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Wintersonett

Which dreamed it?
von

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Konzert VII - OFF WITH THEIR HEADS, 1. Satz, Presto stringendo


 

𝄡

 

Als Ältester ihres Quartetts und als ein Digimon, das weniger amouröse, dafür durchaus intime Augenblicke mit anderen Digimon erlebt hatte, war Sagomon etwas optimistischer hinsichtlich dem, was zwischen Sanzomon und der Fledermaus, die unter ihrem Hut saß entwickelt hatte. Er war, anders wie Gokuwmon weniger besorgt und anders wie Cho-Hakkaimon nicht vollkommen enthusiastisch. Einfach nur realistisch und etwas besonnener, was ihn allein schon von seinen Artgenossen unterschied, die ein wenig energischer ausgerichtet waren und mit einen viel größeren Sinn für Humor. Aber der Mangel an Ausprägung dieser Eigenschaften und die Fähigkeit, stets ruhig und gewissenhaft zu bleiben, hatte Sagomon erst ermöglicht, während der Typus-Kriege überhaupt General einer größeren Einheit an Dämonen-Digimon zu werden, um die von den Serum- und Datei-Digimon eingenommen Ländereien zurückzuerobern. Zumindest, bis die nur noch wenigen, dafür starken Armor-Digimon vor sie traten und aus den Ländereien verbannten, und ihn sogar hinrichten wollten.

Sago ärgerte sich aber darüber nicht mehr. Wäre es nicht so gekommen hätte er D'arcmon nicht getroffen und wäre nicht hier als Schüler, wenn es auch durchaus komisch war, ein jüngeres Digimon mit kaum Erfahrung in Kampf als Meister zu bezeichnen.

Aber Sanzomon hatte andere Qualitäten. Zudem besaß sie das gewissen Talent, Digimon mit ihren Worten hörig zu machen. Ob es das war, was sie sagte oder wie sie es aussprach, dass konnte selbst Sagomon schwer deuten, aber es hatte etwas, wie ein Zauber. Vielleicht hatte es bei Myotismon eine ähnliche Wirkung und darum machte sich Sagomon auch keine Sorgen.

Nun hatte es sich jedoch geändert. Und er konnte nicht deuten was es war. Sagomon hatte schon Gokuwmon und Cho-Hakkaimon darauf angesprochen und auch ihnen war eine Veränderung aufgefallen, wenn sie es aber auch nicht in Worte fassen konnten, dafür sahen sie ihn zu selten.

Myotismon war anders geworden, aber sie konnten nicht sagen inwiefern. Mit Sanzomon wollte Sagomon zwar sprechen, ob ihr auch etwas in der Richtung aufgefallen sei. Bisher kam er jedoch nicht dazu.

An diesem Tag durchquerten er und Sanzomon die Bergketten, auf den Weg einen weiteren Streit zwischen Moosemon und Grizzymon zu beschwichtigen, wie es alle paar Tage der Fall war, weil diese Digimon sich nicht einig wurden.

Mehrmals hatte Sagomon versucht ein Gespräch mit Sanzomon zu beginnen, driftete aber immer zu anderen Fragen ab.

„Geht es Euch gut?“, fragte Sagomon stattdessen. Sanzomon nickte zwar, aber ihr ging es offensichtlich nicht gut, zumindest nicht an diesem Tag. Sie sah müde aus, wie schon lange nicht mehr. Es würde nicht die beste Gelegenheit sein nun damit anzufangen, aber sie waren hier alleine, mussten sich keine Gedanken machen, dass ein Digimon lauschen könnte und vor allem wäre es noch an diesem Tag und Sagomon wollte es unbedingt noch an diesem bereden. Besonders nach dem, was letzte Nacht war.

Es war nichts, was nicht eh schon einige Male im Schloss vorgefallen war. Dass Baby-Digimon nicht schlafen konnten und sich dann zu Sagomon oder einem der anderen Digimon ins Bett verirrten war nicht selten und sie wieder in ihr Bett zu bringen kein Aufwand. In dieser Nacht hatte es ihn erwischt, da waren die drei Choromon zu ihm gekrochen und es war vielleicht ganz gut, dass er es war, der dann noch mal aufstehen musste, um sie in ihr Bett zu bringen.

Gerade als er zurück in sein Gemach gehen wollte und die Abkürzung über die wirren Gänge nahm, sah er einen Korridor über ihm - und aus seiner Sicht kopfüber - Sanzomon laufen. Offensichtlich müde, sie stützte sich mit einem Arm an der Brüstung ab. Auch das war in letzter Zeit wieder öfter vorgekommen. Sie sagte, sie hätte Probleme bei der Herstellung der Wappen für die Digiritter und büßte für eines nun weit mehr Kraft ein, als für die, die sie bisher hergestellt hatte. Dabei müssten es nur noch zwei sein, oder gar eines.

Man hörte die Fledermäuse schon von weitem, dennoch hatte Sagomon Myotismon erst erblickt, als er neben Sanzomon stand und sie festhielt, ehe sie fiel, schwach wie sie wirkte. Nein, nicht nur schwach. Eher schon krank.

Wo Myotismon plötzlich herkam und wieso er nicht draußen seiner Arbeit nachging fragte sich Sagomon erst, als er sich in einem dunklen Winkel versteckt hatte, von dem aus er aber die beiden noch einigermaßen gut beobachten konnte.

„Du bist schon wieder hier?“, fragte Sanzomon mit einer trägen Aussprache.

„Du wirst es nicht glauben, aber deine Schützlinge haben mich darum gebeten nach dir zu sehen. Sie sagten, du siehst kränklich aus.“

Sanzomon rieb mit der Hand über ihre rechte Gesichtshälfte und noch einmal kräftig über die Augen. Vehement versuchte sie wach zu bleiben, dabei konnte sie der penetranten Müdigkeit kaum widerstehen.

„Ich habe viel übersetzt über die letzten Tage. Vieles überarbeitet. Viel geschrieben und viel...“

„Wie wäre es, wenn du einmal nicht so viel arbeitest?“

Eine gewöhnliche Konversation wäre es gewesen, wenn diese eine milde Schärfe von Spott und das Amüsieren darüber hätte. Doch Myotismon klang so ernst wie Sanzomon erschöpft. Alltäglicher war dafür wieder, wie Myotismon Sanzomons Kopf in seinen Händen hielt und anhob, damit sie ihn ansehen konnte, da ihr wohl selbst dafür die Kraft fehlte.

„Was ist los, Sanzomon? Du wirst mit jeden Tag blasser. Du machst allen Digimon hier Sorgen. Sag mir was dich bedrückt, dann helfe ich dir mit deinem Kummer.“

„Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nicht einmal, ob du mir dabei helfen kannst.“

„Du hast es noch nicht versucht. Du kannst es mir ruhig erzählen. Das bleibt auch unser Geheimnis.“

So alltäglich es auch war, wie die beiden sich ansahen und miteinander redeten, so löste es in Sagomon dennoch Unbehagen aus. Sprach sein Meister etwa von...

„Was ist das für eine wichtige Arbeit, dass es dich so lange von deinem Bett fern hält?"

„Es... Ist nicht so wichtig. Es hat sich erledigt...“, stöhnte sie erschöpft, dann lehnte sie sich an Myotismon, als Sanzomon ihre Kraft in den Beinen verlor. „Ich... ich möchte nur in mein Zimmer... und schlafen. Und... und...“

Ihr Kopf hatte sich wieder geneigt und nun schien Sanzomon wirklich zu schlafen. Sagomon spürte Erleichterung im Bauch.

„Es ist immer das Selbe mit dir“, seufzte Myotismon genervt und auf Sanzomon herabblickend. Sagomon konnte nicht heraushören, ob die Missgunst darin lag, dass sie mal wieder irgendwo schlief, nur nicht da wo sie sollte oder weil sie nichts verraten hatte. Sein Misstrauen blieb.

Einzig was Sagomon davon abhielt, sich schreckliche Dinge auszumalen, war dieses Leuchten in den Augen. Myotismons Augen waren wie eh und je wie eine Schneekugel. Aber der Wirbel der Schneeflocken wurde träger, sobald sie Sanzomon ansahen und mit jenem Leuchten, wenn auch ein schwaches. Und Sagomon sah es auch, als Myotismon Sanzomons schlafenden Körper auf seine Arme nahm, während ihr Kopf sich an seine Brust lehnte. Normalerweise schimpfte Myotismon sie aus, egal ob sie schlief oder noch halbwach war, zu was sie ihn eigentlich noch alles degradieren wollte.

An diesem Abend jedoch nicht. Er trug sie nur schweigend fort.

Sagomon ging ihnen nach, zwar über Umwege, aber kurz nach ihnen kam auch er vor Sanzomons Zimmer an, rechtzeitig um zu sehen, wie er sie auf ihr Bett setzte.

„Bleib hier...“, murmelte Sanzomon und schien wieder so weit wach zu sein, dass sie sich an Myotismons Umhang festhalten konnte. „Bitte bleib da...“

„Sanzomon, ich muss wieder zu meinen Truppen. Ohne mich wissen sie nichts mit ihrer Zeit anzufangen.“

„Aber... Aber...“

Sanzomon schüttelte den Kopf kraftlos hin und her. Myotismon kniete vor ihr.

„Ich möchte nicht hier alleine sein. Meine Hände... Sie sind verdreckt...“

„Sanzomon, das ist nur Tinte.“

Myotismon packte ihre Hand und, wenn auch mit Widerwillen nach seinem eigenen Umhang, da in der Nähe nichts anderes war, mit was er Sanzomon hätte säubern können. Er hatte mit Tinte gerechnet, genauso wie Sagomon, aber Sanzomons Hände waren überseht mit kleinen Kratzern und im richtigen Winkel sah es aus, als glitzerten ihre Finger. Es waren feine Reste von rosa Glas.

„Was hast du angestellt? Hast du etwas runter geworfen und dir dabei die Hände aufgeschnitten?“

Sanzomon antwortete nicht, sie murmelte nur unverständliche Dinge. Derweil hatte Myotismon begonnen mit dem Stoff des Umhangs die restlichen Glassplitter abzutupfen. Die Verletzungen waren nicht tief und er floss kaum Blut und doch sah Sagomon, wie Myotismon sich mit aller Gewalt auf die Lippen biss.

„Das dürfte reichen. Bis Morgen früh hat sich das wieder regeneriert.“

„Aber... wenn es trotzdem ein Digimon sieht...?“, flüsterte Sanzomon, weiter auf ihre Hände starrend. Sie klang, als weinte sie fast.

„Die anderen Cupimon sahen nie so aus... Ihre Hände sind immer sauber, nur meine nicht. Immer sind Erde, Tinte und Glas dran. Normale Cupimon sind so nicht...“

„Sanzomon, ich habe keine Ahnung warum du dich jetzt mit deinen Artgenossen vergleichst“, schimpfte Myotismon mit ihr. Überraschter war Sagomon daher, dass Myotismon trotz des scharfen Tons sachte ihre Hände nahm.

„Wenn sie dich schon als Cupimon nicht wollten und nur darauf gewartet haben, dass du ein Virus wirst, dann sei es drum. Kein Digimon im Schloss interessiert es, wie deine Hände aussehen, sondern was du damit machst. Zwinge mich also nicht, deine Schüler zu holen und reiß dich zusammen. Das kannst du doch. Hast du gehört?“

Sanzomon nickte und in diesem Moment verlor sie das letzte bisschen Kraft. Myotismon packte sie an beiden Schultern, dann legte er sie sachte in ihr Bett.

„Ich habe ja darauf gewartet, dass du irgendwann ausbrennst. Ich hoffe, es ist dir eine Lehre“, schimpfte er weiter. Beschämt nickte sie mit geschossenen Augen, während Myotismon ihr noch die Decke überlegte.

„Und jetzt schlaf endlich!“

„Aber... ich muss dir ein paar Dinge erzählen. Ganz wichtige Dinge...“

Dann war da plötzlich dieses Aufblitzen in Myotismons Augen. Es hätte auch daran liegen können, dass sich Wolken vor den Mond schoben und das wenige Licht ungünstig in sein Gesicht fiel, aber Sagomon glaubte ihn grinsen gesehen zu haben. Aber nicht wie gewohnt, sondern regelrecht manisch. Sagomon wurde Angst und Bange und er wollte schon ins Zimmer stürmen. Doch kaum, dass das Mondlicht wieder ins Zimmer fiel war diese Fratze verschwunden. Vielleicht hatte er es sich nur eingebildet. Hoffte er zumindest und Sagomon glaubte es schließlich auch, als Myotismon Sanzomon über den Kopf streichelte.

„Das kann warten, bis du wieder ausgeruht bist.“

„Darf ich dann auch das lesen, was du so schreibst?“

„Ich überlege es mir.“

„Legst... du dich auch zu mir?“

„Habe ich doch gesagt“, antwortete er leise. „Heute jedoch schläfst du nur noch. Danach erfülle ich dir deine Wünsche aber sehr gerne.“

„Meine... Wünsche...?“

Sanzomon murmelte weiter vor sich hin. Man verstand sie schwer. Es klang nach „blauer Lavendel... und... grün...“. Myotismon hatte, seinem Gesichtsausdruck nach nicht ganz verstanden, was Sanzomon ihm sagen wollte. Aber er überlegte.

Die beiden zu beobachten fühlte sich falsch an. Sagomon fühlte Beklommenheit, bis ihm klar wurde, dass diese nicht von einem gewissen Schamgefühl rührte, sondern von Myotismons Blick zuvor, den Sagomon nicht aus dem Kopf bekam.

Sagomon hielt sich selbst für übertrieben paranoid. Dennoch - dieser Anblick, dieser Blick vor allem machte ihn nervös und statt seines Schnabels zuckte sein linkes Auge.

Über die Typus-Kriege hinweg existierten noch andere Myotismon, die sich aber im Verborgenen hielten. Eines überfiel einst das Lager, als er noch General war und die Typus-Kriege in der gesamten Digiwelt im vollen Gange war, in einer sehr dunklen Nacht. Sagomon und seine Truppen aus humanoiden Virus-Digimon (wenn auch überwiegend aus Shaunjimon bestehend) hatten es zu spät bemerkt, hatten viel zu spät auf die Schreie in der Nacht reagiert. Als er das Zelt stürmte, in denen die meisten seiner Soldaten ruhten, konnte er vor lauter in der Luft schwebenden Datenpartikeln nichts erkennen. Seine Augen hatten lange gebraucht um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, dann sah er es direkt vor sich. Wie dieses Digimon über seinen sterbenden Soldaten kniete und die Lippen, das Kinn und die Zähne blutverschmiert waren. Das Blut tropfte auf den schwarzen Boden und löste sich in leuchtend rote Daten auf. In der Dunkelheit hatte Sagomon nur Ansätze der herumliegenden Digimon gesehen, wie ihre schweren Verletzungen und Wunden vom Mondlicht gestreift wurden und schimmerten. Sie lebten noch, obwohl dieses Digimon sie regelrecht zerfetzt hatte.

Und dieser Blick. Wie dieses Myotismon ihn angesehen hatte entfachte in Sagomon, der seine Soldaten, die in ihrer Katatonie gefangen waren, mitten im Chaos der Schlacht versorgt hatte, der Freunde hatte vor sich sterben sehen, blanke Todesangst.

Sagomon hatte dieses Myotismon vernichten können, kaum dass es aufstehen und auf ihn losgehen wollte. Seine sichelförmige Klinge hatte sauber den Kopf vom Hals getrennt. Trotz, dass es so viele Daten zu sich genommen hatte, schien es eine längere Durstperiode hinter sich gehabt zu haben und war geschwächt vom Kampf mit seiner Beute, ansonsten wäre das Stärkedefizit weit größer gewesen und sicher nicht zu Sagomons Gunsten. Danach hatte Sagomon seine leidenden Mitstreiter eigenhändig erlöst.

Ob das Schlossgespenst von Grey Mountain so war, wie seine Artgenossen vor ihm konnte Sagomon schwer sagen. Dafür war dieses Myotismon zu anders. Einzig was er sagen konnte war, dass in den Augen des Myotismon von damals kein Schneesturm lag.

„Von einem ehemaligen General hätte ich etwas mehr Achtung vor der Privatsphäre anderer erwartet.“

Sagomon zuckte leicht, aber war nicht überrascht darüber bemerkt worden zu sein. Vermutlich hatte er es die ganze Zeit schon gewusst.

Die Tür fiel leise ins Schloss, kaum dass Myotismon den Raum verlassen hatte und mit einer Handbewegung die Kerzen an Sanzomons Nachttisch löschte. Nun stand er vor Sagomon und trotz gleicher Körpergröße schien dieses untote Digimon auf ihn hinabzublicken. Vermutlich lag es am Ego. Selbst die Kerzenflammen, die sonst tanzten, schienen vor Ehrfurcht gerade zu bleiben.

„Verzeihung. Ich habe nur mitbekommen, dass Meister Sanzomon nicht wohl zu sein schien. Ich hatte nicht vor zu starren.“

„Und warum hast du es dann getan?“

Myotismon kannte die Antwort schon und tatsächlich schämte sich Sagomon ein wenig dafür zuzugeben wie Recht er hatte.

„Neugierde“, sagte er schwermütig. Immerhin war es nicht ganz gelogen und dass schien Myotismon zu merken und gerade deswegen nicht weiter nachzuhaken.

„Langsam verstehe ich, was Sanzomon so an euch gefällt. Was ist sie für euch?“

„Sie ist unser Meister.“

„Du hast verstanden, was ich meine.“

Hatte er, aber Sagomon war eben nicht gut darin Gefühle in Worte umzuwandeln. Die Nervenstränge, die Sagomon immer dann nicht hörig sein wollten, wenn er nervös wurde lebten ihren eigenen Tick aus. Vielleicht auch Störungen in den Daten, die eben dafür sorgten, dass sein Schnabel zum Klappern begann, statt das sein Herz raste. Einen Tick, über den seinesgleichen immer Witze rissen und er nur mit Ruhe ausgleichen konnte und dafür an Schlagfertigkeit einbüßte. Und sich damit nur mehr zum Außenseiter machte.

„Sie ist unsere letzte Bastion. Wenn wir sie nicht getroffen hätten, wüssten wir nicht wohin es uns verschlagen hätte. Vielleicht nirgendwo hin, überzeugt, dass es für einen Außenseiter keinen Ort gibt, wo er hin könnte. Ihr Glaube, dass wir mehr wie Außenseiter sind lässt zu, dass wir von einer gerechten Zukunft träumen können. Nicht wie es einst war.“

„Während der Apartheid, meinst du? Hast du sie denn erlebt? Die Gesetze? Die Diktatur der Serums und den Absolutismus der Viren?“

„Nein, es ist viel zu lange her. Ich wurde erst kurz vor Beginn der Typus-Kriege geboren. Ihr denn?“

Myotismon sagte nichts. Zwar strahlte er Gelassenheit aus, aber es war keine Ruhe dahinter. Sagomon kam sich vor, als stünde er im Auge des Sturmes.

„Sanzomon fragt schon zu viel. Wie töricht zu denken, ich würde dir gegenüber offener sein, als ihr.“

„Was ist Meister Sanzomon denn für Euch?“, fragte Sagomon weiter. Myotismon schien sich an seinen Fragen immer mehr zu stören, wie Sagomon es an sich selbst störte, dass er nicht endlich die Klappe halten konnte. Wie auch dass er hoffte, irgendeinen Draht zu Myotismon aufbauen zu können, um so etwas zu erfahren, dass Meister Sanzomons Theorien bewahrheiten könnte.

„Verzeiht, ich frage schon wieder zu viel. Ich werde wieder auf mein Zimmer gehen“, und diesmal klang Sagomon wieder so ehrfürchtig, wie von ihm gewohnt und verbeugte sich etwas. Kommentarlos drehte sich Myotismon um, ohne den Hauch einer Emotion, aber auch mit dem Fehlen von Verachtung, wie es sonst so alltäglich war. Und Dinge die nicht alltäglich waren machten erst Recht neugierig.

„Ich hörte, Ihr schreibt nun auch? Sicherlich freut sich Sanzomon sehr, dass ihr beide ein gemeinsames Hobby teilt. So etwas stärkt die Bindung.“

Myotismon warf den Kopf zurück. Er schien ein wenig überrascht, dass Sagomon es zur Sprache brachte, zumal er viel zu euphorisch dabei klang. Aber das bemerkte Sagomon schon selbst und es war ihm unsagbar peinlich.

Myotismon schnaufte, dann ging er seines Weges.

 
 

♩♯

 

Sagomon wollte sich daraufhin sagen, dass er immer noch zu paranoid war. War er vielleicht auch. Wäre dieser gierige Blick nur nicht gewesen, der ihm Sorgen machte und ihn die halbe Nacht wachhielt. Sagomon war schließlich auch ein Virus-Typ, hatte bei konservativen und liberalen Virus-Digimon gestanden und eines konnte er mit Sicherheit sagen:

Gier sah bei ihnen allen gleich aus. Und dass, was er in Myotismon gesehen hatte war Gier in absoluter Reinheit. Die Frage war nur nach was und diese Frage stellte sich Sagomon noch nicht all zu lange. War es die Gier nach Blut, wie es eben für ein Digimon wie ihn typisch war oder die Gier nach Meister Sanzomons Worten, dem Klang ihrer Stimme, wenn er schon die Tendenzen seines Musiker hatte?

Eine weitere Frage, die Sagomon nicht losließ und er fand es irgendwie absurd, das eigentlich zu denken:

Was empfand er, wenn er Sanzomon reden hörte? Oder sie ansah? Tat er das überhaupt?

Die Thematik war zu intim und es ginge ihn eigentlich nichts an, aber er musste mit Sanzomon darüber reden. Bisher hatte man dieses Zusammenspiel aus Diplomatie und Limerenz ignoriert, hatte es ausblenden, weil es einem selbst unangenehm war und es war schließlich Sanzomons eigene Sache. Es war keine Akzeptanz, nicht mal Toleranz, sondern Ignoranz.

Mit ihr darüber geredete niemand. Kein Digimon wusste, was sie in Myotismon sah oder dachte. Oder wie sie dachte, dass das weiter gehen sollte, geschweige denn ob sie auch bemerkt hatte, dass etwas anders war. Ob sie auch diesbezüglich Sorgen hegte? Mit wem redete Sanzomon darüber? Sie erzählte zwar über was sie sich mit Myotismon unterhielt, aber wie sie sich fühlte hatte nie jemand gefragt.

Wenn Sagomon darüber nachdachte, hatten sie alle Sanzomon ziemlich in Stich gelassen. Eine Schande.

Sagomon wollte das noch an diesem Tag klären. Doch der Streit zwischen den Moosemon und Grizzlymon hatte Vorrang und es lief so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte.

Das Wetter in der Digiwelt war in den meisten Gebieten konstant und entzog sich auch manchmal jeder Logik, erkennbar daran, wenn allein ein Breitengrad sieben verschiedene Klimazonen beherbergte, aber Klimaveränderungen existierten und waren auch auf Grey Mountain spürbar. Während einer kühlen Wetterperiode hatten die Grizzlymon sich zurückgezogen und gab den Moosemon die Chance sich hier niederzulassen. Nun, da es wärmer wurde und die Grizzlymon damit aktiver, brach der Kampf um die oberen, nördlichen Abhänge aus. Hier und da gab es schon Verletzte.

Nachts war es verhältnismäßig ruhig. Das lag vielmehr daran, da sowohl die Moosemon, als auch die Grizzlymon Angst vor dem König der Fledermäuse hatten. Bei Tage sah dies jedoch schon wieder anders aus, zumindest als sie merkten, dass sich Myotismon nur nachts blicken ließ und setzten dann ihre Revierkämpfe um die besseren Lager fort.

Es blieb nichts anderes mehr, als dass Sanzomon direkt eingriff, nachdem Gokuwmon und auch Sagomon selbst daran gescheitert waren es zu klären. Dafür, dass Sanzomon so elend und müde aussah, schlimmer als am Abend davor, wirkte sie doch ganz gefasst. Sie kniete zwischen einem Grizzlymon und einem Moosemon. Nur war Sanzomon entweder zu unkonzentriert oder die beiden Digimon zu stur.

„Wir waren zuerst hier. Sie können nicht hier aufkreuzen und diesen Ort für sich beanspruchen. Wir haben geholfen Grey Mountain vor den Soldaten der Meister der Dunkelheit zu beschützen“, beschwerte sich das Grizzlymon und knurrte.

„Wir sind mehr und benötigen mehr Raum. Digimon wie wir haben heiliges Licht empfangen um die Berge vor der Zerstörung zu bewahren, egal wer es ist“, schimpfte das Moosemon und schlug einmal mit den Hufen auf.

„Wollt ihr etwa andeuten, wir würden Grey Mountain schaden?“

„Grizzlymon, Moosemon hat nur seine Aufgabe erklärt, die es in seiner alten Heimat hatte. Du interpretierst etwas hinein, was nicht gesagt wurde und nicht zwingend euch betrifft“, mischte sich Sanzomon ein und klang immer noch deutlich erschöpft. Diese Diskussion ging, wenn Sagomon richtig schätzte knapp eine halbe Stunde, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Sie drehten sich im Kreis.

„Wenn wir von Schäden sprechen, dann richten sie den Größten an. Die Ressourcen sind knapp.“

„Es leben Butterflymon im Wald“, unterbrach Sanzomon, als sie hörte dass sich Grizzlymons Stimme wieder zu sehr hob. „Sie unterstehen meiner Obhut und für eine großzügige Gegenleistung wären sie sicher auch bereit entsprechende Ressourcen zu bringen, bis wir eine alternative Lösung haben oder sich weitere Möglichkeiten bieten.“

„Und wie lange soll das dauern?“, schnaubte Moosemon, deutlich ruhiger klingend, dennoch bei weitem aggressiver im Auftreten.

„Das entscheidet nur der Zahn der Zeit.“

„Also nur sinnfreier Optimismus. Selbst die Butterflymon werden dass nicht ewig mitmachen können. Digimon wie sie sind die Winde in solchen Höhen nicht gewohnt.“

„Nicht sie allein sollen diese Bürde tragen. Es leben viele Digimon hier, die mit mir und meinen Schüler koexistieren. Wir leben in einer sozialen Gemeinschaft und sichern damit das Leben aller.“

„So wie dieses Myotismon?! Gehört das auch zu Euch?“

Moosemon stampfte mit beiden Hufen auf den Boden und verursachte mit der Kraft ein Erdbeben, dass Sagomon es fast von den Beinen riss. Kieselsteine sprangen in die Höhe. Nur Sanzomon saß weiter auf den Boden, die Hände behutsam auf ihrem Schoß.

„Ja. Er ist der Grund, dass ihr alle in der Nacht nichts fürchten müsst. Ihr müsst ihn genauso wenig fürchten wie die Grizzlymon.“

„Dummes Gerede! Stupider Idealismus, mehr kommt nicht aus Eurem Mund!“

„Ein wenig mehr Respekt, ja?“, knurrte Grizzlymon, das hirschgleiche Digimon stellte das Fell auf. Die beiden hatten die Gemüter gewechselt, doch die Intensität stieg konstant bei beiden wie die Sinnlosigkeit, das hier weiterzuführen und Sagomon spielte mit dem Gedanken, Sanzomon zu packen und zu gehen. Das Grizzlymon und das Moosemon, dass zu dieser Verhandlung gekommen waren - vermutlichen waren sie die Anführer - hatten je zwei ihresgleichen als Schutz mitgenommen und eben diese positionierten sich bereits, um wenn nötig sofort anzugreifen, wenn die Grizzlymon auch nicht ganz so bedrohlich dreinblickten.

„Wer sagt, dass ich Euch vertrauen kann? Ein Digimon, dass mit solchen Kreaturen verkehrt ist nicht zu trauen! Kreaturen wie dieses Digimon haben uns fortgejagt und die vier Souveränen haben nur zugesehen! Ebonwomon sollte den Norden beschützen, doch als Machinedramon über uns herfiel kam es nicht! Ebonwomon hat uns in Stich gelassen, wer sagt, dass ihr nicht genauso seid?“

„Nur ihr könnt das entscheiden“, antwortete Sanzomon weiterhin ganz sanft. „Vertraut mir oder vertraut mir nicht. Ich beschütze Grey Mountain und jedes Digimon, dass hier lebt, egal aus welchen Daten und Gedanken sie entstanden sind und ihr gehört dazu, somit bin ich automatisch für euer aller Schutz verantwortlich. Das allein kann ich euch versichern.“

„Dummes Gerede, Heuchelei und leere Versprechen! Hornklinge!“

Sanzomon hatte sich schon aufgerichtet, um die drei Grizzlymon vor der auf sie zurasenden Klinge aus gebündelten Wind und Druck zu schützen. Bis sie jedoch merkte, dass dieser Angriff ihr galt, hatte Sagomon diesen schon mit seinem Stab abgefangen, nur riss es ihn von den Beinen und er flog über ihre Köpfe hinweg zu Boden. Sein Stab blieb mit der Halbmond-Klinge im Stein stecken. Grauer Sand, der bei dem Fall aufgewirbelt wurde sank wieder.

„Sagomon, bist du in Ordnung?“ „Macht Euch um mich keine Sorgen, Meister Sanzomon“, ächzte er leicht, was schmerzhafter klang, wie es gewesen war. Lediglich war er nur auf einem ziemlich harten Untergrund gelandet und das Meiste von Moosemons Angriff hatte er abwehrt. Dennoch halfen ihm die Grizzlymon wieder auf die Beine zu kommen, unter den skeptischen Blicken jenes Urtier-Digimon, dass sie anknurrte wie ein Ungeheuer und selbst seine Artgenossen versuchten auf ihn einzureden. Angesichts der Wut in den roten Augen bekamen sie es jedoch mit er Angst zu tun und fanden keine Worte.

Sanzomon stand gerade da und sah Moosemon an. Ihre Mala-Kette war in ihrer Hand erschienen.

„Verschwindet! Lasst uns endlich in Frieden!“, fauchte Moosemon und dieses Geräusch klang unnatürlich. Aber statt damit irgendetwas wie Angst zu erzeugen, war Sanzomon näher an dieses Digimon getreten, den Blick fest auf die flammenden Augen gerichtet. Ihre Hände, mit der Perlenkette in der Hand falteten sich vor ihrer Brust. Ihr Kopf senkte sich, die Augen fielen zu, einzig ihre Lippen unter ihrem Schal bewegten sich und zu hören waren Worte in einer fremden Sprache, die über ihre Zunge rollten und mit dem Wind, der leicht aufkam, mitgetragen wurden.

Moosemon knurrt weiter, Speichel aus dem Maul tropfend, seine Kameraden waren weggetreten, fort von ihrem Anführer und von Sanzomon, die wie in Trance verfallen war. Ihre Augen öffneten sich wieder, während sie weiter ihr Sutra sprach, in einem weichen Ton, dass es fast an Gesang grenzte. Ihre Augen waren trotz der Trance klar und fixierten die von Moosemon.

Es war jener Blick in den Augen, wenn Sanzomon versuchte in tiefste Innerste eines Digimons zu sehen. Sie grub. Sie holte das hervor, was dieses Digimon in seinem Herzen unter harter Erde verscharrt hatte.

Windstille. Moosemons Haltung wurde entspannter. Die Flammen innerhalb seiner roten Augäpfel waren kleiner geworden und klarer, dass sich Sanzomons Antlitz darin spiegeln konnte. Selbst die Worte die sie sprach und niemand verstand, geschweige denn wusste zu buchstabieren, schien man darin lesen zu können. Ihre Hände bewegten sich auf Moosemon zu, dann legten sie sich um sein Gesicht.

Als wieder ein Wind mit einem langgezogenen Heulen aufkam, fiel Moosemon auf seine Knie. Aber nicht der Wind, sondern die innere Last, die Sanzomon ausgegraben hatte, hatten es in die Knie gezwungen. Und statt Feuer sah man Wasser, dass aus den aufgerissenen Augen lief. Sanzomon, nun verstummt und auf das krümmende Digimon schauend, begann sie ihm über die Stirn zu streicheln, aber Moosemon drehte seine Schnauze fort.

„Nach Hause... Ich möchte nur mein zu Hause wieder...“, murmelte es gequält und traurig, dass Gesicht so abgewandt, dass es kein Digimon ansehen musste.

„Das geht nicht“, hauchte Sanzomon nur, beide Hände wieder bei sich. „Das hier kann niemals dein zu Hause ersetzen. Aber es kann ein Neues für dich und deine Kameraden werden. Wenn ihr es nur zulässt. Solange ihr einander habt, kann alles ein zu Hause sein.“

Moosemon sagte nichts. Es würde noch Zeit brauchen, dass zu überwinden, was es versucht hatte zu verdrängen. Was immer es war, es war schmerzlich und manchmal fragte Sagomon sich, was Sanzomon nun genau in diesen dunkelsten Ecken eines Digimon sah. Sie redet aber nie darüber, aus Respekt. Einen ersten Schritt zur Heilung nannte sie es und dieser wäre nun einmal erst den Schmerz zu erkennen, um ihn überhaupt überwinden zu können.

Die beiden anderen Moosemon halfen ihrem Anführer wieder auf die wackligen Beine, während weiter Tränen über das Gesicht liefen. Sie sahen Sanzomon skeptisch, aber nicht feindselig an.

„Wir vertagen die Verhandlungen auf ein anderes Mal. Es wird etwas Zeit brauchen, es wird ihm aber gut gehen.“

„Warum sollten wir Euch vertrauen? , fragte eines der anderen Moosemon.

„Wie ich sagte, ihr alleine entscheidet dies. Aber egal wie ihr euch entscheidet, so hoffe ich Euch bald bei einer erneuten Verhandlung anzutreffen.“

Sie blieben misstrauisch. Doch, als sie sich umdrehten, ihren Anführer stützend und etwas zur Seite gehend, verrieten ihre Gesichter bereits, dass sie sich ein Urteil gemacht hatten. Etwas Abseits blieben sie stehen, während Sanzomon sich zu Sagomon drehte. Er erkannte, wie blass sie geworden war.

„Und nun, Hohepriesterin? , fragte eines der anderen Grizzlymon.

„Wir müssen abwarten. Mein Handeln hat die Aussicht auf einen Kompromiss nur weiter in die Ferne gerückt. Aber es war notwendig. Dann kann es auch damit beginnen, diesen Schmerz zu überwinden.“

„Sind die Meister der Dunkelheit Schuld?“

Es war die naheliegendste Antwort. Dies und die Enttäuschung über die vier Wächter, die ihnen zwar Einhalt geboten, aber nicht besiegen konnten. Die Meister der Dunkelheit sie aber ebenso wenig und dies war viel wert. Aber die vier Souveränen strebten keine Allmacht über die Digiwelt an, oder die Kontrolle, wie mächtige Digimon es zur Zeit der Apartheid wollten. Sie wollen Balance. Sie waren anders. Vielleicht weil, wie sie ja im Puppenland herausgefunden hatten, von Babamon großgezogen wurden. Weil sie Digimon von Menschenkindern waren. Vielleicht brauchte die Digiwelt die Menschen wirklich und das gab Sagomon Hoffnung, wie damals, als er D'arcmon kennengelernt hatte.

„Wir sollten gehen. Momentan können wir nichts tun“, sagte Sagomon, behielt dabei aber seinen erschöpften Meister unter Beobachtung. Die Grizzlymon schlugen noch vor, sie ein Stück zu begleiten und gingen voraus. Sagomon zog seinen Stab aus der Erde und dann, als Sanzomon aus seinem Blickwinkel verschwand, hörte er das Geräusch, wie ihr Körper auf dem Fleck, an dem sie stand zusammenbrach, Steine und Kiesel knarrend und das metallische Geräusch der Krone, die an Sagomon vorbeirollte ehe sie, wie ihre Besitzerin regungslos liegen blieb.

„Meister Sanzomon!“

 
 

 

Als Jüngste und Verspielteste des Quartetts war Cho-Hakkaimon nicht gerade bestrebt darin jemals ein Digimon zu sein, dass eine gewisse Autorität inne trug. Autorität hatte immer mit viel Stress und Arbeit zu tun und das, dass gab sie selbst zu, war nicht ihres. Hatte sie als Rookie schon gewusst. Meister Sanzomon sagte immer zu ihr, dass zum Leben nun mal Pflichten gehörten, wie auch Rechte, aber eines ohne das Andere ginge nicht. Darüber hatte sich Cho-Hakkaimon nie sonderlich Gedanken gemacht, dies änderte sich aber jedoch, als sie kurz davor stand praktisch befördert zu werden. Pflichten. Verantwortung. Ihr wurde mulmig dabei.

„Cho-Hakkaimon, was machst du da?“, fragte Sistermon Noir, die sich vor dem Puppen-Digimon hingekniete, mitten im Innenhof, umgeben von den Mauern des Schlosses. Sistermon Blanc saß etwas weiter fort, die, wie Gokuwmon gespannt zu Cho-Hakkaimon starrte.

„Ich denke nach.“

„Und worüber?“

Sie schwieg und starrte nur zu Boden. Sie wusste nicht einmal über was sie dachte und sich allein nur auf das Denken zu konzentrieren war nicht einfach. Wie schaffte ihr Meister das nur, immer zu denken und nachzudenken, statt sich manchmal einfach gehen zu lassen?

Sanzomon sagte, ihr Verstand hatte keine Ruhe und könne sie nicht denken, wüsste sie gar nichts mit ihrem Kopf anzufangen. Das war für Cho-Hakkaimon zu anstrengend. Sie hatte das schon zu selten getan, auch wenn ihr vorheriger Meister Ophanimon sie dazu aufforderte sich Gedanken über das zu machen, was sie tat.

Den anderen heiligen Tier-Digimon, die von Ophanimon ausgebildet wurden fiel dies auch bei weitem leichter als ihr, weil sie auch Ziele hatten. Und während der Typus-Kriege gab es kein höheres Ziel wie den großen Engel-Digimon zu dienen, die Fähigkeit zur Armor-Digitation zu erhalten und für die Ordnung der Digiwelt einzustehen. Armor-Digitation klang ja ganz cool, aber der Rest...

Sie war eben etwas bequemer, schon immer gewesen. Ihre Artgenossen nannten es schlicht Faulheit und Gedankenlosigkeit. Dies wurde ihr irgendwann zum Verhängnis. Trägheit war nicht unbegründet eine Todsünde. Im Nachhinein blieb Cho-Hakkaimon der Überzeugung, dass alles nicht allein ihre Schuld war. Sie war damals ein Salamon und noch ein Schüler. Sie war noch unerfahren. Und sie wurde eben schnell hungrig und müde und - ein Spruch, den sie sich mal von einem Numemon aufgeschnappte - Nach müde kam blöde. Und die Neugier, eine ihrer eher raren Gefühlsschwankung. Hätte man sie aufgeklärt, wäre das sicher nicht passiert.

Sie hatte diese komischen Digieier gesehen, die keine Digieier waren. Sie hatte doch nicht gewusst, dass dies die Digi-Armor-Eier waren. Sie wollte sie nur einmal berühren. Und dann waren sie plötzlich alle fort und sie war zu Opossumon digitiert. Sie wurde von ihren Mitschülern verpfiffen. Und von Ophanimon verbannt, aber nicht ohne sie vorher zu zwingen auf das Ultra-Level zu digitieren und diese Form anzunehmen, die sie nun besaß, statt zu einem eleganteren Armor-Level oder Engel-Digimon werden, ehe sie auf einen bunten Haufen Schrott, mitten im alten Puppenland wieder zu sich kam.

Sie hielt daran fest, aber Sanzomon versuchte sie weiter zum Nachdenken zu bewegen und erwies dabei mehr Geduld wie Ophanimon. Wirklich richtig nachgedacht hatte sie erst, als Cho-Hakkaimon auf die Swanmon, Butterflymon und andere Armor-Digimon traf. Es waren ihre alten Mitschüler, alle auf der Flucht vor den Meistern der Dunkelheit, nachdem Ophanimon getötet wurde, da sie offenkundig eines jener Digimon war, dass einst an der Spitze der Apartheid stand und Cho-Hakkaimon konnte dies kaum glauben. Über Virus-Typen hatte Ophanimon zwar schlecht gesprochen, aber wenn es um die Apartheid ging wurde sie stets wütend und hing ein Verbot aus davon zu reden. Man ging einfach davon aus, dass sie angewidert von dieser Politik war. Nun, da sie nun die Wahrheit kannten, war Ophanimon vielleicht eher angewidert von ihren eigenen Sünden und ihren Lehrlingen die Flucht zu ermöglichen ihre letzte Buße.

Cho-Hakkaimon dachte darüber nach. Vielleicht war ihre Digitation aufs Ultra-Level eine solche Tat. Vielleicht zwang Ophanimon sie zu dieser Digitation, damit kein anderes Digimon merkte, dass in ihr noch die Kraft eines Digi-Armor-Eis steckte. Die Digi-Armor-Eier und die Symbole, die sie zierten standen in Verbindung mit der Allmacht der Digiwelt. Es war heilige Macht. Natürlich wollten die Meister der Dunkelheit diese ausmerzen. Und jedes Digimon, die diese besaß.

Hey, sie war Schüler von Meister Sanzomon und sicher würde sie sie in ihre Obhut nehmen, sie kümmerten sich um verwaiste Baby-Digimon und waren für jede Unterstützung sehr dankbar, sagte sie daraufhin zu ihren alten Mitschülern und sie zögerten damals nicht eine Sekunde.

„Cho-Hakkaimon?“

„Ich denke nach -“, begann sie, noch etwas in Erinnerungen schwelgend, ehe sie das Gespräch mit Sistsermon Noir fortsetzte, „- weil ich hoffe, dann einen Geistesblitz zu kriegen, der mir beim Denken hilft.“

„Müsstest du dafür nicht einmal wissen, worüber du denken willst?“

„Das kommt noch.“

Sistermon Noir zog fragend eine Augenbraue hoch und stand wieder auf.

„Hast du das verstanden, Gokuwmon?“

„Kein einziges Wort“, sagte er trocken und rührte sich nicht, da Viximon, Yaamon (das vor zwei Wochen noch Kiimon war) und Kyaromon (vor kurzem noch Puffmon) wild um ihn herum rannten und Fangen spielten. SnowBotamon saß auf dem Schoß von Sistermon Blanc und lallte, da auch das Pfeifen wenig Befürworter und Zuhörer fand.

„Du schaust dir zu viel von Meister Sanzomon ab. So viel Denken passt nicht zu dir“, bemerkte Gokuwmon und versuchte weiter die drei Digimon, die um ihn herum rannten zu ignorieren.

„Aber Meister Sanzomon macht dies auch. Wenn ich verstehe wie Meister Sanzomon denkt, vielleicht versteh ich dann auch, wie sie es dann gleichzeitig schafft, dass alles hier geregelt und ruhig läuft.“

„Weil Meister Sanzomon Meister Sanzomon ist und du eben du.“

„Aber da gibt's doch sicher 'nen Trick oder so.“

Immerhin hatte ihr Meister diese gruslige Fledermaus auch handzahm bekommen. Eigentlich fand sie die beiden ja süß, aber nachdem was Sagomon ihr und Gokuwmon an dem Morgen erzählt hatte, was da am letzten Abend war und ihnen auffiel, dass mit Myotismon irgendwas nicht stimmte wurde auch sie stutzig. Sanzomon gegenüber verhielt er sich wie immer. Er verbrachte öfter Zeit mit ihr und half ihr seit kurzem auch beim Übersetzten (Sanzomon hatte versichert, dass sie darauf achtete, was sie ihm für Bücher gab), was Cho-Hakkaimon ihrem Meister eigentlich gönnte. Wären da nicht Myotismons Blicke. Wie er sie ansah. Und wie er vor allem Cho-Hakkaimon, oder auch Gokuwmon und Sagomon ansah, wenn sie mit ihrem Meister plauschten oder lachten, als fürchtete er, die drei wollten ihm Sanzomon ausspannen.

Vielleicht bildeten sie es sich auch nur ein. Myotismon war nie ein Digimon, dass aus dem Nähkästchen plauderte oder Schwäche preisgab. Er war vielleicht gestresst und eben froh, wenn er dann in Ruhe etwas Zeit mit Sanzomon verbringen konnte.

Sie übertrieben vielleicht. Cho-Hakkaimon hoffte es.

„Ich will doch Phantomon zeigen, dass ich durchaus zu Autorität und Gewissenhaftigkeit fähig und damit ein gutes Beispiel für meine baldigen Schüler bin.“

„Was für einen Narren hast du eigentlich an Phantomon gefressen?“

„Ich mag ihn. Er kann so schön schreien, wenn er wütend wird.“

Sistermon Noir verzog fast angeekelt das Gesicht und sah hilfesuchend zu ihrer Schwester und Gokuwmon. Beide zuckten mit den Schultern. Viximon, Yaamon und Kyaromon waren stehengeblieben um der Unterhaltung besser folgen zu können, jedoch wurde ihnen schnell klar, dass sie nicht viel davon verstanden. Viximon jedoch spitze die Ohren, sprang auf Gokuwmons Kopf und blickte in die Weite.

„Was hast du, Viximon?“

„Da kommt ein Digimon angerannt“, sagte es mit weiter hochgestellten Ohren. Yaamon und Kyaromon sprangen auf Gokuwmons Schulter, während dieser sich aufstand um wie sie auch besser sehen zu können, was da auf sie zukam. Zuerst sahen sie nur das weiß-blau gezeichnete Fell und das Geweih und erkannten ein Moosemon. Dass Sagomon auf ihm saß bemerkten sie im Anschluss. Sie hörten Sagomon nach ihnen rufen und er klang aufgeregt, selbst noch als er mit dem Moosemon und Sanzomon, die mit ihm auf den Digimon saß durch das offene Tor in den Vorhof hinein geritten kam.

„Gokuwmon! Cho-Hakkaimon, kommt schnell, mit Meister Sanzomon stimmt etwas nicht!“

Sagomon hatte dies nicht einmal komplett ausgesprochen, da war Gokuwmon schon über die Mauererhöhung drüber und hinuntergesprungen. Viximon, Yaamon und Kyaromon hatten sich an ihm festgehalten, um ganz nah am Geschehen zu sein, während Cho-Hakkaimon mit den beiden Sistermon nur die Mauer hinunter schaute, gerade um zu beobachten, wie Gokuwmon Sanzomon vom Rücken des Moosemon nahm. Sie war blass und nicht bei Bewusstsein.

„Sanzomon, komm zu dir!“

„Sag doch was, Sanzomon“, winselten Viximon und Kyaromon.

„Gokuwmon, Sagomon, was hat sie denn?“, fragte Yaamon, nicht ganz so weinerlich, aber genauso deutlich in Sorge.

„Ich weiß nicht, was sie hat. Ihr ging es aber schon den ganzen Tag schlecht.“

„Und dann lässt du sie noch zu dieser Verhandlung?“, sagte Gokuwmon zornig zu Sagomon.

„Als ob Meister Sanzomon sich hätte abbringen lassen. Ich habe sie doch auch gebeten, sich zu schonen!“

„Acht Wunder...“

Sanzomon war wieder etwas zu sich gekommen, gerade als auch Cho-Hakkaimon mit den Sistermon unter jedem Arm hinuntergesprungen kam. Ganz bei sich schien ihr Meister jedoch nicht zu sein. Ihr Blick war leer und ihr Kopf bewegte sich unruhig hin und her.

„Meister?“, fragte Sagomon vorsichtig, er kam von Moosemon runter und kniete neben Gokuwmon. „Meister, was sagt Ihr?“

„Ich habe es geschafft. Die Acht... acht Wunder sind vollständig“, murmelte Sanzomon weiter und wenn auch geistig etwas abwesend, funkelten ihre Augen. Wenn auch Moosemon, dass sich bereiterklärt hatte sie schnell wieder zum Schloss zu bringen, noch die Sistermon etwas verstanden, fügten sich Sanzomons wirr erscheinenden Worte in Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon zu einem Ganzen.

„I-Ihr habt es geschafft? Warum habt Ihr das nicht eher gesagt?“, sagte Cho-Hakkaimon aufgeregt.

„Und dann? Hätten wir eine große Feier organisieren sollen?“, scherzte Sanzomon schwach.

„Ihr habt Euch schließlich so viel Mühe gegeben und so viel Kraft verbraucht, da wäre das das Mindeste gewesen!“

„Wir sind doch stolz auf Euch, Meister“, sagte Gokuwmon, so ungewohnt zärtlich. Man sah in Sanzomons halbverhüllten Gesicht den Ansatz eines Lächelns, dann fielen ihre Augen zu. Sie war wieder bewusstlos.

„Ähm, Cho-Hakkaimon“, sagte Sistermon Blanc zögerlich und tippte ebenso schüchtern ihr auf die Schulter. Mit Sistermon Noir drehten sie den Kopf zu Sistermon Blanc, die nichts sagte, sondern nur mit dem Finger hoch zum Himmel deutete, wo die Nebelwand über ihnen schwebte. Statt Grau sah Cho-Hakkaimon jedoch erst nur das Blau, das dadurch, dass sich der Sonnenuntergang bereits nährte einen leichten Rot-Verlauf besaß. Der Anblick war rar und die Farben so satt, dass Cho-Hakkaimon, aber auch Gokuwmon und Sagomon erst einige Sekunden brauchten bis sie begriffen, dass dieser Anblick ihnen eigentlich verwehrt sein sollte.

Sanzomon hatte zu viel Kräfte verbraucht, mehr wie sonst, als sie am letzten Abend das ebenso letzte Wappen erschuf. Nicht nur, dass sie es kaum selbst in ihr Zimmer geschafft hatte, auch schien sie keinen erholsamen Schlaf gehabt zu haben. Nach ihrem Erwachen hatte Sanzomon einen weit müderen Eindruck hinterlassen und hätte Sirenmon nicht in ihrer Besorgnis noch nach ihr geschaut, ehe sie aufgebrochen war, würde Sanzomon noch bis zum späten Abend im kalten Wasser sitzen und meditieren.

Um Kraft zu sparen zog am Morgen Sanzomon und am Abend Myotismon ihre Kreise unter dem Himmel, um die Nebelwand damit erneut aufzubauen. Vergessen wird sie es nicht haben, hundertprozentig nicht, eher ihren eigenen Namen als das, schließlich war die Nebelwand lebenswichtig. Sie wird keine Kraft mehr gehabt haben, vielleicht zwischendrin, während sie ihren Kontrollzug über die Bergkette machte versucht haben ihren Zauber wirken zu lassen, scheiterte aber. Denn nun bildeten sich die ersten Lücken in der Nebelwand.

„Verdammt, verdammt! Cho-Hakkaimon, hol die Fledermaus aus dem Bett!“

„Sofort!“, antwortete Cho-Hakkaimon, ohne nachzudenken was das bedeutete, Sistermon Blanc und Sistermon Noir liefen ihr nach, während Gokuwmon mit Sagomon Sanzomon in ihr Zimmer brachten. Hätte Cho-Hakkaimon darüber nachgedacht, hätte sie gemault und versucht sich rauszureden. Schließlich hatte sie vor Myotismon Respekt.

Aber weil es um ihren Meister ging und sie eben nicht nachdachte, rannte sie in einem fast rekordverdächtigen Tempo ins Schloss hinein, blieb schließlich vor der Tür zu Myotismons Gemach stehen und - weil Cho-Hakkaimon eben nicht nachdachte, sonst wüsste sie, dass dieses gruslige Digimon sie dafür vermutlich versuchen würde umzubringen – hämmerte sie mit aller Kraft gegen die dunkle Holztür.

„Hey, aufwachen! Wir haben 'nen Notfall!“, brüllte Cho-Hakkaimon gegen die Tür. Da keine Antwort kam und Cho-Hakkaimon, immer noch in Rage, die keinen vernünftigen Gedanken zuließ (was man eigentlich nur zu sehen bekam, wenn der Heißhunger sie packte) knallte sie die Tür mit einem Schlag auf und trat ein. Sie war überrascht, dass es Licht gab, wenn auch von einer einzelnen Kerze, da es in dem Raum sonst immer stockdunkel war. Ebenso überraschend war zu sehen, dass Myotismon bereits wach und in einer Ecke saß, mit einem Buch auf dem Schoß und Papier und Feder in der Hand. Einzig vertraut und gewöhnlich waren die Fledermäuse an der Decke.

„Es ist unhöflich ungefragt in die Zimmer anderer reinzuspazieren. Eurer ehrfürchtigen Hohepriesterin würde ich es verzeihen, aber ihr habt nicht ihre Privilegien.“

„Quatscht nicht und kommt mit! Das ist ernst!“ keifte Cho-Hakkaimon und versuchte Myotismon zum Aufstehen zu bringen, indem sie ihm am Ärmel zog. Er blieb sitzen und langsam beruhigte sich Cho-Hakkaimon wieder, sie konnte denken und ihr erster Gedanken war der, wie es sein konnte, dass so ein schlaksiges Digimon so schwer war.

Verächtlich schlug Myotismon ihre Hand weg und klopfte sich über den Ärmel.

„Dürfte ich wenigstens den Grund für diesen unerwünschten Besuch erfahren?“

„Meister Sanzomon geht es schlecht!“, brach sie als erstes heraus. Zwar hatte Cho-Hakkaimon sehr hastig geantwortet, dennoch hatte sie überlegt, was sie ihm sagen sollte. Schließlich durfte sie nicht sagen warum. Und tatsächlich schien Myotismon, auch wenn seine hochgezogene Augenbraue unter der Maske ausdrückte, dass ihm das noch immer zu wenig Informationen waren, einen aufmerksamen Eindruck zu machen. Nicht in Sorge, er blieb ruhig, aber er hatte reagiert.

„Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht wirklich. Ich weiß nur, dass sie bei den Moosemon und Grizzlymon war, um die Differenzen zu klären. Sie ist zusammengebrochen. Scheinbar ging es ihr schon eine ganze Weile nicht gut, sie hatte keine Kraft die Nebelwand wieder neu zu errichten. Und jetzt haben wir die ersten Lücken.“

„Und Sanzomon? Wo ist sie?“, fragte er, für Cho-Hakkaimon schon fast zu ruhig und gefasst.

„Gokuwmon und Sagomon wollten sie auf ihr Zimmer bringen. Und ich will nicht noch unhöflicher sein, aber können wir uns erst einmal um die Nebelwand kümmern? Bi-tte?“

„Nun, wenn dem so ist“, schnaufte Myotismon und legte Papier und das Buch, dass er in der Hand hielt beiseite - kein Titel, aber Cho-Hakkaimon sah, anhand der Musterung des Einbands, dass es eins von den Büchern war, die Sanzomon geschrieben hatte – und erleichtert drehte sie ihm dem Rücken zu. Cho-Hakkaimon riss überrascht die Augen auf, als sie Phantomon im Schatten der anderen Seite des Raumes schweben sah. Mit ihm eine nicht gerade geringe Anzahl von Bakemon und Soulmon, die noch tiefer in der Schwärze standen.

Es reichte nicht einmal für einen Satz, geschweige denn für ein Wort. Cho-Hakkaimon hatte kaum nach Luft geholt um etwas zu sagen, da erstarrte ihr Körper unter der Gewalt, die Myotismon nutzte um sie zu packen und ihren Kopf nach unten zu drücken. Sistermon Blanc und Sistermon Noir stürmten gerade dann in den Raum um zu sehen, wie Myotismon Cho-Hakkaimon in den Nacken biss.

„Ch-Ch-Cho-Hakkaimon!“, schrie Sistermon Blanc, vor Entsetzen zu keiner Reaktion fähig. Sistermon Noir versuchte mit ihrer gezückten Pistole auf Myotismon zu schießen, jedoch schlug Phantomon sie ihr aus der Hand. Die beiden Schwestern wurden von seiner Kette umwickelt bis zum Hals, so fest und stramm, dass sie fast keine Luft mehr bekamen.

„Sister-“, ächzte Cho-Hakkaimon, sie schrie auf. Myotismon zerquetschte sie regelrecht. Er hatte mit aller Kraft ihre Maske hochgezogen und in der Gier durch den Stoff ihrer Kleidung gebissen. Ihr Anzug war selbst dunkel, man sah das Blut, dass ihren Hals entlanglief nicht, aber den Glanz der Nässe, die der Stoff einzog.

„Trotz dass du ein Ultra-Level bist, schmecken deine Daten so milchig wie das eines Rookie. Widerlich.“

Myotismon ließ von ihr ab und warf Cho-Hakkaimon auf den Boden. Sie blieb ächzend liegen, die beiden Sistermon riefen nach ihr, doch es blieb größtenteils bei unverständlichen Lauten. Phantomon zog seine Kette enger.

„Bringt sie weg. Stellt sie ruhig wenn es sein muss. Ich will keine Störungen, solange ich mich um Sanzomon kümmere.“

Die Bakemon und Soulmon nickten stumm. Phantomon schloss sich dem erst an, nachdem er die Sistermon losließ und sie Luft schnappend in sich zusammenfielen. Achtlos lief Myotismon an ihnen vorbei und würdigte sie, genauso wie Cho-Hakkaimon keines Blickes, während er zur Tür lief.

„Du elender Dreckskerl!“, schrie Cho-Hakkaimon ihm nach, noch mit dem Schmerz ringend. Irgendwas in ihrem Inneren war gebrochen, oder zumindest angeknackst. Er hatte sie regelrecht zerquetscht.

Myotismon blieb im Türrahmen stehen, drehte langsam den Kopf und sah über die Schultern zu ihr.

„Du verdammter Dreckskerl hast uns belogen, die ganze Zeit!“

„Behaupte nichts, wovon du keine Ahnung hast! Du beschmutzt meine Ehre. Ich habe nicht ein einziges Mal gelogen. Ich habe nur darauf geachtet, was ich sage. Es ist nicht mein Problem, wenn ihr alle so leichtgläubig seid, wie eure Schlossherrin.“

Er begann zu lachen. Leise, tief. Kalt, dass Cho-Hakkaimon ein Schauer über die angeknackste Rippe lief. Sagomon hatte Recht gehabt, als er am Morgen zu ihr sagte, dass mit Myotismon etwas ganz und gar nicht stimmte. Wenn Sanzomon davon erfuhr, dann -

„Phantomon, schaff die drei weg. Ich knöpfe mir noch die beiden anderen vor. Dann ist diese Volksverräterin dran.“

„Ihr habt Meister Sanzomon also die ganze Zeit nur etwas vorgemacht?“, schrie Cho-Hakkaimon weiter, ignorierte dabei, dass Myotismon ihr genauso wenig Beachtung schenkte. Oder es versuchte. Ihr Geschrei nervte ihn, deswegen dachte Cho-Hakkaimon auch nicht daran ihren Geräuschpegel zu senken.

„Ich wüsste nicht, was dich das anginge.“

„Bedeutet Meister Sanzomon Euch etwa gar nichts?“

Sie bekam keine Antwort. Er schwieg. Hätte Cho-Hakkaimon gekonnt, hätte sie enttäuscht den Kopf geschüttelt, vollkommen unverständlich wie gerade er das Offensichtlichste nicht sehen konnte.

Schweigend verließ Myotismon den Raum, einige Bakemon folgten ihm, ehe sich die Tür schloss.

„Das habt ihr ganz toll gemacht“, sagte Phantomon sarkastisch. „Hast du Regel Nummer Eins und Zwei schon vergessen?“

„Warum Phantomon?“, keuchte Sistermon Noir sichtlich traurig. „Ich dachte, ihr lebt gerne hier mit uns.“

„Wir dachten, ihr mögt uns“, sagte Sistermon Blanc ebenso traurig, richtete sich dabei aber an die paar Bakemon und Soulmon, die noch geblieben waren. Sie wagten nicht zu antworten. Vermutlich hielten sie sich selbst für zu untergeordnet, um einer eigenen Meinung kund zu machen. Sie waren nur Soldaten, so überließen sie es in Phantomons Verantwortung.

„Wir sind untote Digimon. Habt ihr wirklich geglaubt, dies birgt kein Risiko? Dann seid ihr mehr als naiv.“

„Und das soll eure Rechtfertigung sein, weil das euer Typus und eure Rasse ist?“, schimpfte Cho-Hakkaimon, während sie versuchte aufzustehen, aber es gelang ihr nicht. „Das ist dummes Apartheid-Geschwätz.“

„Darum geht es nicht! Meister Myotismon lehnt die Apartheid genauso ab wie ihr oder wir. Wir sehnen uns einfach nach Gleichheit mit den Lebenden, während diese sich einen Dreck um uns Untote scheren. Aber die Toten werden nicht lebendig, also bleibt nur der umgekehrte Weg. Und was immer Meister Myotismons Motivation ist, er hat die gleichen Vorstellungen wie wir. Er ist unser König, das Einzige, zu dem Digimon wie wir stets zurückkehren können.“

Die ungewohnte Emotionalität in Phantomons Stimme hatte Cho-Hakkaimon, wie auch die beiden Sistermon verstummen lassen. Da der Tod selbst für Digimon mehr oder weniger unbedeutend war (schließlich waren sie der Fähigkeit mächtig wiedergeboren zu werden), schenkte man in der Regel wenig Gedanken an jene, die in einem widersprüchlichen Zwischenstadium festsaßen. Nicht jedes Bakemon digitierte wie gewohnt aus einem entsprechenden Rookie, sondern war der letzte Rest eines Digimon, dass nicht sterben wollte. Viele der Bakemon und Soulmon, die mit Myotismon herkamen wussten nicht einmal, was für ein Digimon sie zuvor waren und verharrten schon Ewigkeiten auf diesem Level. Sie waren nicht mehr wie Datenreste, größtenteils beschädigt – vermutlich wirkten sie deswegen auch etwas debil - und wussten mit sich nichts anzufangen. Wussten nicht wohin. Außenseiter eben.

Sie waren sich alle so entsetzlich ähnlich. Warum also das?

Von Trauer geplagt und eingenommen, merkte Cho-Hakkaimon erst nicht, dass Phantomon sich nährte. Die Spitze seiner Sense harkte sich in Cho-Hakkaimons Anzug, genau an der Stelle, wo er gerissen war, als Myotismon sie gebissen hatte. Leicht zog Phantomon daran und holte etwas, vermutlich dünnes Plastik unter dem Stoff hervor. An diesem kleinen Beutel sah man zwei tiefe Löcher und die Reste von Blut, dann löste es sich das ganze Konstrukt, dass Cho-Hakkaimon um ihren Hals getragen hatte in Datenpartikel auf.

„Netter Trick übrigens. Wie seid ihr überhaupt an so etwas gekommen?“

„Verpetzt du uns jetzt?“, keifte Cho-Hakkaimon und klang, als würde sie fast weinen. Phantomon blickte lange auf sie herab, wechselte kurz zu den Sistermon, die von einen Bakemon und einem Soulmon festgehalten und auf die Beine gezogen wurden. Auch sie schauten traurig und enttäuscht drein, wenn sie auch nicht so nah den Tränen waren wie Cho-Hakkaimon, die ihn zwar nervte und ihn in Schwierigkeiten brachte, aber durch ihre zu verspielte Art nur ein wenig Beachtung und sich beweisen wollte.

„Ach, besser nicht“, seufzte Phantomon gelassen. „Das würde ihn nur unnötig erzürnen. Ich halte mich schließlich immer treu an Regel Nummer Eins. Kommt, wir gehen.“

Die Bakemon ließen ohne zu zögern oder irgendetwas zu hinterfragen die Sistermon auf die Knie sinken. Ein Soulmon griff zwar nach Cho-Hakkaimon und rückte sie mit den beiden Sistermon zusammen, damit Phantomon sie mit seiner Kette fesseln konnte. Sistermon Blancs Stab und die Pistole von Sistermon Noir lagen auf dem Boden, aber nicht weit weg und keines der Geist-Digimon dachte daran, sie mitzunehmen oder sie zu zerstören.

„Phantomon?“, rief Cho-Hakkaimon ihm nach, wenn es auch mehr ein Flüstern gewesen war. Nicht nur sie, auch die beiden Sistermon sahen wehleidig zu Phantomon, mit Unverständnis in der Mine. Er antwortete erst, als sämtliche anderen Geist-Digimon den Raum verlassen hatten.

„Der Meister will von euch nichts, nicht mal eure Vernichtung, weil sie das nicht will. Noch könnt ihr abhauen. Er will nur Sanzomon. Und dann kann alles seinen gewohnten Gang nehmen und ihr könnt in eurer dummen Traumwelt weiterleben.“

Dann ging die Tür zu und es wurde dunkel. Man hörte, wie Phantomon von außen abschloss.

 
 

 

„Ganz vorsichtig, ja?“

„Bitte, bitte, Gokuwmon, pass auf!“

„Ist gut jetzt! Sie ist ja nicht aus Glas!“, maulte Gokuwmon genervt, dann legte er Sanzomon auf ihrem Bett ab. Sie war immer noch nicht zu Bewusstsein gekommen, aber murmelte unverständliche Laute vor sich hin. Sie träumte. Das war immer gut.

Die Nachricht, dass es Sanzomon schlecht ging hatten bereits alle Baby- und Ausbildungs-Digimon mitbekommen. Alle vierundzwanzig Mündel waren Gokuwmon gefolgt und befanden sich mit im Raum. Als Gokuwmon sie ablegte, sprangen alle Baby- und Ausbildungs-Digimon mit zu Sanzomon aufs Bett.

„Sanzomon, wach auf.“

„Sanzomon...“, weinten einige der Baby-Digimon, die schon sprechen konnten.

„Gokuwmon, was hat Sanzomon denn?“, weinte Yaamon, doch das große Affen-Digimon zuckte mit der Schulter.

„Ich weiß es nicht. Sie hat vielleicht wieder zu viel gearbeitet. Sie muss sich ausruhen.“

Gokuwmon beobachtete, wie die jungen Digimon sich an Sanzomon schmiegten. Die beiden Pinamon legten sich an ihren Kopf, KyoKyomon um ihren Hals wie ein Schal und wurde dabei von Sanzomons eigenem verdeckt. Viximon schmiegte ihren Kopf in Sanzomons Hand, Moonmon kuschelte sich mit Sunmon in die Armbeuge.

Nachdenklich sah Gokuwmon seinem Meister beim schlafen zu und je länger er sie musterte, um so mehr wirkte es auf ihn, dass sie zufrieden aussah. Sollte sie auch. Sie hatte es geschafft. Sie hatte diese vermaledeiten Wappen endlich fertig bekommen, nach all der Zeit. Nun hieß es nur noch abwarten, bis die Digimon dazu schlüpften. Auf einem Schlag acht Baby-Digimon zusätzlich zu versorgen wird sicherlich eine kleine Herausforderung, aber Gokuwmon war ebenso überzeugt, dass es spaßig werden könnte.

Er musste Sanzomon noch richtig gratulieren für ihren Erfolg. Am besten doch eine Party, irgendwas, was ihr gerecht werden würde (auch wenn sie es vermutlich ablehnen würde).

Gokuwmon drehte sich um, da er eigentlich Sagomon etwas fragen wollte, doch die Frage hatte er in dem Moment vergessen, als er sah, dass sein Mitschüler nicht anwesend war. War er nicht hinter ihm gewesen?

Und wo war Cho-Hakkaimon? Gokuwmon warf einen Blick aus dem Fenster. Die Nebelwand zeigte weitere, lichte Stellen. Brauchte sie denn wirklich so lange, um Myotismon aus dem Bett – Nein, aus dem Sarg - zu holen? Nun, wenn, wäre es auch nicht wunderlich gewesen, der schlief ja auch stets wie ein Toter.

„Gokuwmon, kannst du nicht was machen?“, wimmerte Budmon zwischen den drei Choromon.

„Man kann nichts machen. Sanzomon braucht 'ne Mütze Schlaf und Ruhe“, erklärte er sanft, wenn seine Stimme dafür auch viel zu rau war. „Sie arbeitet immer zu viel. Ihr kennt sie doch.“

„Aber Sanzomon tut die ganze Arbeit nicht gut.“

„Wir hätten nochmal zu Myotismon gehen sollen, dann hätte sie vielleicht mehr geschlafen“, jammerten die beiden Pagumon.

„Ihr seid bei ihm gewesen?“, fragte Gokuwmon verblüfft, die Digimon zuckten zusammen.

„Ja... Sanzomon ging es gestern schon ganz schlecht“, erzählte Kokomon. „Sie hat uns etwas vorgelesen, aber sie konnte sich gar nicht auf den Text konzentrieren.“

„Und als sie uns ins Bett gebracht hat -“, Paomon schniefte einmal, „- sind wir nochmal rausgeschlichen und haben Myotismon das erzählt.“

„Wir wollten nur, dass sie sich hinlegt und nicht noch so lange arbeitet“, sagte Puroromon. „War das falsch, Gokuwmon?“

„Nein. Das war lieb von euch“, antwortete er und versuchte mit einem schiefen Lächeln die Kleinen aufzubauen. „Und wenn ihr noch etwas für Sanzomon tun wollt, haltet sie warm. Wärme tut ihr sicher auch gut.“

„Oh ja, das tun wir!“, riefen die Digimon und jedes schmiegte sich näher an Sanzomon heran und sie schien zu merken, dass jemand, sogar ziemlich viele jemande bei ihr waren. Sanzomon seufzte erleichtert im Schlaf.

Wieder warf Gokuwmon einen Blick nach draußen. Nichts hatte sich getan. Keine Spur von Cho-Hakkaimon oder Myotismon. Auch wo Sagomon war blieb weiterhin ein Rätsel.

„Kinder“, fing Gokuwmon an. Die Digimon hoben, wenn vorhanden die Ohren.

„Passt gut auf Sanzomon auf, habt ihr gehört? Ich komm wieder. Ich muss Sagomon und Cho-Hakkaimon helfen.“

„Jawohl, Gokuwmon“, sagte sie alle, wenn auch etwas träger. Gokuwmon sah sich diesen Anblick noch einmal genauer an und obwohl dieses Bild in ihm Glücksgefühle weckte, war ihm gleichzeitig mulmig in der Magengegend. Er ließ sie ungern allein.

Auf dem Gang sah Gokuwmon einmal nach rechts und links, ging schließlich nach links, von dort war er schließlich gekommen. Von Sagomon nichts zu hören oder zu sehen. Jedoch als er sich gerade fragte, was das sollte und Gokuwmon sich am Kopf kratzte, sah er in einem schattigen Winkel etwas. Er hatte keinen Schimmer was es war, aber da war definitiv etwas gewesen. Er schlich die Wand entlang, bis er an der Stelle ankam,wo sich der Weg wieder teilte und vor Schreck zog Gokuwmon Luft ein, hielt sich aber rechtzeitig die Hand vor den Mund, ehe er schreien konnte.

Da war Phantomon gewesen und er hatte Sagomon bei sich. Bewusstlos neben ihm her schwebend.

„Das – das kann doch nicht“, stotterte Gokuwmon entsetzt, während Phantomon mit Sagomon zu den Treppen verschwand, die ganz hinunter führte, in die Kellergewölbe, wenn es auch mehr was von einem Burgverlies hatte. Gokuwmon kam nicht mehr dazu ihm nachzugehen. Kaum dass er einen Schritt nach vorne wagte bekam er einen heftigen Schlag auf den Kopf, der ihn, wenn er ihn nicht eh das Bewusstsein raubte von den Füßen riss. Was er noch mitbekam war dieser kalte, erdige Geruch, der auch manchmal an Sanzomon haftete. Und wie jemand versuchte, ihm in den Hals zu beißen.

 
 

𝅗𝅥

 

„Jetzt sag, Digitamamon. Was bereitet dir Kummer?“

„Ich habe keinen Kummer. Ich freue mich nur, dich mal wieder zu sehen und auch Zeit zu haben mit dir zu plaudern.“, sagte Digitamamon ganz freundlich, aber Sirenmon glaubte kein Wort.

„Das ist ja was ganz neues. Du hast doch nie Zeit. Du sagst immer Zeit ist Geld und Geld hast du nicht genug“, schlussfolgerte Sirenmon weiter. Es gab nicht viele Digimon, die Digitamamons Ansatz von Freundlichkeit erlebten, geschweige denn genießen durften. Sirenmon gehörte zu dieser Minderheit, aber dennoch war es merkwürdig.

Sie wollte die Lieferung holen und dabei hatte Digitamamon ihr seine Pläne für ein Restaurant gezeigt. Er hatte verschiedene Entwürfe. Er würde mit etwas kleinem anfangen, vielleicht auch erst etwas mieten, bis er genug zusammengespart hätte, um ein eigenes Restaurant zu bauen. Das hatte Sirenmon noch nicht gewundert, dass war schließlich schon immer Digitamamons Traum gewesen, als er seine Lehre begann. Dass er jedoch Sirenmon bat, zum Essen zu bleiben, ohne dass sie etwas zahlen musste war verdächtig.

„Na ja, unser letztes Zusammentreffen war auf ShogunGekomons großer Feier und dass lief ja nicht so gut.“

„Bitte. Ich möchte daran nicht denken“, seufzte sie beschämt. Nicht weil ihr das alles peinlich war – sollte dieser aufgeblasene Frosch doch schlafen -, sondern weil Sanzomon sich als ihre Chefin als mitverantwortlich sah. Dabei wollte sie ihr keinen Ärger machen.

Sirenmon schob ihren Sake beiseite. Sie trank hin und wieder gerne, aber die Zeit hatte die Lust darauf ausgemerzt. Das und Digitamamons komisches Verhalten. Digitamamons kleine Hütte im Protokollwald, ganz in der Nähe des Sees, der die Region von Grey Mountain von der Kaktuswüste trennte war schwach ausgeleuchtet und trotzdem glaubte Sirenmon deutlich sehen zu können, dass Digitamamon schwitzte wie ein Ei im kochenden Wasser.

„Ich würde jetzt auch gerne gehen. Es wird schon dunkel und ich möchte mit dem Kram heute noch nach Hause kommen.“

„Genau. Es ist schon fast dunkel, dass ist doch viel zu gefährlich für dich. Ganoven und Diebe sind immer häufiger unterwegs.“

„Nein. Ich möchte gehen. Sanzomon und die anderen machen sich sicher Sorgen, wenn ich nicht nach Hause komme.“

„Das geht nicht.“

„Wieso nicht?“, paffte Sirenmon. Sie war von ihrem Hocker gesprungen und Digitamamon erhob sich aus seinem Stuhl. Sirenmon stierte ihn böse und ungeduldig an, doch bekam keine Antwort von ihrem Gegenüber. Zitterte er?

„Wieso darf ich nicht gehen?“

„Du -“, begann Digitamamon und überlegte. Er hatte keinen Grund.

„Du hast getrunken.“

„Einen winzig kleinen Schluck!“

„Du kannst nicht fliegen, wenn du getrunken hast.“

„Ich mache in mein Frühstück mehr Alkohol, als ich eben getrunken habe!“

„Hier machen Digimon Alkoholkontrollen, die Unfallrate hat hier schrecklich zu genommen.“

„Sag mal, hältst du mich für bescheuert?“, schrie Sirenmon zurück und tatsächlich duckte sich Digitamamon etwas. Er hatte in ihrer Ausbildung schließlich oft genug erlebt, wie aufbrausend Sirenmon sein konnte und nicht selten hatten sie sich vor dem flammenden Herd gestritten. Aber gerade weil sie streiten konnten verstanden sie sich ja und weil Sirenmon auch gerade das wieder einfiel, schnaufte sie nur.

„Sag mir auf der Stelle was das soll.“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Du weißt das sehr gut! Warum soll ich bleiben? Nenn mir einen Grund, oder ich gehe durch diese Tür und komme nie wieder!“

Zum ersten Mal sah Sirenmon etwas in ihren alten Freund, was sie bisher nie erlebt hatte. Er zitterte und glaubte in seinen Augen lesen zu können, dass er sich am liebsten in seiner Eierschale verkriechen wollte.

Schließlich und letztendlich platzte es aus Digitamamon heraus.

„Die Truppen der Meister der Dunkelheit sind auf den Weg zu deinem Meister!“

„Was?!“, brüllte Sirenmon ihn an. „Das ist nicht wahr! Ha-hast du es ihnen etwa verraten? Wie konntest du?“

„S-Sie haben gesehen, wie zwei Bakemon Essen für euch geholt haben und dass ein Sirenmon daran Schuld sei, dass ShogunGekomon nun schläft“, begann er reumütig zu erzählen. „Sie wollten wissen, ob ich dieses Sirenmon kenne. Sie sagten, dieses Sirenmon hätte sich mit Machinedramon angelegt und würde zum Widerstand gehören, genauso wie die Bakemon. Sie sagten, sie töten mich, wenn ich nicht rede.“

Sirenmon war erstarrt. Nicht nur wegen Digitamamons Verrat. Widerstand. Sie wusste, Sanzomon hatte Probleme mit den Meister der Dunkelheit, dachte aber das bezog sich allein auf ihre Schriften. Aber der Widerstand? Sanzomon? Hieße das nicht, sie gehörte zu diesen ominösen Souveränen?

„Was hast du ihnen gesagt? Antworte!“

„Dass du für ein Sanzomon arbeitest und neben den Bakemon noch ein Gokuwmon und ein Sagomon für sie arbeiten, und das ihr irgendwo hinter dem Ewigen Wald lebt.“

„Du... Du hast -“, knurrte Sirenmon, aber vor Wut hatte es ihr die Sprache verschlagen. Am liebsten hätte sie Digitamamon angegriffen, ließ ihn jedoch stehen und rannte aus er kleinen Holzhütte um aufzubrechen. Sie war schon auf Höhe der Baumkronen, noch der Schatten, der sich für gewöhnlich in Digitamamons Eierschale verkroch, hielt sie fest umklammert.

„Sei nicht dumm. Die Truppen der Meister der Dunkelheit wollen euer Versteck aufsuchen. Wenn das alles stimmt, töten sie dich!“

„Ich muss zurück!“, schrie Sirenmon zurück und versuchte sich zu befreien. „Wenn die Truppen kommen werden sie jede Hilfe brauchen! Wir haben Baby-Digimon bei uns, die sich nicht wehren können!“

„Die sollen selbst zusehen, wie sie klar kommen. Wenn sie wirklich Rebellen sind, haben sie gewusst, was ihnen irgendwann blüht.“

„Widerstand oder nicht, ich muss zu ihnen!“

Sirenmon schaffte es, einen Flügel zu befreien und flatterte wild umher. Doch es reichte nicht, sich loszureißen. Digitamamon hielt sie weiter fest und zog sie zurück.

„Ob sie davon kommen oder nicht kann dir egal sein. Sie haben dich da reingezogen ohne dein Wissen und ich lasse dich nicht ins offene Messer laufen.“

„Wie kannst du nur so etwas sagen?“

„Weil's stimmt. Du bist nur ihre Köchin und sie bezahlen dich nicht einmal. Was willst du bei denen?“

„Du kapierst gar nichts!“

Sirenmon bekam nicht nur ihren zweiten Flügel frei, sondern konnte den Klammergriff entkommen, auch als Digitamamon noch mal versuchte sie einzufangen.

„Ich koche gerne für diese Digimon. Ja, sie bezahlen mich nicht, aber er erfüllt mich mit Freude zu sehen, wie sie nach einem langen Arbeitstag an den Tisch kommen und auf mein Essen warten und mit Stolz, jungen Digimon, die fast verhungert wären so helfen zu können. Diese Digimon sind meine Familie!“

„Du redest schon den selben Mist wie dieses Sanzomon in ihren Büchern!“

„Mist sagst du?!“

Sirenmon raste zu ihm hinunter und blieb direkt vor Digitamamon stehen. Beide sahen sich einander direkt in die Augen. Tränen waren Sirenmon vor Zorn hochgekommen und wer weiß, was sie gerne getan hätte. Vielleicht wirklich angegriffen.

Sie hörten Schritte. Stiefelabsätze klackerten auf dem Kies. Zwischen den Bäumen trat LadyDevimon heraus und auch wenn Sirenmon dieses Digimon nie gesehen hatte und auch nicht wissen konnte, ob sie zu den Meistern der Dunkelheit gehörte oder nicht, bekam sie es sofort mit der Angst zu tun.

„Ich hoffe, ich störe nicht?“ „Was willst du schon wieder hier?“, maulte Digitamamon und gleichzeitig hörte es sich klagend an.

„Ich habe euch alles gesagt, also lasst mich endlich. Ich habe schon genug Ärger.“

„Es dreht sich nicht immer alles um dich, also hör auf zu jammern“, keifte LadyDevimon zurück. „Ich habe den Auftrag mich um den Kanarienvogel zu kümmern. Jeder der mit Rebellen verkehrt, ist ein Verräter und solche braucht Meister Piedmon nicht.“

LadyDevimon lachte, aber Sirenmon sprang nicht darauf an, sondern wunderte sich nur, warum sie sie ausgerechnet Kanarienvogel beleidigte. Schließlich gab es nur ein Digimon, dass sie so nannte. Und plötzlich, wenn es auch nur reine Spekulation war, schien Sirenmon zu verstehen, woher.

„Dieser Mistkerl gehört zu denen“, flüsterte Sirenmon zu sich selbst und sie erschrak bei diesen Worten trotzdem. Nicht einmal Digitamamon hatte sie gehört, LadyDevimon konnte es dafür in dem geschockten Gesicht des Fabel-Digimon ablesen.

„Hey, Sekunde, ja? Ich gehöre nicht zu den Rebellen. Und Sirenmon hatte keinen Schimmer.“

„Dafür ist sie aber ganz Feuer und Flamme, zu ihren Freunden zurückzukehren. Ich wäre ja ihrer Stelle ziemlich wütend, wenn mich mein Meister so an der Nase herumgeführt und ausgenutzt hätte.“

„Sie sind meine Familie! Und wehe du redest noch einmal so über Sanzomon!“, schrie Sirenmon zurück. LadyDevimon, die fast noch weniger von Sanzomon hielt wie von ihrem heiligen Pendant, rümpfte kurz die Nase verächtlich. Ihre linke Hand, die größer und deren Krallen viel länger waren drehten sich, bis sie zu einer dunklen Lanze wurden, mit der LadyDevimon direkt auf Sirenmon losging. Vor Schreck war Sirenmon wie erstarrt gewesen und sah die Spitze näher kommen, bis Digitamamon sich dazwischen stellte. Er verzog sich in seine Eierschale, die bekanntermaßen hart die Granit war. Die Spitze von LadyDevimons dunklen Speer knallte dagegen und verbog sich. Krampfend vor Schmerz sprang sie zurück und schrie kurz auf. Die Lanze verschwand, eine ihrer langen Nägel ihrer linken Hand war abgebrochen.

„Schnell, ich kann sie nicht lange aufhalten“, sagte Digitamamon zu der immer noch starren Sirenmon. „Dann renn eben in dein Verderben, wenn du dann glücklich bist.“

Als der Schmerz in ihrer Hand nachließ und LadyDevimon sich erhob, sprang der Schatten aus Digitamamons Inneren heraus und schlang sich um sie. Weiter ungläubig stand Sirenmon da.

„Ich verzeih dir nicht so leicht, mein Freund.“

„Heb dir das für wann anders auf! Hau ab jetzt!“

Digitamamon hatte Mühe, LadyDevimon weiter festzuhalten, sie war schließlich stark. Doch es reichte, dass Sirenmon aufbrechen konnte und gab ihr einen großzügigen Vorsprung. LadyDevimon verfolgte sie nicht, wie sie schnell feststellte. So konzentrierte sich Sirenmon weiter darauf, so schnell es ging nach Hause zu kommen.

 
 

♭𝅝

 

„Das ist Irrsinn! Hört auf! Ihr überanstrengt Euch!“

Gennais Stimme hallte in Sanzomons Gedanken und wiederholten sich, verzerrt und undeutlich wie auf einer kaputten Kassette. Aber sie schenkte diesen Worten herzlich wenig Beachtung, denn das etwas Irrsinn sei hatte sie in ihrem Leben oft genug gehört, dass ihr manchmal die Frage aufkam, was an ihrem Verhalten und Vorgehen denn keiner war.

Bücher zu schreiben, die so ziemlich alles verhöhnen, was die Meister der Dunkelheit in diese Welt bringen wollen sei Irrsinn. Zu Erwartung, das Vernunft die Regel, nicht die Ausnahme der Dinge sei sei Irrsinn.Von einer Welt zu träumen, die aus albernen Sagen hätte entsprungen sein können sei Irrsinn.

Und dies hier sei Irrsinn. Aber Sanzomon hatte sich daran gewöhnt. Funktioniert hatte es bisher immer gut, nachdem sie den Dreh raus bekam. Nur beim letzten Wappen tat sie sich mehr als schwer. Drei Perlen von Babamons Kette waren zerbrochen, weil nichts dem standhielt, was einmal das Wappen des Lichts werden sollte. Beim Wappen der Hoffnung hatte sie sich bereits schwer getan. Aber das hier?

Das Digiei schien in ihren Hand zu pochen, als wollte es sie ermutigen weiter zu machen. Weiter. Weiter.

Gennai war nur zufällig dazu gekommen und hatte nicht damit gerechnet Sanzomon bereits nach so kurzer Zeit, nachdem sie das Wappen der Hoffnung erschaffen und dabei alles, was sie an Kraft verbraucht hatte wieder hier anzutreffen. Er hatte sie vor dem Steintisch knien sehen, mit dem Digiei und dem Amulett in der Hand und um sie herum ein Meer aus rosa Scherben. Sanzomon war farblos, aber nichts an ihr verriet, dass sie aufgeben wollte. Sie wollte das mit aller Macht schaffen und hielt die letzte Perle des Rosenkranzes, mit dem Tifaret' Symbol regelrecht verkrampft in der Hand.

Gennai hatte etwas zu ihr gesagt. Vermutlich versuchte er es ihr auszureden. Aber die Stimme, die aus dem Digiei kam war viel lauter gewesen wie alles andere. Alle Digimon in ihren Eiern riefen, dass sie auf die Welt kommen wollten. Sie wollten nicht mehr warten und sie sollte ihnen dabei helfen auf diese Welt zu kommen. Sie wollten sehen was hier war. Warum ihnen den Wunsch verwehren?

„Das hier das Tifaret-Symbol abgebildet ist hat seinen Grund. Das für ein Wappen zu benutzten – das ist Irrsinn, Sanzomon. Hört auf! Ihr seid noch immer geschwächt!“

Sie war diesen Satz so Leid. Hatte Gennai nicht begriffen, dass sie irrsinnig war? Wer weiß, vielleicht färbte etwas davon auf diese ungeborenen Digimon ab. Besonders das hier, was sie in den Händen hielt. Dies war besonders laut.

Sanzomon hatte sich nur Summen hören, ein Sutra, welches wusste sich nicht. Es klang wie das Lied vom Mann im Mond und das Digimon summte, wie seine Vorgänger schon. Sanzomon hörte die Euphorie in diesen kleinen Herzen klopfen, die Vorfreude auf diese Welt, die Freude wenn sie ihre menschlichen Partner endlich sahen. Und immerhin wollte Sanzomon in den Genuss kommen diese kostbaren Digimon kennenzulernen. Sie wollte wissen, wem sie die Zukunft dieser Welt übergab.

„Sanzomon lasst das endlich!“

Sanzomons Welt war daraufhin weiß geworden. Sehr, sehr lange sogar.

Vielleicht hatte sie sich mit ihren Berechnungen doch vertan. Wenn sie der Ohnmacht auch noch widerstehen konnte, brauchte sie lange, um die Orientierung wieder zu finden. Sie hielt das Ei fest, aus Angst es fiele von ihrem Schoß. Sie hatte das Amulett in der Hand, dass wusste sie auch noch. Und das Amulett mit dem Wappen. Es war sogar noch warm.

(Bist du fertig sind wir nun vollständig sag doch sag doch)

Schemenhafte Kreaturen tauchten vor ihr auf. Aber die Stimmen klangen vertraut. Die gleichen Stimmen, die in der Vergangenheit schon mit ihr gesummt hatten, jedes Mal wenn sie ein Wappen erschuf.

(Sind wir komplett können wir dann auf die Welt kommen können wir unsere Partner kennen lernen sag doch sag doch!)

Es war so unwirklich und in Gedanken lachte Sanzomon. Wer hätte dem kleinen Tinkermon von damals schon zugetraut, dass sie mal so etwas schaffen könnte? Das sie mal etwas für Digiritter tun würde?

(Kann ich dann Tai kennen lernen Kann ich dann Matt kennen lernen Kann ich dann Sora kennen lernen Kann ich dann Izzy kennen lernen Kann ich dann Mimi kennen lernen Kann ich dann Joe kennen lernen Kann ich dann T.K. kennen lernen Kann ich dann Kari kennen lernen können wir willst du sie auch kennen lernen Können wir dich kennen lernen?)

Vielleicht musste man auch so verdreht im Kopf sein, um so was zu schaffen. Gut, dass sie es war.

(Natürlich könnt ihr das)

Jemand rüttelte an ihr.

„Sanzomon, sagt was! Ich habe es Euch doch gesagt, dass Ihr übertreibt“, rief Gennai und klatschte ihr dabei leicht ins Gesicht, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Wach war sie schließlich, auch bei Bewusstsein, nur hatte sie eben sehr viele Stimme gehört. Acht um genau zu sein.

„Ich bin fertig“, sagte sie, mit einem müden Lächeln unter dem Schal. Die Worte waren klar und deutlich, dennoch klang es so befremdend.

„Ich bin fertig. Nach all der Zeit.“

„Ja, das seid Ihr. Wir sind stolz auf Euch. Das sage ich Euch auch im Namen der Souveränen. Wenn sie das hören – Oh, ihr habt der Digiwelt einen großen Dienst erwiesen. “

Etwas geistesabwesend, aber voller Stolz starrte Sanzomon auf das Ei, dass nun nicht mehr weiß, sondern ein blasses Rosa angenommen hatte, mit dem letzten Wappen daran befestigt. Sie sah das Symbol, dass gleiche wie auf Babamons Rosenkranz und Sanzomon fragte sich, ob Babamon ebenso stolz gewesen wäre, oder über ihren Irrsinn gemosert hätte. Vermutlich beides.

Vorsichtig nahm Gennai das Digiei aus ihrer Hand, um es zu den anderen sieben in den Brutkasten zu legen, die bunt und nebeneinander gereiht etwas von abstrakter oder naiver Kunst hatten. Aber kostbar.

„Wie lange wird es dauern, bis sie geboren werden?“

„Da es sehr viele Daten sind, werden sie alle ihre Zeit brauchen. Mit den Maschinen wird es jedoch etwas schneller gehen. Ihr müsst ihnen schließlich viel beibringen. Ich werde die anderen zusammenrufen, am besten auch die Souveränen und -“

Im Augenwinkel hatte Gennai Sanzomon nur knapp zur Seite kippen sehen, reagierte aber schnell genug die Bewegung und fing sie auf, ehe sie wirklich noch gefallen wäre.

Dass Sanzomon nach solch einer Prozedere mehr wie nur erschöpft war, war er gewohnt. Aber sie kaum mehr Farbe im Gesicht. Sie hätte sich, nachdem sie das Wappen der Hoffnung erschaffen hatte mehr schonen sollen, er hatte es ihr immer und immer wieder gesagt. Aber sie war so stur wie Babamon zu Lebzeiten.

„Entschuldigung, dass ich Euch erschreckt habe. Es ist alles gut“, sagte Sanzomon müde. Sie wollte nur noch schlafen. Das grelle Neonlicht der Maschinen tat in den Augen weh, genau wie die Geräusche. Das Tor wackelte vor ihren Augen.

Sie hatte Schwierigkeiten ihren Kopf gerade zu halten, versuchte es aber um dann Gennai anzusehen, dessen Gesicht irgendwo zwischen Tadel und Besorgnis lag, wie es nur Jijimon konnte. Ihr verging jedoch das Lächeln. Sie riss ihre Augen weit auf, einen Schrei unterdrückte sie, auch den Reflex seine Hand wegzuschlagen.

Es war Gennai vor ihr, da war sie sich sicher. Nur sah Gennai nicht wie Gennai aus. Nicht ganz. Sein Kopf, der passte nicht. Sein Körper war humanoid wie es sich gehörte, jedoch thronte auf seinem Hals der Kopf eines Kudamon.

„Sanzomon, geht es Euch wirklich gut?“, fragte Gennai, aber sie antwortete nicht. Die Wut und Abscheu, die der Kudamon-Kopf zeigte stand im absoluten Kontrast zu Gennais besorgter und helfender Körperhaltung und Gestik. Sanzomon ließ sich zwar helfen, aber ihre Gedanken kreisten nur um dieses Kudamon. War dies eins ihrer Geschwister? Diese Gesichtszüge kamen ihr so fürchterlich bekannt vor.

Sanzomon sagte nur, dass es ihr blendend ginge. Und Gennai kannte sie nun lange genug um zu wissen, was sie damit meinte.

Gennais vorsichtiger Tonfall kam in ihrem Gehör an, aber die Worte wollten nicht so richtig Form annehmen. Hätte er ihr nicht geholfen durch die Gänge zu wandern, mit einer Hand ihren Rücken gestützt und mit der anderen ihre gehalten, hätte diese Stimme zusammen mit diesem unpassenden Kopf und dem Gesicht fast zynisch geklungen.

Die Räume und Gänge verschlungen sich und verschwammen in Sanzomons Blickfeld. Gras und Bäume, türkisgrüne und goldrosa Blätter wuchsen mit. Kupferne Pilze ragten aus den Wänden, der Volksmund sagte Iss-mich-und-du-vergiss-alles-Pilze heutzutage dazu, weil sein eigentlicher Name zu sehr an die Apartheid erinnerte. Diese Pilze waren Geierkrallen.

(Hier Cupimon iss mal ich habe gehört dann vergisst man alles vielleicht vergisst du dann auch endlich wie man immer so furchtbar neugierig sein kann und so komisches Zeug von sich gibt)

War sie noch im Schloss? War sie im Ewigen Wald? Nein, da wuchsen solche Bäume nicht. Bei den Pilzen war sie unsicher. Lichtblitze tanzten vor ihr und irgendwoher schien Sanzomon wissen, dass es Cupimon waren.

Jedes Mal, wenn Sanzomon ein Wappen erschuf, büßte sie eine Menge ihrer eigenen Kräfte ein. Berechnungen, wie sie es vor ihren Schülern nannte hieß, nicht nur aus den Daten der Menschen ihre herausragendste Tugend zu finden – sondern auch wie viel Energie und Daten sie aufbringen müsste. Das nüchterne Ergebnis – alles, was sie hatte.

Ihre eigene mentale Stärke litt darunter und mit jedem Mal schädigte es ihren eigenen, psychischen Schutzwall, den Sanzomon aufgebaut hatte um ihren Kummer zu überwinden. Überwinden war nicht Vergessen und mit jedem Wappen wurde dieses Gerüst wackliger. Als sie das Wappen des Mutes erschuf hatte sie schon diesen Verdacht, spätestens als sie schon beim dritten Wappen war, war sie sich sicher.

Babamon hatte es wohl gewusst. Deswegen hatte sie Sanzomon ihren Rosenkranz überlassen, einem Überbleibsel ihrer Daten. Hätte sie diesen Rosenkranz nicht, vermutlich hätte Sanzomon weit mehr Kraft eingebüßt oder von ihrer geistigen Gesundheit.

Nun aber war sie sehr geschwächt. Sanzomon sah grässliche Dinge, die Realität verschmolz mit ihren Erinnerungen. Das Schloss sah ihrer alten Heimat beängstigend ähnlich. Alles sah für sie wie Cupimon aus. Teils sehr verzerrt. Grotesk. Und sie schimpften. Sie spotteten.

(Komisches Cupimon ist das ist immer so neugierig träumt den ganzen Tag vor sich hin stell dir vor will wissen wie die Bäume unter der Erde aussehen will graben graben graben will wissen warum wir alle zu unterschiedlichen Rookies digitieren wenn wir doch alle Cupimon sind stell dir vor fragt jeden Tag was wir in der Nacht geträumt haben komisches Ding hat nur Unsinn im Kopf muss man nicht verstehen hat immer dreckige Hände wie eklig würde mich nicht wundern wenn es zu einem Virus-Typ wird)

Und in ihrem Zustand der Erschöpfung konnte sie sich gegen die Zweifel und furchtbaren Dinge, die sie als Tinkermon nicht losließen kaum wehren. Sie war froh, wenn sie auf ihren beschwerlichen Weg zurück in ihr Zimmer ihre Schüler traf, als hätten sie gerochen, was sie zuvor hinter sich gebracht hatte. Immer wenn Gokuwmon, Cho-Hakkaimon oder Sagomon sie fanden, in ihr Bett halfen und mit ihr sprachen, wurde dieses imaginäre Korsett aus Stacheldraht um ihre Brust lockerer und die Lücken, die aufgerissen wurden wieder geflickt, auch wenn ihnen allen das gar nicht bewusst war.

Dann waren da noch die Fledermäuse. War das auch Einbildung? Nein, sie hörte sie wirklich. Sanzomon wunderte sich nicht einmal darum, obwohl sie es sollte, da Myotismon zu dieser Zeit doch im Ewigen Wald war, um sicherzugehen, dass keine Fliegen der Meister der Dunkelheit ihr Unwesen trieben. Aber sei es drum. Sie wollte ihn sehen.

„Kann ich es ihm sagen?“, ächzte Sanzomon schwach. Gennai hielt sie immer noch, der Kudamon-Kopf war weg. Ihre Fantasie hatte ihm großzügiger Weise seinen ursprünglichen Kopf zurückgegeben, allerdings spielten ihre Wahnvorstellungen Sanzomon weiterhin Streiche. Dafür, dass Gennai seinen Kopf wieder hatte, hatte sein ganzer Körper die schlanke, langgezogenen Form und die kurzen Arme eines Kudamon. Fast hätte sie gelacht.

„Kann ich ihn einweihen, Gennai? Ich bin es Leid, ihm was vormachen zu müssen.“

„Ich entscheide das nicht. Und ist das überhaupt eine so gute Idee?“, fragte er unsicher. „Ist es nicht besser -“

„Ich bin es aber Leid!“, unterbrach Sanzomon ihn und schluckte. „Ich bin es so Leid ihm etwas vorlügen zu müssen. Myotismon beschützt Grey Mountain genauso wie ich und meine Schüler. Meine Schüler werden irgendwann auch ihren Weg gehen und die Meister anderer Digimon sein. Aber mein Ort ist hier. Und wenn Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon irgendwann ihren eigenen Pfad bestreiten, möchte ich wenigstens, dass Myotismon bei mir bleibt. Ich möchte mit ihm hier leben, wie Jijimon und Babamon hier gelebt haben.“

„Ihr wollt -“

Das Pfeifen der Fledermäuse unterbrach Gennai. Sie waren näher gekommen.

„Ich rede mit dem Mann im Mond, solange bleibt es aber noch unter uns. Wenn er es erlaubt, habe ich auch nichts dagegen“, antwortete Gennai hastig, wenn er sich mit diesen Worten dennoch schwer tat. Unter ihren Halstuch erschien ein kurzes Lächeln, dann ließ Sanzomon seine Hand los.

„Geh, Gennai. Er darf dich nicht bemerken. Ich komm schon allein zurecht.“

Sein deformierter Körper – der aber langsam wieder zu seiner ursprünglichen Form zurückkehrte – wandte sich von ihr ab, aber selbst als Gennai den dunklen Korridor wieder zurücklief, sah er Sanzomon lange nach, die mit schweren Schritten versuchte vorwärts zu kommen, immer noch unsicher, ob sie wirklich im Schloss war. Sie sah weiterhin bunte Bäume und Gräser, hörte weiterhin Cupimon lästern, aber allein Myotismon neben sich stehen zu sehen, half ihr nicht mehr so sehr darauf zu achten. Er trug sie fort von diesem Fleckchen, bis dieser groteske Wald aus Wahnvorstellungen und Scham außer Sichtweite war und erst dann war sich Sanzomon sicher, dass sie sich wirklich auf Grey Mountain befand. Sie war zu Hause, wo ihre Schüler und ihre Pflichten waren.

Wo Myotismon war.

Blauer Lavendel und grüner Rosmarin erschien in ihrem Traum...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin wieder zurück.

Ich nutze die stelle hier um euch - vier Wochen verspätet - noch nachträglich ein frohes neues Jahr zu wünschen!

Ich werd ab nun wieder in geregelten Abständen die Kapitel hochladen, allerdings denke ich eher im Abstand zwischen 14, statt wie vorher 7 Tagen, damit ich etwas mehr Puffer und Zeit habe, manches noch einmal zu überarbeiten (eine Woche ist knapper wie man vermutet) Komplett anzeigen

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