Wintersonett von Rakushina (Which dreamed it?) ================================================================================ Konzert V - ##### ME, 3. Satz, Lahgetto unisono ----------------------------------------------- 𝄡 Neben sozialer Wärme und Akzeptanz lernte Tinkermon bei Jijimon und Babamon auch den Winter kennen. In ihre alten Heimat gab es keine wirklichen Jahreszeiten. Die erste Hälfte des Jahres war ein lauwarmer, in Pastell gehüllter Frühling, die andere ein milder, selten windiger Herbst, der die Bäume, die zuvor rosa, fliedern, hellblau und mintgrün waren in ein knalliges goldrot färbte. Nüsse und Obst gab es das ganze Jahr (in der rotgoldenen Zeit mehr Nüsse), Regen gab es immer mal wieder und Schnee war gänzlich unbekannt. Das Bäume ihre Blätter überhaupt verloren war für Tinkermon neu und das Pflanzen Schutz vor der Kälte bräuchten. Jijimon erklärte ihr den Zyklus der Jahreszeiten und brachte ihr und den anderen Findlingen bei sich gut um die Pflanzen zu kümmern, will man sie nie verlieren. Besonders wenn es Pflanzen waren, die normalerweise nicht auf einem Berg wuchsen. Die Ausbildungs-Digimon und ein Elecmon, dass aber im Laufe der nächsten Tage Grey Mountain auch verlassen würde legten auf Jijimons Order Planen aus, um das Gemüse zu schützen. Gerade rechtzeitig wie sie feststellten, denn gerade als sie fertig wurden fielen die ersten Schneeflocken hinunter. Jijimon hingegen trug ein Fass mit beiden Händen. Es war nicht groß, aber halbvoll mit Wasser und die Setzlinge von Seerosen schwammen darin. „Jijimon, Jijimon, was machst du da? Wir müssen schnell zurück“, rief DemiMeramon ganz aufgeregt, doch Jijimons Versuch an Geschwindigkeit zuzulegen scheiterte. Nach wenigen schnellen Schritten musste er eine Pause einlegen und legte das Fass ab. Tinkermon, DemiMeramon und ein Koromon kamen zu ihm gestürmt. „Warum schleppst du die Seerosen mit dir mit?“, fragte Koromon. Jijimon schnaufte erst einige Male. „Die Setzlinge -“, wieder holte er tief Luft, „-müssen hinein. Sonst überstehen sie den Winter nicht.“ „Aber es sind doch nur Seerosen“, meinte DemiMeramon. „Und wenn sie kaputtgehen sammeln sich ihre Daten irgendwann und kommen wieder.“ „Ach, Kinder... Ihr müsst noch einiges Lernen“, schnaufte Jijimon, ohne aber verärgert zu klingen. Er tätschelte Koromon und DemiMeramon sogar über den Kopf. „Leben ist kostbar, auch wenn es ein Digitales ist. Möchte man, dass Dinge erhalten bleiben, muss man sich um sie kümmern, damit sie wachsen und gedeihen. Ihr sollt ja auch nicht einfach gelöscht werden, weil ihr ja schließlich wiedergeboren werdet. Im Gegenteil – um euch muss man sich auch kümmern, damit ihr wächst und gedeiht und lange wehrt.“ „Hä? Aber wir sind doch keine Pflanzen“, sagte Koromon und zog fragend eine seiner kaum vorhandenen Augenbrauen hoch. Jijimon fing daraufhin nur an zu lachen. „Geht ruhig, Kinder. Es wird kalt und Babamon schimpft, wenn wir nicht bei Zeit zurück sind“, sagte er und drängte die beiden mit einer wedelten Handbewegung dazu, zu der Gruppe Ausbildungs-Digimon zurückzukehren, die gespannt wartete. Nur Tinkermon schwebte schweigend in der Luft und Jijimon sah, dass das Feen-Digimon in das Fass schaute in dem die Setzlinge schwammen. Das Wasser war zwar dunkel, aber klar und die Wurzeln schwammen darin wie feinste Haarsträhnen, während auf der Oberfläche die weißen Blüten schwammen. Normalerweise waren sie riesig, groß genug das ein Baby-Digimon und manche Ausbildungs-Digimon sich in sie legen könnten. Die im Fass jedoch waren kaum so groß wie Pflaumen. „Warum müsst du die Setzlinge mitnehmen, Jijimon?“, fragte Tinkermon schließlich, leicht abwesend und nur auf die Blumen schauend. Im dunklen Wasser sah man die Konturen ihres Spiegelbildes, was nicht mehr wie ein Schatten war. „Früher wuchsen die Blumen an Land. Besser gesagt auf Schnee. Doch als es wärmer wurde gingen sie ins Wasser. Sie sind immer noch winterhart und blühen sogar beim eisigsten Wetter. Doch wenn sie so klein sind, sind die Wurzeln empfindlich und schaffen es nicht aus dem Boden die Daten zu holen, die sie brauchen. Darum hole ich sie im Winter hinein und im Frühling setze ich sie wieder ins Wasser. Dann haben die Wurzeln genügend Zeit zu wachsen um sich zu stärken, bis der nächste Winter kommt.“ Begleitet von einem lauten Ächzen streckte Jijimon sich und packte wieder das Fass mit den Pflanzen, ehe er weiter auf die Ausbildungs-Digimon zuging, die immer noch warteten dass er hinterher kam. „Je stärker die Wurzeln, um so mehr Daten nehmen sie auf. Je mehr Daten um so größer und weißer wird die Blüte und so mehr von ihren eigenen Daten geben sie ab.“ „Ah, du meinst ihren Geruch?“, fragte Tinkermon, Jijimon nickte. „Die Blumen sind ein gutes Hausmittel. Sie helfen gegen Schlafprobleme, Angst und wirken positiv auf Schmerzen und Fieber. Ich kann dir beibringen wie man die Blüten trocknet und daraus Tee macht. Wenn du willst, natürlich.“ „Ja, ja unbedingt!“, jauchzte Tinkermon aufgebracht. „Gut. Die Blüten ernten kann man erst im Sommer. Aber ich glaube, ich habe noch etwas Vorrat. Eine gute Medizin und der Tee ist nicht allzu herb. Aber du darfst mit der Dosis nicht übertreiben. Und schön von kleinen Digimon fernhalten, hast du -“ Jijimon blieb stehen, als er merkte dass Tinkermon ihm nicht mehr folgte. Sie hatte zwar zugehört, schaute aber immer wieder nach links und rechts und wieder nach links. Jijimon fragte nicht, es reichte, als er noch einmal zu den Ausbildungs-Digimon sah, durchzählte und merkte, das jemand fehlte. „Wo ist Tsukaimon?“, fragte Tinkermon, während sie weiter nur hin und her sah. „Er war doch hier. Hast du ihn gesehen, Jijimon?“ „Nicht mehr seit ich die Pflanzen holen gegangen bin.“ „Ich suche ihn!“, rief sie Jijimon zu, nachdem sie schon längst aufgebrochen war, aus dem flachen Tal innerhalb er Bergreihen flog und hinter ihnen verschwand. Im Tal, dass zum Ackerbau genutzt wurde bekam man wenig von dem Wetter mit, aber kaum dass Tinkermon aus diesem flog überraschte sie eine Windböe. Schneeregen kam ihr entgegen, dann, als die Böe nachließ Schneeflocken. Das grelle weißgrau der Nebelwand und des Himmels blendeten unangenehm und Tinkermon hielt sich die Hände über die Augen, als sie einmal ihren Blick über die Felsen streifen ließ, um Tsukaimon zu finden. Und tatsächlich fand sie ihn sehr schnell als einsamen violetten Punkt in einem Bild, dass nur aus Weiß- und Grautönen bestand. Tsukaimon saß am Rande eines Vorsprungs, schaute aber nicht in die Weite, wie Tinkermon erst vermutete, sondern nach oben. Ihn schien das stechende Weiß nicht zu stören. Aufgebracht flog Tinkermon auch direkt auf ihn zu. „Tsukaimon! Was machst du hier? Wir müssen zurück! Jijimon wartet und außerdem ist es eiskalt“, motzte Tinkermon lauthals, während sie auf ihn zuflog und neben ihm schwebte. Tsukaimon ignorierte sie gänzlich, was nicht sonderlich neu für sie war. Er ignorierte sie des Öfteren. Doch diesmal hatte Tinkermon nicht das Gefühl, dass Tsukaimon sie schlicht ignorierte, weil ihm ihr Geschwätz auf die Nerven ging. Er schien mehr als sei er abwesend. „Tsukai-“ „Halt den Mund“, brummte er mit einer fast gefühlslosen Stimme und würdige Tinkermon keines Blickes. Er schaute einfach nur weiter den Himmel hinauf. Tsukaimons Augen waren so glasig und klar, dass sich die Schneeflocken darin spiegelten. „Entschuldige, nur -“ „Habe ich nicht eben gesagt, dass du ruhig sein sollst? Ich höre den Schnee sonst nicht!“ „Den Schnee...?“, wiederholte Tinkermon, schon vergessen dass sie ja ruhig sein sollte, aber Tsukaimon schenkte diesem Ausrutscher ebenso wenig Beachtung. Mit offenem Mund schwebte Tinkermon in der Luft, die Arme eng um ihre Brust verschränkt, da sie die Kälte kaum aushielt. Auch Tsukaimon sträubte sich das Fell, dass sah man deutlich, aber er rührte sich keinen Millimeter. „Wie klingt der Schnee denn?“, harkte Tinkermon nach. Ihre Stimme bibberte. Tsukaimon löste seinen Anblick vom Himmel und starrte Tinkermon schließlich resigniert an. „Ach ja. Ich vergaß, du kannst es nicht hören.“ „Wieso eigentlich nicht? Wieso hörst du es, aber ich nicht?“ „Weil das nicht eben jedes Digimon kann. Ganz einfach“, erklärte Tsukaimon, regelrecht abfällig, als hätte sie eine vollkommen simple Frage gestellt mit einer noch simpleren Antwort, die man doch eigentlich wissen müsste. „Und warum kannst du es? Wie kann man das lernen? Ich möchte auch wissen, wie der Schnee klingt.“ „Das lernt man nicht. Man kann es oder man kann es nicht.“ „Und gibt es noch Digimon, die das können?“ Während Tsukaimon kurz nachdachte, sah er einen ziemlich großen Schneeflocke dabei zu, wie sie sich ihren Weg durch die Windböen nach unten bahnte und zwischen ihm und Tinkermon zu Boden fiel, nur um sich schnell auf dem Boden wieder aufzulösen. „Ich glaube nicht“, antwortete er wieder knapp, worauf dann Tinkermon nur verdutzt dreinblickte. „Aber, wenn es niemand kann, wie kann dann ein Digimon verstehen, was du denkst?“ „Wer sagt, dass ich will, dass andere es verstehen? Ich will von anderen auch nichts wissen.“ „Aber jeder will doch verstanden werden.“ „Ich! Nicht!“, baffte Tsukaimon, wütend und mit verengten Augen und schließlich flog er an ihr vorbei. Beschämt und von Unverständnis geplagt schaute Tinkermon ihm nach und sich gleichzeitig fragend, ob sie einen Fehler gemacht hatte, bis Tsukaimon schließlich nach kurzer Zeit ins Straucheln geriet. Erst dachte sie, das käme weil die Windstärke zunahm und Tsukaimon von diesem fast weggeweht wurde. Doch er fiel schnurstracks zu Boden. Nicht besonders tief, er war ja auch nicht sehr hoch geflogen, aber Tsukaimon blieb liegen und Tinkermon hörte ihn ächzen. Tinkermon schrie auf, dann flog sie zu dem kauernden Digimon. „Tsukai-“ „Lass mich...“, knurrte er, aber Tinkermon ignorierte es. „Was ist los?“ „Ich sagte doch, lass mich. Ich habe nur... Kopfschmerzen.“ Tsukaimon schüttelte seinen Kopf, den er kraftlos hängen ließ, die Augen zu Boden gerichtet. Er sah zu, wie die Schneeflocken auf dem Boden aufkamen und nach wenigen Sekunden zerschmolzen. Selbiges geschah auch bei denen, die auf seinem Fell landeten. Sie zerschmolzen. Sie verschwanden. „Tsukaimon...“ Er ignorierte Tinkermon weiter, sie nahm es ihm jedoch nicht übel, sondern sah traurig hinterher, als er sich wieder mit weiterhin gesenkten Kopf in Bewegung setzte. Ihr schien sogar, als taumelte er. Ob es an seinen Kopfschmerzen lag? „Kann ich nichts für dich tun? Dir geht es doch nicht gut.“ „Nein. Lass mich einfach...“, brummte er erneut, ehe er davon flog. Tinkermon folgte ihm jedoch nicht gleich, sondern sah nur traurig wie besorgt hinterher, ehe ihr Mitschüler nicht mehr wie ein dunkler Punkt inmitten von weiß und grau war. Zwei Tage schneite es ununterbrochen und in diesen zwei Tagen sah Tinkermon Tsukaimon kaum. Er kam nicht zum Essen und hätte wohl auch nicht gegessen, hätte Jijimon nichts gebracht. Er kam nicht zum Unterricht, was Babamon ärgerte, aber erneut war es ihr Gatte, der Tsukaimon in Schutz nahm und ihm damit den Raum gab und die Ruhe, die er wollte. Tsukaimon starrte diese zwei Tage nur den Schnee an. Er schlief am Fenster und wenn er erwachte, war Schnee das Erste, was er sah. Er wirkte regelrecht hypnotisiert und, wie Tinkermon fand überaus angespannt. Und auf irgendeine Weise sogar verlassen und einsam. Als der Schnee fort war tat Tsukaimon, als sei dies nie passiert.   # Myotismon manifestierte sich in der Bibliothek, hoffend, Sanzomon abgehängt zu haben und konnte für einen Moment überlegen, wie er sie die nächsten Stunden meiden konnte. Er würde ihr sogar zutrauen, dass sie seine Tür auftrat, sollte er diese verriegeln wollen. Doch lange unbemerkt blieb er nicht, denn hinter ihm räusperte sich schon Sanzomon, die als Schlossherrin jeden Winkel und jeden Geheimgang kannte. „Könntest du mir mal erklären, was mit dir eigentlich nicht stimmt?“, brüllte Myotismon sie an, als er sie hinter sich stehen sah. „Das könnte ich dich auch fragen.“ „Du rennst mir doch wie ein tollwütiges Tyranomon hinterher. Ich will nur meinen verdienten Schlaf.“ „Und ich will Antworten von dir“, sagte sie möglichst ruhig, aber die Anspannung stand ihr noch ins Gesicht geschrieben und die Anstrengung Myotismon überhaupt einzuholen, schließlich konnte sie sich nicht durch die Gegend teleportieren wie er. „Ich habe aber kein Interesse an deinen Fragen.“ „Ich weiß, dass du keines hast.“ „Also warum rennst du mir hinterher?“ „Ich will nur reden. Weil ich das besser finde“, erklärte Sanzomon, doch es führte nur dazu, dass Myotismon mit den Augen rollte und wieder gehen wollte. Doch Sanzomon hielt ihn fest und konnte ihn noch abhalten, für diesen Moment zumindest. „Hör mir einfach zu. Bitte. Weißt du, Babamon, sie… ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, weil ich nicht sagen kann, was sie plagte“, erklärte Sanzomon, doch tat sie sich ungewohnt mit den Worten schwer, nicht wissend wie sie ihn überzeugen konnte. Nervös fuhr sie sich durch die Haare. „Aber sie hat es nur in sich rein gefressen, bis der Wahnsinn sie fraß.“ „Sehe ich aus oder rede ich wie Babamon?“, fragte er erzürnt. „Willst du sagen, ich sei so irre wie sie?“ „So meinte ich es nicht. Ich meinte – ich habe viele Digimon getroffen auf meiner Reise, die ihre Ängste und ihren Zorn unterdrückt haben. In den Lagern, die errichtet worden für Digimon, die vor den Meister der Dunkelheit flüchten findet man viele solcher Digimon. Und sie gehen innerlich daran zugrunde. Für Babamon war es damals schon zu spät. Ihren Geist hätte nichts mehr retten können. Und mich beschleicht das Gefühl, dass du auch Dinge verdrängst.“ „Selbst wenn dem so wäre, bist du das letzte Digimon, dem dies etwas anginge.“ Mit diesen scharfen Ton warf Myotismon beim Umdrehen den Umhang um seinen Körper und war überzeugt, dass dieses Thema nun erledigt sei, niemals, niemals wäre Sanzomon so lebensmüde, sicher nicht, sie war zu eingeschüchtert, sie ängstlich, so wie immer. Doch er unterschätzte sie. Sanzomon ging im nach und packte mit beiden Händen nach ihm, um Myotismon am gehen zu hindern. „Myotismon, bitte, bleib da, ich rede auch mit niemanden darüber, ich verspre-“ „Lass mich endlich und hör auf dich in meine Angelegenheiten einzumischen!“ Ein heftiger Wind kam auf, als Myotismon sich zu Sanzomon umdrehte und dabei ihre Hände wegschlug. Schützend hob sie ihre Arme vor ihr Gesicht, auch wenn ihr nichts geschah, nur überrascht von diesme Zornesausbruch und ihr lief es eiskalt den Rücken runter. Sie wusste zwar, wie zornig er werden konnte und wie oft wurde sie von Tsukaimon schon angebrüllt – aber diesmal war es irgendwie anders. Und Sanzomon bekam Angst. Erst wie erstarrt, fuhr Sanzomon schließlich zusammen. Durch die Gewalt dieses Windes fielen ein Bücherregal in sich zusammen. Bücher und Holzbretter stürzten ein, verteilten sich auf den Boden und offenbarten mehr wie nur eine kahle Wand hinter ihr. Da war ein Loch in der Wand. Etwa auf eineinhalb Meter höhe und groß genug, dass ein durchschnittliches Ausbildungs-Digimon leicht dort hineingehen konnte. Es wurde erst für ein Schaden in der Wand gehalten, doch als beide bemerkten, dass dieses Loch weit tiefer ging und auch noch etwas darin lag tauschten Myotismon und Sanzomon sich fragenden Blicke aus. „Wusstest du davon?“ Jedoch schüttelte Sanzomon nur den Kopf. Sie ging auch als erste auf dieses Loch zu in der Wand zu, dass nichts Gefährliches in sich barg und doch Unwohlsein auslöste. Erst gingen beide eher um das Loch, als darauf zu, um sich den Inhalt anzusehen. Dokumente lagen darin, gestapelt, eingerollt, in Umschläge verpackt. Einige Ecken und Kanten waren schwarz und angekohlt. Man hatte versuchte sie zu zerstören, aber sich im letzten Augenblick umentschieden. Myotismon sah sich derweil alles um die Stelle herum an. Die anderen Regale waren zum Teil im steinigen Gemäuer eingearbeitet, damit sie stabil blieben, nur dieses nicht, da es aber weniger Tiefe besaß reihte es sich unauffällig zu den anderen ein. Myotismon tastete den Boden ab. Er schien glatt, doch man konnte die Unebenheiten fühlen. Irgendjemand zog etwas schweres über den Boden, wie eben ein schweres Bücherregal und schliff anschließend über den Boden, um die Spuren zu beseitigen, was ihm auch fast komplett gelang. „Ob Babamon uns deswegen immer verboten hat ohne Aufsicht die Bibliothek zu betreten?“, fragte Sanzomon Myotismon. Er sagte nichts, nickte nicht einmal, aber in seinem Blick fand Sanzomon Zustimmung. Auch waren sie sich einig, dass dies nur Jijimons und Babamons Werk sein konnte, schon weil weder Sanzomon noch Myotismon sich vorstellen konnten, dass hier in ihrem Schloss etwas verborgen war, von dem sie nichts wussten. Sanzomon, von Angst und Neugier gleichzeitig übernommen, wagte als Erstes einen Schritt näher heran. Die Spitze von Papier wedelte vor ihr herum, zu sich winkend und auffordernd, nun da es die ersten Sonnenstrahlen seit wer weiß wie viel Jahren frische Luft und Sonnenlicht zu spüren bekam. Eine Schriftrolle war das Erste wonach Sanzomon zielstrebig und ohne Zögern griff, da das goldene Bändchen, das es zusammenhielt so auffällig war. Ein Emblem, genauso golden wie das Band baumelte hin und her und zeigte vier sich überkreuzende Sterne. Das Zeichen der Hohen Serums. Mulmig wurde Sanzomon bei dieser Erkenntnis und es kostete sie Überwindung, trotz des so großen Durstes nach Wissen, dass Papier aufzurollen und zu lesen, was dort stand. Ein Teil war unleserlich, dass lag zu einem an der Schrift, zum anderen dass die Tinte mit der Zeit verblasst war, besonders die Zeichen an den Rändern betraf dies, doch je mittiger, so deutlicher war sie: … ist es dem hier verzeichneten Digimon, WISEMON (Reg.-Code: CCCCFF), ab dem Moment der Beglaubigung des Papiers durch einen Vertreter der heiligen Gestirne und der Unterschrift des hier genannten, bevollmächtigten Digimon ROSEMON (Reg.-Code: C21E56), erlaubt sich in Raum BERIAH und im Umkreis von 3 MEILEN frei zu bewegen und Geschäftsabkommen für Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände der KATEGORIE 2 abschließen. Über den Wohnsitz des hier verzeichneten Digimon entscheidet das bevollmächtigte Digimon. Möchte das verzeichnete Digimon einem Gewerbe nachgehen, so erfolgt dies über den Bescheid des bevollmächtigten Digimon. Das verzeichnete Digimon ist verpflichtet regelmäßig an einer Datenüberprüfung teilzunehmen. Sollte das verzeichnete Digimon auf eine höhere Stufe digitieren oder auf eine niedrigere Stufe zurückdigitieren, ist dies umgehend zu melden und das zu verzeichnende Digimon muss sich einer erneuten Datenprüfung unterziehen, unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Prüfung. BEI EINER VIRUS-DIGITATION MUSS DAS DIGIMON UMGEHEND IN EINER REHABILITATIONSKLINIK ÜBERWIESEN WERDEN, SELBST WENN DAS VERZEICHNETE DIGIMON ZUM ZEITPUNKT DER BEGLAUBIGUNG BEREITS DEM TYPUS VIRUS ANGEHÖRTE. Die letzten Sätze waren wieder unlesbar, die Unterschrift und der Name des Digimon nicht mehr zu entziffern. Sie waren Opfer der Zeit geworden. „Was ist das?“ „Du hast nicht viel Zeit mit Jijimon verbracht, sonst würdest du dich besser mit der Digimon-Historie auskennen“, merkte Myotismon an und obwohl er nüchtern wie immer klang, schwor Sanzomon ihm anzumerken, dass ihm dieser Fund unangenehm war. „Es war Virus-Digimon durchaus erlaubt im Herrschaftsrefugium der Serums zu leben. Unter der Voraussetzung, man gab sämtliche Rechte ab. Ein Serum-Digimon oder ein Datei-Digimon mit hohem Status konnte dann für dich bürgen – aber auch komplett über dich entscheiden, ohne dass du dich wehren konntest.“ „Und diese Kliniken… Sind sie das, was ich denke?“ „Willst du das wirklich im Detail wissen? Du kannst es dir doch denken.“ Schweigend wechselte Sanzomon zwischen Myotismon und dem Stück Papier, bis ein flaues Ziehen durch ihren Magen fuhr. „Geierkrallen… Wenn nicht gar schlimmeres.“ Ihr Gesicht wurde klamm. Sanzomon las sich den Text noch einmal durch, nicht glaubend was sie hier in den Händen hielt. Die Namen der Digimon stachen ihr besonders ins Auge, die sie zwar schockierte, aber dennoch nicht sehr überrascht. Ein Rosemon, dass viel negatives Karma in sich sammelte wurde früher oder später zu einem Babamon. Sanzomon ahnte schon immer, dass die Geschichte von dem mächtigen Rosemon und dem naiven, schusseligen Wisemon eigentlich nur Babmons und Jijimons Geschichte sein konnte. „Also war Jijimon Babamons Leibeigener“, seufzte Sanzomon schwer. „Mich wundert es nicht. Es war für viele Viren die einzige Möglichkeit ein anständiges Leben zu führen. Besser wie getötet zu werden, oder zurück ins Reich der Viren geschickt zu werden, wo jeder jeden tötete, bei dem Versuch der nächste Dämonenkönig zu werden.“ „Warum sollte man das wollen? Wahllos zu Töten, nur für eine bestimmte Digitation?“ „Weil sie glauben, das sei richtig. Jeder glaubt immer, er sei im Recht.“ Ohne Vorwarnung entriss Myotismon Sanzomon das Stück Papier und rollte sie wieder zusammen. Er wirkte ungewöhnlich ernst. „Was hättest du getan? Nicht wenig Viren haben gern ihre Rechte abgegeben. Es ist schließlich bequemer, keine Verantwortung tragen zu müssen.“ „Ich glaube nicht, dass Jijimon und Babamon sich nur deswegen darauf eingelassen haben. Du weißt, wie Jijimon war. Außerdem -“ Sanzomon sprach nicht weiter, sondern steckte ihre Hand wieder in das Loch in der Wand hinein. Ein vertrauter Geruch kam ihr entgegen und ihr Vermutung bestätigte sich, als sie nach etwas griff, dass schon seit langer, langer Zeit vertrocknet war, aber nichts an seinen Geruch einbüßte. Ein vertrockneter, aber noch leicht blauer, mit einer roten Schleife zusammengehaltener Blumenstrauß. „Lavendel?“, wunderte sich Myotismon, Sanzomon kicherte. „Natürlich Lavendel. Passt zu unserer alten Mutter Gans. Man will kaum glauben, dass diese alten Kindersprüche schon zur Apartheidszeiten gab. Sinnlose Kunst war doch nicht gern gesehen, hörte ich.“ Behutsam legte Sanzomon den Strauß wieder zurück, neben einen Stapel Briefen und weiteren Papieren. Bei zweiteren konnte man ebenfalls auch nicht mehr die Schrift lesen und nur raten, was sie einst festhielten. Unter den Papieren jedoch ragte ein Buch heraus, dass Sanzomon zwar vertraut schien sich aber sagte, dass das nicht sein konnte und warum so etwas hier sein sollte. Sie nahm das Buch, statt der Briefe und betrachtete das Bild auf dem Umschlag des Buches. Ein humanoides Wesen umzingelt von Raben. „Krabat?“, wunderte sich Sanzomon, griff wieder hinein und holte noch mehr Bücher zum Vorschein. „Momo. Der kleine Hobbit. Hat Babamon die uns nicht vorgelesen?“ Sie zog Hänsel und Gretel hervor. Dann ein Buch mit der Sammlung der Mutter Gans Reime und Geschichten. Und schließlich auch Alice im Wunderland, dass Myotismon ihr sogleich entriss, eine beliebige Seite aufschlug, um das Buch nach wenigen Sekunden wieder zuzuschlagen. „Serumische Schrift“, sagte er daraufhin nur. „Dann müssen diese Bücher Jahrzehnte alt sein. Wenn nicht noch älter“, meinte Sanzomon und legte die Bücher auf dem Tisch nach. Sie kontrollierte sie alle und alle waren in der damaligen Serumischen Schrift verfasst, starke Striche, die unteren Enden der Zeichen in schwungvolle Linien gezogen. Jedoch waren die Striche nicht zu dick und einige Linien deutlich dünner geschrieben, um einzelne Worte besser voneinander zu trennen und zu bestimmen, was unter dem normalen Digimonvolk eher üblich war. „Nicht älter aber wie einhundert Jahre, wenn ich die Schrift richtig deute. Also eher gegen Ende der Apartheid. Ganz sicher bin ich nicht, aber ich wüsste sonst nicht, warum Bücher in der Volksschrift, statt in der Amtsschrift geschrieben werden sollten.“ „Was sollten die Hohen Digimon und deren Handlanger auch mit Kinderbüchern?“, entgegnete Myotismon. Er sagte dies mehr wie ein Witz, doch Sanzomon machte sich ernsthaft Gedanken. „Hm, durchaus…“ Nun nahm Sanzomon schließlich die Briefe. Staub und Dreck fiel von ihnen ab und schwarze Reste blieben an Sanzomons Händen. Ihr erster Gedanke war Scham, als sie ihre verdreckten Hände sah. Der Zweite, dass das kein Staub oder Dreck, sondern Asche war. Sie musste feststellen, dass jemand irgendwann einmal versuchte diese Briefe zu verbrennen, aber schließlich daran gehindert wurde oder es einfach nicht über das Herz brachte. Zu spät jedoch, waren die meisten Briefe zu sehr versenkt und würden zerfallen, würde Sanzomon es wagen sie zu öffnen. Nur der oberste Brief des Stapels schien mehr oder weniger unversehrt und nur die Ecken waren beschädigt. Vorsichtig löste Sanzomon die Schnur und zog den Umschlag sorgsam heraus, den Rest legte sie zurück. Der Umschlag war nicht groß und der Zettel, der darin lag genauso wenig und fasste kaum Text. Was auffällig war, dass bemerkte Sanzomon sofort, dass trotz weniger Schriftzeichen für sie sofort herausstach, dass dies die Schrift war, die Babamon ihr und Myotismon eintrichterte, nämlich die, die alle drei Schriftarten zusammenfasste und dazu waren die Sätze so simpel und kurz gehalten, als hätte der Verfasser dieser Worte erst schreiben gelernt. Ungewöhnlich, dass schien auch Myotismon festzustellen, ansonsten wüsste Sanzomon nicht, warum er so angespannt schien und aufgeregt. Tante. Hier ist alles gut. Uns geht es gut. Wir kämpfen viel. Geht es Onkel gut? Wir vermissen euch. Den anderen schreiben wir auch immer Briefe. Alle haben jetzt das Ultra-Level geschafft. Ist das nicht toll? Ich schreibe dir nächsten Monat wieder.   Nachdenklich las sich Sanzomon den Brief noch ein zweites Mal durch und auch ein drittes Mal und fragte sich, was die Begriffe Tante und Onkel bedeuten sollten. Die Begriffe waren ihr zwar aus den vielen Reimen bekannt und Geschichten, aber etwas darunter vorstellen konnte sich Sanzomon nichts. Vielleicht, so dachte sie, war das etwas ähnliches wie Mutter und Vater? Diese Worte waren bekannt und Sanzomon verstand darunter jemanden, der erfahrener und viel älter war war als man selbst und über einem stand, zu dem man eine sehr, sehr enge, platonische Verbindung hegte und von dem man beschützt wurde. War das etwas ähnliches? Es wurde von einer Ultra-Digitation gesprochen. War der Verfasser ein Digimon? Mehrere? „Was glaubst du, haben Jijimon und Babamon in der Apartheid schon Digimon großgezogen?“, fragte Sanzomon Myotismon, denn wer sonst sollte Babamon so etwas schreiben und sie so nennen. Myotismon aber sagte nichts, sondern nahm ihr den Brief ab. Sanzomon protestierte daraufhin, und wie auch schon als er ihr einst einen Brief entnahm hielt Myotismon diesen aus ihrer Reichweite, gegen das Licht. Nur dieses Mal war noch etwas auf den Papier zu erkennen und was für Sanzomon erst wie Flecken aussah, stellen sich als ganze Worte und Sätze heraus, verfasst mit einer Tinte, die man erst nicht sah und über die geschrieben wurde, damit es nicht auffiel. Dazu war es nicht in alten Digimojis geschrieben. Das waren Kanjis: SIE LESEN UNSERE BRIEFE, ODER? WIR HABEN ANGST. WIR HÖREN EINEN TON. WIR HÖREN GESANG. ES KLINGT SCHRECKLICH. WAS HABEN SIE UNS NICHT GESAGT?   „Woher hast du gewusst, dass da noch mehr steht?“, fragte Sanzomon perplex. „Bitte, das ist ein uralter Trick“, erklärte er, fast schon wütend darüber wie Sanzomon so etwas nicht wissen konnte. „Und verstehst du, was man mit dieser versteckten Botschaft sagen will?“ „Sehe ich so aus?“ „Hm… wer weiß.“ Überrascht hob Myotismon erst eine Augenbraue, nicht verstehend, auf was Sanzomon anspielen wollte. „Ein Ton. Gesang. Ich meine, du scheinst eine gewisse Kenntnis über Musik zu haben. Kannst du nicht einem Digimon wie mir erklären, was gemeint sein könnte?“ „Ich habe von Gesang keine Ahnung. Du trällerst doch den halben Tag vor dich hin. Wenn, so frage deinen Kanarienvogel, nicht mich!“ „Warum bist du eigentlich so gereizt?“ „Ist diese Frage dein Ernst?“ Peinlich berührt ersparte Sanzomon es sich weiter darauf einzugehen, er hatte schließlich durchaus Gründe sauer auf sie zu sein. Dennoch empfand Sanzomon seine Reaktion als unangemessen und übertrieben. „Ob es hier Hinweise gibt, von wem diese Briefe stammten?“, fragte Sanzomon und steckte ihren Kopf in das Loch, hoffend irgendwelche Anhaltspunkte zu finden, worüber Myotismon nicht erfreut schien. „Musst du dich eigentlich immer so tief in anderer Angelegenheiten einmischen? Hast du auch vielleicht eine Sekunde überlegt, warum Jijimon und Babamon nicht wollten, dass jemand das hier findet?“ „Es muss aber auch einen Grund geben, warum sie diese Dinge nicht vernichtet haben. Vielleicht wollten sie, dass wir irgendwann darauf stoßen. Schau lieber einmal, ob man auf einem der Briefe einen Stempel oder ähnliches erkennen kann.“ „Vielleicht haben sie es auch einfach vergessen, dass diese Sachen hier sind. Die beiden wussten manchmal nicht einmal, welchen Tag wir haben.“ „Ich hab etwas gefunden!“, rief Sanzomon euphorisch auf und ignorierte dabei gekonnte, wie Myotismon wütend knurrte, gerade weil sie ihn ignorierte. Im hintersten Winkel unter einem Berg aus Staub fand Sanzomon eine sehr große Schriftrolle aus Pergament, die sie mit ihren Fingerspitzen gerade so erreichen konnte und zu sich zog. Nicht nur war das Papier ein anderes, auch weil sie viel größer wie alles, was dortdrinne lag schloss Sanzomon daraus, dass es kein Dokument sein konnte und sie behielt Recht, als sie es ausrollte und sich mit Myotismon ansah. Kaum Text, fast nur Symbole. Eine Zeichnung, die fast die gesamte Seite einnahm. Die Zeichnung war eine mehr oder weniger humane Gestalt mit Hufen statt Füßen, im Schneidersitz und drei Köpfen, ein Löwe links, ein humanoider Kopf, vollständig von einem Helm eingenommen in der Mitte und ein Affe zur rechten. Eine alte Symbolik über das Übersein, das Ich und der eigenen Triebhaftigkeit. Die Zeichnung wurde mit schwarzer Tinte und Kohle gemacht, doch Farbe lag im Zentrum des Bildnisses. Symbole in Regenbogenfarben, sieben Stück die vom Schoß bis über den Kopf dieser grotesken Figur eine Reihe bildeten. Myotismon stellte fest, dass dieses Zeichnung von Jijimon stammte. Er hatte früher Jijimon zwar immer nur dabei zugesehen wie er Kräuter für Babamons Herbarium zeichnete, aber die Art wie die Linien verliefen und wie die Schattierungen mit sich überkreuzenden Linien dargestellt wurden deuteten klar auf seinen Zeichenstil hin. „Das Shakamon-Modell…“, murmelte Sanzomon leise und leicht überrascht. „Wie bitte?“ „In der Digimon-Soziologie und Psychologie ist das ein eher unbekanntes Modell, aber einige Thesen anderer Sanzomon stützen sich darauf. Dieses Modell ist ein Grundstein der Lehren meiner Art… Habe ich gehört.“ Sanzomon versuchte sich zu erinnern wo sie dies einmal hörte, doch es fiel ihr nicht ein. Vielleicht dachte sie nur, sie hätte das gehört und mit ihrer Ultra-Digitation war das Wissen, dass ein Sanzomon brauchte und haben sollte automatisch auf sie übergegangen. Es könnte auch von Pixiemon gewesen sein, aber ganz sicher war sie sich nicht. Das Shakamon-Modell war nie Thema in Babamons Unterricht gewesen, obwohl es doch auch mit ihrer Philosophie übereinstimmte. Sanzomon fand keinen nachvollziehbaren Grund und sie fragte Myotismon auch nicht, ob er eine Erklärung dafür hätte, er würde es nur mit Babamons und Jijimons zunehmenden geistigen Verfall erklären. „Es ist sehr alt. Es enthält eine Lehre, dass jedes Individuum, egal ob Ordnung, Wachstum oder Chaos, signifikant zum Erhalt und der Weiterentwicklung unseres Systems beitragen kann, ohne es komplett zerstören zu müssen. Das war auch die erste Lehre, die Virus-Digimon nicht mit Zerstörung gleichsetzte. Dazu gehört das Verständnis von sieben Tugenden. Manchmal sagt man auch Chakren dazu, weil sie positives Karma fördern würden. Angeblich haben diese Attribute geholfen, die Apartheid zu überwinden, nachdem sie immer mehr Anklang und Verständnis in der Digiwelt fanden. Die einzige Möglichkeit den in der Apartheid oft gefürchteten und prophezeiten Kreislauf von Feuer und Asche zu durchbrechen.“ „Der HCF-Befehl… Hold and Catch Fire“, murmelte Myotismon. Sanzomon nickte zustimmend und vertieft in ihre Gedanken bemerkte sie erst nicht, welchen Unterton Myotismons Stimme plötzlich annahm und schob es auf schlichtes Unbehagen. Hold and Catch Fire, ein Psalm der zurück ging bis über die Alpha-Ära hinaus war das ultimative Todesurteil und ließ jedes Digimon bei dem Gedanken schaudern. Mit verengten Augen streckte Sanzomon das Stück von sich weg, hoffend, sie würde so vielleicht mehr erkennen, aber die serifen-lastige und geschwungene Schrift, die durch den Zahn der Zeit erheblich litt war für sie schwer zu entziffern. „Diese altserumische Schrift ist furchtbar. Aber ich denke das hier ganz oben heißt… Glaube, denk ich. Ja, meine das heiße Glaube. Vertrauen. Weisheit. Freude… Fröhlich... -, nein, Freundlichkeit heißt das. Entschlossenheit. Großzügigkeit und –“ „Gerechtigkeit.“ Erschrocken, da Myotismons Stimme wie aus dem Nichts kam hielt Sanzomon inne. Unheimlich war auch, wie sie klang. Nicht nur emotionslos, sondern geradezu tonlos und das war ihm nicht ähnlich. Dann, als sie sich zu ihm umdrehte bemerkte Sanzomon erst, wie steif sein Gesicht und sein ganzer Körper war, so wie vorhin. „Du kennst das Modell also?“, fragte Sanzomon vorsichtig. „Nein. Ich habe davon nie gehört.“ „Woher wusstest du, dass das hier Gerechtigkeit heißt? Ohne darauf zu schauen?“ „Ich habe diese Symbole einmal gesehen, die dort abgebildet sind. Und kenne ihre Bedeutung.“ „So? Woher? Von Jijimon?“ „Ja. Von Jijimon.“ Doch wie oft an diesem Tag glaubte Sanzomon ihm nicht. Die Sonne stand höher und es kam mehr Licht hinein, also schloss Sanzomon mit Telekinese und einer schwingenden Handbewegung die Vorhänge, hoffend es half seine Laune zu bessern. Mit der Dunkelheit gingen die Kerzen wie von selbst an, doch die Dunkelheit änderte nichts am Gemüt des Vampir-Digimon. „Was ist los?“, fragte Sanzomon und gab sich Mühe behutsam, aber nicht all zu besorgt zu klingen, damit Myotismon nicht auf die Idee kam, sie wollte ihn bevormunden. Die erzielte Wirkung hatte es jedoch nicht und er keifte nur: „Fang nicht schon wieder damit an. Du belästigst mich schon die ganze Zeit, was willst du also noch?“ „Antworten wären ein guter Anfang. Und du machst dich hiermit nur verdächtiger.“ Mit der wieder zusammengerollten Pergamentrolle klopfte Sanzomon gegen Myotismons Brust. Doch plötzlich schnappte er nach dem Stück Papier und ehe Sanzomon fassen konnte, was er tat, zerriss er die Pergamentrolle. „W-was soll das? Die Sachen gehören Jijimon und Babamon!“, schrie Sanzomon entsetzt und nahm ihm die Schriftrolle weg, ehe sie noch mehr zerreißen konnte. Der Riss ging einmal komplett durch die Mitte, aber der Schaden wäre leicht zu beheben. „Sie sind nicht mehr hier, also was soll’s?“ „Was soll’s?! Das sind uralte Dokumente, vermutlich sogar allesamt aus der Zeit der Apartheid!“ „Gut erkannt. Also ist es nicht schade drum, wenn man sie entsorgt, zusammen mit den Instrumenten. Glaube nicht, dass ich das vergessen habe.“ „Nein!“ Mit den Papieren an ihre Brust gedrückt schritt Sanzomon von Myotismon weg. Und wie er ihr nachlief, dass Gesicht von Zorn verzerrt, empfand Sanzomon Angst vor ihm. „Du willst also weiterhin so störrisch bleiben?“ „Du lässt mir auch keine Wahl. Ich lasse nicht zu, dass doch noch mehr davon zerstörst.“ Einen Schritt ging Sanzomon zurück, doch auf diesen kam ihr Myotismon mit einem näher, die Hand fordernd ausgestreckt, aber sie dachte nicht daran, obwohl mit jedem Zentimeter, den sie zurückschritt und damit von Myotismon Abstand gewann die Angst stieg. Er war nicht schlicht aufgebracht oder schlicht genervt oder am Rande seiner Geduld. Er war wütend. Er war auf sie wütend. „Es sind Sachen aus der Typus-Apartheid. Die Ära, die du so sehr hasst und der du die Feindseligkeit deiner Geschwister verdankst. Daher sollte es auch in deinem Interesse sein, wenn alles was aus dieser Ära entsprang restlos verschwindet.“ „Du klingst schon wie die Meister der Dunkelheit!“, schimpfte Sanzomon entsetzt und sprang einen gewaltigen Satz zurück, als Myotismon versuchte ihr die Rest der Pergamentrolle aus der Hand zu reißen. „Die Erinnerungen daran dürfen nicht verschwinden. Egal wie grausam. Es gehört nun einmal zu der Geschichte dieser Welt. Darauf hat es aufgebaut. Und vielleicht hat die Digiwelt das auch gebraucht, um zu begreifen, wie grausam es war.“ „Die Digiwelt begreift nicht! Dazu müsste sie lernen und das kann sie nicht. Wie oft muss ich dir das noch erklären? Und weil sie nicht lernt, ist es besser zu löschen! Die Digiwelt hat schon genug Epochen restlos gelöscht und gerebootet, auf eine mehr kommt auch nicht mehr an. Also gib das endlich her!“ „Ich sagte, Nein!“ Sanzomon hatte nicht vor seine Hand wegzuschlagen, eigentlich wollte sie nur die Schriften beschützen, schließlich gehörten sie Babamon. Sie holte weit aus, streifte Myotismons Hand nur dabei und das Armband mit den zwei kleinen Glöckchen, die die ganze Zeit kaum einen Ton von sich gaben, baumelten hin und her. Schließlich trafen sie sich und ein Laut ertönte. (Ding) Für Sanzomon war es nur ein kurzer Schreck. Sie hatte die Glöckchen ganz vergessen und musste sich erst wieder daran erinnern, dass sie sich ja noch trug. Myotismon hingegen erstarrte. Und statt nur diesen einen Ton wurden mehrere aus ihnen. (Ding Ding Ding) (Dong Dong Dong Dong) Und aus mehrere Tönen wurde eine Melodie. Aus der Melodie ein ganzes Lied. Ein Konzert aus Glocken, dass Myotismon einzig mit unaussprechlichen Bildern, Gerüchen und Stimmen verband. Und es wurde immer lauter. Und lauter. (Dong Ding Dong Ding Ding Dong Ding Dong Ding Dong DingDingDingDing Ding DongDong Ding Ding DongDongDing Ding DongDongDing DongDingDongDingDongDingDing) Sanzomon konnte es nicht hören. Niemand außer Myotismon selbst konnte das hören und ihre Bedeutung verstehen. Sanzomon sah nur ein Digimon vor sich, aus dem jeder Hauch der bewies, dass es noch lebte entwichen war. Myotismon glich einer Statue, nicht nur ohne jeden Ausdruck, sondern von allem beraubt, dass ihn ermöglichte die Gegenwart wahrzunehmen. Doch er versuchte irgendetwas zu sagen, irgendjemanden zu rufen und beim Namen zu nennen, ein Irgendetwas, von dem er wusste, dass es verloren und orientierungslos in der Dunkelheit umherlief, während die Glocken das Lied zum jüngsten Tag einstimmten. Das Lied des Chaos. Das Lied der Zerstörung. „...ki.“ Fragend hob Sanzomon den Kopf. War das ein Name? Ein Wort? Ein Laut? Dann aber erkannte sie nur noch, wie Myotismon scheinbar versuchte, noch einmal diesen Laut über die Lippen zu bekommen, vollständig, hörbar und wen immer er glaubte vor sich stehen zu haben, sollte es hören. Myotismon zog Luft ein, Zunge und Lippen formten bereits den richtigen Ton – doch er schaffte es nicht. Etwas war hier, packte seinen Hals und schnürte Myotismon die Kehle zu. Aber es war nicht derjenige, den er bei sich wissen wollte. (DongDingDongDongDingDongDingDongDingDongDingDongDongDingDongDongDingDongDingDong) Sanzomon sah es nicht. Einzig was sie sehen konnte war wie klein Myotismons Pupillen geworden waren, wie stocksteif und es auch blieben, wie auch der Rest seines Körpers, während die Bilder vor seinem Augen flackerten und Geräusch lauter und lauter und immer, immer lauter wurden. (DingDongDingDongDingDingDingDongDongDongDingDongDingDongDingDingDongDongDongDingDingDingDongDingDongDingDongDingDing) „Was ist los? Was hast du auf einmal?“, rief Sanzomon und begann ihn zu schütteln, doch Myotismon nahm sie kaum wahr. Er befand sich geistig nicht mehr in der Bibliothek auf der Spitze Grey Mountains, sondern irgendwo in der Nichtigkeit, wo der Horizont in Flammen stand und die Erde im schwarzen Wasser unterging. Eine Kraft, gleich zwei Hände umschlang ihn und jeder einzelne Atemzug wurde zu einer Qual. Da erklang sie. Die Stimme des Herr Dirigenten, die in den Ohren anderer jeden Funken Lebenswillen, in einigen sogar jeglichen Glauben an irgendeiner moralische und ethische Instanz nehmen konnte. Kaum etwas auf dieser Welt hasste Myotismon mehr wie diese Kreatur, die in seinen Augen nicht einmal ein Digimon war. Nichtsdestotrotz, so groß der Wunsch den Herr Dirigenten zu töten war gab es auch nichts, was Myotismon so sehr fürchtete, wie dieses Ding in seinem Kopf zu wissen, der es ausnutze, dass er sich in einem Zustand bestand, der ihn angreifbar machte, während er versuchte seine geistige Stabilität zu bewahren, eher die Emotionen hochkochten. Emotionen, die der Herr Dirigent spürte und auf Myotismon aufmerksam machte, obwohl der Herr Dirigent an einem Ort absoluter Nichtigkeit gefangen war, unantastbar für alle und doch gleichzeitig omnipräsent. Das wiederum holt Myotismon zwar aus dem Strudel der Erinnerungen wieder herauszukommen, versetzte ihn aber bei der Erkenntnis, in wessen Griff er sich nun befand in Panik. Er durfte nichts hiervon erfahren. Er durfte nichts von sein Plänen erfahren. Er durfte nichts erfahren! (H̸͚̃ö̵̪̔r̷̯͗s̸̘͒ẗ̶͈́ ̸̗̌d̶̮͝ú̶̪ ̴̻͊ę̷͗t̶͜͝w̶̗̑a̷̤͋ ̶͉̑d̶̨̄o̶͓͑c̶̤͋h̷̢͂ ̴̻͂n̵̯̔o̷͈͐c̸̬̀h̶͙̆ ̷̬̾ḛ̸͠ṯ̶̊w̴̪͠a̶̻̚s̶͈͐,̷̯̃ ̷͍̇m̴̬̔e̵̹͂i̴̲͝n̵̥̋ ̶͚͘P̶̰̎i̵̤̎a̴̰̿n̸͙͛i̴͔͑ś̶̹t̸̤͒?̵̱̋) Es glich einem stundenlangen Kampf, sich aus diesen Fängen zu befreien. Eine Präsenz, die den Geist so umklammerte und das Gemüt schwermütig und träge werden ließ war hartnäckig. Myotismon aber, schon immer willensstark versuchte sich wieder auf die Wirklichkeit zu fokussieren, sich selbst wieder daran zu erinnern, wo er war, nicht am Wasser, nicht am Feuer, nicht auf dunkler, verkohlter Erde und schon gar nicht, bei allen finsteren Mächten nicht dort, wo dieses abscheuliche Digimon war. Er war hier. Er musste sich auf hier konzentrieren. Hier. Nicht die Flammen. Nicht die Glocken. Der Herr Dirigent verstummte. Die Verbindung zwischen ihnen wurde wieder schwächer und damit der unsichtbare Druck um seinem Hals. Ebenso aber auch seine eigene Kraft, die ihn auf den Beinen hielt und das Bewusstsein, dass nur noch aufnahm, dass jemand vor ihm stand. Zierlich, mit heller Haut und blonden Haaren. Das kam ihm so vertraut vor. Zierlich. Hellhäutig. Blond. Könnte... Was für Myotismon sich wie Stunden anfühlte, vergingen für Sanzomon nur eine überschaubare Zahl von Sekunden bis Myotismon ihr kraftlos in die Arme fiel. „Hey, was ist los? Was hast du plötzlich? Myotismon, sag etwas!“ Er sagte nichts. Nur seine Arme schlangen sich langsam um ihren schmalen Körper und Myotismon presste Sanzomon an sich, dass sie so überraschte, dass sie die Situation, in der sie sich befanden erst vergaß. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass sie einmal so nah an ihm war und dass für einen längeren Moment, dass Sanzomon sogar die Zeit hatte seinen Körper unter dem Anzug richtig zu ertasten und zu fühlen, sogar das überaus schwache pulsieren des Digikerns zu spüren, dass bei untoten Digimon ohnehin kaum vorhanden war. Trotz des kalten Körpers fühlte es sich dennoch für Sanzomon irgendwie warm und angenehm an, genoss es sogar und wünschte sich, noch ein paar Minuten so eng umschlungen hier in der Stille mit ihm stehen zu können, bis ihr aufgrund der zunehmenden Last wieder klar wurde, was eigentlich um sie herum geschah. Sanzomon ächzte unter dem Gewicht und tat sich schwer damit sie beide zu halten. Aber sie hörte, wie Myotismon weiter Worte vor sich hinmurmelte, immer wieder, aber unverständlich. Sein Kopf lag auf ihrer Schulter, seine Arme verloren ihre Kraft. Ihm ging es schlecht, doch die Ursache wie sie erkannte musste psychischer Natur sein und unter der Last von Myotismons Gewicht fiel Sanzomon nichts anderes ein, als den Versuch zu wagen dieses Problem mit ihren eigenen, magischen Fähigkeiten auf ihre gewohnte Weise zu bekämpfen. Mit einer leichten Handbewegung beschwor sie ihre Mala-Kette. „Bleib wach, ja? Es wird alles gut“, sagte sie noch zu ihm, dabei versuchte sie ihn irgendwie so zu stützen, dass sie beide nicht umfielen. Sie faltete ihre Hände, zog Luft ein um ihrer eigenen Nervosität Herr zu werden, während nun auch Myotismons Hunger die Wärme und den Geruch eines potenziellen Opfers wahrnahm, nicht mehr wissend was er erst glaubte wer das vor ihm war, und seine tiefsten Urinstinkte seine Benommenheit ausnutzten um wieder zum Vorschein zu kommen. Zu mehr wie einem Zucken seines Kiefers war es nicht gekommen - für mehr hätte seine Kraft auch nicht gereicht - denn die heilige Kraft, die Sanzomon mit ihren Gebet erzeugte durchflutete seinen Körper. Und er schrie vor Schmerz auf. „GUUUUAAAAAAAAAAAAH!“ Und einzig was Sanzomon spürte, war wie ein Schlag ins Gesicht, ein Schlag, der ihren Geist von Myotismon abkoppelte, ehe sie auch nur beginnen konnte zu graben um die tief verborgenen Daten und verdrängten Erinnerungen zu finden. (V̢e̵͞r̷̀śc̛̕͘h̵͠w̢ind̵͝͝e̶̶͘!̀) Dann fiel Sanzomon zusammen mit Myotismon, der nun vollständig das Bewusstsein verlor auf den Boden. Der Teppich fing den Sturz ab, Schmerzen hatte Sanzomon dennoch. Ihre Gebetskette fiel ihr aus der Hand, aber Sanzomon sah noch, dass die Perlen kurz leuchteten, die eine, die von Babamons Kette stammte sogar noch ein wenig länger. Aber wieso hatte es nicht funktioniert?, dachte Sanzomon nach, während sie weiter unter Myotismon liegen blieb. Sie wollte ihn doch nur heilen. Sie dachte, die Ursache lege am Typus, aber wenn Babamon Tinkermon mit dieser Magie geheilt hatte, hatte es ihr auch nichts ausgemacht. Einige ihrer Schützlinge waren und wurden zu Viren und es gab nie Probleme. Weil er ein Untotes-Digimon war? Aber die Bakemon und Soulmon konnte sie doch auch heilen. Sogar Phantomon. Aber Myotismon hatte aus Leibeskräften die Qualen herausgeschrien. Wirklich geschrien. Dann blieb noch die Frage, was das für eine Stimme war, die in ihrem Kopf hallte? Myotismons Stimme war es nicht. Sanzomon überlegte und überlegte, während sie Myotismon ansah und je länger sie auf ihn starrte vergaß sie die Stimme und sie realisierte immer mehr, dass er sich nicht rührte. Bestimmt würde er gleich aufstehen und sie anschreien, ganz sicher, sagte Sanzomon sich, ganz ganz sicher. Aber nichts geschah. „Oh… Nein. Nein… Was ist passiert? Myotismon! Wach auf! Wach doch auf!“ „Meister, ist alles okay?“, rief Cho-Hakkaimon, sie klang zwar fern, aber ihre Schritte kamen näher und mit ihr noch mehr. Schließlich stürmten ihre drei Schüler hinein und sahen ihren Meister auf dem Boden knien, die versuchte Myotismon wachzurütteln. Wer sich aber ebenso in den Raum und an ihren Schüler vorbeizudrängen versuchte, war die gesamte Schar Geist-Digimon. Tiefschlaf oder nicht, sei es um die Uhrzeit und die Helligkeit, den Schrei ihres Meisters hätten sie über Kilometer entfernt gehört und aller Gewalten zu Trotz wären sie gekommen. Sistermon Blanc, Sirenmon, sogar die Baby-Digimon hatten es gehört, standen aber nur im Türrahmen um von dort aus zu beobachten, wie Sanzomon versuchte dieses bewusstlose Digimon zu wecken und den Geist-Digimon gegenüberstand, die mit entsetzen auf ihren bewusstlosen Herrn starrten, mit Phantomon an der Spitze. „Was ist passiert?“, fragte er ruhig, aber jede einzelne Silbe erriet, wie Phantomon versuchte seinen Zorn zu beherrschen. „Ich weiß es nicht. Er wurde plötzlich ganz starr. Dann hat er irgendwas vor sich hingemurmelt. Ich dachte, er hat, nun ja… Schmerzen. Aber nicht körperlich. Ich weiß nicht, wie ich euch das erklären soll“, antwortete Sanzomon nervös. Gokuwmon kniete neben seinem Meister und versuchte Myotismon zu wecken, schüttelte ihn dabei etwas kräftiger wie Sanzomon zuvor, aber auch er blieb erfolglos. Mit jeder Sekunde die verstrich staute sich Phantomons Wut, bis er losbrüllte: „Ihr... Ihr! Was habt Ihr angestellt?! Und nehmt die Finger von Meister Myotismon! Was denkt Ihr, wer Ihr seid?!“ „Was habt Ihr mir Meister Myotismon gemacht, raus damit!“ „Ihr habt ihn verletzt!“, schimpften die Bakemon durcheinander. „Was habt Ihr ihm angetan?“ „Gar nichts. Ich wollte ihm nur helfen.“ „Wenn Ihr ihm helfen wolltet, wieso liegt er dann da?“, schrien nun auch die Soulmon. Von den etwas dümmlichen Geistern, die taten was man ihnen sagte merkte man nichts mehr an. Mit ihrem aufkommenden Zorn sank die Temperatur im Raum. „Hey, ganz locker bleiben, ja?“, keifte Cho-Hakkaimon und stellte sich zwischen Sanzomon und die Schar wütender Geister. „Das war keine Absicht. Es gibt keinen Grund unnötig Streit anzuzetteln.“ „Wenn es keine Absicht war, warum liegt unser Meister dann bewusstlos auf dem Boden?“, schimpfte ein Bakemon in den hinteren Reihen, Sagomon hob die Hände hoch. „Sachte, ja? Rumzubrüllen bringt nichts. Außerdem macht ihr den Kleinen Angst.“ Gokuwmon und Cho-Hakkaimon nickten zustimmend, die angesprochenen Baby-Digimon zuckten zusammen, einzelne verkrochen sich weiter hinter Sistermon Blanc und Sirenmon. Sanzomon versuchte Myotismons Kopf auf ihren Schoß abzulegen, damit er nicht auf dem harten Boden auflag und schaffte dies auch. Allzu schlecht schien es Myotismon aber nicht zu gehen. Die Stirn glänzte vom Schwitzen, sein Gesicht aber war kalt wie gewohnt und er sah nicht aus, als hätte er Schmerzen oder ähnliches. Eher als schliefe er nur. „Haut ab! Und nehmt die Finger von ihm!“, forderte Phantomon auf, aber Cho-Hakkaimon und Sagomon versperrten ihm den Weg. „Jetzt beruhigte dich doch“, forderte Sagomon ihn auf. „Sag nicht, dass ich mich beruhigen soll! Dieser dämliche Sutra-Hokus-Pokus konnte ja nur irgendwann schief gehen! Meister Myotismon ist alles was wir untoten Digimon haben und was macht sie?! Ich wusste, es war eine schlechte Idee hierzubleiben.“ Von Phantomons Worten verletzt biss sich Sanzomon unter ihrem Halstuch auf die Lippen und schluckte. „Geht es ihm sehr schlecht?“, rief Puffmon, traute sich aber nicht hinein, eingeschüchtert von den sich streitenden Digimon und den wütenden Geistern. SnowBotamon murmelte etwas, aber es klang besorgt, die drei Choromon und Pupumon fiepten im gleichen Ton. „Was hat das schwarze Boogymon, Sistermon Blanc?“ „Ich weiß nicht“, antwortete sie ratlos. Gokuwmon blickte zu Sanzomon hinab. Besorgnis war in ihrem Gesicht und sie streichelte Myotismon über den Kopf. Eigentlich gönnte Gokuwmon Myotismon die Blöße ein wenig, nicht jedoch, wenn der Preis dafür war, dass sein Meister traurig war. Er würde es nie zugeben, aber dass Myotismon mit seiner Gefolgschaft herkam, war ein Segen gewesen. Seitdem schlief Sanzomon nachts wieder, statt pausenlos zu arbeiten. Zulange quälte sie sich mit dem Vorwurf, seit sie für Gennai und den Mann im Mond arbeitete, würde sie sie alle vernachlässigen. Die Schatten unter ihren Augen waren fort und ihr Gesicht bekam wieder eine gesunde Farbe. Er verstand nicht, wieso Sanzomon für Myotismon empfand, wie sie empfand und warum in allen Welten es ausgerechnet so ein arrogantes und überhebliches Digimon sein musste. Aber er ging mit ihr behutsam um und Himmel noch eins, wenn sie glücklich war... „Was immer er hat, liegen lassen können wir ihn auf jeden Fall nicht“, schnaubte Gokuwmon und griff mit seinen großen Händen nach Myotismon. „Hey, hey, warte, was glaubst du, was du da machst?“ „Helfen“, antwortete Gokuwmon Phantomon knapp. „Oder soll er da liegen bleiben?“ „Ihr habt schon genug Schaden angerichtet!“ „Und was wollt ihr tun? Ihr wisst doch auch nicht, was ihr mit ihm in diesem Zustand machen sollt“, mischte sich Sirenmon ein. Phantomon versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber wenn er ehrlich war hatte wirklich keine bessere Idee. Selbiges galt auch für den Rest der untoten Gruppe. „Ihr habt uns diese Suppe erst eingebrockt, warum sollten wir euch unseren Meister auch nur eine Sekunde überlassen? Am Ende macht ihr es nur schlimmer!“ „Richtig!“, schimpften noch mehr Geist-Digimon mit zunehmenden Ärger. Erst als Sanzomon aufstand und sich zwischen ihre Schüler und die unzufriedenen Geister stellte, wurde sie ruhiger, doch hier und da hörte man weiter knurren und brummen einzelner Digimon. „Bitte beruhigt euch. Es stimmt, etwas ist schief gegangen und es tut mir aufrichtig Leid, was eurem Meister passiert ist. Aber wir kümmern uns um ihn, bis es ihm wieder besser geht und ihr geht ganz normal weiter euren Aufgaben nach.“ „Wer sagt, dass wir Befehle von Euch annehmen, vor allem nachdem Ihr Meister Myotismon so geschadet habt? Ihr seid Schuld!“, rief ein Soulmon störrisch. Sanzomon war zuerst wie gelähmt, aber entgegen aller Erwartung, auch gegen die ihrer Schüler, die wussten dass ihr Meister sensibel war blieb sie erhobenen Hauptes vor den Bakemon und Soulmon stehen. Ihre Augen verengten sich. Sie war nicht so einschüchternd, aber Phantomon musste mit etwas Erschrecken feststellen, dass sich Sanzomon etwas zu sehr an Myotismon orientiert hatte und etwas ausstrahlte, was man so nicht von ihr kannte. „Es war Teil der Abmachung, die wir am ersten Tag vereinbart haben. Ihr habt mich als Schlossherrin zu respektieren, dies waren die Worte eures Meisters. Ich werde zwar Phantomon das Kommando für euch übergeben, aber alles, was über seine Tätigkeiten hinausgeht werde ich entscheiden“, antwortete Sanzomon. Ihre Stimme war deutlich und bestimmend. Keines der Geist-Digimon protestierte, zumindest nicht lautstark. Sistermon Blanc und die Baby-Digimon neigten ihre Köpfe etwas mehr in den Raum, wagten aber immer noch keinen Schritt hinein. Fast schon provokant kam Phantomon Sanzomon näher. „Und wenn etwas passiert?“ „Dann trage ich die Verantwortung. Von mir aus könnt ihr mich mitten in der Nacht wecken, sollte etwas geschehen, mit dem ihr nicht fertig werdet.“ „Wir werden mit allem fertig“, meinte Phantomon mit einer Mischung aus Hochmut und Trotz, aber dennoch ließ seine entspannter werdende Körperhaltung, dass er gewillt war Sanzomons Vorschlag anzunehmen. „Und wie sind Eure Befehle, Meister Sanzomon?“ „Begebt euch wieder in euer Zimmer, um euch auszuruhen. Einer meiner Schüler wird euch nachts helfen, solange Myotismon sich erholt.“ „Ich übernehme das mit größten Vergnügen“, meldete sich Cho-Hakkaimon und streckte dabei den Arm weit nach oben. Einerseits klang sie wie immer zu überdreht, andererseits, weil die Bakemon und Soulmon misstrauisch und gereizt waren, bemühte sie sich um eine großzügige Portion Ernsthaftigkeit. Phantomon schauderte es bereits. „Was Myotismon angeht, kümmern wir uns um ihn. Wir werden alles in die Wege leiten, damit er sich so schnell wie möglich wieder erholt.“ „Soll ich ihm etwas Nährreiches auftischen?“, schlug Sirenmon vor, alle anderen nickten zustimmend. Die Bakemon und Soulmon untereinander begannen zu tuscheln, wurden aber von Phantomon sofort unterbrochen. „Also gut. Was anderes scheint uns ja nicht übrig zu bleiben, wenn ich unseren Meister auch ungern übergebe. Wagt es, an ihm irgendetwas auszuprobieren.“ „Werden wir nicht“, sagte Sagomon. „Ihr habt unser Wort.“ „Wir werden ihn ganz behutsam umsorgen, wie es seiner Majestät zusteht“, witzelte Gokuwmon, der Myotismon nun in seinen Armen trug. Myotismon war zwar schon hochgewachsen, aber im Vergleich zu Gokuwmon, der nicht nur groß, sondern auch wesentlich muskulöser war wirkte er wie eine Strohpuppe. Phantomon jedoch empfand dies als nicht besonders witzig. „Wehe wenn nicht. Kameraden, ihr habt gehört? Zurück in die Schlafräume. Hier ist es viel zu hell.“ Eine Aura des Argwohns umgab weiterhin die Geist-Digimon, die sie auch dazu verleitete ihren Meister so lange wie möglich im Blick zu haben, ehe sie den Raum verließen, mit Phantomon vorne raus. Sistermon Blanc und die Baby-Digimon ignorierten sie weitgehend, als aber die letzten Bakemon an ihnen vorbeiflogen, sprangen Kiimon, Puffmon und Paomon hinterher. „Spielt ihr heute Abend also nicht mit uns?“, rief Paomon ihnen nach. Eines der Bakemon blieb stehen und schaute genervt über die Schultern. Zwar versuchte das Bakemon weiterhin seinen Zorn zu zeigen, knickte aber irgendwann doch ein, bei dem Blick der großen Augen der Baby-Digimon und von Sistermon Blanc. „Ich denk darüber nach“, seufzte es letztlich und gingen seinen Artgenossen nach. Erfreut klang es nicht, dafür war seine doch recht vage Aussage ebenso ehrlich. „Bringen wir ihn hier auf sein Zimmer. Kleine Fledermäuse gehören um diese Zeit längst ins Bett. Kommt ihr mit?“, fragte Gokuwmon, sah dabei Cho-Hakkaimon und Sagomon an, die nur nickten. „Wir werden uns auch sofort an die Arbeit machen“, salutierte Sirenmon, dann klatschte sie in die Hände. „Los Kinder, ab in die Speisekammer, mal schauen was wir herrichten können. Marsch, Marsch!“ Eifriger Jubel brach unter den Baby-Digimon aus und taten schließlich, was Sirenmon ihnen befahl. Sistermon Blanc bildete das Schlusslicht der Gruppe und irgendwo rührte es Sanzomon schon, dass trotz der Aversion, die besonders Sirenmon gegenüber Myotismon empfand sie bereitwillig mithalf. Sanzomon ging schließlich voraus, während Gokuwmon hinter ihr schimpfte, wann er sich hat zum Packesel degradieren lassen, erst die Bücher, dann die Instrumente und jetzt schon Digimon. Er sagte dies halb ernst, aber auch halb im Scherz. Sagomon und Cho-Hakkaimon liefen neben ihm, um dabei Myotismon anzusehen und im Grunde warteten sie nur darauf, dass er zu sich kam und ihnen Morddrohungen an den Kopf warf. Aber das wäre nicht so unheimlich gewesen, wie ihn so zu sehen. So ungewohnt friedlich. Sanzomon öffnete für Gokuwmon die Tür zu Myotismons Zimmer und stellte fest, dass die Kerzen wieder aus waren. Wie vorhin schon klatschte sie zweimal fest in die Hand, um das Feuer wieder anzuzünden und so eröffnete sich den Vieren ein weiterer, sehr Rätsel aufkommender Anblick. Der dunkle Boden war überseht mit Fledermäusen, jenen, die vor einer vielleicht halben Stunde noch an der Decke hingen. Nun lagen sie alle krümmend vor ihnen. „Die armen Tiere“, seufzte Cho-Hakkaimon und nahm dabei eine der Fledermäuse auf ihre in schweinehufen-geformten Handschützer. Vorsichtig hob sie die Flügel, sah sich Gesicht und Leib der Tiere an um zu sehen, ob sie verletzt waren. Da dem nicht so war, kam Cho-Hakkaimon wie alle anderen auch zum Schluss, dass sie, da es Myotismons Fledermäuse waren eventuell eine geistige Verbundenheit gab und sich sein Zustand auf sie übertrug. Mit Telekinese brachte Sanzomon die schlafenden Fledermäuse zum schweben, um sie so wieder an die Zimmerdecke hängen zu können, während Sagomon den Sarg wieder zurechtrückte, (den hatte Sanzomon nämlich bei ihrem Versuch, Myotismon herauszuzerren beinah runtergeworfen), damit Gokuwmon Myotismon auch sofort hineinlegen konnte. Cho-Hakkaimon holte den Deckel dazu und hielt ihn noch fest, während die anderen drei weiter den schlafenden Myotismon ansahen. Gespannt standen die vier Digimon um den Sarg, warteten auf etwas, wenn auch nicht wirklich wissend auf was. Vielleicht dass er sich rührte oder aufwachte. „Danke für eure Hilfe“, seufzte Sanzomon schließlich nach langer Stille und setzte sich wieder auf den steinigen Rand des Podestes. „Immer doch, Meister Sanzomon. Und unserem gruseligen Schlossgespenst helfen wir auch gerne.“ Gokuwmon lachte zwar mit Cho-Hakkaimon, aber sie warfen beide trotzdem noch einen kurzen Blick zu Myotismon. Beide beteten inbrünstig, dass er niemals erfuhr, was sie da gerade von sich gaben. „Warum ist er überhaupt umgekippt?“, fragte Sagomon. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Er war plötzlich ganz neben sich. Als stünde er unter Schock. Wir haben alte Schriften von Babamon gefunden und sie sich angeschaut sonst gar nichts. Dann war er lange ganz still und plötzlich -“ Sanzomon entschied, dass es das Beste war vorerst nicht zu sagen, wie wütend er zuerst darauf reagierte. Myotismon seufzte einmal tief im Schlaf. Die vier Digimon glaubten er würde vielleicht zu sich kommen, aber er schlief weiter, mit beiden Händen auf dem Bauch liegend. Mit dem Ärmel ihrer Robe tupfte Sanzomon über sein Gesicht, unter den Blicken ihrer drei Schüler, die tatsächlich und wenn nur für einen kurze Zeit Mitgefühl aufbringen konnten für dieses hochnäsige Digimon. Diese Gefühlsregung mochte akut sein und war bei allen dreien mehr oder weniger stark ausgeprägt. Aber er war ein Digimon, dem es schlecht ging und eben Hilfe brauchte. Arroganz hin oder her. Gokuwmon und Cho-Hakkaimon rätselten weiter, während Sagomon jedoch zu grübeln begann und das blieb von Sanzomon nicht unbemerkt. Auch nahm Sagomon ihre Blicke wahr, die ihm sagten, dass sie regelrecht hören konnte wie sein Verstand arbeitete, dass er sich an etwas zurückerinnerte und dass sie unbedingt wissen wollte, was er dachte. „Ihr wisst, ich war einst ein General“, begann Sagomon, während er seinem Meister näher kam. „Ich hatte viele Digimon, die mit mir in die Schlacht gezogen sind, um unsere Länder zu erweitern und auf die geringe Chance hoffend, wir könnten die Vorherrschaft auf North Bridge Island erlangen. Manche überlebten diesen sinnlosen Machtkampf nicht, andere nur zu einem schrecklichen Preis. Sie haben das, was sie im Krieg sahen nie verkraftet. Einige meiner Kameraden zog ich selbst vom Kampfgeschehen fort und ihre Gesichter waren vor Entsetzen zu furchterregenden Grimassen verzerrt. Selbst danach konnten sie all das Leid und all den Schmerz nie vergessen. Vielleicht haben die Kämpfe ihre Daten beschädigt. Vielleicht hat der Wahnsinn von ihnen Besitz ergriffen. Vielleicht hat es ihnen auch das Herz gebrochen.“ Sanzomon dachte an Babamon und ihre Gänslein. Wie Jijimon es wünschte, hatte sie nie gefragt, was das für Gänslein sein sollten, aber da Babamon Tinkermon an ihren wenigen klaren Tagen Täubchen nannte, mussten es Digimon sein, die ihr sehr, sehr nahe standen. Jijimon erzählte nichts, aus Rücksicht oder aus Liebe. Er war schrullig, hatte aber stets seine klaren Momente. Babamon hingegen war im Inneren kaputt. Sie litt höchstwahrscheinlich, wie Sagomon meinte, an einem gebrochenem Herz. Irgendwann hörte das Rufen und Schreien in der Nacht auf. Aber Sanzomon wusste nicht mehr wann es geendet hatte, aber sie war froh, dass es überhaupt ein Ende fand. „Es reicht manchmal nur ein Wort. Ein Geräusch oder ein Bild und schon kommen all die Erinnerungen aus dieser Hölle zurück. Wie sich das zeigt kann bei jedem Digimon auch anders sein. Hysterie. Angst. Depression. Oder ein Schockzustand, der den ganzen Körper lähmt.“ Sanzomon kannte solche Digimon. Sie traf jene selbst auf ihrer Selbstfindungsreise, in jedem Typus vertreten. Ihre Augen waren seelenlos, aber sobald sie sich an das erinnerten, was während der Kriege geschah änderte sich das sofort. Es war kein Abgrund, aber etwas, was dem ähnelte und verhinderte sogar, dass sie auf höhere Stufen digitierten. Für manches Digimon, dass noch von diesem alten, sehr konservativen Schlag war, reichte es manchmal nur ein Digimon zu sehen, dass nicht ihrem eigenen Typus entsprach. Sie schrien. Sie fluchten. Sie weinten. Sie erstarrten. War Myotismon - war Tsukaimon auch so? „Du meinst, ihm ist das Gleiche widerfahren wie deinen Kameraden? Hat er deswegen alles vergessen, was war, bevor ich ihn fand?“ „Es wäre die einzige Erklärung, die ich habe.“ In Sagomon erschien etwas wie Mitgefühl, weit mehr Mitgefühl, wie er für die alleinige Ausgangssituation aufbringen konnte. Wenn es auch keine Sympathie für Myotismon war, allein dieser Verdacht warf Sagomon in Erinnerungen zurück. Sein Schnabel klapperte wieder. Nachdenklich warf Sanzomon einen Rundumblick durch den Raum, bis sie wieder in den Sarg blickte. Die Fledermäuse schliefen alle fest. „Er hat -ki gemurmelt, als er unter Schock stand. Irgendetwas mit -ki am Ende.“ „Yuki?“, sagte Cho-Hakkaimon und wurde von allen fragend angeschaut. „Wegen dem Schnee, dachte ich. Seit es schneit, ist er so seltsam.“ Sie hatte Recht. Hätte es nicht einmal geschneit, hätte er sich schließlich nicht an das Klavier gewagt. Obwohl Sanzomon irgendwie froh über diese Wende war. Sie hatte etwas von Myotismon gesehen, etwas, dass schon fast zu intim war. Aber für ihn unangenehm. Vielleicht sogar mit fatalen Folgen. Erinnerungen wurden verdrängt und es war nicht wie bei ihren Kleinen. Das was Myotismon in seinem innersten verborgne hielt, in diesem Abgrund war größer und komplexer. „Kommt, lassen wir ihn schlafen“, schlug Gokuwmon vor, Cho-Hakkaimon, die den Sargdeckel abgestellte und Sagomon nickte zustimmend, doch Sanzomon sah immer noch in den Sarg und zeitgleich mit Gokuwmons Vorschlag, bewegten sich Myotismons Augenlider. Sie öffneten sich ganz kurz, ehe sie wieder zufielen. Aber er war, trotz geschlossener Lider doch wach, zu einem gewissen Grad zumindest. „Wieso... bist du schon auf?“, murmelte er verschlafen. „Es ist fast Mittag“, merkte Sanzomon an, aber ob dass Myotismon in diesem Zustand überhaupt bewusst war? Sein Kopf bewegte sich hin und her und er sprach leise. „Ich will noch schlafen. Tante und Onkel haben gesagt, wir sollen uns ausruhen. Bis zur großen Grenze ist es doch so weit. Wir müssen... zum Meer… Reise… so lange...“ Sanzomon hob überrascht den Kopf. Solche Worte, dieser ganze Wortlaut war sie gar nicht von ihm gewohnt. Ihre Schüler, die genauso überrascht wie ihr Meister waren, winkte Sanzomon hektisch zu sich und sie standen zu viert ganz dicht am Sarg und sahen Myotismon an, der irgendwo zwischen Schlaf und Vigilanz hin und her zu taumeln schien. „Floramon und Betamon schlafen sicher auch noch. Und Dorumon bestimmt auch. Und Candlemon. Koemon... Dracmon.“ Sanzomon blickte zu Cho-Hakkaimon und Sagomon, die je zu ihrer Seite standen. Keines dieser Digimon, die er nannte lebte hier. Myotismon schlief nicht nur, er war im Geiste in einer ganz anderen Zeit. Aber in welcher? Träumte er von früher? Wenn, dann nicht von der Zeit, als er noch als Tsukaimon hier lebte. Von wann dann? Als er auf die Reise gegangen war? Floramon und Betamon traf man oft und überall. Candlemon auch, wenn sie auch nachtaktiv waren. Dorumon und Koemon lebten hingegen nur auf beschränkten Terrain und Sanzomon war sich sogar sicher, dass es kein passendes dafür hier auf Server gab, hingegen aber auf anderen Kontinenten, die aber weit weg waren. Und Dracmon? Wo und wann hatte er Dracmon getroffen? Diese Digimon waren ausgestorben. Insbesondere, alle diese Digimon zur selben Zeit am selben Ort? „Ja, sie schlafen alle noch“, flüsterte Sanzomon, nicht wissend was sie machen sollte, wie ihn weiter in seinem Traum zu lassen. „Dann gehe auch wieder ins Bett...“ „Ich kann aber nicht schlafen.“ „Dann mach etwas anderes. Lese etwas... Geh Klavier spielen oder so. Von mir aus iss etwas, nur lass mich schlafen...“ Das Brodeln in ihrem Bauch kam zurück und das heftige Pochen. Die Neugier kroch in Sanzomon hoch. Und auch ihre Schüler zog sie damit in den Bann. Gokuwmon, der hinter Sanzomon stand, Cho-Hakkaimon und Sagomon waren noch näher zusammen gerückt und streckten teilweise selbst ihre Köpfe tiefer in den Sarg, um nichts von dem hier zu verpassen. Sanzomon selbst wagte sich noch näher hinein und an Myotismon selbst heran. Keine Herde Monochromon würde sie in diesen Sarg kriegen. Aber eine Herde Monochromon könnte nicht einmal ihre Neugierde, die wieder entflammt war aufhalten. „Tsukaimon?“ Sanzomon flüsterte, aber ihr Ruf wurde gehört. Myotismon öffnete seine Augen, aber nur ein wenig, nicht genug, dass man hätte denken können, er würde die vier Digimon ansehen, die gespannt um ihn herum standen, aber weit genug, dass man das Blau seiner Augen etwas sehen konnte. „Kannst du auch einmal für mich spielen, Tsukaimon?“ „Ich bin nicht so gut... Dein Spiel klingt schöner.“ Er war wirklich woanders und schien Sanzomon offensichtlich mit jemand anderen zu verwechseln. Mit jemanden, der besser spielte wie Myotismon? Nachdem, was sie gehört hatte konnte Sanzomon sich das nur schwer vorstellen. „Was soll ich für dich spielen?“ „Den Winter. Der zweite Satz. Der passt zu dir.“ Es lag also an dem Lied. Er hatte den zweiten Satz doch bewusst übersprungen. Die ganze Symphonie hatte ihn aufgewühlt und vermutlich erinnerte ihn gerade das an etwas. Vermutlich an den, der ihm einmal dieses Stück beigebracht hatte. Das und der Schnee. Alles hing miteinander zusammen. Dieser Jemand schien ihm wichtig gewesen zu sein. Sehr wichtig. Myotismons Gesicht wirkte verkrampft. Sanzomon fragte sich zwar, ob untote Digimon wie er überhaupt so etwas wie Fieber haben konnten, dennoch tastete sie mit dem Handrücken seine Stirn und die Wangen ab, aber sie waren kalt wie immer. Als sie ihre Hand wieder zu sich nehmen wollte, entschied sich Sanzomon aber dagegen. Sie legte ihre Hand erst auf sein rechten Wangenknochen und fuhr dann hinter sein Ohr. Zwar hörte man ihn leise wimmern, als ihr Daumen über das weiche Fleisch strich und ihre Finger die Haut hinter der Ohrmuschel berührten, aber sein Gesicht entspannte sich. „Du sollst das doch nicht machen.“ „Aber du magst das doch.“ „Gerade deswegen...“ Sanzomon musste in sich hineingrinsen. Sie wusste, er mochte es. „Wenn Dracmon das erfährt, zieht er mich damit auf.“ „Ich schwöre, Dracmon erfährt nichts davon.“ „Dann ist gut...“, hauchte er und klang zufrieden. Sie dachte sogar, ihn ganz kurz lächeln gesehen zu haben. Cho-Hakkaimon stupste ihr kurz mit den Ellenbogen in den Arm. „Muss das jetzt sein, Meister? Das ist unangenehm.“ „Entschuldigung“, flüsterten sich die beiden zu. „Fragt ihn noch mal wegen dem Meer“, schlug Gokuwmon vor, Sanzomon nickte eifrig, ehe sie sich tiefer zu Myotismon hinunterbeugte. „Tsukaimon, ich möchte nicht zum Meer. Ich will hier mit dir bleiben.“ „Wir müssen... Sonst endet die Apartheid vielleicht nie. Wir müssen… Alice… wir müssen...“ Als Sanzomon diesen einen Satz hörte begann die digitalen Nervenstränge in ihrem Kopf sich zusammenzufügen. Und zu ihrer Theorie, man mochte fast sagen Verschwörungstheorie, kamen viele, viele weitere Dinge hinzu. Alice. Alice im Wunderland? Die Geschichte, die er so hasste? „Du brauchst keine Angst zu haben. Kein Digimon wird dir ein Haar krümmen. Ich passe doch auf dich auf... Ich… Die große Grenze... Feuer... ist... “ Myotismon lächelte noch und versucht den Arm zu heben, dann verlor er das Bewusstsein. Entsetzt entfernten sich alle vier Digimon im Rückwärtsgang vom Sarg. „Das bleibt unter uns, ja? Zu niemanden auch nur ein Wort darüber. Verstanden?“ „Natürlich“, antworteten Sanzomons Schüler alle vollkommen synchron, wenn sie aber auch genauso entsetzt waren wie ihr Meister, fragend, was das eben war. „Tsukaimon?“, rief Sanzomon noch ein letztes Mal, nicht flüsternd, sondern in einer normalen Stimmlage, aber sie erhielt keine Reaktion. Dann ging sie wieder näher heran. „Dobermon?“ Nichts. „Myotismon?“ Stille. Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon blieben erwartungsvoll stehen, Sanzomon schüttelte nur den Kopf, als sie sich zu ihnen drehte. Ein wenig enttäuscht ließen sie die Schultern wieder fallen, die sie vor Anspannung erst hochzogen. Seufzend ließ auch Sanzomon sich hängen, aber auch erleichtert, dass Myotismon zumindest noch etwas von sich gab. „Wer immer du bist, ich passe auch auf dich auf, ja? Also schlafe gut.“ Sanzomon beugte sich noch ein letztes Mal hinunter, damit sie Myotismon einen kurzen Kuss auf die Wange geben konnte, dann klappte sie den Sargdeckel zu. Die Fledermäuse schliefen ebenfalls ruhig und alles schien friedlich, aber allen Vieren war schlecht geworden und sie trauten sich gar nicht hinaus, aus Angst man könnte doch noch etwas Wichtiges verpassen. Und trotz geschlossenen Sarg glaubte Sanzomon weiter in Myotismons Gesicht sehen zu können. Sie hatte Kopfschmerzen, ihr Gehirn hörte nicht auf zu arbeiten und würde es wohl auch nicht so schnell, selbst wenn es zu qualmen beginnen würde. Es war eine Theorie. Es war absurd. Aber es war so absurd, dass es plötzlich so viel Sinn ergab. Die Typus-Apartheid endete nicht von einem auf den anderen Tag. Die politischen Stricke dahinter, die durchaus, wenn man die Digimon vernichtet. Ophanimon, die vor ihr Cho-Hakkaimons Meister war, war Gerüchten zufolge auch jenes Ophanimon, die mit am Aufbau der Apartheid beteiligt war und ihre endgültige Vernichtung war mitunter ein Ziel der Typus-Kriege. Ob sie es nun war oder nicht, das Nachbeben der Apartheid hielt sich auch Jahre nach dem Abtritt der Hohen Digimon, egal ob unter Serums, Dateien oder Viren. Nachdem jene, die dieses System bewahrten nicht mehr existierten war die Digiwelt ein Chaos, die neue Generation brachte neue Aufstände und Bürgerkriege und es war auch jene Zeit, in der Sanzomon, Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon geboren wurden. Man bekriegte sich, weil jeder die freien Machtpositionen für sich beanspruchen wollte, aber keiner hielt sich lange genug, dass man sich hätte seinen Namen merken können. Es dauerte Jahre, bis dieses strickte Rassendenken langsam dahinsiechte, weil es sich nicht mehr lohnte nach Typ und Rasse zu denken und kein Digimon sich bei Missachtung darum scherte. Manche Regionen der Digiwelt entwickelten diese Toleranz schneller, manche langsamer. Sanzomon wurde selbst in einer Region geboren, die es sehr langsam anging, aber auf Grey Mountain und in ein paar anderen Teilen der Digiwelt hielt sich dieser überfällige Rassismus in Grenzen oder war ganz verschwunden, nachdem die vier Souveränen durch das Licht der Digiritter am Himmel erschienen waren, als die vier Meister der Dunkelheit sich dieses über Jahre hingezogene Kriegschaos zu Nutze gemacht hatten. Weil niemand von den Hohen Digimon mehr da war und es kaum mehr Digimon gab, die sich noch an die Zeit der Apartheid erinnerten war dies überhaupt möglich. Aber die vier Souveränen hatten nur das hinterlassene Chaos bereinigt und die Typus-Kriege offiziell beendet. Die Meister der Dunkelheit waren selbst Digimon, so grausam und boshaft sie auch waren, die die Typus-Apartheid vollkommen ablehnten. Und wer hatte damals der Apartheid und ihren politischen Verfechter nun ein Ende gesetzt? Als die Typus-Kriege ausbrachen, war die Apartheid über Jahrzehnte, wenn nicht noch länger vorüber. Dabei hatte es auch Kriege und Toten gegeben und jeder gab der anderen Seite die Schuld. Was war aber geschehen? Warum hatten diese Kämpfe aufgehört? Warum waren die Serums abgetreten, obwohl sie offizielle die Gewinner waren. Zumindest hieß es, die Viren wurden verbannt. Jijimon und Babamon traute Sanzomon zu, dass sie diese Hohen Digimon noch persönlich kannten und die Apartheid am eigenem Leib zu spüren bekamen, aber sie redeten darüber nie. Obwohl sie Tinkermon beibrachten, wie die Apartheid damals verlief, das Ende der Apartheid war nie Thema. Kaum ein Digimon hatte überhaupt die Möglichkeiten, die Daten und die Kraft dazu so alt zu werden, somit waren sie die letzten Zeitzeugen. In Sanzomon kam plötzlich nicht nur die Frage auf, wo Tsukaimon herkam, sondern auch wie lange Tsukaimon denn schon existierte. Die große Grenze. Ein gebräuchlicher, geographischer Begriff während der Typus-Apartheid. Der HCF-Befehl. Die Sieben Chakras. Das Meer... Alles Dinge, die Sanzomon einzig aus Babamons uralten, serumischen Schriften kannte, die sie in den Tiefen des Schlosses versteckt hielt. Niemand konnte diese Begriffe kennen, es sei denn er hatte die Apartheid aktiv miterlebt. Dann endlich fiel Sanzomon ein, wann Babamon aufhörte nachts nach ihren Gänslein zu rufen. Nämlich nachdem sie Tsukaimon fand.   ♫ Der Abschied von Leormon so kurz vor der Dämmerung war knapp, aber sehr schmerzhaft und jeder versuchte nicht zu weinen. Wenn man auch zugeben musste, dass Leormon sich besser schlug als Sanzomon, dabei hatte sie schon einige ihrer Findelkinder davongehen sehen. Leormon versprach, sobald er und Dolphmon auf File Island seinen, würden sie Centarumon aufsuchen und versuchen ihr irgendwie einen verschlüsselten Brief zukommen zu lassen, wenn sie auch alle nicht reimen konnten. Einzig Sagomon war dieser Abschied noch schwerer gefallen und ihr letzter gemeinsamer Abend zog sich und war gleichzeitig viel zu kurz. Sagomons Schnabel hörte fast gar nicht einmal auf zu klappern. Die Sistermon weiten beim Abschied, sie waren zu nah am Wasser gebaut. Selbst Gokuwmon hatten die Worte gefehlt, als er Leormon mit Kyubimon, das ihn begleiten wollte davonlaufen sah. Sie wurden so schnell groß. Die Ausbildungs- und Baby-Digimon steckten diesen Abschied noch am besten weg. Sie wussten, ihr Tag des Aufbruchs kam auch eines Tages und ja, vielleicht sah man sich auf der großen Reise bald wieder. Trotz des Abschiedes hatten Sanzomon, Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon sich bemüht vor Gennai nicht mit rot unterlaufenen Augen und Gesichtern dazustehen. Bei Sanzomon sah man es nur am deutlichsten, was daran lag, dass sie schließlich die Hellhäutigste der vier war. Aber ihre Schüler waren bei ihr, das war tröstlich. Ihr Argwohn Myotismon gegenüber würde nie erlöschen, aber dafür brannte in ihnen die Neugier, mit der Sanzomon sie alle drei angesteckte. Und genauso wie ihr Meister wollten auch Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon wissen, was und wer dieses Digimon war. Sie hatten Sanzomons Theorie zugehört und irgendwo machte sie erschreckend viel Sinn. „Wer hat die Apartheid beendet?“ Gennai, der von den Vieren abgefangen wurde, als er Brutkasten und Temperatur kontrollierte, reagierte nur mit einem Blinzeln. Aufgrund der Maschinen war es in der unterirdischen Höhle unter der Bibliothek schrecklich warm, während über ihnen Sistermon Blanc und auch Noir, die wieder zurück war das Holz verheizten, dass die Goatmon brachten, weil die Nächte und damit das Gemäuer immer kälter wurden. „Ich verstehe nicht, weiß ihr meint.“ „Wer hat die Apartheid beendet? Das is’ ja wohl nicht schwer zu verstehen“, brummte Gokuwmon gereizt. Alle vier Digimon standen mit verschränkten Armen und in einer Reihe aufgestellt vor Gennai, wohl um ihn einzuschüchtern, was aber bei einem Wesen, dass eben nur ein Programm war nicht viel brachte. „Das kann ich nicht sagen.“ „Lügner! Du willst es nicht sagen. Du machst hier auf blöde, aber wir wissen, dass du etwas weißt!“, keifte Cho-Hakkaimon nun. „Ich bin nur ein Helfer. Ein Programm. Ich habe kein Zugriff auf diese Daten. Homeos-“ Er unterbrach seine Rede selbst. Schließlich hatten diese Codenamen alle einen Sinn. Auch wenn eine Digitale Mauer diesen Raum schützte, dass nicht mal die Bakemon, die manchmal schlaftrunken durch die Wände flogen sie sehen konnten, Wände hatten Ohren und Gewohnheit war eine überaus starke Macht. „Der Mann im Mond erlaubt es nicht. Er allein besitzt die Rechte daran“, antwortete Gennai, zwar ehrlich, aber es war keine Emotion dahinter, dass brachte Cho-Hakkaimon zum seufzen. „Sagt ihm, das es wichtig sei. Bitte.“ „Es geht hier nicht einmal um uns oder Meister Sanzomon“, räumte Sagomon ein. „Aber wir haben ein Digimon hier, über das wir mehr Daten brauchen.“ „Redet ihr von diesem Vampir-Digimon?“, harkte Gennai nach, doch Sagomon war nicht gewillt einzugehen. „Selbst wenn es so ist, seid Ihr uns zuerst Antworten schuldig. Also?“ „Noch einmal - Das steht nicht in meiner Macht. Ich habe auf diese Daten keinen Zugriff.“ Der Satz hing ihnen allen zu den Ohren raus, sie hatten es schon so oft gehört, zu jeder Frage die irgendetwas mit den Digirittern, ihren Digimon oder mit Sanzomons Aufgabe zu tun hatte. „Was könnt Ihr uns denn sagen?“, fragte Gokuwmon hartnäckig. „Das kommt auf die Frage an.“ Allein das reichte Sanzomon um ihren Kopf und ihren Gedanken noch einmal einen Spurt zu geben, sich etwas einfallen zu lassen. Wenn Myotismon sich schon nicht die Mühe machte, obwohl es ihn tief in seinem Inneren doch noch beschäftigte, nahm sie es eben selbst in die Hand. Selbst tätig werden, dass hatte Babamon ihr schließlich beigebracht. Babamon hatte - „Etwas über Babamon“, sagte Sanzomon und bekam dafür erst nur verwirrte Gesichter von allen Anwesenden. „Sie stand früher nachts draußen und rief nach ihren Gänslein. Kannst du darüber etwas sagen, Gennai? Du musst das doch damals mitbekommen haben.“ „Ich habe es mitbekommen.“ „Weißt du auch, wen sie rief?“ Gennai presste die Lippen nachdenklich zusammen, aber niemand konnte abschätzen ob er ernsthaft nach einer Antwort oder nach einer Ausrede suchte. Aber Sanzomon wusste, dort war irgendwo ein verworrener Zusammenhang. Egal ob es kaputte Daten oder ein kaputtes Herz war, aber es nahm Babamon genauso ein und gab ihr keinen Frieden, wie der Schnee Myotismon keinen ließ. Selbst Piedmon hatte... (Oh, arme Mutter Gans. Armes Tantchen Rhody, aber deine Gänslein sind nicht mehr) Die Dokumente. Die Bücher. Sie waren der Beweis. Sie standen in Verbindung mit der Typus-Apartheid. Ihre Gänslein mussten ebenfalls in Verbindung stehen. Gänslein. Warum überhaupt Gänslein? Die Souveränen nannten Babamon ihre Mutter Gans. Warum Tante? Tante Rhody war auch ein altes Kinderlied, dass Babamon aber in ihrer Nähe nicht erlaubte. Da ging es auch um Gänse und ein tragisches Ende. Und dann - (Alice) Warum lagen nur diese Bücher dort? Wie passten sie zur Apartheid? Wer war Alice? Was war Alice? Sie übersah etwas. „Du weißt, Babamon zog die vier Souveränen groß und übergab sie den Digirittern. Sie hing an ihnen und hat sie oft vermisst. Sie hat sie als ihre Gänslein bezeichnet.“ „Wir wissen beide, dass sie sicherlich nicht nach den Souveränen rief. Du weißt das sehr genau. Also sage uns was du weißt, was ich eventuell nicht wissen könnte“, forderte Sanzomon weiter beharrlich. Gennai tat sich schwer, regelrecht hilfesuchend schaute er ich um, aber er war als einziger Agent hier und würde so schnell auch keine Hilfe bekommen. Nicht mal von jenem Wesen, dem er diente. Angesichts seiner Lage kapitulierte er schließlich. „Ich habe auf diese Daten keinen Zugriff. Aber Ihr müsstest das Lied doch kennen, Sanzomon. Ihr kennt das Lied von Tante Rhody und ihren Gänschen. Das ist das grausame an diesen Mutter-Gans-Reimen und Kinderliedern. Sie haben leider oft einen wahren Hintergrund. Das ging aber in der Apartheid unter. Wohl auch, weil ihr Ursprung nicht in der Digiwelt liegt.“ (Geh', sag Tantchen Rhody, all ihre Gänslein sind nicht mehr) „Gennai. Was ist während der Apartheid passiert?“ Aber Gennai blieb bei seiner Aussage. Er hatte kein Zugriff auf diese Daten. Selbst wenn er gewollt hätte, wäre es für ihn unmöglich gewesen, schließlich wurden seine Daten daran gelöscht. Weil der Mann im Mond es für besser hielt, wenn niemand mehr danach suchte und niemand mehr etwas wüsste. Zurück blieben jene wie Babamon, in Trauer. In Sanzomons Kopf fügten sich immer mehr ihrer Vermutungen zusammen und auch wenn es an klaren Beweisen mangelte, war sie felsenfest überzeugt, dass es nur so sein konnte. Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken. Aber belegen konnte sie das nicht und so nützte ihr das nichts. Dazu waren in ihrer Theorie Lücken und ihr fehlten Beweise und das Wissen, diese zu füllen. Sie hatte eine Idee, wagte es aber nicht, sie auszusprechen. Währenddessen schlief Myotismon noch immer und sein Geist bewegte sich immer weiter in der Zeit zurück. Er träumte von Feldern komplett in Weiß und Schneeflocken, die langsam vom dunklen Himmel fielen. Irgendwo sah er Eis und noch weiter bunte Polarlichter und von seinem Blickwinkel betrachtet sah es aus, als würde die Mondsichel nicht nur Lächeln, sondern selbst diesen bunten Schleier in den Himmel pusten. Die Wälder in der Ferne waren Schwarz, doch umhüllt vom weichem Weiß und über ihnen buntes Blau, gab dies ihnen einen malerischen Anblick. Da war ein kleines uriges Dorf, Riegelhäuser standen im Kreis, eines war größer wie die anderen, mit einem kleinen Turm und einer Uhr. Aus allen Häusern strahlte warmes, orangenes Licht aus dem Inneren. Die Frigimon, die dort lebten brauchten eigentlich kein Licht und keine Wärme, aber sie bauten sich solch ein Dorf, weil das heimischer und gemütlicher sei. Wie sinnlos, aber einsame Wanderer waren dankbar, so etwas in einem Schneesturm zu finden. Er erinnerte sich an knisterndes Holz, eine warme Wolldecke wurde eng um ihn gelegt. Er erinnerte sich an den Geschmack scharfer Kräuter und Medizin, die die Frigimon aus Blüten gewannen, die nur aus Eis bestanden. Ah, richtig. Er war ja krank. Sehr, sehr krank. Er hustete die ganze Zeit. Er war schwach. Er fror und gleichzeitig war ihm wegen des Fiebers so entsetzlich heiß. Er war gerade einmal drei Tage alt und weinte viel, weil er nur schwer Luft bekam und wegen des ständigen Husten ihm Schlaf und Energie fehlte. Und er erinnerte sich, dass ihn jemand hielt. Die ganze Zeit. Jemand versuchte ihm Essen zu geben, obwohl er keinen Hunger hatte. Jemand half ihm den Schleim, der sich in seinen Atemwegen sammelte abzuhusten, da er selbst kaum mehr Kraft dafür aufbringen konnte. Jemand wiegte ihn in den Schlaf und summte Lieder. Alice. Es konnte nur Alice sein. Alice war ins Wunderland gekommen um ihn zu treffen. Alice wich ihm nicht von der Seite, bis er wieder gesund war und raus in den Schnee durfte. Myotismon träumte von Alice' dünnen, blassen Armen, die ihn hielten, vor der Kälte schützen und dann jauchzend in die Luft zu den tanzenden Schneeflocken warf, während er von Poyomon zu Tokomon digitierte.   𝅝 Myotismon setzte ganze zwei Nächte aus, bis man sich sicher war, dass er sich vollständig von seinem Schock erholt hatte. Er wachte überrascht auf, als Sistermon Noir ihm frischen, warmen Tee brachte und den kalt gewordenen wegbringen wollte, während sie zuvor noch mit Phantomon sprach was sie, als ein Digimon mit medizinischen Kenntnissen meinte, wie lange er noch schliefe. Gerade als sie erklärte, dass sie von psychosomatischen Leiden keine Ahnung hätte, dass war Meister Sanzomons Spezialität, saß Myotismon plötzlich aufrecht in seinem Sarg. Obwohl Sistermon Noir fast schrie vor Schreck und Phantomon am liebsten einen Freudensprung gemacht hätte ging Myotismon weder auf den einen, noch den anderen ein. Er selbst erinnerte sich an nichts davon, wie das passiert war, nur noch, dass er mit Sanzomon in der Bibliothek stand. Zumindest sagte er dies. Sein Verhalten, insbesondere Sanzomon gegenüber enttarnte ihn. Er wusste alles noch und er war mehr wie nur erbost darüber, so fürsorglich sie auch waren. Das insbesondere ihre Schüler und ihre Gefolgschaft sich so viel Mühe gab wunderte ihn ein wenig, erklärte es sich jedoch damit, dass sie ja schließlich ihre Nachtwache wieder brauchten. An ihren Beziehungen zueinander hatte sich nichts geändert, aber merkwürdig war es für ihn irgendwie doch zu erfahren, dass sie ihn wieder in den Sarg gelegt und ihn mit Medizin und mit anständigen Essen versorgt hatten. Sogar um seine Fledermäuse, die genauso geschwächt waren kümmerte man sich, was unsinnig war, immerhin waren sie nur niedere digitale Lebensformen. Gerne hätte er ja so getan, als sei das niemals passiert, hatte aber nicht mit Sanzomon gerechnet, die auf etwas Anerkennung seinerseits beharrte, die er ihren Schülern und ihren Dienern schuldig war. Er gab nur klein bei, weil Sanzomon sich überraschend penetrant zeigte und ihm keine Wahl blieb, wollte er jemals wieder Ruhe haben und er war noch zu geschwächt, als sich noch einmal von ihr durch die Gegend scheuchen zu lassen. Noch nie hatte man ein Digimon erlebt, dass sich so schwer damit tat einfach „Danke“ zu sagen. Allein die Worte überhaupt aus ihm herauszubekommen – geschweige denn, dass er sich persönlich dafür bedankte, dass Gokuwmon ihn wieder in sein Zimmer getragen, Sirenmon ihm Essen gebracht und die anderen sich um seine Diener und Fledermäuse gekümmert hatten grenzte an ein Wunder. Er knirschte dabei so fest mit den Zähnen, dass es ihn hätte den Kiefern brechen müssen. Sanzomon wollte die Sache somit aus der Welt haben, Myotismon jedoch strafte sie mit Ignoranz. Und wenn er sie grade nicht ignorierte (wie sie es gemacht hatte) ließ er sich deutlich anmerken, wie wütend er war. Wütend über diese Blöße, wütend dass das ganze Schloss es mitbekommen hatte und auch, zumindest glaubte Sanzomon daran, wütend darüber, dass sie es gewagt hatte graben zu wollen und damit in die tiefsten Tiefen seiner Psyche einzudringen. Am Anfang wollte Sanzomon noch mit ihm reden, gab es aber schnell auf, da er nicht den Anschein machte zuhören zu wollen. Genauso wie sie, wenn er von ihr wissen wollte, was sie sich eigentlich einbildete und das sie schuld sei. Doch überraschenderweise ließ Sanzomon sich dies nicht gefallen, sondern gab weiterhin Kontra. Hätte er nicht mit den Instrumenten angefangen und den Mund aufgemacht, wäre das gar nicht passiert. Dies waren für die nächsten Tage so ziemlich die einzigen Sätze, die zwischen ihnen fielen. Myotismon kam nicht mehr abends in die Bibliothek und für Berichte schickte Sanzomon entweder einen ihrer Schüler zu ihm oder beschränkte sich auf die nötigsten Worte. Schließlich aber schwiegen sie sich nur an und schenkten sich keinerlei Beachtung mehr. Es blieb von der Gefolgschaft (egal ob untot oder lebendig) nicht unbemerkt, aber einmischen würde sich keiner. Sie waren Ultra-Digimon, sie würden es ja irgendwie wieder hinbekommen. Das war zumindest Phantomons Ansicht, aber mit fortgeschrittener Zeit, ohne Veränderung der Situation überkamen ihn die Zweifel. Und auch Sanzomons Schüler, die es zu Beginn ja noch okay fanden, dass sie sich nicht von Myotismon unterbuttern ließ wünschten sich eigentlich, dass sie sich vertragen würden. „Meister, könnt ihr euch nicht einfach aussprechen und gut ist?“, fragte Cho-Hakkaimon unverhofft mitten beim Abendessen. Die angespannte Luft setzte ihr so zu, dass es eines kalten Abends schließlich aus ihr herausbrach wie Lava aus einem Vulkan. Sanzomon schnaufte, stocherte mit dem Besteck in ihrem Essen herum, aber obwohl sie schon zehn Minuten am Tisch saß, hatte sie keinen Bissen runtergebracht. „Wenn er nicht so entsetzlich stur wäre, könnte man das durchaus in Betracht ziehen. Dafür müsste er aber erst einmal seinen Hochmut, wie auch sein Temperament zügeln. Er tut so, als täte ich das alles aus Spaß. Wie oft soll ich ihm noch sagen, dass es mir Leid tut?“ „Habt Ihr denn mal versucht ihm zu erklären, warum ihr so gehandelt habt?“ „Wie, wenn er nicht mit mir redet?“, schimpfte Sanzomon weiter, sämtliche Digimon, die beim Abendessen waren und an dem langen Tisch saßen, hörten ebenso auf zu Essen, was Sanzomon unangenehm war. Sie schnaufte und fragte sich, wie es sein konnte, dass sie beide politisch betrachtet so ruhig diskutieren konnten, obwohl sie kaum auf einen gemeinsamen Nenner kamen, aber in sozialer Hinsicht so versagten? „Entschuldigt. Esst ruhig weiter und lasst euch von mir nicht den Appetit verderben“, sprach Sanzomon, dennoch traute sich weder ein Digimon ihrer Anhängerschaft, noch eines ihrer Findlinge ins Essen zu beißen. „Sanzomon. Magst du Myotismon nicht mehr?“, rief Budmon vom anderen Ende des Tisches zu dem Ende, zwischen Viximon und Pinamon sitzend, hinüber. „Es kommt doch nicht darauf an, ob wir uns noch mögen oder nicht. Wir müssen aber in der Lage sein, dass vernünftig auszudiskutieren. Wenn wir uns weiterhin so benehmen, hat es Folgen für unser Zusammenleben.“ „Vielleicht liegt auch genau darin der Fehler“, warf Sagomon ein, Sanzomon sah zu ihm auf. „Ein Fehler?“ „Ihr seht die Sache zu politisch, Meister. Vielleicht wäre es besser, wenn Ihr das alles einfach mal ausblendet. Sämtliche Fronten eurer Stellung sind geklärt. Aber unter euch alleine scheinen noch Dinge auszustehen.“ „Und sich zu streiten ist manchmal gar nicht so verkehrt“, sagte Cho-Hakkaimon weiter. „Das ist oft eine gute Gelegenheit um auszutesten, wie man zueinander steht.“ „Ah? Und was denkt ihr wo Myotismon und ich stehen? Was denkt ihr, was wir sind?“ Gokuwmon, der beim Essen nur Sanzomon nickend zustimmte, Cho-Hakkaimon und Sagomon entgegneten der Frage ihres Meisters erst mit Schweigen. Zu einer Antwort kam es auch nie, da jeder von ihnen sich etwas vom Abendessen in den Mund stopfte, um nichts sagen zu müssen. „Ihr drei seid so erbärmlich“, keifte Sirenmon sie an, ihr Federkleid plusterte sich auf und sie räusperte sich. „Wenn Ihr mir ein paar Worte erlaubt, Sanzomon – Ich gebe den dreien in dem Punkt Recht. Politisch mag es besser sein größere Konflikte zu vermeiden und stets vernünftig zu sein. Aber ihr seid mehr wie zwei Anführer einer Gruppe Digimon. Das lässt sich nicht einfach diplomatisch aushandeln. Hier geht es um ein persönliches Anliegen.“ „Vielleicht -“, begann Sistermon Noir ungewohnt schüchtern, „- muss man emotionale Themen auch manchmal emotional lösen. Ihr sagtet mal, in einer politischen Debatte muss man Emotionen ausblenden. Vielleicht ist es umgekehrt genauso.“ „Unsere Konflikte waren schon emotional genug. Und laut genug“, seufzte Sanzomon nur schwer. „Noch mehr Emotionen brauchen wir nicht.“ „Bitte, versucht es nochmal. Sagt einfach, was Ihr denkt, ohne zu viel nachzudenken.“ Mit der gleichen Erwartung und Einstellung wie Sistermon Blanc starrte jedes Digimon auf Sanzomon, die auf einmal begann sich Fragen zustellen. Was sie waren, dass hatte sie zwar ihre Schüler gefragt, wenn aber Sanzomon so in sich ging, wusste sie es selbst nicht. Persönlich. Wie standen sie denn persönlich? Sie fand keine Worte. Bei dieser Erkenntnis wirkten ihre Gefühle albern. Sie fing an, sich an ihre Umarmungen zu erinnern, die für einen kurzen Augenblick so fest und innig war und gleichzeitig fragte sie sich, warum sich ihre Umarmungen sonst nie so anfühlten. Außer dieses eine Mal hielt er sie zwar auch immer fest und hoch, aber ohne sie an sich zu drücken. So sollten Umarmungen doch nicht sein. Sie haben früher nebeneinander gelegen. Warum nun aber hielt er sie nicht, wenn er sie küsste, sondern legte nur die Hände auf ihre Schultern, als wollte er Abstand halten? Warum war Küssen eigentlich nie ein Problem, aber ein kurzes, zaghaftes Streicheln schon? Sie hatte herausgefunden, wo er gern angefasst wurde und doch grämte sich Myotismon jedes Mal davor, ohne ihr einen Grund zu nennen. Warum war eine simple, innige Umarmung so problematisch? Sie hatte ihn gefragt, ob er überhaupt Vertrauen in sie hätte. Er hatte ihr keine Antwort gegeben. Wer war sie für ihn? Ruckartig stand Sanzomon auf. Teller und Gläser vibrierten unter der Wucht, als sie ihre Hände auf den Tisch schlug, ihr Stuhl kippte rückwärts um. Sie atmete einmal durch, dann verließ Sanzomon den Speisesaal. „Meister, was habt Ihr vor?“ „Ich kläre das jetzt, ein für alle mal.“ Kein Digimon ging ihr nach. Die Baby- und Ausbildungs-Digimon schauten zwar erschrocken, aber Sirenmon wie auch Sanzomons Schüler beruhigten sie und erklärten, dass es nichts schlimmes sei. Im Gegenteil, es war sogar sehr gut. Es dämmerte bereits, sie war sicher, dass Myotismon schon wach war. Auch die ersten Bakemon kamen ihr entgegen und auf die Frage, ob sie wüssten, wie ihr Meister gelaunt sei, antworteten sie nur mit „Nicht gut“. Als sie vor seiner Zimmertür stand, wurde Sanzomon doch nochmal nervös und klopfte auch nur überaus zögerlich. Zwar bekam sie keine Antwort, aber etwas in ihr sagte, dass Myotismon nicht nur hörte, dass jemand da war, sondern er auch wusste, dass sie es war. Dann öffnete sie langsam die Türe. Sein Zimmer war von Kerze erhellt, dennoch wirkte es düster. Er saß in einem Stuhl, das kleine Klavier vor ihm auf dem Boden und er tat nichts, als es schweigend anzustarren. Sistermon Blanc, die sich die Tage an eine der Bratschen versuchen wollte, um mit den Kleinen zu musizieren berichtete Sanzomon vor ein paar Tagen, dass das Piano abhanden gekommen wäre und irgendwie hatte sie da schon einen Verdacht gehabt, wo es sei könnte. Sie hatte Recht behalten. Dabei dachte sie, sie hätten die Instrumente gut versteckt, damit Myotismon sie nicht doch heimlich entsorgte, aber diesen Konflikt hatte er wohl begraben. Die Glocken verstaute sie irgendwo anders, damit sie nicht noch einmal einen Schock auslösen konnten. Sanzomon öffnete die Tür nur einen Spalt weit, aber es reichte, um sein Gesicht zu sehen, dass hochkonzentriert war. So undurchdringlich seine Miene immer war, hatte sie mit der Zeit zumindest immer eine Ahnung entwickeln und einschätzen können, in welche Richtung er dachte. Die Fledermäuse bemerkten sie, sie pfiffen leise, als Sanzomon den Raum betrat. Nur Myotismon blickte weiter nicht auf. Eventuell war er auch zu sehr in seinen Gedanken versunken. Aber Sanzomon ging dennoch zu ihm hin, mit leisen Schritten und blieb neben ihm stehen. Während er weiter stur das Klavier angestarrte, überlegte Sanzomon, ob sie ihm davon erzählen sollte, was er ihr in seiner Trance erzählt hatte. Aber vielleicht war es zu früh dafür. Sie schnaufte, es half sich ein wenig zu beruhigen. „Verzeih mir bitte.“ „Wofür?“, fragte Myotismon und wie erwartet klang er erzürnt. „Dass ich dich bedrängt habe.“ „Damit ich mich bei deinen Schülern und dem Kanarienvogel bedanke? Ich hoffe sehr, dass dir das Leid tut, nachdem ich mich dazu erniedrigen musste.“ „Das war berechtigt. Sie haben dich immerhin die letzten Tage versorgt, da sollte ein Danke das Mindeste sein“, schimpfte Sanzomon, fand aber schnell ihre eigentliche Tonlage wieder. „Ich meinte, warum es überhaupt passiert ist. Ich hätte dich nicht weiter mit Fragen belästigen sollen, wenn du es doch offensichtlich nicht wolltest. Dann wäre dir diese sogenannte Blamage auch erspart geblieben. Du hast Recht, es war meine Schuld.“ Keine Antwort, aber sie verübelte es ihm nicht. Ihre Entschuldigung klang mager, das dachte Sanzomon zumindest. Myotismon war es eher egal, ihn ärgerten zwei Dinge an der ganzen Geschichte mehr: Einmal dass es hätte schief gehen können. Sie hätte herausfinden können, warum er wirklich hier war. Sein Plan hätte scheitern können. Wer weiß, hätte sich der Herr Dirigent nicht eingemischt. Das der Herr Dirigent überhaupt auf ihn aufmerksam wurde. Er roch die negativen Gedanken regelrecht, die seines Orchesters insbesondere. Der Her Dirigent war ein Schmelztiegel negativer Gedanken und Chaos und hätte Myotismon nicht das Bewusstsein verloren, hätte der Herr Dirigent doch noch bemerkt, was Myotismon hinter seinem Rücken im Schilde führte. Zum anderen war es ihre Neugierde. Sie hatte seinen Zustand ausgenutzt, weil sie Dinge von ihm wissen wollte, die sie nichts angingen und hatte sich ihre Fähigkeiten zu nutze gemacht, weil sie es über normalen Wege nicht schaffte. Es war, wie Sanzomon vermutet hatte. Obgleich er in einem Dämmerzustand gefangen war, er hatte deutlich gespürt, wie ihre Finger seinen Verstand berührten, um das ans Licht zu bringen, was dort nicht hingehörte. Dinge, die er nicht brauchte, die er nicht mehr sehen, nicht mehr hören und nicht mehr wissen wollte. „Ich bin keines deiner Baby-Digimon, Sanzomon. Ich komme dir entgegen und sage, dass es vielleicht wirklich nicht falsch ist, diesen Digimon klar zu machen, dass man über unglückliche Gegebenheiten hinwegkommen muss und sie damit zu konfrontieren ein durchaus vernünftiger Ansatz ist, das zu behandeln. Es ist auch nichts anderes wie von Lastern loszulassen. Aber bei anderen Digimon hast du so etwas zu unterlassen!“ „Ich dachte, es könnte helfen.“ „Du denkst zu viel!“, brüllte Myotismon und endlich sah er zu ihr. Die Augen stechend, das Gesicht verkrampft von der Bemühung seinen eigenen Ton bedacht zu halten. „Bei deinem vielen Lehren scheinst du deinen Respekt für die privaten Angelegenheiten anderer vergessen zu haben. Es gibt Dinge, die nichts anderes verdient haben vergessen zu werden. Die Entscheidung darüber liegt aber am Digimon selbst, nicht an jemanden wie dir! Wie ich bestimmte Gegebenheiten, insbesondere persönliche Dinge regel hat dich nicht zu kümmern, hast du das verstanden?! Tse, aber deine Neugier war schon immer mehr Last wie Segen für alle.“ „Du hast wirres Zeug und Wortfetzen von dir gegeben!“, entgegnete Sanzomon zitternd und aufgebracht. „Ich hatte Angst und wusste nicht, was ich tun sollte! Willst du mir jetzt vorhalten, dass ich eine Notsituation nun einmal so entschieden habe, wie ich es für richtig hielt? Ich konnte doch nicht wissen, wie das ausgeht, wenn es zuvor bei anderen Digimon doch immer geholfen hat. Anfangs ist es schmerzlich, ja, aber auf Dauer ist das Beste für denjenigen. Ich habe dir nur helfen wollen, mehr nicht!“ „Gib dich nicht heroischer, als du bist.“ Kalter Wind, verursacht durch Myotismons bebende Stimme zog durch den Raum. Die Fledermäuse an der Decke schreckten auf, die Flamme der Kerzen wurde von dem Wind mitgerissen. Sie erloschen nicht, flackerten aber und warf dadurch unheimliche Schatten gegen die Wände, die sich mit ihr bewegten. Und es hörte nicht auf, obwohl kein Wind wehte. Die Schatten tanzten weiter. „Ich verstehe, was bei dir graben heißt, Sanzomon. Ich nehme es dir nicht einmal übel. Sie nennen es anders, aber es ist das, was Sanzomon tun. Deine Neugier ist auch nicht mehr wie die Suche nach Erleuchtung, Erkenntnis und Ursachen. Schon damals hingst du mir deswegen an den Fersen und hast mich und meine Vergangenheit nie in Ruhe gelassen. Freue dich, du bist und warst deinen Artgenossen ähnlicher, wie du denkst.“ „Mir ist das aber egal!“ Die Kerze stand augenblicklich still, mit ihr die Schatten. „Mir ist das egal. Ich wollte nie wie meine Artgenossen sein. Anerkannt werden, das wollte ich. Ich wollte immer nur von dir anerkannt werden“, sagte Sanzomon. Es klang gequält. Man hörte heraus, dass sie zumindest versuchte, bedacht zu bleiben, statt sich emotional gehen zu lassen. Emotionalität hatte in einer Diskussion nichts verloren. Politisch mochte das zutreffen. Aber nicht hier. Hier ging es nicht um Politik, sondern - „Ich wollte nie mehr, wie das Digimon zu verstehen, dass mir so wichtig war. Und das dieses Digimon irgendwann aufhört, weiter nur Tinkermon in mir zu sehen. Nicht was ich war, nicht welcher Art oder welchen Typus ich angehöre, sondern... einfach nur mich. Und dass du erkennst, dass ich mich auch verändert und weiterentwickelt habe. Das ich genauso wie du über vergangene Dinge stehen kann. Ich wollte nur dass du… du mich...“ Sie schnaufte, in der Hoffnung das Brennen und der Kloß im Hals würden sich damit lösen. Mit verschränkten Armen vor der Brust wartete Sanzomon, dass Myotismon irgendetwas täte. Doch mehr wie kurz zu ihr zu blicken, um dann weiter stur das Klavier anzustarren passierte nicht, auch nicht nach einigen weiteren, langen Augenblicken. Ihre Schultern sanken weiter. Was hatte sie anderes aber auch erwartet? Sie war enttäuscht und wütend. Wie damals, aber irgendwie auch nicht. Damals war sie noch verletzter, nun aber hielt es sich im Maß, weil sie eigentlich nichts anderes erwartet hatte wie das. Es hatte sich nichts geändert. „Ich mag eine Traumtänzerin sein, aber ich weiß, was es bedeutet, wenn wir von Abgründen reden. Ich habe auf meiner Reise in genügend hinein gesehen und so manches, was ich dort ausgegraben habe glaubt man erst, wenn man es mit eigenen Augen sieht. Ich bin nicht mehr so, dass ich nur meine eigene Jammerei höre sondern solchen Gegebenheiten, wie du sie nennst ins Gesicht schaune muss, aber dass willst du ja nicht hören. Daher bin ich auch der Auffassung, dass es gesünder ist Erde beiseite zu räumen, statt die Löcher zuzuschaufeln. Was du praktizierst, ist Verdrängung. Wenn du deinen Wert also lieber daran misst, wie viel du erträgst, dann – Glückwunsch. Du bist den Meistern der Dunkelheit ähnlicher, wie du glauben magst. Du… du hast dich auch nicht verändert.“ Sein Schweigen war unangenehm. Sanzomon wollte noch viel mehr sagen, aber die Kraft und die Geduld dafür hatte sie nicht mehr. Das Gesicht ihres Gegenübers war ebenso ausdruckslos. Nur das Klavier stand da und selbst dieses leblose Ding, schien in diesem Augenblick mehr Elan zu besitzen wie sie beide. Letztlich ließ Sanzomon es und lief wieder zur Türe, ihre Armreife klimpernd, die Bänder ihrer Krone flatternd, von Myotismon unbeobachtet, was nicht hieß, dass er nicht hinhörte, wie sie erhobenen Hauptes dabei war das Zimmer zu verlassen, aber dabei noch ihr Schluchzen unterdrückte. Sollte sie eben. Sie wusste nicht, was sie redete. Sie wusste nichts. Naives, gutmütiges, dummes Ding. Ihre Argumente waren schwach. Myotismon war nicht wie die Meister der Dunkelheit, er war ein Meister der Dunkelheit, er und seine Mitmusiker wussten wie die Digiwelt war und diente das alles nicht einer größerer Sache, hätte er ihr klar gemacht, was es hieß so mit ihm zu reden, was glaubte sie, wer sie war, sie, die nichts begriff, die nicht verstehen wollte wie Digimon wie er nun einmal waren, wie er war, er war und sie war - Myotismon bremste sich innerlich. Welch ein Gedanke. Das, was er getan hätte tat man mit Untergebenen, die noch lernen mussten wo ihr Platz war. Mit Feinden. Sanzomon war kein Untergebener, noch ein Feind in dem Sinne. Sie war keine Gefahr. Und allein weil sie Pazifist war, hätte er sie sicher nicht angegriffen. Feindliche Rebellen und störrische Untertanen war die eine Sache, einen überzeugten Pazifist, der einem zudem blind vertraute jedoch zu attackieren war rückgratlos und verstieß gegen so ziemlich jeden Ehrenkodex. Das war er nicht. Er war kein Digimon, dass sein eigenes Wort brach und ziellos alles verwüstete. Er tat so etwas nicht. Eine alte Freundin anzugreifen würde jedes Vertrauen brechen, dass sie in ihn hegte. Eine alte Freundin, die keine Gefahr war attackierte man nicht, insbesondere nicht hinterrücks, wenn diese nur Sorge im Kopf hatte. Nein. So war er nicht. Und was war Sanzomon, wenn weder Untertan noch Feind? Die mit ihm hier lebte und alles verwaltete wie König und Königin eines total verrückten Wunderlandes? Eine alte Freundin? Was verstand er denn unter diesem Begriff? Sie war eine alte Freundin, eine Mitstudentin, was war sie aber nun? Wieder war es aber Piedmons Stimme, die ihm diese Frage stellte. Was war Sanzomon denn nun, wenn weder Gefangener, noch Sklavin, noch irgendetwas ähnliches? (Was ist sie für dich?) (Wer ist sie? Fragte das Raupentier) „Schnee.“ Dieses Wort kam ebenso emotionslos aus Myotismon heraus, wie es auch schon sein Gesicht verriet. Sanzomon war überrascht. Sehr sogar. Sie stand vor der Tür, die Hand immer noch nach der Türklinke ausgestreckt, die sie aber nicht umklammerte. Sie sah nur über die Schultern zurück, bis sie sich letztendlich umdrehte und wieder zu Myotismon zurücklief und direkt neben ihm blieb sie stehen. „Dieser Ort, den ich damals suchte. Dort fiel Schnee. Alles war weiß und es schneite. Der Himmel war klar. Es war nicht eine Wolke zu sehen, aber es schneite dennoch ununterbrochen. Polarlicht war am Himmel und das Licht spiegelte sich im Eis. Und egal wo man stand, es sah immer aus, als würde der Mond selbst diese Farben in den Himmel blasen, wie Rauch.“ Sanzomon ging neben ihm auf auf die Knie, die Hände behutsam auf ihrem Schoß, ihr Rücken und die Schultern angespannt und gerade. Unter ihrem Halstuch stand ihr Mund offen, in ihrem Gesicht zeigte sich die absolute Fassungslosigkeit, wie auch ihre Faszination über dies, was sie hörte und von wem sie es zu hören bekam. „Die angrenzenden Wälder sahen in der Ferne schwarz aus, aber ging man näher hin, konnte man sehen, dass das Holz der Bäume sich durch Kälte und Frost blau verfärbte. Es war kalt. So kalt, dass Fische, die aus dem Wasser sprangen noch im Flug mit diesem gefroren. Es gab eine ganze Allee solch grotesker Eisskulpturen. Ein paar Frigimon lebten dort, sie montierten Lampen in diese Skulpturen hinein. Eine ganze beleuchtete Eisstraße, bis hinunter ins Tal. Eisblumen blühten auf den Schneewiesen, im wahrsten Sinne. So filigran und so zerbrechlich...“ Myotismon Daumen fuhr über die Finger, um das Gefühl besagter Eisblumen wieder zu wecken. Es scheiterte. Er wusste das Gefühl zu beschreiben, aber wirklich an das Gefühl selbst erinnerte er sich nicht. Es war zu lange her. Zu lange nicht mehr geweckt und gefühlt worden. „Dort war auch... Irgendetwas. Und dieses Irgendetwas zeichnete Symbole in den Frost. Die Linien einer Akkorde. Notenschlüssel. Einzelne Noten. Hohe, tiefe, halbe, Achtelnoten. Man konnte auch Tage später die Noten noch sehr gut lesen. In meiner Vorstellung waren sämtliche Berge und Hügel von Musiknoten gezeichnet, aber ich glaube, das wäre nicht umsetzbar.“ Er lachte, aber sie wusste beide, dass dieses Lachen hohl war. Myotismon sah weiter seine langen Finger an und begann sich zu fragen, ob sie schon immer so waren, oder erst seit er ein Ultra-Level war. Er wusste nicht mehr so genau, auf welchem Level er begonnen hatte spielen zu lernen. Alice hätte es gewusst. Aber Alice war nicht hier, sondern im unendlichen Weiß verschollen. „Ich habe jede Eiswüste und jedes Schneefeld, dass ich finden konnte abgesucht. Aber keine von ihnen war jener Ort, den ich suchte. Nirgendwo war jener Ort, den ich sehe, wenn ich der Klang des Klaviers höre. Wo... dieses Irgendetwas verweilt. Dieser Ort und all das was dort geschah war meine erste, bewusste Erinnerung. Alles davor war lückenhaft und ich könnte die Situation oder die Reihenfolge nicht mehr einordnen. Aber diese...“ Man konnte Myotismon schlucken hören und endlich hatte er sich dazu aufbringen können, Sanzomon anzusehen. In seinem eigenem Gesicht war kaum ein emotionaler Hauch, nur der Versuch wie sonst immer so hämisch wie gewohnt zu grinsen. Es war ein kläglicher Versuch, dass wusste sogar er und gab auf, es weiter zu versuchen. Wenn Sanzomon es nicht besser wüsste, könnte sie glauben er ließe den Kopf hängen, aber eher würde sich Myotismon das eigene Genick brechen, als das er dies zulassen würde. Den Kopf hängen zu lassen zeugte von charakterlicher Schwäche. „Dann habe ich begriffen, dass dieser Ort nicht mehr existiert. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber ich weiß, er ist nicht mehr. Und ohne ihn, brauche ich… Das Irgendetwas auch nicht mehr zu suchen. Also habe ich von dieser Erinnerung losgelassen und alles, was damit zusammenhing. Es ist nicht mehr wichtig. Es bringt nichts mehr über die Vergangenheit nachzudenken. Meine Ultra-Digitation ist der Beweis, dass dies die beste Entscheidung war.“ Zögerlich streckte Sanzomon ihre Hand aus. Erst nur weiter Schweigen und Skepsis. Dann Erleichterung, als Myotismon sich doch entschied sie anzunehmen. Der Druck war fest, Sanzomons Fingernägel kratzten über den Stoff der grauen Handschuhe. Aber Myotismon nahm sie nicht weg, beobachtete nur schweigend, wie Sanzomon noch die zweite Hand dazu nahm, senkte ihren Kopf, um ihre Stirn darauf abzulegen, froh über diese Geste - und gleichzeitig kam sie sich so schäbig vor, weil es so viel gab, was sie vor ihm verheimlichen musste. „Tue mir nur den Gefallen und lass das nächste Mal meinen Sarg da raus. Sollte er kaputt gehen, habe ich ein Problem.“ „Kommt nicht wieder vor“, sagte Sanzomon und nun konnte auch sie wieder lächeln. Ihr Daumen strich über die schlanken Finger, die diesem leblosen Gegenstand vor ihnen so viel Leben eingehaucht hatten. Sie würde zwar gerne wissen, wieso sie das konnten, andererseits war Sanzomon einfach nur erleichtert darüber diese Hand halten zu können und ihre Stimme war zart und leicht wie ein Windhauch: „...Danke.“ „Wofür?“ „Hierfür.“ „Mir -“ Myotismon hielt inne, schüttelte leicht den Kopf, ehe er weiter sprach. Er wollte einen Grund nennen und stellte fest, dass es keinen Grund gab der plausibel erklärte, warum er sich Sanzomon so offenbarte, ihre Hand nahm und sie weiter festhielt. Sicher, wenn er weiter schwieg und Sanzomon nicht hin und wieder einen Köder zuwarf, um sie bei Laune und Interesse zu halten, könnte er riskieren seine Privilegien zu verlieren. Jedoch war dieser Gedanke nicht der primäre Grund. Es war weit irrationaler. Einer war, dass er hoffte sie würde endlich aufhören so traurig und besorgt auszusehen. Sie sah Alice damit so ähnlich. „- war danach. Aber gern geschehen.“ „Wenn ich auch etwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen, ja?“ „Ja, versprochen“, meinte Myotismon genervt und wollte abwinken, aber Sanzomon hielt immer noch seine Hand. Ihre Augen funkelten durch die gerade so zurückgehaltenen Tränen und ihre Freude. Es amüsierte ihn fast, wie sehr sie das Weinen unterdrückte und es ihr sogar gelang, obwohl sie damals ständig weinte wegen irgendwelcher Banalität gepaart mit Babamons Kaltschnäuzigkeit, die Tinkermon sich zu sehr zu Herzen nahm. Also eigentlich doch wie früher. Und gleichzeitig doch nicht. „Weißt du, ich wüsste sogar etwas, was du für mich tun könntest.“ Mit einem Ruck zog Myotismon Sanzomon zu sich, bis sie auf seinen Schoß saß und ein Arm sich um ihre Schultern legte. „Du bist doch fleißig am Bücher schreiben. Zwei hast du doch in der letzten Zeit angefangen.“ „Drei sogar, eines habe ich fast fertig.“ „Worüber schreibst du?“ „Zwei sind Übersetzungen von Babamons Büchern“, begann Sanzomon und die Nässe, die ihre Augen hatte glasig werden lassen, trocknete aus. Wenn Sanzomon von ihren Büchern reden konnte, war sie komplett in ihrem Element vertieft und konnte sich absolut darin vergessen. Aber Myotismon würde sie reden lassen. Denn wenn Sanzomon etwas noch weniger stand wie die Augenringe, dann war es ihr glanzloses, trübes Trauergesicht. „Das dritte ist meine eigene Arbeit, ich sitze da schon eine ganze Weile. Etwas mehr Psychologie, als Philosophie oder Politik. Ich möchte über Entwicklungspsychologie schreiben. Also wie sich Erziehung und Psyche auf unsere Digitationen auswirken, aber mit einem etwas anderen Ansatz wie das, was Babamon uns beibrachte. Aber ich brauche noch sehr viel Zeit dafür.“ „Darf ich denn einen Blick darauf werfen?“, fragte Myotismon, ebenso tief in Sanzomons Augen blickend, und sie wirkte überrascht. „Du fragst?“ „Du bestimmst, welche Bücher ich lesen darf, das war die Abmachung. Und daran halte ich mich.“ Sein typisches Lächeln war wieder zu sehen und irgendwie war Sanzomon erleichtert darüber. „Eigentlich lasse ich niemand meine Rohtexte lesen. Jedoch eine Art Lektor zu haben hätte etwas für sich.“ „Mir geht es nicht sonderlich um Korrektur oder dergleichen. Ich möchte nur lesen. Weißt du, ich kann in der letzter Zeit so schlecht einschlafen und brauche dringend entsprechende Lektüre dagegen.“ „Reicht dir etwa meine kleine Märchenstunde allein nicht mehr aus?“, scherzte Sanzomon und ihr Lächeln kam zum Vorschein, als sie ihr Halstuch runter nahm, um Myotismon anschließend küssen zu können. Dann aber schloss Sanzomon ihre Arme um Myotismons Körper und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Das schlichte Bedürfnis, ihn ganz normal umarmen zu können und es in Ruhe zu genießen überkam sie plötzlich. Myotismon Hände schwebten verkrampft in der Luft, nicht wissend, wie er darauf reagieren sollte. Sanzomon anzufassen und sei es noch unsittlich war nie ein Problem für ihn. Aber das hier, eine Umarmung, so einfach und unschuldig, war seltsam. Es dauerte, bis er sich dazu bringen konnte, selbst die Arme um ihre Taille zu legen. Diese Ruhe zwischen ihnen war ungewohnt. Aber, dass musste Myotismon zugeben, nicht unangenehm. Absolut nicht. Sanzomon roch nach ihren Seerosen und er begann sich zu fragen warum, es war so kalt geworden und zu gegebenen Zeitpunkt wuchsen sie nicht. Roch sie immer so? Passte zu ihr, wie der Klang in ihrer Stimme. Es war ihm nie wirklich aufgefallen. Aber es war entspannend. Myotismons Hand fuhr durch ihr Haar und Sanzomons verkrampfte Glieder lockerten sich, bis auch ihr Körper gänzlich entspannt war. Sie ließ sich tragen und für eine Sekunde dachte Myotismon nach, ob dies nicht genau der perfekte Moment wäre, sich in ihren Kopf zu schleichen und Gleiches mit Gleichen zu begradigen, entschied sich aber in selbiger Sekunde, es sein zu lassen. Er glaubte, gehört zu haben und eigentlich war er sich sogar ziemlich sicher, dass sie ungebetene Zuschauer hatten, aber auch die Idee aufzustehen, um diese Digimon (Sanzomons Schüler und er würde Gift darauf nehmen, dass Phantomon auch mit dabei war) an der Tür zu überraschen und sie für ihr Spannen zu strafen verwarf er. Ihm lag vielmehr dran, dass hier zu genießen. Festzustellen, dass nicht nur Sanzomons Hals, sondern ihr ganzer Körper angenehm warm war. So warm... Sie saßen lange so da. Vermutlich hätten sie den ganzen Abend so dagesessen, hätte Sanzomon währenddessen nicht kurz ihre Pflichten vergessen und gespürt, wie sie nach Luft holte und ihre Zunge schon dabei war, die Laute zu formen. „Myotismon, ich -“ Dann fiel ihr ein, während Myotismon sie gespannt ansah, dass sie eben Pflichten hatte. Pflichten und ein Versprechen gegenüber Gennai, das oberste Priorität hatte. Dabei wäre es ein so simpler Satz gewesen, drei einfache Worte, an denen aber Tonnen von Lastern, schwer wie Baggersteine hingen. Sie konnte es nicht sagen. Noch nicht. „Ja, ehrfürchtige Hohepriesterin?“ „M-Meinst du, ich könnte auch auf dem Piano spielen?“ Myotismon gab ihr keine Antwort, dennoch traute sie sich zum Klavier hinzugehen, sich hinzuknien und mit unsicheren Fingern auf die Tasten zu drücken. Kaum dass ein Ton erklang, zog sie ihre Hand wieder zurück. Anschließend wagte sie sich daran, gleich zwei Tasten zu drücken, nur langsam und jede einzelne Taste nacheinander, dann schneller, dass zumindest etwas ähnliches wie eine Melodie dabei herauskam, wenn Sanzomon nicht einmal wusste, was sie tat. „Und, wie klingt das für den Anfang?“ „Schrecklich.“ „Dann bring es mir doch bei.“ „Bestimmt nicht, du hast kein Talent. Bleibe bei deinem Gesang, das passt besser zu dir.“ Obwohl Myotismon das mehr als nur ernst meinte, musste Sanzomon lachen und ließ ihre Finger weiter, mit kindlicher Begeisterung über die Taste gleiten. Weiter ganz nachdenklich darüber, ob sie vielleicht auch diesen Ort für ihn finden könnte, so wie in der Geschichte von Rosemon und Wisemon, um ihm so zumindest etwas zurückgeben zu können, sah Myotismon nur schweigend ihrem Klavierspiel zu. Es klang mehr wie schrecklich, aber er ertrug es. Und während Myotismon Sanzomon einfach nur beobachtete und der Hunger nach ihrem Hals seinen Magen dabei zum drehen brachte, wurde in dem Teil seines Geistes, in dem seine Vernunft verweilte eine schreckliche Erkenntnis klar. Dass er Sanzomons Bücher nicht in erster Linie lesen wollte, in der Hoffnung nützliche Informationen zu finden. Dass das in seinem Bauch kein Hunger war. Dass ihm der Geruch ihrer Blumen, über den er sich sonst beklagte eigentlich nichts ausmachte. Dass er Sanzomon nochmal so halten wollte. Myotismon hatte einen riesigen Fehler begangen. Er hatte sich mit ihrem Wahnsinn angesteckt.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)