Zerbrochene Seelen von abgemeldet
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Kapitel 23: Krankenflügel 1
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"...keine Ahnung...", wie durch Watte drangen kleine Wortfetzen in sein
Bewusstsein. " ...sehr knapp... sehr kritisch..." Wer redete da nur und warum
konnte er nicht einfach schweigen? Er wollte doch einfach nur seine Ruhe, er
wollte über die seltsamen Traumbilder nachdenken, die ihn wie eine Welle
überschwappt hatte, die ihm vertraut waren, von denen er aber wusste, dass er
sie in seinem Leben nicht erlebt hatte. Vorsichtig öffnete Harry die Augen.
Wurde von dem grellen Neonlicht geblendet und schloss seine Augen sofort wieder.
Wo war er nur? Eben war er doch noch draußen auf dem Astronomieturm gewesen und
jetzt lag er in einem Raum mit greller Neonbeleuchtung. Seine Gedanken fuhren
Karussell, wirbelten durcheinander und schufen eine neue völlig bizarre
Variante seiner Erinnerungen. Wirklichkeit mischte sich mit dem, was Voldemort
ihm nach dem Gedächtnislöschtrank eingepflanzt hatte.
Er jätete Unkraut im Garten, während die Dursleys ihn mit immer wüster
werdenden Beschimpfungen attackierten. Neben ihm kniete Draco, dessen Körper
von roten Striemen übersät war und wurde von Grabbe und Goyle malträtiert,
während Voldemort lachend etwas Abseits stand und die beiden beobachtete. Die
gesamte Szene wurde von der heißen, grellen Sonne in gleißendes Licht
getaucht. Dann tauchte Harry wieder in die Dunkelheit ab.
Als er einige Stunden später mit einer gehörigen Portion Überwindung wieder
die Augen aufmachte, war das grelle Licht einem sanften leuchten gewichen, das
von zwei Fackeln links und rechts über seinem Bett ausging. Mit einemmal waren
auch die Erinnerungen an den Abend wieder in ihrer realistischen Form da,
trotzdem ging es ihm dadurch nicht besser, die bizarren Bilder wurden lediglich
durch eine ganze Reihe von Fragen abgelöst. Vor allem eine Frage war es jedoch,
die ihn quälte. Warum hatte Draco ihn daran gehindert zu springen und was
bedeuteten die Bilder, die er gesehen hatte, als Draco ihn küsste? Hatten sie
überhaupt eine Bedeutung? Oder war er da schon zu sehr in der drohenden
Bewusstlosigkeit eingedrungen? Vorsichtig und darauf bedacht, keine heftigen
Bewegungen zu machen drehte er ganz leicht seinen Kopf. In dem Bett neben seinem
konnte er ganz deutlich das weißblonde Haar seines Schutzengels erkennen.
Er wollte etwas sagen, doch seine Zunge schien wie mit Sekundenkleber an seinem
Gaumen festgeklebt zu sein. Sein Mund und sein Hals waren völlig ausgetrocknet
und so brachte er nur ein leises Krächzen hervor, gerade in dem Moment, da am
anderen Ende des Raums die Tür aufgestoßen wurde. Wie ertappt drehte Harry den
Kopf ruchartig in diese Richtung und bereute es im nächsten Moment, weil eine
Welle von Schmerz seinen Kopf durchrollte. Harry atmete dagegen an und ließ den
Schmerz langsam in seinem Kopf verebben, nur damit eine schrille Frauen Stimme
sie gleich wieder kehren ließ. Harry erkannte sie sofort. Bisher war er in
jedem Schuljahr mindestens einmal bei ihr in Behandlung gewesen: Mme. Pomfrey.
"Mr. Potter, erklären sie mir mal, was das zu bedeuten hat? Was ihnen einfällt
uns solche Sorgen zu machen? Vor einer Woche hat man sie zusammen mit Mr. Malfoy
auf dem Astronomieturm gefunden, beide total durchnässt und bewusstlos. Sie
haben uns ganz schön in Schrecken versetzt. Und das, obwohl das Schuljahr noch
nicht einmal rictig begonnen hat." Die Worte hallten in seinem Kopf nach und
verursachten ein erneutes Durcheinander in den mühsam geordneten Erinnerungen.
"Eine Woche?", murmelte Harry. Er sah, wie sie energisch mit dem Kopf nickte.
"Wie dem auch sei, ich werde jetzt Professor Dumbeldore über ihr Beider
Erwachen informieren!" Mit diesen Worten war die aus dem Zimmer gewuselt. Harry
sah erneut zu dem Bett neben sich und sah in Dracos blaue Augen. Hinter Mme.
Pomfrey fiel die Tür ins Schloss und dann herrschte wieder die Angenehme
Stille. Harry konnte seinen Blick nicht von Draco lösen, in dessen Augen er
fast wie in einem tiefen See unterzugehen drohte. "Wie geht es dir...?" Harrys
Stimme war voller Besorgnis und Schuldgefühle. Draco war an dem Abend wegen ihm
auf den Astronomieturm gestiegen. Draco brauchte etwas, bevor er die richtige
Antwort gefunden hatte: "Den Umständen entsprechend..." Dracos Antwort war
vage, doch Harry genügte sie. Für einige Sekunden herrschte wieder die Stille
in dem großen Raum, diesmal war sie jedoch nicht wohltuend, sondern eher ein
peinliches Schweigen. Keiner der Beiden wusste, was er sagen sollte. Draco war
es schließlich, der als Erster den Mut fasste etwas zu sagen. "Und dir?" Harry
zögerte. Eigentlich ging es ihm gut, doch er war reichlich verwirrt. Die
Erinnerungen und Bilder, die während seiner Bewusstlosigkeit auf ihn
eingeströmt waren machten es unmöglich einen wirklich klaren Gedanken zu
fassen. Hatte Draco wohl auch solche Bilder gesehen? Oder waren sie aus Harrys
tiefsten Abgründen und Wünschen entsprungen? Er schüttelte leicht den Kopf,
um die Gedanken zu vertreiben und sagte dann ganz leise: "Gut, denke ich!"
Dann herrschte wieder Stille, die erst von Professor Dumbeldore unterbrochen
wurde, als dieser fast eine Stunde später den Krankenflügel, gefolgt von Mme.
Pomfrey betrat. Harry spürte den sorgenvollen und ernsten Blick des alten
Mannes auf sich, als dieser sich auf einen Stuhl zwischen Draco und Harry
setzte. "Also Harry? Möchtest du mir vielleicht erzählen, was da oben auf dem
Astronomieturm passiert ist?" Dumbeldores Stimme war genauso missbilligend, wie
besorgt. Dumbeldore war sauer über sein Verhalten. Harry verstand das. Er
wusste ja selbst nicht, was mit ihm los war, er kannte sich selbst nicht mehr.
Er schluckte. Was sollte er Dumbeldore erzählen? Die Wahrheit? Sicher nicht!
Er kannte sie ja selbst nicht wirklich, wie könnte er sie dann einem anderen
erzählen? Irgendetwas erfundenes? Nein. Dass ging auch nicht, Dumbeldore würde
es sofort merken. Harry entschied sich also für den einfachsten Ausweg, er
würde gar nichts sagen. "Ich will niemandem irgendetwas erzählen, ich möchte
einfach nur in Ruhe gelassen werden...!" Harrys Stimme war ungewohnt kalt und
ließ Dumbeldore unwillkürlich zusammenzucken. Für einige Sekunden verschwand
Dumbeldores Lächeln aus dem Gesicht, kehrte jedoch schnell wieder zurück.
"Gut... kein Problem!" Dann wendete er sich Draco zu. "Dann wollen sie mir doch
bestimmt ertwas erzählen Mr. Malfoy, oder?" Harry wurde richtig wütend. Nie
zuvor war ihm aufgefallen, wie manipulativ Dumbeldore war. Wenn er aus ihm
nichts herausbekam, wendete er sich Draco zu? Was sollte das? Glaubte er
wirklich, ausgerechnet Draco würde ihm auf die Nase binden, was auf dem Turm
vorgefallen war, wenn nicht einmal er, der ihm bisher immer grenzenlos
vertraute, etwas sagte? Allein die Vorstellung war schon lächerlich und Dracos
trotzig vorgeschobene Unterlippe und die zusammengekniffenen blauen Augen
bestätigten Harrys Gedanken.
Harry merkte, dass Dumbeldore wütend wurde, doch es war ihm egal, genauso wie
es ihm egal war, dass Dumbeldore maßlos von ihm enttäuscht war. Dumbeldore
musterte die Beiden mit seinem durchdringenden Blick. "Und?" Keiner der Beiden
reagierte. Dumbeldore seufzte. "Gut, dann werde ich sie jetzt wieder alleine
lassen. Sie Beide brauchen noch viel Ruhe. Mme. Pomfrey wird sich um sie
kümmern." Harry konnte die Enttäuschung in Dumbeldores Stimme ganz deutlich
hören, als er den Raum verließ.
Mme Pomfrey wuselte aufgeregt durch die Gegend, nahm die Temperatur der Beiden
und schaute Harry besorgt an. "Ich würde sie ja gerne gehen lassen, Mr. Potter,
ihre Freunde vermissen sie sicher, auch wenn sie nicht einmal hier waren,
während sie Bewusstlos waren, doch ich denke es ist besser, wenn sie noch zur
Beobachtung hier bleiben würden." Sie schüttelte den Kopf und verschwand dann
im Nebenraum.
Draco war bereits wieder eingeschlafen, doch Harry quälten nun noch mehr
Gedanken. Er starrte mit leeren Blick an die Decke und rührte sich nicht. Seine
Freunde waren nicht einmal in dieser Woche da gewesen. So egal war er ihnen
inzwischen. Sonst hatte Mme. Pomfrey immer ihre liebe Mühe gehabt zumindest
Hermine und Ron davon abzuhalten gleich zu ihm in den Krankenflügel zu ziehen,
wenn er sich von irgendeinem seiner Unfälle erholte. Die Information mischte
sich unter die sowieso schon verwirrten Gedanken und Bilder in Harrys Kopf. Dort
nahmen sie gleich neue Ausmaße an. Harry lachte leise in sich hinein, es
war kein fröhliches Lachen, sondern ein hysterisches Lachen. Was war mit ihm
passiert? Warum wendeten seine Freunde von ihm ab? Warum ließen sie ihn einfach
hängen? Ausgerechnet jetzt, da seine Gefühle Achterbahn fuhren und seine
Erinnerungen sich ihnen anzuschließen schienen. Wie gerne hätte er sich Rat
bei Hermine geholt, die sein Problem mit ihren analytischen Fähigkeiten
bestimmt schon längst beseitigt hätte. Und wie gern hätte er einen von Rons
aufmunternden Sprüche hören wollen, doch sein Freund hatten sich entschieden
ihn im Stich zu lassen.
Harry schluckte. Von nun an war er Einzelkämpfer. Er würde seinen sogenannten
Freunden schon zeigen, dass er auch ohne sie zurecht kam.
Nach einiger Zeit hüllte Harry erneut die Dunkelheit ein und auch die wirren
Bilder von ihm und Draco ließen nicht lange auf sich warten...
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