When fire and ice collide von -Raven- ================================================================================ Kapitel 12: Rätsel ------------------ 12: RÄTSEL (...) Gestalten keine mehr. Und Schatten keine. Und Bilder nimmer. Nur Winde Winde Winde durch dein Haar. Nur Schritte Schritte Schritte durch dein Herz. Was vorher war ist nun von uns gesunken. Nun gibt es keinen mehr, der mit Gesängen fleht. Und keinen mehr mit Dunkelheit zu täuschen, in deinen Spiegeln bin auch ich nicht mehr. Nur Schritte Schritte Schritte durch dein Herz. Nur Dolche Dolche Dolche durch dein Aug. (aus: Paul Celan, "Jenseits") Es war ihr vorgekommen, als wolle der Tag kein Ende nehmen, doch schließlich hatte die vorerst letzte Klasse ihren Test geschrieben. Danach folgte noch eine Doppelstunde Unterricht für die Ravenclaw-Erstklässler, denen Morgaine einen nicht ganz ernstzunehmenden, aber dafür amüsanten und einfachen Abwehrzauber gegen Gartengnome beibrachte. Sogar die sonst so ernste Aurorin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie die kleinen Wesen eilig auf ihren hornigen Füßen durchs Klassenzimmer trappeln sah, verfolgt von eifrigen Kindern. Mögen sie ihre Unbeschwertheit und Lebensfreude niemals verlieren. Der Gedanke versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Nach dem Ende der Stunde fing sie die Gnome ein, die den Schülern entwischt waren, stopfte sie zu ihren Artgenossen in eine Kiste, bevor sie beißen konnten und setzte die hysterisch giggelnden Geschöpfe im Park aus. Hoffentlich war Argus Filch auch für das Entgnomen des Schulgeländes zuständig... Mit einem schadenfrohen Grinsen begab sie sich in ihr Büro, um ihre Sachen einzuräumen und die restlichen Tests zu korrigieren und auszuwerten. Als sie gerade bei dem letzten Stapel angekommen war (fünfte Klasse Hufflepuff), klopfte es zaghaft an ihre Tür. "Herein", krächzte Morgaine mühsam. Sie hatte heute zwangsläufig mehr geredet als sonst in einer ganzen Woche, und ihre Stimmbänder protestierten nun energisch. Es überraschte sie nicht wirklich, Hermine Granger in ihr Büro treten zu sehen. "Miss Granger...", sie räusperte sich, was allerdings extrem schmerzhaft war, "...was kann ich für Sie tun?" "Verzeihen Sie die Störung, Professor LaMort..." Komm zur Sache. "Ja." "Ich wollte nur fragen, ob Sie unsere Tests schon korrigiert haben." "Ja. Aber ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich sie nicht benote." "Schon, aber... Ich würde trotzdem gerne wissen, wie ich abgeschnitten habe." Morgaine seufzte. Das darf doch nicht wahr sein! Was für eine ekelhafte Streberin! Mit einem genervten Seitenblick suchte sie Hermines Test aus dem Stapel heraus. "Das beste Ergebnis Ihres Jahrgangs. Achtundvierzig von fünfzig Fragen richtig." "Was? Äh, ich meine... Was habe ich denn falsch gemacht?" Das ist doch wohl nicht ihr Ernst! "Hm...", suchend betrachtete Morgaine die Pergamentrolle, "Kelpies sind weder Dämonen noch Geister, und sie ernähren sich auch nicht von Angst. Der andere Punkt... der Quimbanda-Name Exú Mor steht nicht für Satan, sondern für den Dämon Beelzebub. Satan ist König Exú." "Und Exú vom Kreuzweg?" "Astaroth", beschied Morgaine sie knapp. "War das alles, Miss Granger?" "Ja...", meinte Hermine perplex. "Gut. Wir sehen uns dann übermorgen im Unterricht. Auf Wiedersehen." "Äh... Auf Wiedersehen, Professor." "Wiedersehen, Miss Granger." Das Mädchen huschte hinaus und schloss die Tür hinter sich. "Was meinst du, Scátach? Bin ich überdreht - oder sie?" Der Wolf sah sie nur mit seinen klugen, bernsteinfarbenen Augen an und legte seinen Kopf auf ihr Knie. Sie kraulte ihn hinter den Ohren und lachte leise. "Danke, du Flohfänger. Das habe ich jetzt auch verstanden." "Ich glaube es nicht! Mir haben noch nie ganze zwei Punkte gefehlt!" Hermines Weltbild schien bedrohlich ins Wanken geraten zu sein, wenn man nach ihrem Lamentieren gehen wollte. "Was willst du? Ich konnte die Hälfte der Fragen nicht beantworten." Das Mädchen warf Ron einen ungeduldigen 'Ja - DU'-Blick zu und nahm ihre Litanei wieder auf. "Solche Fragen sind unserem Wissenstand doch noch gar nicht angemessen! Nur weil sie die Aurorenprüfung abgelegt hat, heißt das noch lange nicht..." "Mensch, Hermine, sie will doch nur wissen, was wir bis jetzt gelernt haben. Es geht hier nicht um deine ZAGs!" "Indirekt schon. Wenn sie in der Prüfung so unfaire Fragen stellt..." Harry hatte keine Lust mehr, sich die Streitereien seiner Freunde anzuhören. "Ich muss mal kurz weg." Sofort stand er im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. "Willst du nachsehen, ob Hagrid wieder da ist? Wir kommen mit!" "Nein. Äh..." "Ach so", meinte Hermine spitz. "Er trifft sich mit Cho. Da wollen wir doch nicht stören, oder, Ron?" "Natürlich nicht", feixte der Rothaarige. Er überlegte kurz, ob er die beiden über seine tatsächlichen Absichten aufklären sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie würden es sowieso wieder falsch verstehen. "Bis später." Vor der schweren Eichentür zögerte er einen Moment. Sie war nicht gut auf ihn zu sprechen, und wer sagte ihm, dass er sich die Sache gestern Nacht und den Blick beim Frühstück nicht nur eingebildet hatte? "Kommen Sie schon 'rein, Potter. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir Löcher in die Tür starrt." Verdutzt ließ er die bereits zum Klopfen erhobene Hand sinken und betrat das Büro. Morgaine LaMort saß an ihrem Schreibtisch, ein uraltes Buch vor sich, das sie nun energisch zuschlug. "Was wollen Sie?" "Ähm... Professor... Entschuldigen Sie bitte, aber... Ich... gestern Nacht, da..." "Das war kein Traum, Potter. Und ehrlich gesagt wundere ich mich, dass Sie nicht zitternd in Ihrem Kleiderschrank sitzen. Ein psychischer Kontakt zu Voldemort ist etwas, das nicht jeder so gelassen wegsteckt." Dem Funkeln in ihren Augen nach zu urteilen wusste sie sehr genau, dass er innerlich noch immer zitterte wie Espenlaub. "Wie... wie haben Sie das gemacht?" "Ich habe einen Bannzauber auf das Schloss gelegt. Wenn Sie sich in diesen Mauern befinden, wird er nicht in Ihre Gedanken eindringen können. Das heißt, so lange der Zauber hält. Sie sollten möglichst schnell lernen, Ihren Geist zu verschließen." "Wie..." "Okklumentik. Mein Onkel wird Sie darin unterrichten. Aber das wird Professor Dumbledore Ihnen noch persönlich mitteilen." "Snape? Muß das... ähm, ich meine... Kann nicht jemand anders...?" "Nein. Es gibt niemanden, der die Okklumentik in dieser Perfektion beherrscht wie Professor Snape." "Aber... könnte es nicht nützlich sein, wenn jemand über Voldemorts Gedanken Bescheid weiß?" Sie musterte ihn mit verengten, eisigen Augen. "Wir haben diesbezüglich unsere Quellen, Potter. Es ist das beste für uns alle, wenn Sie vorerst völlig von Slytherins Erben abgeschirmt sind." Irgendwie hatte Harry in ihrer Gegenwart immer das Gefühl, nicht ausreichend Luft zu bekommen... "War das alles, Potter?" Er schluckte hart. "Nein. Ich würde gerne wissen... Was machen Sie hier eigentlich?" Ihr trügerisch sanftes Lächeln erhöhte seinen Herzschlag auf eine ungesunde Frequenz. "Ich unterrichte Verteidigung gegen die Dunklen Künste." "Nein, ich meine: warum sind Sie hier?" Um ihre Mundwinkel zuckte es; Harry war nicht sicher, ob aus Belustigung oder Missbilligung. "Mael hat Ihnen also nichts darüber erzählt?" "Worüber?" "In Ordnung. Dann werde ich es auch nicht tun. Dumbledore wird Ihnen die nötigen Informationen geben, wenn es an der Zeit ist." Zorn stieg in ihm auf. "Warum behandeln mich immer alle wie ein kleines Kind? Ständig macht irgend jemand Andeutungen, und außer mir scheinen alle zu wissen, worum es geht. Es geht dabei um mich, oder nicht? Ich habe ein Recht..." Die Elementarhexe erhob sich und trat ihm entgegen. "Schluss jetzt! Vielleicht sollten Sie endlich begreifen, dass sich nicht immer nur alles um Sie dreht! Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden! Das alles ist..." Ihre Sumpfohreule taumelte durch das geöffnete Fenster, und Morgaine brach ab. Statt dessen fing sie das erschöpfte Tier auf. "Macha, ma chère¹... was hast du nur gemacht? Du..." Entsetzen ergriff Besitz von ihren Gesichtszügen, und sie erbleichte. Vielleicht zum ersten Mal bemerkte Harry, dass seine Lehrerin nicht viel älter war als er selbst. "Non... Ce n'est pas vrais... Ce ne peut pas vrais...²" "Professor LaMort...?" Mit schier übermenschlicher Anstrengung wandte sie den Kopf in seine Richtung. Ihre Augen flackerten unstet in ihrem todblassen Gesicht. "Gehen Sie", stieß sie mühsam hervor. "Aber... Kann ich irgend etwas für Sie tun?" "Nein. Gehen Sie." Den Rest des Tages verbrachte Harry in der Bibliothek; irgendwie war ihm nicht nach Gesellschaft zumute. Nicht einmal Chos strahlendes Lächeln, als sie mit einem Buch über Kräuterkunde an ihm vorbeiging, konnte ihn aus seinen düsteren Gedanken reißen. Okklumentik bei Snape? Na, vielen Dank auch. Wenn doch bloß Remus Lupin noch hier wäre! Missmutig blätterte er durch das Buch über Elementarmagie, das er eher zufällig aus dem Regal gezogen hatte. Kopfjäger... Knochen als Trophäen... obskure Rituale in Steinkreisen... Hermine schien Recht zu haben, wenn sie Mael, Morgaine und Co. misstraute. Das Foto einer leicht geistesgestört aussehenden alten Hexe mit wirren Haaren und einer um die Schultern gelegten Schlange zwinkerte ihm zu. "Du glaubst auch alles, was man dir erzählt, was, Jungchen?" Heftig schlug er das Buch zu. Das reicht jetzt! Vielleicht war es am besten, wenn er sich vor dem Abendessen noch etwas hinlegte. Entweder war er völlig übermüdet, oder er verlor den Verstand. Auf dem Weg zum Gryffindor-Turm begegnete ihm kaum jemand; die meisten Schüler waren vollauf mit ihren Hausaufgaben beschäftigt. Gerade, als er die breite Wendeltreppe hinaufsteigen wollte, hörte er Stimmen. "...müssen es ihr sagen, Severus." "Ich kann nicht." "Aber irgendwann wird sie es erfahren." "Nein. Der Zauber, den Sie selbst auf ihr Bewusstsein gelegt haben..." "Wird irgendwann an Kraft verlieren. Und dann? Es ist besser, wenn Sie es ihr selbst sagen, als wenn sie sich plötzlich daran erinnert. Morgaine ist sehr stark, und ich kann nicht vorhersagen, wie lange der Zauber noch stabil bleiben wird." "Albus... Sie wird mich dafür hassen." "Sie wird Sie noch mehr hassen, wenn Sie es ihr verschweigen." "Sie verstehen nicht... Morgaine ist so verletzlich, auch wenn sie es nicht zeigt. Sie würde das nicht verkraften..." Die Stimmen entfernten sich und verhallten kurz darauf. Eine interessante Wendung... Offensichtlich war er nicht der einzige, dem man wichtige Tatsachen vorenthielt. Aber worum ging es nun eigentlich? Scheinbar waren dunkle Gänge in feuchten Gemäuern ihr Schicksal, sonst würde sie wohl kaum wieder in einem unterwegs sein... Innerlich fluchend wie ein Fuhrkutscher bog sie um die Ecke und begutachtete missgünstig die Statue, die den geheimen Eingang bewachte. Wie sehr sie dieses alberne Getue hasste! Ein solches Passwort konnte auch wirklich nur Dumbledore einfallen! "Superkaliphragilistischexpialigetisch", knurrte sie. Wenigstens öffnete sich die Geheimtür sofort. Morgaine polterte die Wendeltreppe hinauf und stürmte in das Büro des Schulleiters. "Albus, ich..." Er war nicht da; nur Fawkes, der Phönix, hockte auf seiner Stange und blinzelte sie träge an. "Du siehst aber verdammt gerupft aus, Piepmatz. Wird Zeit für eine Wiedergeburt, meinst du nicht?" Sie kraulte sanft mit einem Finger seinen Kopf, was der Vogel mit leisen, behaglichen Zirplauten quittierte. Mit dem Anflug eines Lächelns wandte sie sich ab und untersuchte rasch das Büro, mehr aus Gewohnheit als aus dem Wunsch heraus, zu spionieren. Die meisten Gerätschaften in den Regalen erschienen ihr entweder antiquiert oder völlig überflüssig. Wer brauchte schon eine Kristallkugel, wenn eine Schale mit Wasser genauso gute Dienste leistete? Und welche Vorteile hatte ein Spickoskop gegenüber wachen, gut trainierten Sinnen? Dafür waren die alten Bücher mehr als eindrucksvoll - sie nahm sich vor, Albus nach dem Folianten über tödliche Flüche zu fragen. Vermutlich würde er ihn ihr leihen, wenn sie darum bat... Mit gerunzelter Stirn nahm sie das Foto von seinem Schreibtisch. Es zeigte den Schulleiter vor etwa zwanzig (oder doch dreißig?) Jahren. Er hatte den Arm um eine hübsche, wild aussehende Hexe gelegt; zwischen ihnen stand ein rothaariges Mädchen im Teenageralter und winkte unsicher. Dis Pater... Das darf doch nicht wahr sein! Das scharfe Profil der Frau war ihr mehr als vertraut. Immerhin sah es ihr jeden Morgen aus dem Spiegel entgegen. Auch das Mädchen wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihr auf... Es bestand kein Zweifel: die Frau war ihre Großmutter. Also musste das Mädchen ihre Mutter sein. Aber was hatte Albus auf dem Bild zu suchen? Die Tür wurde geöffnet, und Morgaine stellte den Bilderrahmen eilig ab. "Guten Abend, Morgaine." Dumbledore eilte ihr lächelnd entgegen. "Warten Sie schon lange?" "Guten Abend, Albus. Nein, ich bin gerade erst hereingekommen." Es schien ihr nicht die richtige Gelegenheit zu sein, ihn auf das Foto anzusprechen. "Nehmen Sie doch Platz." "Nein, danke. Wenn man eine schlechte Nachricht überbringt, sollte man das besser stehend tun." Das Strahlen in seinen blauen Augen verblasste. "Schlechte Nachrichten?" Sie atmete tief durch, doch es genügte nicht, um das Zittern vollends aus ihrer Stimme zu verbannen. "Avalon ist gefallen." Der alte Zauberer musterte sie lange. "Ist das... ganz sicher?" Schweigend zeigte die Hexe ihm das Objekt, das ihre Eule gerade gebracht hatte. Es handelte sich um etwas, das entfernt an ein Stück geschmolzenes und dann in einer skurrilen Form wieder erstarrtes Glas erinnerte. Unter der blaugrünen Oberfläche tanzten violette Schemen in scheinbar sinnlosen Mustern durcheinander. "Das ist..." "Ihre letzte Botschaft. Ihre gesammelten Erinnerungen, die sie zurückgelassen haben, als sie diese Dimension verließen." "Das bedeutet..." "Avalon ist nichts mehr außer einer Insel in einem See. Es wohnt keine Kraft mehr an diesem Ort." "Es tut mir leid, Morgaine." "Ja. Mir auch." Heftig schloss sie die Hand um das Glasobjekt; der Schmerz half ihr, den Kontakt zur Realität nicht zu verlieren, konnte aber das Gefühl der Leere in ihrem Herzen nicht vertreiben. "Wir haben wertvolle Verbündete verloren. Was werden wir als nächstes tun?" Albus rückte seine Brille zurecht. "Ich denke, das wissen Sie besser als ich." Sie runzelte die Stirn. "Ich? Aber... Moment mal! Auf gar keinen Fall!" "Wir sind auf jede Hilfe angewiesen." "Aber doch nicht von denen! Ich meine..." Verlegen sah sie zu Boden. "Ihnen dürfte bekannt sein, dass Gwalchmai nicht gut auf mich zu sprechen ist, seit wir das letzte Mal... unterschiedlicher Meinung waren." Amüsiert zog der alte Mann eine Augenbraue hoch. "War es denn wirklich unbedingt notwendig, seinen Stellvertreter derartig zusammenzuschlagen?" "Sie verstehen unsere Rituale und Bräuche nicht, Albus. Es war ein fairer Kampf. Wenn er aufgegeben hätte, wäre ich auch nicht gezwungen gewesen, ihm die Rippen zu brechen." Blut lief zwischen ihren verkrampften Fingern hervor und tropfte langsam auf den Fußboden. "Gwalchmais Clan wird uns nicht helfen. Sie verstecken sich lieber in den Wäldern." Sanft strich er über ihren Handrücken; sie hatte gar nicht bemerkt, dass er sich ihr so weit genähert hatte. "Bitte versuchen Sie wenigstens, mit ihm zu sprechen. Sie sind die einzige, mit der er überhaupt verhandeln wird." Langsam öffnete sie die Hand und betrachtete nachdenklich das blutverschmierte Glasstück. "In Ordnung. Ich schicke ihm eine Eule." Beim Abendessen nahm Morgaine nur wenig zu sich; ihr Hals fühlte sich mittlerweile an, als habe sie mit Salzsäure gegurgelt. Dumbledore warf ihr immer wieder nachdenkliche Seitenblicke zu, die sie mit einem schwachen Lächeln quittierte. Sie hatte bereits wesentlich schlimmere Schmerzen ausgestanden. Trotzdem war sie doch etwas gerührt, als ihr Onkel mit beträchtlicher Verspätung die Halle betrat, sich neben ihr niederließ und ihr wortlos ein Fläschchen mit einem bläulich schillernden Trank zuschob. "Hast du den etwa gerade noch gebraut?" "Hm", machte er unverbindlich und schöpfte sich Eintopf auf den Teller. "Danke, Onkel Severus." "Ich weiß doch, dass du deine Stimme nicht überanstrengen darfst", brummte er leicht verlegen. Morgaine lächelte verhalten; so war er nun einmal. Als sie sich gerade ihrem Gemüse zuwenden wollte, flatterte ein großer Vogel dicht über sie hinweg und landete beinahe auf ihrem Teller. "Conchobar³!", schalt sie mehr überrascht als verärgert. Der Waldkauz legte den Kopf schräg und sah sie mit großen, dunklen Augen an. Versöhnlich kraulte Morgaine ihm den Bart und reichte ihm ein Stück von ihrem nahezu rohen Steak, bevor sie ihm den Brief abnahm. "Von Mael?" Der Kauz blinzelte und flog dann in Richtung der Eulerei fort. Rasch entrollte sie das Pergament. Morgaine, der Wind dreht sich. Haben einen von Scátachs Brüdern zu Besuch. Freue dich nicht zu sehr auf das Wiedersehen mit deinem alten Freund; er hat seit neuestem einige seltsame Angewohnheiten. Der Hund ist launisch wie immer - Zeit, Gassi zu gehen. Gruß, Mael Unwillkürlich musste sie grinsen. 'Zeit, Gassi zu gehen?' Na, diesen Brief hatte er mit Sicherheit nicht in Sirius' Gegenwart geschrieben... Einer von Scátachs Brüdern? Das musste der Werwolf sein, von dem Dumbledore ihr erzählt hatte. Dass der Wind sich drehte, hatte sie selbst bemerkt - offensichtlich bezog er sich auf das Verschwinden des Clans von Avalon. Aber 'ein alter Freund'? "Geht es Mael gut?", erkundigte Severus sich. "Ja... ja, es geht ihm gut." Er warf ihr einen seltsamen Seitenblick zu. "Du siehst ihn ja bald wieder." Zu ihrem Ärger spürte Morgaine, dass sie rot wurde. "Bitte nicht schon wieder, Onkel Severus. Du weißt genau, dass da nichts ist." Sie hatte erwartet, dass er lächeln und sie noch ein wenig weiter necken würde, doch er sah sie bloß nachdenklich an. "Weiß er das auch?" "Ja. Ich habe es ihm gesagt." "Und wie hat er reagiert?" Seufzend wickelte sie die Haarsträhne um den Zeigefinger, in die sie die Erinnerung Avalons eingeflochten hatte. "Er sagte nur: 'Ich werde trotzdem immer an deiner Seite sein'." Ihr Onkel nickte zufrieden. "Gut, das zu wissen." Harry lag wieder einmal schlaflos in seinem Bett. Jedenfalls glaubte er, wach zu sein. Doch sobald er die Augen schloss, konnte er die Insel sehen... Die Insel, die er bereits aus Maels Erinnerungen kannte. Er sah die Frauen und Männer in den langen, weißen Gewändern, die sich auf dem Weg zu dem uralten Steinkreis immer wieder beunruhigte Blicke zurück warfen, so, als würden sie verfolgt. Eine alte Frau stand neben einer nebelhaften Tür, durch die die Druiden(?) einfach... verschwanden. Gerade, als er sich fragte, was das alles zu bedeuten hatte, sah ihn die Alte direkt an. "Unsere Zeit hier ist abgelaufen. Wir gehen fort." Aber... aber warum? "Unsere Götter haben uns verlassen. Es gibt keinen Platz mehr für uns. Nicht in eurer Welt." Wohin geht ihr? "Auf die andere Seite, Harry. Auf die andere Seite." Was hat das zu bedeuten? "Du wirst es verstehen. Nun, da das Schwert, der Schild und der Speer aufeinander getroffen sind, wird es nicht mehr lange dauern." Inzwischen war der letzte Druide im Nebel verschwunden; die alte Frau wandte sich zum Gehen. "Leb' wohl, Harry Potter." Warten Sie! Was... "Du wirst verstehen..." Erst, als er hart auf dem Boden landete, wurde ihm bewusst, dass er sehr wohl geschlafen hatte - und prompt aus dem Bett gefallen war. Auch Morgaines Nachtruhe war nicht besonders erholsam. Einige ihrer alten Narben schmerzten, und sie hatte wieder einmal diesen seltsamen Traum. Die dunkle Gestalt mit dem blitzenden Dolch in der Hand... Schreie... ein hohes, kaltes Lachen... Das Gesicht ihrer Mutter, verzerrt von diesem ganz besonderen Lächeln, das nur Wahnsinnige haben... Eine schwelende, verbrannte Leiche - ihre Großmutter? Schatten um sie herum, die aussahen wie Hexen und Zauberer in schwarzen Kapuzenumhängen... Der Dolch blitzte im fahlen Mondlicht, und dieser Schmerz... Ihr Hals brannte wie Feuer... Die Szene wechselte. Jemand trug sie... Ihre Kleidung war von Blut durchtränkt, ihrem eigenen Blut... Sie konnte kaum atmen... Und was war das für ein Gebäude? Ein Schloss mit vielen Türmen und wehrhaften Mauern... Über sich erkannte sie das Gesicht ihres Onkels Severus, bleich und angespannt. "Alles wird gut, Morgaine. Du musst durchhalten, hörst du? Bitte halt durch..." Sie wollte ihm sagen, daß sie es versuchen würde, aber auch, daß sie sich fürchtete und Schmerzen hatte... Es ging nicht. Sie konnte nicht sprechen... Ein weiterer Blutstrom drohte sie zu ersticken... Keuchend wurde sie wach, noch immer das Blut spürend, das ihr unaufhaltsam und in pulsierenden Schwällen im Rhythmus ihres Herzschlags den Hals hinunterlief. Scátach schmiegte sich winselnd an sie. "Ist schon gut", sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem verstörten Geisterwolf. Apropos Geist... Peeves, der Poltergeist, steckte ja immer noch in der Flasche in ihrem Klassenraum... Egal. Dann würde er es sich in Zukunft wenigstens zweimal überlegen, ob er ihren Unterricht störte. Natürlich würde er sie hassen, aber das taten sowieso alle. Auf einen mehr oder weniger kam es da auch nicht mehr an. Und überhaupt - wen interessierte schon ein Poltergeist? Vielleicht sollte sie die Flasche einfach im Schulteich versenken oder im Verbotenen Wald vergraben. Andererseits hatte sie gehört, dass Peeves sich schon seit Jahren mit Filch in den Haaren lag... Das gab den Ausschlag. Bei der passenden Gelegenheit würde sie die geisterhafte Nervensäge wieder freilassen. Mit einem hinterhältigen Lächeln kuschelte sie sich noch etwas tiefer in ihr warmes, weiches Bett. Böse Träume oder nicht - sie musste versuchen, ein wenig zu schlafen. Wenn sie Gwalchmai gegenüber trat, würde sie auf alles vorbereitet sein. ¹: "ma chère" - meine Liebe/Süße ²: "Non... Ce n'est pas vrais... Ce ne peut pas vrais..." - Nein... Das ist nicht wahr... Das kann nicht wahr sein... ³: Conchobar - von Conchobhar Mac Nessa; in der irischen Mythologie einer der Könige von Ulster Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)