Wintersonett von Rakushina (Which dreamed it?) ================================================================================ Konzert IV - CAUCUS RACE, 3. Satz, Presto un poco A-Moll -------------------------------------------------------- 𝄡 Desk Falls verdankte seinen Namen nicht allein der offensichtlichen Parodie zum Wort Desk Top, sondern bezieht sich überwiegend auf den riesigen Wasserfall direkt an der Küste. Sämtliche Flüsse Servers flossen von Norden nach Süden und vereinten sich schließlich zu einem einzigen unaufhaltsamen Strom, der die Klippe hinabstürzte, direkt in das offenen Meer. Das hier ein Stützpunkt des Widerstandes sein sollte war bekannt, anders jedoch wo genau er war. Den Wenigsten war das Höhlensystem hinter den großen Wasserfall geläufig, nicht einmal den Digimon, die direkt an Desk Falls lebten. Würde man das Wasser abstellen, würde man sehen, dass die Abhänge mehr einem löchrigen Käse glichen als einer Felswand. Die Strömungen waren zu stark und außer direkt durch die Wassermassen gab es keine Möglichkeit in diese Höhlen zu gelangen. Außer man war stark genug gegen die Maßen anzukämpfen. Oder man gehörte dem Widerstand an und kannte sich mit dem Höhlensystem aus. Einst erstreckte sich dieses System quer durch Server, vom Süden bis hin zu den Gebirgen, dass das Zentrum und damit Data Valley vom Norden trennte – Grey Mountain. Jedoch bohrte sich das Dunkle Netzwerk, dass Etemon kontrollierte tief in den Boden der Digiwelt, verpestete diesen mit Dunkelheit und man entschloss sich die meisten Wege und Höhlen zuzumauern oder zu sprengen. Das garantierte nicht vollständig das man unentdeckt blieb, verhinderte aber deutlich, dass miteinander verbundene Stützpunkte und heimliche Kameraden entdeckt wurden, die ebenso damit vertraut waren. Zhuqiaomon war müde und schwach, doch der Lärm des rauschenden Wasserfalls hinderte ihn daran einzuschlafen. Ebenso die Schmerzen. Dreizacke steckten immer noch in seinem Brustkorb. Dicem und Otto versuchten sie herauszuziehen. Zhuqiaomon glaube zumindest, dass es Dicem und Otto waren. Diese Helfer-Programme sahen absolut identisch aus und Persönlichkeit war nicht Hauptbestandteil ihrer Daten oder ihres Daseins. Zumindest mit Ausnahme von einem von ihnen vielleicht. Der letzte Dreizack wurde herausgezogen. Man hatte auf Zhuqiaomons Wunsch seinen Schnabel zugebunden, um die Schreie zu dämpfen und ihm nicht einmal die Möglichkeit zu geben, seinen Schmerz in die Welt zu brüllen. Zwar war der Wasserfall laut, aber den Schrei eines solchen Digimon hätte er niemals übertönt. Der Schmerz war wie ein Knäul in seinem Brustkorb, dann bereitete dieser sich wie eine Welle in alle Richtungen aus. Der Souverän des Südens atmete rasch und laut. „Meister Zhuqia-“, schrie Dicem auf, Otto hielt ihm noch den Mund zu. Außerhalb ihrer sicheren Basen war es verboten Namen auszusprechen. Und gerade Otto war einer der Helfer-Programme, der das verdammt ernst nahm. Insgesamt waren sie zwölf. „Es geht schon wieder“, murmelte Zhuqiaomon trotz des verbundenen Schnabels. Dicem nahm das Tuch ab, während Otto den letzten Dreizack wegwarf. Wie auch alle anderen davor löste auch dieser Dreizack sich in Datenreste auf. Es waren die Waffen von MetalSeadramons AncientMermaidmon. Zhuqiaomon versuchte unter Stöhnen sich wieder aufzurichten, doch scheiterte. Er war noch zu schwach. „Ihr müsst Euch schonen“, sagte Dicem streng. „Ihr seid zu waghalsig. Wäre Meister Azulongmon nicht gewesen -“ „Es galt dem höheren Zweck. Das Wichtigste ist geschafft.“ Alle drei schauten auf einen Weidenkorb in einer Ecke, zwischen mehreren, leuchtenden bläulichen Stalagmiten versteckt. Goldendes Digizoid funkelte durch das wenige Licht, dass die Steine von sich gaben. Einst war dies ein Stück von MetalSeadramons Rüstung. Digizoid suchten die Helfer-Programme immer mehr vergebens in der Digiwelt. Es war selten und die Digimon, die es als Rüstung oder Waffe mit sich trugen gaben es um keinen Preis freiwillig her. Bei dem Kampf zwischen den beiden Digimon, die sich um den Süden Servers stritten ging es anfangs nicht einmal um das kostbare Material. MetalSeadramon kontrolliert die Wirtschaft im Süden. Das Meer war Hauptnahrungsquelle vieler Digimon die im Meer oder an der Küste lebten. Der Streit begann aufgrund von Überfischung. Die Meeres-Digimon bekamen immer weniger Fisch und Algen und Kannibalismus häufte sich. MetalSeadramon riss die Herrschaft des Meeres an sich, überfiel die anliegenden Fischerdörfer und regulierte den Fischfang und den Algenabbau. Was anfangs gut klang entwickelte sich letztlich nur zu einem Akt aus Ignoranz und Doppelmoral, denn MetalSeadramon nahm so gut wie alles an sich. Zusätzlich flutete er einige Teil der Küste, um sein Territorium auszuweiten, was zudem Trinkwasser reduzierte. Nun hungerten die Digimon in den Dörfern wie die Meeres-Digimon zuvor, genauso wie die Digimon, die mit Fischern handelten. Ihre Acker konnten sie nicht aufrechterhalten. Auf die Bitte auf Handel reagierte MetalSeadramon mit kompletten Desinteresse. Der Versuch Zhuqiaomons zu verhandeln endete, da beide ein doch großes Temperament aufwiesen, unweigerlich in einem Streit. Das Meer war ihr Schlachtfeld und MetalSeadramon genoss seinen Heimvorteil. Zhuqiaomon glaubte zwar nicht daran, diese Meeresschlange nach jahrelanger Feindschaft doch ganz plötzlich zu besiegen – so selbstüberschätzt war er dann doch nicht -, aber zumindest ihm das Digizoid abknöpfen zu können. Es hätte mehr sein können, hätten die AncientMermaidmon, die MetalSeadramon aus tiefster Dankbarkeit verfallen waren Zhuqiaomon nicht hinterrücks attackiert. Ja, wäre Azulongmon nicht gewesen... Zhuqiaomon war über diese Rettung weniger erfreut und beschwerte sich, was der blaue Drache sich hatte einmischen müssen und ließ seinem Temperament seinen Lauf, während Azulongmon es über sich ergehen ließ und wenn er was sagte nichts weiter als altkluge Weisheiten über seinen Bart kamen. Es war fast wie früher. Zhuqiaomon, wenn auch noch immer wütend sagte sich schließlich doch, dass er sich bei seinem alten Freund bedanken. Irgendwie. Irgendwann. Wenn keiner zuschaute. Eine der Felswände rüttelte, Steine fielen von den Seiten, als sie sich öffnete und im Boden verschwand. Ihnen war klar, dass dies eigentlich nur Meister Ebonwumon sein konnte und doch war die Überraschung groß. Auf ihrem Panzer saßen ebenfalls zwei der Helfer-Programme, Settem und Agost. Während Dicem und Otto sich augenblicklich vor Ebonwumon verbeugten, hörte man von Zhuqiaomon ein genervtes Ausatmen, dass er noch zu unterdrücken versuchte. Zwar gut genug, dass keiner der Helfer-Programme es hörte, aber da Ebonwumon zwei Köpfe besaß und somit doppelt so gut hörte wie sah, war dieser Versuch vergebens. „Ich hörte, du warst leichtsinnig“, sagten ihre beiden Köpfe mit verschiedenen Stimmen. Die Stimme des linken Kopfes war weiblich, der rechte männlich, wobei die weibliche Tonlage etwas dominierte. „Es war nur eine Verhandlung, die aus dem Ruder lief.“ „Du hättest einen von uns rufen sollen. Wir hätten dir doch geholfen.“ „Es geht um meine Himmelsphäre!“, brüllte Zhuqiaomon. Eine Hitzewelle fegte dabei durch die Höhle. Während die vier Helfer sich duckten, teilweise sogar zu Boden fielen, stand Ebonwumon regungslos da. Wasser von den Wasserfällen verdampfte und machte die Luft nur noch stickiger. „Dieses Digimon hat fast den kompletten Süden unter seiner Kontrolle. Das Wasser steigt und so ignorant wie MetalSeadramon ist, endet dies noch in einer Katastrophe und Hunger.“ „Ich verstehe deinen Zorn“, sagte Ebonwumon. „Auch ich habe die Kontrolle über den Norden verloren. Ich kann nicht mehr tun wie Digimon sicher ins Zentrum des Kontinentes zu bringen. Die Digimon sind uns gegenüber immer noch skeptisch. Also versuche wenigstens besonnen und friedlich zu handeln. Oder willst du genauso sein wie die Meister der Dunkelheit, die nur die Sprache des Kampfes kennen?“ „Du hast den Norden verloren, weil du aufgegeben hast!“, schimpfte Zuqiaomon weiter. „Du hättest es mit Machinedramon aufnehmen können! Wieder typisch, dass du den Kampf scheust.“ „Ich habe so gehandelt, dass es die wenigsten Opfer kostet. Soll ich meine Verbündeten in den sicheren Tod schicken?“, verteidigte Ebonwumon sich weiter. „Wir haben aktuell wenig Chancen gegen diese Digimon. Und mir ist das Wohl derer, die mir vertrauen wichtiger.“ Dann, sonst eher ungewöhnlich für Ebonwumon, wo sie doch recht sanftmütig war, hob sich ihre Stimme. „Und nicht mein gekränkter Stolz.“ „Du klingst schon wie Azulongmon!“ „Er hat aber nun einmal Recht und dich schließlich gerettet.“ „Ich habe meine Methoden die Dinge zu regeln, also mischt euch nicht ein und seht zu, wie ihr eure Gebiete unter Kontrolle bewahrt! Ich sehe nicht zu, wie MetalSeadramon die Küste flutet!“ „Wenn du dabei sterben solltest, wirst du dies nicht mehr verhindern können.“ Agost ging einen Schritt nach vorne, jedoch deutlich nervös und nicht sicher, ob die beiden Digimon, die viel, viel größer wie er und seine Brüder waren ihn überhaupt beachten würden. Die beiden Digimon beendeten den Streit, aber auch nur weil Ebonwumon wusste, was Agost mitteilen wollte und Zhuqiaomon immer noch die Schmerzen spürte. „Wir sind eigentlich hierher gekommen um Euch mitzuteilen, dass die Weiße Königin Fortschritte macht“, berichtete Agost. „Drei von acht Wundern sind vollständig.“ „Erst drei?“, schnaubte Zhuqiaomon. „Dieses Digimon arbeitet mit Gennai schon so lange daran und sie hat bisher nur drei geschafft?“ „Sie ist jung“, ermahnte Ebonwumon. „Und sie wurde mit dieser Aufgabe ohne jede Vorwarnung konfrontiert. Wir können froh sein, dass sie überhaupt in der Lage ist die Aufgabe der Roten Königin fortzuführen, geschweige denn, dass sie dieses Erbe überhaupt angenommen hat.“ „Sie kann jedoch nie mit Mutter Gans mithalten“, ächzte Zhuqiaomon weiter und bei der Wahl des Decknamens wurde Ebonwumon zumindest etwas deutlich, mit welchen Gefühlen sich Zhuqiaomon herumschlug. Den Tod von Babamon traf ihn von allen vier Souveränen am schwersten. Trotz seiner Impulsivität, schon damals als Rookie, war er nie ein offenherziges Digimon gewesen. „Das wissen wir nicht. Ich glaube an ihr Potenzial. Sie braucht nur Zeit um weiter zu reifen und sie ist jetzt schon auf einem sehr guten Weg. Azulongmon hat für solche Digimon ein gutes Gespür. Er ist optimistisch“, sagte Ebonwumon weiter. „Azulongmon ist immer optimistisch. Es grenzt schon an einem Zwang.“ „Aber wichtiger ist noch die Frage, ob sie dort auf Grey Mountain sicher ist“, schloss sich Dicem der Diskussion an, doch Settem beruhigte ihn: „Absolut. Der Nebel ist undurchsichtig und die Berge werden gut bewacht. Und sollten feindliche Digimon auftauchen, werden sie von den drei Schülern bekämpft und von der Weißen Königin schließlich ihres Kampfwillens beraubt. Bis die Eindringlinge den Wald verlassen haben wissen sie gar nicht mehr, was überhaupt geschehen war. Und vor drei Monaten etwa -“, Settem holte einen zerknitterten Brief aus der Innentasche seiner Kutte, „ - schloss sich zudem noch ein Digimon ihr an. Es war ebenfalls vor Jahren ein Findelkind der Roten Königin, mitsamt einer nicht geringen Zahl an Gefolgschaft. Es handelt sich zwar um Geist-Digimon, die aber von den Meistern der Dunkelheit ihrer Heimat beraubt wurden und daher einen tiefen Groll auf diese hegen. Das schrieb uns zumindest Gennai.“ „Zumindest etwas, das reibungslos funktioniert“, seufzte Otto und fuhr sich einmal durch die kurzgeschnittenen, braunen Haare. Zhuqiaomon wirkte immer noch wenig begeistert, aber zumindest etwas entspannter. Sein Blick fiel wieder auf das Digizoid. „Dann bringt ihr das, so schnell wie möglich. Je eher sie die Wappen fertigstellt, um so eher werden die Digimon schlüpfen. Und je eher umso mehr Zeit haben wir, sie auf den Kampf vorzubereiten, bis ihre Partner hierherkommen.“ Die vier Helfer nickten zustimmend, während Settem nach dem Korb griff und den Inhalt betrachtete. Das Licht der Stalagmiten spiegelte sich in der Platte, groß genug, dass sie seine Schulter und Oberarm decken könnte, aber nicht sonderlich dick war, kaum dicker wie Papier. „Hm. Für zwei Amulette könnte es reichen. Vielleicht sogar für drei, mehr nicht.“ „Also werden wir noch mehr brauchen. Nur wo?“, stellte Otto verzweifelt fest. „Wir haben schon alles abgesucht.“ „Ich könnte die Orte, die wir schon abgesucht haben noch einmal unter die Lupe nehmen“, schlug Agost vor. „Vielleicht könnte dort noch etwas sein.“ „Hüte dich aber“, ermahnte Ebonwumon. „Ihr seid dort gesehen worden und all diese Gebiete stehen unter der Kontrolle der Meister der Dunkelheit.“ „Das werde ich, Meister Ebonwumon.“ „Und ich werde das hier so schnell wie möglich zur Weißen Königin bringen“, sagte Settem. „Gut. Dicem und Otto sollen euch ein Stück begleiten“, sagte Ebonwumon, worauf die vier irritiert reagierten, dann fügte sie hinzu: „Keine Sorge. Ich bleibe noch etwas bei Zhuqiaomon. Geht ruhig.“ „Ja... Verstanden, Meister.“ Die vier verbeugten sich übertrieben ehrfürchtig. Trotz Skepsis machte niemand auch nur den Anschein zu widersprechen oder zu zögern. Sie gingen, ohne zu hinterfragen, ohne sich zu wundern, sie taten es einfach. Ihre Ausnahme in der Reihe hätte noch stillgestanden und zurückgeschaut, aber diese vier verschwanden und Ebonwumon fragte sich, ob diese eine Ausnahme ein Fehler war, um die Regel zu bestätigen, oder ob es von der Allmacht der Digiwelt so erdacht war. Oder hatte gar niemand Einfluss darauf, sondern war eine Laune der Digiwelt, eine Mutation, wie sie schon seit Jahren unter den Digimon zu sehen war? Der große Unterschied zu den Meistern der Dunkelheit und den Souveränen und dem Widerstand war – sie glaubten daran, dass Digimon lernten. Die Digimon wurden individueller, empathischer und komplexer. Im Groben noch den typischen Eigenschaften ihrer Art und ihres Typus treu – das war nun einmal ihrer Basis, verankert bis tief in ihren Kern, das konnte man nicht umschreiben – entwickelten sich aber Feinheiten und Eigenarten. Sie wirkten lebendig. Sie waren fühlende Wesen. Vielleicht schon immer gewesen. Und eine Welt voller solcher fühlender Wesen, egal ob gut oder böse durfte nicht verenden. Sie musste bewahrt werden, mit ihren Eigenarten. Und auch ihren Fehlern. An das glaubten die Souveränen. Dies hatte man ihnen auch von klein auf beigebracht. „Bekomme ich eine weitere Predigt?“, schnaubte Zhuqiaomon, nachdem die vier Helfer verschwunden, außer Sicht und ganz sicher nicht mehr in Hörweite waren. „Ich möchte nur etwas Zeit mit meinem alten Freund verbringen. Es ist zu lange her.“ Ebonwumon ging etwas in die Knie, um so eine bequeme Position zu finden, direkt neben Zhuqiaomon. Er hingegen, noch zu schwach um sich selbst auf den Beinen zu halten, drehte den Kopf in eine andere Richtung. Die Flügel lagen so eng an seinem Körper, dass er mehr wie ein großer, runder Feuerball aussah. Zhuqiaomon starrte zum Wasserfall und Ebonwumon beobachtete ihn dabei. Das Rauschen war laut, man hörte nicht einmal seine eigenen Gedanken, was sich dadurch zeigte, dass Ebonwumons rechter Kopf (der mit der eher maskulinen Stimme) leicht die Stirn runzelte, um eben nachzudenken, während der linke Kopf weiter mitfühlend auf Zhuqiaomon starrte. Neben dem Rauschen ertönte hin und wieder das Geräusch der Tropfen, die von der Decke fielen und wenn sie die Oberfläche eines Kristalls trafen, hallte ein zartes Geräusch wie Glas durch die Gänge, ähnlich wie Glocken. „Ich vermisse Satsuki.“ Einige Tropfen fielen wenige Millisekunden versetzt von der Decke, aber beide trafen auf einen Kristall. Eine Sekunde später folgte ein dritter, der vierte traf auf den Boden und gab nur ein eher dumpfes Echo. Es klang beinah wie der Beginn einer Symphonie, dass zumindest fand Ebonwumon, wenn die vier Souveränen jedoch alles andere als musikalisch waren. Die Töne berührten ihr Herz. Selbst erzeugen konnten sie jedoch keine. „Ja. Ich vermisse meinen Partner auch“, gab Zhuqiaomon schließlich zu, starrte aber weiter zum Wasserfall. Für ihn hatte das kleine Tropfen-Konzert nichts musikalisches. Er empfand es eher als nervtötend. „Fragst du dich auch, was sie machen?“, fragte Ebonwumon, nachdem nach der Äußerung ihres Kameraden und Freundes nichts weiter kam und nach langer Verzögerung antwortete dieser schließlich, wenn auch ungern: „Ja. Manchmal.“ „Wünschst du dir denn auch, dass Hatori bei dir wäre?“ „Nein. Ich habe mich damit abgefunden, dass er vermutlich nie mehr die Digiwelt betreten kann. Was ist mit dir?“ Die Falten von Ebonwumons rechten Kopf lösten sich auf und beide Gesichter schauten gequält drein. Die Musik der Wassertropfen erinnerte nun nicht mehr an ein Musikstück, sondern mehr an frühere Zeiten, als Ebonwumon noch jünger und kleiner war und die Zeit hatte im Wasser zu tollen. Trotz dass sie stets zu einer Digimon-Art angehörte, die Wasser hasste, egal auf welchem Level, hatte Ebonwumon selbst Wasser und Schwimmen immer geliebt. Genauso wie Satsuki. Ein kleine, scheues, aber so kluges Menschen-Mädchen, auf dass sie seit ihrer Geburt wartete. Jeden Abend, wenn Babamon, ihre Mutter Gans sie zu Bett brachte sagte sie den damals jungen, zukünftigen Souveränen Bald, bald kommen sie. Und sie kamen und Ebonwumon brach damals fast in Tränen aus Es war, als wäre ein Teil von ihr zu ihr gekommen, den sie zwar nie kannte, aber dennoch vermisste. Merkwürdig manchmal, diese Gefühle. „Ich wünschte manchmal, Satsuki wäre hier. Dann hätte ich vielleicht meine alte Stärke wieder. Vielleicht hätte ich den Norden retten können. Nun jedoch bleibt mir nichts, wie zu hoffen, dass die nächste Generation das schafft, woran wir scheiterten.“ Zhuqiaomon tat weiter so, als interessierte es nicht, was seine alte Freundin ihm erzählte und sah den herabfließenden Wassermengen zu, die sich ihren Weg in den Net Ocean bahnten. Die Salzluft jedoch in der Höhle war unangenehm und der sich stauende Wasserdampf half dabei nicht. An der Decke sammelte sich eine Wasserperlenschicht und selbst von den dunkelgrünen Nadeln des Baumes, der auf Ebonwumons Panzer wuchs tropfte es. „Was denkst du, warum wir es nicht schaffen? Ob es an Tapirmons Tod liegt?“, fragte Zhuqiaomon. Ebonwumon wunderte sich, dass er ihren alten Freund erwähnte, zumal er sich damals mir Tapirmon nicht so gut verstand (aber wenn man ganz ehrlich war besaß Zhuqiaomon nie sehr viel soziale Kompetenz und dass er und Azulongmon so eine starke Bindung hatten, verdankte er einzig der engelgleichen Geduld des Drachen-Digimon). Doch einen Freund zu verlieren, der wie ein Geschwisterchen war – der Anblick brannte sich ihr ihren Kopf. Sie hätten zu fünft sein können, wären sie nur stärker gewesen. Wären sie schneller gewesen. Wären sie eher digitiert. Der Angriff kam und Tapirmon entschied sich, statt zu digitieren seinen Partner zu retten. (Ich bin zu schwach und wenn ich schon nicht so digitieren kann dann ja dann) Konnten sie sich vergeben? Ebonwumon konnte es schwer. Zhuqiaomon behaarte zwar darauf, dass es sein musste. Was nützte das Leben eines Freundes zu retten wenn dafür die Welt unterging, aber sie hatte berechtigte Zweifel daran, dass ihr Freund und Bruder das wirklich so einfach hinnahm, wie er tat, genauso wie es mit dem Verlust ihrer Partner war. „Vielleicht. Es hat uns deutlich geschwächt. Aber wir haben die Meister der Dunkelheit damals auch unterschätzt. Diese Macht die sie haben ist geradezu abnorm“, meinte Ebonwumon, aber hörte nur ihre weibliche Stimme sprechen, der Teil von ihr, der ruhig und redlicher war. Der rechte Kopf schwieg, er schluckte nur schwer. „Aber ich kämpfe weiter. Für unseren verlorenen Bruder und für Satsuki. Sie hat die Digiwelt geliebt. Sie hat mich geliebt. Wo immer sie ist, ich hoffe, sie hat ein schönes Leben. Selbst wenn sie nie mehr wiederkehrt. Sie soll lachen und erwachsen werden. Sie soll mit einem Lächeln ihren Kindern und Kindeskindern hiervon erzählen. Von uns. Nicht vom Krieg, sondern von all den Erfahrungen und Wundern. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Welt unserer Träume zerstört wird. Wir alle dürfen das nicht.“ „Ja. Das soll Hatori auch“, sagte Zhuqiaomon zustimmend. Dass er Ebonwumons Einstellung teilte kam für sie so überraschend, dass nun beide Köpfe überrascht dreinschauten. Das Phönix-Digimon neben ihr nahm noch einmal seine Kräfte zusammen und stellte sich auf seine Beine. Das rote Federkleid war nass, aber nachdem Zhuqiaomon einmal seine Federn schüttelte, kehrte nicht nur auch ihre Fülle wieder, sondern auch seine Kräfte und die damit verbundene Hitze, die den letzten Rest Feuchtigkeit verdunsten ließ. „Er soll in seiner Welt seine Kämpfe bestreiten. Und ich kämpfe dafür, dass die Digiwelt, wie er sie kennenlernen durfte niemals ihren Glanz verliert. Egal was geschieht. Die Digiwelt darf nicht untergehen. Diese wahrgewordenen Albträume, die sich Meister der Dunkelheit nennen sollen nicht das zerstören, an das wir glauben.“ „Wo du es ansprichst...“, fing Ebonwumon an, hielt aber erst innen. Was immer ihrem alten Freund die Kraft wiedergab den Schmerz und die Wunden zu ignorieren – man sah die Lücken im Federkleid,die die Dreizacke verursacht hatten noch wenn man genau hinsah – , sie war froh ihn so zu sehen. Dann fiel ihr wieder ein, was sie sagen wollte und der kurze Hauch von Freude wurde wieder ernst. „Ich habe Puppetmon in den nördlichen Wäldern rund um den Wasteland Cemetery gefunden. Die Pflanzen-Digimon sind ihm hörig, obwohl er sich wie ein Rookie-Digimon benimmt. Er hängt sehr an einem Cherrymon und manchmal wusste ich nicht, wer Meister und wer Diener war.“ „Auf was willst du hinaus?“ „Puppetmon hat ihm befohlen ihm Geschichten vorzulesen. Puppetmon besitzt eine Sammlung von Märchen. So wie unsere Mutter Gans“, sagte Ebonwumon mit verschiedenen Stimmen und beide betonten das auch je anders. Während die männliche Stimme eher erstaunt klang, klang es von Seiten der Weiblichen eher danach, als sei dieser Gedanke und die Aussage bei weitem mehr wie nur eine Feststellung. „Das sich bekannte Märchen in der Digiwelt verbreiten ist nichts Unbekanntes. Mutter Gans hat selbst welche übersetzt und in Umlauf gebracht“, erklärte Zuqiaomon mit erhobener Stimme. Er wusste genau, auf was Ebonwumons feminine Hälfte hinaus wollte, schließlich hatte sich Ebonwumon früher schon eher weiblich Verhalten. Ob das an ihrem Charakter lag oder weil sie sich das von ihrer Partnerin abschaute war im Unklaren. „Aber findest du das nicht merkwürdig? Was soll ein Digimon wie er damit?“, fragte Ebonwumon weiter und wieder klangen die beiden Stimmen in ihrer Betonung absolut asynchron. „Er benimmt sich wie ein Rookie. Das erklärt es. Erinnere dich wie wir waren, als wir auf diesem Level und unsere Partner noch nicht hier waren. Wir konnten den Hals nie voll genug kriegen, ganz besonders Azulongmon. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft uns Mutter Gans MOMO, HÄNSEL UND GRETEL oder ALICE IM WUNDERLAND vorgelesen hat.“ „Aber nicht nur er hat diese Obsession. Erinnerst du dich an damals? Wir konnten damals noch nicht auf das Ultra-Level digitieren und wir haben Machinedramons Basis gestürmt. Wir haben seine Computer lahm gelegt.“ „Ja, daran erinnere mich. Eine mehr als waghalsige Aktion. Und weiter?“ „Seine Computer waren ebenfalls nach Märchenfiguren benannt. Ins einen Dateien gab Machinedramon die Namen solcher Figuren seinen Kameraden. Satsuki, Daigo und Maki haben dies damals herausgefunden, da sie die Namen aus ihre Welt kannten. Aschenputtel, Frau Holle, Marie, Eiserner Heinrich… Wir empfand das damals schon als sehr merkwürdig. Aber wir hielten es damals nicht für wichtig.“ „Manche Digimon haben komische Geschmäcker. Dass die Meister der Dunkelheit Exzentriker sind haben wir damals schon bemerkt. Erinnere dich, wie Piedmon mit uns gespielt hat.“ Ein kurzes Schweigen, hervorgerufen durch bizarre Erinnerungen herrschte, wobei sich beide nicht sicher waren, ob dass wirklich Erinnerungen oder Albträume waren. Piedmon besaß eine im wahrsten Sinnes des Wortes sehr verspielte und bunte Art der Folter. Das war bei weitem schlimmer als einfache physische Gewalt. „Ja, wie könnte ich das vergessen. Aber findest du nicht, dass das alles nicht ganz zusammenpasst?“, fragte Ebonwumon weiter. Die Stimmen hatten beide zwar nun die selbe Betonung, aber es war genau diese unterschwellige Betonung, dieses Da-ist-irgendetwas-faul-aber-ich-sage-es-nicht-direkt-Betonung, die Zhuqiaomon noch nie leiden konnte. „Irgendetwas stimmt mit diesen Digimon nicht. Mir kommt es vor, als -“ „Was?“, sprach Zhuqiaomon dazwischen. Er versuchte es nicht einmal zu verbergen, dass ihn dieses Thema auf die Nerven ging und er nichts davon hören wollte. Azulongmon tat dies bereits. Zhuqiaomon wollte darüber nicht nachdenken und es auch nicht hören. Es würde nichts ändern, selbst wenn das, was Azulongmon dachte stimmen würde. Zhuqiaomons Ausbruch war seine Art zu sagen, dass Ebonwumon es lassen sollte, zu ihrer aller Besten. Und sie hielt sich daran. „...Vergiss es. Du weißt, du solltest nicht jeden Gedanken, den ich ausspreche ernst nehmen. Du schimpfst doch bereits früher, ich besäße zwei verschiedene Geister.“ „Ja. Und wenn ich dich so ansehe, schien ich damit Recht behalten zu haben“, brummte Zhuqiaomon. Er drehte sich ein Stück nach links, um einerseits mehr Abstand zu gewinnen und nicht mehr gezwungen zu sein, Ebonwumon direkt in ihre beiden Gesichter zu sehen. „Werde nur schnell wieder gesund. Und mache so etwas nie wieder“, sagte Ebonwumon deutlich besorgt und ohne jede Andeutung, sie könnte wütend sein, weil ihr Kamerad versuchte sie zu ignorieren. Aber wenn Zhuqiaomon darüber nachdachte, wunderte es ihn nicht. Er war früher sehr temperamentvoll gewesen und launisch und Ebonwumon, egal auf welchem Level stets die Ruhe selbst, stand darüber. „Ja. Werde ich, Kudamon.“ Beide Köpfe drehten sich langsam zu Zhuqiaomon. Dieser jedoch schaute nicht zu seinem Kameraden, nur zum Wasserfall und durch das Wasser hindurch sah man die verschwommene Silhouette des Mondes. Kudamon. Wie lange war es her, dass Ebonwumon diesen Namen hörte? Wie lange war es her, dass sie Rookies waren? Seit damals waren sie nicht mehr zurückdigitiert sondern verharrten auf dem Mega-Level. Ein Vorteil könnte man denken, doch das Opfer war ihre Partner nie mehr sehen zu können. Sie hatten nur sich selbst und den Glauben, ihren Partner ginge es gut. „Danke. Muchomon.“ Ebonwumon ließ sich neben ihren Kameraden und Freund nieder. Beide Köpfe zog sich in den Panzer zurück, jedoch nicht komplett. Noch einmal sah sie zur Seite, aber Zhuqiaomon schaute immer noch nicht zu ihr. Aber sie kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er trotz seiner rauen Art froh war, nicht allein hier zu sein.   𝅗𝅥 „Ihr? Ihr sollt Diener von diesem Mönch-Digimon sein?“ Digitamamon, der vor seinem Restaurant und vor seiner Bar mit einem Wagen umherzog um Essen ans Digimon zu bringen, blickte entrüstet abwechselnd zu dem Bakemon und dem Soulmon, die ihn aus dem Nichts ansprachen, kaum dass es dämmerte. Er gehörte nicht zu Sanzomons heimlichen Verbündeten, denen sie Spitznamen gab und mit denen sie in ihren Briefen nur in Kinder-Reimen sprach, aber er belieferte sie mit Essen und fuhr öfter mal die Straße zwischen der Kaktuswüste und der üppigen Steppe um Data Valley vorbei, nicht weit vom Ewigen Wald fort, obwohl es so gar nicht seine Route war. Sirenmon war eine alte Freundin von ihm, die bei Sanzomon Arbeit fand und auch wenn Digitamamon Sanzomon nie getroffen hatte, hatte er von dem gelesen und dem gehört, was sie von sich gab und es klang ganz interessant, was sie so über Individualität erzählte. Und Sirenmon versicherte ihm, dass sie ein anständiges Digimon sei und auch gut bezahlen würde, würde er sie mit Speis und Trank versorgen, dass sie dort, wo ihr Kaninchenbau sein sollte nicht anbauen konnte. Und Digitamamon teilte seine Waren mit diesem Digimon, wenn Sirenmon schon sagte, dass auf sie Verlass sei. Allerdings tat er es weniger, weil Sirenmon eine alte Freundin war, sondern eher, weil Digitamamon fürchtete, die Bitte eines Mönch-Digimons abzulehnen oder Geiz zu zeigen wäre schlecht fürs Karma und damit schlecht fürs Geschäft. Aber Sirenmon wegen würde er sich hüten, irgendwas davon an die Meister der Dunkelheit zu verraten, allein schon auch, weil ihre Schergen ihm auf den Keks gingen und ihn immer versuchten zu beklauen. Er fand allerdings Sanzomons Boten, die die Ware abholten suspekt. Die Butterflymon und Rabbitmon, die im Ewigen Wald lebten gingen ja noch. Dieses Gokuwmon oder dieses Sagomon aber waren keine angenehmen Gesellen, wie die es als hochrangige Schüler eines heiligen Digimon geschafft hatten war Digitamamon ein Rätsel. Aber ihre Haut war ehrlich, das musste man ihnen lassen, dafür dass sie Viren waren. Digitamamon war selbst ein Virus-Typ und nicht gerade die Güte in digitaler Form, aber er selbst musste gestehen, dass die Banden, die sich zusammentaten, gerade unter den Viren eine Plage waren. Die Meister der Dunkelheit waren das Paradebeispiel dafür. Auch wenn sie selbst gegen diese Plünderungen und gegen den Vandalismus waren und jene bestraften, die sie dabei erwischten war nicht zu leugnen, dass sie wenig dagegen taten Diebstahl und Gewalt vorzubeugen, sondern es nur mehr förderten. Aber diese beiden Hohlköpfe passten so gar nicht zu einem Digimon wie Sanzomon eines war oder zu dem, was sich als ihre Schüler bezeichnete. Aber vielleicht waren die beiden die Erklärung dafür, warum dieses Sanzomon, beziehungsweise Sirenmon in ihrem Namen seit den letzten paar Wochen so viel rohes Fleisch wollte. „Wollt ihr mich für dumm verkaufen? Was will sie denn mit solchen zwei Intelligenzverweigerern? Wo ist das Digimon mit dem Vogelkopf oder dieser grimmige Affe?“ „Meister Sanzomon hat gesagt, wenn sie uns in ihre Obhut nimmt, müssen wir uns auch an der Arbeit beteiligen.“ „Genau. Und deswegen sind wir heute statt Sagomon und Gokuwmon hier. Die haben nämlich zu viel zu tun.“ Eigentlich ja nur Sagomon. Nachdem Gokuwmon ein paar Extrastunden mentales Training von Sanzomon hat über sich ergehen lassen, das überwiegend aus Lektüre und Sutras bestand, hatte er eine ganze Ladung Bücher und Schriften auf seinen Rücken gepackt und war damit auf und davon. Sanzomon sagte, er verkaufte ein paar Bücher oder tauschte sie gegen Brauchbares. Sagomon (der an dem Tag dazu verdonnert worden war Babysitter zu spielen) meinte, Gokuwmon würde die Zeit nutzen um sich unter die Digimon zu mischen, im Maulbeerbusch oder im Jack Jingle. In erster Linie natürlich um zu trinken. „Das soll ich euch abkaufen? Ihr versucht mich nur auszutricksen, weil ihr an meine Ware wollt, aber daraus wird nichts. Ihr kriegt nichts ab.“ Digitamamon streckte seine dicken, reptilienartigen Beine aus, um sich vor den beiden Digimon zu brüsten, dass sie ja nicht auf die Idee kämen irgendwelche Tricks anzuwenden, wenn sie wirklich so lebensmüde - konnten Geist-Digimon überhaupt lebensmüde sein? - wären, ein Ultra-Level Digimon anzugreifen. Aber mit einem eher leeren Gesicht sahen Bakemon und Soulmon sich, dann Digitamamon und dann wieder sich gegenseitig an. „Sanzomon sagte, dass das passieren könnte.Das wäre sehr wahrscheinlich.“ „Hat sie. Sanzomon sagte aber auch, dass wir das hier zeigen sollen, wenn das Wahrscheinlichste passiert.“ Soulmon packte seinen schwarzen Spitzhut und nahm ihn von seinem Kopf, dass man sein Gesicht erkennen konnte, dass unüberraschender Weise genau wie das eines Bakemon aussah. Nur dass Soulmon noch eine Blume auf seinen Kopf hatte, die es unter seinem Hut transportierte. Die Blume entpuppte sich als eine blühende Seerose, mit einem Weiß, dass von Schnee hätte sein können und nur wenn man richtig hinsah, sah man dass die Ansätze der Blütenblätter und der Blütenstempel in der Mitte rosa waren. Normalerweise waren die meisten Seerosen geruchlos, aber diese hatte eine sehr dezente und süßliche Note, wenn man nah genug heranging. Diese Sorte gab es überall auf dem Kontinent, aber nur Sanzomon kam auf die Idee, diese als eine Art Markenzeichen zu benutzen und die Einbände ihrer Bücher mit einer simplen Zeichnung dieser Blumen zu schmücken. Auf so eine kitschige Geste würden solche zwei Hohlköpfe nicht kommen. „Sieht wirklich aus wie eine von Sanzomons Seerosen. Und genauso riechen tut sie auch.“ Die beiden Geist-Digimon nickten sich zufrieden zu. Ihre in Laken verpackten Krallen klatschen sie zusammen, als wollten sie beten, dabei hielt Soulmon weiter die Seerose in der Hand. „Wir beten auch zusammen mit Sanzomon.“ „Ja, tun wir“, sagten sie und schlossen ihre Augen und summten oder murmelten irgendetwas, dessen Sinn Digitamamon nicht verstand und für die beiden die Vorstellung eines Sutras entsprach. „Ein Sutra kann viel mehr, als vor Unheil zu bewahren. In erster Linie dienen sie dazu, innere Kraft zu schöpfen“, hatte Sanzomon ihnen erklärt. „Und ein Sutra, das Kraft geben soll, kann euch ja keine Kraft nehmen. Das wäre ja paradox“, hatte Cho-Hakkaimon erklärt. Das gab schon Sinn. Also gesellten sich die Bakemon und Soulmon manchmal zu diesem früh morgendlichen oder eben abendlichen Gebetsritus und waren überzeugt, dass es auch ihnen Kraft gab. Sehr wahrscheinlich war es aber auch einfach nur Suggestion. Phantomon hatte Meister Myotismon von dem neuen, ungewöhnlichen Hobby seiner Dienerschaft erzählt und seine Begeisterung hielt sich, milde und freundlich ausgedrückt, in Grenzen. „Na ja, ihr beide seht tatsächlich nicht ganz so hohl aus wie die Bakemon die ich kenne. Und die Blume scheint überzeugend. Also dann nimmt die Sachen und zieht wieder Leine.“ „Dankeschön.“ Noch mit einer höflichen Verbeugung als Abschluss, was Digitamamon noch unheimlicher fand wie die Existenz von Geister-Digimon an sich, nahmen Bakemon und Soulmon die Kisten, die Digitamamon vorbereitet hatte und schwebten zufrieden zurück in jenes Waldstück hinein, dass an derr Steppe angrenzte. Die Lücken zwischen den Bäumen waren noch groß, erst wenn man in Sichtweite des Ewigen Waldes kam wurden sie dichter, und die späte Nachmittagssonne schien hindurch, so schwebten Bakemon und Soulmon entlang der Bäume, wo sie noch etwas Schatten warfen, die mit jeder weiteren Minute Richtung Abend länger wurden. „Ist noch gut gegangen, nicht? Hätte nicht gedacht, dass das mit der Seerose funktioniert. Wenn nur alles immer so leicht wäre.“ „Stell dir vor, man könnte Meister Myotismon damit so leicht überzeugen.“ Der Gedanken war so absurd, dass er in ihren Köpfen nicht mal Form annehmen konnte und sie flogen weiter. Bakemon jedoch, das, wenn es schon gedanklich bei Meister Myotismon war dort auch erstmal blieb, dachte weiter und es nahmen ganz andere Gedanken Form an. Es stoppte. „Findest du auch, dass Meister Myotismon sich verändert hat?“, fragte es Soulmon, dass eigentlich weiter fliegen wollte, damit sie in den sicheren, dichten Schatten abtauchen konnten, aber es ging noch mal zurück. „Wie verändert? Ich merke nichts. Also beeil dich, du weißt, der Meister hasst Verspätungen.“ Stimmt, und sie wollten keinen Ärger mit Meister Myotismon haben. Schließlich sollten sie zu ihrer Nachtschicht wieder da sein und vermutlich würden die Baby-Digimon auf sie warten und noch fragen, ob sie einmal mit ihnen durch die Gänge flogen, ehe Sanzomon sie einsammelte, ihnen etwas vorlas oder sang, ehe sie sie zu Bett brachte. Sie verstanden nicht, warum sie das tat. Sie, als Geist-Digimon waren Untergeordnete ihres Meisters, sie waren seine Soldaten und Digimon wie Myotismon waren dazu bestimmt, dass die Untoten niemals vollständig aus dem Reich der Lebenden verschwanden und Angst und Schrecken verbreiteten, den der Tod war nie das Ende und unausweislich, wenn die Lebenden dass auch nur zu gern vergaßen. Auch wenn es seit den Typus-Kriegen keine Myotismon mehr gegeben hatte, war dieses Myotismon ohne jeden Zweifel jener untote König, von dem man sich in den ganz alten Geschichten erzählte und wie lange hatten sie darauf gewartet, um mit ihm in den Kampf ziehen, ohne es zu hinterfragen. Aber das was Meister Sanzomon für ihre Nicht-Untergeben tat hatte nicht mal Sinn, da sie die Digimon, wenn sie alt und stark genug waren ziehen ließ. Hatte was von Selbstfindung und ihren eigenen Weg gehen erzählt. Komisches Digimon, dieses Sanzomon. Aber scheinbar ganz in Ordnung. „Welche Veränderungen hast du jetzt gemeint?“, fragte Soulmon. „Na ja, findest du nicht auch, dass Meister Myotismon sehr viel Zeit bei Sanzomon verbringt?“, sagte Bakemon, dabei kam es selbst erst bei dem Gedanken an Sanzomon auf die Erkenntnis, dass sie beide wohl nicht die Einzigen waren, die Sanzomon ganz in Ordnung fanden. Soulmon hob unter seinem Hut die Augen. „Natürlich tut er das, Sanzomon ist schließlich die Schlossherrin.“ „Aber er hat zuvor nicht so viel Zeit bei ihr verbracht. Also, eigentlich doch, aber nicht so viel.“ „Sei doch froh, dann haben wir mehr Freizeit. Du weißt wie er ist, wenn er schlechte Laune hat.“ Ja, das wussten sie. Sie mussten an Puppetmon denken, an jenen Abend, an dem ihr Meister sich erhoben hatte, auf den sie gewartet hatten. Ausgerechnet ein Digimon aus den Reich der Lebenden. Zur Epoche der Apartheid gar nicht zu denken gewesen. Serums zu den Serums, Dateien zu Dateien, Viren zu den Vieren und unter den einzelnen Rassen während der Typus-Kriege – eigentlich irreführend, weil sich nicht die Typen, sondern die verschiedenen Rassen um Reich und Gloria stritten - war es ähnlich. Pflanzen zu Pflanzen, Puppen zu Puppen, Tiere zu Tiere, Untote zu Untote und wehe ein Digimon hielt sich nicht aus gutem Grund daran. Aber dieses Dobermon hatte irgendetwas an sich. Etwas Zerstörerisches. Es taten sich entsetzliche Abgründe auf, wenn Meister Myotismon schlechter Laune war. Selbst wenn er gar keine Laune hatte. Da war ihnen sogar Piedmon lieber, da wusste man von vorne rein, dass man mit allem und mit dem unsinnigsten rechnen musste. Den Mächten sei Dank waren sie bei Sanzomon untergebracht, die keine Abgründe kannte und Meister Myotismon, nun... „Da ist aber noch was.“ Soulmon blieb wieder stehen, als Bakemon mit sich selbst sprach, wenn es ihn auch nervte, da es endlich in die dichteren Teile des Waldes wollte. Und zurück zum Schloss, wo die netten Sistermon waren, die ihnen manchmal den Staub aus den Laken klopften und den Stoff glattstrichen. „Mein Bruder hat mir da etwas erzählt.“ „Und was?“ Bakemon traute sich erst nicht es laut auszusprechen. Es dachte daran, dass die Bäume es mithören und Meister Myotismon zuflüstern könnten und dann wären sie beide erledigt, da würde keine Blume der Welt helfen. Sie hatten beide nicht die geringste Ahnung davon, ob dass überhaupt im Rahmen von Meister Myotismons Kräften war, aber es war ihm zuzutrauen. Meister Myotismon spielte schließlich immer mit verdeckten Karten und fand am Ende doch immer alles heraus. Vermutlich hatte jedes einzelne Grashalm Ohren und flüsterten ihm alles zu. Wer wusste das schon. Digimon wie Myotismon wurden schon immer bizarre Fähigkeiten zugesprochen. Mit einer kleine Handbewegung bat es Soulmon näher zu kommen, so dass Bakemon ihm in sein, mehr oder weniger nicht vorhandenes Ohr flüstern konnte, was es erzählt bekommen hatte. Vielleicht war es wirklich nur albernes Geschwätz, aber man schwor ihm, dass es wirklich so passiert sei und dass schon öfters. Man hatte gesehen, wie Meister Myotismon und Sanzomon eng umschlungen in den Gängen und Räumen des Schlosses standen. Man hatte gesehen, wie Meister Myotismon sie geküsst hatte, aber statt auch nur einmal den Versuch zu wagen, ihren Hals zu durchbohren, wie es sonst mit Digimon tat, die ihm gefielen, hatte er sie weiter geküsst und man hatte sogar ihre Zungen sehen können. Man hatte gesehen, dass trotz des harschen Tones der zwischen ihnen manchmal herrschte, Sanzomons Gesicht ganz rosig war und die Augen geleuchtet hätten, obwohl Meister Myotismon sie an Stellen berührte, die für eine Diskussion sicherlich nicht angemessen waren. Man hatte gesehen - „Hö-Hör sofort auf! Du spinnst doch!“, schrie Soulmon Bakemon mitten ins Gesicht, sein gesamter, lakenähnlicher Körper war nicht mehr weiß, sondern puderrot geworden bei den Vorstellungen, die ihm durch den Kopf gingen. „Das ist bestimmt nicht passiert.“ „Natürlich ist das passiert, unser Bruder hat mir das im Vertrauen erzählt.“ „Eingebildet hast du dir das und dein Spiegelbild hat dir das erzählt. Wir sehen schließlich alle gleich aus.“ Bakemon wollte einwerfen, dass das nicht sein konnte, sonst könnte weder Meister Myotismon, noch Sanzomon sie voneinander unterscheiden. Aber Sanzomon war ja eine Sache für sich, und bei Myotismon war es sich ohnehin nicht so sicher, ob er sie wirklich unterschied, also sparte es sich das Kommentar. Aber Bakemon hätte schwören können, dass es sie sogar selbst einmal erwischt hatte. Oder doch nur geträumt. Konnten sie überhaupt träumen? Und wenn ja, warum dann so etwas? „Oh, dabei war es gerade so spannend. Erzähl doch mal, was du noch alles so gesehen hast.“ Bakemon war überzeugt, keine Knochen zu haben, aber in dem Moment als es diese Stimme hörte, dachte Bakemon sie hätten unter seinem Lakenkörper geklappert. Silbernes Haar tanzte vor seinen Augen und das weibliches Kichern schwebte unheilvoll über ihm. Soulmon hatte es ebenfalls bemerkt und sich herumgedreht, wollte noch schreien, dass Bakemon Acht geben sollte. Aber da packte LadyDevimon es schon und zog es mit sich ins Ungewisse. Was blieb, war eine Spielkarte.   𝅘𝅥𝅯 „Schön, dass mein Pianist sich auch endlich mal hierher bequemt. Dachte schon, du wärst krepiert.“ Das Klavier verstummte jedoch nicht. Myotismon spielte ganz gelassen weiter.Zu lange konnte er die Woge dieser Klänge nicht mehr genießen, nicht würde ihn also darin hindern, bis er sein Stück zu Ende gebracht hätte. Wie lange dauerte es, bis Piedmon ihn bemerkte, oder eher ihn bemerken wollte? Zwanzig Minuten? Wie großzügig auf einmal. Es gab dieses Bild tief in Myotismons Erinnerungen. Mit Kunst kannte er sich, im Vergleich zur Musik fast gar nicht aus. Aber das Bild der musikalischen Hölle war ihm durchaus vertraut und wenn es nicht unsinnig wäre, könnte man glauben, der Maler dieses Kunstwerkes hätte sich dabei das Höllenorchester der Meister der Dunkelheit als Inspiration bedient. Ein unheilvolles Zusammentreffen waren ihre Proben immer. Sie unterhielten sich, meist geschäftliches. Ebonwumon hatte den Norden aufgegeben. Das Dunkle Netzwerk verbrauchte zu viel Energie, Etemon soll sich doch endlich etwas besseres ausdenken, anstatt Machinedramon alles aufzuhalsen. Etwas Neues vom Widerstand, Nein, gut so. Sie bekommen mehr Anhänger, dann tötet sie, warum so lange diskutieren? Nicht genug Fisch für alle, so gebe ihnen halt Muscheln, dann halten sie endlich den Mund. Nicht beachtet zu werden missfiel Myotismon, aber hier im Reich der Herzkönigin war dies ein Segen, auch wenn er sich einerseits sicher war, dass Piedmon wusste, dass er schon die Zeit anwesend war und nur auf den passenden Moment wartete. Wenn die Ankündigung, dass der Pianist endlich eingetreten war schon die Ouvertüre einleitete, konnte der Rest dieses Schwachsinnskonzertes nicht besser werden. Seitdem er und Piedmon sich auf dem Friedhof begegnet waren und der Schneesturm ausgebrochen war, wurde Myotismon diesen irren Clown nicht mehr los und er selbst hing an ihm, wie die Bakemon und Soulmon an ihrem Meister. Piedmon sagte, er suche schon ewig nach seinem verlorengegangen Pianisten und es sei ziemlich böse darüber, dass Myotismon sich hat so lange Zeit nehmen lassen. Aber ihr Orchester wäre nun endlich vollständig. Sie gehörten zusammen, wegen ihrer Art, wegen ihrer Ansichten. Sie alle haben unter der Typus-Apartheid gelitten. Wie, darüber wurde natürlich geschwiegen, aber die Verbundenheit war da und man wusste es, ohne dass man die Notwendigkeit hatte es auszusprechen. Sie verstanden sich ohne Worte, was man kaum glauben mochte, wenn ein Außenstehender sah, wie sie miteinander umsprangen. Wie Freunde, wie Sanzomon vielleicht gesagt hätte sicherlich nicht. Dafür hassten sie sich untereinander viel zu sehr. Sie mochten alle ihre eigene Art haben und ihre eigenen Methoden, aber was sie alle gleichermaßen anstrebten war die absolute Auslöschung der Typus-Trennung und alles was diese auslösen könnte. Digimon waren eben anders. Weil jedes Digimon seine eigenen Daten hatte und Artgenossen sie nur kopierten. Ein Digimon der selben Art war immer gleich seinen Artgenossen und darum verstanden sich andere Typen und Rassen untereinander nicht und konnten nicht zueinander passen. Egal wie sehr man es wollte, Konflikte würden immer aus ihnen resultieren. Weil Digimon eben lernunfähig waren. Die ganze Digiwelt war lernunfähig. Jede andere Behauptung wäre Nonsens. Sie wollten die absolute Gleichheit, denn mit Gleichheit können auch keine Ungleichheiten existieren und vorbei wäre es mit Ausgrenzung, mit Diskriminierung. Mit (Außenseiter) Krieg. Und für die absolute Gleichheit musste die Digiwelt und ihr Spiegel - die Reale Welt - absolut gleich sein. Man musste sie komplett in die Schwärze der Dunkelheit tauchen, bis kein Funke hindurch kam und nichts anderes mehr zu sehen sei. Solch verdorbene Welten konnte man nicht vollständig reinigen, dafür war sie zu schmutzig, widerlicher als eine eitrige, stinkende Wunde. Es war leichter sie tiefer in den Dreck, der sie eh schon war zu tauchen. Die Jahreszeiten konnten wechseln wie sie wollten, aber unter all den schönen Blumen, dem warmen Sonnenlicht, dem goldenen Laub und dem reinen Schnee blieb stets noch tiefer der Dreck und der Schmutz, der immer gleich blieb. Dunkelheit einte sie. Dunkelheit einte alles. Dies war eins der wenigen Dinge, in denen sich die Meister der Dunkelheit einig waren. Das und das klassische Musik die schönste Musik von allen war. Man mochte sich mit den Instrumenten, den Klängen und Tempo uneinig sein, aber es füllte den Abgrund. Zumindest kurz. Und als Myotismon Piedmon in seinem Versteck besuchte (Versteck nannte Piedmon es zwar, aber eine riesige, pompöse Sternwarte irgendwo im Nirgendwo würde Myotismon eher als Nicht-Versteck bezeichnen), spielten Etemon, Devimon und Machinedramon, mit Cello, Trompete und Klarinette irgendwo im Schatten Prokofievs Dance of the Knights und Myotismon ärgerte sich, dass sie nicht auf ihn gewartet hatten, reihte sich schweigend dazu und irgendwann verschmolz sein Spiel mit dem der anderen. Man konnte es zurecht ein Mysterium nennen oder gar ein eigenes, physikalisches Gesetz, dass ihr Spiel immer harmonisch und stimmig klang, obwohl sie untereinander nicht auskamen. Vielleicht ließ es auch ihre Professionalität und ihr Stolz nicht zu, diese Ästhetik zu zerstören. Trotz guter Musik graute es Myotismon immer mit Piedmon in einem Raum zu sein. Bei diesem hysterischen Clown - und dann noch ein Mega-Level - wusste man nie, was er dachte. Piedmon versteckte seine Launen hinter Schabernack, Hysterie und makaberen Scherzen. Nur seine besonders schlechte Laune konnte man schon drei Meilen gegen den Wind riechen. An diesem Abend umgab Piedmon auch besagte besonders schlechte Laune, dass wusste Myotismon schon in dem Augenblick, als er sich an das glänzend schwarze Klavier setzte und leichte Skepsis empfand, als er feststellte, dass er als Einziger im Rampenlicht saß. Und dass dieser Clown viele, viele Treppenstufen über ihm in seinem Sessel saß, die Beine übereinander geschlagen und dabei noch in sein Teleskop hindurch schaute, statt wie der Rest in der Dunkelheit zu sitzen und mitzuspielen. Er lächelte, gerade weil er schlecht gelaunt war. Aber Myotismon war ebenso ein Digimon, dass seiner schlechten Laune gerne freien Lauf ließ. Er konnte es nicht ausstehen, wie Piedmon mit ihm redete. Gerade deswegen tat Piedmon es auch so. „Ich bin nicht hier, weil mir danach ist. Deine Drohungen werden immer plumper.“ Mit einer ebenso schlechten Laune im Gesicht hielt Myotismon eine Spielkarte hoch. Es war ein Joker, doch statt einem hässlichen Gesicht mit großen Augen und Wangen wie überreife Äpfel, hatte dieser Joker keinen Kopf. Zumindest keinen auf dem Hals. Er hielt seinen Totenschädel, der breit grinste in der Hand, in der anderen hielt er eine Mandoline. Es war nicht zu übersehen, dass das nur von Piedmon stammen konnte, die Soulmon da brachte. Sein Diener kam aufgebracht von seiner Auftrag zurück und während es sich bei Sanzomon und dann bei den beiden Sistermon ausweinte berichtete es davon, dass LadyDevimon plötzlich aufgetaucht sei und sie Bakemon erwischt hätte, es selbst aber noch rechtzeitig im Ewigen Wald verschwinden und über einen der längeren Wege - zur Sicherheit, so weit hatte es noch gedacht - wieder zurück nach Grey Mountain fand. Die Karte hielt die ganze Zeit es unter seinem Hut versteckt, niemand bekam etwas mit. Myotismon hatte Sanzomon, die sich eine Teilschuld für den Angriff auf das Bakemon gab, noch versprochen, er würde nach dem Rechten sehen, weil Soulmon noch verstört schien und ihr dann sehr gerne noch einen kleinen Besuch in ihrer Bibliothek, das auch ihr Arbeitszimmer war abstatten, ehe er sich wieder seiner Nachtschicht widmete und sie von ihren unsinnigen Nonsens-Geschichten und ihrem Geschwätz von Gefühlen, Hoffnungen und Freundschaft träumen konnte. Aber so, wie Piedmon schaute würde Sanzomon sehr lange auf ihren Gute-Nacht-Kuss warten müssen. Die anderen spielten in der Dunkelheit weiter, doch ihr Tempo würde gemächlicher. Sie waren einerseits zu professionell um wegen so etwas ihr Spiel zu unterbrechen – ein Stück gehört zu Ende gespielt, was immer auch komme – aber sich das Spektakel entgehen lassen wollten sie auch nicht. „Selbst Schuld, wenn du für unsere Orchesterproben immer eine Sondereinladung benötigst. Dabei freue ich mich doch, wenn wir einmal alle zusammen sind, so selten wie das geschieht.“ „Klingt nicht überzeugend von einem Digimon, dass mir Todesdrohungen schickt.“ „Das sind doch keine Drohungen. Nur ein kleiner Ansporn“, lachte Piedmon, aber er hielt die Zähne aneinandergepresst, während er sprach. Vermutlich merkte Piedmon auch, dass er zu offensichtlich sauer wirkte. Aus seinem Ärmel kullerten drei Bälle, weiß, schwarz und rot und er begann zu jonglieren, ohne aber seinen Blick von Myotismon abzuwenden, der sich ohnehin mehr auf die Klaviertasten vor ihm konzentrierte. Immer, wenn Myotismon davor saß, es berührte und sich den Noten hingeben konnte fühlte er sich besser. Da wurde der Blizzard in seinem Inneren ruhiger. Und dies hier war nun einmal der einzige Ort in der gesamten Digiwelt, wo er seinem Bedürfnis nach Klaviermusik nachkommen konnte. Das Spielen selbst war dabei nicht das Problem. Eher was diese und die Töne aus dem Schneesturm machte. Und dem Abgrund. „Ich hab da ein paar Gerüchte gehört. Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, du wärst sesshaft geworden. Hätte ich von einem Streuner wie dir nicht erwartet.“ „Sicher, dass dieses Vögelchen keine Seeschlange war?“ Über ihnen hörte man ein Gewitter und das war das Einzige, was man so manchmal von ihrem Violinisten mitbekam. MetalSeadramon beteiligte sich äußerst selten an ihren Musikproben, obwohl er stets anwesend war. Der Grund war, dass er zwar ein spezielle Violine besaß, die ihm das Spielen trotz fehlender Finger erlaubte und solch ein Wille war durchaus lobenswert, doch es war umständlich sie anzubringen und an ihm zu befestigen. „Bist du immer noch beleidigt?“ „Du hast dich an meinem AncientMermaidmon vergriffen!“, zischte MetalSeadramon. Über Myotismon war es stockfinster, aber wenn man drauf achtete, sah man MetalSeadramons Konturen in der Schwärze. „Kein Grund so nachtragend zu sein. Du hast dafür etwas gut bei mir und als Zeichen dessen stimme ich gerne ein Duett mit dir ein. Wie klingt das, Herr Violinist?“ „Du kannst deinen jämmerlichen Flohwalzer gerne ohne mich spielen“, knurrte MetalSeadramon zurück. Er klang weniger erzürnt wie vorher, lachte sogar, dafür hatte sich Myotismons Grinsen kurz verzogen. Flohwalzer. Welch eine Unterstellung. „Ich hoffe, du erstickst an deinem hohen C.“ „Wir könnten doch etwas einstimmen“, jubelte Etemon, als Myotismon entschied MetalSeadramon ab sofort nur noch die kalte Schulter zu zeigen. Etemon saß gegenüber von Myotismon, allerdings im Schatten, das Cello zwischen die Beine geklemmt und den Bogen in einer Hand. Als sich Etemons Stimme erklang, dämmte sich die Finsternis und er wurde sichtbar. Grinsend wartete Etemon, dass Myotismon auf dieses Angebot ansprang, doch dieser sah dem oft zu lauten und vor allem vorlauten Cellisten an, und mit aller Gewalt schlug Myotismon mit einem ausgestreckten Finger auf die äußerste Taste der letzten und tiefsten Oktave und der tiefe A-Ton breitete sich stumpf und langatmig, wie das Brummen eines Ungeheuers durch das Atrium. Etemon ließ den Kopf hängen, dabei verrutschte seine Sonnenbrille und man sah seine großen, dunklen Knopfaugen. „Ich bin übrigens auch sehr verstimmt“, warf Piedmon ein. „Erst meldest du dich nicht und dann hast du mich nicht einmal zu einer Einweihungsparty eingeladen. Das schmerzt mich.“ „Dich will ich bestimmt nicht in meinem Hause haben“, schnaubte Myotismon, er klimperte dabei auf ein paar Tasten, ohne dabei aber einen bestimmten Rhythmus oder dergleichen im Kopf zu haben. Irgendwo hörte Myotismon Puppetmons Zahnräder drehen und die Devimon mit seinen Flügeln schlug. „Wieso denn nicht? Etwa weil du mit ganz bestimmten Digimon zusammen lebst? Darf ich mal raten? Da sind ein Mönch, ein Affe, ein Schwein und ein Rabe dabei. Ich suche nämlich ganz zufällig nach solch einem Quartett.“ Myotismon fielen zuerst die Goblinmon ein, der er verschonte. Bestimmt hatten sie ihn doch verraten. Dann aber verstimmte Machinedramons Spiel und seine Stimme ertönte aus der Dunkelheit wie das Ächzen einer alten, rostigen und Dampf erzeugenden Maschine. „Ich bekam vor kurzem einen Code 709 zugesendet von einem Guardromon, dass nicht wiederkehrte. Sie wurden von zwei Goblinmon gemietet. Ich erfuhrt erst über die gesendeten Aufzeichnungen der Black Box, dass sie Butterflymon jagten, um ihnen die Flügel abzunehmen. Armor-Digimon, allesamt große Befürworter des Widerstandes. Und der Weißen Königin.“ Der Boden bebte unter Machinedramons schweren Schritten. Er kam nur langsam aus seinem Schatten heraus. Nur die Kanonnen auf seinem Rücken blitzten im Licht, die glühenden Augen waren zu sehen und sein dampfender Atem, der ihn in Nebel hüllte. „Schneewittchen… Das kann ja nur einer gewesen sein. Aber warum sollte der Herr Pianist Soldaten angreifen? Aber nachdem was MetalSeadramon erzählte, machte alles plötzlich Sinn. Du kannst der Weißen Königin sagen, dass ich mich um die beiden Goblinmon gekümmert habe. Ein solchen Missbrauch meiner Truppen für solch barbarischen Akt akzeptiere ich nicht. “ Myotismon schaute nur kurz auf, schnaubte und entzog sich damit aus dem Gespräch, doch retten würde es ihn nicht. Piedmon begann Spaß zu haben und je mehr Myotismon sich weigerte darauf anzuspringen, um so mehr Freude bereitete es ihn. Piedmon besaß nicht nur eine distanzlose Unart, er liebte es zu reizen. Bis zum äußersten und machte dabei vor keinem einzigen Digimon Halt. „Och, du könntest wenigstens so tun, als hätte ich dich überrascht.“ „An dir überrascht mich gar nichts mehr. Nicht einmal, dass du mir verheimlicht hast, dass du Jijimon und Babamon getötet hast!“ „Überraschung“, trällerte Piedmon, legte beide Fäuste vor den Mund. Als er in seine Hände blies, flog buntes Konfetti aus diesen. Er grinste, aber Myotismon teilte den Spaß nicht. „Das Einzige, was mich wirklich wundert ist, dass du nicht weiß, wo sie sind.“ „Leider sind die vier gar nicht so dumm“, seufzte Piedmon. „Zumindest das Mönch-Digimon nicht. Mich wundert es, dass du sie gefunden hast. Wie machst du das, mein Freund?“ „Pardon, aber ich lasse mir nicht in die Karten schauen. Ich behalte meine Geheimnisse lieber für mich“, sagte Myotismon und nun war er es, der begann sich zu amüsieren. Jijimons und Babamons Magie war eben doch nicht zu unterschätzen und dieser Nebel war etwas Besonderes. Solange man nicht wusste, wohin man gehen oder schauen sollte, war es unmöglich in diesem Nebel irgendetwas zu finden, selbst wenn Piedmons Handlanger ihn verfolgen würden. Sie würden sofort die Orientierung verlieren und am anderen Ende der Bergkette herauskommen ohne zu wissen, was geschehen war. Im Grunde konnte Myotismon den Meister der Dunkelheit vom höchsten Fenster aus zuwinken und sie würden ihm trotzdem nicht sehen. Es war so amüsant, wie ein Digimon wie Piedmon an so einem simplen Magie scheiterte. Piedmon warf den schwarzen Ball, den er noch in der Luft jonglierte nach Myotismon. Er musste den Kopf aber nur etwas zur Seite legen, um diesem Ding auszuweichen. Der Ball war nicht nur sehr schnell auf ihn zugeflogen, er verwandelte sich im Flug in einen Morgenstern und blieb hinter Myotismon im Boden stecken. „Du heckst doch etwas aus, das sehe ich dir an.“ „Haben wir nicht alle ein Recht auf ein kleines instrumentales Solo? Außerdem habe ich eine Vielzahl untoter Digimon hinter mir, für die ich eine gewisse Verantwortung trage.“ „Ich bitte dich, seit wann interessiert dich das Wohl deiner Untertanen?“ Der Morgenstern verwandelte sich wieder in einen gewöhnlichen Gummiball zurück, der an Myotismon vorbei rollte und dann die einzelnen Stufen hinauf hüpfte, bis er wieder in Piedmons Hand lag. „Weißt du, du machst es mir ziemlich schwer Sympathie für dich zu entwickeln, Herr Pianist. Erst lässt du dir so lange Zeit, bis du dich überhaupt einmal blicken lässt, machst Puppetmon fast zu Kleinholz und auf meine netten Grußkärtchen antwortest du auch nur bedingt. Du machst es mir wirklich schwer, aber ich bemühe mich sehr und lege immer ein gutes Wort für sich ein. Ich hoffe, du weißt das.“ Das mochte wahr sein, aber es lag nicht viel dahinter, wenn, dann nur etwas Boshaftes. Hätte Myotismon Yuki zu diesem Zeitpunkt schon getroffen, hätte sie gesagt, Piedmon benehme sich unehrlich. „Aber etwas Dankbarkeit wäre nach all der Zeit doch angemessen. Ich vergesse auch all unsere Streitigkeiten, wenn du mir sagst, wo sich dieser kleine Kinderchor versteckt.“ Absolute Stille herrschte, nur Piedmons Ungeduld hatte man hören können, und das war eben diese Stille. Die Ruhe im Auge des Sturmes. Piedmon kreiste einige Male schnell die Hand, wartete, dass eine Antwort kam und mit jeder weiteren Rotation, auf die Myotismon nicht mal im Traum oder unter Folter dachte zu antworten, sanken Piedmons Mundwinkel nach unten. „Nicht?“ „Kein Bedarf. Du kannst gerne weiter suchen. Ich sehe keinen Grund, dir zu helfen. Zu meinem Teil dieses Opus gehört, dass ich ungestört mein Solo spielen kann. Ich lass mir lieber Zeit. Ich genieße Vertrauen, warum sollte ich es auf Spiel setzen. Ich werde mich schon mitteilen, sollte ich etwas herausfinden, was dich interessieren könnte.“ Das zumindest der grobe Plan. Wann Myotismon gewillt war es umzusetzen, dies stand in den Sternen. Als Piedmon ihm berichtete, dass Jijimon und Babamon nicht mehr waren (die genauen Umstände ihres Todes aber verschwieg) und stattdessen nun ihr Nachfolger an ihrer Stelle den vier Souveränen diente, ahnte er schon, dass es nur Tinkermon sein konnte. Wer sonst? Also entschied Myotismon, wie alle anderen der Meister der Dunkelheit auch sein Solo einzustimmen und machte sich, ohne Piedmons Wissen Richtung Grey Mountain auf. Besser so. Der große, böse dunkle Meister sollte nicht erfahren, wie Myotismons Spiel klang. Seine Aufgabe war es die geheimen Verstecke und Pläne des Widerstandes ans Licht zu bringen, als Ausgleich für die Freiheit über sein sonstiges Handeln und sein Gefolge. Doch, und das sollte Piedmon eigentlich wissen, gab es Informationen nicht umsonst und von Myotismon erst Recht nicht. „Du bist ziemlich unverschämt, für jemanden in deiner Lage“, fauchte Piedmon ihn an, da Myotismon ihn weiter versuchte zu ignorieren. „Du bist mir was schuldig, dafür dass ich dir nicht den Kopf abschlage und stattdessen damit jongliere. Deine Spielchen kannst du mit anderen Digimon treiben, aber nicht mit mir.“ (Die Herzkönigin verlangt dass du zum Krocket kommst) Nun begriff Myotismon auch, wie diese Metapher zu Stande gekommen war. „Du weißt, dass Sanzomon zu den Souveränen gehört? Das sie ihnen sogar direkt unterstellt ist? Natürlich weißt du das, welch dumme Frage. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Früher oder später fliegst du auf.“ „Hat doch etwas. Dieser schmale Grad zwischen Leben und der sicheren Vernichtungen ist überaus spannend. Und allein zu wissen, dass ich mehr weiß wie du, ist für mich die beste Komödie seit langem.“ Piedmon warf diesmal den roten Ball nach ihm, der zu einem Holzpflock wurde. Auch dem war Myotismon, wenn auch etwas knapper als dem Morgenstern ausgewichen und wie der Morgenstern blieb der Pflock im Boden stecken und fing Feuer. Die Drohungen begannen subtiler zu werden. „Weißt du, ich liebe deine hinterhältige Art. Aber gewöhne es dir ab, das bei mir anzuwenden. Ich meine es nur gut“, knurrte Piedmon zu ihm hinunter, nur noch mit dem weißen Ball spielend. „Hier geht es um sehr viel. Die Souveränen sollen für ihren Verrat an der Digiwelt ausbluten, ehe der Her Dirigent die Bühne betritt. Weißt du eigentlich mit welcher Euphorie mich allein der Gedanken erfüllt, diese Volksverräter in kleine Häppchen zu schneiden? Oder wenn wir erst ihre Menschenfreunde dazu holen? Wen spieße ich dann nur zuerst auf?“ „Erspare dir bitte die Details“, gab Myotismon angewidert zurück und allein das schien Piedmons Laune wieder etwas zu heben. Ob das nun gut oder schlecht war sei dahingestellt. „Was denkst du, was tun Digimon, die verzweifelt sind? Werden sie dann stärker? Setzen sie sich selbst ein Ende? Oder was denkst du tun sie?“ Piedmon hörte auf zu jonglieren, alle drei Bälle lagen wieder auf seinem Schoß, die Hände ineinander gefaltet und seinen Kopf darauf abgelegt, während der auf Myotismon erwartungsvoll herabblickte und dieser den Abgrund in Piedmons Augen sah, einen Abgrund, den sie alle in ihren Augen trugen. Der Unterschied in ihnen war nur, dass sich in allen von ihnen andere Naturgewalten und Jahreszeiten tummelten, die versuchten das Irgendetwas ganz dort unten zu verbergen. Ein quälendes, klaffendes Krebsgeschwür in Innerem und nichts in allen Welten konnte es zerstören. Nicht einmal er, die Inkarnation des Zerstörungswahns. Ein Unwesen, dass dieses Höllenorchester ihren Herr Dirigenten nannten und dem jene Stimme gehörte, die Dobermon einst sage, er solle sich... „Fragst du dich das nicht auch, Myotismon?“ „Vielmehr frage ich mich, warum deine Worte so klingen, als w äre es nicht das erste Mal, dass du diese Gedanken hegtest?“ Man hörte das laute Grölen des Sommersturmes wieder aufkommen, genauso wie Myotismon das Pfeifen seines eigenen Schneesturmes hörte, obwohl diese Wetterformen doch nichts anderes waren wie Sinnbilder ihrer Selbst. „Du weißt es also tatsächlich nicht?“, schnaubte Piedmon lächelnd. „Was soll ich nicht wissen?“ „Schon gut. Es ist vielleicht auch besser für uns alle. Nicht-Wissen kann ein Segen sein.“ Überraschenderweise sah Piedmon zufrieden aus, obwohl er keine Antwort bekommen hatte. Vielleicht aber war gerade diese Nicht-Antwort das, was er hören wollte. Statt wieder zu jonglieren, klatschte Piedmon die drei Bälle zusammen. Als er die Hand wieder öffnete, hielt er eine ganz klassische Gitarre aus goldbraunen Holz, nur der Hals war fast schwarz, in der Hand. Auch seine Sitzposition änderte sich, seine Beine hingen nun über der Stuhllehne und wenn er so hochkonzentriert die Saiten richtete, wirkte Piedmon fast normal, freundlich und gesittet. „Hey, Klarinettist! Such du dir doch heute ein passendes Musikstück für diesen Abend aus.“ Machinedramon trat nun vollst aus der Düsternis, als die ersten Testklänge der Gitarre zu hören waren. Man sah seine Klauen nun deutlicher aufschimmern und die Augen noch mehr glühen. Noch ein Abgrund. Ein Abgrund mit dunklen, dicken Herbstwolken darin, umgeben von Nebel, dichter wie sein Atem. „Die vier Jahreszeiten. Antonio Vivaldi. Herbst. Zweiter Satz. Adagio, im Dreiviertel Takt. D-Moll.“ Ächzend ließ sich Piedmon tief in den Stuhl sinken und warf dabei seinen Kopf zurück in den Nacken. Die Laute, die seine Gitarre bei dem Vorschlag von sich gaben taten Myotismon nicht nur in seinen empfindlichen Ohren weh, sondern schreckte auch seine Fledermäuse auf, die in den Ecke saßen. „Warum frage ich überhaupt noch irgendjemanden von euch?“, moserte Piedmon und richtete wieder die Saiten. „Ihr sucht euch immer dasselbe Stück aus. Das wird langweilig mit der Zeit. Und weißt du nicht, dass ein Moll immer so schrecklich depressiv klingt, Machinedramon? Das ist keine Beerdigung, wir wollen Spaß haben.“ Machinedramon antwortete nicht und rührte sich auch kaum. Er wollte bei seiner Wahl bleiben, auch wenn es Piedmon verstimmte. Aber er ließ sich ebenso, wie die Saiten seiner Gitarre auch, umstimmen. „Na gut. Nächstes Mal aber suche ich mir ein Stück aus. Oder nehmt euch ein Beispiel an unseren Cellisten, der sucht sich zumindest nicht solche bedrückenden Klänge aus.“ „Danke für die Blumen, Herr Gitarrist“, sagte Etemon zufrieden. Er bemerkte, dass Myotismon ihm möglichst unauffällig zuwinkte und Etemon beobachtete, wie der Herr Pianist versuchte ihm mit Gestik und langsamen Lippenbewegungen etwas mitzuteilen. Wenn man es richtig deutete, versuchte Myotismon Etemon zu sagen, dass er Danse Macabre vorschlagen sollte. „Also, wenn dir der Wunsch von Machinedramon so missfällt, könnten wir ja -“ „Nein, wir spielen nicht Danse Macabre“, unterbrach Piedmon, dem die Flüsterpost, die vom Klavier aus kam aufgefallen war und offenkundig nur dagegen stimmte, um Myotismon zu ärgern. „Nun gut, wenn ich dann einen anderen Vorschlag bringen dürfte, wie wär's mal mit 'nem Tapetenwechsel und vielleicht mal etwas Modernem, statt dem verstaubten Kram von UrUrUr-mon Zeiten? Wie wär’s mit Bohemia Rhapso-“ „Nein!“, schrie es aus allen erdenklichen Ecken gleichzeitig, selbst von den Digimon, die sich im Verborgenen verkrochen. Puppetmon saß auf einer etwas niedrigeren Säulen direkt neben der, an der Etemon saß und hob drohend seinen Hammer. „Schon gut. Euch kann man's auch nie Recht mach'n. War nur 'n gutgemeinter Vorschlag, ihr Spießer! Kann ja nich' jeder so viel Glück wie unser Fledermäuschen haben.“ Obwohl Myotismon damals schon beschloss, sollte jemals der ersehnte Tag des jüngsten Gerichts kommen, würde er Etemon als Letztes umbringen, da er als größtes Plappermaul und Klatschtante Servers Nutzen hatte. Aber in dem Moment hätte er ihn zumindest gerne mit seinen Fledermäusen kreuz und quer durch den Raum geschleudert, bis ihm seine digitalen Eingeweide hochkommen würden (obwohl Myotismon der Überzeugung war, dass Etemon nur mit Stroh gefüllt war). Piedmon hob nur die Augenbrauen, die Schultern und die Mundwinkel, als ob er Myotismon damit sagen wollte, dass er selbst an seinem Glück schuld sei, während er nun richtig auf seiner Gitarre spielte. Die Musik erwachte wieder, um die Stille zu übertönen, auch wenn in den Gedanken dieser sieben Digimon niemals Ruhe einkehrte. Eine ganze Weile hörte Myotismon dem Spiel zu, hörte wie mit der Zeit auch Cello, Flöte, Klarinette, Violine und Trompete ihren Takt fanden. Die Frage, ab welchen Takt er einstieg, stellte sich Myotismon nicht. Es klang ohnehin immer, als würde er das Klavier nur für sich spielen. Er spielte neben ihnen, nicht mit ihnen. Ein Außenseiter eben. Myotismon wollte dieses verrückte Nicht-Konzert verlassen und er würde es auch tun. Seine Predigt der ersten Gitarre hatte er schon bekommen. Der Weg zurück nach Grey Mountain war lang, am Ende fiele es noch auf. Das konnte er nicht riskieren, auch wenn es sich gut anfühlte nach langer Zeit wieder ein Klavier zu berühren und die Klänge eines Orchesters zu hören. Das Gefühl, wenn die Finger über die Tasten flogen. So vertraut. So lebendig. Dieses Bedürfnis konnte er nur hier stillen, außerhalb des Orchesters jedoch, ohne ein Klavier in der Nähe kam er sich beinah unvollständig vor.Ein Musiker ohne Instrument war ein bedauernswerter Anblick. Aber große Pläne erforderten große Opfer. „Verehrte Mitmusiker… Es wird Zeit für mich.“ Die Musik hörte nicht auf, es war war egal, ob er mitspielte oder nicht. Seine Kundmachen war nichts als reine Höflichkeit und kein Digimon sollte behaupten, er schliche sich davon. Myotismon stand auf, drehte sich so schnell um, dass sich sein Umhang fast komplett um ihn wickelte und das Klacken seiner Stiefel unter dem glatten Boden begleitete ihn, als er aus dem Licht in der Mitte des Atriums trat. „Ich habe gehört, dass Sanzomon so unsterblich in dich verliebt ist.“ Myotismon blieb noch innerhalb des Rampenlichts stehen, kaum dass Piedmon seinen Satz beendete. Das Orchester, außer der Gitarre war verstummt. Am liebsten hätte Myotismon geflucht, biss sich stattdessen nur auf die Lippe. Und nicht nur Piedmon schien es zu wissen, alle schien bereits davon gehört zu haben. Devimon grinste breit, was man trotz der Dunkelheit, die das runde Atrium umgab sehen konnte, noch aber ganz erträglich war. Aber Puppetmon kicherte wie ein frühreifes Rookie-Digimon über einen unanständigen Witz und Etemon gab schmatzende Geräusche von sich, während er sich selbst fest umarmte. „Ihr seid schrecklich infantil, ich hoffe das ist euch bewusst“, knurrte Myotismon die beiden an, sie hörten aber erst auf, als Machinedramon näher ins Licht trat, dem dieses Gehabe selbst auf die Nerven ging und MetalSeadramon über ihnen zwar auch zu knurren begann, sich aber mehr nach einem erschreckenden Donnern anhörte. „Das Piano scheint verstimmt.“ „War nicht zu überhören“, antwortete Piedmon Machinedramon und spielte die letzten Noten vom zweiten Satz des Herbstes, bis er sich wieder Myotismon widmete. „Warum auf einmal so stumm? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ „Da gibt es nichts zu sagen. Ich weiß davon, dass muss ich gestehen. Aber ich habe kein solches Interesse an ihr. Ihre große Zuneigung ist leicht ausnutzen und alles dient anderen Dingen.“ „Wirklich nicht? Da hat mir aber jemand etwas anderes erzählt.“ Das Gekicher wurde noch schlimmer, aber es kam von keinem Mitmusiker. Über Myotismon saß LadyDevimon in einer Zirkusschaukel und schwang hin und her, während sie dabei ein Bakemon fest an ihre Brust drückte. Vermutlich das, dass Myotismon abhanden gekommen war. „Wer hätte gedacht, dass ein Digimon so singen kann“, kicherte sie wieder und strich dem verstörten Bakemon über den Kopf, das aber nur wehleidig seinen Meister ansah. Die Laken seines Körpers waren eingerissen, übersät mit Schrammen und Brandspuren. „Es tut mir Leid, Meister Myotismon, aber sie ließen mir keine Wahl“, jammerte es, aber wenn Myotismon etwas noch weniger leiden konnte wie nutzloses Gesindel, dann nutzloses Gesindel, das heulte. Die Fledermäuse spürten diesen aufkommenden Zorn und flogen mit schrillen Geschrei auf LadyDevimon und Bakemon zu. Ladydevimon konnte sich aber noch auf Piedmons Schoß fliehen und legte den Kopf in seine Halsbeuge und so fielen die kleinen, schwarzen Tiere mit den langen Flügel und spitzen Zähnen nur über Bakemon her, bissen es und rissen den Lakenstoff unter seinem Gejammer von seinem Körper. Myotismon war der Einzige, der diesem Spiel nicht zusah, alle anderen jedoch blickten nach auf, mit unterschiedlich starker Begeisterung, wie Bakemon von den Fledermäusen zerfetzt wurde wie ein Stück Papier. „Das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagte Piedmon und sah angewidert zu Myotismon. „Ich dachte, du hast so etwas wie Verantwortungsgefühl?“ „Habe ich auch. Und in meiner Verantwortung liegt es auch Nichtsnutze zu bestrafen.“ Zwei Fledermäuse zogen an einen großen Stück weißen Leinen wie an einem Tauseil. Einzelne kleine Fetzen, weiß wie Schnee rieselten zu Boden, auch wenn ihnen der Anmut wahrer Schneeflocken fehlte, , ehe sie sich in einer Wolke aus Daten auflösten. „Aber um dich zu beruhigen, du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen. Über euer Nest hat es kein Wort verloren, da es dir, seinem Meister absolutes Schweigen versprochen hatte. Und hatte was von Sistermon gefaselt. So viel Beharrlichkeit hätte ich so einem Digimon gar nicht zugetraut. Du hättest ihm auch beibringen sollen, das Selbiges auch für geheime Affären gilt. Es hat viel erzählt. Sanzomon scheint es ja einer deiner Seite wirklich zu gefallen. Und ganz abgetan scheinst du ja auch nicht zu sein, wie du uns hier gerade weißmachen willst.“ LadyDevimon kicherte, als Piedmon das Wort Affäre in den Mund nahm und man konnte das, was sie sich in ihrem Kopf vorstellte in ihrem Gesicht ablesen. Myotismon funkelte sie böse an, auch begannen einige seiner Fledermäuse in ihre Richtung zu fauchen. Daraufhin lehnte sie sich noch mehr an Piedmons Brust, dem es ganz und gar nicht gefiel, wie Myotismon seine Geliebte ansah, aber das Gekicher hörte nicht auf und es machte ihn rasend. „Schau nicht so böse, ich werde dir deswegen keine Predigt halten. Sanzomon ist genauso wie du oder ich ein Gegner der alten Apartheid, darum hat sie einen ganz besonderen Platz in meinem Blatt.“ Die Gitarre hatte sich in einen Stapel Spielkarten verwandelt, die wie durch Geisterhand sich selbst mischten. Auf allen Karten war die Karo-Dame abgebildet. „Und dass sie einem Digimon wie dir so offen ist, ist eine Entwicklung in der Digiwelt, die ich, wenn ich ihre politische Sicht auch nicht teile sehr begrüße. Und du stehst doch auf diese unscheinbaren, unschuldigen Dinger. Also meinen Segen habt ihr.“ „Ich verzichte“, gab Myotismon angewidert zurück. Man konnte in Piedmons Augen sehen, was er sich für Dinge vorstellte. Aber so unschuldig, wie Piedmon Sanzomon hielt war sie nun wirklich nicht. „Aber es ist nicht zu leugnen, dass durchaus einige Befürchtungen aufkommen. Immerhin ist und bleibt sie eine miese kleine Verräterin an der Digiwelt, die weitere Volksverräter großzieht. So was Abscheuliches. Wenn ich nur daran denke.“ „Dann denk an was Schönes“, flüsterte LadyDevimon Piedmon ins Ohr, nur dass sie das Prinzip des Flüsterns genauso schlecht beherrschte wie Cho-Hakkaimon. Zumindest, nun da Piedmon die Arme um sie legte und sie ihn küsste, hielt sie endlich den Mund. „Vielleicht hat es ja durchaus seine Vorteile. Du musst wissen, ich kenne Sanzomon und ich verstehe, was Babamon in ihr gesehen hat. Sie ist ein intelligentes und zudem sehr hübsches Exemplar von einem Digimon.“ Und so plötzlich war LadyDevimons Schwärmerei auch wieder verschwunden. Sie wich zurück und gab Piedmon eine schallende Ohrfeige. Würde ihm nicht das Wasser bis zum Hals stehen, hätte Myotismon laut gelacht, also beschränkte er sich auf ein kurzes Schmunzeln. Devimon, Etemon und Puppetmon gesellten sich ebenfalls zu dieser heimlichen, spöttischen Truppe, aber auch nur, weil sie genauso wenig zu lachen hätten, würden sie an Myotismons Stelle stehen. „Wie bitte? Du hast gesagt, ich bin viel hübscher wie diese aufgeblasene Tussi!“ „Aber natürlich bist du das, Darling.“ Piedmons inszenierte Reue reichte, dass LadyDevimon ihm vorerst verzieh und sie hing sich sofort wieder an seine Lippen. Viel zu lange und zu viel Zunge, wie Myotismon fand. Er drehte den Kopf weg, hielt sich die Hand an vor die Augen und hoffte, dass es bei ihm und Sanzomon nicht auch so aussah. Sein Blick fiel auf Etemon und Puppetmon zurück, die nur mit der Schulter zuckten. Denen war es entweder egal - sie waren Puppen, die eine auf Stoff und die andere aus Holz, wenn auch digital, was sollte sie so etwas interessieren? - oder sie waren es gewohnt. „Ich dachte, das sei eine Orchesterprobe. Also nehmt euch für solche Spielchen ein Zimmer“, und damit sprach ihr Trompeter Devimon genau das aus, was Myotismon gerade durch den Kopf ging. Die Dreistigkeit amüsierte und erzürnte Piedmon gleichzeitig, aber zumindest hatte diese Knutscherei aufgehört. Etwas flüsterte er LadyDevimon jedoch noch ins Ohr, was keiner von ihnen hören konnte. Sie blickte verlegen drein, kicherte und verschwand in der Dunkelheit. Wahrscheinlich hatten die beiden Devimons Vorschlag wörtlich genommen. „Auf was willst du jetzt eigentlich hinaus?“, schnaufte Myotismon, Piedmon ließ sich mit seiner Antwort jedoch Zeit. Vielleicht um sicher zu gehen, dass LadyDevimon nichts von seiner Antwort mitbekam. „Weißt du, ich beneide dich ja. Ich habe versucht Sanzomon, sagen wir, freundschaftliche Angebote zukommen zu lassen, mich jedoch lehnte sie stets ab. Ich hatte mich damit abgefunden, dass sie ein Digimon sei, dass man eben nur schwer überzeugen kann und zudem sehr nachtragend. Dabei wollte ich mich nur bei ihr aufrichtig entschuldigen für diese Unannehmlichkeit mit Jijimon und Babamon. Aber kaum erscheinst du auf der Bildfläche, zeigt sie sich gar nicht mehr so unnahbar.“ „Wir beide kennen uns sehr lange. Das und die Tatsache, dass sie selbst ein Virus-Digimon war und versteht, allein deswegen verstoßen zu werden. Ich vermute, sie hält mich für einen… Seelenkameraden, oder etwas ähnliches. Sie hat eben eine Schwäche für Klavierballaden. Warum nicht nutzen?“ Obwohl es die Wahrheit war, schien Piedmon nicht überzeugt. Er stand aus seinem Stuhl auf, stieg aber nicht die Treppe hinunter, sondern schwebte zu Myotismon hinab und blieb über ihm schweben. Aber Myotismon sah nicht hoch, sondern nur weiter stur geradeaus und erfasste damit nur einen Teil von Piedmons gelben Stiefeln. Er würde sicher nicht wie ein Hund zu seinem Herrchen hochblicken und so viel Frechheit fand Piedmon lustig, also sagte er dazu nichts. Etemon und Puppetmon schlossen im Hintergrund Wetten ab, wer von beiden zuerst einknicken würde, Devimon und Machinedramon bekamen dies mit und warfen ihnen Blicke der Unverständlichkeit zu, der heißen sollte, ob das wirklich sein müsste, obwohl sie selbst warteten, was nun passierte. Wie ein bunter Luftballon vor Myotismon schwebend, sprach Piedmon weiter. „Was ist sie eigentlich für dich? Eine Gefangene? Eine Sklavin? Mit was erpresst du sie?“ „Ich zwinge Sanzomon zu nichts. Sie wollte größere Truppen zum Schutz und ich eine Herberge für meine wachsende Anhängerschaft. Wir kamen zum Entschluss, das es im Falle einer Kooperation Vorteile für beide Seiten gäbe. Mehr Vorteile, wie ich unter deiner Fittiche hätte.“ „Möchtest du mir also sagen, ich behandle dich nicht angemessen?“ „Das ist mehr, wie nur eine schamlose Untertreibung.“ Piedmons Schatten auf dem Boden verriet Myotismon, dass er näher kam und fast direkt über ihm war. „Das soll alles sein?“, fragte er, sein Ton ließ erahnen, dass er immer noch nicht überzeugt war und plötzlich hing Piedmon kopfüber genau vor Myotismon und ihm blieb nichts, als diesem Clown direkt ins Gesicht zu sehen. „Ich habe dich beobachtet und du hast dich schon immer für so überlegen und unfehlbar gehalten, selbst als du noch ein streunendes Dobermon warst. Fast schade, dass du digitiert bist, als Köter hast du mir besser gefallen. Hättest ruhig so bleiben können. Für's Fliegen hätten wir eine Alternative gefunden.“ Die Alternative wäre wahrscheinlich, dass Piedmon ihn durch die Luft kicken würde, wenn ihm danach wäre oder Ballons an Dobermons Halsband binden, nur um ihn hängen und würgen zu sehen. Wenn Myotismon selbst nicht ein begeisterter und treuer Zuschauer solcher abscheulichen Spielchen wäre wenn es Verräter und Widerständler traf, würde es ihn fast schaudern. „Dann wäre er keine Fledermaus, sondern 'n Flughund“, flüsterte Etemon zu Puppetmon, der in albernes Gelächter ausbrach, woraufhin Piedmon eines seiner Schwerter bedrohlich nah und ebenso bedrohlich schnell an den beiden Digimon vorbei warf und dieses schließlich in einer der Säulen stecken blieb. „Schnauze auf den billigen Plätzen, ich bin der Einzige der hier schlechte Wortspiele machen darf. Gilt besonders für Cellisten und Flötisten.“ Sie schwiegen, aber ihre Mundwinkel blieben oben, nicht mal wegen Etemons lächerlichen Wortwitz, eher weil Piedmon sich Myotismon als Opfer des Abends ausgesucht hatte. Und wenn er zum Hauptakt des Konzerts wurde und Piedmon ihn mit diesen stechenden Blick ansah, der allein hätte töten können, klatsche das Publikum Beifall. „Und was dich angeht, funkel, funkel, Fledermäuschen“, sagte er und mit ungewöhnlich hoher Stimme und einer Schnute auf den knallroten Lippen, gab Piedmon Myotismon einen Klaps auf die Wange. „Sei ganz ehrlich. Nur einer alten Bekanntschaft wegen und einem waghalsigen Plan, um sie auszuspionieren lässt du dich auf das Niveau eines Wachhundes degradieren? Denkst du wirklich ich kauf dir das ab?“ Nein, aber Myotismon hätte gehofft, dass es Piedmon so langweilen würde, dass er ihn in Ruhe ließe. Jedoch hatte er nicht damit gerechnet, dass dieser an Sanzomon so einen Narren fraß und fast wäre Myotismon dazu geneigt genauer nachzuharken, was da zwischen ihm und Sanzomon genau war. Plötzlich jedoch packte Piedmon ihn am Kragen und versuchte ihn näher an sich zu ziehen, aber Myotismon lehnte sein ganzes Gewicht in die entgegen gesetzte Richtung, ohne etwas an seiner geraden Haltung einzubüßen und diese Gegenwehr machte diesen manischen Clown nur noch aggressiver. Sein Lächeln war unnatürlich breit und seine gesamte Zahnreihen wirkten größer und schärfer, wie Myotismons eigene Eckzähne. Und seine Stimme besaß nicht mehr diesen verspielten Klang. Er klang, als sei er in Rage. „Denkst du ich merke nicht, dass du nach Seerosen stinkst? Nach den gleichen Blumen, die die ach so erhabene Weiße Königin so liebt. Ich frage mich, ich frage mich ja wirklich, wie es sein kann, dass gerade du so nah an ihre heißgeliebten Pflänzchen ran durftest, wenn es doch nur eine Zweckgemeinschaft für dich ist und dir ihre Schwärmerei so egal?“ Myotismon hätte eine Ausrede gehabt, viele Ausreden und er war sicher, sie hätten plausibel geklungen. Dass nun mal alles im Schloss voll von diesem Unkraut war. Das eins von den dämlichen Swanmon oder eines seiner Devidramon ihm in Flug erwischt und ins Wasser befördert hätten. Oder dass diese nervigen, kleinen Baby- und Ausbildungs-Digimon sich einen dummen Scherz erlaubt hätten, der seinen Sarg mit involvierte, während sie dabei die letzten Strophen von Solomon Grundy sangen. Es hätte überzeugend sein können, wenn Piedmon, der Myotismons Ohr immer näher kam, nicht genau wüsste, dass so kein Digimon roch, das einfach in einen Teich fiel oder sich zu viele davon in den Räumlichkeiten hielt. So roch nur ein Digimon, dass sich tagtäglich in diesen Blumen wälzte, genauso wie eben jenes Blümchen täglich sich in diese Graberde mit Schnee und faulen Laub legte. „Oder sollte ich eher fragen, wie nah und wie oft du an sie ran durftest? Und wie oft hat es dir gefallen?“ Der warme Atem hatte Myotismons Haut nicht einmal ganz berührt, als er mit seiner Albtraumkralle zuschlug, aber nur die Luft und anschließend irgendetwas in der Finsternis traf, dass dann umfiel und man nur das Geräusch fallender Steine hörte. Das rote Licht in seiner verkrampften Hand blieb noch eine Weile, um sofort wieder zuzuschlagen, falls Piedmon es wagen sollte ihm noch mal so nah zu kommen. „Hat das jetzt sein müssen, Romeo? Jetzt hab ich 'ne Wette verloren!“ „Halt deine Klappe!“, schrie Myotismon zu Etemon hinüber und sah dann wieder zu Piedmon, der ganz entspannt in seinem Stuhl Platz nahm und sich freute sein Lieblingsspielzeug gefunden zu haben - einen wunden Punkt. „Und du wagst es nie wieder mir so etwas zu unterstellen!“ „Dann würde ich an deiner Stelle etwas gegen den penetranten Blumengestank machen, wenn du vermeiden willst, dass andere Digimon sich ihren Teil denken. Da kommt einem ja alles hoch. Gilt übrigens auch für deinen Kragen. Schick sieht es zumindest nicht aus.“ Er dachte an eines von Sanzomons langen, blonden Haaren, dass sich im Stoff seines Kragens verfangen hatte, aber Myotismon fand nichts, bis er seinen Hals abtastete. Erst, als er seine Haut berührte, begriff er was Piedmon gemeint hatte und er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht einmal auf die Idee gekommen war es besser zu verstecken. Piedmon entging schließlich nie etwas, insbesondere schlecht kaschierte Knutschflecken nicht. Er musste in Zukunft bei ihren Küssen kürzer treten, vor allem vor einer Orchesterprobe, ansonsten würde Sanzomons Leidenschaft und Experimentierfreude, die ihr unschuldiger und neugieriger Geist auslebte ihm noch im wahrsten Sinne Kopf und Kragen kosten. Irgendwo hinter ihm konnte er Etemon anzüglich pfeifen hören und er meinte auch Devimon wieder lachen zu hören. Und Puppetmon. Sogar MetalSeadramon, der irgendwo über dem Atrium umherschwebte. Vielleicht lachte auch Machinedramon, wenn Myotismon es sich auch nicht vorstellen konnte. Dieses Digimon lachte nie. Am schlimmsten blieb ohnehin Piedmons Gesicht, der wieder seine Hände faltete, um seinen Kopf, mit dem überbreiten geschminkten Grinsen darauf abzulegen. „Und ich hatte mich schon gewundert, warum du sie ganz für dich alleine haben möchtest. Erzähl schon, mein Freund, wie oft treibt ihr es miteinander? Mir fehlt es da an Fantasie, wie das sich anfühlt, wenn man so untot ist. Wo packt sie dich an, um deinen eiskalten Körper richtig heiß zu machen? Ihr Schoß ist bestimmt schön warm, oder?“ Hätte Myotismon mehr von etwas, was lebte, hätte er Schamesröte im Gesicht, oder es hätte sich, bei dem Anblick wie Piedmon sich mit der Zunge über die Lippen fuhr vor Wut komplett rot verfärbt. Und wenn Myotismon es nicht besser wüsste, könnte er glauben, er höre Zorn in Piedmons Stimme, so belustigt er auch auf ihn herab schaute, nur um ihn anzustacheln. Wundern würde es Myotismon nicht, denn dass Piedmon Sanzomon nicht nur nicht mochte, sondern sie regelrecht hasste war ein offenes Geheimnis. Piedmon schwang sich wieder quer in seinen Stuhl, um weiter mit den Karten zu spielen und sie in der Luft zum tanzen zu bringen. Sie zeigten immer noch alle die Karo-Dame. „Was will ein Digimon wie Sanzomon überhaupt mit halbtoten Daten? Ich hätte mir ja an ihrer Stelle etwas weniger modriges ausgesucht, das nicht schon von Weitem nach einer alten Gruft aussieht.“ Die Bewegungen der Karten wurden schneller. Zwischen den Karo-Damen waren Pik-Könige aufgetaucht. „Typisch, die unscheinbarsten Digimon sind immer die Versautesten. Sag schon, was für schmutzige Dinge macht sie mit dir, wenn du zu ihr ins Bett kriechst? Oder sag nicht, du nagelst sie in deinem Sarg.“ „Das geht dich nichts an, was ich angeblich mit ihr mache. Und wenn du so weiter machst, bis du bald derjenige, den ich in einen Sarg stecken und zunageln werde. Für immer!“ „Uh, ich hab Angst. Lass deine Energie an dieser Volksverräterin aus, aber verschone mich damit. Ich schlafe nicht mit Untoten.“ Myotismon Befürchtung bestätigte sich - Er war für diese Probe rein zur Unterhaltung gedacht. Vermutlich Piedmons Rache für seinen kleinen Deserteur-Akt und sie alle amüsierten sich darüber, wie immer, wenn die Laune des Gitarristen, des Sommersturms, der Herzkönigin, ihn traf. Und Gegenwehr wurde belächelt oder bestraft, denn der Herr Dirigent ließ seine Hand über sie alle schweben und peinigte jeden, der es wagte, dessen selbstverfasste Asimov-Gesetze zu brechen. Und da allein schon auf der gegnerischen Seite vier Mega-Level standen, blieb Myotismon nichts, als es hinzunehmen. Es würde ein hässliches Konzert werden. Aber Myotismon beklagte sich nicht, er war ja hier nie sehr beliebt gewesen und erwartete kein Mitleid. Sie hassten ihn, weil er angeblich Glück hatte. (Außenseiter) Und leider, so musste Myotismon sich aber gestehen, war Sanzomon nun einmal genau der Typ Digimon, der seinem Geschmack entsprach und mit jeden weiteren Tag ärgerte er sich mehr über sie. Sie hatte ihn in dieses Schlamassel gebracht. Hätte sie nicht ein Rookie blieben können? Wieso musste sie so eine enge, figurbetonte Robe tragen? Was musste sie ihren Hals verbergen, aber ihre Schultern so entblößen? Warum musste sie diesen Blick haben? Myotismon war es Leid, seine Arme hinter seinen Rücken zu verschränken und seine eigenen Gelenke zu packen, damit er ihr nicht an die Kehle sprang oder sich selbst so fest auf die Zunge zu beißen, bis das Verlangen verflogen war, während er ihr naives Bild einer schönen, heilen Welt, dass ihr abgeschottetes Reich war erhielt, im Glauben der Krieg könnte sie dort und ihre lieben Kleinen nie erreichen. Myotismon wartete nur darauf, dass dieses Bild bald zerbrach und Sanzomon an der brutalen Realität. Seine Zähne in ihrem Hals, ihr Körper im Seerosenwasser schwimmend und sich schließlich in Daten auflösend. Ein wahrlich malerischer Anblick. Aber sein Plan ging voraus. Seine Sinne mit Rotwein zu betäuben und rohes Fleisch zu essen, dem die Wärme von Leben fehlte, hielt auch nicht für die Ewigkeit. Aber er musste. Für sein Vorhaben, von dem die anderen sechs nichts wissen sollten, bis zu dem Augenblick, in dem er ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Messer in den Rücken rammte. Aber zuerst würde Myotismon sich den Herr Dirigenten vorknöpfen. Jenes Digimon, dass im Hintergrund die Fäden zog, sie an der Leine hielt wie Hunde und bestrafte, horchten sie nicht. Trotz der strengen Orchester-Regeln wusste Myotismon gewisse Dinge zu umgehen und war sich sicher, irgendwo auf Grey Mountain befand sich etwas, dass ihm helfen könnte seinen Plan in die Tat umzusetzen und ihn an seinen rechtmäßigen Platz zu führen. Und hätte er das erst einmal aus Sanzomon herausgekitzelt, könnte er auch sie töten. Und nur er, kein anderes Digimon durfte das. Ganz besonders Piedmon nicht, der über Myotismons drohende Miene nur spottete. Anfangs, aber gerade weil Myotismons Blick nicht wich, verzog sich Piedmons Lippen immer mehr zu einem schmalen Strich. „Deine Blicke kannst du dir sparen. Und wenn dir Sanzomon so wichtig ist, werde ich ihr auch nichts tun. Das heißt, solange sie mir nicht im Weg stehen sollte, kannst du mit ihr machen, was dir gerade in den Sinn kommt. Foltere sie, ficke sie, friss sie von mir aus. Die Reihenfolge überlasse ich dir.“ Angewidert von Piedmons Worten sah Myotismon fort. Auf die Bemerkungen seiner Mitmusiker gab er nichts. Tatsächlich bereute Myotismon es kurz hierher gekommen zu sein. Grey Mountain wäre ihm lieber gewesen. Sanzomon wäre ihm lieber gewesen, statt hier mit Digimon zu stehen, mit denen ihn angeblich irgendetwas Wichtiges verband, was doch nicht greifbar war. Ihre angeblicher Zusammenhalt, ihre Verbundheit, ihre Kameradschaft, ihre angebliche bedingungslose Solidarität waren Scheinargumente ohne jedne Inhalt in Myotismons Augen. Ja, Sanzomons Anwesenheit wäre ihm lieber und wenn es nur gewesen wäre weiter mit ihr zu spielen. Hätte alles nicht einmal wie vorgesehen laufen können? Ihr die alleinige Schuld für dieses unangemessene Verhalten in der Bibliothek zu geben war in seinen Augen der sichere Übergang von Unsicherheit zu Furcht gewesen und er hätte ihr die Führung über Grey Mountain unter der Nase weggenommen, ohne dass sie etwas machen konnte. Statt Angst nun ihre Zuneigung auszunutzen klang wie eine gelungene Alternative zu Beginn. Nun war sich Myotismon dem jedoch nicht mehr so sicher. Statt ängstlicher war sie mutiger geworden. Statt unsicherer wirkte sie entschlossener. Statt sich zu isolieren suchte sie seine Anwesenheit. Sie hörte sich seine Geschichten angehört an, was er als Dobermon trieb. Wie er die Devidramon gezähmt hatte. Was seine Zähne schon taten. Sie saß beim Essen neben ihm, mit der Erkenntnis im Hinterkopf wie Digimon wie er eigentlich lebten. Dann starrte sie für einen Moment und fragte sich, was er dabei dachte, wenn er so zubiss. Der Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben, aber die unerschrockene Neugierde erlaubte es ihr nicht wegzusehen. Sie wolte weiter mit ihm essen. Sie wollte Zeit mit ihm verbringen. Sie wusste schließlich, auf was sie sich einließ. Zwar fragte Sanzomon, wie er es aushielt, so Tage ohne Blut. Er wich mit der Antwort aus, dass Daten eben Daten seien. Dass es aber selbst zwischen Fleischdaten und Blutdaten dezente Unterschiede gab, musste sie nicht wissen. Vorerst. Trotz allem aßen sie weiter jeden Abend zusammen. Sanzomon sagte, er sei eben so und dass kann man nicht schönreden oder ändern, also konnte sie selbst nur wegschauen oder es akzeptieren und wegschauen war das Letzte, was sie wollte. Er hatte so oft versucht sie in seinen Bann zu ziehen, nun hing sie sich freiwillig an ihn und der Tag würde kommen, an dem Myotismon über sie herfallen konnte. Er musste sie nur weiter mit süßen Worten und Küssen umgarnen und schwer war es nicht. Oh, im Gegenteil war es das. Sie redeten viel. Unterschiedliche Dinge. Politisches, unpolitisches. Manchmal waren sie sich einig, überraschend oft sogar, musste Myotismon sich eingestehen, machmal nicht und sie gab Kritik, die aber nicht selten uninteressant war. Manchmal tat es gut, so ganz vernünftig zu reden und über ihre dummen Träume nachzudenken, selbst wenn die Diskussionen hitzig wurden, da sie beide in ihrem Inneren stur waren, er mehr, sie weniger. Ihr Leuchten in den goldenen Augen blieb. Wahnsinn. Mehr nicht. Das konnte Myotismon sich so lange zu nutze machen, bis sein Plan und sein Vorhaben erfüllt waren und Sanzomons Vernichtung, der Moment wenn er ihr digitales Inneres ausweiden und ihr Blut trinken konnte, nachdem er vor ihren Augen erst noch ihre geliebten Schüler in Stück reißen, wenn nicht sogar ihre Datenreste zerstören würde, damit sie nie mehr wiedergeboren werden konnten, wäre der Höhepunkt seiner Horrorballade. Wenn nur dieses Irgendetwas nicht wäre. Dieses Irgendetwas, dass ihn so wütend machte, wenn Piedmon solche Worte in den Mund nahm, dieses Irgendwas, dass schon da war, bevor er Tinkermon überhaupt getroffen hatte und ihn dazu brachte - vorerst - zu schweigen. Sie nicht töten zu wollen und ihr weiter bei ihren Philosophien und ihren Wunschvorstellungen zuzuhören und darüber nachzudenken. (Wieso träumen Digimon und haben Albträume, wenn Träume für die Digitation nichtig seien? Kann ein Digimon sich wünschen, zu was es digitieren möchte und darauf gezielt hinarbeiten? Oder ist das unmöglich, wenn doch alles angeblich schon in einem Digimon eingespeichert ist? Wieso können dann aus fünf Poyomon aus fünf verschiedenen Städten fünf verschiedene Digimon werden? Und wenn sie alle den gleichen Weg der Digitation einschlagen, sind sie dann gleich oder nicht? Wieso können zwei gleiche Digimon aus der selben Digitation verschiedene Ideale entwickeln? Ist es albern, wenn ich dir verrate, dass ich als Cupimon immer ein Venusmon werden wollte? Sag mir, Myotismon, was denkst du darüber?) Manchmal, wenn sie sich unterhielten, flog die Zeit davon und Myotismon merkte es nicht einmal, weil er so in diese Unterhaltung vertieft war, auch wenn er sagte, Sanzomons Ansichten seien reiner Sophismus und Tagträumerei. Seltsam schon fast, dass er sich mit einem Digimon des Widerstandes besser unterhalten konnte wie mit seinen eigenen Kameraden, denen er ja angeblich so verbunden war. Obwohl er Streicheleien gar nicht mochte, machte es ihm bei Sanzomon Tag für Tag weniger aus. Allgemein hob sich seine Toleranzgrenze in gewissen Dingen etwas. Die Wärme, die ihre Lippen hinterließ blieb auch gefühlte Stunden später noch auf seiner Haut und weckten in Myotismon das Verlangen, sie nochmal zu küssen. Er wollte sie küssen und gleichzeitig komplett auffressen. Und irgendwann würde er das, wenn es so weit war. Irgendwann. Bestimmt. Ganz sicher. Vielleicht war er ja auch mittlerweile verrückter wie Piedmon selbst. Einzig, was diesen Irrsinn noch übertrumpfen könnte war die Reale Welt. Diese Welt hinter unsichtbaren Grenzen, die man nicht überschreiten konnte und fast alle Digimon nur als eine Art Märchenwelt kannten. Aber es gab sie. Sie wussten es und der Widerstand wusste es. Und spätestens mit dem Auftauchen der Souveränen glaubten es immer mehr Digimon. Denn als die Souveränen das erste Mal auf der Bildfläche erschienen und die Digimon gegen die Meister der Dunkelheit aufstachelten waren sie nicht alleine. Menschen standen an ihrer Seite. Alle sieben Meister der Dunkelheit wussten, wie erschreckend widerlich die Menschen sein konnten und es die Daten ihrer Welt waren, die Digimon wie sie überhaupt entstehen ließ. Das Verständnis für eine Apartheid, für Krieg, dies kam alles aus der Realen Welt. Wenn die Digiwelt erst einmal am Rande der Vernichtung stünde, würde es der Realen Welt genauso ergehen. Und wenn sie auch mit unterging, was soll's? Sollte sie. Und die ganze verrückte und belanglose Menschheit, mit ihren Digirittern dazu. „Hast du mich nur hierher bestellt, um mich wegen einer angeblichen Liebschaft zu verurteilen, oder kommt da noch etwas Wichtiges? Du musst wissen, Sanzomon macht sich Sorgen, wenn ich zu lange fort bleibe. Und ich lasse die ehrfürchtige Hohepriesterin nur ungern warten.“ Kurz stellte Myotismon sich vor, wie sie in der Bibliothek saß, wartete und beim Warten versuchte sich mit Arbeit abzulenken und schließlich irgendwann, mit dem Kopf auf einem Buch einnickte, um von ihrer süßen Welt zu träumen. Bei so viel Naivität konnte einem übel werden, so viel Loyalität nur für ein paar Küsse, Streicheleinheiten und Zeit, die man sich für etwas Grübeln und ihre Worte nahm. Aber Zeit, die Myotismon sich allmählich gerne nahm. „Ich wollte nur sicher gehen, ob du dir deiner Position bewusst bist“, rief Piedmon zu ihm hinunter. Wieder diese Rage in der Stimme. Vermutlich hatte er bemerkt, dass Myotismons Gedanken abgedriftet waren. „Was wir hier tun und vor allem warum. Und was geschieht, wenn irgendjemand auf die Idee kommen sollte, seine eigenen kleinen Intermezzos zu spielen, die nicht vom Herr Dirigenten abgesegnet wurden.“ Auch wenn er Myotismon am längsten ansah, wanderte Piedmons stechender Blick zu allen anwesenden Digimon. „Der Herr Dirigent verlangt nicht viel von uns. Die Kapellmeister -“, Piedmon zuckte kurz, schloss die Augen und zog scharf Luft ein, „- sind ihres Amtes enthoben. Vergesst das nicht. Sie kamen mit der Apartheid und sie gingen mit ihr. Alles andere was sie brachten, ist niemals passiert. Sind wir uns da alle einig? Das ist niemals passiert!“ Piedmons Abgrund lief über und der Sommerorkan brach aus. Aber überraschender- und vor allem glücklicherweise war alles heil geblieben. Es hatte schon schlimmere Stürme gegeben, aber selten welche, die so laut waren. Piedmon war sie ein Sommersturm von ein auf die andere Sekunde verschwunden, wohin, darüber konnte man spekulieren. Zu LadyDevimon vermutlich weniger. Man konnte über Piedmon reden und denken was man wollte, aber nicht, dass er seinen Zorn an ihr ausließ, dafür gefielen ihn diese Digimon dann doch zu sehr und achtete zu sehr darauf, dass kein anderes Digimon ihnen was tat (solange er sie eben noch nicht satt hatte). Für seinen Zorn hatte er niedere Digimon, die ihm egal waren. „Das ist niemals passiert.“ MetalSeadramon war aus der Dunkelheit getreten und schwebte wie eine Gewitterwolke über ihnen allen und man wartete darauf, dass ein Schauer mit Regentropfen, so groß wie ihre eigenen Köpfe sich über ihnen ergießen würde. Aber er zog davon, wie ein Gewitter, mit Donner, aber ohne Blitze. Er wollte, nun da die Orchesterprobe endlich vorbei war wieder zurück in seine Gewässer, in deren Tiefen niemand sah, wie gefährlich dieser Regenschauer war und das Wasser salziger als bittere Tränen. „Das ist niemals passiert.“ Da Devimon selbst schwarz wie die Nacht war, sah man kaum, wie er entschwand. Er war froh darum, als Schwächster versteckte er seine Karten fast noch besser wie Myotismon. Kein Wunder, dass er sich auf File Island zum Trompetenspielen verzog, isoliert von jedem Sonnenschein. Nur seine Augen, die glühten wie die Hitze der Sommersonne auf dem Boden, blieben sehr lange dort in dieser Schwärze, wie eine einsame Kerze. „Das ist niemals passiert.“ Machinedramon ging rückwärts wieder in den Schatten und wie schon bei Devimon dauerte es, bis der matte Glanz des Stahls in der Dunkelheit, ähnlich einer dicken Wolke, verschwunden war. Er redete wenig, aber an dem Abend noch weniger. Vermutlich lag es an der musikalischen Untermalung. Piedmon hatte Recht, ein Moll drückte die Stimmung, aber er wollte dieses Lied hören, weil die Maschinen, die er dafür programmierte, dass sie es mit ihm taten eben nicht so konnten, wie Machinedramon es sich wünschte. Was von seiner Anwesenheit noch blieb, war Dampf, der wie Nebel über den Boden kroch. „Das ist niemals passiert.“ Puppetmon kicherte immer noch, als er fort sprang, begleitet von dem Geräusch seiner Zahnräder, die sehr laut tickten, damit Myotismon nicht vergaß, was er ihn einmal angetan hatte. Aber irgendwie hatte diese Orchesterprobe auch ihm zugesetzt, gerade weil er so weibisch lachte. Er konnte seinen Abgrund so gut wie es ging mit frischem Grünem und bunten Frühlingsblüten verdecken, man sah ihn in seinem Holzschädel immer noch, und wie verrottet das alles mittlerweile war. „Das ist niemals passiert.“ Etemon schnaubte nur, statt noch einmal unangemessen zu lachen oder einen Witz zu reißen, ehe er ging. Er würde wieder in sein Refugium zurückkehren und versuchen auf seiner E-Gitarre irgendwelche Töne zu treffen, die ohnehin immer grässlich klangen. Er konnte sich noch so sehr bemühen, es würde immer schrecklich klingen. Etemon konnte nur das Cello spielen, nur dieses Instrument konnte dem Irgendwas, dass er unter goldroten Herbstlaub versteckte, Ausdruck verleihen. Aber er wollte es nicht begreifen. „Das ist niemals passiert.“ Myotismon stand als Letzter noch im Atrium, als hätte sein eigener Schneesturm ihn in eine Eissäule verwandelt. Er dachte an Sanzomon. Er musste sich eine gute Ausrede einfallen lassen, warum er ihr an dem Abend keine Gesellschaft leisten konnte. Obwohl ihm eine Stunde mit ihr und ihren Worten weit lieber gewesen wäre als diese Orchesterprobe, seien es der Anfang tiefenpsychologischer Theorien oder eben ihre Nonsens-Ferse gewesen. Er hätte es sich angehört. Und darüber nachgedacht. Er bekam Hunger.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)