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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

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Sorgen und Versprechungen

„Na, wie war das?“, fragte Elizabeth, als sie zu dritt den Hopkins Tailor Shop verließen. „Gar nicht so übel“, lautete Carinas Antwort und sie war überrascht, dass das tatsächlich stimmte. Nina hatte eine Art an sich, die zwar einschüchternd wirken konnte, aber wenn man sich daran erst einmal gewöhnt hatte, dann war sie wirklich einfach nur sehr gut in ihrem Job. Und sie hatte Carina genau das gegeben, was sie gewollt hatte. Ein Kleid, dass definitiv anders war als ihr vorheriges, aber in dem sie sich mit Sicherheit genauso wohl fühlen würde. Und sie war gespannt darauf, wie Cedric auf diesen Anblick reagieren würde…
 

„Es war toll“, strahlte Emma, die in den letzten zwei Stunden merklich aufgetaut war. Und Carina war froh darum. Die werdende Mutter wirkte so viel gelöster und zutraulicher, jetzt, wo sie sich an Carinas und Elizabeths Anwesenheit gewöhnt hatte. Fast schon ein wenig wie ein verängstigter Welpe, der sich erst einmal an seine neue Umgebung gewöhnen musste, aber die Schnitterin fand, dass es eine liebenswerte Eigenschaft war. Sie war früher auch nicht anders gewesen. Als sie noch komplett menschlich gewesen war.
 

Elizabeth strahlte. „Freut mich, dass es euch gefallen hat. So etwas sollten wir öfter mal machen. Also, nicht Kleider kaufen, aber etwas zusammen unternehmen.“ Jetzt wurde Emma doch wieder rot. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie sich unwohl fühlte, wie Carina inzwischen bemerkt hatte. „Ich glaube kaum, dass Eure Eltern das gutheißen würden, Mylady“, erwiderte die Brünette und spielte damit auf den Stand von sich selbst und natürlich auch Carina an. Doch Elizabeth winkte ab. „Meine Eltern sind immer froh, wenn ich neue Freunde finde. Meine Zofe Paula ist auch meine Freundin und sie haben keinerlei Bedenken diesbezüglich.“ „Wo du gerade deine Zofe erwähnst“, erinnerte Carina sich abrupt und wandte sich der jungen Blondine wieder direkt zu, „wir brauchen noch jemanden, der in der Ballnacht auf Lily aufpassen würde und deine Zofe hat das ja schon einmal getan. Glaubst du, es wäre möglich, dass sie das noch einmal übernehmen könnte?“
 

„Paula konnte schon immer gut mit kleinen Kindern. Ich denke, dass das kein Problem sein wird. Sie kann sich ja in einem der Gästezimmer um sie kümmern.“ „Das wäre großartig“, seufzte Carina erleichtert. So wenig ihr der Gedanke auch behagte, dass sich ihre Tochter in der Reichweite von Samael befand, so behagte ihr der Gedanke, dass sie viel zu weit weg vom Geschehen war, noch weniger. So waren sowohl sie, als auch Cedric vor Ort und konnten im Notfall eingreifen.
 

„Perfekt, dann sehen wir uns alle am Ballabend wieder. Ich freue mich“, sagte Elizabeth und die beiden anderen Frauen konnten ihr ansehen, dass sie es auch genau so meinte. Carina nickte. „Das werden wir wohl. Pass auf dich auf, Lizzy.“ Sie lachte, als ihr die 15-Jährige daraufhin ein Zwinkern zuwarf. „Du weißt ja, ich komme zurecht.“ „Ja, das stimmt wohl. Wer, wenn nicht du?“, grinste die Schnitterin und war nach wie vor von der Tatsache fasziniert, dass Elizabeth sich im Ernstfall wesentlich besser verteidigen konnte als Ciel Phantomhive. „Komm Emma, ich begleite dich noch nach Hause.“
 

Angesprochene nickte und knickste einmal vor der Midford. „Es war mir eine Ehre Eure Bekanntschaft zu machen, Mylady.“ „Ganz meinerseits“, antwortete Elizabeth lächelnd und erwiderte die Geste.
 

Glücklicherweise war nicht viel los auf den Straßen, sodass es gerade einmal 10 Minuten dauerte Emma zu Hause abzusetzen. Die Schwangere bedankte sich noch mindestens dreimal überschwänglich bei ihr, doch Carina winkte ab. „Ist doch selbstverständlich, dass ich dich nicht alleine nach Hause gehen lasse. Gerade in Zeiten wie diesen.“ „Dennoch ist es nett, Carina“, belehrte Emma sie, lächelte aber dabei. „Aber eine Frage hätte ich dann doch noch. Was meinte Lady Elizabeth gerade eben damit, dass sie schon zurecht kommt? Hätten wir sie nicht am besten auch noch ein Stück weit begleiten sollen?“ Carina konnte nicht anders, sie lachte schallend auf. „Ich weiß, man sieht es ihr nicht an, aber ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden gesehen, der besser mit einem Degen umgehen kann, als Elizabeth Midford.“
 

Die Augen der werdenden Mutter weiteten sich. „Ehrlich?“, fragte sie verblüfft nach, da sie sich bei Carina manchmal nicht sicher war, ob sie das, was sie sagte, auch tatsächlich ernst meinte. „Ehrlich“, bestätigte die Blondine. „Lizzy hat mir erzählt, dass ihre Familie – insbesondere ihre Mutter – viel Wert darauf legt, dass die Töchter genauso ausgebildet werden wie die Söhne und dazu gehört auch eine angemessene Selbstverteidigung. Eine Einstellung, die ich definitiv unterstütze.“ „Aber… aber Kämpfen gehört sich nicht für eine Frau“, murmelte Emma unsicher. „Das mag die Gesellschaft so sehen. Es lässt sich allerdings nicht leugnen, dass es Lizzy in der Vergangenheit die Möglichkeit gegeben hat, sich selbst das Leben zu retten“, entgegnete Carina ganz neutral, obwohl sie innerlich aufgrund der altmodischen Einstellung gegenüber Frauen vor Wut kochte. Unwillkürlich rief sie sich die Situation auf der Campania wieder vor Augen. Hätte Elizabeth nicht gewusst, wie sie einen Degen – oder in diesem Fall sogar zwei – zu gebrauchen hatte, dann wäre sie auf dem Schiff gestorben. Denn weder Ciel, noch Sebastian hätten das Mädchen rechtzeitig erreicht, um die Bizarre Dolls aufzuhalten.
 

„Wie auch immer“, fuhr sie fort, um jegliche mögliche Grundsatzdiskussion im Keim zu ersticken, „in der Einladung steht, dass euch eine Kutsche am Abend des Balls zu Hause abholen wird. Wir werden uns dann schätzungsweise erst im Phantomhive Anwesen wiedersehen.“ Sie warf Emma einen beruhigenden Blick zu. „Falls in der Zwischenzeit jedoch irgendetwas sein sollte… na ja, du weißt ja, wo du mich findest.“ „Vielen Dank“, bedankte sich Emma ein weiteres Mal und Carina war froh, dass sie anschließend mit einem Lächeln ins Haus ging. Sie würde das Versprechen, das sie Charlie gegeben hatte, nicht brechen. Sie würde Emma auf dem Ball zu keiner Sekunde aus den Augen lassen. Dieses Mal würde sie niemanden sterben lassen.
 

Als sie ca. eine Viertelstunde später das Bestattungsinstitut betrat, saß Cedric hinter seinem Tresen und schien einige seiner Unterlagen durchzugehen. Neben ihm stand eine noch dampfende Tasse Tee. Er schaute auf und lächelte, als er sie entdeckte. Carina konnte sogar sehen, wie sich seine Schultern ein wenig senkten, als die Anspannung aus ihnen wich. Ein warmes Gefühl der Zuneigung breitete sich in ihrem Bauch aus und sie musste automatisch sein Lächeln erwidern. „Hey“, meinte sie, trat auf ihn zu und drückte ihm dann einen zärtlichen, aber tiefen Kuss auf die Lippen. Er beäugte sie. „Alles gut?“, wisperte er, als sie sich wieder von ihm löste und sich auf eines seiner Beine setzte. „Alles gut“, bestätigte sie und lehnte sich an ihn. „Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe.“
 

Er grinste. „Und?“, meinte er und klang neugierig. „In was für einem Kleid darf ich dich denn dieses Mal ausführen?“ „So so, ausführen nennst du das also, ja?“, fragte sie, immer noch lächelnd, und erwiderte seinen Blick. Cedric hob eine Augenbraue. „Wie würdest du es denn nennen?“ „Och, ich weiß nicht. Dich als Direktor einer Schule auszugeben und mich als deine angebliche Ehefrau anzukündigen, ist mit wenigen Worten so schwer zu beschreiben.“ Der Silberhaarige lachte. „Hehe, ich bin mir keiner Schuld bewusst“, kicherte er und drückte ihr nun seinerseits einen Kuss auf die Lippen. „Natürlich, wie sollte es auch anders sein?“, murmelte sie zwischen zwei weiteren Küssen und genoss für den Moment einfach nur die traute Zweisamkeit.
 

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, erinnerte er sie schließlich daran und schaute ihr aufmerksam ins Gesicht. „Wie wird das Kleid aussehen?“ Carina schmunzelte. „Da ich ja weiß, wie sehr du Überraschungen liebst, bekommst du es erst am Abend des Balls zu sehen. Aber keine Sorge, du bekommst ein passendes Hemd dazu.“ Kurz blitzte in ihren Augen eine Emotion auf, die der Bestatter so noch nie an ihr gesehen hatte. „Damit auch jeder weiß, dass du zu mir gehörst.“ Er kicherte. „Sooo besitzergreifend~“, schnurrte er und der 19-Jährigen wurde warm, als er sich erneut dicht an sie schmiegte. „Das sagt gerade der Richtige“, entgegnete sie trocken und erhob sich nun wieder von seinem Bein, um etwas Abstand zu ihm zu gewinnen. Wenn er nämlich so weiter machte, würde das nur wieder damit enden, dass sie den Rest des Tages im Bett verbrachten. Nicht, dass sie was dagegen hätte, aber irgendwann musste sie sich schließlich auch mal um das Haus und Lily kümmern.
 

„Bevor ich es vergesse, Grell war in der Zwischenzeit hier.“ „Ach ja? Was wollte er?“, fragte die Blondine, während sie in die Küche ging, um mit den Vorbereitungen für das Abendessen anzufangen. „Er wollte mit dir den neuen Schichtplan durchgehen. Ursprünglich jedenfalls. Als ich sagte, dass du auf Kleidersuche bist, hatte sich das Thema allerdings schnell wieder erledigt.“ Carina stöhnte auf. „Na super“, murmelte sie zu sich selbst. „War er sehr sauer?“ „Ich würde es eher beleidigt nennen, aber nein. Am Ende unseres Gespräches hatte er sich wieder beruhigt.“ „Na, Gott sei Dank. Trotzdem, da werde ich mir sicherlich noch was anhören dürfen“, murmelte sie. „Habt ihr sonst noch über irgendetwas gesprochen?“, fragte sie und Cedric war froh, dass sie ihm in diesem Moment den Rücken zukehrte, denn ganz kurz entglitten ihm leicht die Gesichtszüge. „Nein, er war relativ schnell wieder weg“, flunkerte er und erinnerte sich an Grells letzte Worte an ihn.
 

„Du wirst sie erst fragen, wenn ich mir etwas Romantisches für euch überlegt habe.“
 

„Na, das kann ja was werden“, hatte er gedacht, sich aber schlussendlich damit abgefunden. Der Rothaarige hatte in dieser Situation sicherlich den besseren Riecher. Und obwohl es sich für ihn nicht wie eine große Sache anfühlte – Grell war an dieser Stelle übrigens anderer Meinung gewesen – wollte er es nicht vermasseln. Er hatte in der Vergangenheit schon viel zu viel vermasselt, was seine Beziehung mit Carina betraf.
 

„Elizabeth meinte im Übrigen, dass ihre Zofe sicherlich gern auf Lily aufpassen wird, da sie sowieso zusammen mit ihr anreisen wird.“ „Gut“, erwiderte Cedric. Ebenso wie Carina war ihm nicht wirklich wohl bei der ganzen Sache zumute, aber so war es ihm immerhin möglich schnellstmöglich einzugreifen, sollte Samael irgendetwas in der Hinsicht versuchen.
 

Im nächsten Moment horchte er auf, als Carinas Stimme plötzlich einen ernsteren Ton anschlug. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, Cedric“, murmelte sie und sah ihn mit einem Blick an, der dem Silberhaarigen ganz und gar nicht gefiel. Er konnte Zweifel darin sehen. „Was, wenn wir etwas übersehen haben? Was, wenn er gar nicht auf dem Ball auftaucht und stattdessen irgendetwas weitaus Schlimmeres in der Zwischenzeit anstellt? Das wäre die logischere Vorgehensweise.“ „Du hast Recht. Das wäre es. Aber – und ich kann nicht glauben, dass ich das tatsächlich sage – ich setze mein Vertrauen hier in Sebastian. Er kennt seinen Vater von uns allen am besten. Wenn er der Meinung ist, dass Samael darauf anspringen wird, dann sollten wir in diesem Einzelfall darauf vertrauen. Auch, wenn es uns schwer fällt.“
 

Carina schwieg für einen sehr langen Moment, dann drehte sie sich komplett zu ihm um und der Bestatter wusste sofort, dass ihm ihre nächsten Worte noch weniger gefallen würden als die vorherigen. „Cedric, ich möchte, dass du mir etwas versprichst.“
 

Sie atmete einmal tief ein. „Wenn diese ganze Sache nicht so ausgeht, wie wir uns das vorstellen…“, sie stockte und atmete ein weiteres Mal tief ein, „wenn… wenn mir etwas zustoßen sollte-“ „Nicht“, unterbrach der Undertaker sie. Er sagte es ganz leise und ruhig, aber Carina verstummte sofort. Sein Gesichtsausdruck verriet nicht das Geringste, aber Carina wusste, dass sein Herz heftig gegen seine Brust schlug. Der bloße Gedanke schmerzte ihn.
 

Sie schluckte. Dachte er vielleicht, dass sie dieses Gespräch mit ihm führen wollte? Absolut nicht. Aber es war notwendig und sie würde es durchziehen!
 

Sie legte ihm eine Hand auf die Brust und jetzt konnte sie seinen rasenden Herzschlag unter ihren Fingerkuppen ganz genau spüren. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, als sie es nunmehr ein drittes Mal versuchte. „Wenn ich es nicht lebend aus diesem Kampf heraus schaffe, dann musst du dich um Lily kümmern. Verstehst du mich?“ Seine Augen weiteten sich, aber ehe er etwas darauf erwidern konnte, fuhr die 19-Jährige bereits fort. „Du darfst um mich trauern, aber du darfst Lily dabei nicht vergessen. Niemals darfst du unsere Tochter vergessen.“ Sie holte tief Luft. „Und bitte... bitte versuch niemals, mich zurückzuholen. Du weißt, dass ich das nicht will.“
 

„Carina…“, seine Stimme klang belegt, als er ihren Namen sagte und er sah sie so flehentlich an, dass sie ihre Worte am liebsten zurückgenommen hätte. Aber sie blieb hart.
 

„Versprich es mir!“
 

Er schluckte und schloss kurz die Augen, ehe er sie wieder öffnete und sie mit einem Blick ansah, der seine verletzliche Seite so klar offenbarte, dass es Carina für einen Moment den Atem raubte. „Ich verspreche es“, wisperte er. Sie wusste, dass es nicht der erste Teil des Versprechens war, der ihm schwer fiel. Sondern die bloße Tatsache, dass er sie verlieren konnte und es dann auch noch akzeptieren musste. Vielleicht war sie selbstsüchtig. Vielleicht war es selbstsüchtig und egoistisch von ihr, ihn um so etwas zu bitten. Aber der Gedanke, dass er sich mehr um ihre Wiederbelebung bemühen würde als um ihre gemeinsame Tochter… den konnte sie nicht ertragen. Lily würde es ihm irgendwann nachtragen, ihn vielleicht sogar hassen. Das konnte sie nicht zulassen!
 

„Danke“, flüsterte sie und umarmte ihn – fest. Beinahe sofort spürte sie, wie sich seine Arme um sie legten und sie ebenfalls fest umschlungen hielten. Ihr Kopf lag nun seitlich an seinem Brustkorb und erleichtert stellte sie fest, dass sein Herzschlag sich wieder etwas beruhigt hatte. Er drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Ich habe es in der Vergangenheit zwar schon öfters gesagt, aber du machst mich wahnsinnig“, murmelte er und die Schnitterin spürte, wie sich ihr schlechtes Gewissen erneut regte.
 

„Tut mir leid“, erwiderte sie kleinlaut gegen seine Brust, die sich leicht hob, als er seufzte. „Du weißt, wie ich das meine“, antwortete er. „Ja, ich weiß. Das macht es nur leider nicht besser“, sagte sie leise und hob jetzt ihren Kopf, um ihn direkt anzuschauen. „Ich wünschte, ich könnte dir versprechen, dass alles gut wird und mir nichts passiert. Aber das kann ich nicht. Ich gebe nun einmal grundsätzlich keine Versprechen, die ich möglicherweise nicht halten kann.“ „Und das ist auch gut so. Glaube mir, es gibt mitunter nichts Schlimmeres, als ein Versprechen zu brechen. Wenn man so viel Lebenserfahrung hat wie ich, dann kennt man sich da aus.“ „Wirst du es mir irgendwann erzählen?“, fragte Carina plötzlich, aber ohne jegliche Art von Druck. „Wirst du mir irgendwann erzählen, wie es… wie es dazu kam?“ Sie sprach es nicht direkt aus, aber man brauchte auch so nicht viel Phantasie, um zu verstehen was sie damit meinte. Das Thema, was für alle Todesgötter schwierig war.
 

Cedric zögerte nicht, als er ihr ein liebevolles Lächeln schenkte. „Irgendwann“, sagte er und sie wusste, dass es ein weiteres Versprechen war. Und sie würde warten. Für ihn würde sie eine ganze Ewigkeit warten.
 

„Es gibt allerdings eine Sache, die du mir versprechen kannst, Carina“, meinte er plötzlich und die Blondine horchte auf. „Ja?“ „Spiel nicht die Heldin. Ich weiß, ich habe es bei unserem gemeinsamen Training bereits gesagt, aber wenn es eng für dich wird, dann lauf lieber weg. Mir ist bewusst, dass du das anders siehst, aber im Ernstfall wegzulaufen ist keine Schwäche. Und-“ „Ich verspreche es“, unterbrach sie ihn. Das war das Mindeste, was sie für ihn tun konnte. Der Bestatter atmete erleichtert auf. „Gut“, entgegnete er leise und drückte ihr erneut einen sanften Kuss mittig auf den Kopf.
 

„Ich verlasse mich drauf.“
 

„Du siehst müde aus, Ronald“, sagte die blonde Empfangsdame namens Olivia und wirkte aufrichtig besorgt, als sie die unübersehbaren Augenringe des jungen Schnitters betrachtete. Angesprochener brachte nur ein schwaches Lachen hervor. „Süße, das bin ich auch“, antwortete er und gähnte einmal herzhaft. „Ich schiebe momentan an einem Stück Überstunden. Und es nimmt einfach kein Ende.“ Logischerweise erwähnte er mit keinem Wort, dass das praktisch seine eigene Schuld war. Oder eher Williams, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man das ganze betrachten wollte.
 

„Du Armer“, meinte Olivia mitfühlend und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Und Ronald reagierte trotz seiner Müdigkeit wie gewohnt darauf. Seine Hand legte sich über ihre und er schenkte ihr ein charmantes Lächeln, während er sagte: „Weißt du, ich wüsste da etwas, was mir beim Einschlafen helfen könnte-“ Doch bevor er das Offensichtliche weiter ausführen konnte, unterbrach ihn eine laute Stimme. „Na endlich, da bist du ja.“ Der Schnitter drehte sich um und entdeckte Grell, der gerade das Verwaltungsgebäude betreten hatte und nun mit raschen Schritten auf ihn zukam. „Ah, liebster Grell, was verschafft mir denn die Ehre?“, meinte der junge Mann und klang dabei beinahe so, als würde er jedes einzelne Wort ernst meinen. Grell verdrehte die Augen, packte Ronald wortlos am Arm und zog ihn von der Rezeption – und einer ziemlich verdutzt dreinblickenden Olivia – weg. „Hey, was soll das?“, beschwerte dieser sich auch sogleich und stolperte hinter seinem älteren Kollegen her.
 

„Wir müssen zu William. Es gibt Neuigkeiten und ich will nicht alles zweimal erklären müssen“, erwiderte der Rotschopf eine Spur genervt und ließ Carinas ehemaligen Mitschüler nun endlich los, der ihm widerstandslos folgte. „Was soll das heißen, es gibt Neuigkeiten? Ist etwas passiert? Geht es allen gut?“, fragte Ronald nervös und dachte dabei in allererster Linie an Carina, die sich immerhin einen ehemaligen Erzengel zum Feind gemacht hatte.
 

„Natürlich geht es allen gut. Glaubst du wirklich, dass ich so ruhig bleiben würde, wenn es nicht so wäre?“, erwiderte Grell amüsiert und grinste. „Keine Sorge, es sind keine schlechten Neuigkeiten. Na ja, auch keine sonderlich guten, aber das kriegen wir schon irgendwie hin.“
 

Gemeinsam stiegen sie die Treppenstufen, die zu Williams Büro führten, hinauf und als Grell zweimal fest gegen die Tür klopfte, ertönte sogleich ein förmlich klingendes „Herein“. Die beiden Todesgötter traten ein und zeitgleich hob William den Kopf von seinen Unterlagen, eine Augenbraue irritiert in die Höhe gezogen. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir einen Termin hatten, Sutcliff“, meinte der Schwarzhaarige und Grell konnte sich nur mit größter Mühe ein Schnauben verkneifen. „Ah, jetzt bin ich wieder Sutcliff.“
 

„Da ich ja weiß, wie sehr du es schätzt immer direkt über alles informiert zu werden“, begann Grell, denn diesen kleinen Seitenhieb konnte er sich einfach nicht verkneifen, „bin ich direkt zu dir gekommen, William.“ Nicht nur Ronald fiel auf, dass Grells Stimmung merklich kühler war als sonst, wenn er mit ihrem gemeinsamen Vorgesetzten sprach. Ganz zu schweigen davon, dass er ihn nicht wie gewohnt Will nannte. Aber keiner sprach es an.
 

Der rothaarige Reaper zog zwei Karten aus der Innentasche seines Mantels hervor. Die eine reichte er Ronald, die andere ließ er genau vor William auf den Schreibtisch fallen. „Das hier sind eure jeweiligen Einladungen für den Ball, den der junge Earl Phantomhive veranstalten wird. Ich hatte euch ja bereits erklärt, was wir damit bezwecken. Jetzt steht endlich das Datum fest und wir – Carina und ich – würden gerne wissen, ob ihr gedenkt ebenfalls dort zu erscheinen.“ „Oder uns mit dieser ganzen Misere allein lasst.“
 

Ronalds Kommentar dazu ließ natürlich nicht lange auf sich warten. „Wow, wie förmlich und schick“, meinte er und besah sich das teure Anschreiben ganz genau. Seine Augen leuchteten kurz auf. „Klar bin ich dabei“, antwortete er begeistert und Grell hätte ihn nicht besonders gut kennen müssen, um zu wissen, woher diese gute Laune plötzlich kam. Sicherlich stellte er sich bereits all die adeligen Damen vor, die er mit seiner bloßen Anwesenheit beglücken konnte. Oder vielleicht sogar mit mehr als nur seiner Anwesenheit…
 

William hingegen blieb ihm erst einmal eine Antwort schuldig. Er besah sich das Einladungsschreiben ganz genau und erst, als er scheinbar jedes einzelne Wort auseinandergenommen und genauestens verinnerlicht hatte, sah er wieder auf. „Dieser Termin kommt früher als erwartet“, sagte er schließlich und Grell zog irritiert die Augenbrauen zusammen. „Nun… ja“, antwortete er. „Aber ehrlich gesagt heißt es in diesem Fall wohl: Je früher, desto besser. Umso schneller sind wir Samael los. Umso schneller kann alles wieder seinen gewohnten Lauf nehmen.“ Letzteres sagte er vor allem aus dem Grund, weil er wusste, wie sehr William Normalität und gewohnte Abläufe schätzte. Und tatsächlich blitzte bei diesen Worten so etwas wie Ehrgeiz in Williams Augen auf.
 

„Nun gut. Ich werde ebenfalls anwesend sein.“ „Wunderbar“, seufzte Grell und meinte es in diesem Moment nicht einmal sarkastisch. Für jeden einzelnen kampffähigen Verbündeten konnten sie dankbar sein. „Ich sage Carina Bescheid. Falls euch noch irgendwelche Fragen einfallen, dann wendet euch einfach an mich“, sagte der Rotschopf und es war klar ersichtlich, dass er dieses Büro nun, wo er alles gesagt hatte, auf schnellstem Wege wieder verlassen wollte.
 

William öffnete den Mund, aber Grell tat so, als hätte er es nicht gesehen. Beinahe rennend verließ er das Zimmer, dankbar dafür, dass es ihm gelungen war eine normale Fassade aufrechtzuerhalten; sein Gesicht zu wahren. Williams Anwesenheit allein machte ihm das nämlich bereits wirklich nicht leicht. Nicht nach den letzten Gesprächen, die sie miteinander geführt hatten.
 

Sowohl William als auch Ronald schauten dem rothaarigen Reaper ein wenig fassungslos nach, aber der jüngere Schnitter war der Erste, der sich wieder fasste. Seine Augen huschten zu William und er räusperte sich. „Also…“, begann er und wartete darauf, dass sein Vorgesetzter ihn wieder ansah. „Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, Mr. Spears“, fuhr er fort und zuckte einmal mit den Schultern, „aber was auch immer zwischen ihnen beiden vorgefallen ist, ich würde es schnellstmöglich klären. Bevor es wirklich hässlich wird.“ Ronald zuckte zusammen, als ihn daraufhin ein scharfer Blick seitens Williams traf. „Sie haben Recht, Knox. Es geht Sie nicht das Geringste an.“ Ronald hob beide Hände abwehrend hoch. „Schon gut, schon gut, ich halte mich raus“, sagte er und ließ William in seinem Büro alleine.
 

Der Schwarzhaarige atmete tief durch die Nase aus und starrte in Gedanken versunken auf seinen Schreibtisch. Früher hatte er gedacht, dass Grells Anhänglichkeit und sein flirtendes Gehabe das Nervigste war, was ihm passieren konnte. Jetzt wusste er es besser. Grells vorheriges Verhalten mochte ihm auf die Nerven gegangen sein, aber seine jetzige abweisende Art und das Zeigen seiner kalten Schulter trieben ihn langsam aber sicher in den Wahnsinn!
 

Ronald Knox hatte zwar absolut keine Ahnung, worum es hier ging, aber er hatte trotzdem Recht. Er musste diese Angelegenheit mit Grell schnellstmöglich klären, wenn er jemals wieder ein normales Arbeitsverhältnis zu ihm aufbauen wollte.
 

Und das war schließlich das, worum es ihm hierbei ging und um nichts anderes!
 

„Autsch“, entfuhr es Carinas Mund automatisch, als sie ein ausgestrecktes Bein hart im Rücken traf und sie dadurch ein paar Schritte nach vorne stolperte. Hinter ihr schnaubte Cedric belustigt auf. „Ich hab’s dir schon einmal gesagt, achte mehr auf deine Deckung.“ Carina konnte sich nur mit größter Mühe das Ziehen einer Schnute verkneifen, als sie sich über die schmerzende Stille direkt über dem Steißbein rieb. „Das hier macht dir richtig viel Spaß, was?“, fragte sie ihn genervt und der Bestatter grinste. „Es würde mir noch viel mehr Spaß machen, wenn du dich mehr anstrengen würdest und ich dich nicht ständig treten müsste.“ Jetzt zog die Schnitterin doch eine Schnute. „Ich strenge mich an“, erwiderte sie beleidigt.
 

Was blieb ihr in einem Kampf mit Cedric auch anderes übrig?
 

„Nicht genug“, erwiderte der Silberhaarige ernst und schwang im nächsten Moment seine Sense. Carina fluchte, als sie gezwungen war seine Klinge mit der ihren aufzuhalten. Der Druck ließ ihre Füße weiter im nassen Waldboden versinken und sie notierte sich gedanklich bereits, dass Cedric und sie die Stiefel ausziehen mussten, bevor sie das Bestattungsinstitut betraten. Ihr Partner schien mit Dreck im Haus zwar kein sonderlich großes Problem zu haben, aber Carina sah das ein wenig anders. Sie hatte keinen Reinlichkeitsfimmel, bei weitem nicht, aber zumindest schämen wollte sie sich für das Aussehen ihres Zuhauses nicht.
 

„Ich will nicht unhöflich sein“, presste sie hervor und versuchte das Brennen ihrer Oberarmmuskulatur zu ignorieren, „aber könntest du deine Sense nicht einmal außen vor lassen? Ich glaube kaum, dass Samael mit einer kämpfen wird und wenn ich ganz ehrlich bin, geht sie mir einfach mächtig auf den Geist.“ Cedric schob als Antwort seine Unterlippe schmollend vor. „Keine Beleidigungen gegenüber meiner Death Scythe, ja? Sie und ich haben schon so einiges zusammen durchgemacht. Außerdem mag sie es gar nicht, wenn man sie ausschließen möchte.“ „Herrje“, murmelte Carina und verdrehte die Augen – was ein Fehler war, denn genau diesen Moment nutzte Cedric, um ihr mit einer simplen Bewegung das linke Bein wegzuziehen. Die 19-Jährige stolperte einen Schritt nach vorne und nur durch ein schnelles Ducken konnte sie verhindern, dass seine geliebte Sense ihr eine neue Frisur verpasste. In einer fließenden Bewegung konterte sie nun ihrerseits mit einem Tritt, der den Undertaker allerdings knapp verfehlte. Sein Grinsen wurde breiter.
 

„Außerdem geht es hier gar nicht darum, dass Samael vermutlich gar keine Sense benutzen wird. Sondern um die Übung, sich jederzeit an verschiedene Kampfsituationen anpassen zu können.“ Er holte zu einem erneuten Schlag mit seiner Sense aus, dem Carina jedoch erneut rechtzeitig ausweichen konnte. „Du weißt, wie man gegen ein anderes Schwert kämpft. Wenn nicht durch deine Kämpfe gegen Crow, dann allein durch die Tatsache, dass du selbst eines benutzt. Aber in einem Kampf gegen eine Sense musst du anders vorgehen. Und das kann dir bei jeder anderen Waffe genauso gehen. Nimm William als Beispiel. Seine Death Scythe ist eine Gartenschere, also müsstest du dabei ebenfalls umdenken, nicht wahr?“
 

Carina nickte. „Ja, sie hat die Reichweite deiner Sense, aber ist durch ihre Form nicht so flexibel einsetzbar. In der Hinsicht ähnelt sie eher einem Schwert.“ „Richtig“, bestätigte er. „Je mehr Formen des Kampfes du trainierst, umso eher bist du auf andere Waffen in anderen Situationen eingestellt. Nicht, dass ich es dir nicht zutrauen würde, dass du im Notfall improvisieren könntest, denn den Verstand dazu hast du zweifelsohne. Aber es kann trotzdem nicht schaden jetzt schon einmal verschiedene Bewegungsabläufe zu üben.“
 

Carina grinste. „Weißt du, dass ich dieses Oberlehrerverhalten von dir echt scharf finde?“, meinte sie vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen und warf ihm einen leicht koketten Blick zu. Der Undertaker blinzelte und jetzt war es an Carina, die kleine Sekunde der Irritation auszunutzen. Blitzschnell wechselte sie ihre Schwerthand und zielte mit der Klinge auf seine rechte Schulter. Cedric wich rechtzeitig aus, um einer blutenden Wunde zu entgehen, doch der Stoff seines Mantels wies nach ihrem Angriff dennoch einen länglichen Riss auf.
 

Mit erhobenen Augenbrauen sah er sie an, während sie ihn weiterhin lediglich angrinste. „Hast du gerade ernsthaft mit meiner Wenigkeit geflirtet, um mich abzulenken und anschließend einen Angriff zu starten?“ „Und warst du nicht derjenige, der mir erst letztens noch gesagt hat, dass man jede Schwäche seinen Gegners erkennen und ausnutzen muss?“, stellte Carina ihm die passende Gegenfrage und konnte sich ein kurzes Kichern nun wahrlich nicht mehr verkneifen. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er sie lachen hörte. „Kleines, freches Ding“, entgegnete er und ehe die Todesgöttin sich versah, hatte er sie an sich herangezogen, wirbelte sie einmal wie bei einem Tanz im Kreis herum und küsste sie anschließend fest auf den Mund. Carina lachte erneut kurz auf, erwiderte dann aber den Druck seiner Lippen und legte ihm eine Hand in den Nacken.
 

„Falls es dich beruhigt“, wisperte sie nahe seines Mundes, als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, „ich habe das eben durchaus ernst gemeint.“
 

„Na, das will ich ja wohl auch schwer hoffen“, meinte er grinsend. „Heh heh… aber ich fürchte, dass das bei Samael eher weniger funktionieren wird.“ „Ich kann’s ja mal ausprobieren“, erwiderte sie provokant und handelte sich dafür sofort einen leichten Klaps auf den Hintern ein. „Untersteh dich“, raunte er zurück und küsste sie ein weiteres Mal.
 

Zwei Tage waren seit ihrem Besuch des Hopkins Tailor Shops vergangen. Keiner sprach es aus, aber je näher der Abend des Balls rückte, desto angespannter wurde jeder einzelne von ihnen. Carina spürte diesen unterschwelligen Druck auf ihrem Magen, der sie jetzt den ganzen Tag über begleitete und auch zu keiner Zeit mehr nachließ. Nachts schreckte sie wesentlich schneller als normalerweise aus dem Schlaf und tat sich danach schwer wieder einzuschlafen. Die Symptome erinnerten sie beinahe schon ein wenig an die Zeit zurück, als ihre Abschlussprüfungen zur Schnitterin vor der Tür standen. Auch damals hatte sie sich komplett verrückt gemacht. Grundlos, zugegeben, aber das war mit Sicherheit jetzt nicht der Fall. Nur ein Vollidiot würde ohne Angst in solch einen Kampf gehen. „Tja gut, generell müssen wir alle Vollidioten sein, wenn wir sehenden Auges in einen Kampf mit einem ehemaligen Erzengel reinmarschieren.“
 

Sie hatte im Bunker am Tag von Crows Tod gesehen, wie mächtig ein Erzengel war. Während Sebastian, Grell und sogar Cedric an der unsichtbaren Wand gescheitert waren, hatte es Uriel lediglich mit einem Fingerschnippen geschafft die Barriere zu zerstören. Samael mochte zwar durch seinen Sturz den Großteil seiner Kräfte verloren haben, aber man durfte nicht außer Acht lassen, dass er nun die Kräfte eines Teufels besaß. Er war ganz offensichtlich stärker als Sebastian; auch, wenn dieser das niemals so offen zugegeben hatte. Und so wenig Carina den Butler auch mochte, seine Stärke erkannte sie an. Dementsprechend verspürte sie bei dem bloßen Gedanken an einen noch mächtigeren Teufel durchaus einiges an Respekt. Was ihr nebenbei bemerkt überhaupt nicht gefiel.
 

Das Training mit Cedric war weiterhin hart. Obwohl Carina seinen Bewegungen mittlerweile wesentlich besser folgen konnte, hatte sie doch das Gefühl, dass sie keine nennenswerten Fortschritte machte. Dass der Silberhaarige das anders sah, interessierte sie dabei herzlich wenig.
 

„Du wirst besser“, sagte er eindringlich, während sie sich auf den Rückweg zum Bestattungsinstitut machten. Carina schnaubte. „Sagt derjenige, der mich heute zum wiederholten Male in den Boden gestampft hat.“ Der Bestatter seufzte. „Du erwartest zu viel von dir. Niemand würde es innerhalb so kurzer Zeit schaffen einen Trainingsstand zu erreichen, für den ich mehrere Jahrhunderte gebraucht habe.“ Er stupste ihr mit dem langen Nagel seines Zeigefingers gegen die Nase. „Du hast es bereits von Grell und auch von mir gehört. Deine Fortschritte im Kampf sind bemerkenswert. Du hast Talent, daran besteht kein Zweifel. Reicht dir das nicht?“
 

„Wenn es hier nur um mein eigenes Empfinden gehen würde, dann würde ich gar nicht erst gegen dich kämpfen, weil mir meine bisherigen Fortschritte definitiv ausreichen. Das kann ich dir versichern“, antwortete sie. „Aber darum geht es hier doch nicht, oder? Es geht darum, dass ich irgendwie diesen Kampf mit Samael überstehen muss. Und zwar lebend, wenn es nach mir geht.“
 

Cedric warf ihr einen ernsten Blick zu. „Wenn es nach mir geht, dann wirst du in diese Situation erst gar nicht kommen, weil dieser Teufel viel zu sehr mit mir beschäftigt sein wird.“ „Tja, und wie wahrscheinlich ist das bitte?“, fragte sie mit einem ironischen Unterton und rieb sich genervt die Stirn. „Nichts gegen deine Kampfkraft, Cedric. Ich bin die Letzte, die dagegen etwas sagen würde. Aber wie oft kam es schon zu Situationen, die wir einfach nicht vorhersehen konnten?“ Sie seufzte. „Ich bin lieber für das Worst Case Szenario vorbereitet, als darauf zu hoffen, dass es nicht so weit kommt.“ „Ich fürchte, dass uns auch leider nichts anderes übrig bleiben wird“, murmelte Cedric und klang dabei seltsam frustriert. Seltsam deswegen, weil sie diesen Gefühlszustand von ihm so gar nicht kannte.
 

„Wir werden es schon irgendwie schaukeln“, sagte sie und wollte jetzt ausnahmsweise einmal ihn beruhigen. „Grell, William und Ronald sind doch auch noch da. Herrgott, selbst auf Sebastian können wir dieses Mal zählen. Wir schaffen das. Als… als Team.“ „Heh heh… ist schon lange her, dass ich mich mal als Teil eines Teams bezeichnen konnte“, erwiderte der Silberhaarige sichtlich amüsiert. Er warf Carina einen Seitenblick zu. „Aber es fühlt sich gut an.“ Sie lächelte und kam nicht umhin ihn ein wenig zu necken. „Na ja, würdest du alle um dich herum nicht immer so verunsichern, hättest du das mit Sicherheit schon früher haben können.“
 

„Aber es macht einfach viel zu viel Spaß“, gackerte er laut, während nun endlich das Institut in Sichtweite rückte. „Die geschockten Gesichter sind einfach viel zu lustig, als das ich mich zurückhalten könnte.“ Carina seufzte. „Mein Fehler, warum sage ich überhaupt noch etwas dazu?“, fragte sie sich selbst und ließ es zu, dass Cedric ihr die Tür offen hielt. „Ganz der Gentleman, was?“, zwinkerte sie und lächelte geschmeichelt, als er daraufhin ein amüsiertes „Für dich doch immer“ erwiderte.
 

Allerdings verging ihr das Lächeln relativ schnell wieder, als sie ihren Blick ins Innere des Instituts richtete. „Was ist denn hier los?“, fragte sie und blinzelte mehrere Male ob des Bildes, das sich ihr bot. Rechts von ihr saß Ronald auf einem Sarg, hatte den Rücken an einem weiteren Sarg angelehnt und den Kopf auf der Brust, tief und fest schlafend. Grell saß hinter dem Tresen auf einem Stuhl und schien ebenfalls ein Nickerchen zu halten. Sein rechter Arm hielt Lily auf seinem Schoß, die begann jauchzend zu lachen, als sie ihre Eltern sah und scheinbar überhaupt kein Problem damit hatte, dass ihre Aufpasser momentan nicht ansprechbar waren.
 

„Herrje“, gluckste Cedric, doch Carina fand es eher weniger witzig. Mit schnellen Schritten war sie bei Grell und nahm ihm ihre Tochter ab, ehe sie die Stimme erhob. Und zwar laut. „Ey, ihr Helden!“
 

Beide Todesgötter schreckten so heftig zusammen, dass sie beinahe von ihrem jeweiligen Sitzplan herunterrutschten. „Ich weiß nicht, was du hier machst, Ronald, aber Grell, du solltest eigentlich auf Lily aufpassen“, meinte die junge Mutter sarkastisch und warf dem silberhaarigen Bestatter einen bösen Blick zu, als dieser leise kicherte. Grell wirkte über sich selbst erschrocken. „Verdammt“, stöhnte er und klatschte sich einmal mit beiden Händen ins Gesicht, um wieder richtig wach zu werden. „Entschuldige bitte, Carina. Ronald kam nach seiner Schicht kurz vorbei und ist eigentlich direkt eingeschlafen und ich… ich dann wohl auch“, seufzte er und rieb sich peinlich berührt über die Stirn. „Wundert dich das?“, gähnte Ronald in Grells Richtung und rieb sich die Augen. „Bei den ganzen Überstunden, die wir momentan machen müssen? Ich weiß echt nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“
 

Unmittelbar erreichte Carina ihr schlechtes Gewissen. Dass die beiden zurzeit so viel arbeiten mussten, war streng genommen ihre Schuld. „Macht es einfach nicht wieder“, nahm Cedric ihr die Worte aus dem Mund und streckte die Hände nach seiner Tochter aus. Diese ließ sich widerstandslos in seine Arme sinken und griff wie so oft nach seinen langen Haarsträhnen. Der Undertaker grinste und verabschiedete sich nach oben, während Grell auf seine Taschenuhr sah. Seine Augen weiteten sich erschrocken. „Um Gottes Willen, ich muss los“, rief er und rappelte sich hoch. „Meine Schicht hat vor 5 Minuten angefangen. Oh, William bringt mich um, wenn ich schon wieder nicht alle Seelen schaffe.“
 

„Grell“, begann Carina, doch der Rothaarige ließ ihr absolut keine Zeit ihren Satz zu Ende zu führen, denn bereits im nächsten Augenblick rannte er zur Tür hinaus. Carina blinzelte. „Er hat mich einfach stehen lassen“, sagte sie fassungslos und schaute zu Ronald, der sein vom Schlafen zerzaustes Haar wieder in Ordnung brachte. „Nimm’s ihm nicht übel, wir haben im Moment einfach viel Stress. Ich bin nach jeder erledigten Schicht froh, das kannst du mir glauben.“
 

Die Deutsche seufzte. Sobald die Sache mit Samael ausgestanden war, würde sie Grell bei seinen Schichten mehr als bisher zur Hand gehen, so viel stand fest. Aber dazu konnte sie sich später noch Gedanken machen. „Dein Dienst ist aber für heute beendet, oder?“ „Jap“, grinste Ronald und rieb sich über seine deutlich sichtbaren Augenringe. Nicht, dass das etwas half.
 

Carina lächelte schief. „Wie wär’s mit einem Kaffee?“



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