Blind von Swaja (Lass mich durch deine Augen sehen) ================================================================================ Kapitel 5: Fragen ohne Antworten -------------------------------- Das Ende des Spieles war in Sichtweite. Finns Mannschaft lag mit nur noch einem Tor vorne. Die Elf um Tony hatte mächtig aufgeholt, aber es waren nur noch knapp eine Minute zu spielen. Er lockerte noch einmal seine Muskeln. Tony hatte eine letzte Auszeit beantragt und redete nun wie wild auf seine Mannschaftskameraden ein. Jetzt nickten sie alle und stoben wieder auseinander. " Okay, ein Tor noch, wenigstens! Das sind wir unserer AG schuldig.", rief Lukas und nahm den Ball, von Paul gespielt, mit der Brust an. " Pass vor an bis den Kasten und dann versenken wir die Pille.", feuerte Finn seine Jungs an und rannte los. Alle Stürmer und Mittelfeldspieler griffen nun das gegnerische Tor an. Sie passierten das Mittelfeld spielen, umgingen einfach die Abwehr, doch als Finn, mit einer wunderschönen Vorlage von Lukas, der Ball ins Tor befördern wollte, stutzte er. Matt war fort. Hatte er nicht mitgekriegt, dass die Auszeit vorbei war? Den kurzen Moment des Zögerns nutzten die Gegner sofort. Julian, ein Verteidiger der anderen Mannschaft, grätschte ihm den Ball weg. Herkan nahm an und schoss ihn weit zurück ins andere Feld. Erschrocken registrierte Finn, dass kaum noch jemand aus seiner Elf auf der Seite war, um das Tor zu schützen, ganz grober Anfängerfehler. Er knurrte und rannte los. Tony nahm den weiten Pass von Herkan an und dribbelte elegant um die paar restlichen Mannen des Gegners herum. Ihr Torhüter Steven machte sich schon auf einen Tony-üblichen linksdriftigen Schuß gefasst, als dieser plötzlich abspielte und Matt als einziger freier Spieler dem Ball entgegen lief. Matt? Finn rieb sich ungläubig die Augen. Die Gegner hatten eine vollkommen überraschende Taktik angewandt. Sie hatten den Torwart einfach zum Torjäger umfunktioniert und natürlich hatte Steven keine Ahnung, wie Matt schießen würde. Der Blonde nutzte den Drall des Balles und katapultierte ihn mit einer solchen Energie, dass das Leder, nachdem es den, sich verzweifelt auf den Ball zu stürzenden, Torwart passiert hatte, gerade so von dem Netz abgebremst wurde. Der Sportlehrer pfiff das Spiel ab und Tonys Mannschaft bildete ein riesiges, jubelndes Knäuel. " Hey, wegen einem Unentschieden brauchen die nicht gleich so einen Wirbel zu machen.", knurrte Lukas. " Hallo? Das sind die Luschen! Die dürften nicht mal mit nur einem Tor Rückstand verlieren.", brauste Paul auf. " Sie hatten aber auch ein paar gute Spieler.", versuchte Finn gedankenverloren zu schlichten, während seine Augen dem blonden Junge folgten, der sich die Torwarthandschuhe auszog und einmal durchs Haar wuschelte. " Bildet euch nur nicht so viel auf euch ein.", fuhr Lukas Tony rebellisch an. " Ha, die geniale Aufholjagd hat doch bewiesen, dass wir die besseren waren. Kaum jemand kann in der zweiten Hälfte auf ein Unentschieden aufholen. Und das nächste mal schlagen wir euch Dribbelkünstler. Dann wollen wir doch mal sehen, wie ihr euch mit eurer tollen Schulelf profiliert."" Hättet ihr Matt nicht gehabt, wärt ihr baden gegangen.". " Na, und? Wir hatten ihn aber und das kotzt dich an. Nänänänä!". Die Argumente flogen hin und her wie der Ball bei einem Tischtennisspiel. Finn stopfte seine Schuhe achtlos in den Turnbeutel und drehte sich zu seinem Kumpel um, der schon fertig war und auf ihn wartete. " Kann losgehen.", sagte er und die beiden Jungen wollten den Umkleideraum verlassen. Als sie an den zwei Streithähnen vorbei kamen, schnappte Tony sich mit einem mal Matt und knuddelte ihn. " Du warst toll, Süßer. Das nächste Mal knacken wir sie!". Sanft, aber bestimmt schob der Blonde das Klammeräffchen von sich. " ja, Tony. Das nächste Mal.". Mit einem letzten Klaps auf den Hintern verabschiedete sich Tony und endlich konnten Matt und Finn ohne weitere Vorkommnisse die Kabine verlassen. " Okay, und jetzt erklär mir mal bitte, wie es sein kann, dass du im Unterricht nie mitmachst, aber bei den Prüfungen los legst, wie ein Teufel?". Sie überquerten den Hof. Matt rieb sich die Augen und seufzte tief. " keine Ahnung. Ich will keine schlechten Noten und darf deshalb bei den Prüfungen mitmachen. Wie du weißt bin ich sonst dauerhaft sportbefreit." " Wegen was?". Matts Kopf wirbelte herum. " Asthma.". " Nach dem Spiel müsstest du keuchend am Boden liegen mit Asthma. Versuch nicht mich anzulügen. meine Tante ist Asthmatikerin.". Sie verliessen das Schulgelände und vor ihnen kam ein roter Toyota quietschend zum stehen. " Ach, glaub doch was du willst!", herrschte Matt ihn nervös an und stieg mit einem " Bis morgen" auf der Beifahrerseite ein. Finn nickte Herrn Keller grüßend zu und sah stumm den Rücklichtern des Wagens nach. Sonst holte der vielbeschäftigte TV-Redakteur seinen Sohn doch nie ab. Und matt hatte heute auch irgendwie gereizt gewirkt. Ob irgend etwas im Busch war? Antworten auf seine Fragen bekam er ebenfalls nicht. " Es ist zum aus der Haut fahren!". schimpfte der Braunhaarige genervt vor sich hin. " Finn-schätzchen!". Als er drei, nicht ganz unbekannte Mädchen am Schultor stehen sah, sank seine Laune augenblicklich ganz in den Keller. Wie konnte er nur vergessen, dass seine reizenden Schwestern ihn ausgerechnet heute zu einer ihrer ausgedehnten, niemals enden wollenden Shoppingtouren mitschleifen wollten. Das hatte er nun von ihrer " Wir haben keinen Freund, dann nehmen wir eben unseren wehrlosen Bruder mit"-Phase. Mit einem tiefen, ergebenen Seufzen lieferte er sich der höheren Macht, auch " Schwestern" genannt, aus. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, die Gitarre im Anschlag, saß der blonde Junge auf seinem Bett und spielte leise die letzten Akkorde des Zwischenspiels, bevor er Tempo und Lautstärke steigerte, den Rhythmus vom Schlagzeug immer im Ohr habend, und sang: " Gib es zu, gib es zu, gib es zu, babe. Du brauchst mein Gebet.". Er stellte sich vor, wie Nishi und Mano den Background sangen. " Gib es zu! Du brauchst einen, der zu dir fleht.". Sanft liess er das eigentlich sehr kraftvolle Lied ausklingen. Wenn ihm jemand zugehört hätte, würde er sagen, dass Matts Stimme auf eine seltsame Art und Weise verzweifelt klang. Vergebens versuchte sich der Blonde einzureden, dass es so sein musste, schließlich passte dies zur Kernaussage des Songs, doch innerlich wusste er nur zu gut, dass es einen ganz anderen Grund für die Verzweiflung in seiner Stimme gab. Suchend tastete er sich durch die Fächer seines Ranzens und zog endlich Walkman, sein liebstes Stück, neben Musikanlage und Gitarre, hervor. Die anderen Kinder aus seiner Klasse belächelten ihn zwar wegen diesem " Oldie", wie er ihn liebevoll nannte, doch mehr konnte sich der Blonde nicht leisten. Er spulte die Kassette zurück und lauschte. Es war ein Song, den Toshi ihm gegeben hatte. Wegen dem Konzert am Ende des Jahres. Leise sang er den Text mit, um ihn leichter zu übersetzen: " No one knows, what it`s like, to be the bad man. To be the sad man. Behind blue eyes.". Er stockte. Hinter blauen Augen? Trauriger Mann? "To telling only lies. But my dreams they aren´t as empty...". Erzählte er nicht auch nur Lügen? Doch er hatte ebenfalls Träume, die keinesfalls leer waren. Er merkte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Die Kopfhörer wurden herunter gerissen, der Walkman landete unsanft in der Ecke. Matt rappelte sich vom Bett hoch, versuchte seinen rasenden Puls und Atem zu beruhigen. Dieses Lied traf ihn hart, da beschrieb jemand haarklein seine Situation und dieser jemand war nicht mal er selbst. Er lehnte den Kopf an die Wand und atmete tief durch. Depressive Gedanken schossen durch seinen Kopf, versuchten seine Aufmerksamkeit zu erlangen, doch er drängte sie gewaltsam davon. " Alles wird gut. Halt durch. Du schaffst das.", wiederholte er immer wieder in einer seichten Melodie und liess sich erschöpft an der Wand herunter sinken. Nur noch vier Monate. 16 Wochen. 112 Tage. Verdammt! Sein Kopf senkte sich auf die angewinkelten Knie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)