.“ „Weise Worte“, kommentierte Steve nickend. „Ich hole unser Schiff.“ Lautes Dröhnen kündigte die Ankunft eines großen Raumschiffes an. Die Überlebenden der Stadt der Träume befürchteten einen neuen Angriff, doch April war bei dem Geräusch nach draußen gegangen. Wie erstarrt verfolgte sie wie das riesige Raumschiff an ihr vorbei flog und ihre Haare und Kleidung zum Flattern brachte. Die Form, die Farben, die Geräusche, das alles war lange Zeit Teil ihres Lebens gewesen und kehrte nun zu ihr zurück. Noch bevor Ramrod komplett aufgesetzt hatte, führten sie ihre Schritte wie von selbst zum Friedenswächter, während sich Tränen in ihren Augen sammelten. Als sie das Raumschiff berührte, erinnerte sie wieder an alles aus ihrer Vergangenheit: an ihre Freunde, ihre gemeinsamen Abenteuer, an lustige und traurige Zeiten – und auch an ihren Namen. „Kassandra!“, rief Nancy der blonden Frau hinterher, die sich daraufhin lächelnd zu ihr umdrehte. „Nicht Kassandra. Mein Name ist April. April Eagle von den Star Sheriffs.“ Sie wandte sich wieder Ramrod zu, dessen Rampe gerade heruntergelassen wurde. Colt rannte auf die blonde Frau zu und schloss sie herzlich und erleichtert in seine starken Arme. „Ich bin so froh, dass du lebst, Prinzessin“, sagte er glücklich und wischte sich eine Träne aus den Augen. „April…“ Saber war zu den beiden eng Umschlungenen getreten. Auch seine Augen glitzerten verdächtig, als April sich von Colt löste und sich in die Arme des Schotten warf. Dieser vergrub fast augenblicklich seinen Kopf in ihrem langen Haar und ließ seinen Tränen freien Lauf, während er sie so fest hielt, dass es beinahe schon weh tat. Die junge Frau streichelte beruhigend über seinen Rücken und warf dem Cowboy fragende Blicke zu. Dieser schüttelte jedoch nur den Kopf. „Lasst uns nach drinnen gehen“, schlug Gary vor, der inzwischen zu ihnen gekommen war. „Es gibt viel zu bereden.“ Sie versammelten sich alle in dem Bistro, das genügend Platz für die wenigen Überlebenden bot. Saber und Colt hatten April in ihre Mitte genommen, froh wenigstens ein Mitglied ihres Teams wieder bei sich zu haben. „Wo ist Fireball?“, fragte die blonde Frau leise und blickte abwechselnd von dem Cowboy zu dem depressiven Highlander. „Er ist nicht zurückgekehrt. Er und sein Vater sind in der Phantomzone verschollen. Ich glaube nicht.....dass sie noch leben“, erklärte Colt traurig. Es hatte keinen Sinn, ihr die Wahrheit vorzuenthalten. „Und dein Vater…ist neben König Roland ermordet worden, als die Outrider unsere Dimension überfielen“, fuhr Saber ruhig fort und zog sie in seine Arme. „Auch Colt und ich haben unsere Familien verloren. Wir kamen zu spät.“ Zitternd krallte April sich in Sabers Hemd, zu geschockt, um zu weinen. Gary legte Colt eine Hand auf den Unterarm. „Colt. Bitte erzählt uns, was passiert ist.“ Der Angesprochene sah Gary kurz an und ließ dann seinen Blick über die fragenden, entsetzten Gesichter der Anwesenden streifen. Sie sollten und mussten erfahren, was passiert war. Obwohl er sich selbst für keinen großen Redner hielt, war er im Moment jedoch besser dazu in der Lage, als Saber es war. „Ihr sollt die Wahrheit erfahren. Die Outrider haben unsere komplette Dimension überfallen. Sie müssen es von langer Hand geplant haben, denn die Angriffe waren zeitlich genauestens koordiniert. Erschreckend daran ist die Zahl der Personen und Schiffe, die sie für einen Überfall dieser Größenordnung zur Verfügung gehabt haben müssen.“ Die Augen des Kopfgeldjägers blickten kalt und zornig in die Runde. „Sie haben uns allen unsere Familien genommen und mir sogar meine ungeborene Tochter. An ihrem Grab habe ich Rache geschworen, auch wenn sie mein Leben kostet!“ Unwillkürlich ballte er seine Hand zur Faust und sein Blick wies nicht die geringsten Zweifel auf. „Colt…?“, wisperte April leise und griff nach seiner Hand. Colt lächelte sie sanft an. „Keine Sorge, Süße, ich weiß, was ich tue“, erwiderte er leise. „Mein Leben dient nur noch diesem Zweck und wenn ich dabei draufgehe, dann soll es eben so sein.“ Der Wissenschaftlerin brannten anfangs viele Fragen auf den Lippen, doch je länger sie in Colts blaue Augen schaute, umso weniger wurden es, bis sie schließlich verstand. Ernst sah sie ihn nach wie vor an. „Ich will auch Rache. Rache für meinen Mann und für meinen Vater und das Leben, das uns genommen wurde“, erwiderte sie leise, aber fest. „Die Phantomwesen müssen sterben“, mischte sich einer von Garys Gästen ein, der Colts Erzählung leidenschaftlich gelauscht hatte. „Ich werde euch unterstützen“, sagte Sandrine mit Feuer und Flamme. Colt sah mit Begeisterung, dass immer mehr sich für die Rache der Menschen an den Phantomwesen aussprachen. Seine Augen funkelten rachsüchtig. Obwohl er nie in so einer Situation gewesen war, war er doch soeben zum Anführer einer Revolte geworden. Ob sie von Erfolg gekrönt sein würde, würde sich zeigen. Allein etwas zu tun, zählte, half ihnen allen, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. „Ich habe eine Idee…“, begann Colt und erzählte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)