Ein junger Mann auf des Mörders Spur. von Pansy ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ein junger Mann auf des Mörders Spur Da stand er wieder und ließ den Blick wie immer von rechts nach links und wieder nach rechts schweifen. Seine dunklen Augen beobachteten das Treiben gegenüber. Er konnte es nicht lassen, er musste unbedingt herausfinden, was da vor sich ging. Doch, dass er das sehr auffällig tat und sich keineswegs darum kümmerte, ob er erspäht würde, sollte ihm eines Tages zum Verhängnis werden. Matt wohnte schon seit seiner Geburt in Kingsworth, doch noch nie war ihm so etwas Seltsames passiert wie das Auftauchen dieser merkwürdigen Leute. Sie zogen in das bereits 5 Jahre leerstehende Haus ein, das seinem genau gegenüber lag. Die Vormieter waren bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen, wobei man bis jetzt noch nichts Genaues über die Unfallursache wusste; die einen sagten, das Paar sei zu schnell gefahren und selbstverschuldet von der Straße abgekommen und in den Graben gestürzt; andere waren jedoch der Meinung, dass dieser Unfall, wenn man das so nennen konnte, auf sehr unerklärliche und mysteriöse Weise geschehen sein musste, denn es gab einen Zeugen, der bestätigt hatte, dass die Derrivs nicht zu schnell, sondern urplötzlich nach rechts in den Graben gefahren waren. Der Zeuge wurde aber nie ernst genommen, da er unter enormen Alkoholkonsum an diesem Unglückstag gestanden hatte und daher als unzuverlässig und unglaubwürdig von der Polizei abgestempelt worden war. Trotzdem schenkten ihm einige Menschen hier in Kingsworth Glauben, da er ansonsten ein sehr angesehener und ehrwürdiger Mann war. Er war schließlich für den Wohlstand in diesem kleinen Orte verantwortlich, er war der, der nie aufgegeben hatte und sich für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt hatte; aber dies ist eine andere Geschichte. Jedenfalls war man sich uneinig über den Tod der Derrivs und in das Haus, das schon seit vielen Generationen in den Händen der Derrivs war, wollte nie jemand einziehen; da zumal viele alte Stories von den angeblich herumspukenden Derriv-Geistern, die sich nach Rache sehnten, herumerzählt wurden. Aber dass dies damals nur ein Trick der Derrivs gewesen war, um das Haus in ihrer größten Geldnot gegen gierige, alte Eintreiber zu verteidigen, war in Vergessenheit geraten. Das Leben in Kingsworth verlief für Matt bis jetzt nie sehr abenteuerlich, er wuchs wohlbehütet auf und es gab keine aufsehenerregenden Vorfälle mit Ausnahme des spektakulären Unfalls der Derrivs. Ja, es hatte anfangs einige Schlagzeilen gegeben, doch mit der Zeit hatten sie nachgelassen und das Leben war für Matt wieder genauso öde wie vorher. Zwar hatte der damals 16-jährige selbst ein paar Nachforschungen angestellt, doch hatte diese aufgeben müssen, nachdem er beim Herumschnüffeln im Derriv-Haus erwischt worden war. Nach 5 Jahren Flaute erschienen diese merkwürdigen Leute und machten sich das Haus der Derrivs zu eigen. Seitdem konnte er einfach nicht davon ablassen, sie zu beobachten. Er wollte unbedingt herauskriegen, was damals wirklich geschehen war und warum urplötzlich jemand Interesse am Derriv-Haus zeigte. In Matt kam eine Flut von alter Abenteuerlust und Neugierde auf, die er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr verspürt hatte. Sollte sein bester Freund Rick doch denken, was er wollte, er fühlte sich nicht zu alt (er stand kurz vor seinem 22sten Geburtstag), um wie ein kleiner Junge Detektiv zu spielen. "Matt, komm und hilf mir mal bitte", Matts Mutter rief nach ihrem Sohn, der bis dahin damit beschäftigt war, am Fenster zu stehen und das Haus auf der anderen Straßenseite zu beobachten/ Hier bekommt man einfach keine Ruhe, ich hätte schon längst ausziehen sollen/ doch dies wollte Matt seiner Mutter nicht antun, nachdem sein Vater vor 3 Jahren verstorben war. Da Matt Einzelkind war, fühlte er sich verpflichtet, für seine Mutter zu sorgen und sie nicht einfach im Stich zu lassen. Steve Hudson, sein Vater, hatte an einer schweren Lungenentzündung gelitten und die ihm verabreichten Tabletten hatten nicht angeschlagen. Man hatte alles Erdenkliche getan, um ihm zu helfen, doch die Krankheit hatte gesiegt. Für Matt und seine Mutter war eine lange Zeit der Trauer gefolgt, doch mittlerweile haben sie sich im Leben wieder zurecht gefunden. "Matt, wo bleibst du denn?" Matt riss sich notgedrungen vom Fenster los und half Maria beim Geschirrspülen. "Ma, weißt du eigentlich etwas über die Leute da drüben?", fragte er nach einer Weile. Maria stutzte, dachte kurz nach, aber konnte ihrem Sohn keine befriedigende Antwort geben. Sie meinte lediglich, dass sie dieses Haus käuflich erworben hätten und nun den Anschein gäben, dort einzuziehen. Aber das war ja nichts neues und Matt begab sich etwas enttäuscht in seine Wohnräume (er hatte eine Etage für sich allein, da das Haus ziemlich groß für 2 Leute war). Überall lagen vollgeschmierte Notizzettel herum, ein Fernglas lag auf dem Tisch und es fehlte keinesfalls an ausgeschnittenen Zeitungsberichten von früher. Alles deutete darauf hin, dass Matt nichts anderes mehr tat, als dieser Sache auf den Grund zu gehen. Matt schnappte sich das Fernglas und begab sich in die Nähe des Fensters. Er nahm seine übliche Stellung ein, von wo aus er die beste Sicht hatte. Draußen dämmerte es schon und es gab nichts Auffälliges zu sehen, was dazu führte, dass sich Matt doch lieber dafür entschied, erst einmal seine Funde zu ordnen. Er wollte schließlich auch einmal Übersicht über alles haben, um strategisch vorgehen zu können. Am Boden kniend sammelte er alle Papierfetzen zusammen und legte sie auf den Tisch. Danach setzte er sich auf die Couch und begann die Artikel chronologisch den Daten nach zu ordnen. Nach einer Weile saß er wie erstarrt da, seine Augen waren weit geöffnet und blinzelten nicht/ Warum ist mir das noch nie aufgefallen? All die Jahre...vor meiner Nase...und ich hab es immer übersehen.../ Matt regte sich, stand auf und begab sich ans Fenster. Angestrengt versuchte er etwas auf der gegenüberliegenden Seite zu erkennen, blieb aber erfolglos. Dann stürmte er noch einmal zum Tisch, nahm ein Blatt Papier zur Hand und ein Lächeln überfiel seine Lippen/ Ich hab's, da...genau da ist das, wonach ich all die Jahre gesucht habe/ Mit seinem rechten Zeigefinger strich er über eine Abbildung auf dem Papier und war sich seiner Sache ganz sicher: er hatte den Beweis für den Mord an den Derrivs gefunden! Aufgeregt schnappte er sich den Hörer des Telefons und rief seinen Freund Rick an. "Hallo", ertönte es vom anderen Ende der Leitung. "Hi, ich bin's, Matt. Du wirst es nicht glauben, aber ich hab es endlich herausgefunden!" "Langsam, nicht so schnell, wovon redest du eigentlich!?" "Du weißt schon, der Derriv-Fall, es war wirklich Mord und ich hab den ultimativen Beweis..." Matt wurde unterbrochen. "Du spinnst doch, kannst du nicht mal wieder in die Realität zurückkehren? Erde an Mars! Hör schon auf mit diesen Hirngespinsten. Es wurde damals ausführlich ermittelt und das Resultat war, dass es sich um einen gewöhnlichen Autounfall aufgrund erhöhter Geschwindigkeit gehandelt hat." "Rick, ich weiß, du willst mir nicht glauben, aber bitte, tue mir den Gefallen und schau dir an, was ich entdeckt habe, bitteeee!" Am anderen Ende war nur ein lauter Seufzer zu vernehmen, "okay, schon gut, ich komm morgen früh bei dir vorbei, aber das heißt noch lange nicht, dass ich dir das abnehme!" "Danke, Rick, du wirst es nicht bereuen, bis morgen dann." Zufrieden legte Matt auf und konnte den nächsten Tag kaum erwarten. Die Nacht verlief dementsprechend sehr unruhig, aber eine Mütze voll Schlaf bekam auch Matt ab. Es klingelte an der Haustür und Matt machte Rick sehnsüchtig auf. Dieser sah im Gegensatz zu Matt schmächtig aus, denn er war ein ganzes Stück kleiner und hatte auch einen schmäleren Körperbau. Sie begaben sich gemeinsam in Matts Wohnzimmer, wo sie ungestört reden konnten. "Matt, du siehst nicht gerade gesund aus, hör endlich auf herumzuspinnen und benimm dich wieder normal." "Rick, bitte, hör mir erst mal zu." "Schon gut." Sie nahmen Platz und Matt kramte den Zettel vom Vortag hervor und gab Rick eine Lupe in die Hand, der ihn immer noch sorgenvoll anstarrte. Mit einem Finger auf das abgebildete Haus deutend, sagte Matt: "Schau dir das mal an und sag mir, was du siehst!" Rick begutachtete das Bild, wie ihm aufgetragen wurde. "Rache", stammelte er. Matts Augen leuchteten, "ja, auf der Hauswand rechts neben dem großen Fenster im Erdgeschoss steht in Großbuchstaben "RACHE" geschrieben. Ich hab es dir doch gesagt." "Und, was soll das schon beweisen, da hat sich jemand einen Scherz erlaubt, Schluss, Aus, Basta!" Rick nahm seine Jacke und war im Begriff zu gehen. Bevor er zur Tür hinaus ging, gab er Matt noch einen freundschaftlichen Rat. "Sei vernünftig und hak die Sache ab. Das wäre besser für dich." Die Tür fiel leise ins Schloss und Matt konnte nur noch den Geräuschen der Tritte auf den Treppenstufen folgen. Matt fühlte sich miserabel. Nicht einmal sein bester Freund war auf seiner Seite. Wenn er im engsten Kreis schon auf Unglauben stieß, wie könnte er da noch woanders Erfolg haben. Aber ans Aufgeben dachte er nie. Er biss die Zähne zusammen und grübelte über einen neuen Plan nach. Ursprünglich wollte er mit Ricks Hilfe versuchen, den Fall zu aktualisieren, doch das konnte Matt nun vergessen. Da er schon bei ihm auf Ablehnung gestoßen ist, muss er sich eine von Grund auf neue Strategie überlegen. Tage vergingen und Matt verbrachte die ganze Zeit in seinem Zimmer. Umgeben von riesigen Papierstapeln, leeren Gläsern und Tellern, auf denen noch Essensreste lagen, saß Matt am Boden und kritzelte ununterbrochen irgendwelche Sachen aufs Papier. Matts Mutter machte sich ernsthaft Gedanken über ihren Sohn, doch ihre Versuche, ihn davon abzubringen, waren stets erfolglos geblieben. Matt konnte so stur sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Schon als er klein gewesen war, war er nie von etwas abzuhalten gewesen, das er sich vorgenommen hatte. Wenn jemand den Versuch unternahm, ihm zu widersprechen, wurde er wütend und sprach tagelang nicht mehr mit seinen Eltern. Von Matts Seite aus war das nicht böse gemeint, aber er hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, um sein Ziel zu erreichen. Und er war damit immer durchgekommen. Erschöpft legte Matt den Stift weg und begutachtete sein Werk/ Wenn das klappt, dann kann ich allen beweisen, dass es kein Unfall war, sondern vorsätzlicher Mord/ Er streckte sich, wobei seine Knochen laut knackten. Kein Wunder, er hatte sich schon seit einiger Zeit nicht mehr körperlich betätigt. Stöhnend stand er auf und hatte erst mal nichts anderes mehr im Sinn als zu schlafen. Matt schlief sehr lange, dann nahm er ein kräftiges Frühstück zu sich und fühlte sich wie neu geboren. Heute war der Tag, an dem er den ersten Schritt in Angriff nehmen wollte. In den vergangenen Tagen hatte er genau studiert, wann die neuen Bewohner des Derriv-Hauses zu Hause waren und wann sich niemand dort befand, so dass er im richtigen Zeitpunkt zuschlagen konnte. Zu Matts Zufriedenheit konnte er eine Regelmäßigkeit feststellen, das Gebäude stand täglich von 15-16 Uhr völlig leer/ In dieser Zeit müsste ich es doch schaffen, dort ungehindert das Grundstück zu betreten, um sich die Schrift an der Hauswand einmal aus der Nähe zu betrachten/ ging ihm ständig durch den Kopf. Während er darauf wartete, dass es endlich Nachmittag würde, wollte er sich für seine Mutter im Haus nützlich machen. So verbrachte er die Zeit damit, Wäsche zu waschen, abzuspülen und die Zimmer zu saugen. Als es schließlich so weit war, klopfte Matts Herz wie wild. In seiner Aufregung hätte er beinahe das Wichtigste vergessen, den Fotoapparat! Schnell lief er die Stufen hinauf in sein Zimmer und holte diesen. Als er alles beisammen hatte, verließ er unauffällig das Haus. Matt schaute sich nach allen Seiten hin um und war erleichtert, denn keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Flink überquerte er die Straße, drehte sich noch einmal kurz nach links und rechts, und ging letztendlich zur besagten Stelle. Nach all den Jahren war es schwer, irgend etwas an der Wand zu erkennen, zumal der Regen sein Übriges dazu beigetragen hatte. Vorsichtig strich Matt mit der Hand über den rauhen Putz, der nicht mehr weiß war, sondern einen grauen Schatten angenommen hatte. Er spürte deutlich die einzelnen Buchstaben, die auf Matt eine sonderbare Wirkung hatten. Ihn gruselte bei dem Gedanken, dass der Urheber noch frei herumlief. Da er beweiskräftige Fotografien haben wollte, beseitigte er den angelagerten Schmutz, zumindest so gut es ging. Nun kamen die Einritzungen wenigstens ein bisschen mehr zum Vorschein. Dann nahm er den Foto zur Hand und machte einige Bilder. Plötzlich vernahm Matt das Geräusch eines Autos. Erschrocken sah er sich um, und zu seinem Entsetzen waren es die Mieter genau dieses Hauses./Was machen die schon da?/Er sah auf die Uhr/10 Minuten zu früh, was mach ich jetzt?/ Er begann zum Nachbaranliegen zu rennen, schlüpfte zwischen den Holzleisten des Gartenzaunes hindurch und wog sich außer Atem in Sicherheit./Hoffentlich hat mich keiner gesehen!/spukte ihm dennoch durch den Kopf. Das Auto fuhr vor und die fremden Leute stiegen aus. Sie machten nicht den Anschein, als ob sie Matt erblickt hätten. Leise aufatmend kauerte Matt hinterm Zaun und wartete ab, bis sie im Haus verschwunden waren. Geduckt im Schutz des Zaunes kroch er am Boden entlang, bis er wieder die Straße erreicht hatte. Er richtete sich langsam auf und war froh, dass er heil davon gekommen war. Wieder in den eigenen vier Wänden gab Matt einen lauten Schrei von sich, der ihm seit dem Erblicken des Autos auf der Seele gelegen hatte. Er nahm den Fotoapparat und begab sich damit in den Keller. Dort hatte er ein kleines, dunkles Kämmerchen, das die ideale Möglichkeit bot, Filme zu entwickeln. Matt knipste das kleine rote Licht an der Decke an, das ihm genügend Licht spendete, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Es dauerte eine Weile, bis er sie verrichtet hatte. Die fertigen Fotos hängte er an der Leine auf, die von einer Seite des Raumes zur anderen reichte, damit sie entsprechend trocknen konnten. Langsam kamen die Umrisse des Hauses zum Vorschein. Matt konnte es nicht schnell genug gehen, bis sie das vollständige Bild wiedergaben./Hoffentlich erkennt man auch alles/Voller Spannung stand er da und kehrte den Blick nicht ab. Stück für Stück zeichnete sich die komplette Hauswand ab. Matt nahm ein Foto von der Leine und hielt es stolz vors Gesicht. Die Inschrift war zu lesen, der erste Teil seiner Mission war geglückt. Zufrieden konnte Matt sich gezielt auf den nächsten Schritt vorbereiten. Dieser sollte ein Besuch bei Mister Lake, dem Zeugen des Unfalls, darstellen. Obwohl Kingsworth nicht gerade groß war, hatte Matt diesen Mann noch nie persönlich kennengelernt. Klar hatte er schon viel von ihm gehört, er war ja auch eine große Persönlichkeit, doch zu einem Zusammentreffen kam es nie. Der Grund dafür ist ganz einfach: Mister Lake hatte schon immer sehr viel Wert darauf gelegt, nicht von irgendwelchen Leuten belästigt zu werden, zumindest seitdem Matt denken konnte. Früher war das anders. Als er vor 50 Jahren intensiv dafür gekämpft hatte, dass endlich wieder Ruhe in Kingsworth einkehrte, war er ein sehr aufgeschlossener Mensch gewesen. Zu dieser Zeit beherrschte eine Auseinandersetzung zwischen zwei Großfamilien das Leben in Kingsworth. Hauptsächlich stritten diese sich, weil sie einander zu viel Konkurrenz boten. Sie besaßen beide ein Lebensmittelgeschäft, die einzigen dort zu dieser Zeit, doch da noch zu wenig Leute in Kingsworth wohnten, hätte eines voll und ganz ausgereicht. Da keiner gewillt war, einen anderen Standort einzunehmen, war der Zwist vorprogrammiert. Preisschlachten, Sabotagen und Vandalismus folgten. Die Situation eskalierte immer mehr, was letztendlich den Ruin beider Unternehmen zur Folge hatte. Da war Mister Lake ins Spiel gekommen. Da er sich sowohl mit der einen als auch mit der anderen Familie gut verstand, konnte er auf diplomatische Art und Weise einen Waffenstillstand herbeiführen, was aber, weiß Gott, nicht gerade einfach war. Nach geraumer Zeit schlossen sie sich sogar zu einem gemeinsamen Betrieb zusammen und machten einen Neuanfang. Mister Lake war jedenfalls danach zum Ehrenbürger ernannt worden und hatte sich eines angenehmen Lebens erfreuen können. Als jedoch seine Frau vor 25 Jahren an Krebs gestorben war, hatte sich sein Leben drastisch geändert, denn sie war immer sein ein und alles gewesen. Er hatte sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und sich immer mehr in seinem Haus verschanzt. Seitdem duldete er keine Menschen mehr in seiner Nähe, was für Matt noch zu einer schwierigen Aufgabe werden sollte. Nachdem Matt sich die passenden Fragen für die Vernehmung von Mister Lake überlegt und zusammengestellt hatte, wollte er nicht mehr länger warten und begab sich auf den Weg zu diesem. Da Matt kein Auto zur Verfügung stand, da seine Mutter dieses in Benutzung hatte, musste er zwangsweise sein Fahrrad benutzen. Die Fahrt dauerte ein Weilchen, denn Mister Lake wohnte genau am anderen Ende von Kingsworth. Als Matt schließlich die Sicht auf Lakes Anliegen innehatte, überkam ihn ein ungutes Gefühl. Er machte sich plötzlich Sorgen, ob Mister Lake ihn überhaupt anhören würde, da er von dessen Abgeschiedenheit durchaus wusste. /Ein Versuch ist es allemal wert! Wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, ist alles verloren. Also los, Matt!/ machte er sich selbst Mut. Endlich angekommen, war schon wieder Ende. Ein riesiges Eisentor versperrte ihm den Weg. Matt drückte mit seinen muskulösen Armen an die eine Hälfte, um sich zu vergewissern, dass es abgeschlossen war. Da es sich aber nicht bewegen ließ, schaute sich Matt nach allen Seiten hin um, um eventuell einen anderen Durchgang zu finden. Doch es gab keinen. Mit beiden Händen stützte er sich an das Tor und senkte resigniert den Kopf zu Boden./Aufgeben...jetzt? Ich bin doch schon so weit gekommen. Es muss doch einen Weg geben, da rein zu kommen!/ Aber Matt war dennoch elendlich zumute. Plötzlich spürte er eine kräftige Hand auf seiner Schulter. Erschrocken hob er den Kopf und drehte sich vorsichtig um. Er erblickte einen stattlichen, schon etwas älteren Mann, der ihn freundlich anschaute. "Guten Tag, Sir", begrüßte dieser Matt. "Hallo, äh, ich meine guten Tag. Ich wollte nur..." "Schon gut. Darf ich mich erst einmal vorstellen. Ich bin Mister James, der langjährige Diener von Mister Lake. Ich schätze, Sie hatten im Sinn, meinen Herrn zu sprechen, ich gehe doch recht der Annahme?" Matt sah etwas verdutzt seinen Gegenüber an, begann aber zu sprechen. "Ja, die Annahme ist korrekt. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ein Treffen mit Mister Lake ermöglichen könnten." James holte einen großen Schlüsselbund aus seiner Jackettasche hervor und schloss das riesige Eisentor auf. "Folgen Sie mir", wurde Matt aufgefordert. Gemeinsam liefen sie auf dem breiten, gepflasterten Weg, der schon beinahe einer Straße glich, zum Haus von Mister Lake, während sich Matt etwas verspätet vorstellte. Matt bestaunte es von oben bis unten. Er hatte nicht mit einem so großen und wundervollen Haus gerechnet. Prächtige Balkone mit blühenden Blumen aller erdenklichen Farben bereichert, eine Glasfront in der Mitte, durch der man das Treppenhaus sehen konnte, und das strahlende Weiß der Wände beeindruckten Matt. "Warten Sie hier!", waren James' Worte, als er in das Haus ging. Matt war platt, er wusste, dass dieser Mann vermögend sein sollte, doch mit so etwas hatte er beim besten Willen nicht gerechnet. Zwar lebte er schon sein ganzes Leben lang in Kingsworth, doch dieses Grundstück hatte er noch nie zu Gesicht bekommen, da es von hohen Mauern und langen dichten Hecken umgeben war. Und Mister Lake hatte immer darauf bestanden, dass hier niemand ungehindert hereinkam. Matt hatte Glück James angetroffen zu haben. Was Matt nicht wusste, war, dass James alles ihm Mögliche unternahm, um seinen Herrn zu helfen, wieder mit Menschen in Kontakt zu kommen. Er hatte schon vor dem Tod Lakes' Frau jenem gedient und hatte sich jahrelang anschauen müssen, wie er immer einsamer und dadurch psychisch labiler geworden war. Seine Anstrengungen waren aber bis heute nicht belohnt worden, da zumal der mysteriöse Unfall der Derrivs erschwerend hinzu gekommen war. "Sie können eintreten. Mein Herr hat eingewilligt, Sie zu sehen." Matt betrat das wundervolle Haus, das innen noch schöner und eindrucksvoller war. Er befand sich in einer großen Halle, deren Wände und sogar deren Decke kunstvoll verziert waren. Es zeichneten sich Wölbungen ab, die einzelne Figuren und Gegenstände darstellten. Die Frau in der Mitte der linken Wand stach dabei sofort ins Auge. Sie war noch schöner als alle anderen Kunstwerke dieses Raumes. Es sollte sich später herausstellen, dass sie das Ebenbild der verstorbenen Miss Lake war. Matt wurde durch eine Stimme wach. "Sir, hier rechts im Nebenraum wartet Mister Lake auf Sie. Bitte beeilen Sie sich, er wird schon ungeduldig." "Vielen Dank, Mister James!" erwiderte er und klopfte an die Zimmertür. "Herein", ertönte es schwach von der anderen Seite. Matt drückte die Türklinke herunter, machte die Tür auf und trat hinein. Doch was er sah, erschreckte ihn ein wenig. Vor ihm saß ein alter, gebrechlicher Mann, der ihn grimmig anstarrte. Bevor Matt nur ein Wort von sich geben konnte, fragte jener: "Was wollen Sie eigentlich? Sie sollten von vorne herein wissen, dass ich auf keinen gut zu sprechen bin." "Entschuldigen Sie vielmals! Darf ich mich erst einmal vorstellen, ich bin Matt Hudson. Ich habe ein Anliegen, das nicht mehr länger warten kann. Sie können sich sicherlich noch an den spektakulären Autounfall der Familie Derriv erinnern." Mister Lake nickte, aber sein Gesichtsausdruck verhieß nichts gutes. Matt fuhr fort: "Da mir dieser Fall nie Ruhe gelassen hat, habe ich auf eigene Faust ein paar Nachforschungen angestellt und eine Ahnung, wer der Mörder ist." Lakes Augen öffneten sich weit und man konnte sogar ein kleines Aufblitzen erkennen. "Nun, mit Ihrer Hilfe möchte ich den Täter überführen." Es wurde still im Raum. Es war raus, Matt konnte keinen Rückzieher mehr machen. Mister Lake räusperte sich und begann zu sprechen. "Ich sage nur zwei Dinge dazu: Zum einen finde ich es nett von Ihnen, dass Sie mir glauben, dass das damals kein gewöhnlicher Unfall gewesen ist. Wie Sie ja wissen, war ich Zeuge und habe alles mit angesehen. Zum anderen aber zweifle ich schon selbst an meiner Glaubwürdigkeit, da ich einerseits betrunken gewesen bin, andererseits die Polizei ermittelt hat und angeblich die gewöhnliche Unfallursache entdeckt hat. Also, Mister Hudson, ich bin nicht gewillt, die ganze Geschichte noch einmal in mir aufkommen zu lassen. Wiedersehen!" Matt war bewusst, dass er jetzt nichts mehr sagen durfte und verließ mit einem kleinlauten "Wiedersehen!" das Zimmer. Zurück blieb seine einzige Hoffnung, die Aussage von Mister Lake. Mit dem Rücken an die Tür gelehnt stand er da und wusste nicht mehr ein noch aus. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Mister Lake ihn so abweisen würde. Alles brach in sich zusammen, seine Pläne konnte er so nicht in die Tat umsetzen und es überkam ihn ein Gefühl der Enttäuschung und Traurigkeit über seinen gescheiterten Versuch, die Wahrheit ans Licht zu führen. Eine Leere machte sich in Matt breit, die ihn lähmte. James erschien in der Halle und sah Matt, der immer noch mit seinen angemessen breiten Schultern an der Tür lehnte und vor sich ins Leere starrte. Besorgt näherte sich ihm Mister James, doch Matt zeigte keine Regung. "Mister Hudson!" sprach James Matt an, doch das hatte dieselbe Wirkung, als ob er mit einer Wand geredet hätte. James fasste dem jungen Mann an die Schulter und begann, ihn sanft zu rütteln. Matts Augen zwinkerten zuerst langsam, dann etwas schneller. Er erwachte. "Mister Hudson, kommen Sie und setzen Sie sich erst einmal hin." James führte ihn zur Bank, die in der Ecke stand und Matt ließ sich darauf nieder. "Warten Sie hier, ich bringe Ihnen gleich einen Kaffee." James verschwand kurz und kam mit einer Tasse in der Hand wieder. Dampfender Rauch stieg aus ihr empor. James überreichte sie Matt, der wohlwollend einen Schluck entnahm. "Danke! Entschuldigen Sie bitte die Umstände, die ich Ihnen bereite." "Nicht doch. Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen. Ganz im Gegenteil, ich bin Ihnen sogar dankbar, dass Sie den Versuch unternommen haben, mit Mister Lake zu reden. Leider ohne Erfolg, wie ich gesehen habe. Er ist ein sehr schwieriger Mensch. Seit er seine Frau verloren hat, das Liebste, was er besaß, sie war wirklich eine tolle Frau gewesen, hat er jeden Kontakt zu seiner Umwelt vermieden. Ich dachte, dass ein junges Gemüt wie Sie es sind vielleicht das Eis brechen könnte." Matt sah James etwas belustigt an, denn daran konnte er beim besten Willen nicht glauben, nachdem er Mister Lake persönlich kennengelernt hatte. Er trank seinen Kaffee und verabschiedete sich von James, der ihn zur Tür begleitete. "Auf Wiedersehen, Mister James. Es war nett, Sie kennenzulernen." "Ganz meinerseits, Sir Hudson." Matt ging ohne sich noch einmal umzudrehen. Die nächsten Tage verliefen für Matt nicht gerade gut. Er verließ in dieser Zeit nie das Haus, vergrub sich in seinen Wohnräumen und sah ernsthaft krank aus. Die harsche Zurückweisung von Lake hatte ihn schwer getroffen. Er war so auf diesen Fall fixiert gewesen, dass er die Realität aus den Augen verloren hatte. Matt hatte sich alles einfach vorgestellt und dabei nicht bedacht, dass eventuell Schwierigkeiten auftreten könnten. Als eine solche aber eintraf, fiel Matts Bild in sich zusammen und aus war der Traum. Nun hatte er damit zu kämpfen, sich wieder zu ordnen und neu anzufangen, doch dieses Mal mit mehr Vorsicht und Kontrolle über sein Handeln. Es dauerte einige Zeit, bis Matt sich wieder gefangen hatte. Seine Mutter hatte einen wesentlichen Anteil daran. Sie hatte ihm stets Mut gemacht und ihn davon überzeugen können, dass man alles erreichen kann, wenn man Durchhaltevermögen zeigt und sich nicht unterkriegen lässt. Auf Matt hatte dies anfangs keine Wirkung, doch mit der Zeit nahm Matt die Einstellung seiner Mutter an und war bereit, es noch einmal zu versuchen. Wenn auch dies scheitern sollte, wollte er es darauf beruhen lassen und sich neue Ziele setzen. Aber so weit, war es noch lange nicht. Matt vernahm das Klingeln an der Haustür. Er machte auf und stand plötzlich Rick gegenüber. Sie hatten sich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Matt war auch zu beschäftigt gewesen, sich mit Rick wieder zu verständigen. "Hi! Was verschafft mir die Ehre? Komm doch erst mal rein!" Rick folgte dieser Aufforderung. Ohne jegliche Begrüßung überreichte er Matt den Stapel Papier, den er in der Hand gehalten hatte. "Hier, lies das! Das könnte dich interessieren." Matt ließ sich auf einer Couch nieder und blätterte in den Papieren. Auf die schnelle vernahm er, worum es sich hierbei handelte. Die Kernaussage war, dass sich die Derrivs damals geschickt aus der Affäre ziehen wollten, indem sie Geschichten über Geister in Kingsworth verbreitet hatten. Sie hatten kein Geld mehr, aber wollten das Haus um jeden Preis behalten. Deshalb setzten sie alles daran, den Rausschmiss zu verhindern. Ungefähr um diese Zeit war auch die Inschrift "RACHE" an der Hauswand entstanden. Man hatte daher die Vermutung, dass sie von den Derrivs selbst hergerührt und nicht durch Vandalismus entstanden war. "Siehst du, Matt, du warst auf dem Holzweg. Weil du so versessen darauf bestanden hast, dass es sich um Mord gehandelt haben musste, bin ich in das alte Archiv der Druckerei gegangen und habe die Berichte über die Familie Derriv durchstöbert. Und da habe ich, wie du siehst, herausgefunden, dass du keinen Beweis hast, sondern lediglich ein Bild, das vor zig Jahren entstanden ist und in keinerlei Weise mit dem Unfall von vor 5 Jahren in Verbindung steht." Man hätte erwarten können, dass dies ein erneuter Rückschlag für Matt war, doch dieser zeigte sich in keinerlei Hinsicht geschockt oder betroffen. Er strahlte eher ein Gefühl der Überlegenheit aus. "Das habe ich mittlerweile auch schon herausgefunden oder zumindest lag das auf der Hand. Ich habe noch einmal sorgfältig über alles nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich falsche Schlussfolgerungen gezogen habe. Zwar bin ich immer noch davon überzeugt, dass es kein gewöhnlicher Unfall war, aber dass das Wort "RACHE" nichts damit zu tun hat." Rick sah Matt verwirrt an. "Aber war das nicht dein ultimativer Beweis, wie du ihn selber nanntest, gewesen?" Matt belächelte seinen besten Freund ein wenig, was Rick wütend machte. "Damals hatte ich noch nicht mit Mister Lake gesprochen." Mehr wollte Matt nicht preisgeben. "Ich dachte, dadurch kommst du wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Aber es hat den Anschein, als ob du total durchgeknallt bist. Ich gehe wieder, du kannst dich bei mir melden, wenn du wieder normal bist." Mit diesen Worten verabschiedete sich Rick. Matt tat es im Nachhinein schon leid, seinen Freund so behandelt zu haben. Doch er hatte keine andere Wahl gehabt, er hätte ihm sowieso nicht geglaubt. Da blieb immer noch ein Hindernis. Matt konnte es vergessen, noch einmal die Gelegenheit zu bekommen, sich mit Mister Lake zu unterhalten. Deshalb beschloss er, erst mal nichts zu unternehmen und abzuwarten. In den früheren Alltag zurückgekehrt verbrachte Matt seine Zeit damit, sich wieder voll und ganz auf seinen Job zu konzentrieren. Sein Urlaub war verstrichen und er hatte wieder täglich zur Arbeit zu gehen. Nach seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann ist er direkt von seinem Auftraggeber übernommen worden. Seit 2 Jahren war er schon dort beschäftigt, doch wirklich Spaß machte ihm dieser Beruf nicht. Ursprünglich hatte er vorgehabt nach seiner Lehre ein Studium im Bereich der Wissenschaften anzutreten, doch nach dem Tod seines Vaters, hatte er seine Pläne verwerfen müssen. Da ein solches Studium in Kingsworth und Umgebung nicht möglich war, entschied er sich, den Beruf durchzuziehen, um sich um Maria zu kümmern. Matts Firma war in der Nähe seines Wohnhauses gelegen, so dass er immer zu Fuß dorthin gehen konnte. Dadurch hatte er stets die Gelegenheit das Derriv-Haus weitgehend im Auge zu behalten. Die neuen Bewohner jedoch nahmen mit der Zeit ein unscheinbares Bild an. Sie lebten wie jeder andere Einwohner von Kingsworth auch, das heißt sie gingen täglich arbeiten, hielten den Garten in Ordnung und hatten sich mittlerweile mit ein paar Nachbarn angefreundet. Matt musste an das erste Erscheinen zurückdenken. Er konnte sich noch genau daran erinnern, dass sie damals einen sehr seltsamen Eindruck auf ihn gemacht hatten. Denn sie waren stets dunkel gekleidet gewesen, hatten ihre Gesichter verhüllt und mit niemandem ein Wort gewechselt. Trotz des neuen Erscheinungsbildes, das sie nun von sich gaben, hatten sie etwas Befremdliches an sich. Matt konnte nur noch nicht genau definieren, was es war. Er konzentrierte sich lieber auf wichtigere Dinge, wie zum Beispiel die Tatsache, dass viel in Kingsworth über diese Leute gemunkelt wurde. Am Rande hatte er mitbekommen, dass sie mit Nachnamen Onkle hießen und zuvor in Bridgetown gewohnt hatten, eine Stadt 860 km südlich von hier. Doch warum sie nach Kingsworth zogen, hatte noch niemand herausgefunden. Merkwürdig war auch, wie sie erfahren haben konnten, dass es hier ein leerstehendes Haus gab, geschweige denn, dass Kingsworth überhaupt existierte, denn gerade berühmt war es ja nicht. Es befanden sich hier keine Zweigstellen bekannter Firmen noch gab es irgendwelche Institutionen, die erwähnt werden müssten. Kingsworth war höchstens auf Landkarten zu finden, aber auf keinen Fall in Zeitungsberichten oder sonstiges. Matt bezweifelte, dass jemand freiwillig von so weit her hierher zog, es musste also einen bestimmten Grund geben. Doch welchen? "Matt?", rief Maria Hudson, "Hier ist ein Brief für dich gekommen!" Als Matt die Treppe herunter gekommen war, wurde ihm der Brief ausgehändigt. Matt dachte zunächst, dass es die Telefonrechnung war, die fällig war, aber dem war nicht so. Es war ein weißer Umschlag, auf dem nur Matts Adresse stand. Es handelte sich hierbei auch nicht um einen frankierten Umschlag und es gab ebenfalls keinen Absender. Matt strich sich eine dunkle Haarsträhne aus den Augen. Verwundert öffnete er den Brief und zog ein weißes Papier heraus. Vorsichtig faltete Matt es auseinander und begann zu lesen. Seine tiefbraunen Augen fingen an zu strahlen und es zeichnete sich ein Grinsen auf seinen Lippen ab. Der Brief kam von James, der Matt darum bat, am nächsten Tag um 19 Uhr bei Mister Lake zu erscheinen. Er berichtete noch, dass Lake sein Besuch keine Ruhe gelassen hatte und daher danach verlange, ihn noch einmal zu sprechen. Froh über diese Nachricht ging Matt wieder in sein Zimmer. /Warten zahlt sich nun mal irgendwann aus!/ dachte Matt, war aber dennoch etwas verwundert über den Wandel in Lakes Ansichten. Gerade von der Arbeit heim gekommen war Matt schon wieder beim Aufbruch. Hastig zog er sich um, er wollte ja einen guten Eindruck bei Mister Lake machen. Nachdem er seine braun-schwarz schimmernden Haare noch zufriedenstellend frisiert hatte (Haarlack durfte dabei keinesfalls fehlen), konnte er getrost losziehen. Die Abendsonne tauchte sein gebräuntes Gesicht in einen hellen Schein. Die frische Luft wohlwollend einatmend, kein Wunder nach einem so stressigen Arbeitstag, lief Matt ungehindert seinem Ziel entgegen. Das Eisentor war dieses Mal einen Spalt breit geöffnet, so dass Matt problemlos hindurchgehen konnte. Da er aber ein bisschen zu früh dran war, machte er etwas langsamer und schaute sich den groß angelegten Garten an. Er ähnelte eher einem Park, er war reich an Bäumen und bunten Blumenbeeten. Im Zentrum war ein weißer Brunnen errichtet worden, der über zwei Schalen hinweg Wasser führte. Matt konnte sich vorstellen, später auch einmal so etwas romantisch schönes zu besitzen. An der Haustüre wurde er schon von James erwartet, der sich sichtlich freute, Matt zu sehen. Sie begrüßten sich, als ob sie alte Bekannte wären. James führte den jungen Mann geradewegs zur Terrasse, die sich auf der anderen Seite des Hauses befand. Wie nicht anders zu erwarten, war auch diese im großen Stil angelegt und übertraf jegliche Schönheit. Dort traf Matt auf Mister Lake. Doch dieses Mal erschien er Matt nicht als griesgrämiger alter Tunichtgut, sondern wirkte gleich sympathischer und friedvoller. "Guten Abend, Mister Hudson! Ich danke Ihnen, dass sie meiner Einladung gefolgt sind." Matt grüßte zurück und nahm Platz, wie er durch Lakes Geste aufgefordert wurde. "Sie wundern sich sicherlich, warum ich Sie plötzlich sprechen möchte." Zustimmend nickte Matt und hörte sich weiter an, was Lake zu sagen hatte. "Nach Ihrem Besuch hatte ich ständig Visionen in meinen Träumen. Sie handelten alle von dem Unfall von vor 5 Jahren." Mister Lake hielt inne, hatte Mühe ruhig zu bleiben. Auch Matt verspürte eine gewisse Unruhe in sich, doch wollte er sie nicht zeigen. So versuchte er krampfhaft, still sitzen zu bleiben. Doch er konnte nicht vermeiden, dass sich sein rechter Fuss ständig auf und ab bewegte. Das Schweigen schien kein Ende nehmen zu wollen. Es war lediglich das schwere Atmen vom alten Mister Lake zu vernehmen. Man merkte, dass dies eine völlig neue Situation für beide war. Lake sprach das erste Mal seit Jahren mit einer eigentlich noch fremden Person über sein Erlebnis, was ihm sichtlich nicht einfach viel. Und Matt musste sich damit zurechtfinden, die Rolle des stillen Zuhörers einzunehmen. James servierte Tee, was Lake endlich zum Weiterreden brachte. "Diese Visionen sind nicht leicht zu beschreiben. Ich laufe am Straßenrand und es zeichnet sich ein immer größer werdender dunkler Schatten vor mir ab. Nach einer Zeit nimmt er ungefähr die Gestalt einer Person an. Genaues kann man dabei aber nie erkennen, weder ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Die Umrisse sind verschwommen, es sind keine Konturen zu erblicken. Doch eines sticht immer hervor: die Augen." Matt saß mit offenem Mund da. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Mit irgendwelchen Spekulationen über die Unfallursache hatte er gerechnet, aber nicht mit so etwas. "Die Augen", wiederholte Mister Lake mit leiser Stimme. Matt fröstelte ein wenig. Lake unternahm den Versuch, die Augen näher zu beschreiben. "Sie sind groß und starren einen direkt an. Blau, mehr blau-grau, sind sie. Jede verflixte Nacht verfolgen sie mich." Aus Lakes Gesicht verschwand jegliche Farbe. Er wurde so blass, dass sich Matt ernsthaft Gedanken machte. "Mister Lake, kann ich Ihnen auf irgendeine Art und Weise behilflich sein?" "Schon gut. Es geht schon.", Lake sah zu Matt und rang sich ein Lächeln ab. Doch überzeugend war dieses nicht. Matt rief nach James, der sofort herbeigeeilt kam. "Bringen Sie bitte ein kaltes Glas Wasser!" James warf einen Blick zu Mister Lake und verstand. Bald darauf erschien er wieder und überreichte das Glas seinem Herrn. Als dieser es ausgetrunken hatte, überdeckte ein zartrosaner Teint sein Gesicht. Erleichtert ließ James die beiden wieder allein. /Was für ein Hitzkopf!/ dachte Matt /Denkt, dass es ihm gut geht und steht kurz vorm Nervenzusammenbruch!/. Aber Matt war auch nicht ganz wohl in seiner Haut. Er wusste nicht, was ihn jetzt noch erwartete. Lake hatte sich wieder im Griff und sprach Matt an. "Ich habe Sie hierher bestellt, weil Sie mir helfen sollen, die Person ausfindig zu machen, der diese Augen gehören." Matt schluckte, denn er hatte keine Ahnung, wie Lake sich das vorstellte. "Hier und heute bitte ich Sie, dass Sie mich bei meiner Suche unterstützen! Wie Sie sehen, bin ich schon ein alter Mann und verfüge nicht über die Kraft, mich eigens auf den Weg zu machen, um mir die Leute hier aus der Nähe anzuschauen." Matt wusste immer noch nicht recht über seinen Part Bescheid und fragte nach der Vorgehensweise. "Das ist ganz einfach", begann Lake. "Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie geschickt mit einer Kamera umgehen können. Ich möchte, dass Sie wenn möglich von jeder Person in Kingsworth ein Foto machen, auf dem die Augen gut zu sehen sind." Fassungslos saß Matt da und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Ihm blieb aber keine andere Wahl als einzuwilligen, denn er war schließlich derjenige, der die Wahrheit ans Licht führen wollte. Lake sah ihn fragend an, doch Matt wandte seinen Blick ab. Er wollte nicht, dass Lake ihn für einen Weichling hielt. So sagte er schnell, "Einverstanden! Ich mach's!". Matt sah auf und war nun fest entschlossen. Doch Lake hatte noch etwas hinzuzufügen: "Wie Sie sich sicher schon gedacht haben, kann ich Ihnen nicht hundertprozentig versichern, dass diese mysteriösen Augen auch tatsächlich die des Mörders sind. Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen, aber wenn wir Gewissheit wollen, müssen Sie diese Person später kontaktieren und zum 'Unfall' befragen. Natürlich vorausgesetzt, dass wir sie ausfindig machen können." Das sollte noch ein schwieriges Unterfangen werden. Matt verabschiedete sich. Auf dem Nachhauseweg ließ er das Gespräch Revue passieren. /Ich kann doch nicht einfach zu den Leuten hingehen und sie fotografieren! So auf die Art, hey entschuldigen Sie mal, bitte lächeln!/ In Matt kamen kleine Zweifel auf. Hätte er lieber doch ablehnen sollen? /Nein, ich mache doch jetzt keinen Rückzieher, so weit käme es noch!/ Endgültig bereit für seine neue Aufgabe stand er schon vor seinem Haus und verschwand letztendlich darin. Es war schon sehr spät, so dass er sich gleich schlafen legte. Er musste schließlich am nächsten Tag arbeiten gehen. Die Nacht verlief äußerst unruhig, Matt drehte sich ständig von der einen Seite zur anderen. Kleine Schweißperlen bildeten sich und bahnten sich ihren Weg über die Rundung der Stirn und fielen auf das Kopfkissen. Bevor noch der Wecker klingeln konnte, war Matt wach. Die Arme hinterm Kopf verschränkt lag er da und starrte vor sich hin ins Dunkel. Nur der schwache Schein des Halbmondes fiel ins Zimmer, der leicht von der Wand reflektiert wurde. /Was habe ich mir da nur eingebrockt!?/ Matt grübelte darüber nach, wie er es anstellen sollte, die Leute ohne jegliche Verdächtigungen zu fotografieren. /Da die Menschen mich hier kennen, kann ich mich nicht einfach als Reisender ausgeben, der eine Reportage über einen fremden Ort schreibt.../ "Reportage!...Das ist es doch!" Matt setzte sich kerzengerade hin und war begeistert. Er malte seinen Einfall in Gedanken aus. /Titel: Welche Person passt am besten zu seinem Haus?...Da wird es doch zu deichseln sein, dass man die Augen in Großaufnahme bekommt!/ Matt stand auf und notierte sich kurz die entsprechenden Kriterien, die zur Auswahl beitragen sollten: Größe von Haus in Relation zum Bewohner, Kleidungsstil zu Dekoration (Balkone, Blumen, Vorhänge usw.), Augenfarbe zu Hausfarbe. Am Abend des nächsten Tages bereitete Matt alles vor, um einen möglichst seriösen Eindruck bei seinen Befragungen hinterlassen zu können. So fertigte er ein Plakat an, indem er von allen möglichen Zeitschriften die schönsten Häuser ausschnitt und der Reihenfolge nach aufklebte. Dazu suchte er sich noch die passenden Personen heraus und ordnete sie seinem Ermessen nach den entsprechenden Häusern zu. /So, das wär' geschafft!/ Jetzt musste er sich nur noch überlegen, wie er am besten bei den Leuten ankomme. Er glaubte nämlich nicht, dass sie bei so etwas einfach mitmachen würden. Matt fiel ein, dass Menschen eigentlich immer etwas gewinnen wollen; deshalb stellte er eine Sammlung von Preisen zusammen. Doch diese konnte und wollte Matt nicht alleine finanzieren. Schließlich war Lake auch noch für etwas gut. Matt nahm das Telefon zur Hand und wählte Lakes Nummer. Auf der anderen Seite der Leitung war James Stimme zu vernehmen. Da Matt nicht um den heißen Brei reden wollte, fasste er sich kurz und brachte sein Anliegen hervor. "Kein Problem, Sir Hudson! Das nötige Geld wird morgen bei Ihnen eintreffen. Die Hauptsache ist doch, dass es meinem Herrn hilft, zumindest erhoffe ich mir das von dieser Aktion. Nochmals vielen Dank für Ihre Unterstützung, Mister Hudson!" James klang einerseits erleichtert, aber andererseits doch besorgt. "Ich danke Ihnen! Auf Wiedersehen!" Somit verabschiedeten sie sich und Matt konnte getrost auflegen. Am nächsten Tag traf das Geld wie vereinbart ein und Matt kaufte die Preise ein. Eine kleine Auflistung: 3.Preis: Accessoires für die Wohnung im Wert von 30$, 2.Preis: Ein Bonsai, 1.Preis: Candle - light - dinner im Restaurant Banico. Nun sollte es losgehen. Matt holte noch einmal tief Luft und machte sich auf den Weg. Da er nicht gewillt war gleich bei seinen Nachbarn anzufangen, vielleicht auch nicht den Mut dazu hatte, begab er sich in den östlichen Teil von Kingsworth. Dort kannte er die Leute nicht so gut und war daher eher bereit sich aufzudrängen. Er stand vor dem ersten Haus und starrte es an. Das Plakat in seiner rechten Hand fing an zu flattern aufgrund des Windes, der aus westlicher Richtung aufgezogen war. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel und die Sonne verkroch sich hinter ihnen. Die Atmosphäre war zwar nicht beängstigend, doch eine gewisse Spannung war zu spüren. Matt wollte es endlich hinter sich bringen. Er klingelte und wartete. Die Tür ging auf und Matt stand seiner ersten Herausforderung gegenüber. Er grüßte freundlich, setzte sein überzeugendstes Lächeln auf und begann mit seiner daheim vorm Spiegel geübten Rede. "Ich komme im Auftrag von Mister Lake. Nach gemeinsamer Überlegung sind wir zu dem Schluss gekommen, dass Kingsworth im Besitz vieler schöner Häuser ist. Nun wollen wir herausfinden, ob diese auch auf ihre Eigentümer abgestimmt sind. Daher möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, sich an unserer Studie zu beteiligen." Sein Gegenüber sah ihn komisch an und wollte Matt gleich wieder loswerden. Da griff Matt zu seiner Geheimwaffe, den Preisen. "Es gibt natürlich auch etwas zu gewinnen und das ohne jegliche Verpflichtung. Das heißt Sie müssen nichts unterschreiben oder so, sondern ich möchte lediglich ein paar Fotos von Ihrem Haus und Ihrer Person machen." Matt hatte schließlich Erfolg mit seiner Taktik. So machte er sich darüber, die nötigen Bilder zu knipsen. Er legte viel Wert darauf, dass man die Augen von Mister Miller deutlich erkennen konnte, so wie es mit Lake abgesprochen war. Matt war erleichtert, dass es funktioniert hatte. In der Hoffnung, dass es bei den nächsten Leuten auch so einfach ablaufen würde, verabschiedete er sich von Miller. Der Himmel hatte sich immer mehr zugezogen und es sah sehr verdächtig nach Regen aus. Es war zudem schwül geworden, weshalb Matt die Ärmel seines blauen Pullovers hochkrempelte, so dass seine kräftigen Arme zum Vorschein kamen. Mit dem Handrücken strich er sich über die Stirn, um die kleinen Schweißtropfen zu entfernen. /So was dummes. Jetzt, wo ich schon die ersten Fotos im Kasten habe, macht mir das Wetter ein Strich durch die Rechnung./ Da Matt auch keine Lust hatte, nass zu werden, spurtete er nach Hause. Doch der erste Donner war schon zu vernehmen und kurz darauf begann es heftig zu regnen. Matt bekam einige Tropfen ab, während er sich nach einem Unterschlupf umschaute. Da kam ihm die Bushaltestelle ganz recht, denn sie war weitflächig überdacht. Nachdem Matt seine Sachen auf einer Bank abgelegt hatte, strich er sich über seine nassen Haare und begutachtete das Geschehen. Das Wasser bahnte sich seinen Weg über die Dächer hinweg hinab zu Boden. Auf den Straßen sammelte es sich und konnte nicht so schnell durch die Kanaldeckel abfließen. Matt blieb keine andere Wahl als zu warten, bis das Gewitter vorüberzog. Daher setzte er sich und vertrieb sich die Zeit, indem er sein Schweizer Taschenmesser herausholte und damit spielte. Messer raus und rein, Schere auf und zu,... Das Donnern war nur noch aus der Ferne zu hören und es hatte auch aufgehört zu regnen. Zwar nieselte es noch ein wenig, doch Matt wollte nicht mehr herumsitzen und begab sich deshalb auf den Nachhauseweg. Den Fotoapparat hatte er sich unter den Pullover gestopft, so dass ihm auf keinen Fall etwas passieren konnte. Das hätte Matt nämlich gerade noch gefehlt. Endlich daheim nahm er erst einmal eine heiße Dusche. Das Plakat konnte er vergessen, es war völlig durchnässt. Nun blieben ihm nur noch seine Überzeugungskünste und natürlich die Gewinne, die bei den Leuten vermutlich mehr zählten. Ein neuer Tag war angebrochen und Matt konnte sein Vorhaben weiterführen. Wie am Vortag wollte er im Ostteil seine Runde machen. Doch dieses Mal verlief es für Matt nicht planmäßig. Zwar ließen sich viele Leute fotografieren, doch ein Fall machte ihm ganz schön zu schaffen. Miss Fill wehrte sich partout gegen ein Portrait von sich. Nicht weil sie abgelichtet würde, sondern weil Matt speziell ihre Augen im Visier hatte. /Was hat die nur? Hat sie was zu verbergen?/ wunderte sich Matt. Er nahm noch einmal Blickkontakt mit ihr auf und da kam es ihm: Sie hat blau-graue Augen! /Ob sie es ist? Aber sie sieht doch so aus, als ob sie keiner Fliege was zu leide tun könnte./ "Aber Miss Fill", versuchte Matt sein Glück, "Sie haben doch wunderschöne Augen. Außerdem ist die Farbe doch ein wichtiges Kriterium für unsere Studie. Wollen Sie sich wirklich weigern, sich zu beteiligen? Wenn alles gut läuft, dann wird sie sogar im ganzen Land publik und Sie könnten berühmt werden!" Matt griff zu allen Mitteln. Nach einer Gedenkpause ließ sich Miss Fill breitschlagen. So kam Matt letztendlich doch zu seinem vielleicht wichtigstem Foto. Im weiteren Verlauf des Nachmittags schoss Matt zahlreiche Fotos. Am Abend legte er sich völlig erschöpft ins Bett und genoss einen erholsamen Schlaf. Die nächsten Tage nahmen ihren Lauf und Matt hatte schon fast ganz Kingsworth abgeklappert. Der einzige Straßenzug, der ihm noch fehlte, war der, in dem er wohnte. Nun musste er sich seiner schwierigsten Aufgabe stellen. Er hatte noch kein einziges Wort mit seinen neuen Nachbarn gewechselt, obwohl sie jetzt schon einige Wochen in Kingsworth lebten. Sie waren einfach zu suspekt. Matt erinnerte sich an das Versprechen, das er Mister Lake gegeben hatte. Da er ihn nicht enttäuschen wollte, fasste er erneut Mut und ging zu den Onkles, was ihm dennoch Überwindung kostete. Als er sich dem Haus näherte, überkam ihn eine böse Vorahnung. /Mir ist nicht wohl in meiner Haut. Irgendwas wird passieren!/ schwirrte ihm urplötzlich durch den Kopf. Mit einem mulmigen Gefühl betätigte er die Klingel. Das laute Läuten hallte durch das ganze Haus. Sogar ein Echo war zu vernehmen. Langsam öffnete sich dir Tür, hinter der es ziemlich dunkel für die Tageszeit war. Es war erst früher Nachmittag, aber der Flur war überhaupt nicht beleuchtet. Kein Licht, jegliche Helligkeit fehlte. "Ja, bitte!?", fragte Mister Onkle barsch. Matt zuckte etwas zusammen, doch hielt dem durchdringendem Blick von Onkle stand. "Entschuldigen Sie, bitte," begann Matt doch sehr freundlich, "Mister Lake und...". Doch ehe er seinen Satz beenden konnte, wurde die Tür vor seiner Nase zugeschlagen. Stumm stand Matt da und wusste noch nicht recht, wie ihm geschah. /Was bildet der sich denn ein!/ Aus Trotz klingelte Matt gleich wieder, doch nichts regte sich. /Das kann er mit mir doch nicht machen!/ Nun begann er noch zusätzlich mit seiner rechten Faust an die Tür zu klopfen. "Mister Onkle!", rief er, "komm machen Sie wieder auf!". Ruckartig schoss die Tür auf und Matt hätte beinahe mit seiner Faust das Gesicht des Mannes erwischt, der ihn sehr wütend anstarrte. Matt zuckte zusammen. "Hören Sie mir zu, junger Mann! Was sie hier veranstalten ist mehr als unverschämt! Da es nicht das erste Mal ist, dass Sie Hausfriedensbruch begehen, gibt es keine Entschuldigung für Ihr Verhalten mehr!" Matt fiel die Kinnlade herunter, /was meinte er nur mit 'nicht das erste Mal'?/. "Glotzen Sie nicht so dumm aus der Wäsche! Vor ein paar Wochen, kurz nach unserem Einzug, haben wir Sie beim Herumschnüffeln beobachten können. Sie dachten wahrscheinlich, wir sähen nichts aus der Ferne. Da haben Sie sich aber gewaltig geirrt!" /So ein Mist. Der hat mich damals doch gesehen!/ Matt hatte nur noch einen Wunsch, schleunigst weg von hier. Er drehte sich schnell um und wollte weglaufen, doch irgendwas hinderte ihn daran. Onkle hielt ihn mit beiden Händen fest und packte kräftig zu, so dass Matt keine Chance hatte zu entkommen. Dieser wehrte sich mit Händen und Füßen. Zwar war Matt keineswegs kraftlos, aber gegen Onkle war ihm kein Kraut gewachsen. "Lassen Sie mich sofort los!", schrie Matt. Doch Onkle ließ sich nicht beirren und war im Begriff, Matt ins Haus zu ziehen. Da Matt dies mit allen Mitteln verhindern wollte, biss er in den linken Daumen von Onkle so kräftig wie er konnte. Onkle schrie auf vor Schmerz und Matt konnte diesem Monster entfliehen. Keuchend überquerte er die Straße, fummelte in seiner Hosentasche nach dem Schlüsselbund. In seiner Aufregung hätte er ihn beinahe fallen gelassen, konnte dies aber gerade noch verhindern. Er übersprang den Gartenzaun, indem er sich mit der freien Hand an einem Balken abstützte. Dann schaute er in die Richtung aus der er gekommen war und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass Onkle ihm folgte. Schnell sprintete er noch die letzten Treppenstufen hinauf, steckte den Schlüssel ins Schloss und verschwand schließlich in den sicheren vier Wänden. Matt sank zu Boden und war völlig fertig. Ein paar Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht und überdeckten seine Augen, in denen sich Wasser sammelte. Tränen liefen ihm über die Wangen. Der Schock saß tief. Die Szene lief noch einmal vor seinen Augen ab. Er hatte ja so ein Gefühl gehabt, das sich leider bestätigt hatte. Was Matt dennoch verwirrte, war die Tatsache, dass Mister Onkle keine blau-grauen Augen hatte. Sie waren schwarz, pechschwarz. /Wie seine Seele/, dachte Matt. /Ist er dennoch der Mörder?/ Darauf wusste er keine Antwort. Vorsichtig erhob sich Matt, wischte sich mit einer Hand über die Wangen, um die restlichen Tränen zu beseitigen. Da er wissen wollte, ob dieser Verrückte sich noch in der Nähe aufhielt, ging er zur Tür und schaute durch den Spion. Den Blick nach rechts und links schweifend suchte er die ganze Umgebung ab, doch Onkle war nicht ausfindig zu machen. Ein wenig erleichtert begab sich Matt in den Keller, um die ganzen Filme zu entwickeln, so dass er sie möglichst bald Lake vorsetzen konnte. Ständig achtete er auf irgendwelche Geräusche, er fand einfach keine Ruhe. Zudem kontrollierte er ständig, ob alle Türen, die nach draußen führten, abgeriegelt waren. Bei jeder Bewegung schmerzten seine Schultern ein bisschen, denn Onkle hatte ihn sehr grob behandelt. Matt dehnte sich, doch das tat noch mehr weh. /Einfach nicht daran denken. Das vergeht schon wieder. Außerdem ist es erst mal wichtiger, die Fotos zu Lake zu schaffen./ /Was hatte Onkle nur?.../ Diese Frage beschäftigte Matt ununterbrochen. Krampfhaft überlegte er, woran die heftige Reaktion gelegen haben mag. Mit einem dumpfen Knall fiel die Pinzette, mit der er die Fotos bearbeitet hatte, zu Boden. "LAKE!", rief Matt laut aus. /Als ich seinen Namen erwähnt habe, ist Onkle ausgetickt. Also gibt es doch eine Verbindung zwischen den beiden!/. Matt rannte zum Telefon, er wollte sobald wie möglich mit Mister Lake sprechen. Mit James vereinbarte er einen Termin für den darauffolgenden Tag. Pünktlich erschien Matt bei Lake. Er überreichte ihm zuallererst die gewünschten Fotos, die sich Lake lange und genau ansah. "Mister Lake," , begann Matt, wurde aber durch eine Geste von jenem abgewürgt. Nach einiger Zeit ergriff Lake das Wort: "Ein Foto ist ganz interessant, welches ist nun das von Onkle?" Etwas verärgert antwortete Matt ihm, denn genau das wollte er ihm ja die ganze Zeit über sagen, durfte aber nicht. "Deswegen bin ich ja hier!" "Sachte, junger Mann, erheben Sie so nicht Ihre Stimme gegen mich!" Nachdem sich Matt entschuldigt hatte, erzählte er Lake sein gestriges Erlebnis. Die Augen immer weiter öffnend hörte Lake interessiert zu. Als Matt seinen letzten Satz beendet hatte, trat ein bedrückendes Schweigen ein. Nervös fingerte Matt an seiner Mappe, die er auf dem Schoß liegen hatte. Langsam konnte er die Langatmigkeit von Lake nicht mehr ertragen, doch er sagte nichts. Lakes Gesichtsausdruck musternd wartete Matt ungeduldig auf eine Reaktion. Er sah, dass das linke faltige Auge stetig zuckte und die Stirn durch das angestrengte Überlegen noch runzliger war als sonst. Aber er war nicht imstande abzulesen, was Lake wohl dachte. Die Sonne kam hinter den Wolken hervor und erhellte das Zimmer, in dem sie sich befanden. Das Weiß der Wände ergänzte die freundliche, angenehme Atmosphäre. Lake räusperte sich, sah Matt an, doch blieb stumm. /Hat der Nerven! Hrrrr, warum sagt er denn nichts.../, Matt wurde immer zappliger. Auffordernd erwiderte Matt den Blick. Da er immer noch kein Wort von sich gab, stand Matt auf und ging zum Fenster. Er konnte einfach nicht mehr still sitzen bleiben. Die Situation schien für Matt immer prekärer zu werden. "Mister Hudson", Lakes gebrechliche Stimme war wie eine Erlösung. Matt drehte sich zu ihm um, um ihn ansehen zu können. "Bevor ich Ihnen erkläre, wie wir Onkle überführen können, möchte ich zuerst eine exakte, detailgetreue Beschreibung dieses Mannes haben, um auch wirklich sicher gehen zu können, dass er unser Mann ist." "Kein Problem, aber ich dachte, Sie kennen nur die Augen?", fragte Matt etwas verwirrt. "Ja, das war anfangs auch so. Doch das Bild in meinen Träumen wurde immer deutlicher und ergab schließlich ein komplettes Abbild einer Person, des Täters. Dieses stimmt aber mit keines Ihrer Fotos überein. Deshalb benötige ich nun eine genaue Beschreibung von diesem Onkle!" So gab Matt alle Einzelheiten wieder, an die er sich noch erinnern konnte. Dabei erwähnte er die enorme Größe und Kraft, die auffällig krumme Nase, die hohlen Wangen, die kurzen blonden Haare usw. Lake nickte zustimmend. Matt wiederholte noch einmal eindringlich die schwarze Augenfarbe von Onkle. "Es hat den Anschein, zumindest Ihrem Verhalten nach, als ob Sie genau diese Person in den Träumen sehen würden, doch was ist mit den Augen? Die Farbe stimmt doch nicht überein!", Matt war im Zweifel. Lake ließ wie immer auf seine Antwort warten. Unruhe überkam Matt, aber er konnte sich noch einmal beherrschen nicht etwas zu tun, was er später nur bereuen würde. Die Stille zehrte förmlich an ihm. Matt sah auch nicht gut aus, er hatte in letzter Zeit einfach zu viel erlebt. Entspannung hatte er bitter nötig, doch diese sollte er noch lange nicht bekommen. "Mister Hudson!", sprach Lake endlich. "Ich verstehe Ihre Sorgen voll und ganz. Doch in diesem Falle sind sie völlig unberechtigt." Lake anstarrend überkam Matt wieder ein sonderbares Gefühl. Genau so eines, wie er es kurz vor dem Besuch von Onkle hatte. Innerlich machte er sich auf alles gefasst. Er wollte nicht noch einmal so einen Schrecken eingejagt bekommen. "Ja, Sie haben recht, dass die Augenfarbe nicht die gleiche ist. Doch das tut nichts zur Sache!" Matt verstand gar nichts mehr. "Ich habe Ihnen bis jetzt noch ein wichtiges Detail meiner Träume verschwiegen." Verärgert war Matt schon ein wenig, er ließ Lake aber weiterreden. "Was ich Ihnen jetzt erzähle, wird Licht in die ganze Angelegenheit bringen. Also Folgendes:..." Matt nahm wieder Platz und hörte sich an, was Lake zu sagen hatte. Nach einer ganzen Weile kam Matt aus dem Zimmer, viel entspannter und friedvoller als vorher. James geleitete ihn noch hinaus. "Mister Hudson! Sie sehen so froh aus, gibt es etwas Neues?", erkundigte sich James. "Ja, das kann man wohl sagen! Seien Sie beruhigt, Mister James, Ihr Herr wird seine letzten Tage noch in Ruhe verleben können!" Damit verabschiedete sich Matt und ging. James sah ihm noch lange nach. Matt nahm nicht den direkten Weg nach Hause, sondern machte einen Abstecher durch den Wald, der gleich neben der Hauptstraße lag. Gemütlich schlenderte er mitten durch diesen und suchte nach der kleinen Hütte, die er früher immer mit seinem Vater aufgesucht hatte. Nach kleinen Umwegen fand er sie schließlich und sah sie eine Zeit lang an. Die Erinnerungen an alte Zeiten wurden wach und Matt überkam ein Gefühl von Trauer. Doch dieses wehrte nicht lange, denn er dachte sogleich wieder an das, was Lake berichtet hatte. Kurz gesagt handelte es davon, dass die Augen nicht die des Mörders waren, sondern die des Opfers; ja sie gehörten zu Mister Derriv! Dieser zeigte sich Lake, um ihm mitzuteilen, wer die Schuld an seinem Tod und an dem seiner Familie trug. Für Lake wurde daher später ein Bild von Onkle sichtbar. /So erklärt sich auch, warum die Augenfarbe egal war. Das hätte er mir doch schon eher sagen können!/, dachte Matt, war aber erleichtert, dass sie endlich den wahren Mörder gefunden haben. Nun mussten sie ihn nur noch dazu bringen, zu gestehen. Die Nacht lag Matt wach und dachte über Lakes Plan nach. /Wenn das so funktioniert, haben wir ihn endlich da, wo wir ihn haben wollen: im Gefängnis!/ Eigentlich wollte er nichts mehr mit Onkle zu tun haben, doch das ließ sich nicht vermeiden. Er war die Hauptperson in dem Plan, er musste sich Onkle noch einmal stellen. /Hoffentlich geht das auch gut!/ Mit der rechten Hand strich er sich durchs dunkle Haar. Besorgt war er schon, denn Onkle konnte schnell wütend und gewalttätig werden. Ein leichtes Kribbeln überkam ihn, doch zur Gänsehaut reichte es nicht, noch nicht. Mühsam fand Matt Schlaf. Am nächsten Morgen hatte er dringend mit seiner Mutter zu sprechen. "Ma, hast du mal kurz Zeit?", fragte Matt. "Aber nur 10 Minuten, ich muss gleich zur Arbeit." "Es geht um Folgendes:..", kurz und bündig erzählte Matt alles, was er und Lake herausgefunden haben und nun vorhatten. Marias Augen wurden immer größer und sie konnte nicht fassen, was sie hörte. "Wenn ich dich richtig verstehe, mein Sohn, dann soll ich dir helfen, unseren Nachbarn zum Geständnis zu zwingen. Und du glaubst tatsächlich, dass das klappt?" Matt nickte nur. Da Maria ihrem Sohn voll und ganz vertraute, stimmte sie kurzerhand zu. Ein Lächeln machte sich auf Matts Lippen breit und er gab ihr schnell einen Kuss auf die Wange. "Danke! Dann bis heute Abend." Hinter Maria schloss sich die Tür und Matt konnte dann auch getrost arbeiten gehen. Um 17 Uhr kam Matt nach Hause und traf noch die letzten Vorbereitungen, während er auf seine Mutter wartete. Er ging in das alte Büro seines Vaters, das dieser früher immer genutzt hatte, um seine Unterlagen und Papiere zu ordnen. Da Matt nicht genau wusste, wo sich das Diktiergerät befand, öffnete er sämtliche Schubläden und Schranktüren. Dabei fielen ihm ein paar Fotos in die Hände. Es waren Aufnahmen von diversen Geburtstagsfeiern, Weihnachtsfesten und andere Familienfotos. Als Matt sah, was sie eigentlich für eine kleine, liebevolle Familie gewesen waren, dachte er: /Wer das Leben einer ganzen Familie auf dem Gewissen hat, verdient nichts anderes mehr als heftigst bestraft zu werden!/ Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Sein Blick wurde ganz finster, die dunklen Augen schmale Schlitze. Er wollte nur noch die gerechte Strafe für diesen Mörder! Beinahe hätte er vergessen, warum er eigentlich in diesem Zimmer war. So nahm er die Suche nach dem Diktiergerät wieder auf. Er öffnete die unterste Schreibtischschublade und fand ein Gewühl von elektrischen Teilen und jede Menge Kabel vor. Vorsichtig grub er sich bis nach unten vor und entdeckte schließlich das, was er wollte. Matt nahm das Diktiergerät in die Hand und prüfte es auf Batterien. Wie er schon vermutet hatte, waren keine darin. Also ging er in sein Zimmer und holte welche. Das Gerät fest zwischen den Fingern haltend schaltete er es an und sprach ein paar Worte. Dann spulte er zurück und ließ das Band laufen. Jede Silbe war genau und deutlich zu hören. Zufrieden steckte er es sich in die Tasche seines Hemdes. Er hatte es sich extra angezogen, um ein ideales Versteck für das Diktiergerät zu haben. Normalerweise bevorzugte er einen Pullover, doch in diesem Falle konnte er eine Ausnahme machen. "...Matt!", vernahm er die freundliche Stimme seiner Mutter. "Ich komme!", erwiderte er und zog sich das passende Jackett über, um das Diktiergerät auch wirklich gut verbergen zu können. Das Outfit betonte seine gute Figur, es machte ihn noch attraktiver. Er beeilte sich und traf in der Küche auf Maria. "Bist du bereit?", fragte Matt. Zustimmend nickte sie, doch Besorgnis war deutlich in ihrem Gesicht erkennbar. "Ich werde schon vorsichtig sein,", versuchte Matt seine Mutter zu beschwichtigen, "wenn du genau das tust, was ich dir heute morgen gesagt habe, dann wird alles gutgehen." Doch auch Matt war nicht wirklich wohl in seiner Haut, wollte dies aber auf keinen Fall preisgeben. Schließlich war er doch der Mann im Haus und wollte mit gutem Beispiel voran gehen, wie es sein Vater immer getan hatte. Er schloss die Augen und atmete noch ein letztes Mal kräftig ein und aus. Danach öffnete er sie wieder und war bereit, den letzten Schritt zu wagen. "Also, wie verabredet, rufst du die Polizei und Lake, wenn ich in 20 Minuten nicht wieder hier bin. Nicht eher, verstanden?" Maria umarmte ihren Sohn und drückte ihn liebevoll. "Sei bitte vorsichtig!" Das versprach Matt ihr und sie ließ ihn gehen. Sie ihrerseits positionierte sich am Fenster in Matts Zimmer, von dem man die beste Sicht auf das gegenüberliegende Anwesen hatte. Den Hörer des Telefons fest umklammert kauerte sie in der Ecke und ließ den Blick nicht von dem Haus dieser Onkles. Matt schloss die Haustür hinter sich und nun stand nichts mehr zwischen ihm und Onkle. Seinen ganzen Mut zusammen nehmend überquerte er die Straße und befand sich letztendlich direkt vor Onkles Haus. Er drehte sich trotzdem noch einmal um und sah Marias Gesicht schwach durch die Fensterscheibe hindurch. Noch einen Atemzug frischer Luft gönnte sich Matt und betätigte die Klingel. Die Tür ging auf... ...und Matt sah in das Gesicht des Mannes, der ihm vor kurzem einen riesigen Schrecken eingejagt hatte. Es verzerrte sich sogleich zu einer grimmigen Grimasse, als es Matt erblickte. Dieser wollte Onkle den ganzen Schmerz heimzahlen, der ihm und den Derrivs zugefügt worden war. "Ich hätte Ihnen nicht zugetraut, dass Sie noch einmal hier erscheinen! Alle Achtung!", sagte Onkle gespielt hochachtungsvoll. Matt zögerte nicht und entgegnete in einer für ihn ungewohnten dominanten Stimme: "Ich bin nicht wegen mir hier, sondern im Namen der Derrivs!" Entschlossen sah er Onkle tief in die Augen. Sie spiegelten nur Zorn und Hass wider. Das unendlich tiefe Schwarz unterstützte dies. "Ich weiß genau, was Sie ihnen angetan haben! Sie haben sie auf dem Gewissen!" Matt war selbst über seine Courage erstaunt, die anscheinend bei Onkle anzukommen schien. Dieser schluckte und man konnte einen Schimmer von Furcht bemerken, die aber leider nicht lange wehrte. Matts Hände wurden feucht, kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. "Wovon reden Sie eigentlich?", erwiderte Onkle barsch. Matt hatte sich schon gedacht, dass Onkle den Unwissenden spielen würde, weshalb er über die Reaktion keineswegs überrascht war. "Tun Sie doch nicht so, als ob Sie die Unschuld in Person seien! Ich sage das nicht einfach so daher, sondern ich kann es sogar beweisen!" Onkle wich einen Schritt zurück, seine Augen wurden groß. "Sie flunkern doch nur! Geben Sie es schon zu!", ein überhebliches Siegeslächeln machte sich auf Onkles Lippen bemerkbar. Matt konnte sein unverschämtes, dämliches Grinsen nicht mehr ertragen. Wut stieg in ihm hoch. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. "Was bilden Sie sich eigentlich ein, Onkle!? Erst Menschen umbringen, dann nach 5 Jahren an den Tatort zurückkehren und den großen Macker spielen. Am liebsten unbemerkt und unauffällig? Oh, das hätten Sie gerne gehabt, oder? Aber genau aufgrund Ihrer Art und Weise mit Leuten umzugehen sind Sie aufgeflogen!" Durch eine rasche Bewegung von Onkle wurde Matt am Kragen gepackt. Unsanft wurde er ins Innere des Hauses gezogen. Alles ging so schnell vonstatten, dass Matt keine Chance hatte zu reagieren. Maria, die das Spektakel aus der Ferne beobachtet hatte, zögerte keinen Moment und rief die Polizei und kurz darauf Lake. /Sei stark, mein Sohn!/ Sie zitterte am ganzen Leib und bangte. Matt hatte Mühe zu atmen. Die langen, kräftigen Finger von Onkle wanden sich um seine Kehle und drückten sich so fest in sein Fleisch, dass Matt beinahe das Bewusstsein verlor. Er rang nach Luft, doch das verstärkte die Qual, den Schmerz. Die Umgebung war genauso finster wie Onkles Seele. Die bloßen Mauern waren zu sehen, keine Tapete, noch nicht einmal verputzt waren sie. Nur die blanken, kalten Steine. Kerzen und Fackeln hingen an den Wänden. Das schwache Leuchten, das von ihnen ausging, reichte gerade aus, um den groben Umriss des Raumes zu erkennen. Alles war kahl, nackt und furchterregend. "Ich...", krächzte Matt. "Ich kann nicht at...". "Sei still! Du hast mir schon genug Schwierigkeiten bereitet!" Der Griff um Matts Hals verstärkte sich noch ein wenig. Ihm wurde schwummrig, eine Leere machte sich in ihm breit. Von weitem vernahm er Onkles Stimme: "Ja, du hattest ganz recht. Ich habe die Derrivs umgebracht! Sie haben mein Leben zerstört...aber das wird nun keiner mehr erfahren können. Denn, wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nicht mehr imstande sein, deine Weisheiten im Lande zu verbreiten." Das Letzte, was Matt noch mitbekam, war ein grelles, schallendes Gelächter. Grün... Matt sah sich nach allen Seiten hin um. Mit einer Hand massierte er sich den Hals, die blauen Striemen schimmerten im hellen Licht, das durch die Zweige der Bäume fiel. /Wo bin ich?/, fragte er sich. Die Szenerie fing an sich zu verformen. Plötzlich stand er vor der Hütte, die er erst am Vortag aufgesucht hatte. Matt war sich sicher, dass es sich hierbei genau um dieselbe handelte. Der weiße Streifen, der sich über die ganze Breite der Wand erstreckte, ließ ihn zu dem Entschluss kommen. Matts Vater hatte ihn mit der restlichen Anstrichfarbe ihres Hauses vor vielen Jahren auf die Hütte gemalt. Matt konnte sich noch genau an die Worte seines Vaters erinnern: "Dieses Weiß versinnbildlicht unsere Stärke, aber auch unsere Schwäche, mein Junge. Mit uns Menschen verhält es sich ebenso wie mit dieser Farbe. Solange sie so rein und klar ist, strahlt sie Zuversicht und Vertrauen aus. Sobald sie aber verunreinigt ist, erweckt sie Unsicherheit, ja sogar Demut." Als kleiner Junge hatte Matt nicht verstanden, was er damit gemeint hatte. "Vertrauen", murmelte Matt. Nun hatte er begriffen. "Vater!", Matt blickte nach oben. Der Himmel war azurblau, keine einzige Wolke. /Tut mir Leid, dass mir nicht eher klar war, was du mir damit sagen wolltest./ Er legte die rechte Hand auf die linke Brusthälfte, schloss die Augen und schwor sich, immer stark zu bleiben, im Sinne von Vertrauen zu sich selbst und zu anderen, von Zuversicht auf eine gute Wendung, so wie es sein Vater ihn lehrte. /Ich werde mich nicht aufgeben, ich kämpfe bis es nicht mehr geht!/ Langsam öffnete er wieder seine Augen, doch alles war verschwommen. Das Bild fügte sich erst nach und nach zusammen. Als Matt alles klar vor sich sah, bemerkte er, dass er sich nicht mehr in der freien Natur befand, sondern auf einem kalten, harten Boden lag. Ihm war fürchterlich kalt, jeder Atemzug war mit einem grässlichen Schmerz verbunden. /Ich gebe nicht auf/ wiederholte er in Gedanken. Er drehte sich auf die Seite, stützte sich vorsichtig mit einer Hand auf dem Boden ab und versuchte langsam aufzustehen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung biss er die Zähne zusammen. Matt setzte einen Fuß auf den Boden auf, dann den anderen. Mit der freien Hand suchte er an der Wand Halt, umfasste krampfhaft einen vorstehenden Stein und zog sich hoch. /Mist, tut das weh!/. Als er endlich stand, dachte er, er fällt jeden Augenblick wieder um. Ihm war schwindlig, ihm wurde sogar schwarz vor Augen. /Matt, reiß dich zusammen!/ hielt er sich selbst wach. Plötzlich überkam ihn ein riesiger Schrecken. Er fasste sich an die Brusttasche, um zu erfühlen, ob das Diktiergerät noch da war. Nachdem er es erspürt hatte, fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. /Zum Glück, Onkle ist doch nicht so schlau. Er regelt lieber alles mit Gewalt./ Darüber konnte Matt trotzdem nur froh sein. In der Dunkelheit tastete er sich Schritt für Schritt voran. Er hatte zwar keine Ahnung, wo er sich genau in dem Haus befand. Es konnte sich sowohl um den Keller handeln als auch um irgendeinen anderen Trakt. Doch das interessierte ihn zu dem Zeitpunkt wenig, er wollte nur raus. Endlich wieder in Freiheit sein, und den frischen Herbstwind in seinem Gesicht spüren. Die Luft in diesem Raum war muffig, was Matt das Atmen zusätzlich erschwerte. Onkle hatte ihn fast erwürgt, doch Matt war zäh. Er war schon immer hart im Nehmen gewesen. Mit den Händen ertastete er die Wand, doch es war einfach keine Tür auszumachen. Er hatte keine andere Wahl als sich weiter abzumühen, um nach einem Ausgang zu suchen. Schließlich musste er ja auch irgendwie hier rein gekommen sein. Matt setzte mühsam einen Fuß vor den anderen, nahm die Mauer als Stütze. Nach einer Weile hatte er keine Kraft mehr und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er keuchte und ließ den Kopf auf die Brust sinken. /Ma, hast du denn keine Hilfe geholt?/, fragte er sich verzweifelt. Die Schmerzen schienen überhand zu nehmen, Matt konnte nicht mehr klar denken. "Ich...will...hier...raus!!", krächzte er. Mit einer Hand strich er sich über die Stirn, mit der anderen umklammerte er krampfhaft seine Brusttasche. Seine Finger umgriffen das Diktiergerät, /War denn alles umsonst?/. "Hab Vertrauen!", vernahm er eine seltsam angenehme Stimme. Diese kam Matt irgendwie bekannt vor. Er hob den Kopf, um zu sehen, welchen Ursprungs sie ist. Doch es war weit und breit niemand zu erblicken. /Na toll, jetzt werd' ich auch noch verrückt!/, "Matt, vertraue doch endlich!" Mit weit geöffneten Augen stand er da, er war ziemlich verwirrt. Genau das hatte er sich ja geschworen, zu vertrauen. /Aber.../, Matt konnte nicht mehr. Er war viel zu schwach. Er sank in die Knie. Vor seinem inneren Auge erschien ihm seine Familie, der kleine See, der nicht weit von seinem Zuhause entfernt lag und in dem er das Schwimmen gelernt hatte..sein ganzes Leben strich an ihm vorbei. Alle freudigen Ereignisse kamen ihm in den Sinn, und dann die Hütte im Wald, die ihn sogleich wieder an seinen Vater erinnern ließ...die weiße Farbe. Mühsam richtete er sich wieder auf. Da vernahm er Geräusche zu seiner rechten. Es waren dumpfe Schläge und dann ein schriller Ton. Matt schleppte sich weiter, mit den Fingern die Wand abtastend. Seine Finger strichen über die kalten Steine, grobe Unebenheiten waren zu spüren. Plötzlich stieß er auf eine weitere Wand. Der Raum schien hier zu enden. So kraftlos er auch war änderte er jetzt die Richtung und machte so weiter wie auf der anderen Seite. Seine Hand griff aber ins Leere. Matt sah angestrengt durch das Dunkel, konnte aber nichts erkennen. An der Stelle, wo keine Mauer war, streckte er einen Arm vorsichtig aus und stieß nach einer Armlänge auf Widerstand. Doch es waren keine harten Steine, sondern er fühlte eine glatte Oberfläche. /Endlich!/, er suchte die Türklinke. Sie war kalt, fühlte sich aber gut an. In Matt machte sich ein Gefühl von Zuversicht breit. /Ja, ich glaube fest daran, dass alle hier sind, um mir zu helfen./ Langsam drückte er die Klinke herunter, trat einen Schritt zurück und zog. Fahles Licht schimmerte durch den immer größer werdenden Spalt. Matt blinzelte, seine Augen mussten sich erst an die Helligkeit gewöhnen. Er trat über die Schwelle. "Matt!", Marias Ruf war die Erlösung für Matt. Sie kam sogleich zu ihm gerannt. Indessen hatte Matt schon das Diktiergerät aus der Tasche geholt, hielt es stolz vor sich in die Luft. "Matt, oh Matt.", sagte seine Mutter sanft und strich ihm über die Haare. "Hier ist ...alles.. drauf.", erwiderte Matt und sank bewusstlos in Marias Arme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)