Merlin von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Merlin ~~+**+~~ Ich habe mir die Einsamkeit selbst ausgesucht. Ich habe es schon immer bevorzugt, allein zu sein. Wenn man alleine ist, dann muss man keine Maske tragen, man muss sich nicht verstellen. In meiner Welt, in einer dauernden Maskerade, einem glamourösen Kostümfest mit mir als Gastgeber, ist meine einzige Zuflucht die Einsamkeit, meine eigenen vier Wände. Hier kommt niemand hin, hier kann ich tun was ich will. Dinge, die man sonst niemals mit mir in Verbindung bringen würde, die aber eigentlich alle ein Teil von mir sind. Ein Teil den nur wenige kennen, den ich nur zeige wenn ich allein bin. So wie jetzt. Ich sitze hier in meinem Apartment, starre einfach nur auf das Foto. Normalerweise verstecke ich es, es liegt immer in der Schublade meines Nachttisches. Ich glaube nicht, dass sie wissen, dass ich es noch habe... es ist damals entstanden als wir zusammen nach einem unserer ersten Gigs hier zu mir gekommen sind. Wir haben etwas getrunken und gefeiert, haben uns bejubelt als wären wir die größten Stars der Musikgeschichte. Und das waren wir auch, für mich waren wir das damals noch. Wir haben damals noch alle davon geträumt, haben versucht unsere Visionen zu verwirklichen. Und jetzt.... Jetzt ist der Traum Alltag geworden. Vollkommen normal... selbstverständlich. Wir realisieren es noch nicht einmal mehr... Wir haben aufgehört zu träumen weil wir im Überfluss leben, weil wir an unserem erfüllten Leben zu ersticken drohen. Ironie des Schicksals... Wenn man seinen Traum erreicht hat, hört man auf weiter zu träumen. Nein, das stimmt nicht ganz... wir haben nicht alle damit aufgehört. Er könnte niemals aufhören zu träumen. Er ist als Träumer geboren und er wird für immer einer bleiben, ein einsamer Kämpfer der sich die harte und traurige Realität einfach so bunt malt wie er sie gern hätte. Er hat diese Gabe, wir alle profitieren davon. Wir alle brauchen seine Träume. Wir sind aus seinen Träumen entstanden... er hat uns zu dem gemacht was wir sind, auch wenn dies längst in Vergessenheit geraten sein mag. Er hat uns immer weiter getrieben, auch wenn wir es oft nicht einmal gemerkt haben. Wir ergänzen uns: er der Idealist, ich der Realist. Er zwingt mich zu träumen, seine Träume zu verfolgen, und ich zwinge ihn dazu genug Mut zu haben sie zu verwirklichen, auch wirklich daran zu glauben. Gedanken werden nicht nur durch das Denken zu Taten. Mein kleiner Träumer... Es ist schon seltsam, immer wenn ich von ihm spreche oder an ihn denke betone ich, dass er mir gehört. Tut er eigentlich nicht, er gehört sich selbst, natürlich. Trotzdem... ich habe immer das Gefühl als wäre er mein Eigentum. Mag sein, dass es daran liegt wie selbstverständlich er sich verschenkt, oder es liegt daran, dass ich so ein besitzergreifender Bastard bin. Wahrscheinlich ist es beides... wieder eine Sache, in der wir uns ergänzen. Er verschenkt sich und ich nehme das Geschenk gierig an, lasse kaum etwas für andere übrig. Manchmal habe ich Angst ihn auszusaugen, ihn und seine Träume aufzufressen. Manchmal habe ich das Gefühl als halte ich ihn gefangen, als würde ich ihn unterdrücken und ausnutzen... So muss es auch auf alle anderen wirken. Als hätte ich ihn unter Kontrolle. Dabei ist es doch eigentlich umgekehrt... er hat mich in der Hand, und das Schlimme ist, er weiß es nicht einmal. Er sieht es nicht, er versteht es nicht. Ich glaube, selbst wenn ich es ihm erklären würde, dann würde er nur lachen und mich für schwachsinnig erklären. Das tut er immer, wenn er etwas nicht wahrhaben will... Seltsam, dass gerade die Menschen, die uns nicht kennen manchmal mit ihrer Einschätzung gar nicht so falsch liegen. Wie dieser Reporter damals. Er sagte, wir wären wie König Arthur und Merlin. Bemerkenswert, er meinte mich mit König Arthur. Und es stimmt! Ich bin der egoistische König, der allein keinen Schritt schaffen würde, und er ist der wissende Magier, der mich unbemerkt lenkt, leitet und immer unterstützt, egal was ich tue. Er ist immer da, und mit seiner unerschöpflichen Magie zaubert er meine graue Welt bunt und lebendig. Es ist zum lachen... wenn ich mich jetzt in meiner Wohnung umsehe dann wird mir erst bewusst wie wahr diese Worte sind. Hier ist alles so farblos... der graue Teppich, die weißen Ledersofas, der Glastisch... keine Blume, kein Farbtupfen. Doch, etwas farbiges gibt es hier. Das Foto... Das kleine Bild in meinen Händen, es scheint den Raum zu erhellen. Und es bringt mich zum lächeln. Mein Gott, eigentlich müsste es mich schallend zum lachen bringen, so wie wir damals noch alle aussahen... wussten nicht was oder wer wir werden wollten, versuchten nur anders zu sein. Sogar er... trotzdem war er der einzige der sich dafür nicht verstellte. Vielleicht können nur die Leute wirklich wahrhaftig träumen, die sich selbst für andere nicht verstellen... Nein, jetzt tue ich ihm unrecht. Auch er trägt manchmal Masken. Seine Maske ist ein unschuldiges Lächeln. Ich weiß dass, das nicht gut ist, aber ich falle gerne darauf hinein. Ich lasse mich gern in diese Welt entführen, in der er immer lächelt, indem es nichts gibt was seine unschuldige Ausstrahlung beschmutzen könnte. Die Welt, in der er ein absolut reines Wesen ist. Vielleicht hoffe ich, dass ich etwas von diesem Glanz und dieser Unschuld abbekomme, wenn ich in seiner Nähe bin... Wieder sauge ich ihn aus. Dabei ist er nicht so, auch in seiner Welt gibt es Schatten. Die kann nur niemand sehen... Ich weiß nicht wie lange es her ist, dass er zum letzten mal zu mir kam um mir zu erzählen, wenn es ihm schlecht ging. Es ist so verdammt lange her... Damals war ich geschockt, erschrocken dass hinter einem sorglosen Lächeln so viel versteckter Schmerz sein kann. Und ich war mit der Situation vollkommen überfordert. Ich konnte ihm damals nicht helfen weil ich nicht damit klar kam, dass es in seiner Welt, die er für uns alle erträumte, auch Schmerz und Trauer gab. In meiner Welt war das normal, aber in seiner? Das konnte unmöglich sein! Er ist nicht dumm, er hat es gemerkt. Ich weiß, dass er mir keinen Vorwurf macht, aber er kommt nicht mehr zu mir. Wenn es mir schlecht geht ist er da, noch bevor ich zum Telefon greife höre ich wie er die Treppe hinaufkommt. Aber wenn er jemanden braucht... Zu wem er wohl geht... Auf dem Foto lachen wir alle. Nein, ich nicht, ich lache auf Bildern nicht. Jedenfalls nicht wenn ich weiß, dass ich fotografiert werde. So wie hier, wir sitzen alle da, auf dem alten Sofa. Das Bild ist leicht schief, von ihm ist nur der Kopf bis zu den Schultern drauf, der erste Versuch mit dem Selbstauslöser. Aber sein Gesicht ist klar zu sehen, und somit ist das Bild für mich von ungeheuer großer Bedeutung. Sein Lachen ist drauf... ich kann es mir ansehen wann immer ich will. Immer wenn meine Welt zu grau ist, dann schaue ich mir einfach das Bild an. Seit ein paar Tagen funktioniert es allerdings nicht mehr. Ich finde nicht mehr in die Traumwelt zurück, egal wie lange ich mir dieses Bild ansehe. Ein wichtiger Aspekt fehlt, letzte Woche ist er zerbrochen. Schon bemerkenswert, ich wusste nicht dass dieser Teil fest zu meiner Traumwelt gehört. Es war so selbstverständlich... Und dann ist es zerbrochen, ein wichtiges Stück. Wenn nicht sogar das wichtigste überhaupt... In dem Moment in dem ich meinen Träumer in den Armen von jemand anderen gesehen habe, in dem Moment in dem ich diese leisen Worte gehört habe, die von seinen Lippen kamen. In dieser Sekunde ist alles zerbrochen. Die Farben sind weg, das Leben ist mechanisch geworden. Ich hätte früher verstehen sollen, dass ein winziger, aber existenziell wichtiger Teil dieser Traumwelt für mich unersetzbar ist. Ich hätte früher verstehen müssen, wie wichtig er wirklich für mich ist... Er hört nicht auf für mich zu träumen, er wird mich niemals im Stich lassen, ich werde mich immer auf ihn verlassen können. Ich glaube, er würde ihn verlassen wenn ich ihn darum bäte. Aber damit würde ich ihn Stück für Stück umbringen, den Träumer. Dann würde nur noch ein normaler Mensch übrig bleiben, und das will ich nicht. Ich will ihn, mit all seinen wunderbaren Gedanken und Träumen... Auch wenn ich ihn nur noch aus der Ferne beobachten kann. Er hat wieder einen Traum für sich erfüllt, nur dieses Mal bin ich kein Teil davon. Das gute an Träumern ist, man weiß nie was sie als nächstes träumen. Vielleicht bin ich irgendwann ja so ein Traum von ihm... etwas, das seine Welt bunt und lebendig macht. Vielleicht bin ich irgendwann sein Halt, sein Merlin. Ohne es zu merken habe ich selbst begonnen zu träumen. Nicht bunt und phantastisch, nicht mutig und surreal. Es ist einfach nur ein Traum. Und ich werde gut darauf aufpassen, denn seine Träume sollten jetzt jemand anderem gehören. Ich schenke ihm meinen Teil seiner Träume gern, aufrichtig gern. Und ich wünsche ihnen alles Glück der Welt. Das Foto werde ich auf den kleinen Schrank im Wohnzimmer stellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)