Erster Teil: Du kennst mich nicht und doch hasst du mich! von abgemeldet (~*Joey x Kaiba*~) ================================================================================ Kapitel 6: Anerkennung ---------------------- ~*Anerkennung*~ Bald fuhr die Limousine auf den Privatparkplatz vor dem Firmengebäude der Kaiba-Corporation ein und kam zum Stillstand. Am liebsten wäre Joey auf den furchtbar bequemen Polstern sitzen geblieben, doch daraus wurde nichts. Nach Kaiba stieg er aus und betrachtete sich sofort das riesige Gebäude. Doch Kaiba stürmte schon los und er stolperte wieder hinter ihm drein. Er folgte ihm durch den Eingang und durch den Aufenthaltsraum, in dem Kaiba oft gegrüßt wurde. Der junge Mann achtete jedoch nicht darauf, grüßte nur knapp zurück und ging weiter zum Fahrstuhl. Mit diesem fuhren sie dann in die 32. Etage. Und dort erwartete Joey wieder das Gedränge. Diese Menschen schienen nie müde zu werden! Kaiba bahnte sich einen direkten Weg durch die vielen Mitarbeiter, obwohl er somit in keinerlei Schwierigkeiten kam. Die Leute machten ihm Platz und gingen erst weiter, nachdem auch Joey an ihnen vorbeigestolpert war. "Es ist schon sechzehn Uhr." Kaiba warf einen knappen Blick auf seine Uhr und stieß die Tür zu seinem Büro auf. "In drei Stunden habe ich einen Termin. Da kannst du Pause machen." Drei Stunden? Joey schluckte. Was hatte er sich hier nur eingebrockt? Kaiba schlüpfte aus seinem Mantel, warf ihn auf seinen Stuhl und rieb sich den Bauch, der sich unter einem modischen schwarzen Shirt versteckte. Joey stand nur wenige Sekunden untätig herum… und dann begann es! Anfangs drückte Kaiba ihm eine dicke Akte in die Hand und schickte ihn zum Kopieren. Die Kopierer befanden sich nach seiner Beschreibung an jedem zweiten Tisch, also musste sich Joey wieder durch die Menschen drängeln und lange nach einem freien Kopierer suchen. Dann kopierte er und kehrte in Kaibas Büro zurück. Dieser hatte sich hinter einen seiner Computer gesetzt und tippte. Die erste Stunde verbrachte er nur damit. Er erstellte irgendwelche Programme und schmiss nebenbei noch viele Arbeiten nach Joey. Dieser jedoch, erledigte sie gern und konnte nach nur einer Stunde sehr gut nachvollziehen, was für eine Bedeutung das Wort "Arbeit" für Kaiba hatte. In den ersten beiden Stunden sortierte er Berichte und Akten, rannte durch das halbe Gebäude, um dasselbe zu irgendwelchen anderen Mitarbeitern zu bringen und stand noch mehrmals am Kopierer. Doch er hatte eine solch gute Laune, dass er sich nicht einmal durch unfreundliche Mitarbeiter stören ließ. Kaiba tippte noch etwas und dann begann auch er herumzurennen. Und meistens fand Joey ihn nicht, da er sich sonst wo herumtrieb. Aber wenn er Kaiba durch dessen Abwesenheit bedingt, nicht nach neuen Aufgaben fragen konnte, dann wandte er sich einfach an einen Mitarbeiter und griff diesem etwas unter die Arme. So kam es, dass er sich nie langweilte und die ersten beiden Stunden ohne die kleinste Pause durcharbeitete. Und es bereitete ihm großen Spaß, da er hinzukommend auch das Gefühl hatte, zu einem großen Ganzen zu gehören und für einen guten Zweck zu arbeiten. Als er gerade einen riesigen Blätterstapel balancierte, tauchte Kaiba plötzlich wieder auf, zog an ihm vorbei und winkte ihn mit sich. Dennoch brachte Joey die Blätter schnell zu dem, der sie benötigte und folgte ihm erst dann. Kaiba stand vor seinem Schreibtisch, als er das Büro betrat. Er neigte sich kurz über die Tastatur, tippte noch etwas und schaltete den Computer dann aus. "Moment", murmelte er, als er sich wieder aufrichtete, sich umdrehte und vor einen Schrank hockte, um das unterste Schubfach hinauszuziehen. Dort hockte er kurz, wühlte in dem Fach und zog einige Unterlagen hervor. Joey stand in der Zwischenzeit hinter ihm und wartete geduldig. Außerdem beobachtete er ihn. Flink fuhr Kaibas Zeigefinger über die kleinen Blättchen, tippte manche an und zog sie heraus. Joey atmete tief ein und gähnte. Dann wollte er sich auf den Schreibtisch stützen... was er jedoch unterließ. Ja, er konnte sich nicht mehr abstützen, er konnte sich nicht einmal mehr bewegen. Er stand da, als hätte ihn der Blitz getroffen und starrte mit großen Augen auf einen bestimmten Punkt. Kaiba suchte weiter. Konnte das sein...? Ohne den Blick abzuwenden trat Joey näher, leise und vorsichtig. Und als er direkt hinter ihm stand, neigte er sich etwas zur Seite und legte den Kopf schief. Nein, das konnte nicht sein! Dadurch, dass sich Kaiba leicht nach vorn beugte und dabei ein kurzes Shirt trug, war dieses natürlich etwas nach oben gerutscht. Daran war ja nichts Schlimmes. Nein, aber es gab da eine andere Sache, die Joey den Glauben gab, verrückt zu sein. Auf der rechten Seite des Steißes... Joey sah genauer hin, da war... da war... ein Tattoo! Kaiba war doch wirklich tattowiert...? Es war nur ein kleines schwarzes Tattoo, ein merkwürdig geschwungenes und doch recht elegantes Zeichen… und dennoch war es ein Tattoo! Bevor Joey es weiterhin anstarren konnte, reichte Kaiba ihm einige Unterlagen und drückte sie ihm hinterrücks in die Arme. Joey griff schnell zu und stolperte zurück und in dieser Sekunde betrat Pikotto den Raum; Joey sah ihn heute zum ersten Mal. Pikotto warf ihm einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann an Kaiba, der immer noch suchte. "Mit der neuen Grafik gibt es ein Problem", sagte er und Kaiba drehte sich zu ihm um, nebenbei schob er das Schubfach zu. "Was für ein Problem." Joey umklammerte die Unterlagen fester und sah sich leicht irritiert um. Über die Sache mit dem Tattoo kam er nicht hinweg. "Mit dem Visual Pad scheint etwas nicht zu stimmen. Ich lasse es bereits untersuchen, doch das könnte etwas dauern." Pikotto zückte eine Zigarettenschachtel. "Irgendwie muss der Schaden ja entstanden sein." Kaiba erhob sich. "Könnte es sich um einen Virus handeln? Ach nein." Kopfschüttelnd kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und Pikotto zog sich nachdenklich eine Zigarette. "Die Firewall hat uns bisher noch nicht enttäuscht. Außerdem hätten Suchmaschinen ihn ausfindig gemacht, bevor er unser System befallen könnte." Joey hob die Augenbrauen. Über was sprachen die Beiden da? Er verstand kein Wort. Wie schon gesagt, mit Computern hatte er nichts am Hut und wieder gab es eine Sache, in der Kaiba ihn übertraf. "Wir können andere Suchmaschinen einsetzen." Pikotto suchte nach einem Feuerzeug. "Gleichzeitig könnten wir die Neuentworfene testen." "Mach das." Kaiba griff nach einem Feuerzeug, welches vor ihm lag und warf es Pikotto zu. Dieser fing es leichthändig auf und entzündete den Tabak. "Und", Kaiba öffnete wieder ein Schubfach und begann schon wieder zu suchen! "Falls Mokuba vor um acht Uhr kommt, schick ihn in die dreizehnte Etage. Ich werde ihn dort abholen." "In Ordnung." Pikotto warf das Feuerzeug zurück und Kaiba fing es gekonnt weg. Mit diesen Worten drehte sich Pikotto um und schlenderte aus dem Büro. "Leg den Kram da hin." Kaiba warf eine kleine Mappe auf seinen Stuhl und richtete sich langsam auf. "Jetzt trinken wir erst einmal einen Kaffee." Joey grinste. "In Ordnung." Also gab es doch schon eine Pause! Nun ja, eigentlich war Joey nicht auf sie angewiesen, denn die zwei Stunden waren wie im Nu verflogen. Wirklich eine neue Erfahrung. Die Arbeit im Lawell war mit dieser nicht zu vergleichen. Als Joey mit einem Kaffee in einem gemütlichen Sessel im Aufenthaltsraum saß, atmete er dennoch tief durch und beobachtete Kaiba, der ihm gegenüber auf der Lehne eines Sofas saß und an der Tasse nippte, abwesend auf die Wand starrend. Vermutlich machte er sich schon Gedanken über den Termin, der ihn doch erst in einer Stunde erwartete. Oder über alles Mögliche, das er noch zu erledigen hatte. Langsam hob Joey die Tasse zum Mund und behielt nebenbei den Blick fest auf ihn gerichtet. An was er wohl dachte? Natürlich war es Arbeit und dennoch interessierte es Joey. Also fragte er einfach. "Woran denkst du?" Kaiba erwachte zum Leben, lugte flüchtig zu ihm und ließ die Tasse sinken. >Ich hätte fast einen Menschen vergessen, dem ich noch etwas schulde!< "An alles und an nichts." "Ah." Joey runzelte die Stirn. "Ja." Kaiba wandte sich wieder ab. "Frag nicht, es gibt vieles, das mich beschäftigt." "Hm." Joey bemerkte, dass er auf diesem Weg nicht weiterkam. Also schnitt er einfach ein neues Thema an. Er streckte beide Beine von sich. "Was machen wir, nachdem wir den Kaffee ausgetrunken haben?" "Was du machen willst, weiß ich nicht." Kaiba schwenkte das schwarze Getränk in der Tasse und betrachtete nebenbei seine Hände. "Aber ich trinke noch einen." "Ich bin dabei." Joey lachte heiter. "Und... was machen wir, nachdem wir den zweiten auch ausgetrunken haben?" Er beobachtete Kaiba keck. "Trinken wir noch einen?" "Nein." Kaiba grinste flüchtig und sah Joey direkt an, worauf sich dessen Lächeln sofort vertiefte. "Dann ist der Automat leer." Joey prustete los. Kaiba hatte gegrinst... und konnte hinzukommend auch richtig lustig sein, was man bei seinem Anblick kaum vermutete. Während er schnell die Tasse zur Seite stellte, um deren Inhalt während des Lachens nicht zu verschütten, lugte Kaiba erneut zu ihm, zuckte mit den Schultern und erhob sich von der Sofalehne. "Ich bin gleich wieder da", sagte er nur und verschwand in seinem Büro. Noch immer begeistert, sah Joey ihm nach und schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte ihn nicht gekannt und doch gehasst. Er hatte sich benommen, wie Duke es nun tat. Die außergewöhnliche Kleidung, das Tattoo... der versteckte Humor! Joey biss sich auf die Unterlippe und sah sich um. Er ließ den Blick durch den riesigen Raum schweifen, beobachtete wenige Mitarbeiter genauer und begann über das Leder des Sessels zu kratzen. Er beobachtete die Kopierer, an denen er die meiste Zeit verbracht hatte, nahm die riesige Pinnwand unter die Lupe und starrte auch auf die Computer, von denen er überhaupt nichts verstand. Doch dann stoppte er und fixierte den Blick auf einen Punkt, der ihm nichts zu bedeuten hatte. Er musste kurz nachdenken. Gemütlich blieb er sitzen, hielt in der einen Hand die Tasse und bearbeitete mit der Anderen das Leder. Das zufriedene Lächeln schwand und seine Augen starrten gedankenverloren und abwesend ins Leere. Da Kaiba sein Wort hielt und wirklich gleich wieder da war, blieb ihm jedoch keine Zeit, so zu verharren. Sobald er aus dem Büro in den Flur hinaustrat und sich kurz streckte, erwachte er wieder zum Leben. Seine Finger schlossen sich kurz fester um die Tasse und lockerten sich sofort wieder, sein Blick fiel auf Kaiba. Dieser hob die Tasse zum Mund, leerte sie und rammte sie auf die kleine Ablage zurück. "Nun mal ehrlich", sagte er dann und wandte sich Hände reibend an Joey. "Du musst mir nachher bei den Karteien helfen." "Klar." Joey zuckte mit den Schultern und Kaiba nickte. Wenige Momente vergingen in Schweigen und Joey bemerkte den erwartungsvollen Blick, der permanent auf ihm haftete. Irritiert erwiderte er ihn. „Was ist?“ Kaiba hob die Augenbrauen und der Blonde legte den Kopf schief. „Ähm…“ Plötzlich fuchtelte Kaiba mit den Händen. "Na komm, komm schon." Nachher? Nein, Kaiba ließ ihm nicht mal mehr Zeit, um auszutrinken. Er zerrte ihn wieder in das Büro zurück und nahm ihm die Tasse aus der Hand. Kaffee bis zum Umfallen, könne er in seiner Pause trinken, meinte er. Und Joey nahm sich fest vor, das auch zu machen. Kurze Zeit später hockte er gemütlich auf dem Boden, Kaiba neben ihm am Schreibtisch. Sie hatten beide einen großen Haufen Karteikarten vor sich, die es zu sortieren galt. Aber sie unterschieden sich nicht einmal farblich voneinander. Nein, natürlich war alles in der Kaiba-Corporation wieder komplizierter. Und so musste Joey nach einer winzigen Zahlenreihe suchen, die irgendwo am unteren Rand stehen sollte. Er drehte die Karte, hob sie hoch und begutachtete sie von allen Seiten. Da war nichts. Verunsichert blickte er zu Kaiba auf, der die Karten nur kurz ansah und sie dann in die dementsprechenden Richtungen warf, zu den dementsprechenden Haufen. Natürlich kannte er sich viel besser aus und er würde wieder zurückhängen. Doch Joey brachte es gut hinter sich. Er schuftete zwar noch, als Kaiba seine Arbeit bereits beendet hatte und dennoch war es eine beachtliche Leistung. Kaiba nahm ihm noch die Hälfte ab und wieder hing Joey mit seiner Hälfte zurück! Dann war es also um sieben und Joey fühlte sich, als hätte er zehn Arbeiten hintereinander geschrieben. Er war erschöpft aber es hielt sich in Grenzen. Unter einem erdrückten Stöhnen ließ er sich einfach nach hinten fallen und ruhte sich etwas auf dem Boden aus. "Hopp, hopp!" Mit den gebündelten Karteikarten zog Kaiba an ihm vorbei und stupste ihn mit dem Fuß an. "Die müssen noch weg." "Komme." Joey rappelte sich auf, kam auf die Beine und raffte die vielen Haufen zusammen, stets darauf achtend, dass er sie sich nicht wieder in Unordnung brachte. Dann eilte er hinter Kaiba her, aus dem Büro, durch einen Gang und sonst wohin. "Arbeiten wir nach meiner Pause noch weiter?", wollte er wissen, als er Kaiba in einen Raum folgte, indem ganz viele voll gepackte Regale standen. "Nein." Kaiba lud sein Gepäck in einem der Regale ab. "Eigentlich sind wir für heute fertig. Mit der Pause habe ich eigentlich gemeint, dass du nach Hause gehen kannst, wenn du willst." Joey legte den Kopf schief und schlenderte näher. "Und was ist, wenn ich nicht will?" "Mokuba kommt um acht vorbei." Kaiba wandte sich ihm zu und nahm ihm die vielen Häufchen ab. "Ich habe ihm versprochen, mit ihm essen zu gehen." Er stopfte den Kram wieder in ein Regal und rückte ihn kurz zurecht. "Kannst ja mitkommen." "Was?" Joey ließ die Arme sinken. "Ich soll mitkommen...?" Allmählich wusste er nicht mehr, was er von Kaiba halten sollte. Wenn er es jedoch recht bedachte, hatte er einen großen Hunger und hinzukommend noch größere Lust, mit Kaiba und Mokuba essen zu gehen. "Ich lade dich ein. Natürlich nur, wenn du noch Zeit hast." Kaiba zog an ihm vorbei und steuerte auf die Tür zu. Joey sah ihm ungläubig nach und der Brünette hielt im Türrahmen inne. Auf de reinen Seite wollte er es unbedingt, auf der anderen jedoch, mochte er es nicht, ständig eingeladen zu werden. Kaibas Hand legte sich bereits auf die Klinke, als er sich zu ihm umdrehte. "Kannst auch selbst bezahlen", meinte er, als könne er Gedanken lesen und warf einen Blick auf seine Uhr. "Was ist jetzt?" Joey nickte und fand zu seinem Lächeln zurück. Gemeinsam machten sie sich dann wieder auf den Weg zum Büro und als sie dort angekommen waren, ließ sich Kaiba hinter seinem Schreibtisch nieder und faltete die Hände auf dem Bauch. "Länger als eine Stunde wird es nicht dauern", sagte er und blickte Joey wieder direkt in die Augen. "Du kannst ja etwas spazieren gehen oder dich ausruhen." "Ich werde etwas herumlaufen." Entschloss sich Joey und trödelte näher, die Hände in den Hosentaschen versteckend. Dann blieb er stehen und sein Blick fiel kurz auf die Zigarettenschachtel. Ja, warum nicht? Er wies mit einer knappen Kopfbewegung auf sie. "Darf ich?" Kaiba fuchtelte mit der Hand und Joey griff nach ihr, klappte sie auf und zog sich eine Zigarette heraus. Anschließend schob ihm Kaiba ein Feuerzeug zu. Es schlitterte über den Tisch und Joey griff danach. "Wir sehen uns dann." Kaiba nickte und begann in seinem Schreibtisch zu wühlen. Diesen Anblick wollte sich Joey nun wirklich nicht antun. Also klemmte er sich die Zigarette hinter das Ohr, ließ das Feuerzeug in seiner Hosentaschen verschwinden und trödelte los. Guten Mutes schlenderte er durch den riesigen Raum, wich den überarbeiteten Mitarbeitern aus und blieb letzten Endes vor dem Fahrstuhl stehen. Dort studierte er die Etagenübersicht. 32. Stöcke… Joey blähte die Wangen auf. Und über ihm lag direkt das Dach. Der Ausblick war sicher außergewöhnlich. Also tippte er auf das D und wartete. Der Fahrstuhl war sofort da, was Joey wunderte. Sicher wurde er oft genutzt, von jedem menschlichen Wesen, das hier herumrannte. Als sich die Türen öffneten, trat Joey ein und als sie sich erneut öffneten, zog ihm sofort eine frische Brise entgegen. Er atmete tief ein, trat auf das Dach hinaus und blieb stehen. Hinter ihm schlossen sich die Türen und er starrte auf den blauen Himmel, der ihn zu allen Seiten umgab. Wahrlich, es war ein außergewöhnlich schöner Ausblick. Joey blieb an Ort und Stelle stehen, genoss den Wind und versuchte dann vergebens, seine Zigarette anzuzünden. Erst als er sich in einem windstillen Winkel verkroch, gelang es ihm und er nahm sofort einen kräftigen Zug. Hin und wieder tat so eine Zigarette wirklich gut. Er klemmte sie zwischen die Lippen, schnallte sich kurz den Gürtel enger und schlenderte dann weiter über das Dach. Dabei ließ er sich alle Zeit der Welt. Auf dem Dach standen einige Container, in denen irgendetwas lagerte, das nur selten gebraucht wurde. Sonst gab es viele Masten und Antennen und dennoch sah es sogar hier oben sauber aus. Das Dach war etwa fünfzig mal fünfzig Meter breit und man konnte viel Zeit damit verbringen, hin und zurück zu wandern. Genau das tat Joey. Dabei näherte er sich jedoch nicht der Abzäunung, hinter der sich sogleich ein tiefer, ja, ein sehr sehr tiefer Abgrund erstreckte. Es war ein hoher und stark gebauter Maschendrahtzaun über den ein Stacheldraht gespannt war. Nur um sicher zu sein, dass keiner der Mitarbeiter durch die viele Arbeit einen kleinen Hirnausfall erlitt und ohne Seil Bungee zu springen versuchte. Joey hatte grässliche Höhenangst! Schon wenn er auf einer Brücke stand und auf die Züge herabblickte, die in der Dunkelheit der Brücke verschwanden, wurde ihm schwindelig. Und bevor er das Bewusstsein verlor, verzichtete er auf einen Blick nach unten. Ne, das war ihm zu hoch. Also hielt er sich die meiste Zeit über in der Mitte des Daches auf und setzte sich letzten Endes auf den Boden. Dort nahm er die letzten Züge, drückte die Zigarette auf den Steinen aus und blickte zu den Wolken auf. Was für ein herrlicher Anblick! Nun konnte er sich kaum noch vorstellen, dass er vor nur wenigen Stunden fast geheult hätte. Nun fühlte er sich so gut, wie lange nicht mehr und empfand die blaue Farbe des Himmels sehr passend zu seiner Laune. Er grinste unentwegt, als er die vorüberziehenden Wolken beobachtete und ihnen eine besondere Form zusprach. Er wusste nicht, wie lange er dort saß. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor; in Wirklichkeit war es nur eine halbe Stunde. Dann sah er sich kurz zum Fahrstuhl um und rappelte sich auf. In der Zwischenzeit hatte Kaiba also seinen Termin. Nur zu gern wollte Joey wissen, worüber er sprach, oder besser gesagt, worüber er diskutierte. Denn wenn es um geschäftliche Angelegenheiten ging, konnte er rabiat werden! Oh ja, das konnte sich Joey gut vorstellen. Er streckte sich, gähnte und sah sich dann wieder um. Und da fiel sein Blick auf die Absperrung. Er wurde neugierig. Wie es wohl da unten aussah? Die Menschen waren sicher so klein wie Ameisen. Oder noch kleiner? Er wollte es herausfinden. Und da es kein Haus gab, das höher als das Firmengebäude der Kaiba-Corporation war, hatte er auch keines gesehen. Nur vom Rand aus, erst wenn er kurz vor der Absperrung stehen würde, würde er die volle Schönheit dieser Aussicht genießen können. Nervös leckte er sich die Lippen und sah sich prüfend um. Niemand da? Gut. Zögerlich machte er sich auf den Weg zu der Absperrung. Er wollte nur ganz kurz schauen und dann wieder mit dem Fahrstuhl hinunterfahren. Ja, so würde er es machen. Je näher er dem Zaun kam, desto langsamer ging er. Und so kam es, das es drei Minuten dauerte, bis er knapp vier Meter vor ihm stand. Nun konnte er schon die Dächer der Häuser sehen, aber das reichte ihm nicht aus. Er schloss die Augen, ging drei große Schritte nach vorn und tastete nach den Drahtmaschen. Als er sie dann endlich ertastete, klammerte er sich sofort in ihnen fest und blieb stehen, die Augen noch immer geschlossen haltend. Vor ihm ging es jetzt also grauenhaft weit in die Tiefe. Joey schluckte, seine Finger krallten sich fester. Dann wollte er mal. Erst ganz vorsichtig, dann schnell öffnete er die Augen und starrte auf Domino herab. Es waren nur wenige Sekunden, die er zur Beobachtung nutzen konnte. Er sah den Park, den See, etliche Häuser und ganz viele Straßen. Aber das alles... lag so unglaublich tief. Und nachdem sich Joey nur kurz umgesehen hatte, brach ein grässlicher Schwindel in seinem Kopf aus, seine Hände glitten von dem Draht ab und seine Knie wurden weich. Er rutschte einfach hinab und fand sich wenige Sekunden später auf dem Boden hockend wieder. Herrje…! Was war denn jetzt los? Sein Atem begann schneller zu fallen, als er kurz die Augen öffnete. Er saß direkt vor dem Zaun! Direkt vor ihm ging es hinab!! Sofort hob er die Hände und presste sie sich auf das Gesicht. Himmelherrgott!! Was hatte er sich nun wieder eingebrockt? >Ich will hier weg<, zog es ihm durch den Kopf. Ja, er wollte aufstehen und sich ganz schnell in Sicherheit bringen. Das Problem war nur, dass seine Knie den Befehl verweigerten. Sie bewegten sich einfach nicht und Joey musste sitzen bleiben. Er musste sitzen bleiben und die Augen geschlossen halten. Auch bewegen durfte er sich nicht zuviel. Bei dem Gedanke, vor sich einen tiefen Abgrund zu haben, bekam er richtig Angst! Die ersten Minuten verbrachte er damit, reglos sitzen zu bleiben und verkrampft die Augen geschlossen zu halten. Erst später schöpfte er Mut und linste durch eine Lücke seiner Finger. Da stach ihm wieder diese Höhe entgegen und er presste das Kinn auf die Brust. Hilfe, jetzt reichte es… jetzt wollte er nicht mehr. Hilfe? Hilfe! Joey atmete tief ein, hatte das Gefühl, in einer Achterbahn zu sitzen. Und ihm würde noch schwindeliger werden, würde er noch einem einen Blick wagen. Nach weiteren Minuten versuchte er sich erneut aufzurichten, doch seine Beine waren wie taub. Es gab nur sehr wenige, die unter einer solch argen Höhenangst litten. Und Joey war bedauerlicherweise einer von diesen Unglücklichen. Er bekam Panik… schon bei lächerlichen Höhen. Und in diesem Fall konnte er sich kaum bewegen. Vorerst brach er alle Gedanken ab und befasste sich nur damit, die Augen geschlossen zu halten. Das war derzeit das Wichtigste! Er verharrte unglaubliche fünfzehn Minuten in dieser Haltung und quälte sich mit schrecklichen Gedanken. Die Hände behielt er auf das Gesicht gepresst, die ganze Zeit über! Und nachdem er insgesamt fünfzig Minuten auf dem Dach verbracht hatte, nahm er ein leises Geräusch wahr; ein leises Klingeln: Die Türen des Fahrstuhles öffneten sich! Das war die Rettung! Mit viel Mut ließ er die Hände ein Stücken sinken und lugte zur Seite. Ja, es war die Rettung. Und außerdem eine äußerst Entzückende. Kaiba trat auf das Dach hinaus, blieb stehen und beäugte ihn aus der Ferne. Sicherlich bot Joey einen merkwürdigen Anblick. Kaiba beobachtete ihn nur kurz und Joey starrte zurück, stets die Hand so haltend, dass er nicht auf Domino herabblicken konnte. "Was machst du da?" Endlich trat Kaiba näher. "… kann mich nicht bewegen", jammerte Joey. Kaiba kam näher, kam zu ihm und blieb neben ihm stehen. Ihm schien die Höhe nichts auszumachen. Nachdem er einen gelangweilten Blick durch den Zaun geworfen hatte, schüttelte er den Kopf und blickte auf Joey herab. "Warum zur Hölle gehst du auf das Dach, wenn du Höhenangst hast!" "Weiß nicht." Joey sah ihn flehend an. "Bitte hol mich hier runter." Kaiba stöhnte verzweifelt, beugte sich zu ihm hinab und packte ihn an den Oberarmen, jedoch so, dass es nicht wehtat. So zog er Joey auf die Beine und als dieser strauchelte, zog er seinen Arm über seine Schulter und richtete ihn auf. "Ich habe dich überall gesucht", erklärte er, als er zu dem Fahrstuhl zurückkehrte. Joey krallte sich an ihm fest, spürte seine Hand fest auf seinen Rippen. Jetzt fühlte er sich schon viel besser. Während er neben Kaiba einher stolperte, krallte er sich in dessen Shirt. Seinen Knien ging es zwar besser, seitdem ihm nicht mehr dieser grässliche Anblick geboten wurde, aber das musste Kaiba ja nicht wissen. Er genoss es, von ihm gestützt zu werden. Er spürte auch Kaibas Hand, wie sie sein Handgelenk umklammerte. "Ich war eher fertig, als erwartet." Zu guter Letzt blieb Kaiba vor dem Fahrstuhl stehen, ließ sein Handgelenk kurz los und tippte eine Taste. Noch immer ließ sich Joey mit düsteren Hintergedanken hängen und stützen. Als sich die Türen nach einer kurzen Zeit öffneten umfasste Kaiba wieder sein Handgelenk und zog ihn in die Kabine. Und dort, ach herrje, dort ließ er ihn los und Joey lehnte sich an die Wand. "Weißt du nicht, was du dir zutrauen kannst?", fragte er dann etwas spitz und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand. "Ja... doch." Joey lächelte matt. "Aber ich wollte nur mal schauen..." "Dann sag mir das nächste Mal wenigstens Bescheid, wohin du gehst, damit ich dich zurückschleppen kann!" "Tut mir leid." Joey ließ den Kopf hängen. "Ich mach's nicht wieder." "Außerhalb meiner Firma kannst du machen, was du willst." Die Kabine hielt und Kaiba drehte das Gesicht zur Tür. "Aber solange du dich hier aufhältst, trage ich die Verantwortung." "Tut mir Leid." Die Türen öffneten sich und Kaiba griff Joey am Ärmel, um ihn aus der Kabine zu ziehen. "Immerhin bist du noch am Leben." Kaiba zog ihn wieder zu seinem Büro zurück und Joey fühlte sich schon wieder viel kräftiger auf den Beinen. Also konnte Kaiba ihn bald loslassen. Bevor sie jedoch das Büro erreicht hatten, ertönte eine laute Stimme. "Seto!!" Kaiba blieb stehen und Joey rempelte ihn an, da er mit den Gedanken wieder wo anders gewesen war. Kaiba schob Joey etwas zurück und erspähte seinen kleinen Bruder, der eilig auf ihn zu rannte und letzten Endes vor ihm stehen blieb. "Können wir los? Können wir los?? Können wir..." Mokuba stutzte verwundert, als er Joey bemerkte. Er starrte ihn kurz an und trat anschließend näher, ihn weiterhin musternd. Joey grinste verhalten. "Hal..." "Joey?!" Mokuba ballte die Hände zu Fäusten, konnte nicht glauben, was oder wen er sah. "Was machst du denn hier?!" "Ich..." "Er hat mir geholfen." Kaiba tätschelte flüchtig Mokubas Schopf und trödelte weiter, auf das Büro zu. Kurz bevor er es betrat, blieb er stehen und drehte das Gesicht zu den beiden um. "Mokuba? Hast du etwas dagegen, wenn er uns begleitet?" "Höh?" Mokuba kratzte sich an der Stirn und blickte zu Joey auf, ihre Blicke trafen aufeinander. In den ersten Sekunden sah Mokuba so aus, als hätte er etwas dagegen. Joey bekam schon ein mulmiges Gefühl, doch dann lachte der Junge laut auf. "Klar, komm mit! Das wird sicher lustig!" "Danke." Joey ließ sich in einen der Sessel fallen und atmete tief ein. Jetzt dachte er schon wieder an das grausame Dach, von dem Kaiba ihn gerettet hatte. Als er erneut stöhnte, blieb Mokuba vor ihm stehen und starrte ihn mit den dunkelblauen großen Augen an. Joey hob die Augenbrauen und starrte zurück. "Was ist?" Mokuba stieß auf und rieb sich die Nase. "Hast du dich mit Seto versöhnt?" "Versöhnt?" Joey richtete sich langsam auf. "Wie meinst du das?" "Na ja." Mokuba begann wie wild mit seinen Händen zu fuchteln. "Früher habt ihr euch doch nicht gemocht. Ihr habt euch immer geärgert und wart gemein zueinander. Und da habe ich mich gewundert, denn dass ihr euch vertragt, hätte ich nie gedacht. Aber jetzt? Ich glaube es kaum, aber es gefällt mir wirklich ganz toll!" Joey grinste. "Ja, mir gefällt es auch." Mokuba grinste mit. "Und Seto gefällt es sicher ebenso." "Ach." Joey öffnete den Mund, warf einen prüfenden Blick zum Büro und neigte sich dann weiter nach vorn. Diese Heimlichtuerei gefiel Mokuba, also spielte er mit und beugte sich ebenfalls zu Joey. Dieser verengte die Augen und leckte sich kurz die Lippen. "Hat er... irgendetwas... gesagt?" "Gesagt?" Mokuba verstand nicht. "Na zu Hause", erläuterte Joey schnell. "Ich meine… über mich." "Ne." Mokuba richtete sich kopfschüttelnd auf. "Dich hat er nie erwähnt." "Oh." Joey zog ein langes Gesicht. "Aber dass sich Seto von dir helfen lässt, hat schon etwas zu bedeuten", versuchte Mokuba ihn aufzumuntern. "Sonst besteht er fest darauf, alles alleine zu machen. Du kannst dich also freuen." Mokuba kicherte leise. "Ich glaube, er hat dich gern. Und mir kannst du das ruhig glauben, denn niemand kennt Seto besser als ich!" "Ja." Joey strahlte. Der darauf folgende Abend war der Beste seit langem. Joey fühlte sich, als hätte er eine neue Familie, als er mit Kaiba und Mokuba in einem Restaurant saß. Natürlich war das ein ganz Nobles und auch die Preise konnten sich sehen lassen. So etwas hätte Joey wissen müssen. Trotz der Preise aß er so viel, bis er satt war und bestand dann darauf, selbst zu bezahlen. Während ihres Aufenthalts behandelte Kaiba ihn wie einen Bruder. Er tat, als würde er jeden Tag mit ihm in einem Restaurant sitzen und wenn man ihn beobachtete, konnte man meinen, er fasse es als Normalität auf. Während Mokuba fleißig aß, tranken die beiden ein Bier und quatschten dann etwas über den Tag, den sie nun hinter sich gelassen hatten. Er war sehr anstrengend gewesen. Mit dieser Meinung stand Joey jedoch alleine, denn bei Kaiba gehörten solche Tage zur Routine. Wie schon erwähnt, hatte Joey allen Spaß der Welt und fühlte sich rundum wohl. Er lachte, alberte und erhielt dafür einen kritischen Blick vonseiten Kaibas. Aber er war nun einmal so und Kaiba schien es auch zu akzeptieren, worüber Joey sehr froh war. Der Tag, der so grausam begonnen hatte, hatte sich also schnell geändert. Es war ungefähr um zehn, als die Drei das Restaurant verließen. Mokuba sprang sofort in die Limousine doch die Beiden blieben noch kurz stehen. Kaiba sah sich um. "Soll ich dich nach Hause bringen?" "Nein, nein", antwortete Joey schnell. "Es ist nicht weit, ich gehe zu Fuß. Und außerdem bin ich so vollgefressen, dass mir das gut tun wird." „Ah.“ Kaiba schraubte eine Braue höher und Joey räusperte sich. „Also… nein… aber danke.“ "Gut." Kaiba nickte und wandte sich ab. Joey sah ihm nach, bis er vor der Tür stehen blieb. Und dort drehte er sich noch einmal zu ihm um und sah ihn an. "Komm gut nach Hause, Joseph." Ein Freudenfeuer entflammte in Joey und er wusste vorerst nicht, was er darauf erwidern, geschweige denn, tun sollte. Er stand nur da und starrte Kaiba an. Dieser grinste flüchtig und stieg dann ein. Dann schloss der Chauffeur die Tür und Joey starrte auf die verdunkelte Scheibe. Und er blieb stehen, bis sich der Wagen in Bewegung setzte und davon fuhr. Dann sah er ihm nach. Ein wahres Inferno aus Gedanken tobte in seinem Kopf, als sich dann auf den Weg machte. Die Hände in den Hosentaschen, den Blick auf den Boden gerichtet, bog er um eine Ecke und schlenderte durch eine finstere Gasse. Joseph… Er hatte ihn wirklich Joseph genannt! Ein Name, den er eigentlich nicht gewohnt war. Doch Kaiba schien er zu gefallen und das war die Hauptsache. Joey versuchte zu lächeln, doch dieses Lächeln schmerzte und er ließ es bleiben. Er fühlte sich merkwürdig. Er spürte etwas, das er zuvor noch nie gespürt hatte. Noch nie in seinem gesamten Leben! Doch was war es…? Er trat wieder auf die Hauptstraße hinaus und trödelte weiter, sein Gesicht verfinsterte sich zusehends. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl, als er an Kaiba dachte, als er ihn vom Dach gerettet hatte. Fast war es wie eine Umarmung gewesen. Fast. Und Joey hatte es beinahe zu einer werden lassen, indem er sich an ihn geklammert hatte. Er hatte es einfach getan, ohne nachzudenken. Und es war gut gewesen. Kaiba hatte einen unglaublichen Körperbau, war stark und stolz. Joey blieb stehen. Und er hatte ihn geschleppt, als wäre er ein kleines Kind. Er hatte so wenig Kraft dafür benötigt. Joey war schlank und deshalb nicht sehr schwer und dennoch war es eine tolle Leistung. Vielleicht sollte er öfter umfallen? Der junge Mann blickte auf und sah die Straße hinab. Wie schön doch die Laternen brannten. Sie tauchten die Umgebung in einen angenehmen Schein. Wie gern würde er jetzt mit Kaiba spazieren gehen. Wie gern hätte er Kaiba jede Sekunde um sich. Was würde er glücklich sein! Bald war er zu Hause und als er die dunkle Wohnung betrat, fühlte er sich noch viel schlimmer! Was war nur mit ihm los?! Joey rieb sich die Stirn und verschwand im Bad. Er wollte in sein Bett und ganz schnell einschlafen. Nachdem er geduscht hatte, lag er auch im Bett, war jedoch hellwach. Er rollte sich von einer Seite zur anderen, versteckte sich unter der Decke und begann zu zählen. So kam er sonst eigentlich gut in den Schlaf. Sonst, heute jedoch nicht. Als er die 1000 erreichte, schlug er die Decke zur Seite und richtete sich brummend auf. Und glaubt ihr es? Der erste Gedanke, der Joey durch den Kopf zog, war: >Vielleicht kann ich Kaiba anrufen?< Oh, er hatte seine Nummer gar nicht, müsste sie sich jedoch so schnell wie möglich besorgen. Er startete einen neuen Versuch, einzuschlafen, doch als auch dieser scheiterte, stand er auf und spazierte etwas durch die Wohnung. Zuerst stand er an seinem Fenster und starrte auf die finstere Straße hinab, dann saß er in der Küche und starrte auf die Uhr. Ach, es war außerdem um eins in der Frühe. Das hatte er doch nicht verdient, oder? Aber da er nun schon einmal wach war, konnte er auch gleich noch etwas nachdenken. Und das tat er auch. "Du überschätzt deine Fähigkeiten, Wheeler! Überschreitest deine Grenzen, spielst dich auf und gibst an, obwohl du nichts hast, womit du angeben könntest! Du tust, als wärst du etwas Besseres! Du hast eine große Klappe und keinerlei Respekt vor Personen wie mir, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen müssen! Du lässt dich durchfüttern und kannst es dir somit erlauben, über andere herzufallen, die für ihren Unterhalt schuften müssen! Du erkennst den Ernst des Lebens einfach nicht, siehst es scheinbar als ein Spiel an! Und dein Gesicht! Kein Mensch kann einen Jungen leiden, der andauernd ein langes Gesicht zieht! Buh, ich bin so arm und kann mir nichts leisten. Buh, die sind alle so gemein zu mir! Du jammerst über jeden Blödsinn, bist jedoch nicht dazu bereit, etwas daran zu ändern! Du bist ein Nichts, Wheeler! Und daran solltest du möglichst schnell etwas ändern, sonst wirst du selbst deinen tollen Freunden zu blöd! Wheeler, du bist ein hoffnungsloser Fall! Du wandelst durch das Leben und bemitleidest dich selbst! Es gibt nichts Schlimmeres, als das! Nichts verachte ich mehr! Und du fragst, was ich an dir nicht leiden kann?! Da hast du deine verfluchte Antwort! Alles, Wheeler! Ich kann alles an dir nicht leiden! Und wenn du schon arm wie ein Bettler bist, dann such dir wenigstens eine Arbeit!" Joey stützte das Kinn in die Handfläche und zog mit dem Zeigefinger Kreise auf dem Tisch. "Ich mache etwas aus meinem Leben und arbeite hart für meinen Erfolg! Du lässt dich treiben und bist faul! Glaubst du wirklich, von so einem Menschen will ich mir helfen lassen?! Du spinnst doch!" Joey richtete sich auf und sah sich um. Ein Kaffee käme ihm gelegen, aber bei Kaiba hatte er so viel davon getrunken, dass er nun nichts mehr hinunter bekam. "Meinetwegen kannst du heulen, bis zu stirbst. Ich bin nur hier, weil ich etwas vergessen habe!" Joey erhob sich und ging zum Kühlschrank. Als er ihn öffnete, bemerkte er jedoch, dass er auch keinen Hunger hatte. Kein Wunder, so viel wie er im Restaurant gegessen hatte. "Ich kann dich auch nicht ausstehen. Ich kann es nur nicht leiden, jemandem etwas schuldig zu sein! Und vor allem nicht so einem wie dir!" Joey schloss den Kühlschrank und wandte sich kopfschüttelnd ab. "Freunde?!", schallte Kaibas Stimme in seinem Kopf wider und wider. "Wenn wir uns unterhalten, hat es noch lange nicht zu bedeuten, dass wir Freunde sind! Solche Unterstellungen verbitte ich mir!" Joey lehnte sich gegen den Kühlschrank und verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du dein Mann sein willst, dann benimm dich gefälligst auch so!" Joey Blick sank gen Boden. "Du willst also, dass ich dir helfe, ja? Morgen zwischen viertel vier und um vier habe ich noch etwas Zeit. Ich bin in der Firma. Dort müsstest du vorbeikommen. Aber wenn du zu spät kommst, kann ich für nichts garantieren." Ja, etappenweise hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen gebessert. Ein mattes Lächeln zog an Joeys Mundwinkel, als er auf den Boden starrte. "Das wichtigste ist bei der Trigonometrie, dass du die Sätze kennst. Sinussatz, Kosinussatz. So einfach ist das. Komm, schreib auf. Also, den Sinus eines Winkels kann man berechnen, in dem man Gegenkathete und Hypotenuse dividiert. Die Hypotenuse ist natürlich die Seite die dem rechten Winkel gegenüberliegt." Es war eigentlich schnell gegangen. Nie hatten die beiden das Wort "Freundschaft" in den Mund genommen, wie Yugi es so gern tat und dennoch hatte sich alles von selbst entwickelt. "Na, Joey ist nur dein Spitzname, oder? Hm? Ist nicht schwer zu erraten." Joey hatte seinen Teil der Arbeit erledigt und konnte nun das Ergebnis genießen. Er hatte Kaiba als Freund gewonnen. Nach langen Strapazen und Streitigkeiten. Doch sie hatten es geschafft. "Was ist? Du hast gefragt, ob du mir helfen kannst. Jetzt bin ich hier und hole dich ab." Joey grinste. "Leg den Kram da hin. Und dann trinken wir erst einmal einen Kaffee." Das Grinsen vertiefte sich. "Was du machen willst, weiß ich nicht. Aber ich trinke noch einen. Und dann ist der Automat leer." Leise lachend ließ Joey den Kopf hängen. "Komm gut nach Hause, Joseph." Sofort stockte er und hielt die Luft an. Kaiba hatte ihn... ‚Joseph’ genannt… Darüber kam er nicht hinweg. Das Blut war in seinen Adern gefroren, als er seinen Namen aus Kaibas Mund gehört hatte. Und der Ton, mit dem er ihn ausgesprochen hatte. Noch nie hatte er ihn so sprechen gehört. Es hatte so entspannt, so nett und warm geklungen. Joey schluckte. Frühzeitig kämpfte sich Herr Wheeler aus dem Bett. Er kam auf die Beine, streckte sich und kratzte sich am Bauch, als er sich auf den Weg zur Küche machte. Gähnend griff er nach der Türklinke und zog die Tür auf. Er brauchte einen Kaffee, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte. Er trat in die Küche und wollte gähnen, doch dann stoppte er. Mit Schlafanzug und trüben Augen hockte Joey vor dem Tisch und rollte eine Tasse zwischen den Händen. Sein Gesicht war sonderbar blass und die Augen nicht nur trübe, sondern auch gerötet. Hatte er geweint? Der Mann legte den Kopf schief und Joey lugte kurz zu ihm. "Morg'n." "Guten Morgen?" Langsam trat sein Vater näher und blieb neben ihm stehen. Joey fuhr sich flüchtig über das Gesicht und ließ dann wieder den Kopf hängen. "Was ist denn mit dir los?" "Ich konnte nicht schlafen", nuschelte Joey auf den Tisch starrend. "Warst du die ganze Nacht wach...?" "Hm." Joey zog die Nase hoch und atmete tief ein. "Das kannst du doch nicht machen!" Sein Vater schüttelte tadelnd den Kopf und steuerte auf den Kühlschrank vor. "Der Schlaf ist sehr wichtig." Diesmal erwiderte Joey gar nichts. Er blieb zusammengesunken sitzen und blickte erst auf, als sich sein Vater ihm gegenüber niederließ und ihn besorgt musterte. "Alles in Ordnung? Was ist mit deinen Augen?" "Bin nur müde", antwortete Joey matt und schob die Tasse von sich. Dann erhob er sich. "Muss dann los." Mit diesen Worten verließ er die Küche. Sein Vater sah ihm verwundert nach, seufzte dann und begann zu frühstücken. Joey wollte sich heute von Kaiba fernhalten, wollte ihn nicht im Lawell treffen und auch nicht seine Firma betreten. Nein, er hatte sich etwas anderes vorgenommen. "Gönnst du es mir nicht?", fragte er Duke scheu, als er während der Hofpause neben ihm saß. Duke blickte auf, lugte zu ihm. "Ich meine", Joey sah sich flüchtig um, erspähte Kaiba und wandte sich dann doch wieder an Duke, "ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Ich gebe auch zu, dass ich dich und die Anderen vernachlässigt hab. Aber ich war so froh über die Freundschaft, dass ich unbedingt etwas mit Kaiba unternehmen musste. Und der Rest der Zeit ging durch meine Nebenjobs drauf." Duke schwieg und beobachtete ihn weiterhin von der Seite, immer noch konnte man seiner Mimik nicht entnehmen, ob Joeys Entschuldigung fruchtete. Yugi, Tristan und Tea beschäftigten sich währenddessen anderweitig. "Aber ich möchte alles wieder gut machen." Joey erwiderte Dukes Blick flehend. "Ich will ja gern etwas mit euch unternehmen, aber wann kam es denn schon vor, dass ich Kaiba in seiner Firma besuchen durfte?" "Du hast ihn", Duke schnitt eine Grimasse, "… du... warst bei ihm in der Firma?" "Ups." Joey lehnte sich ängstlich zurück. "Ja, aber das war wirklich nicht..." "Schon in Ordnung." Duke wandte sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich akzeptiere deine Entschuldigung." Joey seufzte erleichtert. "Vorausgesetzt...", Duke ließ die Arme sinken und neigte sich ruckartig zu ihm, "... du kommst heute mit!" "Mitkommen?" Joey lehnte sich wieder zurück, hatte Angst vor Duke. "Wohin denn?" "Ach", Duke fuchtelte mit der Hand, "… wir gehen heute in die Stadt und inspizieren das neue Kaufhaus." Duke blinzelte hinterhältig zur Seite und legte heimlich die Hände an den Mund. "Anschließend besuchen wir Bakura und zerren ihn von seinem blöden Schreibtisch weg, an dem er so wie so sein halbes Leben verbringt. Wir schreiben keine Arbeiten, aber trotzdem lernt er… nein!" Duke sprang auf und Joey zuckte erschrocken zusammen. "Wir müssen das Wetter genießen!!" Duke fuchtelte mit den Fäusten und viele Augen richteten sich auf ihn. "Wir müssen Eis essen und... faulenzen, ja! Und nicht", er fuhr herum und zeigte mit dem blanken Finger auf Bakura, der eingeschüchtert die Augenbrauen hob, "und nicht lernen, mein Lieber!!" "Aber ich..." "Du wirst schon sehen." Duke lachte arglistig und rieb sich die Hände. Dann lachte er durchtrieben und stieg auf die Bänke, um auf ihnen spazieren zu gehen. Joey starrte ihn entgeistert an. Was hatte der Junge denn genommen? Er beobachtete ihn, wie er hinter Bakura stehen blieb, die Arme um seinen Hals legte und mit ihm schunkelte. Langanhaltende Frühlingsgefühle…? Joey wandte sich lächelnd ab. Es war so: In dieser Gruppe wurde er aufgeheitert. Hier wurde ständig gelacht und gealbert. Dem Realismus kam man jedoch nicht sehr nahe. Einer der wenigen Nachteile. Joey linste zu Kaiba, wandte sich jedoch sofort wieder ab. Und bei ihm war er größtenteils für das Aufheitern zuständig. Für seine Mühen erntete er jedoch einen Erfolg, der unbezahlbar war: Ein Lächeln. Joey seufzte schwer und kämpfte mit sich selbst. Sein Körper wollte sich wieder zu Kaiba umdrehen, doch er hinderte ihn daran. Auf den Grund... war er heute Nacht durch grausame Grübeleien gestoßen. Langsam faltete er die Hände ineinander und wollte in Trübsal verfallen. Doch da ließ Duke von Bakura ab und kehrte zu ihm zurück. Er begrüßte ihn mit einem derben Schlag auf die Schulter und schmiss sich dann neben ihn. Das war noch etwas, das seine Freunde von Kaiba unterschied. Kaiba war in seiner ganzen Art strenger, solche Spinnereien und spielerische Kempeleien gab es bei ihm nicht. Joey hatte es zumindest noch nicht bemerkt und konnte es sich auch nicht vorstellen. "Und?" Duke rempelte ihn mit der Schulter an. "Kommst du mit?" "Öhm… eh…" "Joey kommt mit!" Duke streckte triumphierend beide Arme von sich. "Ja, ich...", Joey kratzte sich an der Stirn, "... komme mit." "Schön." Yugi nickte zufrieden und Tea lachte. Und Tristan? Der begann mit Duke zu tollen. Joey jedoch reagierte überrascht. Sie hatten sich doch nur knapp eine Woche nicht getroffen. Wie schnell ging es denn, dass sie sich auseinander lebten? Ihm kam es beinahe schon so vor, als wäre es etwas abnormes, dass er mit ihnen herumhing. Aber dennoch freute er sich auf diesen Tag. Während Duke und Tristan kampelten, lugte er abermals zu Kaiba. Dieser telefonierte und ging kleine Kreise auf dem Hof. Er wusste, dass er nicht zu ihm kommen würde, wenn die Anderen anwesend waren. Er musste sich seinen Ruf bewahren. Joey schien in Ordnung zu sein, doch mit den Anderen kam er nicht klar und das Letzte was er tun würde, wäre, in ihre Ecke zu kommen, um mit ihm zu sprechen. Außerdem hatte er sowieso zu tun… und das war auch gut so. Abwesend fixierte Joey ihn, behielt ihm fest im Blick und achtete auf jede seiner Bewegungen, so klein sie auch waren. Und während er die Beobachtungen anstellte, kehrte eine leichte Trauer auf sein Gesicht zurück. Er ließ die Schultern hängen und legte langsam den Kopf schief. Die Stimmen der anderen wurden leiser, bis sie vollständig verstummten. Die Umgebung wurde von einem weißen Meer überflutet und letzten Endes gab es nur noch Kaiba und ihn in dem weißen Nichts. Joey schluckte, seine Hände falteten sich wieder. Er könnte heulen, er fühlte sich dreckig und fürchtete sich vor sich selbst. Mit Duke hatte er sich versöhnt und nun schien es keinerlei Probleme mehr zu geben. Probleme? Joey blinzelte müde. Probleme gab es genug. Seit dem gestrigen Tag hatte sich alles verändert. Bis um drei Uhr hatte er gegrübelt und den Rest der Zeit hatte er damit verbracht, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Heute Morgen hatte er sich einen Tee gemacht, nicht etwa einen schwarzen Kaffee. Wieder hatte er Mist gebaut, wieder einen Fehler begangen. Auf diesen Fehler war er jedoch erst aufmerksam geworden, nachdem er die Freundschaft mit Kaiba gefestigt hatte und ihn als wirklichen Freund ansah. Wirklich ein vortreffliches Timing! Dabei hatte er sich nur nach Kaibas Akzeptanz ihm gegenüber gesehnt. Anfangs hatte er sich lediglich gewünscht, dass er ihn endlich in Ruhe ließe. Das hatte er erreicht. Dann war er auf Freundschaft aus gewesen und auch diesen Traum hatte er in Realität gewandelt. Er wollte die Freundschaft aufbauen, das war geglückt. Er wollte sie festigen. Gute Arbeit, Joey. Doch nun? Beschämt ließ er den Blick sinken. Nun hatte er den Bogen überspannt. Überspannt, soweit es nur ging. Was sollte er jetzt tun? Was hatte er denn erwartet? Hatte er wirklich gedacht, eine Freundschaft mit Kaiba würde ihm genügen? Oh Gott...! Joey neigte sich nach vorn und rieb sich das Gesicht. Kaiba hatte etwas Außergewöhnliches an sich. Das hatte er doch selbst gedacht, als er ihn beobachtet hatte. Wirklich etwas Außergewöhnliches. Das stolze Auftreten, die stolze Haltung und der feste Blick. Unzerstörbar und eisern. Was zur Hölle hatte er nur erwartet! Am liebsten würde er die Freundschaft zu Kaiba beenden. Hier und jetzt. Jetzt gleich! Wieder blickte er auf und beobachtete Kaiba leidend. Doch wie würde er reagieren? "Ich kündige dir die Freundschaft, Kaiba"? Joey biss sich auf die Unterlippe. Nach Anerkennung und Verständnis hatte er sich gesehnt... nun hatte er... "Hey!" Ein deftiger Schlag brachte ihn in die Realität zurück. Er zuckte erschrocken zusammen und fuhr in die Höhe. "Was?! Was ist?!" "Das ist!" Duke betrachtete ihn skeptisch. "Allerdings weiß ich nicht, wo du bist!" "Hier?" Verdattert sah sich Joey um und Duke trat näher, beugte sich nach vorn und starrte ihn mit großen Augen an. "Du siehst komisch aus", bemerkte er nach einer kurzen Beobachtung. "Wo sehe ich denn komisch aus?" Joey erhob sich von der Bank und fuhr sich über die Hose. "Duke hat Recht." Auch Yugi erschien neben den beiden, zustimmend nickend. "Du siehst etwas müde aus." "Nicht nur etwas", meldete sich Tea zu Wort. "Etwas sehr müde." "Was hast du gemacht?", fragte Tristan. "Auf jeden Fall nicht geschlafen", erwiderte Joey und trödelte los. "Es geht rein." Joey sprach an diesem Tag nur wenige Worte mit Kaiba. Nur ein "Hallo" und ein knappes "Tschüss" von Seiten Joeys. Kaiba sagte ja nichts, wenn man ihn nichts fragte. So verbrachten die Beiden keine Zeit in der Schule zusammen und als sie nach Hause fuhren, trennten sich ihre Wege. Joey ließ sich gern von seinen Freunden durch das Kaufhaus scheuchen. Er half auch bei Bakuras Entführung und anschließend bei der Beseitigung des Eises. Er lachte… Doch lange schon hatte er sich nicht mehr so mies gefühlt. Und er konnte mit niemandem darüber sprechen. Mit den vielen Gedanken musste er allein kämpfen, den Schmerz für sich behalten. Als sie letzten Endes wieder im Park am See landeten, zog er sich kurz zurück, hockte sich hinter ein Gebüsch und schlang die Arme um die Knie. Dort verharrte er lange und dachte nach. Die Freundschaft zu Kaiba war ihm zu wichtig, als dass er sie einfach aufgeben konnte. Und die andere Variante hatte keine Zukunft. Er hatte keine Angst davor, von Kaiba verachtet zu werden. Nein, schlimm war es, dass Joey sich selbst verachtete. Wie konnte so etwas nur mit ihm passieren? Um kein Aufsehen zu erregen stand er bald wieder auf und kehrte zu den anderen zurück. Nun, Bakura war der Einzige, der mit seinem Eis auf der Decke saß. Tristan und Duke schmissen gerade Yugi in den See und Tea sprang freiwillig, mitsamt ihrer Kleidung. Neben Bakura ließ sich Joey nieder, streckte die Beine von sich und beobachtete seine lachenden Freunde. "Es ist nicht gut, was du da machst", ertönte neben ihm plötzlich eine Stimme und er drehte das Gesicht zur Seite. Bakura lutschte kurz an seinem Eis und zuckte dann mit den Schultern. "Aber wenn du es so willst?" "Was meinst du?", fragte Joey verdattert. "Wenn ich Probleme habe, behalte ich es sicher nicht für mich. Dadurch wird es nur schlimmer. Die Erfahrungen habe ich schon gemacht. Und glaub mir, es fühlt sich nicht gut an, wenn alles aus dir heraus bricht." Bakura lutschte weiter, es klang, als erzähle er die Geschichte vom Schneewittchen. So gelassen quasselte er daher. Joey hob die Augenbrauen und starrte ihn an. "Es müssen ja wirklich arge Probleme sein, wenn du so ein langes Gesicht ziehst." "Ich habe kein Problem", log Joey und schielte zu seiner Nase, in der Hoffnung, sie würde nicht wachsen. Bakura drehte das Gesicht zu ihm, sah ihn kurz an und wies dann mit dem Eis auf seine Augen. "Schau mal", sagte er. "Das sind Augen. Und sie sehen viel." "Ach ja?" Joey grinste verhalten. "Was auch immer für ein Problem es ist", Bakura wandte sich ab und beobachtete sein Eis, "… entweder du beseitigst es schnell und kannst wieder lachen, ohne es dir aufzuzwingen, oder du schiebst es weiterhin vor dir her und gehst zu Grunde." Bakura grinste. "Das Letztere rate ich dir nicht." "Das sagst du so einfach." Joey wandte sich ab, winkelte die Beine an und schlang die Arme um die Knie. "Das kann ich nicht so einfach 'beseitigen'!" Somit hatte er sich verraten, doch Bakura wirkte nicht sehr überrascht. "Das musst du selbst wissen." Bakura beobachtete Tristan und Duke, die von Kopf bis Fuß pitschnass waren und ihn ins Visier nahmen. "Komm, wir schmeißen Bakura ins Wasser", hörte er sie heimlich flüstern. Da warf er sein Eis fort und rannte weg. Die Worte von Bakura, der sich außerdem nicht fortwährend verstecken konnte und letzten Endes doch im See landete, brachten Joey wieder zum Grübeln. Aber nur kurz. Am Ende, als er wieder auf dem Heimweg war, war er sich dennoch sicher, dass es keinen Ausweg gab. Gefühle ließen sich nicht von einem Tag zum anderen abstellen. So war das nun einmal. Aber die Freundschaft kündigen? Nein, das konnte er nicht. Dafür war sie ihm zu wichtig und außerdem hatte er Angst, Kaiba zu verletzen. Auch wenn man es sich kaum vorstellen konnte… Joey glaubte, dass es möglich war. Vielleicht war es auch nur eine kleine, eine ganz winzige Phase? In Joey loderte ein Hoffnungsfeuer auf. So musste es sein! Eine andere Erklärung gab es nicht. Er würde sie überstehen und darauf hoffen, dass sich dieses Problem von ganz alleine beseitigen würde, wie Bakura gefühlvoll zu sagen pflegte. Morgen wollte er wieder etwas mit Kaiba unternehmen. Er wollte es aus tiefstem Herzen. Nun ja, er wollte dieses Treffen auch ausnutzen, um sich Klarheit zu verschaffen. Eine Phase, mehr konnte es nicht sein. Er würde nichts spüren und Kaiba als einen Freund ansehen. Als er mit seinem Vater Abendbrot aß, dachte er nach. Was konnte er mit Kaiba machen? Also, er war bei ihm in der Firma gewesen und Kaiba war schon des Öfteren bei ihm zu Hause gewesen. Was fehlte? "Du willst mich zu Hause besuchen." Eine gewisse Ungläubigkeit versteckte sich in Kaibas Stimme, doch Joey nickte. "Das ist nur fair", sagte er schulterzuckend. "Du warst schon bei mir. Jetzt will ich mal sehen, wie du so lebst." Kaiba richtete sich stirnrunzelnd auf und legte den Kopf schief. "Was ist?" Joey grinste keck. "Hast du nicht aufgeräumt?" "Ach..." Kaiba zog eine Grimasse. Nun, da Joey ihn wieder sah, schienen die Probleme wie weggeblasen. Auch sein Herz blieb bei seinem Anblick ruhig. Also, eine Phase. Er liebte es, einfach nur mit ihm auf dem Hof zu stehen, mit ihm zu quatschen... und ihn zu überreden, denn Kaiba sah nicht sehr begeistert aus. Es war ein großer und sehr gewagter Schritt... und das wusste Joey. Er ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und beugte sich etwas nach vorn. "Na?" Er wollte Kaibas Haus unbedingt sehen. Und wie schon gesagt, es war nur fair. "Was ist mit deinem Job?", erkundigte sich Kaiba nach kurzen Überlegungen. "Zwei Wochen arbeiten, eine Woche frei", antwortete Joey heiter. "Und diese Woche ist meine Glückswoche. Verstehst du? Ich muss sie nutzen und dich besuchen." Kaiba stöhnte und ließ den Kopf hängen. "Was ist?", drängelte Joey vorsichtig. "Hast du zuviel Arbeit?" "Nein." Kaiba richtete sich wieder auf und sah sich unbehaglich um. "Eigentlich ist es ein Wunder." "Keine Termine?", fragte Joey erfreut. Kaiba schüttelte den Kopf. "Und auch keine andere Arbeit?" "Okay, hör mal." Kaiba hob abwehrend die Hand. "Du kannst kommen. Aber erst um vier." "Warum so spät?", wollte Joey ungeduldig wissen. "Weil ich trotzdem noch einmal in die Firma muss", raunte Kaiba Augen rollend. "Völlige Feizeit habe ich nun auch wieder nicht." "Okay", stimmte Joey schnell zu, bevor Kaiba wieder auf die Sache mit der Arbeit zu sprechen kam. "Also um vier. Ich bin pünktlich." Kaiba nickte, Joey grinste und wollte sich abwenden, doch dann zögerte er. "Und... wo wohnst du?" Kaiba atmete tief ein, schüttelte langsam den Kopf und wühlte in seiner Tasche. Kurz darauf zog er eine Karte hervor und drückte sie Joey in die Hand. "Ist nicht zu übersehen." ~*to be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)