July von Holofaye ================================================================================ Kapitel 1: Ein immer wiederkehrender Traum ------------------------------------------ *** Es war dunkel. Doch langsam gewöhnten sich ihre Augen daran und July konnte die schattenhafte Gestalt eines Menschen erkennen. Langsam näherte sie sich und July konnte nun deutlicher sehen, dass es sich um die Gestalt eines Mannes handeln musste. July wich ängstlich zurück. Sie hatte schon genug Angst vor der Dunkelheit, aber musste sich ihr jetzt auch noch ein fremder Mann nähern? Sie wollte weglaufen, doch der Mann war schneller und umfasste ihr Handgelenk. Er stand nun unmittelbar vor ihr und hielt sie fest und July konnte sehen, dass er ungefähr in ihrem Alter war, vielleicht 16 oder 17. Sie wollte sich ihn gerade genauer ansehen, da nahm die Dunkelheit wieder unerwartet zu. July konnte nichts mehr sehen, doch sie fühlte noch, dass er ihr Handgelenk weiterhin festhielt. Er fing an sie fort zu ziehen. Sie wollte sich wehren, doch ihre Beine liefen wie von ganz allein. Sie wusste nach einer Weile nicht mehr wie lange sie schon liefen und starrte in die Dunkelheit. Doch dann wurde es heller. Ein goldener Lichtstrahl durchbrach langsam das Dunkel und schien ihr ins Gesicht. Und dann wurden es immer mehr. Es kam ihr vor als vertrieben sie die Dunkelheit und langsam wurde alles um sie herum in ein warmes Gold getaucht. Nun konnte sie ihn genauer sehen. Er umfasste immer noch ihr Handgelenk, stand ihr aber dennoch mit dem Rücken zu. Sie konnte sehen, dass er dunkle schwarze Haare hatte und mindestens zehn Zentimeter größer war und plötzlich hatte sie keine Angst mehr. Im Gegenteil. Sie fühlte sich sicher bei ihm. Hatte er sie aus der Dunkelheit geführt und an diesen Ort gebracht? Er ließ sie los und drehte sich langsam um... *** "Nun steh schon endlich auf! Wenn du dich nicht beeilst kommst du wieder mal zu spät! Kacey!" "..achhauablassmichweiterschlafen!" "Waaas? Also ehrlich, wenn du mich schon beschimpfen willst, dann tu es wenigstens so, dass ich was verstehe! Und jetzt steh auf!" Kacey ließ sich zumindest dazu erweichen die Augen zu öffnen. Sie blickte direkt in das wütende Gesicht ihrer Schwester. "Alicia, musst du schon am frühen Morgen so eine Fresse ziehen oder machst du das extra mir zu liebe?" "Ach halt doch die Klappe und beweg deinen fetten Hintern aus dem Bett, sonst verpasst du deinen Bus. Du solltest mir lieber dankbar sein, dass ich mir noch extra die Mühe gemacht habe dich aufzuwecken. Ich muss jetzt los!" Alicia verließ mit ihrem Modelhüftschwung Kaceys Zimmer und Kacey ließ sich zurück in die flauschigen Kissen ihres warmen Bettes fallen und döste wieder ein. Als sie das nächste Mal ihre Augen öffnete fiel sie vor Schreck beinahe aus dem Bett. Es war schon viertel vor neun, sie hatte bereits die erste Stunde verschlafen! Mit einem Satz war Kacey aus dem Bett, mit dem zweiten im Bad und mit dem dritten schon auf dem Weg zu Schule. "Sie halten es wohl für eine Notwendigkeit unpünktlich zu sein, Miss Parker. Das ist nun schon das dritte Mal in Folge und ich denke, dass Sie sich bestimmt schon darauf freuen die verpassten Stunden heute bei mir nach zu holen, nicht wahr?" "Natürlich Mrs. Larrson.", brachte Kacey gerade noch in einem mühsam freundlichen Ton hervor. Dann ging sie stumm zu ihrem Platz neben ihrer besten Freundin Patricia. "Hi Pat." "Morgen Kacey. Und? Wie fandest du Mrs. Larrsons heutige Umschreibung fürs Nachsitzen?" "Also auf jeden Fall schlechter als die von vor zwei Tagen." "Was war eigentlich heute wieder los, dass du zu spät kommen musstest?", flüsterte Pat. Kacey schaute ins Leere. Sie sah Patricia an, zuckte aber lediglich mit den Schultern. Sollte sie es ihr sagen? Das sie seit Tagen verschlief, weil sie träumte, dass ein unbekannter Typ sie aus der Dunkelheit zerrt? Pat würde bestimmt nur lachen! "Miss Parker, wenn sie schon zu spät in meinen Unterricht kommen, dann erwarte ich wenigstens, dass sie aufmerksam sind und nicht vor sich HINTRÄUMEN!" Das letzte Wort hatte Mrs. Larrson so laut geschrieen, dass es Kacey beinahe vom Stuhl gefegt hätte. Mrs. Larrson schnaubte schon vor Wut. Kacey war zwar kein Engel, dass wusste sie selber, aber musste Mrs. Larrson schon wegen solcher Kleinigkeiten anfangen zu brüllen? "Jetzt reicht es aber endgültig!", schnaubte Mrs. Larrson, "Sie kommen jetzt sofort mit mir runter ins Lehrerzimmer wo sie bis zur letzten Stunde bleiben werden!" Dann drehte sie sich um, trampelte energisch aus dem Klassenzimmer heraus und hielt Kacey mit verwegenem Grinsen die Tür auf. Kacey war noch einen Moment lang fassungslos, bevor sie sich wortlos von ihrem Platz erhob und zur Tür ging. Kacey konnte es nicht glauben. Mrs. Larrson war nicht gerade der einfachste Mensch den Kacey kannte, aber so hatte sie ihre Lehrerin auch noch nicht gesehen. War es wirklich so schlimm, wenn man mal etwas zu spät zum Unterricht erschien und dann noch etwas vor sich hinträumte? Sie sah keinen Grund dafür, dass sie sich vor ihren Mitschülern blamieren lassen und jetzt hinter Mrs. Larrson her zum Lehrerzimmer gehen musste, um ihre Strafe abzusitzen. Das hieß immerhin soviel wie noch drei Stunden im Lehrerzimmer mit irgendwelchen schweren Matheaufgaben beschäftigt zu sein. Und dann musste sie noch Nachsitzen! Eins war klar, dass würde bestimmt ein lustiger Tag werden! Nun saß sie schon seit fast drei Stunden in dem verrauchten Lehrerzimmer, in das Mrs. Larrson sie gesteckt hatte. Nicht mal zur Pause durfte sie rausgehen! Kacey hatte die "schweren" Aufgaben schon seit fast einer Stunde gelöst, und verbrachte ihre übrige Zeit damit das merkwürdige Verhalten pensionsreifer Lehrer zu erforschen. Gerade als sie einen alten Lehrer, dessen Name sie nicht kannte, dabei beobachtete wie er sich an die jungen Referendarinnen ranmachte, kam Mrs. Larrson, um sie zum Nachsitzen abzuholen. Ehrlich gesagt hatte sie viel mehr Lust dabei zuzusehen, ob die Methode des alten Lehrers bei den Referendarinnen anschlug, aber sie hatte ja keine Wahl. Also stand sie auf und folgte ihr. "Sie können sich hinsetzten wo Sie wollen, Miss Parker. Sie haben ja jetzt die freie Auswahl." Ja, und das habe ich Ihnen zu verdanken, sie blöde alte Ziege! Kacey hätte diese Worte nur zu gern ausgesprochen, aber das würde wahrscheinlich noch weitere Stunde nachsitzen bedeuten. Also suchte sie sich mit düsterer Miene einen Platz so weit wie möglich hinten aus, damit sie möglichst weit von der heute ziemlich schlecht gelaunten Mrs. Larrson entfernt saß. Fast fünf Minuten saß Kacey jetzt schon in dem so ungewöhnlich ruhigen Klassenzimmer und Mrs. Larrson hatte ihr noch immer keinen belehrenden Vortrag gehalten oder eine Strafaufgabe gegeben. Sie saß einfach nur da und musterte Kacey von ihrem Lehrerpult aus. "Ähem,... Mrs. Larrson?", fragte Kacey vorsichtig, "wollen Sie mir nicht irgendeine Strafarbeit geben? Wenn nicht, ich meine, dann kann ich ja eigentlich jetzt nach Hau..." "Ruhe! Sie gehen nirgendwo hin! Keine Sorge, Ihre Strafarbeit bekommen Sie schon noch! Wir warten nur auf jemanden." "Auf wen denn?", fragte Kacey eingeschüchtert weiter. Mrs. Larrson drehte ruckartig den Kopf in Richtung Tür. "Wir warten auf jemanden, der ebenso wenig wie Sie von Pünktlichkeit hält, Miss Parker." Plötzlich ging die Tür auf, und ein anderer Schüler trat ein. Kacey konnte sich nicht daran erinnern ihn schon einmal gesehen zu haben, aber er kam ihr dennoch irgendwie bekannt vor. Aber das war auch kein Wunder, denn an einer Schule mit fast zweitausend Schülern konnte man sich ja nicht jedes Gesicht merken. Mrs. Larrson stand auf, stützte die Hände auf das Pult und sah ihn mit vorwurfsvollem Blick an. "Mr. Avery! Es genügt Ihnen anscheinend nicht mehr nur zu den Unterrichtsstunden unpünktlich zu sein, nein, ab heute müssen Sie sich auch noch zum Nachsitzen verspäten! Seien Sie bloß froh, dass ich heute einen guten Tag habe (Anmerkung der Autorin: guter Tag? Haha!), sonst dürften Sie gleich noch ein paar Stunden länger bleiben!" Mrs. Larrson war heute wirklich gut in Fahrt! Doch bevor sie weiter meckern durfte, unterbrach er sie. "Mrs. Larrson, es tut mir wirklich außerordentlich Leid, dass ich zu spät bin." Mehr sagte er nicht. Aber anscheinend schien es Mrs. Larrson zu genügen. Unfair, dachte Kacey. Sie hätte Mrs. Larrson mit Entschuldigungen überhäufen können, und trotzdem eine gehörige Standpauke erhalten. Aber anscheinend sah sie es bei ihm nicht so eng. Kacey sah auf ihre Uhr. Gott sei Dank, nur noch fünf Minuten, dann durfte sie gehen! Obwohl sie mit ihren Strafarbeiten schon längst fertig war, bestand Mrs. Larrson darauf, dass sie bis zum Ende der Stunde im Klassenraum blieb. Gott, wie sie Mrs. Larrson doch heute hasste! Jetzt würde sie zu spät zu ihrer Verabredung kommen! Kacey beschloss die letzten fünf Minuten damit zu verbringen ihren Mitleidenden zu beobachten wie er, anscheinend auch schon längst mit seinen Aufgaben fertig, gelangweilt aus dem Fenster sah. Er hatte sich auf ausdrücklichen Befehl von Mrs. Larrson ein paar Reihen weiter vor Kacey gesetzt, so dass sie ihn nur von hinten sehen konnte. Schade, dachte Kacey, sie hätte ihn sich gerne genauer angesehen. Jetzt konnte sie nur seine kurzgeschnittenen, dunkelbraunen Haare sehen. Vorhin als er reinkam hatte sie auch nicht mehr von ihm gesehen. Und dann als er sich umdrehte, war sie seinem Blick ausgewichen. Sie wusste auch nicht warum, denn normalerweise war sie nicht gerade schüchtern. Plötzlich machte er Anstalten sich umzudrehen, ließ es aber dann doch bleiben, als er den stechenden Blick von Mrs. Larrson bemerkte, der einen Haus zum Einstürzen bringen konnte. Hatte er bemerkt, dass sie ihn beobachtet hatte? Dann klingelte es. Endlich war sie wieder frei! Wenn sie sich jetzt beeilte, würde sie es wahrscheinlich noch rechtzeitig schaffen. "Hey, warte doch mal!" Kacey sah auf ihre Uhr. Jetzt war Tempo angesagt! "Mensch, jetzt renn doch nicht auch noch weg, warte!" Kevin würde bestimmt sauer werden, wenn sie schon wieder zu spät kam. "VERDAMMT NOCH MAL JETZT BLEIB ENDLICH STEHEN!" Mein Gott, dachte Kacey, was müssen die Leute heutzutage immer nur so schreien! Plötzlich wurde sie am Handgelenk gepackt. "Na endlich hast du angehalten! Ich dachte schon ich müsste dir quer durch die Stadt nachrenn..." Er kam nicht dazu noch mehr zu sagen, denn Kacey hatte sich in einer Verteidigungsaktion blitzschnell umgedreht und ihm einen kräftigen Schlag auf die Nase verpasst. "Also", sagte er, während heftig Blut aus seiner Nase floss, "von Weitem sahst du wesentlich harmloser aus!" Das hatte sie nun davon! Warum musste sie auch so heftig reagieren? Sie war doch sonst nicht so schreckhaft! "Du musst nicht hier bleiben, es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ich beim Arzt bin!" "Aber ich bin doch neugierig darauf, wie viel Schaden ich angerichtet habe." Kacey lächelte entschuldigend. Und zu ihrem Glück lächelte er zurück, obwohl seine Nase doch etwas angeschlagen aussah. Kacey blickte sie besorgt an. "Es tut mir wirklich Leid!" Kacey senkte den Kopf. "Normalerweise reagiere ich nicht so...so..." "...schmerzhaft.", beendete er den Satz für sie. Kacey musste lächeln. Sie war wirklich froh, dass er ihr den Schlag nicht übel nahm. "Sag mal", fragte sie, "wieso bist du mir eigentlich nachgerannt?" Er grinste breit, sagte aber nichts weiter dazu. Kacey verspürte beim Anblick seines schiefen Grinsens das drängende Gefühl noch einmal zuzuschlagen. Aber sie beherrschte sich. Die Sprechstundenhilfe kam ins Wartezimmer. "Luke Avery, bitte." Er stand auf und drehte sich noch einmal um. "Du musst wirklich nicht auf mich warten." Kacey sah ihm nach während er der Sprechstundenhilfe folgte. Er kam ihr wirklich irgendwie bekannt vor. Es dauerte nicht lange und Luke kam wieder aus dem Behandlungszimmer heraus. Als er sah, dass sie auf ihn gewartet hatte, blieb er erstaunt stehen und das breite Grinsen auf seinem Gesicht setzte wieder ein. Und wieder wusste Kacey nicht, wie sie es deuten sollte. "Wie geht's deiner Nase, oder dem was davon übrig ist?", fragte sie, "Ich habe sie dir doch nicht etwa gebrochen, oder so." "Kommt ganz drauf an was du unter "oder so" verstehst." Kacey sah in betroffen an. "Keine Sorge, du hast sie mir nur angebrochen.", antwortete er weiterhin grinsend. Kacey sah traurig auf den Boden. "Ehrlich.", sagte er, "Es ist nicht so schlimm, es tut auch schon gar nicht mehr wehaAAAAHHHH! HEY, was machst du da?" Er fasste sich verwirrt an seine Nase, die Kacey eben bloß gaaanz sanft berührt hatte. "Ich glaube ich konnte dich gerade vom Gegenteil überzeugen.", sagte sie zufrieden. Sie standen nun vor der Einfahrt von Kaceys Zuhause. Luke hatte darauf bestanden sie nach Hause zu begleiten, um harmlose Passanten vor ihren Kampftechniken zu schützen, und sie hatten sich währenddessen über dies und jenes unterhalten. Sie wusste nun ,dass er zwei Jahre älter war, am anderen Ende der Stadt wohnte und Katzen hasste. Für mehr Informationen war der Weg von der Arztpraxis bis zu Kaceys Zuhause zu kurz gewesen. "Also dann", sagte er, während er sich in Bewegung setzte, "man sieht sich ganz bestimmt mal wieder." "Warte!", rief Kacey ihm nach, "Weshalb bist du mir nun eigentlich vorhin hinterhergerannt?" Luke drehte sich im Laufen um und warf ihr etwas zu. "Den hattest du verloren Kacey!", rief er und lief weiter. Kacey öffnete die Hand. Er hatte ihr einen wunderschönen goldenen Ohrring zugeworfen. Sie wollte gerade Luft holen und ihn zurückrufen, aber als sie aufsah war er schon nicht mehr zu sehen. Mist, dachte Kacey, jetzt konnte sie ihm gar nicht sagen, dass das überhaupt nicht ihr Ohrring war! Und überhaupt; hatte sie ihm ihren Namen verraten? Kacey schloss gerade die Tür hinter sich. Endlich war sie wieder zu Hause! Jetzt konnte sie einfach die Füße hochlegen und erst einmal ausatmen. Einen Tag wie heute hatte sie schon lange nicht mehr erlebt. Und er war noch nicht zu ende. "Na Kleine. Ich hab' mir schon Sorgen über dich gemacht! Wo in Gottes Namen warst du bloß die ganze Zeit?" "Also erstens Melissa nenn mich bitte nicht "Kleine", ich bin immerhin schon 16, zweitens sollst du dir keine Sorgen über mich machen und drittens war ich in der Schule und danach beim Arzt." Melissa war die Lebensgefährtin von Kaceys Vater. Ihre Eltern hatten sich getrennt als Kacey 8 Jahre alt war und da ihre Mutter einen Job im Ausland gefunden hatte, lebten Kacey und Alicia bei ihm. Seit der Trennung hatte er mehrere Freundinnen gehabt, was für die beiden nicht immer leicht gewesen war, aber mit Melissa war er immerhin schon fast zwei Jahre lang zusammen. Kacey bedauerte das manchmal zutiefst, denn Melissa begluckte sie wie ein kleines Kind. Bei den Worten "und danach war ich beim Arzt" weiteten sich erschrocken ihre Augen. "Beim Arzt?", fragte sie zutiefst besorgt, "Was war denn los? Bist du etwa krank? Was hat der Arzt gesagt? Ist es ansteckend? Muss..." "Halt! Stop! So viele Fragen auf einmal kann ich ja gar nicht gleichzeitig beantworten! Keine Sorge, ich bin nicht krank.", sagte sie, während sie die Treppe zu ihrem Zimmer hochstieg, "ich habe nur jemanden begleitet dem ich die Nase gebrochen habe." Kacey ließ sich auf ihr Bett fallen. Sie hätte sich zu gerne noch einmal umgedreht und Melissas Gesicht gesehen. Sie, ihre liebe, kleine, brave Kacey hatte doch tatsächlich jemandem die Nase gebrochen! Bestimmt konnte Melissa es nicht fassen und stand immer noch bewegungslos im Hausflur. Irgendwie musste Kacey bei dem Gedanken daran grinsen. Melissa war ja ganz nett, aber sie hatte irgendetwas an sich, das Kacey immer beunruhigte. Da sie allerdings die Freundin ihres Vaters war, mit der er glücklich zu sein schien, behielt sie so etwas lieber für sich. Kacey sah sich noch einmal den Ohrring an, den Luke ihr vorhin zugeworfen hatte. Er war wirklich schön! Aber leider nicht ihrer. Kacey kam der Gedanke, dass er vielleicht Alicia gehören könnte. Da sie und Kacey die gleiche Größe hatten tauschten sie ihre Klamotten ab und zu mal untereinander, es wäre doch möglich, dass sie ihn in die Jackentasche gesteckt hatte. Kacey sprang auf und ging in das Zimmer ihrer großen Schwester. "HEY! Was machst du da?" Kacey drehte sich um. Sie hatte gerade in Alicias Zimmer nach deren Schmuckkästchen gesucht, als Alicia auch schon in der Tür stand. "Ich suche nach deinem Schmuck.", antwortete Kacey ehrlich. Aber anscheinend hielt Alicia in diesem Moment nicht viel von ihrer Ehrlichkeit. "Aha.", sagte sie gereizt, "und wieso bitte suchst du nach meinem Schmuck?" Kacey wusste, dass Alicia mit manchen Dingen sehr eigen war, und Schmuck war eins davon. Also beschloss sie die Angelegenheit lieber schnell und ehrlich zu klären. "Äh, also, ich wollte dir nur deinen Ohrring wiedergeben, den hattest du anscheinend in meiner Jackentasche gelassen. Hier!" Sie drückte Alicia den Ohrring in die Hand und huschte an ihr vorbei aus dem Zimmer. "Warte!" Kacey blieb stehen. Alicia kam ihr nachgelaufen und gab ihr den Ohrring zurück. "Der gehört leider nicht mir, obwohl er wirklich schön ist und mir sicher auch gut stehen würde, aber so einen besitze ich nicht. Ach, und das nächst Mal fragst du mich bevor du in mein Zimmer gehst, okay?" "Euer Wunsch ist mir Befehl Prinzessin Alicia!" Kacey lächelte versöhnlich und Prinzessin Alicia nahm ihr ihren neuen Adelstitel nicht weiter übel. "Ach übrigens, Kevin hat angerufen.", sagte Alicia noch, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand. Kacey hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen. Das Telefon war dauernd besetzt gewesen (Prinzessin Alicia führte gerne Dauertelefonate mit Traumprinz Jeremy), also hatte Kacey beschlossen sich persönlich bei Kevin zu entschuldigen. Sie hätte das lieber am Telefon getan, denn dann hätte sie Kevin dabei nicht in seine Augen sehen müssen, wenn sie ihm alles erzählte. Bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz schlecht. Kevin war ziemlich eifersüchtig, das hatte Kacey schon nach kurzer Zeit erfahren müssen. Zu Recht, wie Kacey fand, sie war schließlich nicht gerade hässlich! Aber jetzt musste sie ihm erzählen, dass sie ihr Date wegen einem anderem Kerl vergessen hatte. Klar, sie hatte natürlich auch noch die Möglichkeit ihn anzulügen, aber sie wollte eine ehrliche Beziehung mit Kevin haben. Also würde sie ihm die Geschichte ungefähr so erzählen. Sie musste Nachsitzen, dann hatte sie bei einen kleinen Unfall jemandem Nasenbluten bereitet, denjenigen zum Arzt begleitet und dann war sie nach Hause gegangen. Dass sie bei der ganzen Hektik ihr Date vergessen hatte, würde er hoffentlich verstehen. Kacey fand ihre Erklärung perfekt, denn so konnte sie ihm alles mitteilen und musste nichts genaueres über Luke erzählen. Würde sie das tun, würde er bestimmt irgendwelche Gründe zum eifersüchtig werden finden. Diese Angewohnheit musste sie ihm unbedingt noch abgewöhnen. Endlich hatte sie Kevins Wohnungstür erreicht und klingelte. Mrs. Douglas öffnete ihr die Tür. "Hallo Kacey! Komm rein. Kevin ist in seinem Zimmer." "Danke Mrs. Douglas.", sagte Kacey höflich und ging zu Kevins Zimmer. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie an seiner Zimmertür klopfte. Dann trat sie ein. Und ihr rutschte vor Schreck fast das Herz in die Hose. Da saß er und unterhielt sich mit Kevin. Kacey stand noch ein wenig bewegungslos in der Tür, als Kevin freudig aufsprang und sie zur Begrüßung küsste. "He~hey, ...Kevin.", stotterte Kacey immer noch etwas geschockt. "Na Süße.", sagte Kevin gut gelaunt und setzte sich auf sein Bett, wobei er ihr signalisierte, sich neben ihn zu setzen. Kacey hatte eigentlich erwartet, dass er sie mit beleidigter Miene empfangen würde, aber so fand sie es auch nicht schlecht. Sie setzte sich neben ihn aufs Bett, wobei sie sich bemühte Luke, der auf dem Sofa saß, nicht anzuschauen. Trotzdem konnte sie sein breites Grinsen förmlich fühlen. "Also, ich stell euch am besten erst einmal vor.", sagte Kevin anstandshalber. "Luke, das ist meine Freundin Kacey, Kacey, das ist mein Cousin Luke." Luke stand auf und streckte Kacey mit einem beinahe provozierendem Grinsen die Hand entgegen. "Freut mich dich kennen zu lernen, Kacey." Kacey war in dem Moment, in dem sie seine Hand schüttelte, außerordentlich dankbar dafür, dass er Kevin nicht gesagt hatte, dass sie sich bereits kannten. Er würde dann bestimmt gerne wissen wollen, wie, wo und wann sie sich das erste Mal begegnet waren. Moment mal! Wollte sie Kevin nicht gerade erzählen, warum sie ihr Date vergessen hatte? Wenn Luke dabei war, war ihr schöner Plan völlig wertlos! "Ähem, Kevin?", fing sie zögernd an. "Ja?" "Ich...ich wollte mich bei dir entschuldigen, dafür...dass ich unsere Verabredung heute vergessen habe. Bist du mir deswegen sehr böse?" Sag bitte nein und stell keine weiteren Fragen, betete Kacey den Satz in Gedanken zu ende. "Nein", sagte Kevin, "ich bin dir nicht böse, ich meine, du hattest doch bestimmt einen Grund weswegen du es vergessen hast, oder?" "Äh, ja." Mehr sagte Kacey nicht dazu. Schließlich war Luke der Grund weswegen sie die Verabredung vergessen hatte, und sie hatte keine Lust Kevin das zu erklären. Nach einer Minute brach schließlich Luke das Schweigen. "Ja, ...und willst du ihm den Grund nicht auch sagen?", fragte er, mit seinem breiten Grinsen. Dafür hätte sie ihn am liebsten bei lebendigem Leibe gehäutet. "Ja, ähm, das...das war so, ich...könnte ich vielleicht mit Kevin allein darüber reden?" Luke wollte gerade mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck aufstehen, aber Kevin hielt ihn zurück (dafür hätte sie diesmal Kevin bei lebendigem Leibe häuten können) und er setzte sich wieder hin. "Ist schon okay Kacey. Im Grunde erzählen Luke und ich uns sowieso fast alles. Also, was war los?", fragte Kevin nun schon etwas ernster. "Jaaah, was war los?", fragte Luke ganz scheinheilig. Kacey kochte fast vor Wut, warum musste ausgerechnet Luke, der noch vor ein paar Stunden so nett zu ihr war (obwohl sie ihm die Nase angebrochen hatte), sie jetzt in so eine verzwickte Lage bringen? "Ähä, ja, also, Kevin, ich musste nachsitzen, weil ich, mal wieder, verschlafen hatte, und danach wollte ich dann nach Hause gehen und dann ist irgend so ein Volli~d~i~o~t (bei diesen Worten sah sie Luke an) vor meinen Augen gegen eine Laterne gerannt. Tja, und gutherzig wie ich halt bin habe ich diesem verwirrten Typ dann zum Arzt gebracht und stell dir vor, der Vollidiot (und wieder sah sie Luke an) hat sich doch tatsächlich die Nase dabei gebrochen. Ja, und als ich dann daheim war, ist mir dann eingefallen, dass wir beide ja verabredet waren. Und dann habe ich mich auch gleich auf den Weg zu dir gemacht, um mich zu entschuldigen." Dabei sah sie Kevin so lieb wie nur möglich an, und hoffte, dass diese Geschichte halbwegs rübergekommen war. Kevin sah sie zwar noch einige Sekunden lang merkwürdig an, schien dann aber mit der Geschichte weitaus zufrieden zu sein. Das provozierende Grinsen auf Lukes Gesicht allerdings war nach dieser Geschichte zu einem Lächeln geworden. Anscheinend gefiel ihm die Bezeichnung Vollidiot. Kacey war regelrecht erleichtert. Kevin hatte Luke kurz nach Kaceys glorreicher Erklärung signalisiert zu gehen und nun war sie mit ihm allein. Nun saßen sie eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa und sahen fern. Kacey war froh darüber, dass er ihre Ausrede geglaubt hatte. Aber sie hatte ihn angelogen, obwohl sie sich geschworen hatten sich niemals zu belügen. Das machte ihr ein ziemlich schlechtes Gewissen. Sie sah ihn an, während er mehr oder weniger gelangweilt auf den Fernseher starrte. Er hatte wunderschöne dunkelblaue Augen, die bei seinen blonden Haaren irgendwie besonders strahlten. Kevin ist sowieso in jeder Hinsicht perfekt, dachte Kacey, während sie ihren Arm um seinen sportlichen Oberkörper legte und ihn fest drückte. "Autsch, Kacey, man kann es mit der Liebe aber auch übertreiben!", sagte Kevin, während er Kaceys Griff ein wenig zu lockern versuchte. Kacey lächelte ihn nur vergnügt an. Sie war irgendwie heute besonders froh darüber Kevins Freundin zu sein. Aufgrund dieses Anlasses zwickte sie ihn noch einmal. Das konnte er natürlich nicht auf sich sitzen lassen, also kitzelte er sie von oben bis unten durch. "Stop!", rief Kacey, während sie nach lachend Luft schnappte, "Ich gebe ja auf! Du hast mich besiegt! Ich ergebe..." Das letzte Wort ging schließlich in ihrem Kuss verloren. Kapitel 2: Luke --------------- *** July befand sich wieder in einem dunklen Raum. War es der selbe Raum wie die letzten Male, als sie hier war? Wahrscheinlich. Allerdings fürchtete sie sich heute das erste mal nicht. Sie wusste er würde kommen und sie wieder aus der Dunkelheit bringen. So war es bis jetzt immer gewesen. Und genauso sollte es auch diesmal sein. Er kam, umfasste ihr Handgelenk, führte sie an den wunderschönen hellen Ort und drehte sich um... *** "AUFSTEHEN!" "Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin! Immer dann wenn er..." Kacey warf wütend das Kopfkissen nach der Person, die sie so brutal laut aus ihren Träumen gerissen hatte. Unglücklicherweise traf es nicht die Person, die sie geweckt hatte, sondern die, die daneben stand. Alicia stand nur lachend da. Sie wusste, dass der Kopfkissenanschlag eigentlich ihr gegolten hatte. Stattdessen hatte Kacey aber jemand anderen getroffen. Durch ihre Müdigkeit konnte sie momentan allerdings nur verschwommen sehen. Ein Kerl, groß, dunkelbraune Haare... Kacey zog sich so schnell sie konnte die Decke über den Kopf. "ES IST SAMSTAG!", rief sie wütend. "Und 12 Uhr Mittags! Steh endlich mal auf du Schlafmütze!", konterte Alicia. "Ich lasse dich jetzt mit deinem Besuch alleine. Bis dann Luke." Alicia verließ das Zimmer. Kacey riss genervt die Bettdecke von ihrem Gesicht und setzte sich auf. "Was um Himmelswillen machst du hier?" Sie war immer noch sauer auf ihn wegen der Sache mit Kevin gestern. "Ich wollte dich wecken.", antwortete er ehrlich. "Aber zum Dank hättest du mir wirklich kein Kissen auf meine verletzte Nase schmettern müssen. Es tut schon genug weh, wenn man gegen eine Laterne rennt, da braucht man zur Erinnerung nicht auch noch ein Kissen im Gesicht.", sagte er gespielt empört und rieb sich seine Nase. "Verdient hast du es aber!", sagte Kacey immer noch beleidigt, "Normalerweise traut es sich niemand mich Samstags zu wecken. Wenn du nicht einen guten Grund dafür hattest, dann landet gleich noch ein Kissen in deinem Gesicht, das schwöre ich dir!" "Also ich bin gerade zufällig bei euch vorbeigekommen (Anmerkung der Autorin: wer's glaubt) und da dachte ich mir ich könnte dich vielleicht auf ein zweites...(er sah Kacey stockend an), oder erstes Frühstück einladen." Drei Sekunden nachdem er den Satz beendet hatte landete das zweite Kissen in seinem Gesicht. "Heißt das ja?", fragte er grinsend. Kacey wollte ihm zwar lieber noch ein paar Kissen in sein Gesicht klatschen, nickte aber. Sie hatte nämlich schon einen Mordshunger und hätte zu Hause bestimmt alleine Frühstücken müssen. Und außerdem war es ja eine Einladung. Also stand sie auf und ging zum Kleiderschrank. "Sag mal", fragte sie Luke, als sie sich ihren Schlafanzug ausziehen wollte, "willst du mir etwa beim Anziehen zusehen?" Bei dem Anblick seines herausfordernden Gesichtes hob Kacey das erste Kissen wieder vom Fußboden auf. Sie traf allerdings nur noch die Tür, die Luke gerade hinter sich zugezogen hatte. Sie waren gerade auf dem Weg zu einem Café. Sie hatten seit sie das Haus verlassen hatten kein Wort mehr miteinander gewechselt. Kacey hatte keine große Lust sich mit ihm zu unterhalten, sie wollte nur ihr Frühstück und hören, was er zu sagen hatte, dass er sie so früh (früh?) aus den Federn schmeißen musste. "Also gestern warst du aber gesprächiger.", bemerkte Luke so ganz nebenbei. "Gestern war ich ja auch noch nicht sauer auf dich!" Sie gingen in das Café und setzten sich an einen Tisch. "Du bist sauer auf mich? Wieso?", fragte er mit verständnislosem Blick. Kacey sah ihn an. "Na, wieso wohl?" Konnte er sich das nicht denken? "Du hast mich gestern in eine ziemlich bescheuerte Situation gebracht. Ich dachte, du kennst Kevin so gut?, sagte sie schnippisch. "Ja, deswegen verstehe ich nicht warum du sauer auf mich bist." "Wenn du ihn so gut kennst, da müsstest du doch wissen wie eifersüchtig er sein kann! Was glaubst du wie er reagiert hätte, wenn ich ihm alles erzählt hätte." "Tja, ich glaube er wäre mir an die Gurgel gesprungen.", sagte er, "Er hätte es bestimmt nicht verkraftet, dass du meine und nicht seine Nase angebrochen hast. Und das du mich zum Arzt gebracht hast, mein Gott, ich glaube dann wäre es schon bremslig geworden. Aber wenn du ihm erzählt hättest, dass ich dich noch nach Hause gebracht habe, also dann wäre es wahrscheinlich entgültig vorbei gewesen." Der Sarkasmus stand ihm irgendwie gut. Er hatte sein Dauergrinsen mal kurz beiseite gelegt und eine ernstere Miene aufgesetzt. Obwohl er Kacey gerade die Meinung gesagt hatte war sie ihn nicht mehr böse. Er hatte ja recht, das wusste sie. Irgendwie hatte sie alles etwas hochdramatisiert. Was war denn schon so schlimm dabei, wenn sein Cousin, dem er offenbar vertraute, sie nach Hause brachte? "Entschulding, ...aber du hättest wirklich nicht so nachhaken müssen!", setzte Kacey trotzig hinzu. "Stimmt, aber um ehrlich zu sein war ich schon ein wenig neugierig ob und wie du ihm alles erzählst.", gab er zu. "Aber an deinen Ausreden musst du wirklich noch ein bisschen feilen." Er konnte Kacey zumindest mit der Erinnerung an ihre tolle Ausrede ein Lächeln abgewinnen. "Okay", sagte sie mit erhobener Nase, "dann verzeih ich dir noch einmal." Daraufhin mussten sie beide Lachen. Und was Kacey dabei irgendwie Sorgen machte war, dass er gar nicht mal so übel aussah, wenn er lachte. Aber diesen Gedanken verdrängte sie lieber schnell. Plötzlich fiel Kacey etwas ein. "Ach übrigens!", sie kramte in ihrer Tasche und reichte Luke den Ohrring, "Der hier gehört gar nicht mir. Den muss jemand anderes verloren haben." Luke nahm ihr den Ohrring aus der Hand und sah ihn noch einmal kurz genau an, bevor er ihn ihr zurückgab. "Nein. Der gehört ganz sicher dir." "Aber ich habe nie so einen Ohrring besessen. Hast du gesehen wie ich ihn verloren habe?" "Na ja, ja!" "Ich glaub dir nicht." Luke sah ihr einen Moment in die Augen. "Egal, behalt ihn trotzdem!", sagte er schließlich. "Aber wenn er nicht mir gehört? Der Ohrring sieht nicht gerade billig aus!" Sie betrachtete den goldenen, mit Diamanten und Saphiren besetzten Ohrring noch einmal. Im Grunde hatte sie nichts dagegen einen solchen Ohrring zu behalten, aber... "Der Besitzer sucht wahrscheinlich schon nach ihm." Luke setzte wieder ein Lächeln auf. "Also das glaube ich weniger.", setze er hinzu. Kacey sah ihn an. Woher wollte er das wissen? Sie öffnete gerade den Mund um ihn das zu fragen, unglücklicher Weise kam gerade in diesem Moment die Bedienung. "Also", sagte Kacey kauend, "warum hast du mich denn jetzt eigentlich so früh aus dem Bett geschmissen?" "Das hab ich dir doch schon gesagt, ich wollte dich zum Frühstück einladen." "Ja, aber warum?" "Das", sagte er, während er wieder sein Grinsen aufsetzte (schon wieder?), "bleibt noch mein Geheimnis." Kacey starrte ihn kurz an. Was sollte sie denn davon halten? Seit sie Luke kannte machte er immer wieder solche komischen Andeutungen. Allerdings kannte sie ihn erst seit gestern. Vielleicht war er ja immer so? Kacey kam gerade wieder nach Hause. Sie schloss die Tür hinter sich und zog ihre Schuhe aus, als Alicia auf sie zu kam. "Und, wie war's?", fragte sie neugierig. "Ganz nett." "Ganz nett?", zitierte Alicia ungläubig. "Hör mal! Der Typ sah ja nun wirklich Hammer aus! Das muss doch wohl mehr gewesen sein, als "ganz nett"!" "Du kannst ihn ja haben, wenn du magst. Ich bin mit Kevin eigentlich ziemlich zufrieden.", sagte sie leicht beleidigt. Glaubte Alicia vielleicht, dass sie nicht treu sein konnte? "Und ich mit meinem Jeremy. Aber ich glaube trotzdem, dass dieser Luke ein richtiger Konkurrent für Kevin werden könnte, oder?", fragte Alicia und stupste Kacey mit einem Grinsen im Gesicht. "Ach quatsch, red nicht immer so einen Blödsinn.", sagte Kacey genervt und ging ins Wohnzimmer. "Du gehst doch nur weg, weil ich recht hab, oder Schwesterchen?", rief Alicia ihr noch nach. Aber das hatte Kacey schon gar nicht mehr gehört; oder hören wollen. Kacey betrat das Wohnzimmer. Ihr Vater und Melissa saßen auf der Couch und sahen gerade fern. "Hi ihr zwei.", sagte Kacey als sie sich neben ihren Vater setzte. "Hallo Engelchen.", ihr Vater drehte seinen Kopf zu ihr. "Sag mal, wo warst du denn?" Kacey sah ihren Vater verwirrt an. "Hat euch Alicia das nicht gesagt?" Mr. Parker schüttelte den Kopf. "Ich war frühstücken." "Du kannst doch auch zu Hause frühstücken?", sagte Melissa leicht irritiert. "Ja, aber ich..." "Sie wurde zum Frühstück eingeladen!", unterbrach Alicia, als sie ebenfalls das Wohnzimmer betrat, "Und stellt euch vor: Nicht von Kevin! Sondern von einem anderen Typ namens Luke, und mal so nebenbei gesagt, der sieht sogar richtig gut aus!" Kacey, Melissa und Mr. Parker sahen sie nur sprachlos an. "Hm.", sagte Alicia schließlich, "Ich glaube mich hat hier keiner gefragt. Ich geh jetzt... besser wieder hoch in mein Zimmer." Und sie verschwand fluchtartig aus dem Zimmer. "Und du beschwerst dich über zu wenig Privatsphäre!", rief Kacey ihr noch nach. "Soso, du warst also mit einem anderen Jungen zusammen frühstücken.", bemerkte Mr. Parker. "Aber... du bist doch noch mit Kevin zusammen, oder?", fragte Melissa. "Ja! Natürlich bin ich das!" Mr. Parker runzelte die Stirn. "Und was sagt Kevin dazu, dass du dich mit anderen Jungs verabredest?", fragte er. "Also", sagte Kacey, "er weiß es noch gar nicht." Mr. Parker und Melissa sahen sie tadelnd an. "Nein, nein!", sagte Kacey schnell, "das ist nicht so wie es sich anhört! Also, Luke, mit dem ich heute frühstücken war, ist Kevins Cousin. Ich hab ihn gestern kennen gelernt als ich nachsitzen musste und hab ihm dann die Nase angebrochen. Aber das ist nicht weiter tragisch, seine Nase hat sich schon wieder ganz gut davon erholt. Und dann hat er mir etwas gegeben, wovon er dachte, ich hätte es verloren, aber das war dann gar nicht meins. Und so hab ich ihm das dann heute wiedergegeben, aber... stimmt was nicht Dad, oder warum siehst du mich so merkwürdig an?" "Sagtest du gerade du musstest gestern schon wieder nachsitzen und hast dann auch noch jemandem die Nase gebrochen?" "Angebrochen.", korrigierte ihn Melissa. "Ich hab dir das doch gestern Abend schon erzählt." "Hast du das? Tut mir leid, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Warum erfahre ich solche Sachen immer als letzter?", fragte er beleidigt. (Anmerkung der Autorin: Tja, ab und zu sollten Männer Frauen halt zuhören!!!) "Red keinen Unsinn Jeffrey, ich hab es dir gestern Abend gesagt, vielleicht hast du mir nur wieder nicht richtig zugehört!", konterte Melissa. Kacey zog lieber den Kopf ein und verschwand so schnell sie konnte aus dem Wohnzimmer. Sie hatte wirklich keine Lust sich ihren Streit mit anzuhören. Sie beschloss lieber ihre große Schwester etwas zu nerven. Kapitel 3: Der Traum geht weiter -------------------------------- *** July wartete nun schon eine halbe Ewigkeit auf ihn. Was sollte das? Normalerweise ließ er sie nie warten! Wo war er nur? July beschloss alleine loszugehen, nicht nur um ihn zu suchen, sondern auch um endlich aus dieser furchteinflößenden Dunkelheit zu kommen. July lief einfach nur. Sie wusste nicht, welche Richtung die richtige war, aber sie war sich beinahe sicher, dass dies die Richtung war, in die er sie immer geführt hatte. Oder sollte sie doch besser eine andere Richtung einschlagen? Nein, sie spürte, dass dieser Weg der richtige war! Also lief sie weiter, und es dauerte nicht lange, bis die ihr mittlerweile vertrauten Lichtstrahlen das Dunkel vertrieben. Aber es war nicht das selbe ohne ihn. Eigentlich müsste er ihr jetzt mit dem Rücken zustehen. Und dann müsste er sich umdrehen. Leider konnte sie sich nie an mehr erinnern, wenn sie hierher zurückkam. So sehr sie sich auch bemühte, jedes Mal verlor sie ab dem Punkt an dem er sich umdrehte die Erinnerung an alles weitere was geschehen war. War denn überhaupt etwas weiteres geschehen? Diese Frage quälte July zutiefst. Wer weiß, was sie vielleicht für Erinnerungen verloren hatte? Zumindest die Erinnerung an sein Gesicht. Und das tat ihr wirklich irgendwie weh. Sie schloss die Augen um noch einmal gründlich nachzudenken. Es war sehr angenehm hier, bemerkte sie jetzt zum ersten Mal. Ihre Wangen wurden von den warmen Lichtstrahlen gestreichelt und überhaupt hatte sie das Gefühl, sich an einem sehr angenehm vertrauten Ort zu befinden. "Das hast du sehr gut gemacht!" July öffnete erschrocken die Augen und fuhr herum. Sie hatte die Stimme deutlich hinter sich gehört, aber sie sah niemanden. Sie blickte suchend umher, aber sie konnte niemanden sehen. Zum aller ersten Mal fiel ihr die Umgebung hier auf. Es war eine Wiese (!?) mit den verschiedensten, wunderschönsten Blumen, die July jemals gesehen hatte. Es waren so viele verschieden Arten hier zu finden, doch sie konnte sich nicht daran erinnern auch nur eine davon jemals gesehen zu haben. July konnte noch ein paar vereinzelte Bäume erkennen und ihr Blick blieb an einer Trauerweide hängen. War das überhaupt eine Trauerweide? Zumindest sah dieser Baum einer Trauerweide sehr ähnlich. Der Baum war sehr groß und hatte vermutlich auch einen sehr großen Stamm, dessen Größe sie lediglich erahnen konnte, da die langen, hängenden Äste und Blätter bis auf den Boden reichten und den Stamm beinahe völlig verdeckten. Es war ihr irgendwie unheimlich. Diese Gegend kam ihr so unvertraut vertraut vor. Plötzlich bewegten sich an einer Stelle der Trauerweide die Äste, und eine Gestalt trat aus ihrem Versteck heraus und blickte in ihre Richtung. July blieb bewegungslos stehen und blickte zurück. Leider war die Entfernung zwischen ihnen zu groß, so dass July sie nicht ganz erkennen konnte. Alles was sie sah war, dass sie wohl männlich war, kurze dunkle Haare hatte und sich gerade umdrehte, um wieder im Schutz der Trauerweide zu verschwinden! Da blitzte es auf einmal in Julys Kopf und sie rannte auf die Trauerweide zu. "Warte!", rief sie, "Bitte! Warte!" Er drehte sich wieder um und July konnte seine Konturen schon etwas besser erkennen. Es gab keinen Zweifel, sie hatte ihn wiedergefunden! Sie rannte etwas schneller, vielleicht weil sie Angst hatte, dass er es sich wieder anders überlegte und doch noch ging bevor sie ihn zum ersten Mal richtig gesehen hatte. Zu ihrem Unglück sah sie sein Gesicht wieder nicht. Sie hatte beim Laufen nicht mehr auf den Weg geachtet, war gestolpert und bäuchlings in die vielen Blumen gefallen. Sie blieb liegen, irgendwie gelang es ihr nicht aufzustehen. Sie blieb einfach bewegungslos inmitten von Hunderten von kleinen hellblauen Blumen liegen. July konnte hören, dass er sich näherte. Er stand jetzt neben ihr, doch das einzige, was July von ihm sah, waren seine Stiefel. Leider war sie mit dem Kopf nach unten gefallen, und so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte einfach nicht aufstehen! Und auch nicht sprechen! Es schien so, als ging er in die Hocke und pflückte eine der Blumen in die July gefallen war. "Rigriden.", bemerkte er, "Na kein Wunder, dass du dich nicht mehr bewegen kannst!" Er lachte amüsiert auf. July hätte nur zu gerne darauf geantwortet. "Tja July, es sieht wohl so aus, als dürftest du mich noch nicht sehen! Tut mir leid." Was sollte das denn heißen? Er kannte ihren Namen, und sie wusste noch nicht einmal ansatzweise wer er war! "Hör zu, wenn du dich wieder bewegen willst, dann machst du jetzt genau was ich sage, okay?" Okay? Erwartete er etwa, dass July zur Bestätigung nickte? "Also", fuhr er fort, "deine Augen schließen kannst du ja noch... zumindest hoffe ich das. Also, jetzt schließ deine Augen und denk am besten an gar nichts." July wusste nicht so recht, ob sie tun sollte was er da sagte. "Na komm schon. Oder glaubst du, du kannst mir nicht vertrauen?" Seine Stimme klang bei seinem letzten Satz gespielt gekränkt. Überhaupt... seine Stimme. Sie kannte seine Stimme! Nur woher...? Aber July beschloss, darüber nachzudenken, wenn sie ihm gegenüber stand und ihn sehen konnte. Also schloss sie ihre Augen und versuchte an nichts zu denken. "Na also, geht doch. Na dann, bis bald!" Bis bald!? Doch bevor July die Augen wieder öffnen konnte um gegen das "bis bald" Einspruch zu erheben, hatte er schon ihre Stirn mit seinem Finger berührt, so dass sie ein leichtes kribbeln an dieser Stelle verspürte, dass sich rasend schnell über ihren gesamten Körper ausbreitete. Danach bemerkte sie nichts mehr. Sie war eingeschlafen. *** Kacey überkam plötzlich ein komisches Gefühl als sie auf dem Weg zu Kevin war. Irgendetwas war merkwürdig. Ihr ganzer Körper kribbelte wie verrückt, schon seit sie heute Morgen aufgestanden war. Kacey wühlte in ihrer Hosentasche und kramte den Ohrring hervor, den Luke ihr geschenkt hatte. Allerdings war sie sich gar nicht mehr so sicher, dass er ihn ihr geschenkt hatte. Vielleicht hatte er ja doch die Wahrheit gesagt und sie hatte ihn verloren. Auf diesen Gedanken war sie heute früh gekommen, als sie von einem Stechen in ihrem Rücken aufgeweckt wurde, dass der Ohrring verursacht hatte. Sie hatte sich zunächst gewundert was der Ohrring in ihrem Bett machte, sie hatte ihn doch gestern Abend in ihr Schmückkästchen gelegt. Oder etwa nicht? Kacey war aufgestanden, um den Ohrring wieder zurück ins Schmuckkästchen zu legen, als sie verdutzt blinzelte. Sie schloss noch einmal die Augen um sich sicher zu sein, dass sie nicht halluzinierte, oder schielte und alles doppelt sah (so was kommt ja morgens mal vor ;P) und öffnete die Augen wieder. Sie hatte weder halluziniert noch geschielt. Der Ohrring den sie gestern in die Schmuckschatulle gelegt hatte, lag noch immer da. Und den selben Ohrring hielt sie auch in der Hand. Nein, nicht den selben! Den zweiten! Kacey hatte in diesem Moment nicht mehr ganz gewusst, ob sie noch schlief und träumte. Hatte sie vielleicht doch irgendwann einmal solche Ohrringe besessen und es dann bloß wieder vergessen? Nein, das glaubte sie nicht. Sie hatte allen ihren Schmuck aus den letzten sechzehn Jahren immer ordentlich in ihren Schmuckkästchen gesammelt. Also warum zum Teufel hatte sie jetzt auf einmal noch einen solchen Ohrring? Kacey kramte auch den zweiten Ohrring hervor und starrte sie beide eine Weile lang ungläubig an. Aber sie hatte keine Zeit mehr um darüber nachzudenken, denn sie hatte Kevins Haus bereits erreicht. Sie atmete noch einmal tief durch und schob alle verwirrenden Gedanken beiseite. Alles was sie wollte war einen schönen und entspannten Nachmittag mit Kevin zu verbringen. Trotzdem war sie nicht so ganz entspannt als sie Kevins Zimmer betrat. Sie hatte ihm noch nichts von ihrem Frühstück mit Luke gestern erzählt, und sie hatte es auch nicht wirklich vor. Diese Situation war noch komplizierter als die letztes Mal. Denn dieses Mal hatte er wirklich einen Grund eifersüchtig zu werden, schließlich war sie mit einem anderen Jungen frühstücken, auch, wenn es sein Cousin war. Hoffentlich hatte Luke Kevin nichts davon erzählt, wo sie sich doch angeblich so gut wie alles erzählten. Kacey stutzte, als sie Kevin sah. Er schlief auf seiner Couch, und dabei war es zwei Uhr Nachmittags! Kacey kniete vor seiner Couch und sah ihm lange beim Schlafen zu. Nach einiger Zeit fing er an sich zu regen und öffnete die Augen. "Kacey!" Er setzte sich auf. "Was machst du den schon hier?", fragte er, während er sich die Augen rieb. "Na ja, es ist immerhin schon halb drei.", sagte Kacey lächelnd, "falls du's vergessen hast, wir waren um zwei verabredet." Sie küsste ihn auf die Nase. "Waaas? Schon halb drei?" "Jepp. Warum? Hast du lange geschlafen?" Kevin sah auf seine Uhr. "Nee", sagte er, "nur so ungefähr vier Stunden." Er lächelte. "Na das war aber ein langes Mittagsschläfchen!", sagte Kacey neckend. "Hast du etwa wieder die halbe Nacht durchgefeiert?" "So was ähnliches. Aber das ist ja auch jetzt egal, schön, dass du da bist." Er zog sie zu sich auf die Couch und gab ihr erst einmal einen Begrüßungskuss. Sie kuschelte sich näher an ihn ran. "Autsch, du piekst!" Kevin schob sie sachte von sich weg. "Ich piekse? Aber ich hab doch gar nichts gemacht!" "Das war irgendwas in deiner Hosentasche." Er betrachtete die leichte Ausbeulung ihrer Hosentasche. Kacey holte die Ohrringe hervor. "Ja, das könnte es gewesen sein." Er nahm ihr die Ohrringe aus der Hand und betrachtete sie. "Wow, die sind ja echt schön.", sagte er staunend. "Und billig sehen die auch nicht gerade aus. Wo hast du die her? "Ach, die...die hab ich irgendwann mal zum Geburtstag bekommen." Er hielt ihr die Ohrringe an ihre Ohrläppchen und sah sie an. "Warum trägst du sie nicht? Ich bin mir sicher die stehen dir unglaublich gut." Kacey nahm ihm die Ohrringe wieder ab und zog sie an. "Besser so?", sie grinste ihn an (Anmerkung der Autorin: Jaah! Kacey darf auch mal grinsen!). "Was heißt hier besser? Du bist doch genauso schön wie vorher!" Kevin strich ihr durch die langen kastanienbraunen Haare. Kacey freute sich sehr über sein unerwartetes Kompliment und gab ihm zum Dank einen leichten Stoß in die Rippen. "Ach komm, hör auf!", sagte sie geschmeichelt. Sein Blick verfinsterte sich. "Womit? Die Wahrheit zu sagen?" Er betrachtete noch einmal kritisch Kaceys Ohrringe, die ihr nebenbei gesagt, wirklich gut standen. Irgendwie lies das Blau der Saphire ihre braunen Augen intensiver wirken und die Diamanten ließen sie funkeln. "Wie wär's, wenn du mir auch mal endlich erzählen würdest, was du gestern gemacht hast?" Kacey blickte verwirrt in sein Gesicht. Er sah sie ernst an. "Was... was meinst du denn?", fragte Kacey. Für einen kleinen Moment schien es ihr, als säße sie nicht Kevin, sondern einem Fremden gegenüber. Seine Augen waren irgendwie dunkel und sie konnte Eifersucht in ihnen erkennen. Aber normalerweise fing Kevin an laut zu werden, wenn er eifersüchtig war und lief wie ein blöder im Zimmer auf und ab. Diesmal aber war er ganz ruhig und sah ihr durchdringend in die Augen. Kacey konnte seinem Blick nicht mehr standhalten und drehte den Kopf zur Seite. "Kevin was ist los mit dir?", fragte sie leise. "Hä? Was soll mit mir los sein?" Kacey drehte ihren Kopf wieder zu ihm und sah ihn etwas verwirrt an. "Du hast doch keinen Grund eifersüchtig zu sein!", Kacey stand auf und sah ihn traurig an. "Du bedeutest mir doch so viel, ich hab doch überhaupt nicht vor dich zu betrügen! Also warum vertraust du mir nicht?" Ihre Stimmer wurde leiser. "Tut mir leid, aber ich gehe jetzt wieder." "Aber Kacey..." Kevin stand auf und wollte auf sie zugehen. "Nein. Ich möchte jetzt gerne allein sein. Und du solltest auch mal über das was ich gesagt habe nachdenken!" Sie drehte sich hastig um und lief aus seinem Zimmer. Kevin stand nur wie angewurzelt da. Er verstand überhaupt nichts mehr. Er hatte ihr doch bloß gesagt wie schön sie ist... Kacey lief nun schon eine ganze Weile durch die Stadt spazieren. Sie hasste es, wenn Kevin eifersüchtig war, aber sie wusste wenigstens wie er dann gewöhnlicher Weise reagierte. Dieses mal aber hatte Kevin ganz anders reagiert. Sie schüttelte sich noch einmal bei der Erinnerung an seine Augen. Sie waren so kalt gewesen. Und wie er mit ihr gesprochen hatte. Seine Stimme hatte so verletzt geklungen. Aber warum wollte er überhaupt wissen, was sie gestern gemacht hatte? Hatte er gewusst, dass sie gestern Morgen mit Luke unterwegs war? Kacey blieb nachdenklich stehen. Vielleicht hatte Luke ihm ja wirklich davon erzählt, und Kevin hatte erwartet, dass sie es ihm auch noch aus freien Stücken erzählen würde. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah noch einmal in die Richtung, in der Kevins Haus lag. Sollte sie vielleicht zurückgehen? Nein, sie hatte ihm zwar nichts gesagt, aber sie hatte ihm dennoch keinen Grund gegeben eifersüchtig zu sein. Das hatte sie ihm ja auch gesagt! Dennoch verspürte sie ein elendes Gefühl in ihrem Bauch und ihre Augen fingen an zu brennen. Sie hatte Mühe die Tränen zu unterdrücken. Es wäre doch peinlich jetzt auf der Straße plötzlich loszuflennen. Sie lief schnell mit verschwommenem Blick weiter. Je eher sie zu Hause war, desto eher konnte sie ungestört heulen. Doch da sie nicht mehr richtig auf die Leute auf der Straße achtete, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie jemanden anrempelte. Sie lief direkt gegen jemanden. Sie schrak nur leicht auf, nuschelte eine Entschuldigung vor sich hin und wollte weitergehen, aber sie wurde am Arm festgehalten. "He, wart mal!" Sie drehte sich um. "WAS?", herrschte Kacey ihn an. Erst jetzt erkannte sie wen sie angerempelt hatte. Luke (Anmerkung der Autorin: Nein, wer hätte das gedacht??? ^-^) blinzelte sie an. "Tschuldigung.", brachte er noch etwas eingeschüchtert hervor, "Ich wollte..." Er sah ihr trauriges Gesicht. "Alles in Ordnung?" "Aber sicher.", antwortete sie mit leiser Stimme. Sie wollte sich umdrehen und weitergehen, aber Luke hielt sie weiterhin fest. "Was ist? Lass mich los!" "Wenn du mir erzählt hast was los ist gerne." Kacey sah ihn genervt an. "Warum sollte ich das? Es geht dich schließlich nichts an!" "Stimmt. Ich wollt ja nur helfen." Er ließ sie wieder los. "Du willst mir helfen?" Kacey lachte leise auf. "Du bist doch das Problem! Bloß weil ich gestern mit dir zusammen frühstücken war, habe ich heute Stress mit Kevin!" "Hä? Warum das?" "Anscheinend wusste er, dass ich gestern mit jemand anderem weg war. Den Rest kannst du dir ja denken!" Luke's Blick schweifte ab. "Oh, du trägst den Ohri... wo... hast du denn den anderen her?" Er sah nun leicht irritiert aus. "Na toll! Ich laber dich hier mit meinen Beziehungsproblemen voll, und alles was dich interessiert sind meine Ohrringe! Und falls du es vergessen hast, du hast doch selber gesagt, dass ich den Ohrring verloren hatte! Dann ist es ja wohl klar, dass der zweite auch noch irgendwo rumfliegt, oder?" Sie sah ihn vorwurfsvoll an. Aber Luke schien gerade Nachzudenken und reagierte nicht auf ihre Antwort. "Weißt du, ich würde dir ja jetzt gerne richtig helfen." Er sah plötzlich so aus, als hätte er es eilig. "Aber ich glaube, mir fehlt dazu gerade die Zeit." Er fasste mit der Hand an einen der Ohrringe, öffnete den Verschluss und nahm ihn der verdutzten Kacey ab. "Sorry, aber den muss ich mir mal ausleihen." Er drehte sich um und ging weg. Kacey blieb noch stehen. Das musste sie jetzt nicht verstehen, oder? Langsam hatte Kacey echt die Schnauze voll! Ihre Traurigkeit hatte sich in Wut umgewandelt, und am liebsten hätte sie dem nächstbesten, der ihr über den Weg lief in den Arsch getreten (Anmerkung der Autorin: 'tschuldigung ), nur um sich abzureagieren. Wenn sie sich in so einer Phase befand, gab es eigentlich nur zwei Personen, die sie wieder beruhigen konnten. Das waren erstens ihre Mutter und zweitens ihre beste Freundin Patricia. Da sich ihre Mutter leider im Ausland befand, machte sich Kacey auf den Weg zu Pat. Pat wohnte leider am anderen Ende der Stadt. Den Weg zu laufen hätte Kacey wahrscheinlich doch noch zu viele Nerven gekostet, also beschloss sie, lieber mit der Straßenbahn zu fahren. Es dauerte auch nicht lange, und die nächste Straßenbahn, die in die Richtung von Patricias zu Hause fuhr, kam vorbei. Kacey wunderte sich zunächst. Waren die Straßenbahnen immer so leer wie heute? Sonst konnte man glücklich sein, wenn man mal einen Sitzplatz ergatterte. Aber heute? In der gesamten Straßenbahn befanden sich drei Menschen! Der Fahrer, ein Mann und sie. Die Strecke bis zu Patricia war einige Minuten weit entfernt, also setzte sie sich und beobachtete den Mann unauffällig. Zumindest hoffte sie, dass es unauffällig war. Aber wie sollte man in einer menschenleeren Straßenbahn schon unauffällig beobachten? Um die Langeweile zu vertreiben und um sich selbst schon ein bisschen abzulenken, beschloss sie es aber dennoch zu versuchen. Sie tat so, als ob sie müde wär und kniff die Augen ein wenig zusammen. Der Mann saß einige Sitze weiter entfernt von ihr entgegen der Fahrtrichtung. Täuschte sie sich, oder beobachtete er sie ebenfalls? Komischer Kerl, dachte Kacey. Er hatte lange schwarze Haare, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sein Alter konnte Kacey auf diese Entfernung nicht so ganz richtig einschätzen. Irgendwas zwischen zwanzig und vierzig?! Ehe sie sich versah, war sie wirklich eingenickt. *** "LOS! VERDAMMT NOCH MAL, RAUS DA! DAS IST..." *** Kacey schreckte hoch. Hatte ihr da nicht irgendwer was zugeschrieen? Sie sah sich um. Himmel, sie hätte beinahe die Haltestelle verpennt! Sie setzte sich wieder aufrecht hin. Sie waren jetzt mindestens zehn Haltestellen weitergefahren, und sie waren immer noch bloß zu dritt. Kacey überkam wieder so ein komisches Gefühl. Sie musste hier raus! Sie wusste nicht wieso, aber sie hatte auf einmal das Bedürfnis so schnell sie konnte aus dieser Straßenbahn zu kommen. Litt sie seit neuestem etwa an Platzangst? Alles in ihr wollte hier raus! Gott sei Dank war die nächste Haltestelle auch schon ihre. Sie stand auf, und würde die Straßenbahn nicht sowieso so wackeln, dann hätte man vielleicht sogar sehen können, wie ihre Knie zitterten. Ihr war auf einmal so übel. Sie hatte das Gefühl, als lege jemand seine Hand um ihren Hals und drücke leicht zu, um ihr das Atmen zu erschweren. Hätte die Straßenbahn nicht in diesem Moment die Türen geöffnet, und Kacey ins Freie gelassen, dann wäre sie wohlmöglich noch zusammengeklappt. Sie stolperte aus der Straßenbahn und atmete zitternd ein und aus. Dass sie ringsum Leute anstarrten realisierte sie kaum. "Geht es dir gut?" Der Mann aus der Straßenbahn war ebenfalls ausgestiegen. Kacey nickte. Klar ging es ihr gut! Man konnte ihr regelrecht ansehen, wie gut es ihr ging! War doch normal, dass sich alles um sie herum drehte und zu verschwimmen drohte. Der Mann nahm sie am Arm um sie zu stützen. "Vielleicht ist es besser, wenn du dich setzt. Komm ich helfe dir." Kacey wurde für einen kurzen Moment schwarz vor Augen. *** "Nein! Nicht setzen! Lauf! Nun mach schon, LAUF!" *** Kaceys Blick klärte sich wieder. Der Mann führte sie zu der nächsten Bank, damit sie sich setzen konnte. Hatte da nicht schon wieder irgendwer gerufen? Lauf? Ehe Kacey selber Begriff was sie tat, riss sie sich los und rannte. Es war ihr egal was die Leute wohl gerade von ihr denken mussten, sie rannte so schnell sie konnte in die Richtung, in der Pat wohnte. "Verdammt! Haltet sie fest!!!" Kacey drehte den Kopf und konnte erkennen, dass der Mann ihr nachrannte. Was wollte er bloß von ihr? Mensch, darüber kannst du auch nachdenken, wenn du sicher bei Pat bist, dachte Kacey, jetzt renn schneller, der hat dich gleich! "Haltet sie fest!" Kacey versuchte noch schneller zu rennen, aber der Mann hatte sie schon beinahe eingeholt. Kacey ging langsam die Puste aus. Ihr war immer noch schwindelig und sie drohte jede Sekunde hinzufallen. Aber sie rannte dennoch so schnell sie konnte weiter. Sie hatte schon beinahe Pats Haus erreicht. Plötzlich wurde sie zur Seite gerissen und gegen eine Mauer gedrückt. Kacey wollte schreien, aber der Mann drückte ihr seine Hand auf den Mund. Er sah sie beschwörend an. "Schrei jetzt besser nicht." Er nahm ihr langsam die Hand vom Mund. Und Kacey schrie. "Nein! Verdammt noch mal, halt endlich die Klappe! Wenn die uns..." Der Mann sackte benommen zusammen. Kacey starrte ihn an. Er war einfach zusammengeklappt... Kacey wurde noch schwindeliger. Dieses Mal war es noch schlimmer, als das erste Mal. Alles was sie sah verschwamm zu einem einzigen Farbfleck und dann wurde es schwarz. Kacey brach über dem Mann zusammen. Kapitel 4: Begegnung mit Rafe ----------------------------- *** "July? Hey, wach auf!" Erst als July eine saftige Ohrfeige bekam, kam sie langsam wieder zu sich. Ihr Schädel dröhnte, als würde jemand mit einem Brett unaufhörlich dagegen schlagen. Sie öffnete langsam die Augen. Das erste was sie sah, war das Gesicht eines jungen Mannes mit schwarzen, langen Haaren. Mit einem mal war July hellwach. "Was...wer...?" Sie starrte ihn ungläubig an. "Was glotzt du mich denn so entgeistert an?" "Du...du!" July rutschte ein Stück weit von ihm weg. "Was ist? Hast du etwa Angst vor mir July?" Ja, das hatte sie. Hatte er sie nicht gegen eine Mauer gedrückt und war dann zusammengebrochen? Und warum nannte er sie July? "Ich...heiße nicht July.", sagte sie. Der Mann drehte erschrocken den Kopf zu ihr. "Was soll das heißen ,ich heiße nicht July'?" "Na, dass ich nicht July heiße. Mein Name ist Kacey!" Das Gesicht des Mannes entspannte sich wieder. "Mann", lachte er erleichtert, "du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt July." Kacey sah ihn bloß an. War der wirklich so blöd? "Ich hab doch gesagt, mein Name ist nicht July, sondern Kacey!", sagte sie genervt. "Ja, aber nicht hier! Hier bist du July." Er lächelte sie dämlich vergnügt an. Kacey verstand das nicht. "Was meinst du damit ,hier nicht'?" Diesmal verstand er nicht. "Ja...hat man dir denn gar nichts gesagt?!" Kacey schüttelte den Kopf. "Was hätte man mir denn sagen sollen?", fragte sie. "Auweia, das kann ja heiter werden, wenn du wirklich keine Ahnung hast!" Er sah sie noch einmal durchdringlich an. "Und du hast auch wirklich keine Ahnung? Weißt du, falls du mir nicht vertraust nach dem was passiert ist, dann kann ich dich ja verstehen, aber in unserer Situation hier, solltest du vielleicht eine kleine Ausnahme machen." "Ich weiß ehrlich nichts.", versicherte Kacey nochmals, "Und was meinst du mit ,unserer Situation'?" "Na, sieh dich doch mal um!" Das tat Kacey, obwohl es nicht gerade viel mehr zu sehen gab, als kahle, steinerne Wände. "Ein...Gefängnis!?" "Wohl eher ein Kerker.", korrigierte er, und lehnte sich gegen die kalte Steinmauer, "Hier kommen wir bestimmt nicht ohne Hilfe raus! Es sei denn..." "Es sei denn was?" "Na ja, vielleicht... Weiß jemand, dass du hier bist?" "Wie denn?", Kacey sah ihn verzweifelt an. "Ich selbst weiß ja nicht mal, wo ich bin!" "Ja, weil du viel zu langsam gelernt hast!" Sein Blick wurde tadelnd. "Oder weil dein Lehrer zu mies war." "Könntest du bitte auch mal etwas sagen, das ich verstehe.", forderte Kacey ihn auf. "Ja, es tut mir leid. Aber unsere Lage ist einfach so verdammt VERDAMMT!" Das letzte Wort hatte er geschrieen und dabei so kräftig mit der Faust gegen die Wand geschlagen, dass sie blutete. Anscheinend war er verzweifelt über ihre Situation und musste sich irgendwie abreagieren. Kacey rückte wieder näher an ihn ran. "Und wie ist unsere Lage?", fragte sie leise, während sie seine Hand nahm um sie sich anzusehen. Er rutschte langsam an der Steinmauer hinunter, und Kacey ging mit in die Knie. Er atmete unregelmäßig ein und aus. "Na, was denkst du denn?" Er sah ihr in die Augen. "Ich bin im Moment nicht in der Lage irgendwas zu denken! Ich sitze in einem Kerker mit einem fremden Typ und habe hämmernde Kopfschmerzen. Vielleicht könntest du es mir einfach erklären! Ich haben nämlich auch keine Lust, ohne Grund in einem Kerker zu sitzen, also erklär mir das hier alles gefälligst!!!" Diesmal blieb er stumm und wandte seinen Blick wieder ab. "Okay, tut mir leid. Du kannst es schließlich nicht wissen. Also, ich denke Mal, dass wir beide sozusagen entführt worden sind. Und das auf höchst illegale Weise! Wir sind sozusagen nicht ganz hier. Man könnte sagen, nur mit unserem Geist. Unser Körper ist woanders. Verstehst du das? Oder vielleicht sollte ich sagen: Glaubst du mir das?" Kacey betrachtete wieder seine Hand. "Das sieht gar nicht gut aus." "...July! Ach was...Kacey! Hey, sieh mich an." Während er das sagte hob er ihr Kinn an. "Glaubst du mir?", fragte er mit Nachdruck. Sie nickte. "Was... bleibt mir denn anderes übrig?", sagte sie. Er lächelte. "Gut. Aber...verstehst du es auch?" Kacey schüttelte den Kopf. "Nein, nicht richtig, aber...so in etwa." Sie lächelte zurück. "Aber das ist jetzt auch nebensächlich! Wichtig ist im Moment, wie wir hier wieder rauskommen, oder etwa nicht?" Er nickte und stand nun wieder entschlossen auf und zog sie an seiner Hand mit hoch. "Ganz recht! Ach übrigens, du solltest nicht gleich Händchen mit jemanden halten, dessen Namen du noch nicht einmal kennst." Kacey ließ seine Hand ruckartig los. "Dummkopf!" Beleidigt drehte sie sich um. "Vielleicht sagst du ihn mir dann mal!" "Tony." Sie drehte sich wieder um. "Tony Mitchell. Aber vielleicht nennst du mich hier doch besser Ethan." "Du heißt Tony und ich soll dich Ethan nennen? Was ist das denn für 'ne Logik?" "Frag nicht, tu mir einfach den Gefallen, ja?" "Okay." "Schön, dann nenn ich dich aber auch wieder July." "Aber wenn mein Name doch Ka... okay, weil du es bist." Ethan lächelte zur Belohnung und betrachtete noch mal die Wunde an seiner Hand. Oder, die Stelle, wo bis vor kurzem noch eine Wunde war! Etwas erstaunt musterte er Kacey noch einmal etwas genauer. "Dann stimmt es also..." Er ging einmal um sie herum und sah sie sich ganz genau an. "Waaah! Hey, lass das du Perverser!", und sie stupste ihn weg. Er musste lachen. "Schon gut, schon gut. So was das nicht gemeint! Hm, lass uns jetzt mal lieber etwas ernster werden und über eine möglich Flucht aus diesem Drecksloch nachdenken." "An mir soll's nicht liegen." Kacey verschränkte die Arme. "Aber... hast du einen Plan?" Jetzt sah er sie wieder etwas verzweifelter an. "Ich glaube genau da liegt das Problem." "Heißt das, ohne Hilfe kommen wir hier nicht raus?" "Doch kämen wir theoretisch schon. Ich glaube, ich hab da doch eine Idee. Lass uns darum beten, dass es funktioniert." Ehe sich Kacey versah, hatte er sie herumgewirbelt, hielt sie fest und hielt ihr einen spitzen Stein an die Schläfe. "E...Ethan. Was soll das?" Kacey geriet leicht in Panik. "Beruhig dich wieder, spiel einfach nur mit, ist das klar? Ich tu dir unter keinen Umständen was, glaub mir! Es genügt völlig, wenn die das denken. WACHE!" "Wenn wer was denkt?" "Still, sie kommen!" Der Flur, der sich vor ihrer vergitterten Tür erstreckte war nun von schweren, eisernen Schritten erfüllt. Eine tiefe Stimme rief wütend: "Wer hat hier gerufen?" "HIER DRÜBEN!", brüllte Ethan. "KOMMT BESSER SCHNELL, SONST IST DIE KLEINE HIER DRAN!" Die Schritte schienen schneller zu werden und jemand öffnete die knarrende Kerkertür. Eine kleine Person wackelte in den Kerker hinein und erstarrte bei dem was sie sah. "Was hast du vor?", fragte der Kleine mit seiner tiefen Stimme. "Na was wohl?", antwortete Ethan, "Ich will hier raus." "Und du glaubst, wenn du das Mädchen tötest würdest du hier raus kommen?" "Ja! Und damit habe ich doch recht, oder?" Ethans Stimme klang ziemlich überzeugt, doch Kacey sah, dass die Miene des kleinen Mannes unverändert blieb. "Tu doch mit ihr was du willst, Junge. Wenn du sie tötest, dann ersparst du uns wenigstens die Mühe." "Dann lasst ihr mir keine andere Wahl!" Ethan holte weit aus und wollte zuschlagen. Kacey überkam die Angst, und sie wollte sich befreien, aber er war stärker und hielt sie fest. Sein Arm sauste herunter und Kacey schloss die Augen. "NEIN!" Kein schmerzhafter Aufschlag? Sie öffnete die Augen wieder. Der kleine Mann war auf Ethan zugesprungen und hatte seinen Arm abgefangen. Offensichtlich war er stärker, als er aussah! "GRINN! SCHNELL, KOMM HER! DER KERL HIER DREHT DURCH!" Kacey hatte sich mittlerweile aus Ethans Umklammerung befreit und stand hilflos in einer Ecke, während der kleine Mann versuchte Ethan den Stein zu entreißen und ihn gegen eine Wand rammte. Jetzt kam noch ein anderer Mann in ihre Zelle, diesmal ein großer mit vielen Muskeln. Er schien Kacey zu übersehen und lief direkt auf Ethan zu. "LAUF!", schrie Ethan Kacey zu. Wahrscheinlich war das ihre einzige Chance! Sie musste aus diesem Kerker kommen, und irgendjemanden finden, der ihnen helfen konnte! Also lief sie. Das Letzte was sie sah war, wie Ethan einen heftigen Schlag in den Magen bekam. Sie hätte ihm zwar lieber geholfen, als einfach wegzurennen, aber was konnte sie schon ausrichten? Also lief sie den Flur entlang. "DAS MÄDCHEN! LASS IHN HIER LIEGEN! DAS MÄDCHEN IST WICHTIGER! LOS, IHR NACH!" Anscheinend hatte der Kleine mittlerweile geschnallt, was los war. Ein Grund mehr für Kacey an den Kerkertüren mit einem erstaunlichen Tempo vorbei zu rennen. Zu ihrem Glück, waren keine Wachen oder ähnliches aufgestellt. Sie erreichte eine Tür. Anscheinend war es der einzige Ausweg, den es von hier gab. Ohne groß nachzudenken riss sie die schwere Holztür auf und rannte ins Ungewisse. Sie hatte keine große Zeit um auf das um sie herum zu achten, denn die Schritte und rufe ihres Verfolgers kamen näher. Dennoch, sie war ins Freie gerannt! Das helle Licht blendete sie zwar vorerst etwas, dennoch gab es ihr wieder Hoffnung. Sie hatte schon befürchtet, sie müsse sich aus einer Festung voller Wachen kämpfen, oder ähnliches. Sie drehte ihren Kopf um zu sehen, wie weit ihr Verfolger noch hinter ihr lag. Noch weit genug, aber wenn er dieses Tempo beibehielt, dann hatte er sie bald! Ein Wiehern lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Pferde? Sie konnte noch ungefähr hundert Meter weit entfernt ein Gatter erkennen. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Wenn sie ein Pferd hätte, würde sie den Verfolger vielleicht abhängen! Sie schwang sich über das Gatter und rannte auf das erstbeste Pferd zu. Mit einem Satz schwang sie sich auf seinen braunen Rücken, so schwungvoll, dass sie beinahe heruntergefallen wäre, und sie trat kräftig zu. Das Pferd machte einen Satz und galoppierte los. Zum ersten Mal war Kacey wirklich dankbar für ihren Reitunterricht! Ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten war zwar wesentlich schwieriger, aber angesichts ihrer Situation hatte sie ja keine Wahl gehabt! Sie krallte sich in der Mähne des Pferdes fest und klammerte ihre Oberschenkel so fest an den Pferdekörper, dass es schon weh tat. Denn eines hatte sie noch vor sich: Den waghalsigen Sprung über das Gatter! Kacey spürte, dass das Pferd beim Anblick des Gatters langsamer werden wollte, aber Kacey ließ das nicht zu. Sie konnte sehen, wie sich hinter dem Gatter ein Wald erstreckte. Das perfekte Versteck! Dort würde sie ihren Verfolger wahrscheinlich mühelos abschütteln können! Sie musste diesen Sprung einfach schaffen, sonst landete sie wieder in diesem Drecksloch, wie Ethan es genannt hatte, und sie wusste nicht, was sie dann mit ihr machen würden. Dennoch hatte sie Zweifel, dass sie den Sprung schaffen würde. Am Pferd zweifelte sie nicht, das Gatter war nicht gerade sehr hoch, sie zweifelte vielmehr an sich selber. Sie war vorher noch nie mit einem Pferd gesprungen, und dann musste es gleich so hoch sein! Die Muskeln den Pferdes spannten sich, es setze zum Sprung an und landete sicher auf der anderen Seite und galoppierte in den Wald. Allerdings saß Kacey nicht mehr auf seinem Rücken. Sie war genau wie sie es befürchtet hatte gnadenlos runter gestürzt. Sie lag für einen Moment benommen auf dem Boden. Mühevoll stütze sie sich auf ihre Arme. Dann wurde sie unerwartet von jemandem in die Höhe gerissen. Das war's, dachte Kacey. "Los, reiß dich zusammen!" Diese Stimme kannte sie! Sie blieb mit zitternden Knien stehen und versuchte sich umzudrehen. "Au!" Ihr linker Fuß knackste und sie knickte nach vorne weg, aber er fing sie auf. "Anscheinend hast du dir den Fuß verletzt. Na gut, wir müssen schnell weg hier!" Ehe sie sich versah hatte er sie auf die Arme genommen und trug sie mit großen Schritten weg. Kacey drehte den Kopf in die Richtung, aus der ihr Verfolger kommen musste. Sie hatte sich durch die Aktion mit dem Pferd einen großen Vorsprung verschafft, aber durch ihren Sturz hatte er ihn schon fast wieder aufgeholt. Jetzt konnte sie nicht mehr laufen und ihr Träger war mit ihr auf dem Arm ebenfalls in seiner Geschwindigkeit begrenzt. Sie sah zu ihm hoch, aber sein Gesicht war in ein weißes Tuch gewickelt. Überhaupt war er gänzlich weiß gekleidet. "Warum hilfst du mir?", fragte Kacey. "Wir haben jetzt... keine... Zeit für... solche Gespräche!", erwiederte er außer Atem. Er war in den Wald gelaufen. Entweder er kannte sich in diesem Wald aus, oder es war Zufall, dass sie eine kleine Lichtung erreichten. An einem großen Baum legte er sie nieder. "Hier!" Er gab ihr eine kleine Ampulle. "Trink das!" Kacey sah ihn nur mit großen Augen an. "Was ist? Worauf wartest du? TRINK!" Es war nicht zu überhören, dass er wollte, dass sie es schnellstens trank. Dennoch beobachtete sie die merkwürdig gelb gefärbte Flüssigkeit misstrauisch. "Mensch was hast du?! Komm mir jetzt bitte nicht mit der Frage, ob du mir vertrauen kannst, oder so etwas in der Art, dafür ist jetzt echt verdammt noch mal keine Zeit!!!" Er drehte sich in die Richtung aus der ihr Verfolger angerannt kam. "Jetzt trink es!", sagte er noch einmal mit Nachdruck, während er in eine Angriffsstellung ging, bei der er eine Hand in seinen weißen Umhang steckte. Ihr Angreifer hatte mittlerweile ein Schwert gezogen und lief bedrohlich auf sie zu. "JETZT TRINK!", rief er schon fast wütend. "Sag mir wenigstens, wie du heißt!", bat Kacey, "Dann trink ich es sofort! Egal was es ist! Versprochen!" "Rafe! Und jetzt TRINK BITTE!" Kacey hielt ihr Versprechen und leerte die Ampulle. Es schmeckte widerlich. Ein vertrautes Schwindelgefühl überkam sie wieder, und sie bekam noch aus der Ferne mit, wie Rafe ebenfalls ein Schwert aus seinem Umhang zog und den Schlag des Angreifers abwehrte. *** "Komm schnell, Schatz! Ich glaube sie kommt zu sich." Kacey öffnete die Augen. "Endlich bist du wieder wach.", sagte Melissa mit erfreutem Blick zu ihr. Kacey sah, wie sich ihr Vater ihrem Bett näherte. "Hallo Kleines.", sagte er, während er sich an ihr Bett kniete und ihre Hand nahm. "Dad.", sagte Kacey, "Was machst ihr hier? Wo ist...?" Mit einem Mal saß sie senkrecht im Bett. "Was? Wo... wo bin ich? Ist das ein Krankenhaus?", fragte sie entgeistert. Ihr Vater und Melissa nickten. "Aber... wie bin ich denn hier hergekommen? Was ist denn passiert?" "Man hat uns gesagt, du wärest zusammengebrochen. Die Ursache war wahrscheinlich ein Kreislaufkollaps, sagen die Ärzte.", antwortete ihr Vater. "Einen... Kreislaufkollaps?" Sie sah verdutzt auf ihre Bettdecke. Melissa machte einen Schritt auf Kaceys Bett zu. "Man hat uns gesagt du wärst über einem Mann zusammengebrochen. Was war denn da los?" Kacey drehte ihren Kopf ruckartig zu Melissa. "Wo ist er?", fragte Kacey. "Wer?" "Der Mann! Wo ist er?" "Er liegt auch hier irgendwo im Krankenhaus, nehme ich mal an. Er war ebenfalls bewusstlos.", antwortete Melissa. Kacey zögerte keine Sekunde und sprang auf. "Ahhhhh!" Sie knickte zur Seite weg. "Was ist los, Schätzchen!" Ihr Vater war besorgt aufgesprungen und fing sie auf. "Mein... mein Fuß!", jammerte Kacey. "Ist er verletzt?" Auch Melissa kam mit besorgtem Blick auf sie zugelaufen. Kacey nickte. "Diese Ärzte!", schimpfte Mr. Parker, "Die haben sie nicht mal richtig untersucht!" Er schüttelte verärgert mit dem Kopf. "Los Kacey, leg dich wieder hin, du musst dich noch ausruhen!" Kacey drückte ihn von sich weg und versuchte auf einem Bein zu stehen. "Nein! Ich muss zu ihm!", sagte sie entschlossen und humpelte so schnell sie konnte zur Tür. "Kind, du kannst doch nicht barfuss gehen! Außerdem solltest du lieber erst noch mal zum Arzt und deinen Fuß untersuchen lassen!", rief Melissa ihr nach. "Nein!!!", sagte Kacey nochmals, während sie die Tür öffnete, "Ich muss zuerst wissen, wie es ihm geht!" Und sie schloss die Tür hinter sich. Mr. Parker wollte ihr nachgehen und sie zurückholen, aber Melissa hielt ihn zurück. "Lass sie.", sagte sie ruhig zu ihm, "Ich glaube, das scheint ihr sehr wichtig zu sein. Wir sollten sie gehen lassen." "Aber Melissa, sie ist ver..." "Bitte! Lass sie.", sagte Melissa lächelnd und umarmte ihn. Kacey war den ganzen Weg bis zur Rezeption im untersten Stockwerk gehumpelt. Etwas außer Atem sprach sie die ältere Dame dort an. "Entschuldigung?" "Guten Tag. Kann ich ihnen helfen, kleines Fräulein?", fragte die Dame höflich. "Ähm, ja, äh guten Tag. Ich würde gerne wissen, ob jemand mit dem Namen E... äh, Tony Mitchell hier irgendwo im Krankenhaus liegt." "Einen Augenblick bitte." Die Frau sah schnell in ihrem Computer nach und Kacey bemerkte erst jetzt, dass sie vielleicht doch besser auf Melissas Rat gehört hätte, und nicht barfuss gegangen wäre. Hier war es nämlich doch ziemlich kalt. "Ein Tony Mitchell liegt hier nicht, aber jemand mit dem Namen Anthony Mitchell. Zimmer 149. In der zweiten Etage." "Oh, vielen Dank." Kacey setzte sich wieder in Bewegung. Anthony also. Den ganzen Weg zu humpeln war wirklich mühsam. Endlich war sie in der zweiten Etage angekommen. Zimmer 149 schien nur leider am anderen Ende des Flurs zu liegen. Also hieß es weiterhumpeln. 146, 147, 148, endlich Zimmer 149. Kacey streckte gerade die Hand zur Türklinke aus, als die Tür von innen geöffnet wurde. Ein Arzt kam ihr entgegen. "Oh, guten Tag.", sagte er höflich, "Geht es Ihnen wieder besser?" Kacey sah ihn fragend an. "Gucken Sie nicht so entgeistert, ich bin der Arzt der Sie behandelt hat. Wollen Sie in dieses Zimmer?" Kacey nickte. "Ist der Mann da drin ein Freund von Ihnen?" Wieder nickte sie. "Haben Sie ihn auch untersucht? Wie geht es ihm?", fragte sie. "Nun ja, wissen Sie, eigentlich darf ich es Ihnen nicht sagen." "Bitte!", drängte Kacey. Anscheinend konnte er ihrem verzweifelten Blick nicht standhalten, und er trat einen Schritt zur Seite. Kacey humpelte ins Zimmer. "Was..." Sie trat näher an Tonys Bett. "Was ist denn mit ihm passiert?" "Er liegt im Koma.", hörte sie die Stimme des Arztes hinter sich. "Wir haben von dem Mann der den Krankenwagen gerufen hat gehört, Sie und der Mann wären einfach zusammengebrochen. Stimmt das?" "Ja." Kaceys Augen füllten sich mit Tränen. "Können Sie uns sagen, wie das passiert ist? Es ist nämlich eigentlich nicht allzu normal, dass ein kerngesunder Mensch von einer Sekunde auf die andere ins Koma fällt." "Ich... ich weiß nicht genau, was passiert ist.", sagte Kacey und eine Träne kullerte aus ihren Augen. "Hey, bitte beruhigen Sie sich wieder. Ich glaube schon, dass er bald wieder aufwachen wird. Aber vielleicht könnten Sie mir ja bis dahin noch eine Frage beantworten, ja?" Er ging an Tonys Bett. "Als sie beide eingeliefert wurden, dass war gestern Nachmittag, waren wir der Ansicht, sie beide hätten lediglich (Anmerkung der Autorin: lediglich? ) einen Kreislaufkolapps." Er sah sie an. "Und weiter?", fragte Kacey verunsichert. Worauf wollte er hinaus? "Nun ja." Er zog die Bettdecke ein Stück von Tony herunter und hob sein Schlafanzughemd hoch. Kacey öffnete den entsetzt den Mund und stellte sich neben den Arzt. "Sie sehen richtig. Als ich ihn gestern Abend untersucht habe, war sein Körper noch nicht von Prellungen und blauen Flecken übersäht. Und wie ich sehe, haben auch Sie eine Verletzung mehr, als gestern." Er deutete auf ihren Fuß. "Können Sie mir das vielleicht erklären?" Kacey sah den Arzt an. "Ich... bin eben gerade umgeknickt. Es ist nichts schlimmes, es geht schon wieder.", versicherte sie ihm. Der Arzt sah sie noch einen Moment lang an, schenkte seine Aufmerksamkeit dann wieder Tony. "Und was ist mit ihm? Können Sie mir vielleicht sagen, wie er zu diesen Verletzungen gekommen ist?" Kacey wollte nicken, entschied sich dann aber doch für ein Kopfschütteln. "In Ordnung.", sagte der Arzt. "Wenn es Ihnen vielleicht doch einfallen sollte, oder wenn Sie eine Vermutung haben, dann kommen Sie doch bitte zu mir." Diesmal nickte sie, auch wenn sie wusste, dass sie ganz bestimmt nichts dazu sagen würde. "Können Sie mich vielleicht mit ihm allein lassen, bitte?", fragte sie mit leiser Stimme. Der Arzt nickte. "Ich glaube, ich kann Ihnen vertrauen. Und ihren Fuß lassen Sie bitte noch einmal untersuchen, verstanden?" Wieder nickte sie. Der Arzt ging aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Kacey sah Tony an und kniete sich vor sein Bett. Dann konnte sie einfach nicht mehr an sich halten und brach in Tränen aus. "Es ist alles meine Schuld!", schluchzte sie, "Wenn ich nicht geschrieen hätte, dann würdest du jetzt nicht im Koma liegen! Es tut mir so leid!" "Hey, ist schon gut." Jemand legte seine Hand auf ihre Schulter. Kacey drehte den Kopf. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass wieder jemand ins Zimmer gekommen war. "Was machst du denn hier?", schluchzte sie. "Ich bin ein Freund von Tony.", sagte Luke. Er hatte sich vor Kacey gekniet. "Mach dir keine Sorgen, der wacht bestimmt wieder auf. Ist'n harter Kerl.", versicherte auch er ihr. Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. "Es ist alles meine Schuld.", sagte sie. Luke schüttelte den Kopf und nahm sie in den Arm. "Nein.", sagte er, "Es ist nicht deine Schuld. Bitte beruhig dich wieder." Aber Kacey konnte nicht anders als einfach wieder loszuheulen. "Geht's wieder?", fragte Luke. Kacey nickte und löste sich ein wenig aus seiner Umarmung. "Ja, ich glaube, ich hab dein Hemd jetzt genug vollgesabbert.", sagte sie entschuldigend. "Keine Ursache. Ich stell dir meine Hemden gerne zur Verfügung, wenn du dich mal wieder ausheulen musst.", sagte er mit einem Lächeln. "Genug davon. Du solltest jetzt lieber wieder in dein eigenes Zimmer zurück. Und sag mal", er sah sie noch mal von oben bis unten an, "frierst du nicht?" "Doch..." "Schon gut, du brauchst mir nicht zu erklären, warum du im Schlafanzug und zudem auch noch Bahrfuß durch dieses Krankenhaus spazierst, obwohl das sicher ne interessante Geschichte wäre." Er stand auf und zog sie hoch. "Lass uns jetzt noch mal zum Arzt." Kacey sah ihn etwas irritiert an. "Was?" "Na, dein Fuß." "Woher... ach...ach so, mein Fuß! Ja stimmt, den sollte sich der Arzt noch mal ansehen." Kacey war verwirrt. Woher wusste er denn jetzt schon wieder, dass ihr Fuß verletzt war? Er hatte doch im Grunde noch keine Gelegenheit gehabt darauf zu achten. Aber Kacey wollte ihn jetzt lieber nicht danach fragen. Wahrscheinlich war er einfach nur ein guter Beobachter. "Was ist? Träumst du?", fragte Luke, als sie nicht auf seine Frage reagierte. "Hä? Hast du was gesagt?" "Ich wollte nur wissen, ob ich dir helfen soll. Wenn du magst, trag ich dich zum Arzt." Und jetzt setzte er wieder sein Grinsen auf. "Na gut! Warum nicht!" Kacey drehte sich noch einmal zu Tony um. "Ich besuch dich morgen wieder!", sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Und danke.", flüsterte sie ihm zu. Dann hüpfte sie dem überraschten Luke auf den Arm. "Na los! Worauf wartest du? Bewegung! Mein armer Fuß muss behandelt werden! Hopp hopp!" "Zu Befehl!" Luke drehte sich mit ihr auf dem Arm um und versuchte einen Schritt zu gehen. "Warum wackelst du denn so?", fragte Kacey mit einem ganz scheinheiligen Gesicht. "Also! Erst groß rumlabern und dann meckern! Ich tu mein bestes!" Und er trug sie immer noch wackelig zur Tür. "Schon gut", sagte Kacey schließlich, "das wird mir jetzt aber doch etwas zu wackelig. Lass mich wieder runter." Sie machte eine Bewegung um von seinem Arm zu klettern, aber Luke hielt sie fest. "Heeeey! Lass mich runter!", beschwerte sie sich, als sie schon aus der Tür waren, "sonst falle ich noch!" Luke lachte. "Keine Sorge, ich halt dich schon fest." Seine Schritte waren mittlerweile sicherer geworden und er trug sie mühelos den ganzen Weg. (Anmerkung der Autorin: Was für ein Kerl...) Der Arzt, den sie vorhin in Tonys Zimmer getroffen hatte, kümmerte sich gerade um ihren Fuß. Kacey hatte irgendwie ein komisches Gefühl bei diesem Mann. Obwohl er eigentlich ganz nett aussah. Er hatte eine putzige graue Halbglatze und einen grauen Bart. Dazu kam noch die etwas extravagante Brille. Sie musste bei seinem Anblick innerlich lächeln. Sie sah zu Luke. Er hatte darauf bestanden, dass er bei der Untersuchung dabei sein durfte, schließlich hatte er sie den ganzen Weg bis hierhin geschleppt! "Der Fuß ist verstaucht, mein Fräulein.", sagte der Arzt mit einem strengen Unterton in seiner Stimme. "Und jetzt erzählen Sie mir doch bitte, wie es dazu gekommen ist." "Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich umgeknickt bin.", sagte Kacey. Aber der Arzt schüttelte nur den Kopf. "Ich bitte Sie. Ich hatte eigentlich gehofft diesmal die Wahrheit zu hören." Kacey verzog die Lippe. Sollte sie ihm denn wirklich die Wahrheit sagen? Warum eigentlich nicht? "Ich bin vom Pferd gefallen.", sagte sie ehrlich. Luke musste kurz auflachen, wurde aber bei dem Blick, mit dem ihn der Arzt ansah wieder still. Ein amüsiertes Lächeln blieb aber auf seinen Lippen. "Ich sehe schon, wir kommen nicht weiter." "Aber ich bin wirklich, ganz ehrlich, vom Pferd gefallen. Es ist gesprungen und ich bin runtergefallen!" Kacey musste ein Grinsen unterdrücken. Das würde er ihr doch nicht abkaufen? "Also hatten Sie diese Verletzung schon, bevor Sie zusammengebrochen sind. Tja, dann habe ich Sie wohlmöglich gestern nicht gründlich genug untersucht. Ich bitte um Verzeihung." "Schon gut.", sagte sie erleichtert. Sie konnte zwar sehen, dass er ihr immer noch nicht glaubte, aber er fragte wenigstens nicht weiter. Nachdem er ihren Fuß verarztet hatte, wandte er sich Luke zu. "Und Sie junger Mann werden dafür sorgen, dass Ihre Freundin wieder zurück in ihr Zimmer geht." Dabei schlug er ihm freundschaftlich auf die linke Schulter. "Ahhh." Luke verzog schmerzvoll das Gesicht und fasste sich im Reflex an seinen linken Oberarm. "Was haben Sie?", fragte der Arzt etwas erschrocken. "Geht schon wieder.", sagte Luke, aber der Arzt war halt Arzt aus voller Leidenschaft. "Ziehen Sie doch bitte mal ihr Hemd aus.", sagte er ohne Zögern. (Anmerkung der Autorin: Huiiiiiiiiii!) Eigentlich wollte Luke wiedersprechen, aber er machte doch lieber das, was der Arzt wollte. "Luke!" sagte Kacey erschrocken, als sie Lukes Arm sah. Er hatte eine lange Wunde, die an seinem Oberarm begann und sich bis zu seinem linken Schulterblatt zog. Der Arzt sah nicht weniger erschrocken aus. Wahrscheinlich hatte er das nicht erwartet. "Das ist eine Schnittwunde... eindeutig! Was ist denn mit Ihnen passiert?" Luke sah dem Arzt eine Weile in die Augen. "Wie dem auch sei", sagte der Arzt schließlich, "wir sollten die Wunde sofort behandeln. Miss Parker, würden Sie bitte so freundlich sein und draußen warten?" "Aber..." "Bitte Kacey.", sagte Luke. Kacey atmete einmal tief ein. "Na gut. Ich warte draußen. Bis gleich.", sagte sie ein wenig enttäuscht und ging, humpelte, vor die Tür. "Und ich frage dich noch mal! Was ist mit dir passiert?", fragte ihn Kacey aufgebracht. Der Arzt hatte sich um Lukes verletzten Arm gekümmert und er trug jetzt eine Schlaufe um den Arm und um den Hals, damit er den Arm nicht allzu sehr bewegen konnte. Bei Kaceys wiederholter Frage verzog er angenervt sein Gesicht. "Jetzt hör doch endlich mit dieser nervtötenden Fragerei auf!", sagte er genervt. "Nicht eher, bis du mir erzählt hast, was mit dir passiert ist!", beharrte Kacey. Luke packte sie mit seiner freien Hand am Handgelenk und zog sie hinter sich her. "Nicht, hör auf! Falls du es vergessen hast: Mein Fuß ist verstaucht!" "Und mein linker Arm verletzt! Also bereite mir nicht noch mal das Vergnügen, dich tragen zu müssen!" "Moment mal!", Kacey riss sich wütend los, "Du hast doch vorhin darauf bestanden, mich zu schleppen!" Ihre Stimme beruhigte sich wieder. "Wie hast du das eigentlich ausgehalten?", fragte sie leiser. "Ich meine mit deinem Arm..." Luke schüttelte den Kopf. "Das ist halb so wild wie es aussieht. Wenn man mir nicht gerade dagegen schlägt tut es auch nicht weh." Er ging weiter, und Kacey beschloss ihm nachzuhumpeln. Bis zu ihrem Zimmer war es ja nicht mehr weit. Trotzdem hätte ihr der Arzt ruhig ein paar Krücken geben können, damit sie ihren Fuß schonen konnte! Nach der Behandlung von Luke war er allerdings nicht mehr aus dem Behandlungszimmer rausgekommen, zumindest nicht in den zwei Sekunden, in denen Luke ihr signalisiert hatte zu gehen. "Luke, jetzt warte doch wenigstens auf mich! Du weißt doch überhaupt nicht, welches mein Zimmer ist!" Er blieb stehen. "Stimmt eigentlich." Er atmete hörbar aus. "Na los, dann beeil dich.", sagte er ruhig und kam auf sie zu. Er steckte ihr seinen freien Arm entgegen. Kacey hakte sich ohne Worte bei ihm ein. "Das gibt bestimmt eine fette Narbe!", fing sie wieder an, diesmal aber mit einem kecken Unterton in ihrer Stimme. "Aber sicher.", sagte Luke vergnügt. "Diese Narbe wird mich sicher mein Leben lang an meine Heldentat erinnern." "Was denn für eine Heldentat?", fragte Kacey. Luke ging unbeirrt weiter. "Ach, das war nur doof dahergeredet. Als ob ich in der Lage wäre irgendwelche Heldentaten zu vollbringen." Wieder lächelte er sie an. (Anmerkung der Autorin: Luke scheint irgendwie immer gut drauf zu sein... kommt mir aber im Moment etwas wie Eagle aus MKR vor... aber nur im Moment!) "Na ja...", sagte Kacey, "Warum eigentlich nicht?" Sie sah ihm mit leicht zusammengekniffenen Augen an. Lukes Lächeln verschwand und er sah sie etwas irritiert an. "Kacey! Engelchen! Da bist du also!" Melissa kam ihr mit glitzernden Tränchen in den Augenwickeln entgegen. Sie ignorierte Luke in diesem Augenblick völlig und nahm Kacey erleichtert in die Arme und drückte sie etwas zu fest. "Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht. Du warst schon sooo lange weg! Oh, wie ich sehe warst du beim Arzt! Was hat er gesagt? Ist der Fuß schlimm verletzt?" Sie drehte ihren Kopf zu Luke. "Hast du dich etwa um Kacey gekümmert?", fragte sie ihn. Die Art und Weise wie Melissa das "du" aussprach gefiel Kacey nicht besonders. Sie befreite sich aus der Umarmung und stellte sich neben Luke. "Melissa", begann sie, "das ist Luke. Ich habe ihn hier zufällig getroffen." Kacey stockte. War es denn wirklich Zufall gewesen? In den letzten vier Tagen, die sie Luke erst kannte, war sie ihm etwas zu oft zufällig begegnet. Kacey fuhr fort. "Und das Luke, ist meine Stiefmutter Melissa." "Soso! Du bist also Luke." Kacey fand, dass sie ihn etwas zu streng ansah und hörte, wie sie leise etwas murmelte, was sich wie "hätte ich mir ja denken können" anhörte. "Tja also", sagte Luke, "ich werde dann wohl besser gehen." Er setzt sich in Bewegung. "Nein warte!", rief Kacey ihm nach, aber er drehte sich nicht mehr um. "Na toll!", herrschte sie Melissa an, "Jetzt hast du ihn verschreckt!" Sie stolperte trotzig in ihr Zimmer, in dem sie schon seligst von ihrem Vater erwartet wurde. Kaum dass Kacey die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann Melissa Luke hinterher zu laufen. Sie fand ihn seelenruhig an die Wand gelehnt im ersten Stock. Sie ging langsam auf ihn zu. "Luke also.", sagte sie zu ihm. Er nickte nur. "Es tut mir Leid." Ihr Blick ruhte dabei auf seinem Arm. "Wir dachten, sie wäre so weit." Luke sah sie finster an. "Ist sie aber nun mal noch nicht! Und überhaupt, das beurteilen zu können liegt verdammt noch mal nicht in euren Händen!!" Er stieß sich von der Wand ab und wollte gehen. "Warte! Ich habe hier noch etwas für dich." Sie sah auf seinen Arm. "Das wird helfen." Er nahm ihr wortlos die kleine Dose aus der Hand. "Du weißt, wie du damit umgehen musst.", sagte Melissa noch. Sie setzte sich wieder in Bewegung, um zurück zu Kacey und ihrem Ehegatten zu gehen. "Und ab hier übernehme ich wieder.", sagte sie noch. Kapitel 5: Verwirrung --------------------- Endlich war sie mal alleine und konnte über alle Geschehnisse und all das verwirrende Zeug, das sie seit der letzten fünf Tage erlebt hatte, nachdenken. Mittlerweile war sie wieder zu Hause, ein verstauchter Fuß war schließlich kein Grund tagelang im Krankenhaus zu verweilen. Im Krankenhaus hatte sie Besuch von der Polizei bekommen. Von den Polizisten erfuhr Kacey, dass Tony bereits in einige Fälle wegen Körperverletzung verwickelt war. Von Kacey wollten sie nun genaueres über Tony wissen. Allerdings mussten die Polizisten mit enttäuschten Mienen wieder gehen, denn Kacey konnte ihnen keine genauen Antworten geben. Sie kannte Tony nicht wirklich, wusste eigentlich gar nichts über seinen Umgang oder seine Familie oder sonst was. Und ansonsten hatte sie den Polizisten alles erzählt, was sie wusste. Bis auf ein paar entscheidende Kleinigkeiten, wie ein unterirdischer Kerker, ein Muskelprotz der ihn zusammenschlug und anschließend sie verfolgte, ein schmerzhafter Sturz vom Pferd und ein toller weißer Kerl mit einem großen Schwert... Kacey schüttelte den Kopf. Jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für Ironie. Sie musste versuchen einige Dinge zu klären. WAS war denn eigentlich passiert? Sie versuchte sich noch einmal genauestens zu erinnern. Sie hatte sich mit Kevin gestritten, war auf dem Weg zu Patricia, wurde, als sie aus der Straßenbahn stieg, von Tony verfolgt, der sich, nachdem sie in einem Kerker aufgewacht war, als Ethan vorstellte. Dann war sie geflohen, vom Pferd gefallen, hatte sich den Fuß verstaucht und wurde im Endeffekt von einem Typen mit einem Schwert und schlechtem Modegeschmack, der sich Rafe nannte, gerettet, der ihr eine gelbliche Flüssigkeit zu trinken gab, woraufhin sie im Krankenhaus erwachte. Ethan, nein, Tony lag im Koma und sie begegnete rein zufällig Luke, der eine üble Schnittwunde am Körper hatte. Kacey war mehr als nur verwirrt. In ihrem Kopf hörte sie mehrmals eine Stimme die rief: Es passt alles zusammen! Du musst den Gedanken nur zulassen! Aber Kacey weigerte sich. Sie konnte einfach nicht. Dieser Gedanke war so absurd. Aber dennoch wurde sie dieses Stimme in den nächsten Tagen nicht los. Kacey ging jeden Tag ins Krankenhaus und besuchte Tony. Die Ärzte redeten ihr immer gute Sachen zu, wie "Seine Lage hat sich in den letzten Tagen erheblich verbessert" oder "Wir glauben er schafft es" und so. Kacey hörte ihnen meistens gar nicht zu. Sie wusste schließlich etwas in ihrem Inneren, dass die Ärzte nicht wussten. Ethan war gefangen. Und deshalb lag Tony im Koma. Die beiden waren ein und die selbe Person. Die eine hing von der anderen ab, und umgedreht. Kacey schüttelte den Kopf. Sie versuchte immer noch sich gegen diese Gedanken zu wehren. Aber sie spürte, dass sie es nicht mehr lange aushalten würde. Irgendwann musste sie sich wirklich ernsthaft darüber Gedanken machen, was denn eigentlich passiert war. Aber sie hatte Angst davor. Und es gab auch niemanden mit dem sie darüber reden konnte. Außer Tony. Aber der war im Moment nicht in der Lage zu reden. Kacey befand sich gerade wieder auf dem Heimweg. Mittlerweile war eine Woche vergangen und Kaceys Fuß schon wieder verheilt. Es war später als sonst. Kacey hatte wieder mal eine Ehrenrunde in der Schule nachsitzen dürfen. Als sie alleine im Klassenzimmer saß und ihre Aufgaben mühevoll erledigte, war ihr Blick auf die Klassentür gewandert. Sie musste an Luke denken. Hier hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen. Wieso hatte ihr Kevin Luke nicht schon vorher vorgestellt? Sie verbrachten doch angeblich auch recht viel Zeit miteinander. Na ja, sie war allerdings erst seit vier Monaten mit Kevin zusammen. Vier Monate, dachte Kacey. Der Gedanke an Kevin schmerzte etwas. Sie hatte ihn nun schon seit dem Tag, an dem er sich so komisch benommen hatte, weder gesehen noch gehört. Sie war wütend auf ihn gewesen und immer noch der Meinung, dass er sich melden und entschuldigen sollte. Aber mittlerweile spielte Kacey mit dem Gedanken den ersten Schritt zu tun. Das war wahrscheinlich das Vernünftigste. Wenn sie Kevin nicht verlieren wollte, musste sie anscheinend den ersten Schritt machen. Also schlug sie nicht den Weg nach Hause, sondern den Weg zu Kevin ein. Dennoch zögerte sie etwas, bevor sie auf den Klingelknopf drückte. Sie war auf einmal ziemlich nervös. Was sollte sie denn sagen? Sie hatte große Lust Kevin anzuschreien, aber als er die Tür öffnete brachte sie kein Wort mehr heraus. Sie sah ihn einfach an. Kevin trat einen Schritt zurück und ließ sie eintreten. "Bist du allein zu Hause?", fragte sie. Kevin nickte. Gut, dachte Kacey. Also konnte sie ihn anschreien, wenn ihr doch noch danach war. "Du hast dich die ganze Woche nicht gemeldet.", sagte sie. Ihre Augen fingen an sich mit Tränen zu füllen. Nein, jetzt heul doch nicht wieder gleich los, sagte sie zu sich selber. Kevin sah sie etwas verdutzt an. "Kacey", sagte er etwas verunsichert, "ich hab mindestens dreimal am Tag versucht dich anzurufen, aber deine Stiefmutter meinte, du willst mich nicht sehen. Ich bin sogar bei euch vorbeigekommen, aber sie hat mich immer wieder abgewimmelt." "Ist das wahr?", fragte sie ungläubig. "Ach Kacey." Kevin umarmte sie. "Ich dachte schon es wäre aus.", sagte er und drückte sie fest an sich. "Warum bist du denn nur so plötzlich weggerannt?" Kacey sah ihm in die Augen. "Das ist dir immer noch nicht klar?", sagte sie enttäuscht und stieß ihn leicht zurück. Er schüttelte den Kopf. Kacey atmete noch einmal tief durch. "Ich hasse deine Eifersucht! Ich habe keine Lust mehr, mir dein ewiges Gemecker anzuhören. Bloß weil ich mich auch mit anderen Jungs treffe, betrüge ich dich ja nicht! In meinem Freundeskreis sind nun mal auch männliche Wesen vertreten, und wenn du mich nicht verlieren willst, dann solltest du mal langsam versuchen das zu akzeptieren. Und bitte spionier mir nicht nach!" "Ich spioniere dir nicht nach!", sagte Kevin entrüstet. "Und woher wusstest du dann, dass ich Samstag vor einer Woche mit jemand anderem weg war?" Kevin trat einen Schritt zurück. "Du warst mit jemand anderem weg?" "Was soll denn jetzt diese Frage? Du hast mich doch am Sonntag noch einmal darauf aufmerksam gemacht!" "Was?" Kevin verstand nicht. "Na, du hast plötzlich so böse geguckt und mir gesagt, ich solle dir gefälligst sagen, was ich am Samstag gemacht habe. Deshalb bin ich weggegangen.", sagte Kacey. "Weil du mir einfach nicht vertraust. Das verletzt mich.", fügte sie leise hinzu. "Daran kann ich mich nicht erinnern.", sagte Kevin. "Woran?" "Ich hab dir gesagt, wie schön du bist, und dann bist du auf einmal aufgesprungen und meintest ich sollte mal über deine Worte nachdenken. Das hätte ich auch wirklich gemacht, aber ich wusste überhaupt nicht mehr, was du gesagt hattest." Er sah sie mit seinen ehrlichen dunkelblauen Augen an. Kacey wurde nachdenklich. Kevin hatte diese Worte so ehrlich ausgesprochen. "Dann lass uns diesen Tag doch ganz einfach vergessen, okay?", schlug sie vor. Kevin lächelte erleichtert. Kacey kam wieder auf ihn zu und umarmte ihn erleichtert. Sie hatte ihn so vermisst. "Es tut mir leid, aber ich muss jetzt nach Hause.", sagte sie schließlich, "Die machen sich bestimmt schon wieder Sorgen um mich. Außerdem will ich wissen, warum Melissa so einen Schwachsinn erzählt hat. Ich hab die ganze Woche auf einen Anruf von dir gewartet, und dann hat sie mir noch nicht einmal gesagt, dass du angerufen hast." "Vielleicht mag sie mich einfach nicht besonders." Kacey zuckte mit den Schultern. "Das krieg ich schon raus. Mach's gut." Sie gab ihn einen Abschiedskuss auf die Wange und öffnete die Tür. Sie drehte sich noch einmal um. "Kevin?" "Ja?" "Willst du denn gar nicht wissen, mit wem ich Samstag weg war?" Er schüttelte den Kopf. "Es war ja schließlich nur ein Freund.", sagte er lächelnd. Kacey lächelte zurück und nickte. Dann schloss sie die Tür hinter sich. Bevor sie ging lehnte sie sich noch einmal an die Tür und schloss die Augen. Nur ein Freund, wiederholte sie in ihrem Kopf. "Da bist du ja endlich! Ich hab mir schon Sorgen gemacht! Wo warst d..." Aber Kacey ignorierte Melissa einfach und ging an ihr vorbei in die Küche, wo bereits Alicia und ihr Vater saßen und aßen. Kacey setzte sich ohne ein Wort zu ihnen. "Hallo Engelchen!", sagte ihr Vater. "Hi.", sagte Alicia. "Bitte sprecht mich heute nicht an! Ich hab schlechte Laune.", sagte Kacey und klatschte sich etwas Kartoffelpüree auf ihren Teller. Schließlich kam Melissa in die Küche. "Mensch Kleine, was ist denn los mit dir?", fragte sie. "Lass mich bitte in Ruhe. Ich will nicht reden." Sie scheffelte sich den Kartoffelpüree wütend hinein. "Ach, was ist denn passiert?" Melissa schwieg für ein paar Sekunden und machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann fing sie noch einmal neu an und fragte vorsichtig: "Hast du dich etwa von Kevin getrennt?" Da platzte Kacey so heftig der Kragen, dass sie sich beinahe am Kartoffelpüree verschluckt hätte. "Ja, das hättest du wohl gerne, was?" Kaceys Augen spuckten Feuer. "Ka...Kacey! Was soll denn das?" "Pah, tu doch nicht so scheinheilig, du verlogenes Biest!" Mr. Parker sprang entsetzt auf und Alicia verschluckte sich am Kartoffelpüree. "Kacey! Rede nicht in diesem Ton!" "Jetzt misch du dich nicht ein! Du warst doch bestimmt von Anfang an auf Melissas Seite!" "Worum geht's hier eigentlich?", fragte Alicia ziemlich gelassen, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war. Kacey starrte sie an. "Hast du gewusst, dass dieses gemeine Biest Kevin gesagt hat, dass ich ihn nie wieder sehen will?" Alicia und Mr. Parker sahen entsetzt zu Melissa. Melissa fühlte sich in die Ecke getrieben. "Aber... aber es war doch nur zu deinem Besten!", stammelte sie. "Versuch du mir nicht zu sagen, was für mich das Beste ist, und was nicht. Dazu hat niemand ein Recht, und DU SCHON GAR NICHT!" Kacey war so wütend, dass sie anfing zu schreien. "Bitte Kacey, wirklich! Ich wollte nur nicht..." "VERDAMMT NOCH MAL, HALT ENDLICH MAL DEINE KLAPPE!" Kacey hatte entgültig genug. Sie rannte energisch in ihr Zimmer und knallte die Tür mit einer solchen Wucht zu, dass das Haus wahrscheinlich noch tagelang davon zittern würde. Kacey schloss ihre Tür zu und war so wütend auf Melissa, dass sie auf ihr bittendes Klopfen hin, bloß ihr Schmuckkästchen gegen die Tür pfefferte. Melissa gab daraufhin Ruhe. Dennoch ärgerte sich Kacey, da sie das erstbeste was sie gefunden hatte gegen die Tür geschmissen hatte. Das Schmuckkästchen war ein Geschenk von ihrer Mutter gewesen. Fast behutsam hob sie es wieder auf und stellte es zurück an seinen Platz auf der Kommode. Dann begann sie langsam den verstreuten Schmuck einzusammeln. Dabei weinte sie lautlos. Sie hasste es sich zu streiten. Aber sie weinte auch, weil sie von Melissa unglaublich enttäuscht war. Melissa nervte sie oft mit ihrer Art. Sie machte sich andauernd Sorgen, dass Kacey oder Alicia irgendetwas passieren könnte. Aber dennoch war sie immer nett und umgänglich gewesen. Und eigentlich musste sich Kacey eingestehen, dass sie Melissa mittlerweile recht gerne hatte. Das machte ihre Enttäuschung noch größer. So ein linkes Ding hätte sie ihr wirklich nicht zugetraut. Was hatte sie denn plötzlich gegen Kevin? Kacey sammelte gerade eine Kette auf, die Melissa ihr mal geschenkt hatte. Sie war silbern und hatte einen Anhänger in Herzchenform. Blöde Kuh, dachte Kacey nochmals und wollte die Kette in die nächstbeste Ecke schmeißen. Aber sie entschloss sich ihn doch lieber wieder in das Kästchen zu legen. Kacey sammelte noch den restlichen Schmuck auf und tat ihn an seinen eigentlichen Ort zurück. Dann atmete sie noch einmal durch und fing an ihr gesamtes Zimmer zu säubern. Sie war zwar kein Fan vom Aufräumen, aber sie brauchte jetzt etwas Ablenkung. Sie war gerade dabei ihre Klamotten aufzusammeln, die bei ihr an manchen Tagen quer durchs Zimmer flogen (Anmerkung der Autorin: Wer kennt das nicht? *seufz*), da hörte sie ein leises Klimpern. Sie schaute sich um. Wahrscheinlich war ihr irgendein Geldstück aus einer Tasche des Klamottenberges gefallen. Aber sie sah nur einen Ohrring. Sie stand da mit einem Klamottenberg auf den Armen und betrachtete den Ohrring, der auf dem Boden lag. Irgendwie rief dieser Ohrring einige Erinnerungen in Kacey hervor. Jede davon hing mit Luke zusammen. Ihr erstes Treffen, seine blutige Nase, das Frühstück, seine Verletzung... Plötzlich fasste Kacey einen Entschluss. Sie warf den Klamottenberg vor ihre Füße und begann darin zu wühlen. Hier irgendwo musste er doch sein! Schließlich fand sie auch den zweiten Ohrring. Sie steckte beide in ihre Hosentasche, kämmte sich noch einmal durch das Haar und versuchte sich langsam aus dem Haus zu schleichen. Melissa und ihr Vater saßen im Wohnzimmer. Melissa heulte sich laut genug bei ihrem Mann aus, dass Kacey sich mit Leichtigkeit an ihnen vorbeischleichen konnte. Als sie sich schon Schuhe und Jacke angezogen hatte wurde sie allerdings von Alicia überrascht. "Wohin des Weges Schwesterchen?" "Pssst! Bitte!", flüsterte Kacey. Alicia nickte nur, zog sich ebenfalls Schuhe und Jacke an, schnappte sich ihre Autoschlüssel und rief: "Dad! Melissa! Ich fahre jetzt zu Jeremy, bin heute Abend wieder da!" Sie schloss hinter sich und Kacey die Tür. "Lass mich hier raus." "Ich hole dich dann in zwei Stunden wieder ab, okay?" "Ich komm schon alleine klar, danke." "Kacey." Alicia betrachtete ihre Schwester nachdenklich. "Wie willst du denn hier wieder alleine wegkommen? Willst du etwa trampen?" Kacey lächelte über die Sorge ihrer Schwester und schüttelte den Kopf. Zumindest nicht wirklich, sagte sie zu sich selber, während sie die Autotür zuschlug. "Ich bin hier verabredet.", sagte sie. Alicia zuckte etwas verwirrt mit den Schultern und fuhr los. Kacey setzte sich in Bewegung. Nach einer Weile kam sie zu einem kleinen See. Sie atmete die klare Luft des Waldes ein, der sich um sie herum erstreckte. Dann sah sie sich um. Anscheinend war sie alleine. Der kleine See an dem sie sich befand war mehr oder weniger ein unbekanntes Fleckchen, das nur den Leuten in der Gegend gut bekannt war und im Sommer als Badesee benutzt wurde. Aber jetzt war es noch zu kalt zum Schwimmen. Und zu warm zum Schlittschuhlaufen. Also wer sollte sich schon um diese Jahreszeit die Mühe machen hierher zukommen? Na ja, außer vielleicht ein paar Wanderern, die gerne von den markierten Wanderwegen abkamen. Dennoch war sich Kacey sehr sicher, dass sie hier eigentlich von niemanden gestört werden sollte. Sie setzte sich auf einen Baumstumpf und schaute auf das Wasser. Im Sommer war sie früher immer mit ihrer Familie hierher gefahren und sie hatten alle zusammen im Wasser geplanscht. Und im Winter konnte man hier Schlittschuh laufen. Sie seufzte. Sie war nun schon jahrelang nicht mehr hier gewesen. Das letzte Mal, kurz bevor sich ihre Eltern getrennt hatten. Kacey riss sich abrupt aus ihren Erinnerungen und konzentrierte sich wieder auf ihr eigentliches Problem. Wieder sah sie sich um. Sie hatte das Gefühl, als werde sie beobachtet. Kacey stand auf. Na dann wollen wir mal sehen ob du dich zeigst!, dachte Kacey. Sie ging näher an das Ufer heran. Der kühle Wind strich ihr noch einmal durch das Haar. Das wird jetzt ziemlich kalt. Augen zu und durch. Nebenbei kam Kacey der Gedanke, dass das wohl die dämlichste Idee ihres bisherigen Lebens war. Sie musste wohl verrückt sein. Welcher normale Mensch tut denn so was?, fragte sie sich selbst. Wahrscheinlich würde sie sich erkälten. Aber, und sie machte einen Schritt ins Wasser, gegen eine kleine Abkühlung konnte man doch nichts sagen? Vielleicht war es ein wenig dämlich in voller Montur schwimmen zu gehen. Aber wenn sie sich auszog, dann würde er vielleicht Verdacht schöpfen. Sie ging immer tiefer ins Wasser. Schließlich konnte sie nicht mehr stehen. Sie hielt sich noch kurz an der Oberfläche und ließ sich dann einfach untergehen. Sie fühlte auch fast sofort den Grund des Sees unter ihren Füßen, schließlich war sie nicht besonders tief untergetaucht. Aber es war tief genug um zu ertrinken, wenn man es drauf anlegte. Kacey hielt die Luft so lange an wie sie konnte. Kacey hatte nach knapp einer Minute keine Luft mehr, doch noch bevor sie auftauchen wollte, wurde sie plötzlich nach oben gerissen. Eigentlich hatte sie schreien wollen, aber sie hatte sich so erschreckt, dass ihr nun entgültig die Luft ausging und sie an der Wasseroberfläche begierig nach Luft schnappte. Sie hatte noch zuviel Wasser im Auge um klar sehen zu können. Aber jemand schleppte sie mehr oder weniger professionell durch das Wasser ans Ufer. Kacey fasste sich schnell wieder und fing an rumzuzappeln, fand nun endlich Boden unter ihren Füßen und befreite sich aus seinem Griff. Sie stand noch ungefähr bis zum Bauchnabel im Wasser, ihre langen Haare klebten in ihrem Gesicht und sie fror ziemlich. Als sie sah wer sie aus dem Wasser hatte fischen wollen, bestätigte sich ihr Verdacht. Ihre Miene verfinsterte sich und sie stapfte schnell aus dem Wasser. "Ich hab es doch gewusst.", murmelte sie. "Kacey, was...???" Mit einem Satz sprang Luke vor sie und hinderte sie am weitergehen. "Was sollte das denn werden?", fragte er entgeistert. "Lass mich vorbei mir ist kalt!" Luke ging neben ihr aus dem Wasser. "Beantworte meine Frage!" "Nein!", sie drehte sich zu ihm, "Beantworte du zuerst meine Fragen!", forderte sie. "Was machst du hier??? Du willst mir doch jetzt bitte nicht sagen, du bist zufällig mal so eben hier lang gegangen?" "Kacey, ich..." "Ha! Wahrscheinlich genauso zufällig, wie du mir bei Kevin begegnet bist, und im Krankenhaus!" "Kacey..." "Irgendetwas läuft doch hier!? Und ich verlange verdammt noch mal, das mir mal endlich einer sagt, was hier abgeht! Sonst..." "KACEY!" "GLAUBST DU ETWA, DURCH SCHREIEN ERREICHST DU MEHR!" "JA!" Kacey atmete zitternd ein und aus. "Beruhig dich bitte und erklär mir, was das eben sollte.", forderte er. "Gar nichts, ich hatte nur Lust zu schwimmen.", antwortete sie gereizt. Aber Luke legte nur den Kopf schief. "Dann solltest du es vielleicht erst einmal lernen, denn normaler Weise sinkt man nicht so einfach unter, sobald das Wasser tief wird. Es sei denn man legt es drauf an." Kacey wich seinem Blick aus und musterte ihn noch mal. Seine Klamotten klebten an seiner Haut, und bei einem Blick zum Ufer sah sie, dass er wenigstens noch Jacke und Schuhe ausgezogen hatte, bevor er ins Wasser gesprungen war, um sie zu retten. "Ich wusste, dass du mir helfen würdest, falls ich in Schwierigkeiten stecken sollte. Du hast mich beobachtet! Wieso?" "Genau deswegen.", sagte er. Er zog seine Schuhe wieder an und warf Kacey wortlos seine Jacke über die Schultern. "Wie kommst du denn nur auf eine dermaßen blöde Idee?", fing er wieder an. "Ich hätte es nicht getan, wenn du mir nicht nachspioniert hättest!" "Was für ein dämlicher Grund!" Luke schien wirklich sauer zu werden. "Du kannst doch nicht zu dieser Jahreszeit einfach ins Wasser gehen und die Ertrinkende spielen, bloß um mich zu überführen! Wie dämlich bist du eigentlich?" Er packte sie am Arm und ging los. "Was soll das?" "Ich bringe dich nach Hause!" "Ich will aber nicht nach Hause!" Er drehte sich um. "Weißt du was, das ist mir ziemlich egal! Ich bringe dich jetzt nach Hause wo du dir trockene Klamotten anziehen kannst, und dann..." Er stockte. Kacey sah ihn mit großen Augen an. "Und dann, Luke?", fragte Kacey herausfordernd. Er zuckte nur mit den Schultern. "Weiß nicht, aber mir fällt schon noch was ein." "Soll ich das als Drohung wahrnehmen?" Er grinste. "Mal sehen." Auch wenn Kacey es eigentlich nicht wollte musste sie verlegen lächeln. "Ähm, du..." "Ja?" "Musst du mir etwa dabei zusehen? Und wag es jetzt nicht auch nur eine blöde Bemerkung dazu abzugeben!" Aber Luke gab eine blöde Bemerkung ab. Sein wortloses Grinsen. Kacey konnte es sogar noch spüren, als er sich umgedreht hatte. Schnell zog sie ihre nassen Klamotten aus, behielt nur die Unterwäsche an, und zog Lukes trockenes T-Shirt über, dass er noch in seinem Auto rumliegen hatte. Es war ihr natürlich zu groß und ging ihr gerade so bis über den Po. Jetzt war ihr zwar immer noch kalt, aber sie hatte wenigstens etwas trockenes an. "Was ist mit dir?", fragte sie Luke. "Ich will nicht daran Schuld sein, wenn du dich noch erkältest." "Tja, tut mir Leid dich enttäuschen zu müssen, aber das einzige Trockene was ich noch habe sind meine Jacke und meine Schuhe." "Dann zieh doch wenigstens das nasse Hemd aus.", sagte Kacey ganz ohne Hintergedanken (Anmerkung der Autorin: Jaja, gaaaaaaanz ohne Hintergedanken *hihi*, nich so wie ich...^^). Luke überlegte kurz, zog sein Hemd über den Kopf (Kaceys Blick schweifte zufällig auf seinen Körper, wobei sie zweimal hinsehen musste um zu glauben was sie sah) und zog sich die Jacke über, die er offen ließ. "Also", fing er an, "wenn ich mich ausziehe darfst du also hinsehen, aber wenn du dich..." "Luke, um deinetwillen, beende den Satz besser nicht.", sagte Kacey während sie ins Auto einstieg. Kacey lehnte sich gegen die Fensterscheibe des Autos. Sie war müde. Ziemlich müde. Sie spürte, wie ihr langsam die Augenlieder zufielen und sie musste sich echt zusammenreißen, um nicht hier und jetzt einzuschlafen. Das wäre ihr irgendwie peinlich. Sie sah zu Luke und musste mit Erstaunen feststellen, dass es ihm anscheinend ebenso ging. "Ich hoffe, du schläfst nicht beim Fahren ein!", bemerkte Kacey. "Das hoffe ich auch.", erwiderte er. Kacey sah ihn müde an. "Wann sind wir denn da?", fragte sie überflüssigerweise, schließlich kannte sie diese Strecke in und auswendig. Luke zuckte mit den Schultern. "Irgendetwas stimmt doch hier nicht!", hörte Kacey ihn murmeln, schob dem allerdings vor lauter Müdigkeit keine Bedeutung zu. "Du Luke", sagte sie, nur um ein Gespräch anzufangen, damit sie nicht einschliefen, "ich muss dich was fragen." "Okay, schieß los!" Sie drehte sich um und holte ihre nasse Hose hervor. Dann holte sie die Ohrringe aus den Taschen. Luke warf einen flüchtigen Blick darauf und wirkte irgendwie verändert. Er war erschrocken, zeigte es Kacey jedoch nicht. "Ich habe sie heute gefunden, beide! Aber, wenn ich mich recht erinnere, hast du mir doch einen weggenommen, nicht wahr?", sagte sie, als Luke nichts erwiderte, den Blick auf die Ohrringe gerichtet. "Das stimmt.", sagte Luke fest und ohne sie anzusehen. "Und dann, eben als du dein Hemd ausgezogen hast..." Luke schluckte, worauf wollte sie hinaus? "Wenn ich mich recht erinnere, hattest du noch vor ungefähr einer Woche eine fiese Wunde an deinem linken Arm, und heute sehe ich da noch nicht einmal mehr eine Narbe!", sagte sie fest und sah ihn an. Luke befand sich in einer unangenehmen Lage. Verdammt, ich bin unvorsichtig gewesen!, dachte er. Wenn ihm jetzt nicht was Kluges einfiel, würde sie ihn bestimmt durchschauen. Leider fiel ihm nichts ein (Anmerkung der Autorin: Ein echter Kerl eben! ...). Das lag wahrscheinlich an seiner Müdigkeit. Kacey sah ihn noch kurz misstrauisch an, wandte ihre Aufmerksamkeit dann wieder den Ohrringen zu. "Na gut, ich weiß zwar nicht, wie ich dein Schweigen deuten soll", sie öffnete den Verschluss eines Ohrrings und zog ihn an, "aber das ist ja auch deine Sache!" Sie öffnete den Verschluss des zweiten Ohrrings. Plötzlich legte Luke seine Hand auf ihre. Er sah sie immer noch nicht an, schüttelte aber den Kopf, als er bemerkte, dass sie ihn fragend ansah. "Ich will doch nur wissen, was hier vor sich geht!", sagte sie. "Noch nicht!", sagte Luke. Ehe Kacey über seine Worte nachdenken konnte, war sie bereits eingeschlafen. Sie war einfach zu müde gewesen. Luke atmete tief durch. Er nahm ihr den zweiten Ohrring aus der Hand. Er verspürte ein leichtes kribbeln, verstaute den Ohrring dann sicher im Handschuhfach. Seine Müdigkeit verflog langsam. Er sah zu Kacey. Sie sah wirklich süß aus, wenn sie schlief. Und sie soll einmal... Luke dachte den Satz nicht zu ende. Nein, er war ja schließlich hier, damit es niemals so weit kam! Dennoch tat ihm das Herz weh, als er an die Prophezeiung dachte. Er war hier, um ein Schicksal zu verändern, bemerkte aber schon bei einem kurzen Blick zu Kacey, dass es bereits seinen Lauf genommen hatte. Kapitel 6: Salomes Baum ----------------------- *** Kaceys Blick schweifte über die Wiese zu der großen Trauerweide hin. Ihr war schwindelig und ihre Gedanken drehten sich wie wild im Kreis. ,Hier bist du July!' Kacey konnte Ethans Stimme in ihrem Kopf hören. Sie wusste immer noch nicht wirklich, was er damit gemeint hatte. Aber ich werde es heute herausfinden!, sagte sie zu sich selber und ging auf den Baum zu. Letztes Mal war er hier gewesen und Kacey hoffte, dass er es auch dieses mal sein würde. Bei der Trauerweide angekommen schob sie die hängenden Äste zur Seite und war enttäuscht bei dem, was sie sah. Sie sah lediglich den Baum. Sie hatte erwartet ihn hier zu treffen. Irgendwie hatte sie sich sogar ein wenig darauf gefreut. Einen enttäuschten Seufzer konnte sie nicht unterdrücken. "Wer sind Sie?" Kacey fuhr erschrocken herum. Aber als sie sich umsah, konnte sie niemanden entdecken. "Ich bin hier oben!" Als Kacey den Kopf in den Nacken legte entdeckte sie eine Frau, die in der Krone des Baumes saß. "Mein Name ist... July!", rief Kacey ihr entgegen. "July?" Die Frau schien zu überlegen, ob sie diesen Namen nicht schon einmal gehört hatte, schüttelte aber dann den Kopf. "Ein schöner Name." Kaum hatte sie das gesagt, sprang sie von dem Baum herunter direkt hinter Kacey, die erschrocken herumwirbelte. Zu Kaceys Verwunderung hatte die Frau nicht einen einzigen Kratzer abbekommen, obwohl sie gerade mindestens fünf Meter in die Tiefe gesprungen war. Außerdem schien sie einen ungewöhnlichen Körper zu haben. Ihr Gesicht sah aus wie das eines Menschen, aber ihre Arme und ihre Beine schienen im Verhältnis zu ihrem Körper ungewöhnlich lang zu sein. Ihre Hände erschienen Kacey zu breit und die gekrümmten Fingernägel erinnerten sie mehr an Krallen. Die einzigen Kleidungsstücke die sie trug, waren ein kurzes Tuch, welches sie im Nacken zusammengebunden hatte und ein weiteres , welches sie über der Hüfte knotete. Die hellgelbe Farbe der Tücher hob sich von ihrer braunen Haut ab. "Mein Name ist Salome.", sagte sie mit einer sanften und für eine Frau ungewöhnlich tiefen Stimme zu Kacey, wobei sie sie mit ihren hellgrünen Augen freundlich ansah. "Wa... was sind Sie?", fragte Kacey, noch immer über diese merkwürdige Frau erstaunt. Salome lächelte. "Gibt es denn dort, wo du herkommst keine Wesen wie mich? Anscheinend nicht, sonst würdest du wohl nicht solche seltsamen Fragen stellen. Ich bin eine Waldelfe." Kacey machte ein ungläubiges Gesicht. "Eine Waldelfe? Nein, Waldelfen gibt es dort wo ich herkomme wirklich nicht!", antwortete sie. Salome machte ein trauriges Gesicht. "Ach, wie Schade.", sagte sie. "Und wer kümmert sich dann um eure Wälder und eure Wiesen? Oder gibt es so etwas dort, wo du herkommst auch nicht?" "Doch... es gibt Wälder und Wiesen, aber keine Waldelfen oder sonstige Elfen. Die gibt es bei und nur in Geschichten und Märchen!", erwiderte Kacey. Wieder lächelte Salome. "Komm, ich will dir etwas zeigen!", sagte sie und nahm Kacey am Arm, so als ob sie Wiederworte erst gar nicht gelten lassen würde. Sie führte sie aus dem Schutz der Trauerweide hinaus und atmete tief durch. "Kannst du es riechen?", fragte sie ohne Kacey anzusehen. "Was?" "Na, den herrlichen Duft dieser wunderschönen Blumen!" Kaceys Blick schweifte noch einmal über das prachtvolle Blumenmeer, durch welches sie sich eben erst einen Weg gebahnt hatte. Zum ersten mal konnte sie der Farbenvielfalt und dem betörenden Duft ihre völlige Aufmerksamkeit schenken. Sie atmete tief ein und konnte sich nicht erinnern, jemals etwas schöneres gesehen zu haben. "Es ist beeindruckend, nicht wahr July?" Kacey nickte. Sie schaute zu Salome, die sich bereits hinunter gebeugt hatte und einige der Blumen pflückte. "Hey! Die kenn ich doch!", rief Kacey plötzlich, als Salome eine hellblaue Blume pflückte. "Re... Rigraden, oder so hat er sie genannt!", erinnerte sie sich aufgeregt wieder. "Rigriden.", berichtigte sie Salome. "Man nennt sie auch "die Bewegungslosen." "Die Bewegungslosen...", wiederholte Kacey nachdenklich. "Ich erinnere mich noch, dass ich einmal aus versehentlich in ein Feld davon gefallen bin und mich danach nicht mehr bewegen konnte." "Der Blütenstaub dieser Blumen lähmt, deshalb heißen sie ja auch die Bewegungslosen. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem du bäuchlings in das Feld gefallen bist und Rafe dich..." "SIE KENNEN RAFE?", unterbrach Kacey sie energisch. "Wo ist er? Ich will ihn unbedingt sehen! Bringen Sie mich zu ihm!" Salome, ein klein wenig von Kaceys heftiger Reaktion erschrocken, schüttelte den Kopf. "Tut mir Leid, ich weiß leider nicht wo er ist oder wo er sein könnte." "Oh...", sagte Kacey nur enttäuscht. "Verdammt. Ich muss unbedingt mit ihm reden, falls Sie ihn irgendwann mal wieder sehen, sagen Sie ihm das Bitte?", fragte Kacey nachdrücklich. "Das werde ich." Salome machte plötzlich ein erschrockenes Gesicht und wenn sich Kacey nicht täuschte, bewegte sie ihre Ohren, wie ein Katze die angestrengt lauscht. "Du musst gehen, schnell!" Ohne eine Antwort abzuwarten packte sie Kacey am Ärmel und zerrte sie wieder unter die schützenden Blätter der Trauerweide zurück. Dort angekommen sprang sie an den Stamm des riesigen Baumes und kletterte daran empor. Die verwunderte Kacey ließ sie einfach unten stehen. "SALOME? WAS IST DENN LOS?", rief Kacey ziemlich durcheinander nach oben. "SCHT! NICHT SO LAUT, SEI STILL!", rief Salome zurück, wobei sie den Stamm wie ein Eichhörnchen empor kletterte und schließlich in der breiten Krone ankam. Leise vor sich hin fluchend suchte sie die gelbliche Mixtur, die sie extra auf Rafes Auftrag hin in größeren Mengen zubereitet hatte. Als sie sie gefunden hatte, nahm sie eine Flasche und sprang mit ihr in der Hand wieder zu Kacey hinunter, die immer noch verwirrt nach oben schaute. Unsanft packte sie Kacey an den Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen. "July! Hör mir jetzt bitte genau zu!", begann Salome ruhig, aber Kacey konnte die Anspannung in ihrer Stimme trotzdem spüren. "Du bist etwas besonderes und wenn du wieder in deiner Welt bist, erinnere dich bitte daran, das dies kein Traum ist! Es ist real, verstehst du?" Kacey schüttelte den Kopf. Wie sollte sie es auch verstehen, Salomes Worte verwirrten sie bloß noch mehr. Salome machte ein verzweifeltes Gesicht und drehte sich panisch um, als sie plötzlich Stimmen hörte. Wenn ihre Ohren sie nicht täuschten, waren es ungefähr vier von ihnen und sie waren bloß noch fünfhundert Meter entfernt. Sie drehte sich wieder zu Kacey und sprach schnell weiter. "Wenn ich mich nicht täusche, sind es Ohrringe, Rafe erzählte mir etwas von Ohrringen!" "Die... Ohrringe?" Salome nickte heftig. "Was ist mit den Ohrringen?", fragte Kacey unsicher. "Keine Zeit mehr, July! Trink! Schnell!" Salome reichte ihr hektisch die Flasche mit der gelben Flüssigkeit, die Kacey bereits kannte. Kurz zögerte sie. Salome schien einige Antworten auf ihre Fragen zu wissen und wenn sie hier blieb, würde sie vielleicht auch diesen mysteriösen Rafe wiedersehen und zur Rede stellen können. Allerdings übertrug sich Salomes wachsende Panik auf sie und sie beschloss lieber zu tun, was Salome sagte. Sie nahm einen Schluck und kurz darauf hatte sie das Gefühl, ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Dann wurde ihr schwarz vor Augen. *** Kacey öffnete müde die Augen. "Na, wieder wach?", hörte sie eine vertraute Stimme links von sich sagen. Sie drehte den Kopf und sah Luke an. "Tut mir Leid, ich bin einfach zu müde gewesen. Ich wollte nicht einschlafen!" "Ach, das macht nichts.", sagte er nur lächelnd. "Wir sind auch gleich da." Kacey blickte nachdenklich ins Leere. Die letzten fünf Minuten der Fahrt gingen unbemerkt an ihr vorüber und erst als Luke anhielt, bemerkte sie, dass sie bereits vor ihrem Haus standen. "Okay, wir sind da!" "Luke?" "Ja?" "Tust du mir einen Gefallen?" "Natürlich! Was soll ich tun?", fragte er. "Sag mir endlich die Wahrheit! Wie lange willst du mich eigentlich noch für dumm verkaufen?", fragte Kacey aufgebracht. Luke blickte sie stumm an. Wie gerne würde er ihr jetzt alles erzählen, aber er war sich nicht sicher, ob sie schon bereit dazu war. Er wollte bereits antworten, aber Kacey winkte nur enttäuscht ab. "Nein, nein, lass nur, ich sehe ja schon an deinem Blick, dass du es mir sowieso nicht sagen wirst." "Kacey, ich kann es dir noch nicht sagen! Ich wollte dich auch nie für dumm verkaufen, glaub mir!", sagte Luke. Kacey konnte ihre Wut auf ihn nicht mehr unterdrücken und brüllte ihn an: "NA GUT, DANN SAGST DU ES MIR HALT NICHT! ABER DANN LASS MICH IN ZUKUNFT IN RUHE!" Vor Wut kochend öffnete sie das Handschuhfach des Autos und nahm den zweiten Ohrring heraus, bevor sie die Tür öffnete, um sie, nachdem sie ausgestiegen war, wieder zuzuschmettern. Luke wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er aussteigen und ihr hier und jetzt alles erklären? Besser nicht, dachte er sich. Kacey war so wütend gewesen und er wollte sie mit dem was er ihr zu sagen hatte, nicht noch mehr in Rage bringen. Also fuhr er los. Nach kurzer Zeit fiel ihm ein, dass er sie im Besitz beider Ohrringe gelassen hatte. Dennoch beschloss er, Kacey heute mal sich selbst zu überlassen. Was sollte auch schon groß passieren? Das letzte mal, als er sie kurz aus den Augen gelassen hatte, hatte sie sich ja nur ins Wasser gestürzt... Fluchend hielt er sein Auto an, wendete und fuhr zurück. Kacey sah noch, wie Lukes Auto wegfuhr und seufzte erleichtert. Sie hatte schon seit längerer Zeit das Gefühl gehabt beobachtet zu werden, aber dass es wirklich zutraf, damit hatte sie nicht wirklich gerechnet. Was wollte er bloß von ihr? Nachdenklich betrachtete sie die Ohrringe in ihrer Hand und erinnerte sich an das, was Salome zu ihr gesagt hatte. Sie musste niesen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie fror, schließlich war sie ja noch nass und das Wetter schien sich zu verschlechtern. Kacey sah schon, dass sich der Himmel verdunkelte und die ersten kleinen Regentropfen fielen auf ihr Gesicht. Eigentlich sollte sie reingehen, aber Kacey verspürte immer noch nicht den geringsten Wunsch mit Melissa das selbe Haus, geschweige denn, die selbe Welt zu teilen. In der Hoffnung, dass sie weder Melissa noch ihr Vater zufällig sahen, schlich sie sich in den Keller und stellte erfreut fest, dass eine Jeans von ihr frisch gewaschen und trocken an einer der Wäscheleinen hing. Also schlüpfte sie hinein, schlich sich wieder aus dem Haus und machte sich auf den Weg zu Kevin. In ihrer Eile hatte Kacey keine Zeit mehr gehabt sich einen Regenschirm oder eine Regenjacke mitzunehmen, aber das war ihr auch egal, sie war ja sowieso schon nass. Endlich bei Kevin angekommen fror sie noch stärker als vorher und zitterte am ganzen Leib. Kevin machte ein verwundertes Gesicht, als er Kacey tropfend und zitternd vor seiner Haustür stehen sah. "Hi, da bin ich wieder!", begrüßte ihn Kacey mit klappernden Zähnen. "Mensch, Kacey, du zitterst ja am ganzen Körper! Los, komm erst mal rein!", sagte Kevin und ließ sie eintreten. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, fragte er: "Bist du etwa bei diesem Regen und dieser Kälte zu mir gelaufen? Und dazu noch in diesen Klamotten!?" Kacey nickte. Sie konnte seine dumme Frage verstehen, das einzige, was sie trug, waren Lukes T-Shirt und ihre Jeans. "Bist du denn total übergeschnappt? Los, komm, geh erst mal heiß duschen, sonst holst du dir noch den Tod!", befahl Kevin und schob sie vor sich her ins Badezimmer. Kacey musste lachen. "Du klingst ja schon genau wie Melissa!", entgegnete sie ihm. Aber nachdem sie Melissas Namen erwähnt hatte, verging ihr das Lachen. "Kevin, ich hab mit Melissa geredet." "Und, was hat sie gesagt?", fragte er und drehte die Heizung im Badezimmer voll auf. "Sie meinte, dass es nur zu meinem Besten gewesen wäre!" Die Wut auf Melissa stieg wieder in Kacey hoch. Kevin machte ein verdutztes Gesicht. "Hat sie dir auch erklärt, was sie damit gemeint hat?" Kacey schüttelte den Kopf. "Es spielt doch auch überhaupt keine Rolle, wie sie das gemeint hat, Tatsache ist, dass sie uns daran gehindert hat, einander zu sehen! Diese blöde Kuh! Ich glaube, das verzeihe ich ihr nie!" "Und was hast du jetzt vor?", fragte Kevin und reichte ihr ein Handtuch. Kacey zuckte mit den Schultern. "Na ja, das kannst du dir ja noch in Ruhe beim Duschen überlegen. Hast du Hunger? Ich war nämlich gerade am Kochen, meine Eltern sind nämlich auf einer Hochzeit und kommen erst in zwei Tagen wieder." "Ein wenig Hunger hab' ich schon...", gestand Kacey. Kevin nickte lächelnd und schloss die Badezimmertür hinter sich. Nach dem Duschen fühlte sich Kacey gleich ein wenig entspannter und ruhiger. Sie kam gerade mit einem umgewickelten Handtuch aus dem Badezimmer und wollte Kevin darauf hinweisen, dass ihre Klamotten immer noch nass waren, und sie dringend irgendetwas zum Anziehen benötigte. Aber Kevin stand bereits mit ein paar Klamotten von seiner Mutter auf dem Arm vor der Tür. "Macht es deiner Mutter auch nichts aus, wenn ich ihre Kleidung trage?", fragte Kacey, aber Kevin schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Bestimmt nicht. Und selbst wenn, bis sie wiederkommt, liegen die Sachen bereits wieder gewaschen und gebügelt in ihrem Kleiderschrank. Beeil dich, sonst wird das Essen kalt, und ich hab' mir für dich extra so große Mühe gegeben!" Zur Belohnung für seine Mühe gab Kacey ihm einen Kuss und verschwand wieder im Bad. "Puh. Ich bin pappsatt!", stöhnte Kacey. "Ich wusste ja gar nicht, dass du so ein Meisterkoch bist!" Kevin schmunzelte. "Und, hast du dir in der Zwischenzeit überlegt, was du nun machen willst?", fragte er und räumte den Tisch ab. "Du meinst mit Melissa?" Kacey runzelte die Stirn. "Also erst einmal will ich sie heute nicht mehr sehen, so viel steht fest!" Sie machte eine kurze Pause und sah Kevin an. "Kann ich nicht heute nacht einfach bei dir schlafen?", fragte sie schüchtern. Kacey hatte sich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Eigentlich könnte die Zeit genau jetzt stehen bleiben, dachte sie und kuschelte sich noch enger an Kevin. Er war bereits eingeschlafen. Zufrieden beobachtete Kacey sein entspanntes Gesicht und lächelte glücklich in sich hinein. Müde schloss sie die Augen. Kapitel 7: Im Garben-Kerker --------------------------- Es war die Kälte, die Kacey weckte. "Hey Kevin, gib' mir auch was von der Decke ab, mir ist kalt!", murmelte Kacey und versuchte nach der Bettdecke zu greifen. Allerdings bekam sie nicht die Bettdecke zu fassen, sondern Stroh. Einige Sekunden verstrichen, bevor sich Kacey entsetzt aufrichtete und realisierte, dass sie sich nicht mehr in Kevins Bett befand. "Nett, dass du auch mal aufwachst! Weißt du, ich hab mich nämlich ziemlich erschrocken, als du dich plötzlich auf meinem Bett materialisiert hast. Also, äh, wie heißt du?" Langsam drehte Kacey den Kopf nach rechts. "Wobinich?", fragte sie noch ein wenig benommen die blonde Frau zu ihrer rechten. "'Wobinich?' Seltsamer Name für so ein junges Mädchen wie dich... Ich dachte, der Name wäre schon vor hundert Jahren völlig aus der Mode gekommen, aber es soll ja immer wieder Leute geben, die der Zeit völlig hinterherhinken und ihre Kinder mit grausamen und längst überholten Namen quälen. Ich hatte mal einen Cousin, der..." Kacey zwinkerte verwirrt mit den Augen, als ihr die Frau die durchaus dramatische Lebensgeschichte ihres bedauernswerten Cousins erzählte und dabei weder Punkt noch Komma zu kennen schien. Schon nach kurzer Zeit konnte Kacey nicht mehr folgen. "Ähm, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie unterbreche, aber wo bin ich hier?", fragte sie nochmals. Die Frau sah sie nur mit ihren großen blauen Augen an. "Sieh dich doch einfach mal genau um und sag mir, was du glaubst, wo wir sind.", sagte sie und machte eine ausschweifende Bewegung mit ihrer linken Hand. Kacey seufzte. Sie hatte sich bereits umgesehen, aber das was sie sah gefiel ihr überhaupt nicht und sie hatte gehofft, dass die Frau ihr vielleicht antworten würde: "In einem Traum! Und jetzt wach auf!" "Ich bin in einem Gefängnis, oder?", fragte Kacey verzweifelt. "Ich seh' schon, Wobinich, du bist gar nicht so begriffstutzig, wie du aussiehst!" "Ich heiße Kacey.", sagte Kacey. "Was?" "Ich sagte, ich heiße Kacey." "Aber eben sagtest du doch, du heißt..." Kacey schüttelte den Kopf. Die Frau zuckte mit den Schultern. "Na gut, dann halt Kacey. Wobinich hat auch nicht wirklich zu dir gepasst, um ganz ehrlich zu sein.", erwiderte sie. "Ich heiße übrigens Deirdre und du darfst mich auch so nennen, wenn du es möchtest. Um ehrlich zu sein, ich hasse es nämlich, wenn ich gesiezt werde, da kommt man sich gleich um einige Jahre gealtert vor. Und um ganz ehrlich zu sein, mit fünfundzwanzig ist man doch noch nicht alt, hab' ich nicht recht?" Kacey schüttelte den Kopf und verkniff es sich zu sagen, dass sie Deirdre auf den ersten Blick auf mitte dreißig geschätzt hatte, was aber wahrscheinlich daran lag, dass sich ihre Haut und ihre Haare unter einer verkusteten Dreckschicht befanden. "Sag mal, Deirdre, warum sind wir in einem Gefängnis?", fragte Kacey bedrückt. "Also, warum du hier bist, weiß ich auch nicht, aber ich bin hier, weil man meint, ich wäre eine Gefahr für unsere Gesellschaft!" Deirdre verschränkte die Arme vor der Brust und machte ein ernstes Gesicht. "Bevor du mich fragst, wie ich das meine, sage ich dir lieber gleich, dass ich es auch nicht weiß. Vor ein paar Tagen kamen ein paar große Kerle in mein Haus und sagten, ich wäre verhaftet. Sie haben mir den Grund auch nicht gesagt und mich mit Gewalt hierhergeschleift. Grinn, der Typ der mir jeden Tag das widerliche Zeug bringt, dass die hier Essen nennen, meinte zu mir, ich sei "auffällig" geworden, allerdings wollte er mir das nicht genauer erklären." Kaceys Herzschlag setzte für einen Moment lang aus. "Hast du gerade 'Grinn' gesagt?", fragte sie aufgebracht. Deirdre verstand Kaceys plötzliche Aufregung nicht. "Ja, wieso, kennst du ihn etwa?" Kacey nickte. "Ich glaube schon. Deirdre, wir müssen unbedingt hier raus!" "Tolle Idee! Daran hab ich auch schon gedacht. Um ganz ehrlich zu sein denke ich schon eine ganze Weile darüber nach, leider wäre es das erste Mal für mich und ich habe keinerlei Ausbrechererfahrungen, aber ich denke, wir beide schaffen das schon!" Kacey entging Deirdres Sarkasmus und sie schmiedete bereits an einem Plan. "Kacey?" "Ja?" "Aus diesem Loch hier kommt man nicht so einfach raus.", sagte Deirdre. Kacey lächelte ihr aufmunternd zu. "Doch! Ich hab' es schon einmal geschafft, also schaffe ich es auch diesemal!" Deirdres Augen weiteten sich erschrocken. "Was meinst du damit, du hast es schon einmal geschafft? Das heißt, du warst schon einmal hier im Gefängnis? Bist du etwa eine Mörderin oder so was?!" "Wie... wie kommst du denn darauf?", fragte Kacey entsetzt. "Soweit ich weiß, kommen in dieses Gefängnis nur die allerschlimmsten Verbecher! Oder Verrückte. Oder Leute, die 'auffälig' geworden sind...", antwortete Deirdre. "Um ganz ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, wie ich das erste Mal hier hinein gekommen bin. Es war so wie heute, ich bin aufgewacht und war hier.", sagte Kacey. "Das heißt, du bist das erste Mal auch einfach hier hinein teleportiert worden.", schlussfolgerte Deirdre. "Teleportiert?" Kacey musste an Science-Fiction-Filme denken, die sie noch nie richtig verstanden hatte. "Was meinst du damit?", fragte sie. "Na ja, vorhin fing es in meiner dreckigen Zelle hier so mekrwürdig an blau zu glühen und dann sammelte sich das Glühen und du materialisiertest dich daraus. Ich glaube, diesen Vorgang nennt man Teleportation.", antwortete Deirdre belehrend. Kacey sah Deirdre schweigend an. Diese Frau war vielleicht merkwürdig und redete viel, aber Kacey hatte sich vom ersten Moment an in ihrer Nähe wohl und sicher gefühlt. So, als würden sie sich schon lange kennen... Kacey schob diese Gedanken jedoch vorerst beiseite. "Äh, ja, ich denke, so muss das gewesen sein... Aber Tatsache ist, dass ich schon einmal hier herausgekommen bin..." "Und wie?" "Das spielt keine Rolle, es würde sowieso nicht noch einmal auf die selbe Art und Weise funktionieren. Das heißt, vielleicht schon, aber dann würde einer von uns beiden zurückbleiben müssen." "Wir könnten uns ja einfach durchgraben.", schlug Deirdre vor. Sie hatte davon schon einmal in Büchern gelesen. Sie schaute sich suchend um und hob seufzend etwas hölzernes auf. "Mit einem Löffel.", fügte sie trocken hinzu. Eigentlich fand Kacey die Idee an sich überhaupt nicht schlecht, aber es schien sich nicht zu lohnen, ernster darüber nachzudenken. "Neben dem Ausbruch habe ich aber noch ein ganz anderes Problem.", sagte Kacey schließlich. "Ich muss es nämlich schaffen hier auszubrechen und jemanden zu befreien." Deirdre seufzte erneut. "Meine Güte, das wird ja immer komplizierter! Und wer ist die bedauernswerte Person die du befreien musst, wenn man fragen darf?" "Sein Name ist Ethan. Mehr weiß ich auch nicht, um ganz ehrlich zu sein.", antwortete Kacey. Wäre Deirdres Gesicht nicht so dreckig gewesen, hätte Kacey gesehen wie sie blass wurde. "Ethan? Groß, dunkelhaarig, lange Haare?" Deirdres Stimme zitterte. Kacey nickte. "Du kennst ihn?" Für einen Moment lang dachte Kacey, Deirdre würde ohnmächtig werden. Doch Deirdre beschloss sich zusammenzureissen und stand ruckartig auf. "Ja, ich kenne ihn. Und jetzt steh auf! Wir müssen schnell hier raus und Ethan befreien. Ich hab' auch schon eine Idee." "Was ist, Kacey? Willst du hier etwa doch noch Wurzeln schlagen?", fragte Deirdre nervös. "Wir müssen hier raus sein, bevor irgend jemand was mitkriegt! Nun fass dich endlich wieder." "Du... wie...? Ist er... tot?", fragte Kacey mit zitternder Stimme und starrte dabei auf den regungslosen Grinn. "Der? Ach quatsch! Mensch, woher kommst du denn? Das ist ein Wandler! Das sieht man doch auf den ersten Blick! Und wenn du dich nicht endlich zusammenreisst und bewegst, dann macht der uns beide doch noch platt!", antwortete Deirdre. Ein Wandler?, dachte Kacey. Obwohl ihr die Frage, was ein Wandler denn sei auf der Zunge brannte, beschloss sie, sie lieber erst einmal aufzuschieben. Statt dessen stand sie lieber auf und ging so schnell sie konnte an dem bewusstlosen Wächter vorbei und aus der Zelle heraus. Deirdre schloss die Tür wieder und schloss sie mit einem der Schlüssel ab, die sie Grinn entwendet hatte. "Ich hab die Wachen in der Zeit in der ich hier war genau beobachtet und belauscht. Grinn hat gerade eben das gebracht, was die hier Abendessen schimpfen. Das bedeutet, die Sonne müsste so gut wie unter gegangen sein." Deirdre nahm Kacey bei der Hand und ging los. Sie sah sich suchend um. "Deirdre, ich kann kaum was sehen! Wenn du mich weiter so zerrst, fall ich garantiert bald hin!", beschwerte sich Kacey flüsternd. "Die Dunkelheit kann hier nur unser Vorteil sein. Wenn wir nichts sehen, sehen uns die Wachen auch nicht, oder?", erwiderte Deirdre. "Woher weißt du denn, wo es lang geht?", fragte Kacey zweifelnd. "Weiß ich nicht." "WAS? Aber..." Deirdre schnitt ihr das Wort ab. "Ruhig jetzt! Wenn wir zu laut sind, hören uns bloß die Wachen!" "Wo wir gerade von Wachen reden, wie kommt es, dass hier überhaupt keine sind?", fragte Kacey. Deirdre blieb nachdenklich stehen. "Vielleicht wollen sie, dass wir entkommen.", sagte sie leise. Dann zerrte sie Kacey weiter. Kacey sagte eine Weile nichts mehr. Deirdres Worte verwirrten sie bloß. Schließlich kamen sie an eine Stelle, an der sich der Gang nach rechts und nach links teilte. Deirdre brach das Schweigen. "Kommen dir die Gänge hier vielleicht irgendwie bekannt vor?", fragte sie. "Nein.", sagte Kacey. "Aber wie sollen sie mir auch bekannt vorkommen? Ich kann ja kaum was sehen!" "Ethan wird entweder im rechten Gang sein, oder im linken...", sagte Deirdre ungeduldig. "Du sagtest doch, du wärst hier schon einmal raus gekommen, da musst du doch auch hier irgendwo lang gekommen sein!" "Das letzte mal war das anders! Da bin ich... HEY! Ich hab's!", sagte sie plötzlich und sah sich um. "Die Kerkertüren! Sie befanden sich nur auf einer Seite des Ganges, nicht so wie hier auf beiden!" "Auf welcher?", fragte Deirdre aufgeregt. "Auf der rechten!", antwortete Kacey und bevor sie ausgesprochen hatte, wurde sie schon von Deirdre in den rechten Gang geschubst. "Sieh in jede Zelle!", befahl Deirdre. "Ich kümmer mich um die Wache am Ausgang! Hier, fang!" Kacey fing den Schlüsselring auf und sah Deirdre nur noch an sich vorbeihuschen. "Und beeil dich!" Kacey spürte erst jetzt, wie angespannt sie war. Beinahe hätte sie es nicht geschafft den Schlüssel in das Schloss der ersten Tür zu stecken, so sehr zitterten ihre Hände. Sie drehte den Schlüssel und sah in die erste Zelle. Vier Augenpaare starrten sie verwundert an. Kacey sah verwundert zurück. Was sollte sie jetzt tun? "Hey, wer bist denn du?", fragte einer der vier. Dann sah er den Schlüssel in Kaceys Hand. Er wollte schon auf sie losstürmen, aber seine eisernen Armfesseln, die ihn an die Wand fesselten, hinderten ihn daran. Kacey starrte die vier Gefangenen einen Moment an. Was hatte Deirdre gesagt? Mörder? Verrückte? 'Auffällige'... Kacey hoffte, dass es sich bei diesen vier nur um 'Auffällige' handelte und stürmte plötzlich in die Zelle hinein und schloss die Fesseln auf. Dann rannte sie hinaus und öffnete die nächste Zelle. Insgesamt rannte Kacey in sechs Zellen und befreite zwanzig mutmaßliche Schwerstverbrecher, bevor sie endlich Ethans Zelle betrat. Bei seinem Anblick kamen Kacey die Tränen in die Augen, aber sie riss sich zusammen, sie hatte jetzt wirklich keine Zeit zum Heulen. Ethan war ebenfalls mit Armfesseln an die Wand gekettet worden. Als Kacey ihn ansprach, antwortete er nicht. Kacey fragte sich, ob er überhaupt noch lebte und seufte erleichtert auf, als sie sah, dass er noch atmete. Schnell schloss sie seine Fesseln auf. Sie musste ihn festhalten, damit er nicht zur Seite umkippte. Kacey bekam Panik. Sie konnte Ethan kaum am Umkippen hindern, wie um Himmels Willen sollte sie ihn aus der Zelle bekommen? "DEIRDRE!", schrie sie verzweifelt und versuchte Ethan irgendwie hochzukriegen. "DEIRDRE!" "Mensch, Kleine, was schreist du denn so?" Kacey fuhr erschrocken herum. Einer der Gefangenen, die Kacey als erstes befreit hatte, kam auf sie zu. Anscheinend verstand er sofort und kam Kacey zur Hilfe. "HEY!", schrie er. "TRAVIS! HIERHER!" Ein anderer Mann kam einige Sekunden später in die Zelle gelaufen. "MENSCH, TOM, WAS TRÖDELST DU DENN HIER RUM! WIR MÜSSEN ABHAUEN, SOLANGE ES NOCH GEHT!" "HALT DIE SCHNAUZE UND HILF UNS!", schnauzte Tom zurück. Travis war mit einem Sprung bei ihnen und packte Ethan an den Beinen. Gemeinsam schleppten sie Ethan nach draußen. Wie Deirdre bereits vermutet hatte, ging die Sonne schon unter. Travis und Tom schafften den bewusstlosen Ethan nach draußen und Kacey hatte beinahe Mühe mitzuhalten. Draußen herrschte helle Aufregung, die befreiten Leute liefen in alle Himmelsrichtungen und hinter Kacey stürmten noch mehr aus dem Kerker heraus. Kacey hatte den Schlüssel verloren, aber anscheinend hatte ihn schon jemand anders wiedergefunden und befreite nun auch die anderen Gefangenen. "KACEY!" Deirdre kam auf sie zugelaufen. "WIR HABEN IHN!", rief Kacey und lief ihr entgegen. "WIR?", rief Deirdre fragend, dann sah sie die zwei Männer an sich vorbei rennen, die Ethan trugen. "NICHT STEHEN BLEIBEN!", rief Kacey und rannte ebenfalls an ihr vorbei. Deirdre machte kehrt und rannte ihnen nach. Kacey und Deirdre liefen einfach den beiden Männern hinterher, was sollten sie auch anderes machen? Schließlich trugen die beiden ja Ethan! Mittlerweile waren sie in den Wald gelaufen, in den Kacey schon das letzte Mal gelaufen war. Hier machten Travis und Tom halt, legten Ethan vorsichtig auf den Boden und ließen sich erschöpft neben ihn fallen. Als Kacey und Deirdre einige Sekunden später ankamen waren sie ersteinmal alle so außer Atem, dass keiner etwas sagen konnte. Kacey ging mit zitternden Beinen zu Ethan und setzten sich neben ihn. "Mach dir keine unnötigen Sorgen, Kleine. Den kriegen wir schon wieder hin!", sagte Tom keuchend. Nicht, dass Kacey ihm glaubte, aber sie nickte ihm dankend zu. Sie sah sich um. Nach und nach kamen immer mehr Männer angelaufen und versammelten sich um sie herum. Nachdem sie alle wieder einigermaßen zu Atem gekommen waren, erhob sich Tom und half Kacey hoch. "Leute, hört mal her! Jetzt wo wir wieder draußen sind, haben wir keine Zeit für irgendwelche Diskussionen! Das Mädchen hier hat uns befreit, also werden wir ihr jetzt helfen, klar?", sagte er laut. "Diejenigen von euch, die sich noch am besten auf den Beinen halten können, helfen ihren Freund hier zu tragen!" Dann wendete er sich an Kacey. "Wo willst du hin?", fragte er. Kacey sah unsicher zu Deirdre. "Irgendwohin, wo man uns nicht findet!", schlug Deirdre vor. Tom nickte. "Gut, dann sind wir uns ja einig. Also los jetzt!", befahl er. Kacey stolperte. Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal mehr sah, wohin sie liefen. Das war sowieso schwer, denn die Sonne war immer noch nicht aufgegangen und das Mondlicht ließ auch zu wünschen übrig. Sie lief einfach nur den anderen hinterher. Das Tempo hatte sich mittlerweile verringert und ab und an wurden einzelne Ohnmächtig oder fielen hin, weil sie sich einfach nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Beinahe wäre auch Kacey gefallen, aber Tom fing sie noch rechzeitig auf. "Komm schon, mach jetzt nicht schlapp, wir haben's bald geschafft!", sagte er heiser, mehr zu sich selbst, als zu Kacey. "Wo gehen wir eigentlich hin?", fragte Kacey müde. "Na, dahin wo's sicher ist!", antwortete er grinsend. "Wir sind jetzt schon seit 'ner Weile aus dem Wald raus und wenn wir weiter in diese Richtung gehen, sollten wir in ungefähr einer Stunde in Fehnd sein. Dort trauen sich weder die Wandler noch die anderen Wächter rein." "Wieso nicht?", fragte Kacey. Er sah sie erstaunt an. "Weißt du denn nicht, was Fehnd für ein Ort ist?" "Nein.", sagte Kacey. "Weißt du, Fehnd ist eine ziemlich gefährliche Stadt, dort wimmelt es nur so von Verbrechern.", erklärte Tom. "Vielleicht solltest du die Betonung auf das nur legen.", mischte sich Deirdre ein. "Kacey, Fehnd ist eine Stadt, die von Verbrechern für Verbrecher gegründet wurde. So eine Art Zufluchtsort. Niemand, der noch ganz dicht ist, würde sich freiwillig da rein trauen." "Und warum müssen wir dann unbedingt da hin?", fragte Kacey. Sie war auch nicht sonderlich scharf darauf. "Na, weil ich dort gute alte Bekannte hab!", sagte Tom ginsend. "Außerdem kommen wir gerade aus dem Knast, solche Leute sind dort immer willkommen!" "Und außerdem sind wir dort vor Wandlern und vor Wächtern sicher. Die wären tot, kurz nachdem sie den ersten Schritt durch die Stadttore gemacht haben. Selbst eine ganze Armee wäre nicht in der Lage Fehnd einzunehmen.", erklärte Deirdre. Kacey runzelte die Stirn. Sie war sowieso nicht mehr in der Lage ein anständiges Gespräch zu führen, aber die Unterhaltung lenkte sie wenigstens ein bisschen ab. "Und wieso?", fragte sie schließlich. "Weil Fehnd mit der Hilfe von ziemlich genialen Leuten gegründet worden ist. Die Lage ist perfekt und es gibt unzählige Fluchmöglichkeiten, falls es doch mal jemand schaffen sollte Fehnd einzunehmen. Außerdem ist das Verteidigungssystem einfach einsame Spitze!", erklärte Tom und sah sie dabei strahlend an. Kacey war sich sicher, dass sie jetzt auch nicht mehr wusste als voher. "Weißt du", sagte Travis, der Toms Erklärung gehört hatte und seufzend mit dem Kopf schüttelte, "Fehnd liegt in einem Bergpass. Der ist zwar nicht sonderlich breit, aber dafür rund zwei Kilometer lang. Die Häuser sind an den Felswänden entlang gebaut, es gibt sogar verschiedene Plateaus, insgesamt vier. Die Geheimgänge, von denen Tom gesprochen hat, sind Tunnel, die durch die Berge und unter der Erde hindurch gegraben wurden. Allerdings weiß niemand, wo die sind, außer der Boss. Sonst könnt' da ja jeder ungesehen rein und raus spazieren, wie's ihm gefällt! Und das Verteidigungssystem...", Travis machte eine kurze Pause und nickte, sichtlich beeindruckt von dem, was er anscheinend gerade mit seinem inneren Auge betrachtete, "Tja, das Verteidigungssystem ist echt beeindruckend. Daran haben nur die besten Leute gearbeitet, die man dafür kriegen konnte." "Und was genau ist daran so beeidruckend?", fragte nun Deirdre neugierig. "Das, meine Liebe", sagte Travis, "kann ich dir leider nicht verraten, sonst müsste ich dich wahrscheinlich umbringen." Obwohl Travis bei seinen Worten lächelte, war Kacey davon überzeugt, dass er gerade keinen Scherz gemacht hatte. Auch Deirdre schien sich nun ziemlich unwohl zu fühlen. Mittlerweile ging die Sonne auf. Kacey war dafür sehr dankbar, endlich konnte sie wenigstens halbwegs erkennen, wo genau sie hingingen. Nach einer Weile erkannte sie, wie sich vor ihnen Berge aufbauten. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Wenn Fehnd in einem Bergpass lag, dann mussten sie nun wirklich bald da sein! Der Boden schien langsam ein wenig anzusteigen, aber die zunehmende Steigung schien niemandem mehr etwas auszumachen. Plötzlich schienen bei allen die Lebensgeister wieder zu erwachen, jetzt, wo sie kurz vor dem Ziel waren. Tatsächlich kamen sie auf dem letzten Kilometer schneller voran als bisher. Travis hatte sich mittlerweile an die Spitze gesetzt. Dann drehte er sich plötzlich um und wies alle an anzuhalten. Kacey konnte zuerst, weil sie von Männern umringt war, die allesamt größer waren als sie, nicht sehen, was da vorne vor sich ging. Sie schlängelte sich durch die Menge hindurch und trat nach vorne. Ihr Blick fiel zuallererst auf ein kleines Waldgebiet, dass sich ungefähr zweihundert Meter vor dem Bergpass, den Kacey nun entdeckt hatte, erstreckte. Die Bäume waren in einem Halbkreis so perfekt um den Pass angelegt, dass Kacey vermutete, dass sie absichtlich so angepflanzt worden waren. Vielleicht hatte sich an dieser Stelle aber auch einst ein natürlicher Wald befunden, der lediglich auf die gewünschte Form zurecht gestutzt worden war. Jedenfalls bewegte sich Travis nun langsam auf das Waldgebiet zu und verschwand schließlich zwischen den Bäumen. Kacey sah sich verwundert um und hatte keine Ahnung was gerade vor sich ging. Sie hörte, wie Tom, der neben ihr stand, es gerade Deirdre erklärte. "...und damit sie nich angreifen, geht Travis jetzt erst mal alleine vor. Wenn sie ihn erkennen, dann ist eh alles klar und wir können sicher an den Wachen im Wald vorbei." Tatsächlich trat Travis laut lachend mit einem anderen Mann wieder aus dem Wald hervor und winkte den anderen zu, woraufhin sich die Menge wieder in Bewegung setzte. Als sie das kleine Waldgebiet durchquert hatten und endlich durch das geöffnete Stadttor traten, genehmigten es sich einige sofort in Ohnmacht zu fallen um von den heraneilenden Fehndern, anscheinend schon allesamt über das Eintreffen der Gruppe informiert, in das nächstbeste Gasthaus geschleppt zu werden. Auch Kacey machte nun entgültig schlapp und kippte seitwärts gegen Tom, der, bei dem Versuch sie noch irgendwie aufzufangen, gleich mit umkippte. Kapitel 8: Fehnd ---------------- Nachdem sie wieder zu sich gekommen war hatte Deirdre ihr etwas zu essen gebracht und ihr die jetzige Situation erklärt. Ethan war mittlerweile wieder zu Bewusstsein gekommen und verlangte danach Kacey zu sehen. "Es geht ihm zwar immer noch nicht gut, aber er sagt er muss unbedingt mit dir reden, bevor...", Deirdre machte eine kurze Pause und Kacey konnte den Schmerz in ihren Augen sehen. "Bevor was?", fragte sie besorgt. Deirdre seufzte traurig und antwortete: "Es steht sehr schlecht um Ethan. Er war so lange in diesem verfluchten Gefängnis und wurde ziemlich schlecht behandelt, weil er dir geholfen hatte zu fliehen!" Deirdre schluchzte und Tränen liefen über ihr Gesicht. "Hätte ich doch nur früher gewusst, dass er in diesem vedammten Gefängnis ist, dann hätte ich ihn doch befreien können!", rief sie, stützte ihr Gesicht in ihre Hände und fing nun hemmungslos an zu weinen. Kacey wusste im ersten Moment nicht was sie tun sollte. Warum weinte Deirdre so wegen Ethan? Als sie sie schließlich umarmen und trösten wollte, wischte sich Deirdre bereits die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. "Entschuldige.", sagte sie schniefend. "Das musste einfach mal sein. Komm jetzt!" Sie sah Kacey verwirrt auf dem Boden sitzen. "Was ist? Worauf wartest du?", fragte sie und ging nach draußen. Kacey schloss daraus, dass Deirdre jetzt nicht mit ihr darüber reden wollte und folgte ihr. Kaum waren sie aus dem Zimmer getreten, kam Tom auf sie zu. "Hey, Deirde! Oh, Kacey! Geht's dir wieder besser?" Kacey nickte und wollte etwas sagen, aber Tom hatte sich schon wieder lächelnd an Deirdre gewandt. "Weißt du Deirdre, Ethan meinte eben, er will zuerst mit dem Chef sprechen, bevor er mit Kacey redet. Ihr habt also noch etwas Zeit. Ihr könntet euch ja vielleicht waschen gehen, oder so.", schlug er vor, als er Kaceys Aufmachung bemerkte und auch Deirdre, die sich seit ihrer Ankunft um Ethan gekümmert hatte, noch einmal musterte. Er bemerkte Deirdres hilflosen Blick und ihre geröteten Augen. Hatte sie etwa geweint? "Na los, kommt, ich bringe euch zu den Waschräumen und sorge dafür, dass ihr was frisches zum Anziehen bekommt." Auf dem Weg zu den Waschräumen erfuhr Kacey einiges von Tom über Fehnd. Nachdem sie in ihrem Zimmer wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich bereits gewundert woher das Geräusch von rauschendem Wasser kam, welches sie auch jetzt noch die ganze Zeit leise vernahm. Laut Toms Erklärung waren sie in der "Festung" von Fehnd, dem sichersten Ort, an dem sich auch der "Chef" aufhielt. Diese Festung befand sich auf dem dritten Plateau und war nur durch einen breiten, kurzen Tunnel zu erreichen. Dieser Tunnel führte auf die andere Seite der Felswand und dort war, an weiteren drei schmalen Plateaus, die Festung gebaut worden, welche durch die Felswände nach allen Seiten von außen her unsichtbar war. Die einzelnen Räume waren hauptsächlich aus dem Felsen geschlagen worden und nur an einer Seite bestand die Wand aus Holz. Aus ganz besonderem Holz, wie ihr Tom mit erhobenem Zeigefinger und hörbarem Stolz erzählte. Dieses spezielle Holz speicherte Wärme und sorgte somit dafür, dass sie in den kalten Steinzimmern nicht erfroren. "Und außerdem ist es wasserabweisend!", fügte er noch hinzu. "Und was hat das jetzt mit dem komischen Geräusch zu tun?", fragte Kacey wieder. "Wirst du gleich sehen!", antwortete er grinsend und öffnete eine Tür, die nach draußen führte. Als Kacey draußen auf eine breite stabile Brücke aus dem hellen Holz trat, hörte sie das rauschende Geräusch viel lauter, dann drehte sie ihren Kopf nach links und blinzelte. Dann sah sie nach oben. "Oh!", sagte Deirdre ebenfalls staunend und betrachtete den breiten Wasserfall über ihnen. "Toll, nicht?", sagte Tom. "In diesem Berg entspringt der Fluss Laah. Aber kurz bevor er den Berg verlässt, gabelt sich der Flusslauf in fünf verschiedene Läufe. Einer kommt hier über uns aus dem Berg. Und das mit so einem gewaltigen Druck, dass wir hier darunter nicht mal nass werden! Es gibt also noch vier weitere Stellen wie diese. Sie werden von uns als Trinkwasserquellen benutzt, aber sie sind auch ein Teil unseres Verteidigungssystems. Aber jetzt kommt weiter!" Nachdem sie die Brücke überquert hatten, kamen sie in einen schmalen Flur. Tom wies sie an bis zum Ende durchzugehen, dort befände sich der Damenwaschraum. Er selbst machte sich gleich auf den Weg um Kleidung für Kacey und Deirdre zu besorgen. Die beiden Frauen betraten zögernd den Raum. Deirdre gab einen Freudenschrei von sich und begann bereits damit ihr dreckiges Hemd aufzuknöpfen. "Eine heiße Quelle! Oh, wie lange ist es her, dass ich in einer heißen Quelle gebadet habe!", sagte sie fröhlich, streifte ihre restlichen Kleidungsstücke ab und stieg in die heiße Quelle hinein. Fragend sah sich Kacey um. "Ihr könnt euch ruhig von der Seife und den Handtüchern nehmen. Das ist immer für alle da!", sagte eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren, die sich gerade abtrocknete und Kaceys fragenden Blick bemerkt hatte. Dankend nickte Kacey der dunkelhäutigen Schönheit zu und begann ebenfalls sich auszuziehen, um in das warme Wasser zu steigen. "Sag mal Deirdre", begann Kacey schließlich, nachdem sie sich schweigend die Haare gewaschen hatte, "du hast doch irgendwelche übernatürlichen Kräfte, oder?" Deirdre schmunzelte. "Die Frage brannte dir jetzt schon eine Weile auf der Zunge, hab ich recht?" Kacey nickte. Deirdre rückte ein bisschen näher zu Kacey. Sie waren zwar momentan alleine im Waschraum, aber Deirdre wollte trotzdem nicht, dass irgendjemand ihr Gespräch zufällig mithörte. "Also, weißt du, es ist so: Mein Großvater war ein angeseher Alchemist und lebte am Hof des damaligen Fürsten von Rhodon. Da meine Eltern schon früh gestorben waren lebte ich bei ihm. Eines Tages untersuchte er ein merkwürdiges Relikt, dass in den Ruinen einer alten Magierakademie gefunden worden war. Mein Großvater wollte wissen, was es mit der Zerstörung der Akademie und dem plötzlichen Verschwinden der Magie auf sich hatte und erhoffte sich durch dieses Relikt Antworten.", erzählte Deirdre. Kacey hörte neugierig zu. "Und, hat er die Antworten gefunden?", fragte sie. Deirdre musste schuldbewusst lächeln und schüttelte den Kopf. "Leider nein.", antwortete sie. "Als ich vier Jahre alt war und mein Großvater mal nicht da war, schlich ich mich in seinen Arbeitsraum um dort zu spielen. Weißt du, er hatte dort immer so viele schöne Sachen und verbot mir immer mich dort aufzuhalten, aus Angst ich würde etwas kaputt machen. Nun ja, auf jeden Fall entdeckte ich auf seinem Tisch eine hübsche kleine blaue Kugel in einem Glas und wollte unbedingt damit spielen. Und, tja, irgendwie hab ich sie dann schließlich verschluckt..." "Du hast sie verschluckt!?", sagte Kacey entgeistert. "Ja.", sagte Deirdre lachend. "Gerade in dem Moment, in dem mein Großvater wieder zurückkam. Der hat vielleicht einen Schreck bekommen und hat mich an den Füßen gepackt und mit dem Kopf nach untern vor lauter Panik geschüttelt. Aber das Ding ist nie wieder aufgetaucht!" "Und dann?" "Nun ja, daraufhin entwickelte ich plötzlich die Fähigkeit, ernome elektrische Energien freizusetzen." "Also das war es, was du mit dem Wächter gemacht hast! Du hast ihm einen Stromschlag verpasst!", schlussfolgerte Kacey. "Richtig. Mein Großvater meinte schließlich zu mir, dass die Magie, die in dieser Kugel offensichtllich enthalten war, mit meinem Körper verschmolzen wäre. Und er ermahnte mich gleich darauf diese Fähigkeit niemals öffentlich zu zeigen, denn er vermutete, dass die Magier damals wahrscheinlich absichtlich ausgerottet worden waren und er wollte nicht, dass mir etwas passierte.", sagte Deirdre. "Aber du hast nicht auf ihn gehört und bist deshalb eingesperrt worden, oder?", vermutete Kacey. Deirdre schüttelte den Kopf. "Nein, ich hab meine Fähigkeit niemals mehr benutzt, nachdem mein Großvater mich davor gewarnt hatte. Gestern war es das erste mal seit zwanzig Jahren." Kacey schwieg einen Moment und sagte: "Du hättest schon früher aus dem Gefängnis fliehen können, wenn du deine Fähigkeiten eingesetzt hättest. Warum hast du es nicht getan?" Deirdre seufzte und wollte antworten, aber in diesem Moment hörten sie Toms Stimme. "Deirdre, Kacey! Ich hab hier Kleidung für euch!" "Du kannst ruhig reinkommen Tom!", rief Deirdre, nachdem sie und Kacey aus der Quelle gestiegen waren und sich Handtücher umgewickelt hatten. "Meine Geschichte bleibt aber vorerst noch unter uns, okay?", flüsterte sie Kacey noch zu bevor Tom den Waschraum betrat. Kacey vernahm laute Stimmen als sie sich dem Raum näherten, in dem Ethan und der Chef sich aufhielten. Als Tom anklopfte und sie den Raum betraten verstummten sie sofort. Kacey lief sofort zu Ethan, der sich mühsam in seinem Bett aufgerichtet hatte. Als sie seinen bandagierten Körper sah stiegen wieder Schuldgefühle in ihr hoch und sie ging vor ihm auf die Knie, nahm seine Hand und sagte: "Es tut mir Leid." Ethan seufzte lächelnd. "Dir muss nichts leid tun. Mein Auftrag war, dich unter dem Einsatz meines Lebens zu beschützen und das habe ich auch getan." Kacey sah ihn fragend an. "Dein Auftrag?" "Kacey, es wäre besser, du würdest dich setzen.", hörte Kacey Travis sagen, der hinter ihr an einem niedrigen Tisch auf dem Boden saß. Kacey sah keinen Sinn darin ihm zu widersprechen und setzte sich auf eines der weichen Kissen, so, dass sie Ethan im Grunde gegenüber saß. Auch Tom setzte sich dazu, Deirdre setzte sich zu Ethan aufs Bett und nahm schweigend seine Hand, vermied es aber, ihm in die Augen zu sehen. Für einen kleinen Moment ignorierte Ethan die anderen Menschen im Raum und küsste zärtlich ihre Hand und sagte halblaut zu ihr: "Es tut mir Leid, dass ich es dir nicht schon früher gesagt habe." Dann wandte er sich an Kacey. "Es wird langsam Zeit, dass du endlich erfährst worum es hier geht.", sagte er entschlossen. "Anscheinend hat Rafe dich immer noch nicht aufgeklärt, keine Ahnung, was der sich dabei gedacht hat." Bei der Erwähnung von Rafes Namen wurde Kacey besonders hellhörig. "Was meinst du damit? Worüber hat Rafe mich nicht aufgeklärt?", platzte es aus ihr heraus. "Am Besten fang ich ganz von vorne an. Wie du bestimmt schon vermutet hast, befindest du dich nicht mehr in der Welt die du kennst. Du kennst deine Welt unter dem Namen Erde, bei uns wird sie von denen, den sie noch bekannt ist "Terra" genannt." Deirdre weitete ungläubig die Augen und Tom sprang von seinem Platz auf. "Tom, setz dich wieder hin!", sagte Travis barsch. "Was... was habt ihr denn?", fragte Kacey unsicher, als sie Deirdres und Toms Verwirrung bemerkte. "Dann sind die Legenden also wirklich wahr.", sagte Tom leise. "Das ist jetzt nicht so wichtig.", sagte Ethan und wandte sich wieder an Kacey. "Die Welt in der du dich zur Zeit befindest heißt "Caelestia". Ich kann dir jetzt auch nicht alles über den Zusammenhang zwischen unseren Welten erzählen, dafür weiß ich selbst zu wenig darüber. Aber soviel kann ich dir sagen: Terra und Caelestia sind direkt miteinander verbunden. Vor rund drei Jahrhunderten befand sich die Magie auf Caelestia auf ihrem Höhepunkt und die besonders mächtigen Magier entdeckten eine Welt, die neben unserer Welt existierte und nannten sie Terra. Nach wenigen Jahren gelang es ihnen sogar sich mit Hilfe ihrer Magie nach Terra zu teleportieren. Ich weiß nicht genau was passiert ist, aber nach knapp einem Jahr, nachdem die Magier das erste mal auf Terra waren, geschah eine Katastrophe. Die Akademie der Magier wurde zerstört und mit ihr auch so gut wie alles Wissen, dass die Magier im Laufe der Zeit gesammelt hatten. Zudem brach ein fürchterlicher Krieg auf ganz Caelestia aus und die Magier wurden plötzlich als Ursache dafür ausgegeben, was dazu führte, dass auf ganz Caelestia eine Magierverfolgung stattfand. Die meisten Magier wurden dabei getötet, die wenigen die überlebten flohen nach Terra. Doch auch auf Terra waren sie nicht sicher, wie sich nach kurzer Zeit herausstellte. Die Menschen auf Terra fürchteten sich vor ihnen, nannten sie "Teufel" oder "Hexen" und töteten sie. Diejenigen die auch das überlebten beschlossen unerkannt zu bleiben. Doch sie blieben vom Tod verfolgt, genauso wie ihre Nachkommen. Obwohl die Magie sich auf Terra schließlich langsam dadurch verlor, dass sich das Blut der Magier mit dem Blut der Menschen auf Terra vermischte, blieb den Nachkommen allesamt eine besondere Fähigkeit: Sie konnten zwischen den verschieden Welten teleportieren wie es ihnen beliebte." "Dann bist du ein Nachkomme dieser Magier?", fragte Kacey. "Nein", sagte Ethan und schüttelte den Kopf, "ich bin ein Schüler von einem direkten Nachkommen aus Caelestia. Einige hatten es geschafft wieder nach Caelestia zurückzukehren und die Magie zumindest ein wenig am Leben zu erhalten. Dass ich kein gebürtiger Magier bin ist auch der Grund, warum ich deine Welt nicht mit meinem eigentlichen Körper betreten kann. Ich konnte es nur schaffen, weil ich mit Hilfe meines Meisters ein Abbild meiner Selbst nach Terra schicken konnte. Das ist so ähnlich wie bei dir, Kacey." "Was meinst du damit, wie bei mir?" "Du bist momentan nicht wirklich hier.", erklärte Ethan. "Dein Körper ist... dein Körper... ist..." Ethan musste mit dem Erzählen abbrechen und krümmte sich unter einem plötzlich aufkommenden stechenden Schmerz in seinem Bauch. Deirdre sprang sofort auf und rief: "Schnell, holt den Arzt wieder rein!" Tom schnellte in die Höhe und war auch schon aus der Tür verschwunden, Travis eilte Deirdre zur Hilfe und die beiden versuchten Ethan zu beruhigen und stillzuhalten. Kacey saß immer noch auf dem Boden und konnte sich nicht bewegen. Sie musste mit ansehen, wie Ethan sich weiter vor Schmerzen krümmte und schließlich auch qualvoll schrie. Als der Arzt, gefolgt von Tom, endlich hereingestürmt kam, spuckte Ethan bereits Blut. "Alle raus hier, bis auf Deirdre!", befahl der Arzt und eilte zu Ethan. Dass Tom und Travis ihr aufhalfen und sie aus dem Raum führten, bemerkte Kacey kaum. Erst als sie draußen auf einer Brücke an der frischen Luft war und Tom ihr etwas kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, kam sie wieder völlig zu sich. "Geht's wieder?", fragte Tom besorgt. Kacey nickte und Tränen stiegen in ihre Augen. "Mach dir mal keine Sorgen, der kommt bestimmt wieder auf die Beine.", sagte Tom aufmunternd. Kacey versuchte ein Lächeln. "So was ähnliches hat schon mal jemand gesagt.", sagte sie leise. "Aber ich glaube, ihr habt euch beide geirrt." Deirdre starrte gedankenverloren aus dem kleinen Fenster. "Habe ich dir eigentlich jemals gesagt, wie schön du bist?" Deirdre drehte sich langsam um. "Du bist wieder wach!", stellte sie erleichtert fest und eilte schnell wieder an sein Bett, setzte sich zu ihm und nahm seine Hand. Ethan lächelte mühsam und zog sie zu sich herunter. "Leg dich zu mir.", sagte er leise. "Aber du bist doch verletzt. Ich hab Angst, ich tu dir weh.", widersprach Deirde. "Das ist jetzt auch egal.", flüsterte Ethan. "Ich will dich wenigstens noch einmal im Arm halten." "Was... was redest du denn da?", fragte Deirdre und legte sich mit Tränen in den Augen zu ihm. "Du wirst nicht sterben!" Ethan lächelte wieder und strich ihr durch die langen blonden Haare. "Versprich mir, dass du auf Kacey aufpasst. Von ihr hängt alles ab." "Nein Ethan, nein! Du wirst weiter auf sie aufpassen! Du wirst wieder gesund!" "Von ihr hängt alles ab...", sagte Ethan erneut. Deirdre schniefte und sah Ethan eindringlich in die Augen. "Warum hast du das nur getan?", fragte sie und Tränen rannen über ihr Gesicht. Ethan nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sanft ihre Tränen weg. "Nur für dich, weil ich... dich... Liebe.", antwortete er. Kapitel 9: Zusammenkunft ------------------------ Rafe zog die schwarze Kapuze tiefer ins Gesicht, als er das Gasthaus "Zum schwarzen Drachen" betrat. Nun war er also wieder in Fehnd, einer Stadt, die er nach Möglichkeit weiträumig umging und nur aufsuchte, wenn er keine andere Wahl hatte. Sein Blick schweifte durch den dunklen, stickigen Raum der Gaststube. Die Sonne war bereits unter gegangen und auf den Tischen leuchteten Kerzen, die den Besuchern flackernde Schatten ins Gesicht warfen und sie noch unheimlicher aussehen ließen, als die meisten es ohnehin schon taten. Rafe hatte die Umgebung von kriminellen jeglicher Art noch nie sehr gemocht, aber dennoch wusste er ihre meist vielseitigen Talente zu schätzen. Besonders das Talent von Irya Anaya, die er an einem Tisch in einer Ecke der Stube entdeckt hatte, konnte ihm dieses mal sehr nützlich sein. Sie sah ihn erwartungsvoll aus hellgrünen Augen an, als er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte. "Du wusstest bereits, dass ich hierher kommen würde!?", vermutete Rafe und lächelte unter seiner Kapuze. Irya Anaya lächelte ebenfalls. "Das ist wohl 'ne Berufskrankheit. Wenn ich nicht über alles und jeden hier auf dem Laufenden wäre, könnte ich den Job als Spionin gleich aufgeben. So bleib ich in auftragslosen Zeiten wenigstens in der Übung. Aber genug davon! Was führt den ehrwürdigen Rafe denn nach Fehnd, an diesen gottlosen Ort voller skrupelloser Verbrecher, den er die letzten zwei Jahre so sorgfältig gemieden hat?" Irya Anaya zog fragend die rechte Augenbraue hoch und stützte das Gesicht auf die linke Hand. Rafe betrachtete die dunkelhäutige Schönheit einen Moment lang misstrauisch. "Tu mir einen Gefallen und nenn hier bitte meinen Namen nicht, ich hab sowieso schon genug Probleme am Hals und will mich nicht auch noch mit ein paar betrunkenen Fehndern rumschlagen müssen.", sagte er schließlich. "Ach, diesmal nicht? Ich bin mir sicher es gäbe hier einige, die es gerne mit die aufnehmen würden, nachdem du vor zwei Jahren das unterste Plateau der Nordseite abgefackelt hast." "Das war ein... Unfall...", sagte Rafe und grinste schelmisch. "Und so viel ich weiß wurde auch niemand dabei verletzt." Irya Anaya schüttelte den Kopf. "Das nicht, aber du hättest beinahe mein Zuhause mit niedergebrannt. Ich bin dir immer noch böse...", sagte sie und lächelte dabei schon wieder. "Aber trotzdem bin ich froh, dich endlich wiederzusehen." Rafe lächelte erleichtert. "Das ist gut, denn ich brauche deine Hilfe, Anaya." "Ich werde sehen, was ich für dich tun kann.", sagte Anaya. "Also, worum geht es denn?" Rafe seuftze und beugte sich ein wenig zu ihr vor. "Ich habe einen Auftrag für dich. Einen, den ich nur dir anvertrauen kann." "Und wie viel zahlst du?", fragte Anaya. "So viel, wie du verlangst.", antwortete Rafe. Anaya lehnte sich langsam zurück und betrachtete Rafe misstrauisch. "So viel wie ich verlange? Ha! Solche Aufträge kenne ich.", sagte sie kühl. "Das sind die, von denen man nicht zurückkehrt." Rafe senkte schweigend den Kopf. "Du hast recht.", sagte er schließlich. "Aber ich würde dich niemals um etwas bitten, von dem ich nicht überzeugt wäre, dass du es schaffst!" "Ich weiß.", sagte Anaya ruhig. "Erzähl!" Rafe blickte ihr ernst in die Augen. "Ich bitte dich darum, die Springer auszuspionieren. Insbesondere Daniel Cohen und Melissa Orlin." "Bi... bist du noch ganz dicht???", platze es aus Anaya heraus. "Beruhig dich bitte, nicht so laut!" "Sch... schon gut, da... das war nur der Schock.", stammelte Anaya. "Du willst dich tatsächlich mit den Springern anlegen?", fragte sie ungläubig. "Nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss.", antwortete Rafe und schüttelte den Kopf. Anaya beobachtete einige Sekunden lang sein Gesicht und sah die Entschlossenheit in seinen dunkelgrünen Augen. "In Ordnung.", sagte sie schließlich. "Ich übernehme den Auftrag. Für einhunderttausend Ren im Voraus, damit ich mir noch ein paar Männer engagieren kann, und weitere zweihunderttausend, wenn der Auftrag erledigt ist.", sagte sie und reichte ihm die Hand um den Vertrag zu besiegeln. "Ich bin froh, dass du den Auftrag übernimmst, Anaya.", sagte Rafe erleichtert und überreichte ihr eine kleine Tasche. "Da drin sind ein paar Informationen und ein Wert von einhundertfünfzigtausend Ren in Rohdiamanten.", flüsterte er ihr zu. Anaya zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Und mit so einem Wert in der Tasche traust du dich nach Fehnd? Mutig, mutig." "Danke nochmals, Anaya." "Ach, kein Problem! Darauf trinken wir einen! Hey, Wirt! Bring uns mal zwei Becher Grog!", rief Anaya und fand dabei wieder zu ihrer lebhaften Art zurück, die sie sonst immer an den Tag legte und nach drei Bechern Grog brachte sie sogar Rafe zu einem richtigen Lachen. "Scheint so, als ob in Fehnd nicht allzu viel passiert ist in den letzten zwei Jahren.", stellte Rafe nach einer Weile fest. "Wart's ab, du kennst ja die neuesten Geschehnisse noch nicht!", sagte Anaya heiter. "Der Chef und der Fize-Chef und noch ein paar andere wurden bei dem Versuch den Garben-Kerker zu sprengen glatt selber dort eingebuchtet! Haha! Aber heute ganz früh morgens sind sie nach vier Tagen zurückgekehrt! Sie hatten auch noch zwei Frauen dabei und es geht das Gerücht um, dass sie von den beiden befreit wurden!", erzählte sie munter. Rafe hörte neugierig zu. "Und? Wie ich dich kenne, weißt du ziemlich genau, was es mit dem Gerücht auf sich hat, oder?" Anayas Augen blitzten vergnügt auf. "Na klar! Die beiden sind momentan in der Festung untergebracht. Zufällig hielt ich mich dort auf, als sie eintrafen. Sie hatten noch einen schwer verletzten Mann dabei, er war wohl die eigentliche Person gewesen, die die beiden Frauen befreien wollten, dass mit den anderen war wohl nur Zufall oder so gewesen. Die eine Frau, eher noch ein Mädchen, war nach dem langen Weg von Garben zusammengebrochen. Aber es geht ihr mittlerweile wieder gut, ich bin den beiden Frauen im Waschraum bei den heißen Quellen über den Weg gelaufen. Na ja, nur der Mann, der so schwer verletzt war, ist heute Nachmittag gestorben, wenn man dem, was Corby Dean gesagt hat, glauben schenken kann. Sein Name war Ethan, wenn ich mich recht erinnere." Rafes Gesichtszüge entgleisten. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? "Die Frauen!" "Was?" "Wie hießen die Frauen?", fragte Rafe energisch. "Die... die eine hieß Deirdre.", stammelte Anaya, ein wenig erschrocken von seinem plötzlich so ernsten Gesicht. "Und die andere?" "Lass mich kurz nachdenken... Kacey, denk ich." "VERDAMMT!", schrie Rafe und schlug mit der Faust so fest auf den Tisch, dass er fast zerbrach. Bevor Anaya Rafe fragen konnte, warum er beinahe den Tisch zu Kleinholz verarbeitet hätte, war er schon aus der Gaststube hinaus gerannt. Es grenzte an etwas schier unmögliches, nach Einbruch der Dunkelheit in die Festung zu gelangen. Jeder Zugang, jeder Tunnel, jede Brücke wurde strengstens bewacht. Sogar das Erreichen des zweiten Plateaus sollte sich für Rafe als schwierig erweisen. Fehnd mochte zwar eine Ganovenstadt sein, aber sogar hier gab es Gesetze und Leute, die dafür sorgten, dass diese auch eingehalten wurden. Wie auch immer, Rafe hatte keinen Passierschein, der ihm das Betreten des zweiten Plateaus bei Nacht erlaubte. Und er hatte beschlossen, sich nicht mit den Wachen anzulegen. Nicht, dass er sie nicht mühelos erledigen konnte, aber ihm war es lieber unerkannt zu bleiben und ohne viel Aufsehen in die Festung zu gelangen. Wahrscheinlich würde halb Fehnd ausrasten und sofort aus den Betten springen nur um ihn persönlich zu erwürgen. Wie gesagt, Verräter und Brandstifter waren in Fehnd nicht gerade herzlich willkommen (natürlich nur die Verräter und Brandstifter, die Fehnd verraten und angezündet hatten, die "normalen" bewohnten die Südseite des dritten Plateaus). Was mache ich eigentlich hier? Das ist doch bescheuert! Ich kann doch nicht einfach so in die Festung stürmen, was hab ich mir eigentlich dabei gedacht?, schimpfte Rafe sich selber, als er die "Steckbriefstraße" - so wurde die unterste Ebene genannt, weil die Hauswände mit den Bildern derer tapeziert waren, denen das Betreten Fehnds untersagt war - durchquerte und ihm sein eigenes Gesicht an mehr als nur einer Hauswand entgegengrinste. Er schüttelte nachdenklich den Kopf. Wahrscheinlich blieb ihm im Nachhinein doch keine andere Wahl, als die Wachen zu überrumpeln und sich bis in die Festung vorzuarbeiten. Andererseits saß ihm der Grog noch schwer in den Gliedern. "Hey!" Er hatte aber auch noch etwas Rigridenstaub bei sich, vielleicht konnte er auch die ersten drei oder vier Wachen einfach erstarren lassen, das würde wenigstens nicht so auffallen. "HEY, DU!" Oder sollte er jemanden aufsuchen, der ihm einen Pass fälschen konnte? Diesen Gedanken verwarf Rafe im selben Augenblick wieder, als er die Gesichter all jener Leute, die dazu seines Wissens nach in der Lage gewesen wären, ebenfalls auf den Steckbriefen erkannte. "STEHENBLEIBEN, SAG ICH!" Rafe wurde an der Schulter rumgerissen und zog blitzschnell sein Schwert. Doch der Angreifer schien darauf vorbereitet gewesen zu sein und parierte geschickt und mit so einer Wucht, dass er Rafe dabei das Schwert aus der Hand schlug und dieses fünf Meter weiter auf dem staubigen Boden landete. Rafe machte einen geschickten Sprung nach rechts und stürzte sich mit einem weiteren auf sein Schwert, wobei ihm die Kapuze vom Kopf rutschte. Er ging sofort wieder in Agriffsposition und starrte seinen Angreifer zu allem entschlossen in die Augen. "Hey, hey, warte mal!", sagte dieser und hob abwehrend die Hände in die Luft. "Ich hab nicht die Absicht mit dir zu kämpfen, obwohl..." - er sah zu den Steckbriefen - "...du diesem Kerl mit dem frechen Grinsen da ziemlich ähnlich siehst." Man konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete und sich sein Gesicht schließlich aufhellte, als ihm klar wurde, dass es sich bei seinem Gegenüber tatsächlich um den frech grinsenden Jungen handelte, der auf den Steckbriefen abgebildet war. Nur, dass dieser halt mittlerweile erwachsen geworden war. Rafe war sich nicht sicher, wie der dunkelblonde Mann auf seine neuerlangte Erkenntnis reagieren würde und stand zwar locker, aber dennoch zum Angriff bereit dar. Er zuckte nervös, als der Mann seine Arme wieder senkte, entspannte sich aber ein wenig, als dieser in der selben Bewegung auch sein Schwert wieder einsteckte. "Also", sagte der Mann schließlich, "du kamst mit ja gleich verdächtig vor, wie du hier mit deiner Kapuze herumgeschlichen bist und immer wieder kopfschüttelnd auf die Steckbriefe gestarrt hast. Aber, dass du tatsächlich Rafe bist, hätte ich nie im Leben geglaubt!" "Was hast du jetzt vor?", fragte Rafe herausfordernd. Der Mann zog übberrascht von Rafes kühlen Ton die Augenbrauen hoch. "Was ich jetzt vorhabe? Na ja, eigentlich müsste ich dich jetzt verhaften.", antwortete der Mann. "Und was hindert dich daran?", fragte Rafe so gelassen wie möglich, obwohl er dabei fluchtbereit jeden Muskel angespannt hatte. Der Mann lachte kurz auf. Dann sah er sich um. Gut, dass es schon so spät ist, die meisten Leute sind um dieser Uhrzeit schon nicht mehr auf den Beinen oder treiben sich in den Gaststätten rum, dachte er. Er vergewisserte sich noch einmal, dass sie die beiden einzigen Menschen auf der Straße waren und dass ihnen auch sonst nichts und niemand Beachtung schenkte, bevor er Rafe noch einmal mit einem scharfen Blick musterte und schließlich sagte: "Ich bin zwar der Oberbefehlshaber von Fehnds Sicherheitstruppe und sollte dich ohne zu zögern verhaften und den Fehndern zum Fraß vorwerfen, aber da uns hier anscheinend niemand beobachtet hat, hab ich andere Dinge mit dir vor." Rafe schluckte unsicher, er konnte sich nicht vorstellen, was der Mann damit meinte. Er trat langsam zwei Schritte zurück. Der Mann lachte erneut kurz auf. "Ist schon gut, du kannst endlich dein Schwert wieder einstecken. Ich hab nicht vor dich zu verhaften, ich möchte bloß, dass du mich begleitest. Ich kenne da jemanden, der sich bestimmt freuen wird, dich zu sehen!" Rafe hob misstrauisch die linke Augenbraue hoch. Wer, hier in Fehnd, würde sich schon freuen ihn zu sehen? "Du glaubst mir nicht, oder?", fragte der Mann. Rafe gab keine Antwort. Darufhin zuckte der Mann mit den Schultern und drehte sich um. "Dann halt nicht.", sagte er. "Ich bin mir sicher, die Kleine wird sehr enttäuscht sein, wenn ich ihr erzähle, dass du mir über den Weg gelaufen bist und ich dich nicht sofort zu ihr gebracht habe." "Die Kleine?" "Ja.", sagte der Mann und machte ein paar Schritte in die Richtung des Tunnels, der zum zweiten Plateau führte. "Ein hübsches Mädchen mit langem, kastanienbraunem Haar." Er stoppte und drehte den Kopf in Rafes Richtung. "Na, interessiert?" Rafe folgte dem Oberbefehlshaber von Fehnds Sicherheitstruppe durch die mittlerweile düster erscheinenden und nur durch wenige Fackeln erhellten Gänge der festung. Er war zwar nun in der Festung, aber so ganz freudig stimmte ihn der Gedanke nicht. Es war ebenso schwierig aus der Festung hinaus zu kommen, wie in sie hinein zu gelangen und der Mann hatte ihn durch irgendwelche Tunnel und Gänge geführt, die ihm bisher vollkommen unbekannt waren. Er vermutete, dass es sich um einige der geheimen Zugänge zur Festung gehandelt hatte. Aber warum kannte der Oberbefehlshaber diese? Rafe ging davon aus, dass sich in den zwei Jahren seiner Abwesenheit an den alten Grundgesetzen Fehnds nicht allzu viel geändert hatte und die geheimen Tunnel lediglich dem sogenannten Chef bekannt waren. Sollte es sich bei diesem Mann etwa wirklich um den Chef handeln? Bei diesem Gedanken bildeten sich auf Rafes Stirn kleine Schweißperlen. Warum sollte ihn der Chef helfen, anstatt ihn höchstpersönlich hinzurichten? Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Das alles ergab doch keinen Sinn. Und selbst wenn er jetzt gerade in eine Falle rannte, es machte ihm auch nichts mehr aus. Er hatte seit 35 Stunden nicht mehr geschlafen und fühlte die Erschöpfung langsam in seinen Beinen hochsteigen. Er musste Kacey finden, dafür konnte er das Risiko ruhig eingehen. Sie war es wert. "So, da sind wir.", sagte der Mann. "Hinter dieser Tür ist sie." Er klopfte an. Es folgte keine Antwort. Er trat dennoch ein. Kacey stand gedankenverloren auf dem Balkon ihres Zimmers, hatte die Ellenbogen auf das Geländer gestützt und das Gesicht hinter den Händen verborgen. "Geh weg!", rief sie laut, als sie hörte, wie jemand die Tür öffnete und eintrat. "Kacey, hier..." "Geh weg, Tom! Ich will alleine sein!", rief sie nun. Tom wollte zu ihr gehen, aber Rafe wies ihn an stehen zu bleiben und ging an seiner Stelle langsam auf Kacey zu. "GEH WEG!", schrie sie schrill, als sie die näherkommenden Schritte hörte. "Kacey, ich bin's." Kacey erstarrte, als sie seine Stimme vernahm. Sie nahm die Hände von ihrem Gesicht und drehte sich sehr langsam um. "Luke? Was... was machst du denn hier?", fragte sie entgeistert. Rafe schüttelte den Kopf. "Nein. Rafe. Wenn du willst erklär ich dir jetzt alles.", sagte er leise und fühlte sich irgendwie schuldig, als er ihre vom Weinen stark geröteten und geschwollenen Augen sah. Kacey war verwirrt. Sie hatte schon lange vermutet, dass mit Luke etwas nicht stimmte. Aber war er es wirklich, der da vor ihr stand? Zumindest sah Rafe genauso aus wie Luke. Weshalb also sagte er dann, er sei nicht Luke? Statt irgendetwas zu antworten, sah sie ihn nur sehr lange traurig an. Natürlich wollte sie, dass er ihr endlich alles erklärte, aber in ihr wuchs auch das ungute Gefühl, dass sie seine Erklärung vielleicht besser nicht hören sollte. Aus dem was Ethan bisher erzählt hatte, war sie nicht sonderlich schlau geworden. Wer July war und was sie für die Menschen auf Caelestia bedeutete, blieb ihr immer noch ein Rätsel. Und welche Rolle spielte sie, Kacey, eigentlich in diesem Stück? Kacey senkte den Blick gen Boden und sammelte kurz den Mut, um auf alle Antworten, die Rafe ihr nun auf ihre Fragen geben würde, vorbereitet zu sein. Schließlich blickte sie ihm ernst und fest in seine Augen. "Ich bin July, richtig?", fragte sie ihn ruhig. Rafe nickte. "Ja." "Dann... erklär mir bitte, wer July ist!", forderte sie. "July ist eine Göttin.", sagte Deirdre, die eben den Raum betreten hatte. "Deirdre!" Kacey löste sich von ihrem Platz am Balkon und lief auf Deirdre zu. Nachdem Deirdre sie über Ethans Tod informiert hatte, war sie plötzlich spurlos verschwunden gewesen. Kacey hatte schon befürchtet, dass sie sich etwas angetan hatte und Travis hatte sofort nach ihr suchen lassen, jedoch ohne Erfolg. Kacey war heilfroh, dass Deirdre wohlbehalten zurückgekehrt war und umarmte sie erleichtert. Doch Deirdre schenkte ihr kaum Beachtung und schob sie schließlich von sich weg, den Blick hatte sie seit ihrem Eintreten auf Rafe gerichtet. Schließlich ging sie langsam auf ihn zu. Rafe konnte die Verachtung für ihn in ihren Augen sehen. Er spürte plötzlich, wie sich die Luft elektrisierte und warf Deirdre einen warnenden Blick zu. Nur zu gern hätte Deirdre jetzt ihre ganze Trauer und ihre Wut an ihm ausgelassen. Aber sie beherrschte sich gerade noch rechtzeitig, bevor sie sich selbst vergaß. Sie wusste, dass er eigentlich keine direkte Schuld an Ethans Tod hatte. Sie selber war der Grund gewesen, weshalb Ethan sich in eine solche Gefahr begeben hatte, aber es war immer einfacher, andere an eigener Stelle zu bestrafen. "Also... Rafe.", sagte sie und musterte ihn dabei verachtend. "Was wird hier gespielt? Erzähl mir, für wen Ethan gearbeitet hat und warum. Erklär mir, warum er zwei Wochen lang in einem Kerker eingesperrt war und keine Hilfe bekommen hat!" Obwohl Deirdre die ganze Zeit über ruhig geredet hatte, bekam ihre Stimme einen anklagenden Unterton. Rafe hielt ihrem verachtenden Blick stand, erwiderte jedoch nichts. Würde sie ihm die Wahrheit überhaupt glauben? "Es tut mir leid, was passiert ist.", sagte er schließlich. "Aber jetzt ist nicht die Zeit, um auf deine Fragen zu antworten. Zuerst werde ich Kacey nach Hause bringen und ihr alles erklären." Er sah Deirdre noch einmal entschuldigend in die Augen und ging zu Kacey. Er kramte kurz in den Innentaschen seines Umhangs und überreichte Kacey ein ihr vertraut aussehendes kleines Fläschchen. "Ich hole dich morgen Abend bei dir zu Hause ab.", sagte er. "Mach dir keine Gedanken und lauf nicht wieder weg, okay?" Kacey nickte nur. Eigentlich wusste sie immer noch nicht, woran sie bei ihm war und ob sie ihm wirklich vertrauen sollte, aber jedes mal, wenn er sie ansah, waren jegliche Zweifel und jedes Misstrauen in ihr verschwunden. Also öffnete sie die kleine Ampulle und trank. Deirdre, Tom und Rafe beobachteten, wie Kacey die Augen zu fielen und ihr Körper sich in einem strahlenden, blauen Leuchten auflöste. "Also wirklich teleportation.", sagte Deirdre. Tom stand nur mit offenen Mund da und staunte. "Nein.", sagte Rafe. "Komplizierter. Astralprojektion." Kapitel 10: Die Geschichte einer Göttin --------------------------------------- *** Hallo erst mal! Das ist wohl mein erster öffentlicher Kommentar zu meiner eigenen Story... Ich will auch gar nicht groß rumlabern, ich wollte hier nur allen danken, die meine Story lesen und mich immer wieder motivieren weiter zu schreiben! DANKE!!! --- @Nocturn Ganz besonderen Dank an dich, weil die Geschichte sonst immer noch bei Kapitel 5 stehen würde... So, na ja, wo hat Rafe das Geld her... Das ist wohl sein Geheimnis, mir wollt er's auch nicht sagen... ^-^ Na ja, und deine weiteren Wünsche werden wohl in diesem und im vorigen Kapitel ja fast alle erfüllt werden. ^---^ @Dyna_-chan Auch lieben Dank an dich, dass du "July" liest und es dir gefällt! Das freut mich riesig! --- Wenn ihr noch weitere Fragen habt, dann fragt ruhig! Da ich aber meist selbst nicht weiß, wie's weitergeht, kann ich für keine vernünftigen Antworten garantieren... ^.^v *** 10. Als Kacey die Augen öffnete, wusste sie vorerst nicht, wo sie sich befand. Sie sah sich um. Kevins Zimmer, eindeutig. Erleichtert schloss sie noch einmal die Augen und atmete tief aus. Und wieder einmal lag sie im Bett und wusste nicht, ob das eben erlebte nur ein Traum oder Wirklichkeit gewesen war. Aber heute Abend werde ich es wissen, dachte Kacey und stand von diesem Gedanken ermutigt auf. Endlich würde die Ungewissheit ein Ende haben. Sie ging aus dem Zimmer und begann damit Kevin zu suchen. Aber er war weder in der Küche, noch im Bad oder im Wohnzimmer zu finden. Also beschloss Kacey, erst einmal zurück in sein Zimmer zu gehen um sich ihre mittlerweile trockenen Sachen anzuziehen. Danach beschloss sie, auch in den Zimmer von seinen Eltern nachzusehen, aber auch hier war keine Spur von Kevin. Als er nach einer Stunde immer noch nicht wieder aufgetaucht war, begann Kacey damit sich echte Sorgen um ihn zu machen. Kevin war zuverlässig, es passte einfach nicht zu ihm, ohne zumindest eine Nachricht zu hinterlassen zu verschwinden. Und auch auf seinem Handy war er nicht zu erreichen. Also beschloss sie ihn suchen zu gehen. Ihre Suche endete schneller, als sie erwartet hatte. Denn kaum hatte sie die Haustür geöffnet, stand er vor ihr. "Mensch, Kevin, wo warst du denn?", fragte sie ihn. Doch Kevin betrachtete sie nur kühl und schob sie zur Seite, damit er eintreten konnte. "Hey, Kevin, was...!?", protestierte Kacey, als er sie schließlich unsanft aus der Wohnung schob. "Es ist besser, Sie gehen.", sagte er kalt und sah Kacey noch nicht einmal an, als er ihr schließlich die Tür vor der Nase zuschlug. "KEVIN!", rief Kacey verwundert und wütend über sein mekrwürdiges Verhalten. Sie klopfte eine Weile lang an der Haustür und bat Kevin die ganze Zeit über wieder aufzumachen und sie hineinzulassen, aber er reagierte darauf genauso wenig, wie auf ihr Dauerklingeln. Schließlich gab sie auf und machte sich nachdenklich auf den Weg nach Hause, obwohl sie dort eigentlich nicht hin wollte. Hatte er sie eben wirklich gesiezt? Den ganzen Heimweg über war Kacey tief in Gedanken versunken. Kevin hatte sich schon einmal so merkwürdig verhalten und als sie daran zurückdachte, wie er sie mit seinem kalten Blick gemustert hatte, lief ihr unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Es war ihr vorgekommen, als hätte sie einem völlig fremden gegenübergestanden und nicht ihrem sonst so aufmerksamen, höflichen und zuverlässigen Freund. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, stand sie schon vor ihrer Haustür. Es kostete Kacey viel Überwindung zu klingeln und sie hoffte um Melissas Willen, dass diese ihr nicht öffnete. Jemand öffnete die Tür und Kacey war froh Alicia gegenüber zu stehen. "Hi.", sagte Kacey tonlos. Alicia machte ein erleichtertes Gesicht und schüttlete lächelnd den Kopf. Dann betrachtete sie Kacey von oben bis unten und nickte mit einem wissenden und ernsten Gesichtsausdruck. Kacey hatte auf einmal das Gefühl, als wüsste Alicia ganz genau, wo sie die letzte Nacht verbracht hatte. "Ist Melissa da?", fragte sie, als sie eintrat. "Nein.", antwortete Alicia. "Sie ist mit Dad ausgegangen. Ich hab ihnen aber nicht verraten, wo du letzte Nacht warst!", fügte sie hastig hinzu. "Wo... woher weißt du denn, wo ich letzte Nacht war!?", rief Kacey erschrocken. "Telefon.", antwortete Alicia. "Wie, Telefon?" "Na ja, nachdem ich dich gestern am See abgesetzt habe und dann zu Hause war, nachdem ich Jeremy besucht hatte, hat dein Freund Luke hier angerufen und gesagt, dass du die Nacht bei ihm verbringen würdest, da du viel zu aufgebracht wärst und nicht nach Hause wolltest. Er meinte noch, dass wir uns keine Sorgen machen sollten und dann bat er mich nochMelissa und Dad nicht zu sagen wo du seist, ich sollte sagen, du wärst bei einer Freundin, oder so." "A...ha..." Kacey wurde ein wenig rot, als sie sich still und heimlich über Luke und seine Dreistigkeit ärgerte. "Ich hab ihnen gesagt, du wärst bei Patricia.", sagte Alicia und zwinkerte Kacey zu. Inzwischen waren sie die Wendeltreppe zur zweiten Etage hochgestiegen und in Kaceys Zimmer angelangt. Kacey setzte sich auf ihr Bett und Alicia im Schneidersitz auf den Boden vor Kacey. "Danken Alicia, dass du mich nicht verraten hast.", sagte Kacey und dachte gar nicht daran, Lukes Ausrede für ihren Verbleib letzte Nacht zu korrigieren. "Jetzt aber mal was ernstes, Kacey.", begann Alicia und legte ihre sorgfältig manikürten Hände auf Kaceys Knie. "Auch wenn es noch so schön ist, du kannst doch nicht beide haben!" Kacey blinzelte ihre Schwester mit großen Augen ungläubig an. Plötzlich fand sie Gefallen daran Alicia in ihrem Irrglauben zu lassen. "Warum denn nicht?", fragte sie also mit einer Unschuldsmiene. "Ach Kacey, es wäre einfach ungerecht, wenn du zwei der schärfsten Typen die ich kenne für dich alleine beanspruchen würdest.", erklärte ihr Alicia toternst. Kacey und Alicia brachen beide unwillkürlich in großes Gelächter aus. "Nein, jetzt mal im Ernst.", sagte Alicia und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. "Was ist denn mit Kevin?" Kacey schürzte die Lippen, als die an Kevins merkwürdiges Verhalten dachte. "Nichts.", erwiderte sie. "Es ist alles okay." "Und was ist jetzt mit diesem Luke?", hakte Alicia nach. "Auch nichts." "Ist es sein T-Shirt, dass du da trägst?", fragte Alicia schließlich geradeheraus. Kacey erstarte und blickte langsam an sich herunter. "Hmmm... ja.", sagte sie und wurde schon wieder rot ohne es zu wollen. Alicia fühlte sich dadurch was ihre Vermutungen betraf bestätigt und kicherte. "Alicia, es ist anders, als du denkst.", verteidigte sich Kacey, der ihr kleines Spielchen nun keinen Spaß mehr machte. "Na, das hoffe ich doch für den armen Kevin! Von seiner geliebte Kacey betrogen und verlassen..." Sie machte eine theatralische Geste und lächelte Kacey dabei frech an. Kacey schüttlete den Kopf. "Ich hab ihn weder betrogen noch verlassen!", verteidigte sie sich. "Und bei Luke war ich letzte Nacht überhaupt nicht, sondern bei Kevin!" "Weißt du, Kacey, jetzt bin ich verwirrt.", sagte Alicia. "Ja, ich auch!", erwiderte Kacey. "Ich hab jetzt Hunger, ich hab heute noch nichts gegessen." Melissa war es, die Luke die Tür öffnete. Sie sahen sich einige Sekunden lang schweigend in die Augen. "Wie geht es deinem Arm?", fragte Melissa angespannt. "Er ist vollständig verheilt.", antwortete Luke. "Das noch nicht einmal eine Narbe zurückgeblieben ist, verdanke ich vor allem dir und deiner Heilsalbe. Vielen Dank dafür." "Kacey ist oben in ihrem Zimmer.", sagte Melissa. Luke nickte und trat schließlich ein, als Melissa einen Schritt zur Seite ging und ihm Platz machte. "Warte!", rief sie, als er die Treppe zur zweiten Etage hochstieg. "Was wirst du jetzt machen?" Luke blieb stehen und lächelte traurig. "Es ist jetzt an der Zeit ihr die Wahrheit zu sagen." "Aber...", wollte Melissa protestieren, aber Luke hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. "Es ist zu viel schieß gegangen, Melissa. Und du weißt genauso gut wie ich, dass das zum Teil auch eure Schuld gewesen ist. Hättet ihr euch an die Abmachungen gehalten, wäre Ethan vielleicht noch am Leben und Kacey noch immer ahnungslos!", zischte er sie leise an. "Kacey wird jetzt die Wahrheit erfahren und daran können du und ich jetzt auch ncihts mehr ändern. Der Rat hat es so beschlossen!", sagte er und drehte sich energisch um und stieg weiter die Treppe nach oben. Die Wahrheit? dachte Melissa traurig. Mein lieber Rafael, du kennst die Wahrheit doch genauso wenig wie sie. Kacey bekam vor Aufregund schnelles Herzklopfen, als sie Lukes Stimme im Haus vernahm. Nun war es also endlich soweit. Weil sie es vor lauter Aufregung kaum mehr aushielt, sprang sie von ihrem Bett auf, lief zu ihrer Zimmertür und riss sie mit solchem Schwung auf, dass ihr der Türgriff aus der Hand rutschte und die Tür donnernd gegen die Wand schlug. Luke, der gerade hatte anklopfen wollen, starrte sie erschrocken an. "Gehen wir?", fragte Kacey unberührt und ging bereits an Luke vorbei. Luke nickte und folgte ihr wortlos. Als Kacey sich ihre Jacke und Schuhe holte, sah Luke sich noch einmal verstohlen nach Melissa um, doch sie hatte sich anscheinend bereits verzogen. Luke seufzte erleichtert, er hatte auch wirklich keine Lust mehr gehabt, seine Diskussion mit Melissa vor Kacey weiterzuführen. Eigentlich hatte er auch keine große Lust mit Kacey zu reden. Er hatte ihr zwar versprochen die ganze Wahrheit zu erzählen, aber eigentlich wusste er, dass der Rat mit seiner Entscheidung Kacey weiterhin im Unklaren zu lassen, ihr zumindest die entscheidenden Details zu verschweigen, recht hatte. Der Rat hatte ihm ziemlich deutlich erklärt, was er Kacey zu erzählen hatte und was nicht. Aber eigentlich konnte ihn der Rat sowieso mal kreuzweise. "Hey, hörst du mir überhaupt zu?" Luke drehte den Kopf zur Seite und sah Kacey an. "Was?", fragte er. "Geht's die nicht gut? Du siehst so blass aus.", fragte Kacey besorgt. "Alles bestens.", log Luke. Die letzten Tage waren ziemlich anstrengend für ihn gewesen und hatten offenbar einige Spuren hinterlassen. "Wohin gehen wir?" Luke räusperte sich. "Nach Caelestia." Kacey schloss die Haustür hinter ihnen. Irgendwie war es seltsam hier darüber zu reden, in dieser Welt. "Und wie?", fragte sie schließlich. Ihr fehlte tatsächlich jegliche Vorstellung davon. "Lass uns erst mal zu mir nach Hause gehen.", meinte Luke. Kacey hatte keine Einwände. "Hattest du nicht mal ein Auto?" "Ist kaputt.", war Lukes knappe Antwort. Im Endeffekt lief es darauf hinaus, dass beide eine Viertelstunde schweigend nebeneinander herliefen. Dabei war Kacey durchaus danach zu reden, vor allen Dingen war ihr danach Luke endlich reden zu hören. Aber er machte nur eine mit jeder Minute zunehmend finsterere Miene und Kacey fehlte ehrlich der Mut um ihn jetzt anzusprechen. Plötzlich blieb Luke einfach stehen und sah Kacey unverwandt an. Kacey hätte fast alles dafür gegeben, um zu wissen, was in diesem Moment in seinem Kopf vor ging. Lukes Wohnung was sehr klein und sehr ordentlich. "Du bist nicht oft hier, oder?", fragte Kacey, als einige Wollmäuse ihren Weg kreuzten. Luke schüttelte den Kopf. "Nein, eigentlich bin ich die meiste Zeit drüben..." "Und du wohnst hier allein?" Luke blickte sie ein wenig verwirrt an. "Natürlich. Was hast du denn gedacht?" "Na ja, ich dachte, dass du vielleicht bei deinen Eltern wohnst, oder so.", antwortete Kacey ehrlich. Luke schien einige Sekunden lang über diese Vorstellung nachdenken, dann lächelte er Kacey amüsiert an, so, als ob sie gerade einen guten Witz gemacht hätte. "Nein.", sagte er, "Ich wohne hier allein. Meine Eltern leben nicht hier." "Sie leben in... Caelestia?", vermutete Kacey. "Meine Mutter schon.", antwortete Luke und seufzte. Dann verschwand das Lächeln wieder aus seinem Gesicht und eine verachtende Miene nahm seinen Platz ein. "Mein Vater allerdings lebt woanders." Dabei beließ er es. Kacey hätte gerne noch genauer nachgehakt, aber er schien mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders zu sein. "Setz dich doch.", sagte er und deutete auf ein kleines Sofa. Kacey setzte sich, Luke zog es vor stehen zu bleiben. "Also, ich werde dir jetzt erklären, wie du nach Caelestia kommst." Vor lauter Aufregung zitterten Kaceys Beine und sie rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her. "Ich... ich kann ganz von allein nach Caelestia?" Luke nickte. "Bin ich... ich meine... ist July etwa ein Nachfahre von den Magiern?" "Vielmehr sind die Magier Nachfahren von July.", anwortete Luke und irgendetwas in seinem Blick veränderte sich. Kacey hatte den Eindruck als würde er sie beinahe liebevoll ansehen. Schnell blickte sie zur Seite, weil sie nicht wusste, was sie davon halten sollte. Von Anfang an hatte sie Schwierigkeiten gehabt Luke einzuschätzen. "Aber das erzähl ich dir später. Also, um nach Caelestia zu kommen, brauchst du die Ohrringe, die du erhalten hast." "Hm.", machte Kacey. "Nach den alten Geschichten, sollen sie einst July gehört haben." "Hm." "In den Dingern steckt eine ganze Menge Magie. Die Magier sollen sie einst für July als Geschenk angefertigt haben. Die kleinen Steine in den Ohrringen sind Kristalle, die von den Magiern mit Magie aufgeladen wurden, keine Ahnung, wie sie das gemacht haben. Nachdem Terra entdeckt wurde, wollten die Magier July ihre Entdeckung zeigen, und mit der speziellen Zusammensetzung der Kristalle in den Ohrringen, sollte es July ebenfalls möglich sein, nach Terra zu gehen." "Hm.", machte Kacey erneut und schluckte. "Nun, wie sich bei dir herausstellte funktioniert es wirklich! Da du jedoch noch nicht wusstest, wie man diese Magie benutzt, wurde etwas nachgeholfen." Kacey blickte ihn fragend an. "Man hat July gerufen. In Caelestia kann ich dir zeigen, was ich damit meine. Obwohl ich bezweifle, dass es dir gefallen wird.", sagte er und lächelte entschuldigend. "Hm." "Um die Magie der Ohrringe zu benutzen, musst du dir vollkommen im Klaren sein, dass du July bist. Meistens wurdest du gerufen, wenn du schliefst. So konnte sich dein Geist nicht dagegen wehren und unterbewusst wusstest du sowieso dein ganzes Leben über, wer du bist." "Luke." "Ja?" Kacey holte einmal tief Luft. "Ich hab die Ohrringe nicht mehr." Luke brauchte einige Sekunden um sich der Bedeutung dieser Worte bewusst zu werden. "WAAAAAAAAAAAS? Ich... ich meine: Was soll das heißen?", fragte er entgeistert. Kacey zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Seit wann hast du sie nicht mehr?" "Seit heute morgen. Ich muss sie wohl bei Kevin liegen gelassen haben, denke ich. Aber nachdem er heute morgen so komisch war, hatte ich keine Lust mehr noch einmal zu ihm zu gehen und sie zu suchen." Luke schnappte nach Luft. "Soll das heißen, KEVIN hat jetzt die Ohrringe???" Kacey sah ihn verwirrt an. Sie sah darin keinen Grund sich so aufzuregen. Luke starrte sie noch einige Sekunden lang wortlos an und setzte sich schließlich kopfschüttelnd neben sie aufs Sofa. "Na das wird ja immer besser.", murmelte er und stütze den Kopf in seine Hände. Dann sah er Kacey an. "Und wie kriegen wir dich jetzt nach Caelestia?", fragte er sie. Kacey blickte ihn schuldbewusst drein. "Lass uns die Ohrringe doch einfach holen.", schlug sie vor. Luke lachte. Es war kein glückliches Lachen, vielmehr eins von der Sorte, die jemandem klarmachte, dass er gerade etwas sehr naives von sich gegeben hatte. "Nein.", sagte er. "Das hätte keinen Sinn, Kacey. Er ist damit sicher schon über alle Berge." Er überlegte einige Sekunden. "Wie dem auch sein, daran können wir im Moment auch nichts ändern. Die Ohrringe hole ich später wieder, erst einmal bringe ich dich an einen sicheren Ort." Er stand auf und ging zu einer Kommode, in der er nach irgendetwas kramte. "Wozu muss ich an einen sicheren Ort?", fragte Kacey unsicher. Er drehte sich wieder zu ihr um. "Nun ja, wenn ich Kevin nachjagen muss, wird es mit Sicherheit gefährlich, wenn er herausfindet wer du bist und dass du auf Terra bist." Kacey starrte ihn fassungslos an. "Was redest du da?" Langsam hatte sie wirklich das Gefühl, dass Luke nicht mehr richtig tickte. "Was hat denn Kevin plötzlich mit alldem zu tun?!" Luke kam auf sie zu, kniete vor ihr nieder und hielt ihr ein aufgerolltes Stück Papier entgegen. "Das ist eine Karte.", sagte er knapp. "Ich werde dich jetzt an einen Ort schicken, an dem du vorerst sicher bist. Die Karte gibst du bitte einer guten Freundin von mir, ihr Name ist Salome und wunder dich nicht, dass sie ein wenig anders aussieht als..." "Die Elfe?", unterbrach ihn Kacey. "Du hast sie schon einmal getroffen!?" Kacey nickte. Luke blizelte zweimal und fragte sich, wie sie es angestellt hatte, ohne gerufen zu werden dorthin zu gelangen. Vielleicht ist sie doch schon weiter, als ich angenommen hatte, dachte er einen Augenblick lang stolz. "Auch egal.", sagte er. "Jedenfalls gibst du ihr diese Karte, sie weiß dann schon, was zu tun ist." "In Ordnung, aber jetzt sag mir, was Kevin...?" "Pass auf dich auf, diesmal gehst du mit deinem richtigen Körper rüber.", erklärte Luke und ignorierte Kaceys Worte. Kacey öffnete den Mund und wollte erneut etwas sagen. Doch Luke drückte ihr die Hand auf den Mund, schloss die Augen und begann etwas in einer Sprache zu murmeln, die Kacey nicht verstand. Kacey war so perplex von seinem merkwürdigen Verhalten, dass sie sich nicht rührte und ihn nur verwundert ansah. Dann öffnete er seine Augen. Kaceys Augen weiteten sich erschrocken. Nun wusste sie, warum er ihr die ganze Zeit die Hand auf den Mund gedrückt hatte; sie dämpfte ihren erschrockenen Schrei. Ein leuchtendes Violett ersetzte nun das smaragdgrün seiner Augen und seine Pupille war auf einen winzigen Punkt zusammengschrumpft. Kacey wollte sich wehren, doch er hielt sie fest und murmelte weiter vor sich hin. Kacey fühlte, wie etwas mit ihr geschah. Lukes Bild schien vor ihr zu verschwimmen und vermischte sich mit anderen Bildern einer anderen Wirklichkeit. Sie hatte das Gefühl völlig leicht zu sein und an einen anderen Ort gezogen zu werden. Plötzlich verspürte sie einen harten Stoß und fand sich bäuchlings in einer Wiese voller Blumen wieder. Luke wurde heftig zurückgestoßen und prallte hart gegen die Wand. Schließlich landete er mit dem Gesicht auf dem Boden und stöhnte laut auf. Einige Zeit blieb er schwer atmend auf dem Boden liegen und versuchte wieder zu sich zu kommen. Sein Vater hatte ihn davor gewarnt diese Kräfte einzusetzen. Er war noch zu jung um sie richtig zu kontrollieren, das hatte er nun am eigenen Leib erfahren. Dennoch setzte er ein selbstzufriedenes Lächeln auf. Immerhin habe ich es trotzdem geschafft, dachte er und versuchte aufzustehen. Sein Versuch missglückte hoffnungslos und er entschied sich, einfach noch ein Weilchen, vielleicht auch ein paar Stunden, am Boden liegen zu bleiben, bis seine Kräfte zurückgekehrt waren. July blickte sich unsicher um. Wieder stand sie inmitten der geheimnisvollen Blumenwiese und fragte sich, was geschehen war. "Es freut micht dich wieder zu sehen, July.", sagte auf einmal eine bekannt klingende Stimme hinter ihr. Sie drehte sich langsam um. "Ihr kennt meinem Namen, Waldelfe?!", fragte sie verwundert. Salome musterte sie einen Augenblick lang nachdenklich und nickte. "Natürlich.", antwortete Salome. "Wahrscheinlich erkennst du mich nicht mehr. Ich habe mich in den vergangenen dreihundert Jahren ein wenig verändert." "Es tut mir leid, ich... ich... ist dein Name Salome?", fragte July unsicher. Salome lächelte und kniete plötzlich vor ihr nieder. "Ich wusste, du würdest mich erkennen, wenn du zurückkehrst. Ich habe dreihundert Jahre auf diesen Tag gewartet." "Du... bist die kleine Waldelfe, die von ihrem Volk verstoßen wurde. Ich habe dich aufgenommen, aber... wieso dreihundert Jahre?", fragte July und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. "Ich kann mich nicht erinnern, was passiert ist..." Salome stand wieder auf und nahm ihre Hände. "Das kommt schon noch! Du kannst nicht erwarten, dass dein Gedächtnis während der letzten Jahrhunderte nicht ein wenig Schaden genommen hat. Mit der Zeit wirst du dich erinnern.", sagte sie zuversichtlich. "Erzähl mir, was passiert ist!", forderte July und wunderte sich dabei über ihren strengen und herrischen Ton. Doch Salome lächelte nur zufrieden. "Du klingst schon wieder wie früher. Aber trotzdem werde ich nichts sagen, was allerdings wohl eher daran liegt, dass ich selbst nur sehr wenig weiß. Rafe hat mir nicht sehr viel erzählt.", sagte sie und begann damit July an den Händen zu der großen Trauerweide zu führen. "Ich zeige dir mein Zuhause!" "Zuhause?", fragte July und versuchte bei dem Tempo das Salome vorlegte nicht zu stolpern. "Was soll das heißen 'Zuhause'? Du lebst doch bei mir und..." July verharrte auf der Stelle und ließ Salomes Hand los. "...Rafael.", flüsterte sie. Salome kam langsam auf sie zu. "Ich habe jetzt ein eigenes Zuhause.", sagte sie sanft. "Rafe... ich meine Rafael war der Ansicht, dass ich hier auf euch warten soll und ließ mir ein wunderschönes Baumhaus, wie die in meiner Heimat, bauen." Sie blickte July an und lächelte aufmunternd, als sie ihren betrübten Gesichtsausdruck sah. "Und er sagte, dass er dann kommen würde um euch abzuholen." "Aber er ist tot, oder nicht?", fragte July verwundert. Salome lächelte glücklich und schüttelte den Kopf. "Nein, ist er nicht! Und jetzt komm, ich zeig dir mein Baumhaus!", quengelte Salome und zog sie weiter zu der Trauerweide. Im Grunde ist sie immer noch ein kleines Kind, dachte July. Sie scheint nicht viel Kontakt zu anderen Lebewesen zu haben, sonst würde sie sich mit dreihundertfünfzig jahren sicher etwas reifer und weiser benehmen, so wie das für Waldelfen in dem Alter sonst üblich ist. Im nächsten Moment wunderte sich July über diesen Gedanken. Scheinbar kehrte ihr Gedächtnis schneller zurück, als sie es erwartet hatte. Da nicht alle Lebewesen so geschickt einen Baumstamm empor klettern konnten wie Salome, musste July sich damit abfinden zwanzig Meter an einer Strickleiter in die Höhe zu klettern. Erschöpft ließ sie sich auf den glatten Holzboden fallen und war froh darüber, endlich oben angekommen zu sein. Ihr Blick wanderte durch den großen Raum. Sie war beeindruckt. Das Haus bestand aus einem großen, runden Raum der einen Durchmesser von ungefähr 15 Metern aufwies. Dieses Baumhaus schien direkt aus dem Baum und dessen Ästen gewachsen zu sein und der mächtige Stamm des Baumes nahm seinen Platz in der Mitten des Raumes ein. Auf eine gewisse Art und Weise kam ihr diese Bauart vertraut vor, sie war sich sicher schon einmal ein Haus dieser Art gesehen zu haben. "Es ist sehr schön, dein Zuhause.", sagte July ehrlich. "Nicht wahr?", lachte Salome fröhlich und bot ihr eine Tontasse mit einem wohlriechenden Getränk an. July nahm sie und schnupperte daran. "Das ist ja Layn-Tee!", wunderte sie sich. "Dein Lieblingstee." "Ja, stimmt." July nahm einen Schluck. "Dieser Geschmack weckt im wahrsten Sinne des Wortes Erinnerungen.", sagte sie versonnen. "Und er schmeckt ziemlich frisch. Sag, Salome, wo hast du denn frische Laynkräuter her? Soweit ich mich erinnern kann, wachsen die nur im Totenwald von Eeden." "Und was glaubst du, wo wir hier sind?", fragte Salome und lächelte weiterhin wie ein unschuldiges Kind. Beinahe wäre July die Tasse aus den Händen gefallen. "Wir sind in Eeden?!", rief sie aufgeregt. "Und du LEBST hier?! Seit dreihundert Jahren ohne jemals erwischt worden zu sein?!" "Ich hatte Glück - und Hilfe. In den letzten hundert Jahren habe ich mich zu einer hervorragenden Giftmischerin entwickelt. Mittlerweile kann ich auf mich selbst aufpassen.", sagte Salome mit unüberhörbarem Stolz in ihrer Stimme. July seufzte. "Das alles übersteigt im Moment noch meinen Verstand. Ich sollte zusehen, dass ich mich sobald wie möglich wieder an alles erinnere. Vor allem an Rafael." "Ich bin mir sicher, er wäre totunglücklich, wenn du ihn vergessen hättet." "Ich kann mich nicht an sein Gesicht erinnern. Außerdem habe ich ein Stechen in meinem Herzen, wenn ich an ihn denke. Leider weiß ich aber nicht warum." Sie blickte Salome in die hellen Augen. "Wir standen uns sehr nahe, nicht wahr?" "Mehr als nur nah.", antwortete diese. "Wo finde ich ihn?" "Das weiß ich nicht, er sagt mir nie wo er hingeht." "Als ich aufwachte, fand ich diese Karte bei mir.", sagte July und reichte Salome die Karte. Nachdem sie sich Salome einige Sekunden angeschaut hatte, breitete sie sie auf den Boden vor ihnen aus. "Das ist eine Karte von Eeden.", sagte sie und zeigte auf einen bestimmten Punkt. "Hier sind wir. Der markierte Punkt auf der Karte ist Ao, das Tor nach Caelestia." "Vielleicht soll ich dort hingehen?", vermutete July. "Ich habe die Karte bestimmt nicht zufällig bei mir gehabt. Ist es weit weg?" Salome schüttelte den Kopf. "Nur ungefähr zwei Stunden zu Fuß." July machte ein entschlossenes Gesicht. "Ich breche sofort auf!" Salome wollte etwas erwidern, ließ es dann aber. "Man konnte dich noch nie aufhalten, wenn du so ein entschlossenes Gesicht gemacht hast. Ich werde dir etwas für den Weg mitgeben." Sie stand auf und begann eine kleine Ledertasche mit diversen Fläschchen und etwas Nahrung zu füllen. Sie gab July eine kurze Erklärung über den Inhalt der Fläschchen und überreichte ihr schließlich die Tasche. "Leider kann ich nicht mitkommen. Wenn man mich entdeckt würde man mich wahrscheinlich gleich töten.", sagte sie traurig und umarmte July. "Sei vorsichtig auf deinem Weg." Kurze Zeit darauf befand sich July auf dem Weg, nach den vergangenen dreihundert Jahren zu suchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)