Wintersonett von Rakushina (Which dreamed it?) ================================================================================ Konzert II - UNBIRTHDAY, 2. Satz, Andante ----------------------------------------- 𝄡 „Und, kommst du vorwärts?“ Tinkermon, auf den Bauch und auf einem der Bücher liegend, dass ihr Babamon als Lernaufgabe aufgezwungen hatte, sah hoch und hinüber zu Tsukaimon. Dieser saß ihr gegenüber und quälte sich mit Mathematik. „Warum nochmal muss ich das lernen?“ „Weil Babamon sagt, Mathematik ist der Schlüssel zu allem", erklärte Tinkermon. „Rechnen ist der Grundstein für Alchemie, Magie und ganz vielen anderen Dingen.“ „Babamon sagt auch immer wir hätten Diensttag.“ „Na ja, in einen von sieben Fällen hat sie auch Recht. Das ist eine gute Trefferquote für ein Digimon wie sie.“ Vor allem im Vergleich zu Jijimon, der nie wusste welcher Wochentag war und manchmal auch nicht welcher Monat. Schnaufend sah Tsukaimon sich seine Aufgaben an. Sein Kopf brummte und er hätte sich lieber, so wie Tinkermon ein Buch geschnappt. Bücher über Alchemie. Bücher darüber, in wessen Schatten die Digiwelt lag. Bücher darüber, was Menschen waren und mehr wie nur Gerüchte oder Märchen. Was Ordnung und Chaos, Licht und Dunkelheit waren. Gerade an diesen Bücher hing er sehr gerne und las sie mehrere Male. Das war so viel interessanter. Wohl hatte Tinkermon sein verzweifeltes Gesicht bemerkt, denn sie kam, kurz nachdem Tsukaimon seinen langen Seufzer in die Luft blies zu ihm hinüber geflogen und ließ sich im Schneidersitz neben ihm nieder. „Du bist müde, oder?“ „Gelangweilt. Du glaubst nicht wie neidisch ich bin, weil du diese Bücher lesen darfst“, schnaubte er grimmig. Doch statt wieder sich den Brüchen und Gleichungen zu widmen, sah er weiter Tinkermon an, die ebenso wenig daran dachte, das zu machen, was sie machen sollte. „Ist was?“, fragte Tsukaimon, nachdem sie sich fast eine Minuten nur angesehen hatten. „Weißt du, dieses Nachdenkliche passt zu dir.“ „Ähm... ja?“ Die Flügelohren, die Tsukaimon erst hängen ließ richteten sich wieder auf. Dann blinzelte er einige Male. „Wenn du nachdenkst, sieht dein Gesicht entspannter aus. Nicht mehr so grimmig und mies gelaunt wie immer. Dann sind deine Augen auch viel klarer. Das sieht viel besser aus.“ „Wenn mich das aufheitern sollte, war das ein jämmerlicher Versuch.“ „Ich wollte nur etwas ehrliches sagen.“ „Lass es in Zukunft.“ Tinkermon schmollte, die Lippen angespitzt, aber sie blieb immer noch sitzen. Sie stützte die Arme ab und legte ihren Kopf in die Hände. Wenn sie so da saß, so dachte sich Tsukaimon, nichts sagte und so dreinschaute, ganz aufmerksam und konzentriert, war sie eigentlich ganz in Ordnung. Nur war sie die meiste Zeit nicht so. „Tinkermon, Tinkermon!“, riefen hohe Stimmen von draußen. Die Tür des Studierzimmers, in dem Tsukaimon und Tinkermon waren wurde aufgeschlagen. Zwei Botamon und ein DemiMeramon kamen reingestürmt und Tsukaimon vermutete schon, dass sie sich wieder ein albernes Spiel überlegt hätten, dass sie mit ihnen spielen sollten. Sie waren aufgeregt, aber nicht vor Freude. „Was habt ihr denn?“ „G-Geister! Geister!“, schrien die beiden Botamon. „Da draußen sind Geister, Tinkermon!“ „Geister?“, wiederholte sie ungläubig. „Ihr meint Bakemon, oder so?“ „Nein, Geister! Große Geister! Da im Flur, es ist in die Bibliothek gegangen“, erklärte das DemiMeramon aufgebracht, was ebenso die beiden Botamon animierte lauter und wehleidiger zu flennen, bis Tsukaimon das Gefühl hatte, ihm würden die Ohren bluten. Wenn das als digitales Wesen überhaupt so möglich war, wie er sich das vorstellte. „Jetzt reißt euch mal zusammen!“, schimpfte er, gerade als Tinkermon anfing die jungen Digimon mit Tätscheln und sanften Worten zu beruhigen. „Was sollen es sonst für Geister sein, außer Bakemon? Und wie sollen die hierher kommen, bei der dicken Nebelwand?“ „A-Aber wir haben es gesehen!“, jammerte eines der Botamon. „Eine große Gestalt, ganz in weiß.“ „Das war wenn ein großes Hirngespinst. Ich beweise es euch und gehe nachsehen.“ Davon wollte Tinkermon ihn noch abhalten, aber Tsukaimon hatte den Raum schon fliegend verlassen. Er schwebte mitten im Gang. Es war bereits dunkel, draußen wie drinnen, nichts ungewöhnliches, aber irgendwie kam ihm der Korridor schwärzer vor wie sonst. Die Bibliothek, die Jijimon und Babamon gehörte war gerade mal zwei Räume von dem Studierzimmer entfernt, dennoch wagten weder Tsuakimon noch Tinkermon es dort ungefragt hinzugehen, da die beiden alten und verwirrten Digimon es ihnen verboten hatten. Vermutlich fürchteten sie die beiden würden Unordnung in dieses Chaos bringen, dass Babamon System nannte. Wenn er jedoch Ruhe von diesen Heulsusen haben wollte, musste er nachschauen. Es würde ja sonst keiner erfahren. Die Tür war nicht abgeschlossen (wie leichtsinnig), nur ein Kerzenständer mit drei Kerzen spendete Licht (noch leichtsinniger), da die Vorhänge an den großen Fenstern zugezogen waren. Bücher lagen verstreut auf einem der großen Tische auf den Tsukaimon schließlich zuflog und landete. Nun war er in der Mitte des Raumes, aber nichts wirkte danach, als sei etwas oder jemand hier gewesen, zumindest nicht vor kurzem. „Etwas gefunden?“, rief Tinkermon hinein, dann flog sie zu Tsukaimon. Dieser schaute stutzig. „Kein Protest? Ich dachte, jetzt käme etwas wie, Nein wir dürfen hier nicht sein, Babamon schimpft mit uns, oder ähnliches.“ „Normalerweise schon“, entgegnete sie. „Aber wir reden hier von Geistern. Da muss man doch einmal seiner Neugierde nachgeben, wenn etwas so hochinteressantes passiert. Oder nicht?“ Tsukaimon nickte, dann flog Tinkermon zufrieden die Reihen der Bücherregale entlang, in der Hoffnung dort etwas zu finden. So energisch, vor allem so gar nicht anständig und dafür aber willensstark kannte Tsukaimon sie gar nicht. Das machte sie gleich sympathischer. Wenn sie öfter nur so wäre. Tsukaimon entschloss sich, einen Blick auf die Bücher zu werfen, wer weiß, vielleicht gaben sie etwas her. Vieles davon war jedoch in einer fremden Sprache. Digimojis. Eine alte Sprache, eine Sprache noch vor der Apartheid, die die Digiwelt immer mehr verlernte und sich einer anderen Sorache und Schrift zuwandt, die leichter zu entwickern war. Mal abgesehen davon, dass diese Bücher Babamon geschrieben hatte. Das hieß, dass diese Bücher größtenteils Wörter und Formulierungen beinhalteten, auf die kein vernünftig denkendes Digimon kommen würde. Babamon brachte ihren beiden Schülern zwar diese alte Sprache und Schrift bei, aber sie taten sich beide schwer, nicht zuletzt, weil sie nicht wussten ob die Vokabeln, die sie lernten korrekt waren, oder Babamon sich Worte ausdachte. Tsukaimon überflog mit den Augen ein paar der Bücher, las einzelne Sätze um so grob herausfiltern zu können, was dies für Bücher waren. Wie es aussah jedoch überwiegend Bücher über Digimon-Geschichte. Auch nicht uninteressant. OMNIA AUTEM HONESTE ET SECUNDUM ORDINEM FIANT las Tsukaimon schließlich auf einer Seite, nicht wissend genau über was das Buch, indem dieser Satz stand handelte. Tsukaimon schob die Bücher, die über diesem lagen beiseite (Tinkermon bekam nichts mit, sie war selbst in ihr Tun vertieft) um mehr sehen zu können. Überraschenderweise handelte das Buch über Politik (STRUKTUR UND INNERE SYSTEMTIK DER SERUMISCHEN DEMOKRATIE), dass konnte Tsukaimon soweit fehlerfrei übersetzen, während der Text zu viele Vokabeln beinhaltete, die er noch nicht kannte. Oder, wie sein Verstand sagte, nicht mehr, warum es auch immer nicht mehr hieß, aber da war dieser Gedanke, verloren, aber sichtbar, wie eine kleine Kerze in einem absolut lichtlosen Raum. Dafür fand er aber ein anderes Wort, ein Vertrautes, dass sowohl in der alten, als auch der neuentwickelten Sprache gleich hieß. Typus-Apartheid. (Omnia autem) Ihm wurde schlecht, so plötzlich und überraschend, als hätte ein anderes Digimon Tsukaimon in den Bauch geschlagen. Seine Arme zitterten, er konnte sich kaum halten und dann war da noch dieses Echo (honeste et secundum) gleich Glockenschlägen, Nein, jemand sprach das, viele sprachen diesen Satz, ein ganzer Chor, voller Jubel und Euphorie (ordinem fiant) ohne zu wissen was und wem sie da zujubelten und applaudierten, für was das stand, was das bedeutet, was dies in die Köpfe der Digimon säte und sie jubelten einfach, ein Haufen närrischer Digimon, sie jubelten ihrem Ende entge- „Was macht ihr beide hier?“, brüllte Babamon los. Die beiden Botamon und das DemiMeramon standen verängstigt vor der Tür und spähten hinein, vermutlich hatte Babamon sie dabei erwischt. Tinkermons Schrei, der ihr aus der Kehle kam, als sie sich erschrak klang mehr nach einem Quietschen, Tsukaimon selbst brauchte eine Weile, bis er realisierte was los war, geschweige denn wo er war. Wütend stampfte Babamon an den jungen Digimon vorbei und blieb vor dem Tisch, auf den Tsukaimon saß stehen. Mit hängenden Kopf und ebenso niedrigen Schultern kam Tinkermon näher, wissend, was ihnen blühte, während Tsukaimon selbst noch brauchte, um sich innerlich zu ordnen. „Tinkermon. Wie lautet die Regel für die Bibliothek?“ „Nicht ungefragt reinschauen“, begann sie voller Scham. „Nicht ungefragt reingehen. Nicht ungefragt umschauen. Nicht ungefragte Dinge tun.“ „Und wieso tut ihr beide das dann? Ihr seid die Ältesten hier, wenn ihr euch so unartig aufführt seid ihr schlechte Vorbilder.“ „Botamon und DemiMeramon sagten, hier wären Geister.“ „Papperlapapp! Geister! In eurem Kopf vielleicht! Aufgeregt schwang Babamon ihren Besen im Kreis. Beide zuckten kurz, behielten aber ihre gerade Körperhaltung, um nicht noch kümmerlicher auf Babamon zu wirken. „Besonders du enttäuschst mich, Tinkermon. Du bist schon so lange hier, du kennst die Regeln und wie wichtig es ist Regeln einzuhalten.“ „Ich... E-Es...“ Tinkermon bemühte sich, weder mental, noch in ihrer Körperhaltung einzuknicken, aber sie tat sich schwer nicht zu zeigen, wie sehr sie sich schämte. Ihr Gesicht deutete weiter Richtung Boden. Mitleid hatte Tsukaimon für sie in dieser Situation wenig übrig. Sie war eigentlich selbst Schuld. Jedoch hatte er zu diesem Zeitpunkt schon begriffen, wie leicht Tinkermon für etwas zu begeistern war und wie ungezügelt ihre leicht zu entfachende Neugierde war. Ansonsten hätte sie im Traum doch nicht daran gedacht Babamons Anweisungen zu missachten. Und wer hatte sie entfacht? „Ich bin Schuld, Babamon. Ich bin voraus und habe sie angestiftet.“ Babamon riss die Augen so weit auf, dass selbst ihrer strenger Pony sich bewegte. Die bis eben noch Tränen nahe Tinkermon warf den Kopf so schnell beiseite, dass sie sich mit ihrem Zopf fast selbst ohrfeigte. „Mein Lieber -“, begann Babamon und beugte sich weiter zu Tsukaimon. Die Benommenheit, die er noch empfunden hatte hatte er überwunden. Alles vor ihm war klar und deutlich. So deutlich wie er seine Muskeln anspannte. Er mochte ein Rookie sein und Babamon ein Mega-Digimon, was nicht hieß, dass er sich einschüchtern lassen würde. Bestimmt nicht. Tsukaimon saß auf seinen Hinterbeinen, die Flügel eingezogen, aber nicht eng am Körper gelegt. Das mehr oder weniger angedeutete Kinn war erhoben. „Du musst hier nicht den Helden spielen und selbstlos für jemand anderen den Kopf herhalten. Nur Trottel machen das.“ „Selbstlosigkeit ist etwas für Idioten. Aber ich kenne die Regeln auch und bin einfach hier rein. Tinkermon dachte so weit gar nicht. Sie ist eben neugierig und wenn ich nach Geistern suchen will, natürlich geht sie mit, wenn andere schon vorgehen.“ „Ich bin aber freiwillig mitgegangen“, protestierte Tinkermon neben ihm. „Als verantwortungsbewusstes Digimon hätte ich das nicht tun dürfen und dich ermahnen sollen.“ „Aber ohne mich wärst du nicht mal auf die Idee gekommen. Ich habe angefangen. Ich bin Schuld, also ist es gerecht, wenn ich den meisten Ärger kriege.“ „Von Gerechtigkeit sprichst du?“, sprach Babamon. Es klang als lachte sie darüber, aber sie schaute sehr nachdenklich auf Tsukaimon. Ihre Augen unter ihrem Pony waren groß und rund. Das war nicht ungewöhnlich. Die immensen Schatten und Ringe darunter schon. Babamon sah erschöpft aus. Und, ebenso überraschend, war ihr Blick nicht stechend. Tsukaimon hatte sich das immer vorgestellt, aber wenn man sah, wie sie Tsukaimon anstarrte und dann zu Tinkermon, könnte man denken sie sei traurig, dann erleichtert gewesen. Tinkermon meinte, Babamon und Jijimon hätten in der Apartheid etwas Schreckliches erlebt. Sahen ihre Augen deswegen so aus? „So klein und doch so ein großes Mundwerk. Aber große Münder reden auch viel. Wenigstens zeigst du Einsicht. Du hast mehr Courage, wie man dir zutrauen würde. Selbst für ein Digimon wie dich“, sagte sie ungewohnt zufrieden. Babamon ging einen Schritt zurück, wohl um Tsukaimons Blicken auszuweichen. „Habt ihr eure Aufgaben wenigstens fertig?“, fragte sie nun wieder gewohnt streng. Tinkermon nickte, Tsukaimon schüttelte langsam den Kopf, worauf Babamon ihr Lächeln verzog. „Typisch, eine große Klappe, aber seine Arbeit liegen lassen. Geh wieder zurück und mach deine Aufgaben fertig, vorher will ich dich nirgendwo anders sehen. Hast du verstanden?“ „Ja, Babamon“, ächzte Tsukaimon, seiner sinkenden Laune entsprechend ließ er seine Flügelohren hängen. „Und ich werde mich um die kleinen Digimon kümmern. Haben Angst vor ihrer eigenen Fantasie. Kommst du mit und hilfst mir, Täubchen?“ Tinkermon hob überrascht den Kopf, dann folgte sie ihr, aber nicht ohne vorher lange zu Tsukaimon zu blicken, auch als sie längst die Bibliothek mit Babamon verlassen hatte. Täubchen war Babamons Kosename für Tinkermon, den sie aber kaum benutzte, schon gar nicht vor anderen Digimon. Sie nannte Tinkermon auch eigentlich nur so, wenn sie beim Lernen gute Leistung erbrachte und Babamon einer dieser seltenen Tage hatte, bei dem sie absolut klar im Oberstübchen war. Und die waren selten. „Ach, ich habe noch etwas vergessen.“ Als Tsukaimon hoch sah, längst damit abgefunden, dass er wohl die ganze Nacht an diesen bescheuerten Rechenaufgaben hängen würde, stand Babamon wieder vor ihm. Nicht dicht genug, dass er unter ihren Pony hätte lugen können. Sie stand schweigend vor ihm, schien zu überlegen, wirkte aber nicht mehr so tief in ihren Gedanken versunken wie zuvor. Ehe Tsukaimon fragen konnte ob alles in Ordnung sei, holte Babamon mit ihrem Besen aus und zog ihm eine über. „Strafe muss sein“, sagte sie knapp, dann ging sie wieder. Tinkermon hatte vom Türrahmen aus zugesehen, wollte noch zu Tsukaimon, aber Babamon packte sie im Flug und zog sie mit sich. Tsukaimon blieb zurück, während er sich den Kopf rieb. Nach kurzer Zeit ging es wieder. Babamon hatte schon fester zugeschlagen. An die Geister verschwendete Tsukaimon keinen Gedanken mehr, weder an diesem, noch an irgendeinen der darauffolgenden Abende, auch wenn sich die Gerüchte lange hielten und man die Geister angeblich noch öfter gesehen haben wollte. Jijimon und Babamon sollten auch, wenn man diesen Gerüchten Glauben schenkte, sich mit ihnen in den dunklen Ecken des Schlosses unterhalten haben. Tsukaimon blieb dabei, dass dies ebenso nur Gespenster im Kopf waren. Dafür war Tinkermon zufrieden. Sie war danach nicht weniger anhänglicher, noch distanzierter, aber Tsukaimon machte es weniger aus. Vermutlich hatte er sich an ihre Anwesenheit einfach gewöhnt. Jahre danach, als sie sich als Ultra-Digimon wieder begegneten, fragte sie Myotismon, warum er damals den Kopf für sie hingehalten hatte. Zuerst, so dachte er, hätte er es getan, weil Jijimon ihn damals darum bat, nett zu ihr zu sein. Jedoch war es so, wie er schon zu Babamon sagte. Es ging um Gerechtigkeit. Er konnte es nicht leiden, wenn andere bestraft wurden, für etwas was er getan hatte. Es ging nicht um Sympathie, sondern um das Prinzip. „Und warum hast du dann auch noch die Schuld auf dich nehmen wollen? Babamon war schon wütend genug auf dich“, hatte Myotismon sie anschließend gefragt. Sie sagte, es ging um Gerechtigkeit, aber genau wissend, dass dies nur die halbe Wahrheit war. Denn bei ihr ging es wirklich um mehr. „Manchmal ist dir wirklich nicht zu helfen“, hatte er genervt geschnauft. Sie hatte gelacht. Nach wenigen Sekunden hatte auch er mitgelacht. Weniger aus Prinzip, sondern wirklich aus Sympathie. Als dieses Gespräch stattfand, war Myotismon noch nicht verrückt gewesen. Aber, so wie er sie ansah, beobachtete wie ihre schlanken Finger das Papier berührten und ihre Augen aufmerksam über die Worte und Sätze flogen, war er – das gestand er sich aber noch später ein – bereits dabei. Er hatte vor sich immer noch Tinkermon, für die er damals nicht mehr wie oberflächliche Sympathie empfand. Jedoch hatte sie sich entwickelt, insbesondere geistig. Sie war nicht mehr so leicht zu ängstigen. Sie besaß mehr Selbstvertrauen. Sie war reifer und redlicher geworden, dennoch gingen Träume und Sachlichkeit bei ihr Hand in Hand. Sie hatte, wenn Myotismon sich jedoch sicher war, dass auch sie manchmal nicht so ganz rund lief, etwas Entspannendes an sich, besonders wenn sie redete. Was sie als Rookie nur im Ansatz beherrschte, um gut auf die Baby-Digimon oder auf ihn einzureden, hatte sie als Ultra-Digimon perfektioniert. Myotismon hörte ihr gerne beim Reden zu. Sie hatte ihre ganz eigene Art und Klangfarbe. Aber das verstand man wohl nur, wenn man ein Digimon wie er, ein Musiker war. Wenn er ein Musiker war, war sie eine Sängerin. Verrückt. Das klang besser wie das, was es eigentlich wirklich heißen sollte. Dass er nicht verrückt wurde, sondern sich verrückt hatte.   ♩   Tsukaimon wurde nach dieser Nacht etwas klarer, nachdem er in diese Bücher geschaut und die wenigen Worte ihm keine Ruhe mehr ließen. Nämlich das etwas in seinem Dasein fehlte. Was immer fehlte verursachte eine Lücke, die er von selbst nicht füllen konnte, egal wie sehr er sich in seinen Lernstoff vertiefte oder mit Jijimon kämpfte. Jedoch waren es die einzigen Dinge, die ihn ablenkten und weil er nicht mehr vorwärts kam wurde es nur noch frustrierender. Und seine Gedanken kreisten sich wieder um den Abgrund und die Frage, was dort war. Um die Typus-Apartheid. Und um Alice im Wunderland. Tsukaimon hasste diese Geschichte mit jeden Tag mehr. Die Unruhe in ihm wurde mit jedem Wechsel von Sonne und Mond der verging größer und die Ferne, die man an guten Tagen trotz des Nebels sehen konnte und andere Digimon Angst einjagte, weckte in Tsukaimon Sehnsüchte. Es war eine Sehnsucht nach Weißem. Nach Eis und nach Schnee. Irgendwann dachte er, weiße Hände würde ihm über den Kopf streicheln und hinter den Ohren kraulen, auch wenn nicht ein Digimon in der Nähe war. Dann begann Tsukaimon Stimmen zu hören. Diese Stimmen waren laut und aufdringlich und er konnte in Gedanken noch so viel brüllen oder sich bei Babamon aufhalten, wenn sie ihren Findelkindern Mutter-Gans-Reime und Lieder aufsagte und vorsang. Die Stimmen der Unruhe riefen nach ihm, obwohl Tsukaimon kein einziges Wort verstand. Er erzählte Jijimon davon (wenn auch nur einen Teil), aber eine Hilfe war er nicht. Jijimon stellte nur mehr Fragen, auf die Tsukaimon aber auch keine Antwort wusste. Seitdem verhielt sich nicht nur Jijimon, sondern auch Babamon komisch. Tsukaimon hatte das Gefühl, sie beobachteten ihn. Auffallend war ebenso, wie oft Babamon Tinkermon auf ihn ansetzte, aus Gründen, die weder er noch sie verstanden. Tinkermon versuchte meist ein Gespräch aufzubauen, erzählte, was sie mit den Ausbildungs-Digimon unternommen hatte (Tsukaimon war selten dabei, weil er mittags lieber schlief um dafür bis spät in die Nacht aufbleiben zu können) oder dass sie an den Wasserstellen waren. Jijimon hatte Seerosen gezüchtet, wie hübsch sie sein und was man daraus alles machen konnte. Oder was sie zuletzt gelesen hatte. Nichts davon besaß für Tsukaimon einen Mehrwert, aber er ließ sie reden. Tinkermons Erzählungen und Geschichten überdeckten die Stimmen in seinem Kopf. Das tat gut. Dies ging ein paar Wochen. Dann hielt Tsukaimon es nicht mehr aus. Er entschied er sich zu gehen.   ♯♩   „Babamon, darf ich dich etwas fragen?“ Babamons Gesicht zuckte, aber sie wandte ihre Aufmerksamkeit nicht einen Moment von dem Zerimon, dass vor ihr saß ab. Vielleicht bildete Tinkermon sich auch das Zucken nur ein und es waren die Schatten, die die Kerzen in Babamons faltiges Gesicht warfen. Sonst war das Licht immer im strengen Gelb und Orange, aber Babamon hatte sie in bunte Glaskugeln gestellt, so wirkte der Raum bunter, vermutlich als Ablenkung für das verletzte Zerimon. „Ist es wichtig?“, fragte Babamon, während sie weiter das Zerimon verarztete. Es war am Nachmittag beim Spielen von einem hohen Fels gesprungen (vermutlich um Eindruck zu schinden), war unvorteilhaft gelandet und hatte, Dank eines guten Schutzengels nur ein paar Schrammen an Horn und Schweif. Als es fertig verbunden war nahm Babamon es in den Arm, schaukelte es dabei sachte hin und her. Sie summte eine Melodie. Es war die vom Mann im Mond. „Still, mein Kleines, hab keine Angst in der Na-cht, der Mann im Mond hat all die Wunder er-dacht.“ Das Zerimon beruhigte sich. Es hörte auf zu weinen und ließ sich entspannt weiter schaukeln. „Eigentlich -“, begann Tinkermon. Sie klang unsicher und dass brachte Babamon dazu, dass Gesicht zu verziehen. Diese konnte es nicht leiden, wenn Tinkermon so eingeschüchtert und trübselig in der Gegend stand. Aber sie riss sich zusammen. „Hast du etwas gegen Tsukaimon, Babamon?“ „Wieso kümmert dich das?“ „Du gibst ihm immer so viele und so schwere Aufgaben.“ „Er muss viel lernen. Er hat viel in seinem Kopf, weiß aber nichts damit anzufangen.“ Trotz Babamons lauter Stimme, begann das Zerimon friedlich einzudösen. Tinkermon hörte hinter sich, wie Jijimon weiter an seinen Karten arbeitete, an denen er schon seit Monaten saß und wie Tsukaimon verstand auch Tinkermon den Sinn nicht. Tief in der Arbeit versunken und nicht an dem Gespräch interessiert bepinselte er weiter eine Karte mit der Abbildung eines Andromon. „Aber warum machst du so wenig Einzelunterricht mit ihm? Du lernst so oft mit mir alleine, aber mit Tsukaimon nie.“ „Er muss sich noch beweisen. In dich habe ich mittlerweile Vertrauen, dass du auch verstehst, was ich dir eigentlich sagen will. Kapierst du das?“ Tinkermon nickte, wenn sie eigentlich auch nur die Hälfte verstand. „Tsukaimon mangelt es an sozialer Kompetenz. Aber mit dir scheint er klar zu kommen. Du kennst den Mutter -Gans-Reim, für jedes Übel unter der Sonne gibt es ein Mittel der Wonne. Also soll er weiter mit dir lernen.“ „Findest du? Also das wir gut klarkommen?“, harkte Tinkermon nach. Nach der genauen Erläuterung des Reimes fragte sie nicht. Babamon hatte einige komische Ansichten. Vor allem – Tsukaimon? Ein Übel? Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie nicht hörte wie Jijimon seine Arbeit pausierte. Babamon hingegen merkte es und funkelte ihren Gatten böse an, um ihn zu signalisieren, wie unhöflich Lauschen sei. „Offensichtlich. Ihr schlaft im selben Korb. Schickt sich so etwas für ein junges Digimon? Habe ich dir keinen Anstand beigebracht?“, schimpfte Babamon und wirbelte mit ihrer freien Hand umher, da sie wohl vergessen hatte, dass sie ihren Besen nicht da hatte. Das Zerimon schlief weiter. Was immer Babamon in ihre Medizin tat, es war stark genug um ein DarkTyrannomon ins Koma zu legen. „Ihr tuschelt nachts und liegt Kopf an Kopf beieinander. Was sollen die anderen Digimon von euch denken, wenn ihr euch so benimmt?“ „D-D-Das ist nur, damit wir uns besser unterhalten können. Tsukaimon erzählt mir viel über Dinge, die ihm so einfallen.“ „Wie über Abgründe?“ Es überraschte Tinkermon nicht, dass Babamon das Thema ansprach. Eher dass sie dies noch zu wissen schien. Tsukaimon hatte sowohl vor Babamon, als auch auch vor ihr diesen Abgrund erwähnt, war sich aber über die Bedeutung nicht klar. Nur dass er da war. Das da unten am Boden etwas war. Und Tinkermon konnte diesen Abgrund auch sehen, nämlich immer wenn sie Tsukaimon in die Augen sah, gleich einer Vorahnung, was geschehen würde, würde sie sich zu lange mit ihm abgeben. Aber statt Angst zu empfinden interessierte sich Tinkermon nur noch mehr für ihn. Tsukaimon war ein interessantes Digimon. Anders wie andere Rookies oder seiner Art. Dieses Anders war schwer zu umschreiben, aber Tsukaimon war einfach so. Und er fand das in Ordnung. Es machte ihm nichts aus, gleich ob die anderen Digimon, die ebenfalls von Jijimon und Babamon großgezogen wurden ihn deswegen aufzogen oder Abstand hielten. Er war er und machte sich um die Meinung anderer keine Gedanken. Das fand Tinkermon bemerkenswert. Ein wenig bewundern tat sie ihn schon. Aus selbigen Grund hatte Tinkermon Tsukaimon, auch wenn er alles andere als freundlich war eigentlich sehr gerne. Zu gern, wie Babamon bemerkte. „Getrautes Weib, ich unterbreche deine Unterhaltung ungern, aber das solltest du dir einmal anschauen“, rief Jijimon. Er hatte seine Arbeit liegen lassen, stattdessen starrte er aus den Fenster in die Dunkelheit. Babamon legte das schlafende Zerimon in einen Weidenkorb und stellte sich zu ihm, quetschte ihren Kopf ebenso durch das schmale Fenster um in die Nacht zu blicken. Tinkermon traute sich nicht sich dazuzustellen, solange sie nicht aufgefordert wurde. Sonst würde vielleicht nur wieder der Eindruck entstehen, dass sie zu neugierig sei (was auch so war). Ihre Neugierde zu Tsukaimon hatte ihr schon genug Ärger für diesen Abend eingehandelt. „Und? Was soll ich da draußen sehen? Siehst du wieder Gespenster, verehrter Gatte?“ „Gewiss nicht, Gespenster sind bekanntlich weiß. Aber schau dir die Schwärze im Nebel an. Wenn man zu lange hineinstarrt könnte man meinen die Schatten seien lebendig. Guck, einige Schatten sehen aus wie Tsukaimon.“ „Du schläfst mal wieder mit offenen Augen! Ich wusste, die Seerosen die du hier anbaust sind nicht geheuer. Dazu wachsen sie wie Unkraut!“, schimpfte Babamon, weiter aus dem Fenster starrend. Lange sagten sie nichts mehr, jedoch konnte man Babamon allein an der Haltung ansehen, dass sie doch nachdachte und grübelte, hingegen man bei Jijimon doch den Eindruck erwecken könne, er sei eingenickt. Schließlich aber, als seine Gattin aufschrie, war er doch wach und erschrak so sehr, dass ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Haare, von denen Jijimon nicht wenig hatte zu Berge standen. „Das ist Tsukaimon! Dieses ungezogene Digimon, wo will er um diese Zeit hin?!“ „Ich geh ihm nach!“, rief Tinkermon und flog an Jijimon und Babamon vorbei, ohne nachzudenken. Bestimmt bekäme sie wieder Ärger. Babamon hatte ihr etwas hinterher gebrüllt, während sie durch die Schwärze und Babamons dichte Nebelwand flog. Vermutlich etwas wie, was sie sich wieder da einmischte und dass sie gefälligst dableiben sollte, obwohl sie auch hätte schwören können, dass es nach „Hol ihn bitte wieder zurück!“ klang. ♬ Als die Nebelwolken dicht über die Bergkette hinweg zogen, so dicht, dass man nicht einmal den Standpunkt des Mondes hätte erahnen können und alle schliefen, schlich sich Tsukaimon durch das Fenster nach draußen. Während er den Berg hinunter flog, dachte er darüber nach welche Richtung er einschlagen sollte. Schnell hatte er sich entschieden in die anliegenden Wälder zu fliegen und den Fluss entlang nach Osten zu laufen. Es wäre zumindest etwas, woran er sich orientieren konnte, um in dieser Düsternis aus dem Wald zu finden. Wenn die Berge, die alle zu Grey Mountain gehörten schon groß waren, war der Ewige Wald – der Name entsprang Jijimons mehr oder minder kreativen Ader – um die Berge herum gigantisch. In den Wäldern selbst war es noch dunkler und schwärzer wie man von der Bergspitze aus vermuten würde, aber es würde nur von Vorteil sein. Unheimlich war es hier dennoch. Die Pflanzen wuchsen quer in alle Richtungen, verknoteten sich ineinander und in Spiralen, eine Ansammlung surrealer Naturkunst. In der Dunkelheit sah es aus, als wären es Arme. Lange Arme. Sehr lange Arme und große Krallen, die nach ihm griffen. Es war nur eine Fantasie, die mit ihm durchging, aber es machte ihn nervös. Tsukaimon schluckte schwer. Er landete im trockenen Gras, blieb kurz stehen und sah sich selbst in der Wasseroberfläche des Flusses, der seinen Ursprung irgendwo auf dem Berg hatte. „Wo willst du hin?“ Tinkermons Spiegelbild erschien über seinem. Zwar hatte er sich erschrocken, machte sich aber nicht die Mühe zu Tinkermon zu schauen, sondern fixierte weiter seine Reflexion. „Wie hast du mich bemerkt?“ „Ich nicht. Jijimon hat dich bemerkt.“ „Und warum bist du hier?“ „Weil ich nicht verstehe, warum du gehst.“ Nun flog Tinkermon vor ihm, wütend, mit beiden Fäusten auf den Hüften. Versuchte sie ihn einzuschüchtern? Wenn, war es ein bemitleidenswerter Versuch. „Weil ich hier nicht weiter komme. Ich verschwende Zeit.“ „Das ist der Grund? Vor allem, für was Zeit? Was hast du davon, nicht zu warten?“ „Das kapierst du doch ohnehin nicht. Ich muss auf jeden Fall etwas machen. Ich kann hier nicht rumsitzen.“ Tsukaimon setzte sich in Bewegung und versuchte, weiter am Fluss entlang wegzurennen. Tinkermon stellte sich ihm jedoch in den Weg und behielt ihre Pose. „Geh aus dem Weg! Ich bleibe nicht länger!“ „Warum nicht?“, fragte Tinkermon ungewohnt trotzig. „Weil -“, Tsukaimon schaute weg, schüttelte anschließend den Kopf, „ - ich immer noch nicht weiß, woher ich komme. Aber ich muss es wissen. Ich sehe dieses Digimon im Wasser, aber ich habe das Gefühl, als wäre das nicht ich. Da stimmt etwas nicht und ich muss wissen was es ist.“ Sein Blick wanderte zu Boden, zu den kleinen kümmerlichen schwarzen Pfoten mit vier, ebenso schwarzen Fingern, die sich in die Erde krallten. Tinkermon flog näher heran. „Dummkopf. Du bleibst du, das reicht doch. Wichtig ist, was du jetzt machst.“ „Das sagt die Richtige“, zischte Tsukaimon Tinkermon an, daraufhin vergrößerte sie den Abstand zwischen ihnen. Kalter Wind kam auf, der zwischen den Ästen und den hohlen Baumstämmen heulte wie böse Geister und den Stimmen, die Tsukaimon hörte nicht unähnlich waren. „Wenn ich so weitermache, werde ich niemals erfahren, was in diesem Abgrund ist!“ „Der Abgrund? Was soll damit sein?“, fragte Tinkermon. Ihre Haltung, von der sie geglaubt hatte, sie würde bedrohlich wirken entspannte sich, genauso wie ihre Miene, von streng zu mitleidig. „Siehst du es nicht, Tinkermon? Babamon hat es gesehen. Ich weiß, dass ihr das Sorgen macht, deswegen redet sie kaum allein mit mir.“ Sie kam nicht näher, nur Tinkermons Blick wurde konzentrierter. Sie stierte Tsukaimon direkt und nachdenklich in die Augen. So oft Tsukaimon davon erzählte, Tinkermon hatte den Zusammenhang mit dem, was ihn bedrückte nie verstanden. Sie dachte immer, der Abgrund sei wie ein Albtraum, so wie Tsukaimon davon berichtete. Oder eine verdrängte Erinnerung und wenn es eine war, hatte es sicher einen guten Grund, dass sie verdrängt wurde. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Wenn ich dir in die Augen gucke, denke ich, was zu sehen. Ich weiß nur nicht was. Aber ein Abgrund sicher nicht. Abgründe sind leer, aber deine Augen sind es nicht.“ Tsukaimons böser Blick zeigte, dass es nicht das war, was er hören wollte. Aber es machte Tinkermon ebenso klar, dass man ihn nicht umstimmen konnte. Selbst wenn, hätte sie ohnehin nicht dem Mumm und das Selbstbewusstsein gehabt, um es durchzuziehen. Außer beschämt wegzuschauen tat sie nichts und ließ ihn vorbei. Kurz fragte Tsukaimon sich, wie sie sein Verschwinden wohl Jijimon und Babamon erklären wollte. „Sehe ich dich vielleicht irgendwann mal wieder? Kommst du uns besuchen, wenn du Antworten hast?“ Tsukaimon rannte fort, ohne zurückzublicken oder ihr zu antworten.   𝅘𝅥𝅯 „Eine Portion Baked Beans für den Gast.“ Digitamamon, damals noch ein Kochlehrling räusperte und bemühte sich um Freundlichkeit, wenn es auch schon das zweite Mal war, dass er dies zu Tsukaimon sagte. Er kam am Vortag in Cyper Hollow an, dem einzigen bewohnbaren Ort auf Server der unterhalb des Meeresspiegels lag und saß schon den ganzen Tag lang im Pub the lost Shoe. Sein Gesicht schwebte dicht über einer Karte von Server, die er aus einem der wenigen Läden mit seinem letzten Rest Ersparten eintauschte. Geblieben war Tsukaimon nur noch ein Kohlestift, mit denen er unterschiedliche Orte, die er schon kannte markierte. Weit über dem Schriftzug DATA VALLEY hatte er mit besagten Stift ein paar Striche kreuz und quer gekritzelt, doch man konnte noch erkennen das dort GREY MOUNTAIN stand, zumindest wenn man es wusste. PROTOKOLLWALD (da wollte er hin), KAKTUSWÜSTE (von dort kam er gerade) und im Süden DESK FALLS (da wollte er nicht hin) las Digitamamon auf der Karte noch, der Rest lag im Tsukaimons Schatten oder war aufgrund der kleinen Schrift nicht zu entziffern. Wieder räusperte sich Digitamamon. „Stellen Sie es hier hin. Danke“, antwortete Tsukaimon, weiter in die Karte vertieft. Digitamamon war sich nicht einmal sicher, ob Tsukaimon ihn überhaupt wahrgenommen hatte. Nichtsdestotrotz stellte Digitamamon die Schüssel auf dem Tisch ab, die er zuvor auf seinem Kopf balancierte. Die Schüssel war nicht groß, aber gut voll und Tsukaimon kam der Geruch von Paprika, Tomate und Zwiebeln entgegen. Wirklich nach Essen war Tsukaimon nicht, aber er brauchte Kraft für seine Reise. Wohin auch immer sie gehen sollte. Auf jeden Fall würde er sich nördlich halten. Dort wo auch hin und wieder Schnee fiel. Es gab auf Server einzelne Gebiete wo unregelmäßig Schnee fiel inmitten von Data Valley und darüber hinaus, ebenso einzelne Halbinseln entlang der Ostküste nach Norden. Er würde sie alle absuchen. „Eh-hem“, räusperte sich Digitamamon nun schon drittes Mal und diesmal kam Tsukaimon nicht drum herum von seiner Karte aufzuschauen. Fragend runzelte er die Stirn. „Das macht vier Dollar und fünfundneunzig Cent“, räusperte Digitamamon erneut und fordernd. „Bezahlt man nicht erst nachdem man gegessen hat?“ „Woher weiß ich, dass du nicht zu dem Gesocks gehörst, dass mich um mein Geld bringt? Es kommen immer mehr Soldaten, die Glauben sie bekommen alles umsonst. Also bezahle oder ich nehme deinen Teller wieder mit.“ Tsukaimon schnaufte, aber wehrte sich nicht weiter. Er drückte Digitamamon fünf Dollar in die Tasche seiner Kochschürze, zusammengekratzt aus dem, was er in der Apotheke bekam. Die meisten Digimon die Streuner wie er waren lebten meist von der Kopfgeldjagd, aber das war nichts für ihn und für seine Reise eher hinderlich. In den Untergründen und dunkelsten Ecken der Dörfer und Kleinstädte wurde gekämpft und der Gewinner bekam eine kleine Prämie im Falle des Sieges, aber als Rookie war er zu schwach (und abgesehen davon, dass zu viele Digimon dabei schon über den Tisch gezogen wurden empfand Tsukaimon so etwas als würdelos). Was ihm also blieb war das Wissen, dass er hatte zu nutzen und in den Wäldern nach Wurzeln und Pflanzen zu suchen, die gerne für Medizin genommen wurde und diese einzutauschen. Über die geringen Einnahmen und die überhöhten Preise sah Tsukaimon mittlerweile hinweg, selbst wenn fünf Dollar für eine Schüssel Bohnen das Billigste auf der Speisekarte war. Die Ressourcen waren knapp. Das Meiste ging für die Anderen drauf. Die Anderen, die aktuell stärkste politische wie militärische Macht, vor der viele Digimon solche Angst hatten, dass sie nicht einmal ihren Namen sagen wollten. Zwei Roachmon kamen lachend in den Pub gelaufen. Sie waren offensichtlich angetrunken. Der halbe Pub roch schlagartig nach Schnaps. „Yooo, Digitamamon, ‘ne Runde Sashimi für uns beide hier“, grölte eines der Roachmon in einem schrecklichen Gossen-Slang. Dieses Roachmon musste sich an seinem Freund festhalten, doch gerade stehen konnte beide nicht mehr. „Ihr hattet eure Ration schon“, meinte Digitamamon nur nüchtern. Andere Gäste wurden auch auf die zwei betrunkenen Insekten-Digimon aufmerksam und waren genauso angeekelt wie Tsukaimon. Ein Nanimon, dass an der Bar saß nuschelte eine Beleidigung leise vor sich hin, ehe es seine Ration Baked Beans in den Mund stopfte und mit einem Schluck Bier nachspülte. „Was soll'n das heiß'n? Hast immer noch nisch' kapiert, wie? Wir 'g'hör'n zur Armee der Meister der Dunkelheit, wir müss'n uns stärken für den Kampf.“ „Es gibt strenge Regelungen und ihr kennt sie. MetalSeadramon regiert über die Ressourcen aus dieser Gegend. Alles ist genau abgewogen. Für die Soldaten wird schon mehr einberechnet und ihr seid heute schon hier gewesen! Also zieht Leine!“ Digitamamons Worte kamen bei den beiden Roachmon nicht wirklich an, ob dies dem Alkohol zu verschulden war oder ihrem begrenzten Geist war schwer zu beurteilen. Das würde erklären, warum sie Mitglieder der Armee der Meister der Dunkelheit waren. Fußabtreter und unbelichtete Digimon, die ungefragt jede Dreckarbeit erledigten brauchte man immer und Digimon, die genau diesen Job wollten gab es reichlich. Wer es schaffte bei der Armee der dunklen Meister mitzumischen hatte im Grunde gewonnen. Und vor allem Sicherheit und das war in Zeiten wie diesen mit wenig Nahrung und ohne sinnige Arbeit wichtiger denn je geworden. Dies war der einzige Vorteil, den die Rassenkriege besaßen. Man vergaß, wie unbedeutend die eigene Existenz eigentlich war, nachdem der Eugenik-Wahn der Apartheid aus der Digiwelt mitsamt ihrer Vertreter getilgt wurde. Wenn auch nicht ganz, wie Tsukaimon ja an Tinkermon sah. „Wir woll'n was essen. Is' das hier 'n Pub oder nisch'. Also schwing die Hufe!“, fauchte das Roachmon weiter – sein Kumpel war zu betrunken um sich überhaupt verständlich zu artikulieren -, doch Digitamamon blieb eisern, was Tsukaimon zugegeben fast bemerkenswert fand. „Nochmal gaaaaanz langsam für zwei wandelnde Vakuum wie euch. Es-gibt-nichts-für-euch! Höchstens Bohnen, davon habe ich gerade noch genug. Mehr nicht, ansonsten verschwindet oder ich melde es eurem Boss. Ich glaube nicht, dass er begeistert davon ist, wenn ihr euch nicht an seine Befehle haltet.“ „Tse, der Boss gibt nisch's auf euch. Ihr seid nur 'ne jammernde Meute, die ihre Klappe nisch' halt'n könn'n, dabei solltet ihr dankbar sein.“ „Ja, denn -“, das andere Roachmon schien sich hast zu übergeben, aber es schluckte und gab sich nun die Mühe den Oberkörper aufzurichten. „- wir, ja wir kämpfen für Pöbel wie euch, wir halt'n die Ordnung hier und wenn die Meister der Dunkelheit -“ „Die und Ordnung? Pah!“, brüllte ein Starmon, dass die ganze Zeit mit einem Witchmon flirtete, von seiner Sitzbank in einer Ecke. Wütend stiefelte dieses von seinem Platz und auf die beiden Roachmon zu. Sein stahlgleicher Körper schien zu glühen vor Wut. „Seid ihr die letzten Jahr mal aus der Kanalisation gekrochen? Oder habt mal aus den Fenster geschaut? Ganze Städte sind von den Meister der Dunkelheit weggefegt worden! Digimon haben ihre Heimat verloren und sind auf der Flucht vor Gewalt und Hunger! Und ihr?! Schaut euch mal an. Das ist erbärmlich!“ „Tse. Wir hab'n 'n Job. Wir hab'n Unterkunft“, kommentierte eines der Roachmon trocken, aber nicht weniger nüchtern. „Das is' mehr, wie wir je geträumt hätt'n. Und das was zerstört is', hab'n schon die Typuskriege zerstört.“ „Rassenkriege“, korrigierte Starmon. „Rassenkriege heißt es.“ „Nisch' bei uns in der westlichen Kaktuswüste.“ „Wie auch immer“, stöhnte auch das andere Roachmon, während nun auch das Nanimon interessiert zuhörte. „Die Meister der Dunkelheit bringen Ordnung in diese Dreckslöcher. Es gibt viel weniger Tote oder Zerstörung als noch vor 'n paar Jahr'n. Und wir als Soldaten sind Teil dieses ehr'nvoll'n Dienstes.“ „Ehrenvoll? Ehrenvoll?“, brüllte Nanimon, sprang von seinem Hocker und stand nun zwischen den Roachmon und Starmon. „Habt ihr Numemon-Scheiße statt Hirn in eurem Schädel oder was stimmt bei euch nicht?! Was daran ist ehrenvoll den Stiefelknecht für diese Verrückten zu spielen?“ „Wie redest du über die Digimon, die die Typuskriege gewonn'n hab'n?!“ „Indem sie die Soldaten auf den Schlachtfeldern zerbombt haben!“, brüllte Nanimon und so in Rage wie er war spuckte er den Roachmon dabei ins Gesicht. Tsukaimon, der sehr weit weg von diesem Streit entfernt saß und das mitbekam war wesentlich angeekelter darüber wie die Roachmon. „Sie zerstören und treiben Digimon in Armut! Es ist nichts ehrenvolles daran, wenn man Feinde niedermetzelt!“ „Die Souveränen sind die wahren Friedensbringer“, verteidigte Starmon weiter. „Sie haben Abkommen geschlossen und damit Frieden und Freiheit gebracht.“ „Welche Freiheit?! Was bringt uns das?“, schimpften die Roachmon weiter. „Kein Geld, kein Essen, stattdessen sind wir auf uns gestellt und jeder macht, was er will. Keiner sagt wo's langgeht! Das ist Chaos.“ „Die Souveränen -“ „Ja, da kriech' doch zu deinen Souveränen. Könn'n es doch nicht mit den Meistern der Dunkelheit aufnehmen und was haben sie bisher gemacht? Nichts außer hohle Reden zu zwingen. Die Meister der Dunkelheit handeln! Das braucht die Digiwelt, endlich mal einer, der was tut!“, brüllte das Roachmon zurück und klang. „Die Souveränen haben die Rassenkriege beendet, undankbares Gesindel! Sie haben Ordnung reingebracht, wären sie nicht, hätten wir immer noch überall Krieg!“ „Ordnung gab es, als die Meister der Dunkelheit kamen. Sie haben uns Arbeit verschafft, nicht die! Wisst ihr, was die sind?! Haustiere von Menschen, jawohl Menschen, mehr nicht!“ „Arbeit?! Digimon in die Armee zu zwingen und ihr Eigentum wegzunehmen nennt ihr Arbeit? Wisst ihr was das hier ist, was die Meister der Dunkelheit treiben? Nichts anderes wie eine zweite Apartheid, das ist es, nur das diesmal die Viren alle eliminieren, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen.“ „Sag das nochmal, dann melden wir das den Boss! Kein Mitleid mit Volksverrätern!“ „Volksverräter nennt ihr mich?!“ Tsukaimon hatte den Löffel mit Bohnen noch nicht ganz im Mund, da flog eines der beiden Roachmon auf den Tisch, an dem er saß und riss dabei alles mit, was darauf stand, von der fast ausgebrannten Kerze, bis hin zur Schüssel. Die gebackenen Bohnen schwammen in der dickflüssigen Tomantensoße über das Gesicht des Insekten-Digimon, dass sich sofort aufrappelte und auf das Starmon losging. Sein Artgenosse stürmte auf die beiden, ebenso wie Nanimon, auch ein Vegimon, das im Pub arbeitete und gerade den Boden kehrte, sogar das Witchmon, nachdem ihr eines der Roachmon nachpfiff. Irgendwann geriet auch Digitamamon in die Rangelei und obwohl er ein Ultra-Digimon war, hatte er deutliche Probleme. Andere Digimon, die in den Pub kamen ging gleich wieder hinaus oder wurden mit in die Schlägerei gerissen. Nur Tsukaimon saß bekümmert an seinem Platz. Seine Karte war ruiniert, die Umrisse von der Straße Data Valley und dem Gebiet Desk Falls war gänzlich rot von den Tomantensoße verfärbt, der Rest gesprenkelt. Missmutig starrte er in seine Schüssel, die nun nur noch halbvoll war. Fünf Dollar für eine halbe Schüssel Bohnen. Doch er aß schweigend, bemüht die Schlägerei und das Geschrei auszublenden, sich überlegend, wie es nun weiterginge, so ohne Karte. Für diese hatte er schon mühselig zwanzig Dollar zusammengekratzt und so schnell bekäme er die nie wieder zusammen. Also musste er auf gut Glück ohne los. Den Sternen nach. Er konnte sich ja anhand dessen orientieren. Wer ihm das beibrachte? Tsukaimon glaubte Jijimon hätte es ihm beigebracht, aber er war sich nicht mehr sicher. Zumindest ein Digimon, dass wie Jijimon sprach und dachte, hatte es ihm beigebracht. Zumindest glaubte er das. Die Schlägerei im Hintergrund blendete Tsukaimon aus, während er versuchte an Schnee zu denken.   𝅗𝅥 Er war bereits Monate unterwegs gewesen, ohne einen erkennbaren Fortschritt. An seiner Ausgangssituation hatte sich nichts geändert. Nicht nur, dass er nicht wusste was geschehen war, bevor er nach Grey Mountain kam, sondern er fühlte sich regelrecht fremd in der Digiwelt. Man hatte ihm beigebracht, dass Digimon, die eine Amnesie hatten sich nach einer gewissen Zeit wieder von selbst an alles erinnern würden, sobald ihre Daten wieder stabil waren oder wenn sie etwas sahen, dass ihnen bekannt vorkam. Sie würden dann Flashbacks bekommen und sich erinnern. Eines der Pagumon, dass von Jijimon und Babamon aufgezogen wurde und ebenfalls anfangs nicht wusste, woher es kam erzählte es wäre, als würde ein Blitz im Kopf einschlagen. Solche Blitze schossen öfter in Tsukaimons Kopf, aber erinnern tat er sich nicht. Er lief und flog durch Wälder, entlang von Data Valley, einer Steppe die sich von der West bis zur Ostküste Servers erstreckte, kaum mit etwas zu Essen und noch weniger Schlaf. Stürme, Schauer und extreme Temperaturschwankungen erschwerten seine Reise durch bewohnte Orte auf Server, ebenso durch so verlassene Orte, die komplett unentdeckt schienen. In den wenigen Städten hielt sich Tsukaimon nie lange auf. Städte wie Cyber Hollow, wo nicht jedes Digimon kontrolliert wurde fand er selten oder sie ließen wildfremde Digimon nicht einmal hinein. Mancher war gnädig und gab wenigstens was zu Essen her, andere verscheuchten ihn sofort. Das machte ihm aber wenig aus. Der Trubel war ihm ohnehin unangenehm. Die Digimon, die ihn anstarrten ebenso und wären solche Digimon nicht zumindest für etwas Tratsch gut, würde Tsukaimon gar keine bewohnten Gegenden mehr aufsuchen. Die Meister der Dunkelheit waren dort stets ein aktuelles Thema. Tsukaimon hatte nicht so viel Ahnung von Politik. Jedoch hatte er schon interessante Gespräche mit Jijimon hinter sich gehabt, wie beispielsweise die Schattenseiten einer Demokratie, oder wie eine Monarchie zum Nachteil für die Obrigkeiten werden konnte, führte man sie nicht gerecht. Das vermisste Tsukaimon manchmal. Jemanden zum reden, aber die meisten Digimon waren weniger intellektuell betucht. Einen Gesprächspartner finden war schwer. Er hatte Jijimon und auch Babamon immer für etwas schrullig gehalten, aber in diesen Situationen vermisste er sie doch. Das und die zusätzliche Wärmequelle an seinem Schlafplatz. Waren die Dörfer ruhig, dafür aber irgendwo doch zivilisiert, waren die Wälder das krasse Gegenteil. Neben den Naturgewalten, die sich gegen Tsukaimon verschworen zu haben schienen, waren da auch noch Digimon, die es auf ihn abgesehen hatten. Große und wilde Digimon, mit denen er sich anlegte, sei es um seine Stärke zu demonstrieren und stärker zu werden, sei es um zu überleben. Woodmon und Mushroomon versuchten ihn aus ihrem Territorium zu vertreiben. Kiwimon und Tapirmon, denen er Essen gestohlen hatte jagten ihn, doch er wurde nur mit ihnen fertig, wenn es nicht gerade mehr wie ein halbes dutzend waren. Je größer die Gruppe, um so schwerer hatte er es sie zu besiegen oder, im Notfall zu fliehen. Manchmal gewann er sogar. Und dann gab es noch die Stimmen, die dann kamen wenn Tsukaimon geschwächt und ohne einen Funken auf irgendeine Hoffnung auf dem Boden zusammenklappte, während die Leere immer und immer größer wurde. In einigen Nächten waren die Stimmen klar. In manchen nur statisches Rauschen. Wenn die Melodie, diese Winter-Melodie nicht in seinen Ohren gewesen wäre, die er immer nur dann zu hören schien, wenn die Leere unerträglich wurde, wer weiß. Dieser kleine Teil einer Symphonie aus einer vermutlich schöneren Zeit war das Einzige, was Tsukaimon hatte. Der einzige Anhaltspunkt. Er brauchte etwas, was die Leere füllte und damit der Abgrund, den Babamon in seinen Augen sah nicht tiefer wurde und hoffte, dass sich irgendwann etwas ergeben würde, dass ihn auf den Pfad führte, wohin er gehen musste, wenn er auch kein Ziel hatte. Wobei, hieß es nicht in Alice im Wunderland schon, dass, wenn es kein Ziel gab, auch der Weg gleich war? Tsukaimon mochte diese Geschichte immer weniger. Dabei war sie oft Hauptbestandteil seiner Träume. „Ich hätte mir einen Plan machen sollen, bevor ich aufbreche“, seufzte Tsukaimon erschöpft, unter einem Baum liegend. Es war mitten in der Nacht und wie die Nächte davor schief er nicht. Sein Tag-Nacht-Rhytmus war zuvor schon verdreht gewesen, aber seit er unterwegs war, kreisten seine Gedanken so laut, dass er auch tagsüber kein Auge zubekam, wenn er im Schatten von Blättern und Ästen lag. Vielleicht war es auch der Hunger. Es war kein Dorf in der Nähe. Heißt, eigentlich schon, doch die Meister der Dunkelheit hatten sie dem Erdboden gleich gemacht, auf der Suche nach Digimon, die still und heimlich gegen diese agierten oder einfach Sympathie mit den Souveränen hegten. Die Wälder selbst waren kahl, da Digimon, die ihre Heimat deswegen verloren hatten alles eingeheimst hatten. Wenn das so weiter ging musste er noch Baumrinde fressen. Sein Magen knurrte lauter, dazu schien der Mond so penetrant in dieser Nacht, dass selbst mit geschlossenen Augen Tsukaimon von dem Licht geblendet wurde. Er drehte sich um, entgegen dem Licht, starrte gelangweilt die Grashalme an, die sich leicht bewegten, obwohl kein Wind wehte. Hinter den Grashalmen, die genau in Tsukaimons Sicht waren, war nur Schwärze. Diese gehörte aber nicht der Nacht, wie schon das Knurren nicht zu seinem leeren Magen gehört hatte. Langsam folgte Tsukaimon der Schwärze, sah nach oben – und blickte in die roten Augen eines Devidramon. Sein Atem stockte. Das hatte ihn gerade noch gefehlt. Devidramon waren mitunter die gefürchtesten Digimon in der Gegend. Nicht weil sie besonders stark, vielmehr weil sie besonders wild und ungehalten waren. Zudem neigten sie dazu in Rudeln unterwegs zu sein, was, wie Tsukaimon schnell feststellte, hier ebenso der Fall war. Hinter dem, das auf ihn herabblickte standen noch drei weitere, aber deutlich kleiner und vor allem abgemagerter. Auch sie litten an der knappen Nahrung und da machte es ihnen wohl auch nichts aus, dass an Tsukaimon selbst kaum etwas dran war. Tsukaimon sah sich um, bewegte sich aber dabei keinen Millimeter. Die Bäume standen zu weit voneinander, Hecken und Gras genauso wenig dicht wie hoch. Alles im allem schlechte Bedienungen, um ihnen auszuweichen oder durch ein paar geschickte Manöver im Zusammenspiel mit seinem Umfeld einen Vorteil zu erhaschen. „Großartig...“ Alle vier Devidramon sprangen auf ihn los. Noch im Sprung knallten sie aneinander, so konnte Tsukaimon noch ausweichen. Sie waren zu hungrig, als dass für einen Strategie inne hielten. Das Größte von ihnen – offensichtlich ihr Anführer – stand gleich wieder auf. Es lief Tsukaimon nach und holte mit seinen roten Krallen aus. „Böser Schrei!“ Die Schallwellen, die von Tsukaimon ausgingen reichten zwar nicht, dass das Trommelfell des Devidramons platzte, aber es genügte, dass es seinen nächsten Angriff abbrach und sich schüttelte. Bis es wieder zuschlug, war Tsukaimon wieder ausgewichen, in einen Baum, dazwischen, wieder auf den Boden. Er war flink und windig genug, dass dieses Devidramon nur die Umgebung und die Hindernisse erwischte, statt ihn. Sie gingen alle daneben. Ein großer Baum, der von Devidramon erfasst wurde fiel zwischen ihn und seine Beute. Für Tsukaimon die Gelegenheit zu flüchten. Doch dieses Devidramon war schnell und stand bereits vor ihm, ehe er sich in die Lüfte erheben konnte. Die glühenden Augen starrten ihn an. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Tsukaimon fühlte sich, als sei er aus Stein, seine Beine am Boden festgewachsen. Sein Bewusstsein, das Einzige über dass Tsukaimon noch Kontrolle hatte schrie seine physische Gestalt an, dass er sich in Bewegung setzen sollte. Es war nur die Attacke des Devidramon. Er musste sich bewegen. Sonst - (01000001 01101110 01100111 01110011 01110100 00111111) Was? Tsukaimon glaubte, einen Stromschlag gespürt zu haben. Sein Körper rührte sich immer noch nicht. Das Devidramon war nah. So nah, dass Tsukaimon seine Zähne zählen konnte. (H01000001st 01100100u A01101110gs 01110100? Su0110001101101000t d01110101 01100101twas? Su01100011ht du 01000001 01101100 01101001 01100011 01100101?) Ja, tat er. Er suchte etwas. Was er aber nicht tat, war Angst zu empfinden. Nein, er hatte keine Angst. Hatte er nicht. Durfte er nicht, selbst wenn ihn vom Tod nicht mehr viel trennte. Er hatte keine Angst. Aber er wollte, dass dieses Digimon Angst vor ihm hatte. (Dann lass dich 01100110 01100001 01101100 01101100 01100101 01101110) „Tsukaimon digitiert zu -!“ Die drei, mageren Devidramon, die ihrem Rudelführer den Vortritt gelassen hatten – schließlich hatte er den Anspruch auf das erste und das beste Stück – standen immer noch genau an der Stelle an der sie zurückgelassen wurden. Sie hörten Kampfgeräusche, Knurren, das Geräusch, wenn Haut riss. Devidramon hatten große Stärke, aber mitunter den primitivsten Verstand, den man haben konnte und dachten sich bei dieser Geräuschkulisse nichts. Sie gingen davon aus, dass ihr Anführer das mit der Beute tat, was er immer tat. Dann sprang dieser aus dem Busch. Panisch. Schwer verletzt. Es fehlte Fleisch an den Schultern, Daten lösten sich von der Wunde und verteilten sich in der Luft. Dann breitete dieses Devidramon seine Flügel aus und flog, ebenso von Angst gepackt davon, so schnell es konnte. Die zurückgeblieben Devidramon hoben ihre Schnauzen. Die Luft roch schwer. Es roch nach Blut, oder eher nach Daten, die genau wie Blut rochen. Wieder raschelten die Blätter und ein weiteres Digimon trat langsam heraus. Aus ihrer anfänglichen, mageren Beute war ein großes, schwarzes und hundeähnliches Digimon geworden, mit einem Blick, schärfer wie seine Zähne. Mit weit erhobenen Haupt schaute Dobermon auf die drei Digimon. Er war kleiner wie sie und doch sah er auf einer gewissen Metaebene auf sie herab. „Ihr habt die Wahl. Entkommen werde ich euch nicht lassen, also bleiben euch nur zwei Möglichkeiten: Entweder ihr kämpft und werdet ein schlimmeres Schicksal erleiden als euer Rudelführer oder ihr unterwerft euch.“ Sie dachten nicht lange nach. Alle drei gingen vor Dobermon in die Knie.   𝅘𝅥𝅯 Zur Zeit, als die Meister der Dunkelheit immer mehr zum primären Thema der Öffentlichkeit wurden errichteten viele der wenigen Städte und Dörfer, die es noch auf Server gab ihre Schutzmauern und mit ihrer Höhe und Dicke stieg auch die Skepsis unter allen Digimon. Bündnisse und Handelspartnerschaften wurden aufgelöst als Folge der Paranoia, unter irgendeinem Geschäftspartner oder Freund könnte sich ein Widerstandskämpfer und Sympathisant der vier Souveränen befinden, was die vermutliche Folge hätte, dass man selbst in die Schusslinie geriet. So beherrschten die Meister der Dunkelheit damit nicht nur die Politik und das Militär, sondern auch die Wirtschaft und Server geriet immer mehr in ihre Abhängigkeit. Die vier Souveränen waren das zweithäufigste Gesprächsthema gewesen. Nicht zuletzt, da sie in der ganzen Digiwelt die Einzigen zu sein schienen, die es im Kampf mit den Meister der Dunkelheit aufnehmen konnten. Ihr Erscheinen hatte die ein oder andere Katastrophe verhindern können, ansonsten wäre die Digiwelt schon längst ein Ascheberg. Die Gefühle waren jedoch gemischt, man schimpfte über ihre leere Versprechungen von Frieden und Harmonie, dabei schafften sie es nicht einmal einen der Meister der Dunkelheit auch nur irgendwie zu stürzen. Und Abkommen, die dazu gedacht waren Streitereien zwischen verschiedenen Städten oder Königreichen zu beenden, ehe die Meister der Dunkelheit dies mit Gewalt täten interessierte die Allgemeinheit wenig, obwohl die Bevölkerung unter diesen kleineren Konflikten ebenso litten. Dazu dieses eine Gerücht, dass die vier Souveränen seien Digimon, die mit Kreaturen aus einer anderen Welt sympathisierten. Mit Menschen. Unvorstellbar. Menschen. Das kannte man nur aus Märchenbüchern. Ein drittes Gesprächsthema, dass in einigen Winkeln Servers seine Runde machte, zumindest entlang der Straßen von Data Valley, stand vor einem der vielen, verbarrikadierten Dörfer. Ein Ninjamon hatte sich diesen angenommen und zusammen mit zwei Gazimon standen sie vor einem überaus finster blickenden Dobermon. „Nicht nur, dass du das erste Dobermon bist, dass ich ohne Rudel sehe, du kommst sogar ganz dreist hierher und fragst, ob du etwas von unserem Proviant haben kannst?“, fasste Ninjamon zusammen. Er legte das Gesicht in tiefe skeptische Falten, wie auch die Gazimon, während Dobermon selbst sich wenig rührte. Er stand einfach da und das allein missfiel den drei Digimon, weil allein seine Haltung Arroganz signalisierte. Ein gesundes Selbstbewusstsein besaß er zumindest. „Ich möchte nicht einfach etwas von euren Vorräten, schließlich bin ich kein Bettler. Ich bevorzuge es zu verhandeln.“ „Handeln willst du? Mit was?“, fragte eines der Gazimon, und hob vorsichtig eine seiner Klauen hoch. Mit einer Handbewegung signalisierte Ninjamon, dass es das sein lassen sollte. Dobermon war keinem von ihnen geheuer, da er sich nicht wie ein typisches Dobermon benahm. Allein wie er sprach. Allein wie er dastand. Allein die Tatsache, dass dieses Dobermon regelrecht nach Virus-Typ stank. Das war noch beunruhigender, da die letzten Dobermon, die noch zum Typus Virus angehörten längst ausgestorben und mit der Zeit zum Serum-Typ mutiert waren. Ein Sack, der neben Dobermon lag schob er mit seiner riesigen Pfote zu den drei Digimon. Das andere Gazimon griff danach und starrte ins Innere. Er war randvoll mit Kräutern und Wurzeln. „Heilpflanzen?“, fragte Ninjamon vorsichtig. „Richtig. Heilpflanzen, die nicht hier in unmittelbarer Nähe wachsen. Eurem Gartenzaun zu urteilen, habt ihr öfter Besuch von ungehaltenen Gästen.“ Dobermon sah zu den brüchigen Stellen im Holz, dass das gesamte Dorf umrahmte, eine Heimat für kämpferische, sich selbst als ehrenhaft bezeichnende Digimon, dass von seiner eigentlichen Bauweise der klassischen, japanischen frühen Edo-Zeit hätte entspringen können. „Medizin gegen Essen. Ein fairer Handel, wie ich finde.“ „Das Angebot ist an sich wirklich nicht schlecht. Aber sicherlich nicht gut genug, das es drei große Essensrationen wert wäre“, sagte das Gazimon, dass Dobermon zuvor noch gedroht hatte. Dobermon verengte die Augen etwas. „Ich erwähne es erneut. Es sind Heilpflanzen, die ihr so schnell nicht finden werdet. Ich bin seit mehreren Monaten auf der Straße von Data Valley unterwegs und die Vorräte sind knapp. Wenn ihr beim nächsten Kampf schwer verletzt werdet, hilft euch euer Essen nicht.“ „Wir benötigen es nicht nur für uns“, antwortete Ninjamon und sah Dobermon in die Augen. Sie waren blutrot und doch waren sie wie Eis. „Unser Proviant ist unsere Bezahlung für Meister Etemon. Essen für seine Truppen bedeutet für uns eine weitere Schonfrist.“ „Deine Worte zeugen von wenig Rückgrat und das für ein kämpferisches Digimon. Ein Jammer.“ „Ich nenne es Schadensbegrenzung. Besser wie sein Laufbursche zu werden“, schnauzte Ninjamon Dobermon an. Er verengte daraufhin weiter die Augen und zitternd wichen sowohl Ninjamon, als auch die beiden Gazimon von ihm. Ein großer Schatten flog über sie hinweg. Die drei blickten auf und sahen ein Digimon über ihnen kreisen. Dann flogen zwei der gleichen Sorte an der Sonne vorbei. Der Form zu urteilen waren es Devidramon. „Da oben seht ihr den Grund, wieso ich so viel Essen brauche“, sagte Dobermon nach langer Pause. „Euch wird klar sein, dass sie einiges an Essen brauchen, um ihren Jagdtrieb zu dämmen.“ „D-D-Die gehören zu dir?“, fragten die beiden Gazimon perplex. „Ich bin ihr Rudelführer und als dieser trage ich die Pflicht für ihre Versorgung. Es gibt nichts schlimmeres als hungrige Devidramon. Sie mutieren zu Berserkern. Ich kann mich zwar gegen sie zur Wehr setzen, allerdings sind sie unberechenbar. Wer weiß, auf wen oder was sie in ihrem Hunger losgehen.“ Die drei Digimon schluckten heftig, während sie weiter die Devidramon beobachteten und dann wieder zu Dobermon. Meister Etemon, der offiziell zur Partei der Meister der Dunkelheit gehörte und einen überaus hohen Rang genoss war schon kein angenehmer Geselle. Aber dieses Dobermon war bei weiten furchteinflößender und das war schließlich dies, auf was Dobermon hinaus wollte. Auf Furcht. „Verdammt, wäre Musyamon nicht gegangen, wäre das nicht passiert. Dann gibt ihm halt, was er möchte“, schnaufte Ninjamon verärgert, ehe er sich wieder mit Dobermon unterhielt. „Die Medizin kriegen wir aber?“ „Das war der Handel.“ „Und du lässt dich dann nicht mehr so schnell hier blicken?“ „Gewiss nicht.“ Keine zehn Minuten dauerte es, bis die beiden Gazimon drei gutgefüllte Beutel geholt und auf Dobermons Rücken packten. Sie halfen ihm noch sie festzubinden, dann rannte er davon. Die Devidramon folgten ihm, die kurze Strecke über die Steppe, zurück zu ihrem Lager am Waldrand. Während die Devidramon direkt zurückflogen, kam Dobermon erst viel später an. Jedoch hatten sie brav auf ihren Anführer gewartet, während sie sich im Geäst bedeckt hielten. Geduld war nichts, was sich für ein Devidramon gehörte, aber sie wussten was geschah, würden sie anfangen zu streiten. Sie respektierten ihren Anführer, auch wenn dieser bei weitem kleiner war als sie, vielleicht sogar schwächer. Physisch gesehen hätten sie es zu dritt gegen Dobermon aufnehmen können, wagten es jedoch nicht. Dafür fürchteten sie ihn zu sehr und aus Dobermons Sicht war das genau richtig so. Er blieb vor den drei Devidramon stehen. Den Proviant hatte er nicht dabei. „Euer Essen habe ich versteckt. Ihr könnt losfliegen und es suchen. Es gibt für jeden nur eine Ration, aber sie reicht zum satt werden. Wehe dem, wenn einer von euch versucht beim anderen zu klauen.“ Alle Devidramon knurrten leise. Es klang einschüchternd, allerdings signalisierten sie nur, dass sie sehr gut verstanden hatten. „Ihr greift auch kein anderes Digimon an oder sucht anderweitig nach Essen. Es ist ohnehin alles viel zu knapp. Sollte ein anderes Digimon natürlich sich an eurem Essen vergreifen, dürft ihr mit dem machen, was ihr wollt. Findet euer Abendessen und bringt es hierher, vorher wird nichts angerührt! Und jetzt geht!“ Sie flogen alle drei gleichzeitig los und in verschiedene Richtung, während Dobermon sich im matten Schatten eines Baumes niederließ. Selbst als Champion vertrug er die Hitze immer noch nicht. Die kühle Nacht war ihm lieber. Doch nur bei Tag fanden sich Digimon, die bereit zum Handel waren und er konnte im Tageslicht besser die richtigen Heilpflanzen finden – niemals hätte Dobermon gedacht, dass Babamons Crash-Kurs in Kräuterkunde ihm jemals nützlich sein würde – und die ausgehandelte Ware verstecken. Wenn die Devidramon schon nicht jagen durften, musste er eben ihr Essen in Gräben, Schluchten, zwischen dicken Ranken und Bäumen verstecken, ansonsten langweilten sie sich. Wer sich langweilte neigte eher dazu Dummes zu tun. Das hatte er auf Grey Mountain schließlich auch gelernt, deswegen hatte Babamon immer dafür gesorgt, dass ihre Schützlinge neben ihren Spielereien auch nützliche Beschäftigungen hatten. Ansonsten trieben sie Unfug. Im Falle der Devidramon würde ihr ungestillter Jagdtrieb eventuell noch dazu führen, dass sie ihn oder sie sich gegenseitig angriffen. Nach gut einer Stunde kam das erste Devidramon mit seiner Beute zurück und legte sie vor Dobermon ab. Die anderen beiden kamen nach weiteren fünf Minuten. Mit gesenkten Köpfen saßen sie in einer Reihe vor ihrem Anführer, während dieser auf die Fresspakete sah. Alle waren ungeöffnet. Natürlich waren sie es, schließlich hatte er es ihnen auch so gesagt und mit jeden Tag horchten sie mehr und besser. Sie hatten Angst vor ihm. Furcht war der Schlüssel gewesen ihre niederen Triebe zu brechen. Es war so schrecklich simpel. Selbst dass hatte Babamon schon gewusst, deswegen ließ sie auch so gerne ihre herrische Art raus. Nur war es in ihrem Fall mehr albern, als ernst zu nehmen. Sie gab sich mit Baby- und Ausbildungs-Digimon ab. Was er hier machte und mit wem er sich abgab war ein weit höheres Kaliber. „Sehr gut. Nun könnt ihr essen.“ Sie stürzten sich auf ihre Beute, kaum dass Dobermon die Worte aussprach. Er selbst ging von ihnen weg und legte sich wieder in den Schatten, den die untergehende Sonne in die Länge zog. Normalerweise legte Dobermon sich nicht einfach auf den Boden, mit dem Kopf auf den Pfoten. Er schlief nicht einmal wirklich, dafür traute er den Devidramon doch zu wenig. Wenn er schlief, wusste er nicht was sie trieben. Vielleicht kämen sie noch auf dumme Gedanken. Es zählte zwar das Gesetz des Stärkeren, doch wer stark war zog auch Feinde an und weckte den Ehrgeiz anderer, stärker wie er zu werden. Doch wenn alle Angst vor ihn hatten, würden sie sich nicht einmal trauen auch nur an so etwas zu denken. Das galt bei den Devidramon, wie auch bei allen anderen. Furcht war der Schlüssel. Nur sie wecken, das war die große Frage. Sicher, furchteinflößend war sein Anblick zu einem bestimmten Grad. Dobermon galten, auch die mutierte Form, als wild, blutrünstig und ungehalten, verfielen sie einmal in einen Rausch. Fast wie die Devidramon. Aber sich mit ihnen auf eine Stufe stellen wollte Dobermon nicht. Er weigerte sich zu bellen oder zu knurren. Er wollte nicht einmal seinen guten Geruchssinn benutzen, um sich zu orientieren. Das hieße den Kopf zu senken und nichts könnte ihn dazu bringen das zu tun. Statt also wie ein Tier herumzuirren und sich immer wieder auf Kämpfe einzulassen, arbeitete Dobermon an seiner Erscheinungen. An der Art wie er redete, seine Art wie er lief. Der Rücken musste gerade sein, die Beine komplett durchgestreckt, der Kopf stets erhoben. Alles musste stimmen, damit andere Digimon bereits bei seinem Anblick schlotterten und das gelang ihm auch. Er war furchteinflößend, aber wortgewandt. Die schweren Schritte der Devidramon weckten Dobermons Aufmerksamkeit. Langsam hob er seinen Kopf, blieb aber auf dem Bauch liegen. Hätten sie einen Angriff gewagt, wäre ihr Gang schneller gewesen. Fast unbeholfen standen sie vor Dobermon, ein Teil ihres Abendessens vor ihnen. Eines der Devidramon schob den Haufen an Nahrungsmitteln – überwiegend Fleisch - näher zu Dobermon. Keine Ahnung ob es Dankbarkeit oder ein Versuch war sich einzuschmeicheln, Dobermon blies nur verstimmt Luft aus seiner Nase. „Idioten. Das ist euer Essen. Was habe ich davon, wenn ihr nicht richtig satt werdet? Also isst, bevor es euch jemand wegnimmt. Ich habe schon gegessen.“ Wenn es auch nicht viel war. Dobermon hatte für sich selbst relativ wenig von dem Proviant genommen, ehe er den Rest entweder vergraben oder in einem Spalt im Boden geworfen hatte, um dieses Trio etwas Beschäftigung und Arbeit zu geben. Er widerstand dem Wunsch, nochmal was vom Fleisch zu essen. Seit er Dobermon war, hatte sich der Hunger danach vergrößert. Nach zarten Fleisch. Nach rohen Fleisch. Nach blutigem. Er war eben doch ein Dobermon und gegen die Daten, die sein Wesen formten konnte er sich nur bedingt wehren. Aber er fasste sich, nicht zuletzt weil er nicht mit seiner Gefolgschaft zusammen speisen wollte, als bestünde irgendeine soziale Bindung und sah ihnen noch kurz beim Essen zu, ehe er seinen Blick über die Steppe schweifen ließ. Die Sonne war weg, der Himmel violett, die hohen Gräser schwarz. Schwarz wie der Abgrund in Dobermons Träumen. Dort, wo das Heulen von Schneegestöber herkam. Und die Stimmen, die deutlicher und klarer wurden. Die nach ihm suchten und er finden wollte. Aber wo? „Ihr wollt euch erkenntlich zeigen?“ Die Devidramon unterbrachen ihre Mahlzeit, beobachteten ihren Rudelführer aufmerksam. „Ich wüsste etwas. Ich suche Schnee. Zeigt mir, wo Schnee ist. Und wenn es nur ein einziger Hügel ist. Ich will jeden Ort sehen, wo Schnee fällt oder fallen könnte.“   ♪ Der Winter sei rutschend, nässend und schneiend hieß es in einem von Babamons alten Mutter-Gans-Reimen, die sie ihren Findlingen oft vorsang. Durchaus Eigenschaften, die Dobermon unterschreiben würde, wäre da nicht noch weit, weit mehr. Doch das hier, was Dobermon erst nur in der Ferne erblickte und anfangs schon für die Grenze zur nächsten Schneewüste hielt besaß keinerlei dieser Eigenschaften. Und das, was in der Luft umherflog würde er auch nicht als schneiend bezeichnen. Erst bei näheren Herantreten kam ihm der Geruch entgegen, der ihm vergewisserte, dass dies kein Zeichen der nordischen Kälte war. Die Devidramon wurden nervös und trauten sich kaum überhaupt die Grenze von Steppe zu Wald und schließlich zum Gebirge, dass eines der vielen Schneegebiete von den Straßen Data Valleys abgrenzte, zu überschreiten. Eine eigenartige Aura lag über diesem Land, markerschütternd und zerstörerisch, dass selbst die als Monster mit tausend Augen geltenden Digimon in Panik gerieten und nur mit viel Abstand über die Route hinwegflogen. Der rauchende Atem der Dunkelheit und seine Präsenz lief über diesen unheiligen Boden. Man fühlte sich schlagartig beobachtet und eingekesselt, obwohl niemand hier war. Also ging Dobermon alleine über die Grenze, lief durch Gras und an kahlen Laubbäumen vorbei, um sich dem Gebirge und damit dem Pass Richtung Norden zu nähern. Die Devidramon brüllten ihm nach. Ob aus Wut oder aus Angst um ihren Anführer blieb ihm schleierhaft. Dort wo das Gebirge begann und der Weg spürbar steil wurde war Schnee, doch dieser Schnee war kein Schnee. Hier war nichts rutschend, nässend und schneiend. Asche flog umher und klebte an der Unterseite seiner Pfoten. Was immer hier war – Dobermon tippte nach den Überresten zufolge, dass hier ein größeres Lager war -, es war nichts mehr übrig. Obwohl hier auf dem Hügel am Fuß des Gebirges noch Wald sein sollte erstreckte sich vor ihm reine Einöde. Kein Stein und kein Stock lag mehr an seinem rechten Platz. In Ecken glimmte noch die Glut, aber sie würde bald erlöschen. An anderen Stellen, inzwischen in sich zusammengefallene Balken. Zelte, nur noch Stofffetzen erhoben sich schwach, wie eine Hand die um Hilfe bat und sank wieder, als die Kraft sie verließ. Dobermon stieg auf einen Fels, um von der geringen Erhöhung aus sich einen Überblick verschaffen zu können und prüfend bewegte er seinen Kopf von links nach rechts. Das Gebiet der Zerstörung war überschaubar, doch der Schaden war gewaltig. Seinen Augen folgten Fußspuren im lehmigen Boden, der an einigen Stellen verbrannt war – irgendwas musste explodiert sein – , die durch die weißgraue Asche nun besser zu erkennen waren. Es war ein Durcheinander, aber Dobermon erkannte ein paar der Spuren, deren Pfad große Schritte bildeten, obwohl die Füße dazu klein waren und dann plötzlich endeten, ehe sie in das sichere Geäst des Waldes abtauchen konnten. Genau an diesen Stellen starben Digimon bei ihrer Flucht. Er konnte regelrecht ihre letzten Schreie hören. Dobermon sprang von seinem Aussichtspunkt hinab und durchlief die Gassen aus Schrott und Schutt. Der Ort verbreitete Melancholie. Dobermon fand Reste von Waffen zwischen den Fußspuren. Schwerter, aber wem gehörten sie? Er fand zwar auch Sperre und Schläger, aber sie sahen wie selbst zusammengebaut aus. Die Schwerter hingegen wirkten schon professionell. Wenn sie jedoch zu einem Digimon gehörten, hätten sie sich mit diesem auflösen müssen. Dobermon wollte zwar endlich weiter um das zu suchen, von dem er immer noch nicht wusste was es war, doch interessiert lief er weiter durch die Trümmer, langsam und aufmerksam, damit ihm nichts entging. Er glaubte nicht, dass es Überlebende gab und doch suchte er den Boden nach Hinweisen ab. Vielleicht würde er ja erfahren, wer diese Zerstörung zu verantworten hatte. Er entdeckte etwas. Bunte Punkte waren unter der Asche begraben, teilweise verbrannt und sie blieben wie die Asche auch an ihm hängen. Konfetti. Hier? Überreste einer Feier? Bei dem Versuch es abzuschütteln, da dass Dobermon zu makaber erschien das sich so etwas an so einem Ort befand wirbelte er versehentlich etwas auf. Er hielt es erst für einen Stofffetzen, bis er genau hinsah und dann vorsichtig berührte. Das Material war gummiartig, aber dünn. An einer Stelle war noch der Knoten mitsamt einer dünnen, langen Schnur. Und bei der Tatsache, dass hier Konfetti lag, kam Dobermon zum Schluss, dass es vielleicht ein Luftballon war, sich aber fragend, was so was hier machte. Etwas stand geschrieben, die schwarze Schrift war aber fast gänzlich verblichen. Die Worte waren so aufgeschrieben worden, dass sie die Form eines Herzens mimten: WER___SCHOSS AUF__ROT__ROBIN ? ICH! DER CLOWN LACHT UND SCHLACHTET ALLE AB ! Dobermon stutze. Es klang wie einer von Babamons alten Mutter-Gans-Reimen. Alkoholgeruch stieg ihm plötzlich in die Nase, es roch jedoch nicht nach Sake, Bier oder etwas ähnlichem, dafür war der Geruch zu scharf und die Intensität zu stark. Neben ihm lag einer von vielen Haufen aus Holz und Trümmern und Dobermon schob sie mit seinen Pfoten zur Seite, dann griff er unter die Bretter und holte hervor, was darunter begraben wurde. Vier kleine Fläschchen rollten heraus und an ihm vorbei, eines war noch geschlossen. Eine Rolle Mullbinden kam mit heraus und breitete sich aus, während sie von Dobermon davonrollte. Dobermon beugte sich und kontrollierte den Geruch aus den geöffneten, aber leeren Flaschen. Der Alkohol kam aus einer von ihnen und er ging davon aus, dass in der anderen, die noch zu war das selbe drin war. Aus einer anderen roch er Ringelblumen. Die andere roch nach Beinwell. Typische Kräuter zur Behandlung von Verletzungen oder aus denen Heilsalben gemacht wurden. Hier musste ein Lazarett gewesen sein um die Digimon aufzufangen, die bei ihrer Reise über den Pass, in der Hoffnung im Zentrum Servers mehr Wohnraum, Essen und Arbeit zu finden erschöpft oder verletzt waren. Aber wer griff so etwas an? Holz knirschte hinter Dobermon und erschrocken und kampfbereit sprang er auf. Sein Fell stellte sich auf und er fletschte mit den Zähnen, als ein Digimon hinter einem Haufen verbrannter Überreste herausgesprungen kam. Das Digimon stellte sich als ein Sukamon heraus, dass Dobermon nicht einmal zu bemerken schien, denn es sprang überaus fidel auf die Fläschchen am Boden zu. „Na endlich, ich dachte ich muss auf dem Trocknen bleiben“, grinste das Sukamon, öffnete die Flasche und kippte mit nur einem Schluck den gesamten Flascheninhalt weg. Es fing augenblicklich an sich zu schütteln, spuckte und kratzte sich mit seinen Händen über seine übergroße, hellrote Zunge, um den Geschmack loszuwerden. „Das war ja ein abscheulicher Drink.“ „Das war kein Drink, das war Desinfektionsmittel“, baffte Dobermon verärgert und stellte weiter sein Fell auf. Sukamon aber blinzelte nur verständnislos. „Was ist hier passiert?“, fragte Dobermon schließlich. Sukamon waren nicht sehr intelligent, aber er hoffte zumindest, dass dieses Digimon wenigstens das wüsste, wurde aber enttäuscht. „Weiß ich nicht“, antwortete es nur unbekümmert. „Was machst du dann hier oder wie kommst du hierher? Das nächste Dorf ist Kilometer entfernt.“ „Weiß nicht.“ „Und was weißt du?“ „Ich weiß, dass ich einen Drink brauche. Irgendwo hier wird es sicher was geben“, sagte Sukamon und sprang weiter ohne jede Bedenken davon. Es griff sogar nach einem der Schwerter und fuchtelte damit herum, sagte sogar noch, was für ein alberner Käsespieß das sei. Angewidert schaute Dobermon dem Digimon nach, wie es weiter durch die Trümmern sprang. „Bitte denk nichts falsches“, rief eine piepsige Stimme, die aus der selben Richtung kam, aus der zuerst Sukamon hervorkroch. Dieses Digimon aber war ein Chuumon. Dobermon vermutete, dass dieses zu dem Sukamon gehörte, da diese Digimon symbiotisch miteinander lebten. Doch anders wie sein Freund schien das Chuumon bedrückt und müde. „Weißt du, was hier geschehen ist?“, fragte Dobermon und es nickte, während es auf wackligen Beinen stand. „Hier war ein Sanitätslager. Man wollte die Digimon hier auffangen, die von ihrer Flucht vom Norden verletzt wurden. Die, die dieses Lager errichtet haben waren Anhänger des Widerstandes. Aber das wussten wir nicht. Sie haben mich und Sukamon wieder aufgepäppelt.“ „Und warum ist es nun zerstört?“ „Das... das waren die Meister der Dunkelheit“, antwortete es verängstigt und Chuumon begann fast zu weinen. „Ich und Sukamon sollten nur in den Wald und eine ganz bestimmte Blume holen, die in Seen und Teichen wächst. Sie würde helfen, dass die Digimon, die verletzt und verängstigt sind sich beruhigen und so schneller gesund werden. Wir wollten uns nur dankbar zeigen nach ihrer Hilfe. Und als wir wieder kamen...“ Chuumons Stimme versagte. Es schnappte nach Luft, was eher klang als hätte es Schluckauf und griff sich dabei auch an den Hals. „Die Meister der Dunkelheit vernichten alle, die zum Widerstand gehörten. Selbst vor den verletzten Digimon, die nichts davon wussten machten sie keinen Halt. Machinedramon... E-E-Er hat mit einen Angriff... Und ihr Anführer hat jeden, der sich auflehnte...“ „Ihr Anführer?“, harkte Dobermon nach, aber Chuumon schaffte es nicht den Namen dieses Digimon auszusprechen. Seine Pupillen wurden klein, als er sich an den Anblick erinnerte, wie ein einziger Angriff von Machinedramon Lager und Bäume in das verwandelten, was sie nun waren, ohne jede Chance für die Opfer. Also fragte Dobermon nicht mehr und starrte nochmal zu Sukamon hinüber, der eine weiße Kapuze gefunden hatte, sich aufsetzte und damit mitsamt dem zerbrochenen Schwert spielte. „Benimmt sich dein Freund deswegen so merkwürdig?“, fragte Dobermon. Chuumon schüttelte den Kopf. „Es... geschah vor unseren Augen. Wir haben die Digimon und die Widerstandskämpfer zerfallen sehen. Er hat den Anblick nicht verkraftet. Kurz darauf rannte Sukamon in den Wald. Als ich ihn einholte, war er schon so. Er...“ Chuumon hob die rechte Hand, die es die ganze Zeit schon geschlossen hielt. Das pinke Maus-Digimon brachte es kaum fertig die verkrampfte Faust zu lösen. Als es dies aber tat, lag ein kleiner, bräunlicher Pilz darin. „Sukamon hat Iss-mich-und-du-vergisst-alles-Pilze gegessen“, erklärte Chuumon schließlich bedrückt und fassungslos. Dobermon kannte diese Pilze, nicht zuletzt aus Babamons Kräuterkundebücher. Geierkrallen. Ein uraltes Gift, für Forschungszwecke und in der Apartheid gern genutzt, um ein Digimon zum Reboot zu zwingen. „Er hat alles vergessen. Absolut alles. Leider auch, dass er versprochen hatte nicht mehr so viel zu trinken. Aber wenn Sukamon somit besser zurecht kommt, ist es den Preis wert.“ „Und warum trägst du einen solchen Pilz mit dir herum? Willst du auch alles vergessen?“, fragte Dobermon und klang regelrecht herausfordernd. „I-Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann doch nicht einfach vergessen, wie freundlich und nett diese Digimon und diese komischen Gestalten in den weißen Kutten waren. Man hört nicht viel Gutes über die Sympathisanten der vier Souveränen, aber sie waren netter als ihr Ruf. Aber das hier... Erst die Rassenkriege und jetzt das hier. Die Digiwelt versinkt im Chaos. Unschuldige Digimon sterben. I-I-ich halt das nicht mehr aus! Ich will nicht mehr daran denken!“ „Hör auf zu jammern!“, keifte Dobermon Chuumon an. Vor Schreck und Angst, Dobermon würde nach ihm schnappen sprang es hinter einen Holzbalken. Da Dobermon ihm nicht nachjagte, traute es sich vorsichtig aus seinem Versteck herauszuschauen, um in Dobermons verärgertes und strenges Gesicht zu sehen. Viel Mimik besaß dieses Digimon nicht, aber sein Blick war kalt. Und denen der Meister der Dunkelheit nicht unähnlich. „Denkst du, du bist das einzige Digimon in der gesamten Digiwelt, das damit fertig werden muss? Entweder du erträgst es oder du machst es wie dein Freund. Die Welt ändert sich nicht durch Tränen und Geheule. Und von deinem Mitgefühl haben jene, die bereits tot sind nichts. Also erspare dir und der Digiwelt diese Farce.“ Verächtlich schnaufte Dobermon noch, murmelte „schwächliches Gesindel“ vor sich hin, ohne Chuumon noch einmal zu beachten. Er lief gemäßigten Tempos weiter, bis ein Stück Holz nach geraumer Zeit an ihm vorbeiflog und zu Boden fiel. Das Stück hatte Chuumon nach ihm geworfen, dass mit knirschenden, schiefen Zähnen dastand und ihn mit seinen unterschiedlich großen Augen Dobermon fixierte, während es weiter Rotz und Wasser heulte. „Wie kann man nur so ekelhaft und kaltherzig sein?!“, brüllte es Dobermon nach. „Hast du gar keinen Funken Anstand oder Respekt im Leib?!“ „Respekt muss man sich verdienen. Darum verschenke ich auch keinen.“ Auch Dobermon schaute nun zu Chuumon zurück, dieses machte daraufhin erneut einen Satz zurück, versteckte sich diesmal aber nicht. Dafür zitterte es aber. Dobermon beachtete diese armselige Kreatur aber nicht länger wie nötig. „Ich habe mehr Respekt vor meinen Feinden, die bis zum bitteren Ende kämpfen, als vor Kameraden, die winselnd und jammernd in der Ecke sitzen. Ihr und andere Digimon seid Opfer eines Krieges. Dies ist bedauerlich – aber nichts, wofür ich euch Respekt oder Mitgefühl zolle. Solange ihr untätig seid, habt ihr nichts anderes wie Missgunst verdient.“ Im Augenwinkel erkannte Dobermon nur noch, wie Chuumon erst erstarrte und noch einmal den Pilz in seiner Hand betrachtete. Dann sprintete Dobermon los. Im Westen ging die rote Sonne unter, doch die Farbe wurde von einer dünnen Wolkenmauer verschluckt. Dobermon glaubte am Himmel die Devidramon zu erkennen, die einen großen Bogen um dieses Land machten. Dobermon ließ das Feld der Zerstörung hinter sich. Ob Chuumon den Pilz aß oder nicht erfuhr er nie.   ♬   Vier Schneegebiete und Eiswüsten waren den Devidramon auf Server bekannt und gehorsam wie Dobermon sie erzogen hatte brachten sie ihn auch direkt dorthin. Die Menge an Eis und Schnee unterschied sich, während sie immer weiter von Data Valley Richtung Norden abkamen. Eine war nicht mehr wie ein Gletscher, eine andere – die vierte, die Dobermon aufsuchte nachdem er den Pass hinter sich ließ eine kalte Landschaft, in der der Wind ebenso grausam war, wie die Kälte. Dafür hatten sie alle eine Gemeinsamkeit: Sie waren nicht das, was Dobermon suchte. Dobermon ließ die Devidramon immer zurück, sobald er in der Ferne eine größere Menge an Weißem sah. Er wollte alleine sein, wenn er dachte, dass er das, was er suchte gefunden hätte. Dieses Gebiet war schon am Rande des Meeres. Dobermon sah Eisbrocken im Salzwasser von Net Ocean davon treiben, so weit wie es ging zumindest. Der Schneesturm war stark und selbst ihm war bitterkalt. Dobermon sah vom Meer fort weiter über die kahle, farbloses Landschaft, durch die Schneeflocken hindurch, die ihm ins Gesicht peitschten. Irgendwo in der Ferne sah er Berge, aber Dobermon war klar, dass dort hinzulaufen nichts brachte. Das, was er suchte, war nicht hier. Zu erwarten beim ersten Versuch fündig zu werden wäre zu viel an Optimismus, doch er musste gestehen, dass mit der Zeit die Motivation, die er zu Beginn besaß doch erheblich gesunken war. Zumal Dobermon immer noch nicht wusste, was er denn eigentlich im Schnee suchte. Schnee und Eis war überall gleich, die gleiche Farbe, die gleiche Konsistenz, der gleiche Geruch. Aber etwas fehlte. Etwas bestimmtes. Etwas entscheidendes. Irgendetwas. Aber was war dieses Irgendetwas? (das hängt zu einem guten Teil davon ab was zu finden möchtest! Sprach die Grinsekatze) Eigentlich war Dobermon es gleich. Hauptsache irgendetwas. (dann ist es gleich, was du findest) Enttäuscht war Dobermon nicht, schließlich hatte er mit so einem Ergebnis gerechnet. Doch seine Brust fühlte sich schwer an. Und dass er sich an Alice im Wunderland erinnerte half seiner sinkenden Entschlossenheit kein bisschen. Im Gegenteil. „Vielleicht ist es Zeitverschwendung“, sagte er zu sich selbst. Dobermon sah seinen Atem in der Luft, wie auch rechteckige Steine vor ihm. Irgendwie erinnerten sie ihn an die alte Zeichnung der Klaviertasten, die er einst Jijimon zeigte. Vorsichtig tippte Dobermon auf einen der Steine, dann auf den nächsten, die Kälte und den Sturm ignorierend. Er begann Klaviertöne zu hören, statt den Sturm. Dobermon wusste, er konnte spielen. Er wusste es einfach. Er wusste, was der Unterschied von Dur und Moll war. Wie ein C im Vergleich zu einem A klang, oder ein Ges im Vergleich zum Gis. Er wusste es und fragte nicht woher er es wusste. Er wollte spielen. „Vielleicht verschwinden dann zumindest die Stimmen.“ Dobermon tippte noch weiter auf den falschen Klaviertasten herum. Die Stimmen wurden lauter, statt leiser. Und deutlicher, so deutlich, dass Dobermon klar wurde, dass es zwei waren. Eine rief, dass er weiter suchen sollte. Die andere, dass er einfach nur tiefer in den Abgrund blicken müsse.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)