Drachenseele von Hrafna (Das Herz einer Priesterin) ================================================================================ Kapitel 42: *~Fuanshin~* ------------------------ "Es gibt keine Sicherheit, nur verschiedene Grade der Unsicherheit." – Anton Pawlowitsch Tschechow Kapitel 42 – Fuanshin -Unsicherheit- *Wie reagieren wir, wenn wir schlussendlich mit dem wahren Antlitz der Realität konfrontiert werden? Üben wir schweigend Akzeptanz, gleichgültig, wie sehr es uns widerstrebt, oder äußern wir unsere Unzufriedenheit? Empfinden wir Angst, und verdrägen sie hinter der Fassade von Gleichgültigkeit? Oder zeigen wir das Wirrwarr an Gefühlen, das fortan in uns tobt, offen und ehrlich, ohne einen Gedanken an Beherrschung zu verschwenden? Verfallen wir hoffnungslos dem Chaos, wenn unsere Illusion der Wirklichkeit mit einem Mal zerstört wird?* ּ›~ • ~‹ּ Mit einem erstickten Schrei fuhr die Priesterin aus ihrem Trancezustand hoch und riss panisch die Augen auf. Das Ungetüm war verschwunden, fürwahr, doch noch immer umgab sie diese gespenstische Eiseskälte, deren Ursprung sie unmittelbar vor sich spüren konnte – jetzt erinnerte sie sich. Youki… Abermals übermannte sie die Panik. Dem Revoltieren ihres Körpers zum Trotz begann sie postwendend, sich zur Wehr zu setzen, zu versuchen, den Griff des Dämons mit aller Gewalt, die sie noch aufzubringen vermochte, abzuschütteln. Blindlings und unkontrolliert, wandte sie sich mit ihren letzten Kräften gegen ihn, und schließlich gelang es ihr, ihn von sich zu stoßen. Dass sie jedoch die Balance verlor und um Haaresbreite die Mauer hinab gestürzt wäre, kümmerte sie wenig. Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust, sie keuchte vor Angst und Verwirrung; Schweiß rann ihre Schläfen, ihren Rücken hinab. Nur langsam beruhigte sich das Beben ihres Körpers, und die Aufklärung ihres Bewussteins, das nun vollständig in die Realität zurückkehrte, schloss sich dem an. Die Furcht, die sie zuvor geblendet hatte, verflog. Seufzend fasste sie an ihren schmerzenden Kopf. Wo befand sie sich überhaupt? Was war geschehen? Nein, keineswegs hatte sie schlecht geträumt, dazu hatte es sich zu real angefühlt, und die physischen Nachwirkungen waren ihr gegenwärtiger als die tatsächlichen Ereignisse, die sich in jener unbekannten Scheinwelt zugetragen hatten. Erschöpft ließ sie den Kopf sinken, hob dann aber abrupt den Blick, als sie den jähen Anstieg von Youki vor sich wahrnahm. Flúgar… Der Loftsdreki kniete auf dem Mauerfirst, die gebeugte Haltung bezeugte die verkrampfte Anspannung und das Unwohlsein, das ihn beherrschte; er zitterte, seine Atmung ging schnell und unregelmäßig, die linke Hand hielt er gegen sein Stirnbein gepresst. Wie bereits am Morgen, als Akaihoshi ihn in arge Bedrängnis gebracht hatte, begann Flúgars dämonisches Ego die Kontrolle über ihn zu erlangen. Doch dieses Mal kämpfte er dagegen an, verbissen, und sie hoffte, nicht vergeblich. Denn sollte es ihm nicht gelingen, seine Beherrschung zu wahren, war nichts und niemand mehr vor ihm sicher, darin bestand für sie kein Zweifel. Ihn zu unterschätzen würde fatale Konsequenzen nach sich ziehen, das wusste sie, und die Tatsache, dass er durchaus zu den mächtigeren Vertretern seiner Rasse gehörte, machte ihn gefährlich. Nein, sie hatte ihre erste Begegnung nicht vergessen, ebenso wenig wie ihre hilflose Situation im Wald der Kitsune, in der der Luftdrache nicht mehr Herr seiner Selbst gewesen war… Ein dumpfer animalischer Laut entrang sich der Kehle des Drachen, riss Midoriko aus ihren Reflexionen. Das verhieß mit Sicherheit nichts Gutes. Was sollte sie jetzt tun? Wie galt es zu reagieren? Ihn zu beruhigen würde sich als schwierig erweisen – wenn nicht unmöglich. Dennoch blieb ihr weder eine Wahl noch genügend Bedenkzeit für eine Ausweichmöglichkeit, sie musste etwas unternehmen, sofort. Die Priesterin schluckte. „Flúgar…?“ Frappant langsam richtete sich sein Fokus auf sie, die zu Schlitzen verengten, rot glühenden Augen fixierten ihre Gestalt; starr und undurchdringlich, kalt, seine Besinnung war dahin. Und da fiel es ihr auf, nun begriff sie es: die Form seiner Dämonenenergie… sie glich der des Schattenmonstrums aus ihrem vermeintlichen Traum bis ins letzte Detail, und diese Kongruenz war kein Zufall. „Du… bist die Bestie?“ Aber wie…? Das ergab doch keinen Sinn! Bestie… Unentwegt hallte jenes Wort durch seinen zerrütteten Verstand – es rief Erinnerungen in ihm wach, Erinnerungen an traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit, an die Menschen, die ihm immer wieder mit Verachtung und Hass begegnet waren. Fürwahr, sie hatte Öl ins Feuer gegossen, ein kleines Wörtchen… Während sein humanes Äußeres zu verbleichen schien und von dumpfem Licht erfasst wurde, schwoll auch seine dämonische Aura stark an. Das kehlige Knurren verlor jedweden ihr bekannten irdischen Klang. Pure Mordlust, die Gier nach Blut funkelten ihr aus dem derzeitig deformierten Antlitz des Youkai entgegen – ihre Lage war weitaus schlimmer als misslich. Entsetzt verfolgte Midoriko das Szenario direkt vor ihr, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Sie war ihm restlos ausgeliefert. Die verschwommene Gestalt des Drachen inmitten des Verwandlungsprogresses, setzte sich ruckartig in Bewegung, schnellte auf sie zu. Im Zuge einer letzten verzweifelten Reflexreaktion nahm sie instinktiv eine Abwehrhaltung ein, indem sie die Arme empor riss und sie schützend vor ihren Körper hielt. Natürlich würde sie das nicht retten können… Doch es geschah nichts. Absolut nichts. „So siehst du mein wahres Ich…? Bestie…“ Seine Stimme klang dunkel und matt, er schnaubte unwirsch, nachdem er das letzte Wort eher verächtlich ausgespuckt als gesprochen hatte. Die Priesterin blinzelte konfus, senkte reumütig den Blick. „Entschuldige bitte, ich… ich hatte Angst.“ Ihre Aussage entsprach der Wahrheit, und unglücklicherweise musste er einräumen, dass sie damit nicht im Unrecht lag. „Ich weiß. Und das zurecht.“ Erstaunen glitt über ihren Ausdruck, sie blinzelte und wagte, den Kopf zu heben. Wieder in menschlicher Form stand er knapp vor ihr, wandte ihr abweisend die Seite zu. Sie vermochte es nicht, seine Miene zu deuten, studierte sein Profil nichtsdestoweniger eindringlich. Was meinte er? Dass ihr Empfinden berechtigt gewesen war? Er verschwieg ihr etwas, und dass es ihn belastete, bekundete die Bitterkeit seiner Züge. „Ich hätte dich getötet.“ Zugegeben, das ängstigte und erschreckte sie zugleich, indessen beschlich sie dabei aber eine intuitive Ahnung. Irgendetwas hatte ihn aufgehalten, nur was? Gegen jede ihrer Erwartungen drehte er sich zu ihr, ging in die Hocke. Zielstrebig streckte er die linke Hand aus, berührte mit Zeige- und Mittelfinger behutsam ihre Stirn. Nachdenklichkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Offenbar war es ihm ebenfalls ein Rätsel, was ihn gerade eben von seinem Vorhaben abgebracht hatte. Abgesehen davon, dass er plötzlich wieder zu Sinnen gekommen war. Er hegte eine Mutmaßung, preisgeben würde er sie hier, vor ihr, allerdings nicht; er würde dem nachgehen und dieses Geheimnis ergründen… „Da ich dein Leben nicht auf ewig bewahren werden kann, werde ich deine Seele beschützen. Das verspreche ich dir, Midoriko.“ Wie eine leichte Sommerbrise streifte der kurze, aber heftige Impuls reiner Energie ihre sensible Wahrnehmung. Die Furchen um den Mund der alten Frau vertieften sich, ein Schmunzeln stahl sich auf ihre von der Zeit heimgesuchten Züge. „Interessant. Dieses Mädchen birgt mehr Potenzial in sich, als ich dachte. Dessen ungeachtet, es war keine Fehlkalkulation – womöglich hätte sie meines spirituellen Anstoßes nicht bedurft.“ Konzentriert richtete das Medium seine blinden Augen in die Ferne – um die Wahrheit hinter der Fassade der Welt und ihrer Kinder zu erkennen, waren die natürlichen Sinne des Menschen überflüssig; ebenso der greise Leib, der sie an das Diesseits band und ihr eine Erscheinungsform verlieh, die die Wesen um sie herum verstehen konnten. „Dass sie so rasch beginnen würde, die eigentliche Seele, die in ihr schlummert, zu entfalten… Selbst ich kann nicht klar sehen, was die Zukunft letztendlich bringen wird, aber eines ist sicher: ihr Schicksal ist eng verwoben mit denen, die ihr am Ähnlichsten sind, Kreaturen, die die Jahrtausende überleben und deren Alter meines bei Weitem übersteigt. Und ihnen steht ebenfalls eine Ära des Wandels bevor; Mächtekollisionen, Kriege und eine Neuverteilung der Elementarkräfte. Es wird amüsant werden.“ Dass davon die wenigsten der Betroffenen etwas ahnten, verdichtete die Aussicht auf ein atemberaubendes Spektakel zwischen den verfeindeten Stämmen. Leise lachend wandte sich die Greisin um, ihre fragile Gestalt verschwand in den Schatten der Umgebung. „Es scheint, als würde diese Sphäre neuer Wendungen nimmer müde…“ ּ›~ • ~‹ּ Nach einer langen Periode der Finsternis trat am Nachthimmel endlich wieder der Mond hinter den dunklen Wolkenschleiern hervor und sandte seinen mysteriösen silbrigen Schein auf die Erde. Ich hielt inne, blickte nachdenklich zu der gespenstischen Erscheinung des Gestirnes auf. Längst war der Nachhall des Feuerwerkes verklungen, und absolute Stille schwebte wie ein aus feinster Seide gewobenes Netz über der gesamten Residenz des Tennô. Sogar der Wind und seine Gespielinnen, die Wellen, schwiegen sich aus, obwohl wir uns hier so nahe am Meer befanden. Flúgars Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, wiederholten sich Mal um Mal, wie ein ewig währendes Japa, das sich in das Unterbewusstsein meines Seins eingebrannt hatte. Er hatte es Ernst gemeint, sein Versprechen war ihm von Herzen gekommen. Nur, aus welchem Grund? Was hatte ihn dazu animiert? Und vor allem, wie wollte er das bewahrheiten? Meine Seele beschützen… Mit einem ärgerlichen Aufseufzen raufte ich mir die Haare, kehrte der Szenerie den Rücken. Nicht zu glauben, dass es diesem Idioten tatsächlich gelang, mich mit einem Satz derart aus der Bahn zu werfen. Er hatte wohl sein heimliches, ganz persönliches Vergnügen daran, mich zu verunsichern und mit einer vagen Aussage eiskalt alleine im Dunkeln stehen zu lassen. Und nun raubte mir die darauf einsetzende Nachdenklichkeit den Schlaf. Es war zum Verzweifeln, ich wurde aus ihm nicht schlau. Wieso hatte er das gesagt? So plötzlich und unerwartet, völlig aus dem Kontext gerissen… Vielleicht sollte ich nicht zu viel dahinter vermuten, denn um realistisch zu bleiben, dazu fehlte es dem Luftdrachen sicherlich an Intellekt. Für psychologische Spielchen war er nicht intelligent genug. Am wahrscheinlichsten war, dass keinerlei Absichten hinter seinem Verhalten steckten, sondern lediglich Aufrichtigkeit. Sich darüber weiterhin den Verstand zu zerbrechen, war herzlich sinnlos, ebenso wie der Versuch, die Bedeutung dieses abstrusen Traumes zu ermitteln… Überdies hatte ich vergessen, Flúgar angemessen zur Raison zu ziehen, was die Warnung für den Inu no Taishou anbelangte. Es war doch einfach nicht zu glauben! Kopfschüttelnd wandte ich mich um, machte mich auf den Rückweg zu meinem Quartier. „Kaneko-chan, komm.“ Normalerweise war der Nekoyoukai stets an meiner Seite, spätestens, wenn ich nach ihr rief. Heute nicht. Wo war sie nur? Etwas ratlos ließ ich meinen Blick umherschweifen, suchte die Umgebung mit den Augen ab; keine Spur von Kaneko, dabei war ich mir bis gerade eben sicher gewesen, dass sie sich, seitdem wir uns außerhalb unseres Quartiers befanden, in meiner Nähe aufgehalten hatte. Eigenartig, das entsprach so gar nicht dem anhänglichen Wesen des Feuerdämons. Obwohl, wenn ich es recht bedachte… dass sie sich eigentümlich verhielt, war mir bereits aufgefallen als mir der Versuch missglückt war, Inu no Taishous Schwert Sou’unga, oder viel mehr den maliziösen Geist, der darin residierte, zu läutern. Kaneko hatte zu diesem Zeitpunkt nicht das Katana des Hundedämons fokussiert, sondern den Himmel, den Blick gen Ozean gerichtet; und ich hatte ebenfalls etwas gespürt, zwar schwach und in weiter Ferne, aber eindeutig als das böse Youki eines Dämons zu identifizieren. „Kaneko-chan!“ Langsam nahm meine Sorge um den Verbleib meiner Begleiterin Überhand, hoffentlich war ihr nichts zugestoßen. Unruhe ergriff mich, und ich tat unschlüssig ein paar Schritte zurück, um den leeren, spärlich vom Mondlicht erleuchteten Flur, den ich zuvor durchquert hatte, einsehen zu können. Im ersten Moment glaubte ich wirklich Kanekos zierliche Gestalt in einiger Entfernung erspähen zu können, doch ich irrte mich, wie mir ein zweites, genaueres Hinblicken bestätigte. Denn das, was sich dort gemächlich über die Holzbohlen bewegte, mehr kriechend als laufend, entpuppte sich als ein kleiner, schwarz und gelb gemusterter Salamander. Somit eines besseren belehrt, runzelte ich überfragt die Stirn. Lebte diese Eidechsenart nicht für gewöhnlich in feuchten Wäldern, tief im Landesinneren und distanziert von menschlichen Ansiedlungen? Nachdenklich tippte ich mir mit dem rechten Zeigefinger an die Wange und näherte mich vorsichtig der – wie ich mir eingestehen musste - überaus possierlichen Amphibie, ging neben ihr in die Hocke. Realistisch erwogen konnte sie sich nicht hierher verirrt haben, eine Fehlleitung ihres Instinkts in diesem Ausmaß war schlichtweg unmöglich. Doch was hatte es dann zu bedeuten…? „Merkwürdig… was willst du nur hier?“ Dem in mir aufwallenden Drang widerstehend, den niedlichen Feuersalamander wenigstens einmal kurz zu berühren, strich ich mir durch das dunkle Haar, wandte meinen Blick nach links, in Richtung des angrenzenden Gärtchens. Das Seufzen, das im Begriff gewesen war, sich aus meiner Kehle zu lösen, blieb mir im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken. Ich blinzelte mehrmals infolge der Ungläubigkeit, die mich befiel. Damit hatte ich nun wahrhaftig nicht gerechnet. Feuersalamander, überall, wo ich auch hinblickte – nein, mitnichten, das war kein Zufall! Die Wahrscheinlichkeit, dass solch eine Massenakkumulation aus einer reinen Laune der Natur heraus geschah, belief sich gegen Null. War das ein böses Omen? Als abergläubisch mochte ich mich ungern bezeichnen, doch jenes Szenario brachte meine vermeintlichen Überzeugungen diesbezüglich ins Wanken; dahinter verbarg sich mehr, als es den Anschein erwecken wollte. Irgendetwas bahnte sich an, ich konnte es mit all meinen Sinnen erfassen und trotzdem nicht beim Namen nennen. War das hier auf gewisse Weise mit den intriganten Machenschaften des Tennô verknüpft? Hatte er etwa seine Finger bereits im Spiel? Dann musste ich augenblicklich in Aktion treten und dem entgegenwirken, bevor das Vorhaben des spirituellen Reichsoberhauptes effektiv greifen und darüber hinaus gravierende Schäden – welcher Art auch immer – entstehen konnten. Kurzum packte mich ein unbändiger Tatendrang, resultierend aus dem heftig in mir aufflackernden Gerechtigkeitssinn, der vor meinem Geist klar und vernehmlich formulierte, dass ich dem perfiden Tun eines Menschen, gleichgültig, welchen Rang er bekleidete, nicht stumm stattgeben durfte, niemals. Wie ein inneres Feuer brannte das Verlangen nach der Beendigung dieses rassistischen Wahnsinns in mir, koste es, was es wolle. Kaneko würde wohl oder übel warten müssen. Betrübt senkte ich den Kopf, murmelte eine Entschuldigung. Es ging nun mal nicht anders, die Prävention des törichten Fehlers, den der Tennô mutwillig und zuversichtlich beabsichtigte zu begehen, hatte Vorrang. Seine Motive kannte ich nicht, und dennoch bezweifelte ich ernsthaft, dass dahinter eine gute Absicht zu finden war – was rechtfertigte die Planung eines Mordes? Nichts, über das Leben eines anderen richtend zu entscheiden – ob Mensch, Tier oder Dämon - konnte man mit keinem noch so starken Argument glaubhaft untermauern. Jegliches Blutvergießen, unabhängig von der hinfälligen Begründung, empfand ich als sinnlos und unverantwortlich, mir war das Töten zuwider, und obschon ich nicht von mir behaupten konnte, ein fühlendes, denkendes Wesen auf dem Gewissen zu haben, konnte ich manchen grauen Gewissensbiss nicht von der Hand weisen. Indirekt verschuldet hatte ich mit Sicherheit einiges, wovon ich allerdings keinerlei Kenntnis besaß. Kopfschüttelnd sammelte ich meine Konzentration, schob jedwede überflüssige Reflexion erst einmal beiseite. Stattdessen überdachte ich meine Vorgehensweise, kam jedoch rasch zu dem Schluss, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich mit dieser Situation begegnen sollte. Ob mir Flúgar einen hilfreichen Rat geben konnte…? Unbewusst schnitt ich bei dieser Vorstellung eine Grimasse. Der Loftsdreki würde mir garantiert eine äußerst missgelaunte Abfuhr erteilen – von dem sich anschließenden, unspektakulären Rausschmiss meinerseits ganz zu schweigen - wenn ich ihn zu dieser späten Stunde aufsuchte und erzählte, dass ich in einem Garten der Residenz eine Unmenge an Feuersalamander entdeckt hatte und nun den Tennô dahinter vermutete. Die Geschichte klang durchaus unglaubwürdig, und je länger ich darüber nachdachte, desto evidenter wurde, dass es dieser Variante an Logik mangelte. Vergebliche Liebesmüh… Nein, das war eine schlechte Idee, und der leichten Verdrossenheit über den unabstreitbaren Umstand zum Trotz schlich sich ein zaghaftes Lächeln auf meine Lippen. Ich widerstand dem in mir aufstrebenden Impuls, mich in theatralischer Manier zu Boden zu werfen und ein ironisches „Hach, wie hat mich doch das Leben gestraft!“ zu säuseln, das konnte ich mit ihrem Charakter bei bestem Willen nicht vereinbaren. Die Komik der imaginären Pose und Gestik des dramatischen Aktes entlockten mir schließlich noch ein leises Kichern, ehe ich mich aufrichtete und den weißen Baumwollkimono glatt strich. Gleichermaßen ordnete ich meine Gedanken, als mein Blick ein weiteres Mal über die schiere Masse der kleinen Amphibien wandern ließ. Ich würde mich morgen, nachdem meinem ganz und gar erschöpften Wesen eine angemessene Ruhepause in Form von Schlaf gegönnt hatte, noch einmal mit diesem unerklärlichen Phänomen befassen – womöglich sorgte ich mich vollkommen umsonst. Hoffentlich… Just in diesem Augenblick schoss ein cremefarbener Schemen um die knapp anderthalb Schrittlängen vor mir befindliche Ecke, und ich fuhr unwillkürlich zusammen – ein erleichtertes Aufatmen erlaubte ich mir erst, als ich den Missetäter genau ins Auge fassen konnte. „Kaneko-chan, ein Glück…“ Die Nekomata wich vor der Hand, die ich ihr begrüßend entgegen streckte, zurück, und ihr abnorm unruhiges Gebaren verriet Nervosität. Angespannt trippelten die Pfötchen über die dunklen Bohlen der Veranda, die beiden Schweife zuckten ruckartig hin und her und ihre gesamte Haltung wirkte steif, aufgerichtet wie in höchster Alarmbereitschaft. Kläglich maunzend umkreiste sie mich einmal, sprang dann urplötzlich auf mich zu und binnen weniger Momente fand ich mich auf dem breiten Rücken ihrer größeren dämonischen Gestalt wieder. Eine hastige Kehrtwende vollführend, stieß sie sich sodann kraftvoll vom Boden ab und erhob sich mit flammenden Läufen in die Luft; diese zweckmäßig überstürzten Manöver hatten mit angenehmer Fortbewegungsweise oder Bequemlichkeit nichts gemein. Halt suchend vergrub ich die Finger in Kanekos weichem Fell, drückte die Beine in ihre Flanken – andernfalls wäre ich nach maximal halber Strecke ungemütlich abgesessen. Die Kühle der Nacht empfing mich ungeahnt anschmiegsam und erfrischend, weckte sämtliche Lebensgeister aus ihrer Ermattung. Mit einem Mal war ich hellwach. Mittlerweile schwebte der Nekoyoukai über den höchsten Dächern der Residenz hinweg, die still und friedlich, in Dunkelheit gebettet, unter uns ruhte. Der Ausblick, der sich mir bot, war atemberaubend, und ich vergaß dabei fast die Frage, die mir wenige Wimpernschläge zuvor so schwer auf Verstand und Gewissen gelastet hatte. Dann überfiel mich die Erkenntnis förmlich, der Schock weitete meine Augen, die Fassungslosigkeit ergriff Besitz von meinen Zügen. Angesichts der Tatsachen erbleichte ich und mein Atem stockte. Die Welt, und mit ihr die Zeit, gefroren um mich herum, gerieten für mich kurzerhand aus den Fugen – denn es war nicht irgendeines der Quartiergebäude, das lichterloh in Flammen stand… „Das Inferno ist bloß ein harmloser Ursprung…“ War dieser Brand tatsächlich das, was Eki-sama auf dem Orakelberg vorausgesehen hatte? Und wenn dem so war, was bedeutete der Rest des Verses? Midoriko wusste nicht, wie all das zusammenhängen sollte und was sie in nächster Zukunft erwarten würde. Zu spekulieren war ohnehin sinnlos und nicht ihre Art, zudem ermahnte sie sich gedanklich, schalt sich selbst dafür, dass dies nun wirklich nicht der richtige Moment für solcherlei Überlegungen war. Zwar hatte sie zu ihrer Erleichterung festgestellt, dass sich das Feuer im Inneren des Gebäudes noch nicht allzu weit ausgebreitet hatte und – bis jetzt - nur den östlichen Flügel betraf, aber das würde sich ändern. Sie musste sich beeilen und Flúgar ausfindig machen, denn sie spürte seine Präsenz, vage, doch eindeutig. Warum hielt er sich noch hier auf? Hatte er den Rauch, das lautstarke Knistern der Flammen etwas noch nicht bemerkt? Nein, unmöglich. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Auf dem Weg in die obere Etage war ihr nicht ein einziger Diener begegnet, niemand, die Gänge waren wie ausgestorben, und nicht einmal die Öllämpchen, die fein säuberlich in den Nischen an jeder Biegung platziert worden waren, brannten. ּ›~ • ~‹ּ [Anm.] Japa - eine Art Mantra ***>>>Kapitel 43: >“Die Hitze und die Gier des Feuers umhüllen die Priesterin, und das Inferno droht nicht bloß ihre Seele zu verschlingen. Verzweiflung und Vertrauen offenbaren sich gleichermaßen im orangeroten Schein der Flammen, und es bleibt fraglich, inwiefern ein Entrinnen möglich ist. Im Endeffekt kann lediglich eine einzige Person die verheerenden Konsequenzen einer Verzweiflungstat kurieren…“ *» Eldur Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)