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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

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Kleider machen Leute...oder so ähnlich

Carina gab es nicht gerne zu, aber sie war ein Morgenmuffel. Eigentlich konnte sie diese Tatsache immer relativ gut überspielen, aber wenn sie – wie momentan – ohnehin schon nicht gut schlief, dann sollte man sie wenigstens früh am Morgen in Ruhe lassen. Jedenfalls die erste halbe Stunde. Cedric hatte das im Laufe ihres gemeinsamen Zusammenlebens relativ schnell bemerkt und konnte mittlerweile innerhalb weniger Sekunden nach ihrem Aufwachen abschätzen, ob sie einen guten oder eben einen schlechten Morgen erwischt hatte. Falls letzteres der Fall war, dann hielt er sich vorbehaltlich zurück und wartete darauf, dass sie von selbst das Gespräch suchte. So war es auch am heutigen Morgen.
 

Die 19-Jährige hatte ewig gebraucht um einzuschlafen und war dementsprechend noch müde, von ihrer schlechten Laune ganz zu schweigen. Gerade saßen sie beide am Frühstückstisch und Carina genoss schweigend eine große Tasse schwarzen Tee, die der Bestatter ihr wortlos hingestellt hatte. Das koffeinhaltige Getränk sorgte dafür, dass ihre Lebensgeister langsam erwachten und vielleicht hätte es von da an sogar noch ein guter Tag werden können.
 

Wenn nicht im nächsten Moment Elizabeth Midford in die Küche geplatzt wäre.
 

Ohne jegliche Vorankündigung und mit einem glockenhellen „Guten Morgen“ auf den Lippen.
 

Cedric ließ beinahe die Keksurne fallen und Carina erschrak so heftig, dass sie sich die Hälfte ihres Tees über die Hand schüttete. „Verflucht“, zischte sie und griff sogleich nach einem kühlen Tuch, um die verbrühte Haut zu beruhigen. Sie konnte dem Silberhaarigen ansehen, dass er sich ein Lachen verkneifen musste und das trug nicht gerade dazu bei, dass sie bessere Laune bekam.
 

„Na, wenn das nicht die kleine Verlobte des Earls ist“, grinste der Todesgott und schob sich auf seine provokante Art und Weise einen weiteren Keks in den Mund. „Was verschafft uns denn die Ehre und das so früh am Morgen?“ Jeder Außenstehende hätte es nicht bemerkt, da seine Augen momentan von den langen, silbernen Strähnen verdeckt wurden, aber Carina spürte sofort, wie die gelbgrünen Pupillen über Elizabeths Erscheinungsbild huschten. Und sie wusste auch wieso.
 

Das war das erste Mal, dass er das Mädchen sah, nachdem er von ihrer Verbindung zu Carina erfahren hatte. Natürlich suchte er jetzt nach körperlichen Ähnlichkeiten. Es war eine Art Reflex, dem Carina ebenfalls schon nachgegeben hatte. Wirklich ähnlich sahen sie sich auf den ersten Blick nicht. Aber wenn man genauer hinsah, nach bestimmten Auffälligkeiten suchte, dann konnte man gewisse Gemeinsamkeiten erkennen.
 

Die Struktur und Dichte ihrer Haare.

Die Länge ihrer Finger.

Die kleinen Lachfalten, die sich um die Augen herum bildeten.

Die geschwungene Form ihrer Oberlippen.
 

Über die Jahrzehnte waren die Ähnlichkeiten mit jeder Generation weniger geworden, aber sie waren immer noch da, wenn auch leicht verwischt.
 

„Na, wegen Ciels Einladung natürlich. Ihr habt sie doch auch schon bekommen, oder nicht?“, fragte sie, zum Ende hin verwundert klingend und Carina spürte, wie sich ihre Laune leicht besserte, als sie sah wie selbstverständlich natürlich Elizabeth mit ihr und Cedric sprach. Als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen. Als hätte sie nicht erst vor kurzem erfahren, dass der seltsame Bestatter und Bekannter ihres Verlobten gar kein Mensch war.
 

„Ja, haben wir. Gestern. Warum?“, fragte Carina misstrauisch und dieses Gefühl verstärkte sich nur, als ihre Vorfahrin begeistert in die Hände klatschte. „Na, warum wohl? Wir müssen shoppen gehen.“ Cedrics Augenbrauen schossen gegen seinen Willen in die Höhe. Er wandte den Kopf seiner Partnerin zu und zum zweiten Mal am heutigen Tag musste er sich das Lachen verkneifen. Hieß es nicht eigentlich immer, dass Begeisterung ansteckend sein konnte? Nun… In diesem Fall konnte davon jedenfalls keine Rede sein. Carina sah aus, als stünde ihr ihre persönliche Hölle bevor.
 

Die Todesgöttin hatte große Mühe, nicht laut aufzustöhnen. „Muss das sein?“, fragte sie schließlich, obwohl es in ihren eigenen Ohren eher wie ein Flehen klang. „Natürlich. Aus meinem letzten Kleid bin ich rausgewachsen, ich brauche also auf jeden Fall ein neues. Und du möchtest doch bestimmt nicht einfach eines deiner alten Ballkleider tragen, Carina?“ „Unter der Berücksichtigung, dass sie ihr altes Ballkleid zerrissen hat, glaube ich das kaum“, amüsierte sich der Bestatter ganz königlich und kicherte mehrere Male hintereinander. Elizabeth runzelte irritiert die Stirn, während Carina die Augen verdrehte. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dich diese Tatsache damals großartig gestört hat“, murmelte sie und beobachtete den Silberhaarigen ganz genau, während er ihr ein breites Grinsen schenkte. „Ich habe damals doch gesagt, dass es schade um das schöne Kleid ist.“ „Ja, aber ich kann mich auch noch ziemlich genau daran erinnern, was du danach getan hast und dabei hat dich das kaputte Kleid ganz gewiss nicht gestört“, gab sie zum Besten, woraufhin Elizabeth stark errötete und Cedric mit den Schultern zuckte, gleichzeitig die Arme hob und mit seinen Händen eine Bewegung machte, die wohl so viel heißen sollte wie „Erwischt, du hast gewonnen.“
 

Elizabeth räusperte sich verlegen. „Also, gehen wir zusammen einkaufen? Bitte, zu zweit macht so was einfach viel mehr Spaß. Außerdem hat Ciel gesagt, dass er sämtliche Kosten begleichen wird, die wir haben werden.“ Sie schaute sie mit ihren großen, bittenden Kinderaugen an und plötzlich konnte Carina einfach nicht mehr Nein sagen. Sie seufzte. „Das werde ich noch schwer bereuen“, murmelte sie kaum hörbar und nickte dann einmal. „Na schön, wenn es denn unbedingt sein muss.“
 

Elizabeths Gesicht begann zu strahlen und sie schaute Carina an, als ob diese gerade verkündet hätte, Weihnachten und Ostern würden dieses Jahr zur gleichen Zeit stattfinden. „Großartig“, rief sie enthusiastisch und klatschte einmal in die Hände. „Dann treffen wir uns in zwei Stunden vor dem Hopkins' Tailor Shop. Ich freu mich schon.“ Ohne Carina die wirkliche Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, stürmte das junge Energiebündel sogleich wieder zur Tür hinaus und hinterließ zwei verdatternd blinzelnde Todesgötter. Cedric erholte sich schneller von dem „Überfall“ und warf der Mutter seines Kindes einen Blick zu, gepaart mit einem breiten Grinsen. „Die Kleine hat dich komplett um ihren kleinen Finger gewickelt.“ „Haha“, murmelte Carina. „Ich meine es ernst. Du hattest absolut keine Lust darauf und ich weiß, wie sehr du shoppen hasst. Dann? Ein Blick von ihr und du bist eingeknickt wie ein kaputter Baum bei einem Unwetter.“ Carina spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. „Tze, und wenn schon“, schnappte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel. Mit dem Gelächter des Bestatters im Rücken, murmelte sie ein schnelles „Ich geh mich fertig machen“ und rannte dann beinahe die Treppe hoch.
 

Eine gute halbe Stunde verging, ehe die Frau wieder nach unten kam und in den Empfangsraum ging, wo der Silberhaarige gerade mit seinem Notizbuch beschäftigt war. Überrascht hob er den Blick. „Wolltet ihr euch nicht erst in zwei Stunden treffen?“ „Ja, aber ich wollte vorher noch zu Charlie und Emma, um ihnen die Einladung vorbeizubringen. Und vielleicht bin ich ja nicht die Einzige, die noch ein neues Kleid braucht. Dann kann ich Emma direkt mitnehmen.“ „Bist du dir sicher, dass du alleine gehen möchtest?“, fragte er sie mit ernstem Blick. Wirklich begeistert schien er von dieser Idee nicht zu sein. „Cedric, ich bin in 10 Minuten da. Du kannst mich gerne bis vor die Haustür begleiten, aber das halte ich für unnötig. Ich werde meine Energiesignatur verbergen und sobald etwas sein sollte, lasse ich sie wieder aufflammen und du kannst zu meiner Rettung eilen, in Ordnung?“ Bei ihren letzten Worten verdrehte sie die Augen und brachte ihn dadurch kurz zum Schmunzeln. „Na gut, na gut, meine selbstständige Frau. Sei einfach vorsichtig und halt die Augen offen, ja?“
 

„In Ordnung“, murmelte sie und verwirrt stellte er fest, dass sie auf einmal ungewöhnlich rot im Gesicht geworden war. „Wir sehen uns dann später. Ich beeile mich.“ Schneller als sonst griff sie sich ihren Mantel und wenige Sekunden später fiel die Tür hinter ihr zu. Cedric blinzelte. Was hatte sie denn nun schon wieder…?
 

Carina holte tief Luft, sobald sie einige Meter zwischen sich und das Bestattungsinstitut gebracht hatte. Immer noch schwirrten ihr seine Worte im Kopf umher.
 

Meine selbstständige Frau…
 

Das Herz pochte ihr auf einmal bis zum Hals und sie spürte immer noch das Blut in ihren Wangen pulsieren. „Warum bringt mich diese Wortwahl so durcheinander?“, dachte sie und schluckte einmal, um ihre trockene Kehle zu befeuchten. Cedric hatte es einfach so gesagt, vermutlich nicht einmal genauer darüber nachgedacht. Und sie taten für die Außenwelt ohnehin schon so, als wären sie verheiratet. Aber…
 

„Aber wir sind es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob er das überhaupt wollen würde.“ Die Hochzeit zwischen Claudia und ihrem damaligen Verlobten musste schwer für ihn gewesen sein. Zum einen, weil es ihm vor Augen geführt haben musste, dass sie niemals ein gemeinsames Leben haben würden, jedenfalls nicht offiziell. Zum anderen, weil er ab diesem Tag mit Sicherheit sagen konnte, dass er die Frau, die er liebte, nie wieder für sich alleine haben würde. Da würde immer noch ihr Ehemann sein. Derjenige, der mit ihr zusammenlebte. Derjenige, der ihre Kinder großzog. Derjenige, der mit ihr das Bett teilte… All das, was der Silberhaarige wollte, aber nicht haben konnte.
 

Ja, Carina wusste, dass er Claudia hinter sich gelassen hatte. Aber in diesem Zusammenhang, im großen Ganzen, gab es doch noch so viele negative Gefühle, die er mit bestimmten Dingen verbinden musste und die er ganz sicherlich nicht einfach so abgehakt hatte. Und irgendwie bekam sie das Gefühl nicht los, dass das Wort „Hochzeit“ mit in diese Kategorie gehörte. Natürlich, es wäre schön ihn irgendwann einmal ihren Mann nennen zu können, ohne dabei lügen zu müssen. Aber sie wollte ihn zu nichts drängen und schon gar keine unangenehmen Erinnerungen wieder hervorrufen. Vielleicht würde er irgendwann dazu bereit sein und wenn er sie dann fragen würde, dann wusste sie bereits ihre Antwort. Bis dahin jedoch würde sie das Thema auf keinen Fall ansprechen. Das wäre für alle Beteiligten das Beste.
 

„Schluss mit den bösen Gedanken. Ich hab heute schließlich noch einiges zu erledigen.“ Wie sie es Cedric bereits vorhergesagt hatte, stand sie innerhalb von 10 Minuten vor dem Haus der Sterlings. Sie holte einmal bewusst tief Luft, dann klopfte sie dreimal bestimmt gegen die Eingangstür. Es dauerte einige Sekunden, dann konnte sie mit ihren übernatürlichen Sinnen wahrnehmen, wie Schritte im Inneren des Hauses ertönten. Wenige weitere Sekunden später öffnete sich die Tür und Carina sah in zwei braune Augen, die um ein Vielfaches größer wurden, als sie sie erblickten. Die 19-Jährige erstarrte ebenfalls. „Scheiße.“ Warum hatte sie nicht einen Gedanken an die Möglichkeit verschwenden, dass sie ebenso gut auf Charlie anstatt nur auf Emma treffen könnte?
 

„Ich, ähm…“, begann Carina, vollkommen aus dem Konzept gebracht, zu stottern und starrte den jungen Mann vor sich überfordert an. Aber auch er schien nicht besonders gut mit der Situation klar zu kommen. „Ich wollte eigentlich zu Emma“, beendete Carina ihren Satz schließlich kleinlaut, weil sie sich genau so auch vorkam. Klein und in die Enge getrieben. Was diesem Mann dank ihrer Taten angetan worden war…
 

Charlie starrte sie einige Sekunden lang reglos an, sein Gesicht verriet nicht die geringste Gefühlsregung. Schließlich teilten sich seine Lippen und ein langes Seufzen entwich seinem Mund. „Sie ist gerade einkaufen. Aber… komm einfach rein“, meinte er, beinahe schon eine Spur genervt und die 19-Jährige schaute ihn verwundert an. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Eher damit, dass er ihr die Tür vor der Nase zuschlagen würde.
 

Unsicher betrat sie zum nunmehr dritten Mal das Haus der Sterlings und folgte Charlie ins Wohnzimmer. Sie setzten sich einander gegenüber und eine wirklich unangenehme Stille erfüllte den Raum. Carina hasste es, wenn so etwas passierte. Keiner sagte etwas, doch jeder wollte, dass das Schweigen von dem jeweils anderen gebrochen wurde. In diesem Fall war es nach 5 langen Minuten schließlich Charlie, der mit einem langen Seufzer die Stille durchbrach und dann sagte: „Es tut mir leid.“
 

Carina starrte ihn wie vom Donner gerührt an. Hatte sie sich gerade verhört? „Wie bitte?“, fragte sie, vollkommen aus der Fassung gebracht, denn sie brauchte Gewissheit. Vielleicht spielten ihre Ohren ihr auch einfach einen Streich. Doch Charlie wiederholte seine Worte. „Es tut mir leid“, sagte er und schaute ihr dabei genau in die Augen. „Was ich bei unserer letzten Begegnung zu dir sagte… das war nicht fair. Ich habe mit meinen Worten impliziert, dass ich dich für die Schuldige an der ganzen Sache halte und das war nicht in Ordnung. Erst recht nicht, nachdem mir Emma erzählt hat, wie schuldig du dich deswegen fühlst.“
 

„Du standest unter Schock. Und außerdem hattest du jedes Recht dazu. Ich mag vielleicht nicht die Hauptschuldige an diesem ganzen Dilemma sein, aber unschuldig daran bin ich auch nicht. Ohne meine vorherigen Entscheidungen wäre es niemals so weit gekommen.“ Charlie schüttelte den Kopf. „Du bist nicht verantwortlich für die Taten eines anderen. All das war allein die Entscheidung dieses fürchterlichen Dämons. Ich mache dir keinen Vorwurf, wirklich nicht. Vor allem nicht, nachdem mir Emma erzählt hat, was mit mir passiert wäre, wenn der Selbstmordversuch erfolgreich gewesen wäre.“ Sein Blick fiel automatisch auf ihren Brustkorb und Carina wusste, dass er an die Narbe dachte, die sie ihm und seiner Frau gezeigt hatte. Die 19-Jährige lächelte und fühlte sich mit einem Mal furchtbar erleichtert. Es war eine Sache, wenn jeder ihr sagte, dass sie keine Schuld an der ganzen Sache trug, aber eine ganz andere, wenn es derjenige sagte, der unmittelbar davon betroffen gewesen war.
 

„Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht“, murmelte sie. Charlie nickte, immer noch ein wenig reserviert, aber das konnte sie ihm nicht verübeln. Sie selbst wäre auch erst einmal misstrauisch. „Nicht gut, aber besser“, bestätigte er. Carina wollte ihn gerade fragen, ob er noch irgendwelche körperlichen Beschwerden hatte, als hinter ihnen die Haustür aufgeschlossen wurde. Keine 10 Sekunden später betrat Emma das Wohnzimmer und schaute die unerwartete Besucherin verwundert an. „Carina“, sagte sie verblüfft. „Hallo Emma“, erwiderte die Blondine höflich und sah gleich darauf dabei zu, wie Charlie sich von seinem Platz erhob und Emma den Einkaufskorb abnahm. Er drückte ihr einen kleinen Kuss auf die Wange und seine Hand streift im Vorbeigehen ihren Babybauch, als er die Sachen in die Küche brachte. Emma sah ihm lächelnd nach und auch Carina musste unbewusst die Mundwinkel nach oben ziehen. Genau so etwas hätte sie sich während ihrer eigenen Schwangerschaft auch gewünscht. Tja, vielleicht würde Cedric doch noch irgendwann seine Gelegenheit bekommen…
 

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen. Können wir dir irgendwie behilflich sein?“, fragte Emma freundlich, aber immer noch ein wenig verwirrt, während sie sich auf dem Platz niederließ, auf dem Charlie wenige Sekunden zuvor noch gesessen hatte. „Ich bin deswegen hier“, antwortete Carina und holte die Einladung hervor, um sie anschließend der 20-Jährigen entgegen zu halten. Mit gerunzelter Stirn nahm die Hebamme das förmliche Schreiben entgegen. Ihre Augen huschten flink über den Text und weiteten sich mit jedem weiteren Wort, das sie las, ein wenig mehr. Überfordert starrte sie Carina an. „Das… das ist eine Einladung zu einem Ball, der von Earl Phantomhive veranstaltet wird.“ Die Todesgöttin nickte. „Eine Einladung von Earl Phantomhive?“, erklang Charlies fragende Stimme, als er wieder zurück ins Wohnzimmer kam. Emma drückte ihrem Mann wortlos das offizielle Papier in die Hand und er überflog ebenfalls schnell jede einzelne Zeile. Im Gegensatz zu Emma wirkte er nicht nur verwundert, sondern schlichtweg entsetzt. „Warum werden wir zu einem Ball eingeladen, auf dem nur lauter Adelige anwesend sein werden? Und was ist überhaupt der Anlass?“
 

„Offiziell? Frühlingsbeginn. Inoffiziell? Wir zeigen Samael, dass wir trotz seiner ganzen Seitenhiebe eine nette Festlichkeit abhalten werden.“ Charlies Augen wurden groß. Seine Stimme schoss bei den nächsten Worten, die seinen Mund verließen, etwas in die Höhe. „Ihr wollt ihn provozieren?“ Carina nickte. „Ich weiß aus sicherer Quelle, dass er es nicht sonderlich mag ignoriert zu werden. Geschweige denn, dass man ihn nicht ernst nimmt.“ Charlie lachte trocken auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nach dem zu urteilen, was ich in meinen Träumen von ihm gesehen habe, glaube ich nicht, dass es bei ihm so etwas wie nur „nicht mögen“ gibt. Entweder er liebt etwas oder er hasst es mit aller Inbrunst.“ Er schwieg kurz, dann flüsterte er: „Er hat es immer gehasst, wenn ich gestottert habe.“
 

Betretendes Schweigen folgte und jetzt sah auch Emma sie zweifelnd an. „Und das haltet ihr für eine gute Idee? Ihn zu provozieren, meine ich?“ „Dieses ewige Katz und Maus Spiel muss endlich ein Ende haben. Ich bin nicht gewillt ihm noch mehr Kontrolle über mein Leben zu geben, als er momentan ohnehin schon hat“, antwortete Carina. „Versteht mich bitte nicht falsch, mir ist auch nicht wirklich wohl bei dem Gedanken mich ihm wissentlich zu nähern. Aber es muss sein. Wir können ihn besiegen.“ Charlie hob skeptisch eine Augenbraue. „Könnt ihr?“, fragte er und wechselte einen zweifelnden Blick mit seiner Frau, die ebenfalls alles andere als beruhigt wirkte. „Er mag stärker sein als jeder einzelne von uns, aber gegen uns alle kann er unmöglich gleichzeitig ankommen. Ich will nicht sagen, dass es leicht wird. Ganz im Gegenteil, es wird trotzdem der härteste Kampf meines Lebens, aber wir werden gewinnen. Wir müssen einfach!“ „Okay, aber davon mal ganz abgesehen. Warum sollten wir beide auch zum Ball kommen? Wir werden nicht gerade eine große Hilfe sein, ganz im Gegenteil“, meinte Emma.
 

„Um an dieser Stelle – und ich kann nicht glauben, dass ich das sage – Ciel Phantomhive zu zitieren: So geben wir Samael keinen Freifahrtsschein jemanden in seine Finger zu bekommen, während wir uns auf dem Ball befinden.“ Sie schnaubte. „Denn genau das würde er tun, feige wie er ist.“ Verständnis flackerte über das Gesicht der Schwangeren und sie sah Charlie zögerlich an. „Was meinst du?“, murmelte sie und fügte hinzu: „Ich überlasse die Entscheidung dir. Aber Carina hat nicht ganz unrecht. Was, wenn er hier auftaucht und…“ Sie beendete den Satz nicht, aber die Bedeutung ihrer Worte war klar.
 

„Dieser Plan kann nur unter der Voraussetzung funktionieren, dass er dort wirklich auftaucht“, meinte Charlie nachdenklich und schaute Carina nun wieder direkt in die Augen. „Was macht ihr, wenn er einfach nicht kommt?“ Die Schnitterin zuckte mit den Schultern. „Dann werden wir eine andere Möglichkeit finden müssen, um das ganze Spektakel mit ihm hinter uns zu bringen. Und einige von uns werden dann wohl einfach einen schönen Abend auf diesem Ball haben.“ Das sie selbst kaum zu besagter Personengruppe zählen würde, ließ sie wissentlich außen vor. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er diese Provokation einfach ignorieren wird. Was für einen Grund sollte er haben?“ Ein schwaches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Es sei denn, er hätte Angst vor uns. Sollte das der Fall sein, dann mache ich mir die ganze Zeit umsonst so viele Sorgen, aber dann kann er auch wirklich bleiben, wo der Pfeffer wächst.“
 

Charlies Mundwinkel zuckten kurz, doch zu einem wirklichen Lächeln konnte er sich scheinbar immer noch nicht durchringen. „Hoffentlich behältst du Recht, denn die möglichen Konsequenzen kann sich mit Sicherheit keiner von uns im vollen Maße vorstellen. Dieser Samael ist der Teufel in Person.“ „Du sagst es“, nuschelte Carina, woraufhin Charlie ihr erneut antwortete. „Gut, ich bin einverstanden. Unter einer Bedingung.“ „Ja?“ „Du lässt Emma zu keiner Sekunde aus den Augen. Ich will, dass sie den ganzen Abend lang vollkommen sicher ist und wenn eine Todesgöttin auf sie aufpasst, dann stehen die Chancen für ihr Wohlbefinden schon mal wesentlich besser.“ Emma lächelte sanft und drückte seine Hand kurz in ihrer. Carina nickte. „Einverstanden“, antwortete sie, denn auch sie selbst fühlte sich mit dieser Vereinbarung wesentlich wohler. Auf keinen Fall dürfte Emma oder ihrem Baby etwas geschehen, nicht unter ihrer Obhut. Der werdende Vater nickte, nun scheinbar ebenfalls zufrieden.
 

„Sehr schön. Jetzt, wo wir das geklärt haben“, begann Carina und schaute Emma mit einem leicht leidenden Gesichtsausdruck an, „sag mir bitte, dass du ebenfalls ein Kleid für diesen Anlass brauchst.“ Emma wurde rot. „Ich… selbst, wenn ich ein Kleid hätte, das für solch einen festlichen Ball angemessen wäre, würde ich nicht mehr hineinpassen.“ „Perfekt. Dann kannst du gleich mit mir mitkommen. Die Verlobte des Earls hat nämlich darauf bestanden, dass wir uns heute neue Kleider kaufen und zu dritt wird die ganze Sache hoffentlich erträglicher sein.“ Die Schwangere rieb ihre Hände in einer nervösen Geste aneinander und schaute zu Boden. „Das… das geht nicht.“ Carinas Augenbrauen schoben sich enger zusammen. „Warum nicht? Ich meine, ich hasse shoppen auch, versteh mich nicht falsch. Aber du brauchst doch sowieso ein Kleid und-“ „Es ist zu teuer“, unterbrach Emma sie peinlich berührt. „Wir sparen momentan alles Geld, was wir können, um nach der Geburt gut aufgestellt zu sein und ein Ballkleid würde unsere Finanzen vielleicht nicht sprengen, aber ein tiefes Loch hineinreißen.“ „Mach dir darum mal keine Sorgen“, erwiderte Carina, die nun grinste. „Elizabeth meinte bereits, dass Ciel sämtliche Kosten übernimmt. Und nur, damit du es weißt, ich werde das Angebot annehmen und mich so richtig austoben. Der kleine Phantomhive hat nämlich sowieso viel zu viel Geld.“
 

Emma starrte sie aus großen Augen heraus an. „A-aber das kann ich unmöglich annehmen.“ „Natürlich kannst du. Ehrlich, Ciel wird es wahrscheinlich nicht einmal auffallen. Und es sind keine Almosen. Eher so etwas wie eine Aufwandsentschädigung. Denn glaub mir, dieser Abend wird ein Aufwand.“ Sie lächelte. „Na, komm schon.“
 

Die junge Frau starrte ihren Mann fragend und unsicher zugleich an, doch dieser nickte ihr aufmunternd zu. „Lass uns das Angebot annehmen, Emi. Ohne diese ganzen Umstände müssten wir überhaupt nicht auf diesen Ball gehen. Wenn Earl Phantomhive hier sein Geld sprechen lassen möchte, dann sollten wir darauf eingehen.“ „Meine Meinung“, bestätigte Carina und schaute die Hebamme grinsend an. „Also dann. Wie wäre es mit einem Tee und dann gehen wir los?“
 

„Was soll das heißen, sie ist nicht da? Wo ist sie denn?“, fragte Grell den Bestatter mit erhobenen Augenbrauen. Eigentlich hatte er Carina nur den neuen Schichtplan vorbeibringen wollen, aber jetzt hatte er sie doch schlichtweg verpasst. „Sie ist zu den Sterlings gegangen, um ihnen die Einladung zum Ball vorbeizubringen. Deine müsste im Übrigen auch irgendwo hier herumliegen. Aber Carina wollte deswegen ohnehin noch mit dir sprechen.“ Grells Augen leuchteten auf. „Na endlich, ich hab schon darauf gewartet. Bist du auch schon so aus dem Häuschen deswegen wie ich, Undy?“ Der Silberhaarige lachte schnaubend auf. „Es wird sicherlich ganz amüsant, aber ich werde mich ehrlich gesagt an diesem Abend eher darauf konzentrieren, meine Sense in Samael zu versenken. Und auf Carina aufzupassen. Gott allein weiß, dass man diese Frau keine Sekunde allein lassen kann, ohne dass eine Katastrophe passiert.“ Der Rothaarige grinste. „Das hast du dir immerhin selbst ausgesucht, mein Lieber. Und außerdem… Carina hat es mit dir auch nicht immer besonders leicht, das wirst du ja wohl kaum leugnen, oder?“ Cedric grinste nun ebenfalls. „Nun, hehe, das ist wohl oder übel wahr“, gab er zu und lehnte sich gegen einen seiner Särge.
 

„Weißt du, wann Carina in etwa zurück sein wird?“ „Das wird noch länger dauern. Die Verlobte des Earls war heute Morgen hier und hat sozusagen darauf bestanden, dass die beiden heute zusammen Kleider einkaufen. Für den Ball.“ Grells Grinsen erlosch so schnell wie eine Kerze. „Wie bitte? Wie bitte? Ohne mich?“, beschwerte er sich lautstark und wirkte nun ganz und gar nicht mehr begeistert. „Das ist eine Unverschämtheit! Erst gestern noch hat sie zu mir gesagt, dass sie Ballkleider hasst und am liebsten gar nicht hingehen würde. Und jetzt? Sie hat gerade mal die Einladung und ist schon unterwegs shoppen. Ohne mich!“
 

Cedric begann zu lachen, er konnte einfach nicht anders. Er hatte diese Reaktion vorausgeahnt, beinahe darauf gehofft. Und siehe da, es war genauso lustig ausgefallen, wie er es sich ausgemalt hatte.
 

„Elizabeth kann sehr überzeugend sein, wenn sie will. Und sie hat Carina um ihren kleinen Finger gewickelt. Wäre es anders, wäre sie niemals so schnell auf diesen Vorschlag eingegangen, das kannst du mir glauben.“ „Trotzdem“, grummelte Grell und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Ich hätte so gerne etwas für sie ausgesucht. Rot steht ihr mit Sicherheit großartig.“ „Blau steht ihr viel besser“, widersprach der Totengräber dem Reaper und erinnerte sich lebhaft daran, wie sehr Carinas Augen in ihrem letzten Kleid zur Geltung gekommen waren.
 

Grell seufzte theatralisch. „Warum muss jedes einzelne Kompliment von dir immer so romantisch sein?“, fragte er und schüttelte mit dem Kopf. „Na ja, egal. Dann sehe ich das Kleid eben erst beim Ball. War sonst noch irgendetwas oder darf ich mich jetzt wieder in den Dispatch begeben, um dort weiter zu schmollen?“ „Nichts, dass ich wüsste. Ich schätze mal, Carina wird spätestens in drei Stunden zurück sein. Ich sage ihr, dass du da warst.“ Plötzlich kam ihm doch noch etwas in den Sinn. „Warte mal, da wäre vielleicht tatsächlich noch etwas.“ Grell horchte auf. „Ja?“
 

Der Silberhaarige zögerte kurz, dann sagte er: „Als Carina heute gegangen ist, hat sie sich irgendwie merkwürdig verhalten.“ „Merkwürdig? Inwiefern?“, fragte Grell, jetzt eine Spur besorgter. Wenn Carina sich anders als sonst verhielt, war das meist kein gutes Zeichen. „Sie ist über ihre Wörter gestolpert und rot geworden. Und ich habe keine Ahnung wieso.“ „So? Hast du irgendetwas Komisches zu ihr gesagt?“, riet der Todesgott ins Blaue hinein, woraufhin Cedric den Kopf leicht schief legte. „Nein, eben nicht. Jedenfalls nichts, was diese Reaktion hätte auslösen müssen.“
 

Grell, der mittlerweile wusste, dass der Bestatter nicht immer der Schlauste war, wenn es um das Deuten von Gefühlen ging, antwortete: „Worüber habt ihr denn gesprochen?“ „Darüber, ob sie allein zum Haus der Sterlings gehen sollte oder nicht“, begann er und beschrieb Grell jeden einzelnen Satz, den er gesagt hatte. Mit jedem Wort wurde das Grinsen des Todesgottes breiter und als der Bestatter schließlich endete, konnte er sich ein amüsiertes Auflachen einfach nicht verkneifen. „Mensch, Undy. Ich hab’s mit Sicherheit schon mal gesagt, aber mit Gefühlsdingen kennst du dich wirklich nicht aus.“ Cedric zog eine beleidigte Schnute. „Was denn? Was hab ich denn gesagt?“, meinte er und schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. Das er jetzt schon Grell um Rat fragen musste…
 

„Du hast sie deine Frau genannt“, beantwortete der Rothaarige seine Frage amüsiert. Der Deserteur hob beide Augenbrauen, denn auch jetzt fiel bei ihm noch kein Groschen. „Und?“, fragte er und erneut musste Grell lachen. Scheinbar musste er dem Undertaker hier ein wenig auf die Sprünge helfen. Und dabei musste er mit Fingerspitzengefühl vorgehen, so viel war ihm klar. „Kapierst du es nicht? Das ist doch nur eine Maskerade für die Außenwelt. Ihr seid nicht wirklich verheiratet.“ „Ich weiß, na und-“ „und trotzdem hast du sie deine Frau genannt, obwohl sonst niemand dabei war. Einfach so?“ „Ist das verboten?“, fragte Cedric trocken, ließ sich aber gleichzeitig noch einmal Carinas Reaktion durch den Kopf gehen. Scheinbar musste es ja irgendwas in ihrem Inneren ausgelöst haben, sonst hätte sie wohl kaum so offensichtlich darauf reagiert.
 

„Nein, ist es natürlich nicht. Aber warum hast du es überhaupt so gesagt? Hast du darüber schon mal nachgedacht?“ Der Silberhaarige rollte mit seinen gelbgrünen Augen und war jetzt beinahe schon eine Spur genervt. Als ob er darüber großartig nachdenken müsste…
 

„Was glaubst du wohl, warum ich es gesagt habe? Weil ich es genau so gemeint habe, das ist ja wohl klar. Sehe ich für dich vielleicht wie jemand aus, der etwas sagt, wohinter er nicht wirklich steht?“ Grells Grinsen verwandelte sich in ein sanftes Lächeln. „Warum machst du es dann nicht offiziell?“ Cedric runzelte die Stirn und jetzt verdrehte Grell die Augen. „Frag sie, ob sie dich heiraten möchte, du Idiot“, sagte er trocken, aber todernst. Der Bestatter konnte nicht anders, er lachte ungläubig auf. Gleichzeitig aber spürte er, wie er unbewusst die Augen weitete. Einen Heiratsantrag? Er???
 

Der Silberhaarige begann darüber nachzudenken, während er Grell weiterhin lediglich schweigend anstarrte. Er hatte sich in seinem gesamten Leben niemals als jemanden gesehen, der tatsächlich heiratete. Bei Claudia war es nie eine Option gewesen und auch weit vor der Phantomhive hatte es nie eine Frau gegeben, bei der ihm dieser Gedanke gekommen war. Er hatte sich einfach nie als Ehemann gesehen, der für seine Ehefrau sorgte und die damit einhergehenden Pflichten einging.
 

Jetzt, wo Grell es jedoch so selbstverständlich vorgeschlagen hatte, stellte er sich die Frage, was sich denn überhaupt großartig an seinem momentanen Leben ändern würde, sollte er Carina offiziell ehelichen. Sie lebten bereits zusammen, sie schliefen miteinander, sie hatten sogar ein gemeinsames Kind. Praktisch waren sie ja bereits miteinander verheiratet, nur in der Theorie noch nicht. Warum also sollte er es wirklich nicht einfach offiziell machen?
 

Er zuckte mit den Schultern. „Na gut“, lautete seine Antwort und Grell blinzelte ungewöhnlich schnell, während der Bestatter jetzt wieder ganz entspannt wirkte. „Na gut? Was soll das heißen, „Na gut“?“ „Na gut, ich werde sie fragen“, antwortete der Undertaker und grinste, als Grell daraufhin der Mund aufklappte. „M-m-moment“, stammelte der Rothaarige und hielt seine offene Handfläche von sich weg, um den Totengräber zum Pausieren aufzurufen. „Du… du willst sie wirklich fragen, ob sie dich heiraten möchte?“ „Ja, will ich. Was ist schon dabei?“ Grells Augen verengten sich misstrauisch. „Was schon dabei ist? Ernsthaft?“ Er warf die Arme in die Höhe. „Nur die wichtigste Fragen im Leben einer jeden Frau und du fragst, was schon dabei ist?“ Jetzt wirkte Cedric wieder genervt. „Du warst doch derjenige, der mich darauf gebracht hat. Und jetzt, wo ich sie fragen will, ist es auch wieder nicht gut?“ „Es kommt ja nicht nur darauf an, ob du sie fragst, sondern auch wie.“
 

Irritiert hob der Shinigami eine Augenbraue. „Sobald sie wieder hier ist, werde ich sie einfach fragen.“ „Auf keinen Fall, Undy“, brüllte der Schnitter jetzt schon beinahe und schlug sich beide Hände vors Gesicht. „Das kannst du auf keinen Fall machen. Auf gar keinen Fall so.“ „Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Mich auf die Knie werfen und ihr einen Strauß roter Rosen überreichen?“, schnaubte der Silberhaarige, woraufhin Grell ihn böse anfunkelte. „Das wäre zumindest schon mal ein Anfang“, meinte er. „Das war ein Scherz“, erwiderte Cedric trocken. „Du weißt genauso gut wie ich, dass Carina nicht wie andere Frauen ist. Sie macht sich aus solchen Dingen wie Blumen nichts.“ „Das mag ja sein“, entgegnete Grell, obwohl er sich recht sicher war, dass auch Carina sich mal über Blumen freuen würde, „aber selbst Carina wird wie vor den Kopf geschlagen sein, wenn du sie einfach so aus heiterem Himmel und ohne irgendeine romantische Geste fragst, ob sie dich heiraten möchte. Und das meine ich nicht im positiven Sinne.“
 

Der Bestatter seufzte. Die ganze Angelegenheit schien doch reichlich komplizierter zu sein, als er ursprünglich angenommen hatte. „Na schön, was schlägst du also vor?“
 

„Ach du heilige Scheiße“, entfuhr es Carina unwillkürlich, als sie zusammen mit Emma den Hopkins' Tailor Shop betrat. Überall hingen Kleider und Anzüge verschiedenster Macharten und Größen, Stoffballen, Schnittmuster, Verzierungen und noch so viele andere – teilweise recht bunte – Materialien, dass es Carina kaum mit ihren Augen erfassen konnte. Zu sagen, dass sie sich auf der Stelle leicht überfordert fühlte, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Sie fühlte sich vollkommen überfordert.
 

„Ah, da bist du ja“, hörte sie auf einmal Elizabeths Stimme aus dem vorderen Bereich des Geschäftes und keine zwei Sekunden später tauchte die Midford neben ihr auf, ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. „Und du hast sogar noch jemanden mitgebracht“, klatschte sie fröhlich in ihre Hände und blinzelte Emma aus leuchtenden Augen aus an. Emma wirkte nun ebenfalls leicht überfordert.
 

„Hallo Lizzy. Das ist Emma“, stellte Carina die beiden Frauen einander vor und Emma wurde sofort – peinlich berührt – rot im Gesicht. Sie knickste. Eine Geste, die Carina als eine Frau aus dem 21. Jahrhundert nach wie vor unglaublich bescheuert fand. Elizabeth erwiderte die nette Geste jedoch sofort und lächelte nun noch breiter. „Sie und ihr Mann werden ebenfalls auf dem Ball sein“, erklärte die Schnitterin, ohne jedoch die genauen Umstände zu nennen. „Großartig“, verkündete die 15-Jährige und klatschte erneut in die Hände. „Wir werden sicherlich ein wunderbares Kleid für dich finden, Emma. Und du wirst hinreißend aussehen mit diesem süßen Babybauch.“ Die Blondine begann zu schwärmen und Emma wirkte plötzlich unglaublich erleichtert, als sie bemerkte, dass Elizabeth keinesfalls zu der Sorte der arroganten Adeligen gehörte. „Vielen Dank für Eure Großzügigkeit, Mylady“, erwiderte sie leise, aber dennoch mit gefasster Stimme. „Bringen wir es hinter uns“, sagte Carina im krassen Gegensatz dazu, wovon sich ihre Vorfahrin allerdings nicht wirklich beeindrucken ließ.
 

Sie führte die beiden Frauen in den hinteren Teil des Ladens, wo bereits eine brünette Verkäuferin mit ebenso brauen Augen und einer dezenten Brille auf sie wartete. „Carina, Emma… das ist Miss Nina Hopkins, die Besitzerin des Hopkins' Tailor Shops. Sie wird uns heute einkleiden. Nina, das sind zwei Freundinnen von mir und Ciel.“ Während Emma erneut rot wurde und knickste, dachte Carina daran, dass sie sich selbst und Ciel eher nicht als Freunde bezeichnen würde, aber Lizzy würde das als Antwort wohl kaum akzeptieren. Irgendwoher musste sie ihren Dickkopf ja geerbt haben… Wahrscheinlich war es besser, an dieser Stelle ausnahmsweise einmal den Mund zu halten und das Ganze so hinzunehmen.
 

Nina Hopkins Blick glitt wie ein Scanner über das Erscheinungsbild ihrer neuen Kundinnen und als sie mit ihrer ersten Inspektion fertig war, trat ein beinahe schon fanatisches Funkeln in ihre Augen, das selbst Carina dazu brachte sich unbehaglich zu fühlen. Und das wurde auch nicht besser, als die geschäftstüchtige Frau im nächsten Moment einen ganzen Schwall an Wörtern hervorbrachte.
 

„Ich, Nina Hopkins, Besitzerin und Geschäftsführerin des Hopkins' Tailor Shop, werde Euch beide einkleiden und persönlich dafür sorgen, dass ihr im perfekt gekleideten Zustand den Ball des Earls besucht“, sprach sie mit einer so entschlossenen Miene, als würde sie gleich zu einer Mission aufbrechen. Carina hob beide Augenbrauen. „Äh, okay?“, meinte sie langgezogen und beugte sich – tatsächlich verunsichert – zu Elizabeth hinunter. „Sicher, dass das hier eine gute Idee ist?“ Die Blondine kicherte. „Ja, keine Sorge. So ist Nina immer, wenn es um Kleider für solch festliche Anlässe geht. Aber sie ist wirklich die Beste auf ihrem Gebiet, das kann ich dir versichern. Sie und ihre Familie arbeiten schon seit ich denken kann für die Familie Phantomhive. In ihrem Kopf ist sie sicherlich schon ganz mit dem Design unserer Kleider beschäftigt.“
 

Bevor die Todesgöttin darauf antworten konnte, stand die brünette Designerin plötzlich genau vor ihr und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Carina zuckte reflexartig zurück, ließ sich dann aber widerwillig näher ziehen, sodass sich ihre Nasenspitzen nun beinahe berührten. Ninas braune Augen funkelten sie entzückt an. „Du hast unglaublich schöne blaue Augen. Wie wäre es mit einem Kleid in genau dieser Farbe, Schätzchen?“ Jetzt wurde auch Carina rot. Diese Frau hatte auf seltsame Art und Weise einfach etwas Einschüchterndes an sich. So mussten die meisten Menschen sich wohl fühlen, wenn sie den Undertaker das erste Mal trafen und er ihnen auf seine ganze eigene komische Art zu nahe kam. Und Schätzchen? Ernsthaft? Carina konnte sich nicht daran erinnern, jemals schon mal von einer Frau so angesprochen worden zu sein.
 

„Nein, bitte kein Blau“, hörte sie sich im nächsten Augenblick urplötzlich selbst sagen und war darüber mehr überrascht, als sie zugeben wollte. „Das letzte Kleid, das ich getragen habe, war blau und… ehrlich gesagt…“, sprach sie stockend weiter und dachte an ihr erstes und gleichzeitig bisher einziges Ballkleid zurück. Sie hatte sich darin wohl gefühlt und schön, keine Frage. Aber in der Nacht, in der sie es getragen hatte, war einiges passiert. Sie hatte Cedric erzählt, was in der Nacht ihres Selbstmordes wirklich geschehen war und auch, was sie den drei Männern deswegen zu einem späteren Zeitpunkt angetan hatte. Und anschließend hatte sie mit ihm geschlafen, sich ihm hingegeben. Irgendetwas in ihr verband die Farbe Blau mit einer Unschuld, die sie längst nicht mehr besaß. Und das nicht nur im sexuellen Sinne.
 

„… ich identifiziere mich nicht wirklich mehr mit der Farbe“, beendete sie schließlich ihren Satz, doch Nina schien die Ablehnung nichts auszumachen. Stattdessen bemerkte sie den stählernen Blick in den Augen der 19-Jährigen. Die Frau vor ihr wirkte zwar noch sehr jung, aber hatte scheinbar bereits einiges erlebt. Sie erinnerte sie ein wenig an Ciel. Der Wachhund der Königin war ebenfalls noch so jung und wirkte auf den ersten und manchmal auch auf den zweiten Blick zerbrechlich, aber in seinen Augen spiegelte sich das genaue Gegenteil von seinem Erscheinungsbild ab. Und plötzlich kam ihr eine ganz andere Idee für ein Kleid. Nichts Verspieltes oder Zauberhaftes. Sondern etwas, dass die junge Frau vor ihr in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lassen würde. Ein keckes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus.
 

„So? Nun, wie wäre es denn dann hiermit…“



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