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Wintersonett

Which dreamed it?
von

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Konzert VII - OFF WITH THEIR HEADS, 3. Satz, Vivace morendo C-Moll


 

𝄡

 

Schnaufend stieg Sanzomon aus dem Wasser. Den Kinderkörper, den sie in den Tiefen dieses Abgrunds gefunden hatte zog sie mit hoch. Diesmal ein Mädchen. Diesmal war es Momo Es blitze, das Wasser bebte mit dem Donner, nun heftiger, als auch dieser Abgrund der Tatsache ins Auge sehen musste. Momo war tot, genau wie die anderen zuvor und, so vermutete Sanzomon, würde es bei denen, die sie noch ausgraben musste nicht anders sein.

Sanzomon war erschöpft, ihre Glieder waren schwer und müde, obwohl ihr echter Körper immer noch vor den Meister der Dunkelheit stand. Sieben Digimon auf einmal war aber auch zu viel.

Babamon erschien vor ihr. Diese sah erst zu Sanzomon, dann zu dem toten Mädchen auf dem Boden. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Trauer, dann winkte sie Sanzomon zu sich. Sie musste weiter. Weitergraben.

Sanzomon stand auf, glaubte zwischen dem Geräusch der Regentropfen zu hören, wie ein Rookie-Digimon um Momo trauerte. Es nannte sie aber nicht Momo. Es rief sie bei ihrem wahren Namen.

Die Jahreszeit und das Wetter wechselten. Statt Regen und schwüler Luft würde es mild und dicht bewölkt. Babamon führte sie durch diesen Nebel, der sich im nächsten Abgrund tummelte und wo irgendwo eine weitere Kinderleiche begraben lag, die Sanzomon ausgraben müsste. Graben. Weiter graben. Ausgraben. Graben.

 
 

𝇁x

 

„Halt! Greift nicht an!“

Sanzomon ging auf die Knie, die Hände zitternd. Was in der Realität vielleicht nur wenige Millisekunden waren, fühlte sich für sie wie die Arbeit mehrerer Tage und Wochen an. Ihr Kopf tat weh, ihre Sinne nicht sicher, ob es heiß oder kalt war, trocken oder nass. Ihr Geist hatte sich durch zu viele verschiedene Naturgewalten geschlagen.

Das Gefühl verschiedener Fell- und Hautstrukturen der Baby-Digimon unter ihren Finger und der Ausbildung-Digimon an ihrer Seite war hingegen echt. So echt, wie das kurze Aufflackern schemenhafter Silhouetten, die zwischen ihr und der Meister der Dunkelheit erschienen. Sieben, humanoid, von Wetter und Zeit gezeichnet. Es waren die Kinder. Diese toten Kinder...

(Krabat Bilbo Momo Hänsel Gretel Alice Humpty Dumpty Krabat Bilbo Momo Hänsel Gretel)

Alice war bei ihnen. Genauso fahl. So kalt und steif. So von Erde beschmiert, in der sie vergraben waren, mit Wasser, Laub oder Eis an den Gliedern. Außer einem. An einem von ihnen war etwas anders.

„Fallt nicht darauf rein! Die sind alle nicht echt, sie will uns nur Angst einjagen!“

Niemand hörte jedoch auf Piedmon. Sie sahen ausnahmslos weg von diesen schaurigen Anblick. Puppetmon versuchte noch einen Angriff auszuführen, brach aber sein Vorhaben sofort wieder ab.

„Ich kann nicht.“

„Das ist nicht euer Ernst! Sie stellt euren Verstand auf dem Kopf!“

„Als ob du in der Lage wärst diesen Anblick zu ertragen und zuzuschlagen“, fauchte MetalSeadramon, den Kopf so tief gesenkt und an den Körper gepresst, dass dieser runter der Flossen verschwand, nur um den Anblick – den Anblick einer fahlen Wasserleiche zu der Momo geworden war – nicht länger mit ansehen zu müssen. Sie alle schauten weg, am meisten fiel Sanzomon Etemon auf, der sich sogar die Ohren zu hielt und immer und immer wieder sagte „Hör auf, hör auf zu rufen, Krabat“. Und Puppetmon, der kurz davor war zu weinen bei Gretels Aussehen, deren Haut so viele Male an Armen und Beinen in verschiedenen Rot- und Violett-Tönen zierten, dass man nicht wusste, ob es festgeklebte Kirschblüten oder Totenflecken waren.

Sanzomon, ihre Schützlinge haltend und weiter diese sieben Namen aufzählend

( Krabat Bilbo Momo Hänsel Gretel Alice Humpty Dumpty )

empfand , als sie diese sieben Digimon sah, mit diesen quälenden Gesichtern, zumindest kurz Mitleid.

„Du! Du bist Schuld!“, schrie Piedmon Myotismon an und deutete mit Finger auf ihn. „Du hast es ihr verraten! Du hast sie in deinen Kopf schauen lassen, weil du selbst zu blind bist um zu erkennen, wer Alice ist!“

„Ich habe nichts verraten. Jeder Idiot hat verstanden, dass sie mit ihren Fähigkeiten in den Herzen von Digimon gräbt, aber du hast mir ja nicht geglaubt und Witze gerissen“, sagte Myotismon zu ihm. Erst ruhte sein Blick auf Sanzomon, dann auf Alice. Er drehte den Kopf weg. Piedmon warf ihm wüste Beschimpfungen an den Kopf.

Schließlich hörte man ein Brüllen. Das Digimon, dass dieses Brüllen verursacht hatte, war über ihnen, sprang von den Abhängen hinunter und landete mit seinem großen, weißen Pranken genau zwischen Sanzomon und den Meistern der Dunkelheit.

„Meister Baihumon!“, rief Sanzomon überraschend, aber glückselig auf. „Alles in Ordnung?“, fragte dieses Digimon, in Form eines weißen Tigers. Sanzomon nickte, die kleinen um sie herum kamen aus dem Staunen nicht heraus, erstmals so ein starkes und heiliges Digimon zu Gesicht zu bekommen.

MetalSeadramon erhob sich, wurde aber von einem Flammenstrahl erfasst, während seine Kameraden alle auswichen. Man hörte das Schlagen von Flügeln und sah rote Federn.

„Was? Das darf nicht wahr sein“, schrie MetalSeadramon erbost, als Zhuqiaomon hinter den Bergreihen auftauchte.

„Hast du gedacht, ich lass es einfach so auf mir sitzen, dass du die südlichen Meere an dich gerissen hast?“

„Na warte, diesmal bist du dran!“

MetalSeadramon schoss mit seinem Powerfluss nach Zhuqiaomon, dieser aber wich aus und flog davon und MetalSeadmon folgte ihm. Machinedramon hatte ebenso vor Zhuqiaomon abzuschießen, wurde aber von schwarzen Steinen getroffen und ging in die Knie. Etemon fiel von seinen Schultern und sprang hinunter. Hinter Machiendramon rutschte Ebonwomon einen der Abhänge hinunter und hatte ihn dabei attackiert. Zwischen den beiden Digimon fiel kein Wort, Machinedramon setzte sich gleich in Bewegung und folgte Ebonwumon hinunter weiter zum Fuß des Berges.

„Wo zur Hölle kommen die auf einmal her?“, fluchte Devimon, Machinedramon hinterher blickend.

„Wen kümmert's? Machen wir das Kätzchen platt, ehe -“

Etemon konnte seinen Satz nicht beenden, stattdessen schluckte er. Nicht nur Baihumon, auch Azulongmon schwebte nun über Sanzomon und ihrer Anhängerschaft. Puppetmon, Devimon, Piedmon und Myotismon wichen zurück, von Etemon hörte man nur ein schrilles „Oh-oh“.

„Die vier Souveränen. Ich glaub das nicht“, sagte Sirenmon fassungslos und abwechselnd zu Baihumon und Azulongmon schauend. Langsam richtete sich auch der Rest wieder auf, wenn auch ebenso geplättet von dem, was sich ihnen darbot. Gennai musste sie irgendwie kontaktiert und ihnen hiervon erzählt haben, davon war Sanzomon überzeugt. Sie wusste, man würde sie nicht in Stich lassen.

„Beeilt euch. Wir halten sie auf, so lange wir können“, rief Azulongmon zu den staunenden Digimon hinab. Baihumon sprang mit einem großen Satz vor. Als auch Azulongmon den Anschein nach einen Angriff erweckte, verschwanden die fünf dunklen Meister, die noch übrig waren in je andere Richtungen, Baihumon hinterher zu tieferen Ebenen, während Azulongmon durch die Luft schoss um ihnen nachzugehen. Man sah nichts, weder von den vier Souveränen noch von den Meister der Dunkelheit, nur hier und da Rufe und das Zischen von verschiedenen Attacken.

„Seid ihr okay? Könnt ihr aufstehen?“, rief Sanzomon zu den Digimon. Als Antwort bekam sie erst nur Ächzen, aber sie standen alle wieder auf eigenen Beinen.

„Meister, das ist unsere Chance“, sagte Cho-Hakkaimon, die beiden Sistermon hatten ihr auf geholfen.

„Wir müssen hier weg, solange sie abgelenkt sind.“

„Wir verlassen Grey Mountain?“, fragte Paomon, es war wie alle anderen jungen Digimon nervös.

„Wir müssen, hier ist es nicht mehr sicher. Los, wir müssen vom Berg runter. Gokuwmon und die Sistermon gehen vor und schützt die Kleinen, wir anderen geben Rückendeckung!“, forderte Sagomon sie auf, doch Tankmon fuhren den Weg hochund versperrten diesen. Jedoch gingen Gokuwmon und die Sistermon gleich auf sie los. Gokuwmon schlug sie mit seinem Stab regelrecht von der Klippe.

„Beeilt euch!“, rief er und augenblicklich setzten sich alle in Bewegung. Von den Wasserstellen der Swanmon aus war der Hauptpfad nicht weit und dieser war der schnellste Weg hinunter in den Ewigen Wald. Man hörte noch immer die Laute von Kämpfen, von irgendwo kam Licht oder Feuer. Guardromon und Mekanorimon, die auf sie zuflogen, wurden von Sirenmons Gesang in Schach gehalten. Ihre Stimme ließ ihre Triebwerke ausfallen und sie stürzten hinab.

„Meister Sanzomon, wohin sollen wir, wenn wir den Wald erreicht haben?“, fragte Sagomon, der neben Sanzomon her rannte.

„Am besten den Fluss Richtung Osten entlang. Wir müssen den See überqueren, von dort aus können wir weiter durch die Wälder, erst einmal zum Siebenschläfer, dann -“

Ein Ruck an ihrem Arm unterbrach Sanzomon. Sie blieb stehen und nur unter zögern wagte sie es hinter sich zu schauen. Eine Albtraumkralle hatte sich um ihren linken Arm gewickelt und hinderte sie am weitergehen. Und Myotismon stand nur wenige Meter von ihr entfernt. Die anderen Digimon blieben sofort stehen, schnappten schockiert nach Luft und waren im ersten Augenblick wie erstarrt.

„Ich habe mich wohl etwas undeutlich ausgedrückt. Du bleibst hier, der Rest kann von mir aus gehen, wohin er will.“

„Ich lass mich bestimmt nicht zu deiner Gefangenen machen!“, rief sie zurück, zog fester an ihrem Arm, aber die Albtraumkralle lag zu stramm, selbst als Gokuwmon, Cho-Hakkaimon und Sagomon mithalfen, bekamen sie Sanzomon nicht frei.

„Sanzomon, du bist doch nicht meine Gefangene. Im Gegenteil, du kannst hier weiter leben, wie zuvor auch. Nur wir beide, ohne dass irgendwelche Pflichten im Weg sind.“

„Vergiss es!“

Sagomon schnitt mit seiner Klinge die Albtraumkralle ab und damit verschwand sie auch vollständig.

„Du hast Meister Sanzomon gehört.“

„Lass sie gehen oder wir zwingen dich dazu“, keifte Gokuwmon und Cho-Hakkaimon, die schützend bei ihrem Meister standen zu Myotismon hinüber, der jedoch schien sie gänzlich zu ignorieren.

„Sträubst du dich etwa weiter, Sanzomon? Ich mag nicht so von Neugier gequält sein, aber auch ich weiß wie man gräbt. Und noch verräterischer wie Abgründe ist Blut. Ich kenne deine Tagträume fast besser wie du selbst. War doch angenehm, sich vollkommen fallen zu lassen. Du hast es dir so sehr gewünscht und ich habe dir diesen Wunsch erfüllt. Ich erfülle dir jeden Wunsch, schließlich habe ich es geschworen. Dafür musst du aber auch deinen Schwur halten.“

Es wäre gelogen zu behaupten, dass Sanzomon nicht darüber nachdachte, wäre vielleicht sogar einen Schritt auf ihn zugegangen, hätte Cho-Hakkaimon sie nicht am Arm gepackt. Sie steckte zwischen Pflichtgefühl und Erinnerungen fest. Und in den Tagträume, in denen sie einen Strauß aus Seerosen, geziert mit Lavendel und Rosmarin hielt.

Sie schüttelte sich.

„Niemals! Ich lass sie nicht für dieses abscheuliche Orchester im Stich! Da sterbe ich lieber!“

„Schade, dein Wort ist so wenig wert? Da wären Jijimon und Babamon aber nicht erfreut. Ein Schwur ist schließlich ein Schwur und ich nehme das sehr ernst. Und wenn du willst, dass dieser Eid nichtig wird, musst du kämpfen und mich umbringen, wenn es sein muss.“

„Das meint er doch nicht ernst“, flüsterte Sagomon zu seinem Meister, die allerdings wusste wie todernst Myotismon das meinte. Geschweige denn, dass er nur so hoch pokerte, wenn er sich seiner Sache nicht sicher wäre.

Myotismon lächelte nur, die Arme von sich gestreckt, als wollte er, dass Sanzomon in diese hineinlief.

„Ich werde dich nicht angreifen und mich nicht gegen dich wehren. Versprochen.“

Ihre Schüler und Anhänger tuschelten hinter ihr, aber Sanzomon war so in ihrem inneren Zwist, dass sie kaum etwas von der Diskussion mitbekam. Außer, als ihre jungen Schützlinge aufriefen:

„Aber man darf kein Digimon einfach angreifen! Sanzomon hat gesagt, man darf keinen töten!“

Und dieser Satz hallte immer wieder und wieder in ihrem Kopf, wie das Echo einer schweren Glocke. Myotismon grinste.

„Du kannst es nicht. Du bist ein Pazifist. Du denkst immer noch, dass ich ein Lebewesen mit einer Seele bin, wie jedes andere Digimon auch. Ein Wesen das fühlen kann. Und Wesen die fühlen tötet man nicht. Du glaubst, in mir wäre irgendetwas, was sich zu retten lohnen würde. Wenn es nicht so albern wäre, würde mich das ehren. Aber nur so lernst du endlich, in was für ein Dilemma dich deine eigene Ideologie getrieben hat.“

„Sei still...“, zischte Sanzomon durch die zusammengepressten Zähne, die sie klappern hörte. Alles an ihre zitterte, hörte das Geräusch ihrer Gebetskette. Ihr Geist warf Argumente, Optionen und Alternativen hin und her wie ein Ball, wiegte ab, was besser war. Angreifen? Ihre Prinzipen verraten? Ihren Schützlingen etwa so beibringen, dass Gewalt in Ordnung sei? Selbstjustiz?

Sie konnte es nicht, und er wusste das. Und dass etwas in ihr, trotz des Kummers, sich nach ihm sehnte.

„Was du da abziehst ist so was von widerlich!“, brüllte Cho-Hakkaimon und erntete dafür von Myotismon einen geradezu tödlichen Blick.

„Haltet euch da raus. Sie gehört mir und sie bleibt hier.“

„Wir überlassen Euch unseren Meister nicht!“, rief Sagomon und mit Cho-Hakkaimon auf Myotismon zu, ehe Sanzomon irgendetwas tun oder sie, geschweige denn noch daran hindern konnte. Sie und auch Gokuwmon hinter ihr schrien den beiden nach, dass sie stehen bleiben sollten, ehe der schwarze Schatten, der aus Myotismons Umhang kam und auf die beiden zuraste sie erwischte. Ihre Körper wurden fahl und grau und sie schrien, selbst als Cho-Hakkaimon und Sagomon paralysiert zu Boden gingen. Dann sah man nur noch mattes Licht und wie ihre Gestalt kleiner wurde.

Opossumon und Gawappamon lagen ächzend und zitternd auf dem Boden.

„Sagt doch etwas“, sagte Sanzomon zu ihnen, als sie neben den beiden zurück digitierten Digimon kniete. Opossumon hielt sie in ihrem Arm, während Gawappamon mit dem Kopf auf ihrem Schoß lag. Beide waren immer noch blass und die Farbe kehrte erst wieder, als Sanzomons Sutra, das sie in ihren Gedanken in Rekordgeschwindigkeit runtersprach etwas von ihrem Lebensgeistern zurückgab.

„Verzeiht uns, Meister. Wir haben uns provozieren lassen“, sagte Gawappamon wehmütig.

„Wir wollten Euch nur beschützen“, jammerte Opossumon und lugte noch einmal giftig zu Myotismon, ehe ihre Augen zufielen.

„Nur weil ich Sanzomon dieses Angebot mache, heißt dass nicht, das ihr verschont werdet. Euer einziges Glück ist es, dass ihr eurem Meister so am Herzen liegt, sonst hätte ich euch längst getötet. Allerdings teilt der Rest von uns diese Ansicht nicht unbedingt. Du kannst dich gegen mich entscheiden, Sanzomon. Geh mit deinem Chor und das Orchester wird dich suchen und verfolgen. Und wo das Orchester ist, bin auch ich. Selbst wenn ich sie dazu bringen kann dich zu verschonen, weiß ich nicht ob sie gegenüber Digimon, die einer Aktivistin folgen und mit ihr sympathisieren auch so gnädig sind, unabhängig von ihrem Level.“

Ihr erster Gedanke war, dass er log und nicht nur Sanzomon, sie alle dachten das. Aber Myotismon log nicht. Er sagte nicht immer alles, aber lügen war gegen seine Prinzipien. Und ja, er würde es vielleicht nicht tun und sei es nur wegen Sanzomon, aber die anderen sechs...

Als Sanzomon sich damals entschied in Babamons Fußstapfen zu treten und ebenfalls verlassene Digimon großzuziehen, um ihnen seelische Heilung, Geborgenheit und eine Zukunft zu geben, war ihr sofort klar gewesen, dass diese Leben stets über ihrem standen, ohne einmal daran zu zweifeln. Selbiges galt für ihre Schüler und ihre Anhänger, die ihr Unterstützung versprachen, obwohl sie wussten, dass Sanzomons politische Sichten auch Gefahren für sie bargen. Und wer einmal ins Visier der Meister der Dunkelheit geriet war zum Tode verurteilt.

Die Kaltherzigkeit, der tosende Schneesturm, der Myotismon umgeben hatte war gewichen und er klang so sanft, dass es paradox schien.

„Du bist ihr Ziel, nicht deine Schüler, auch nicht deine Findelkinder. Wenn du loslässt, gibt es keinen Grund mehr sie weiter zu verfolgen. Du musst nichts tun, als herzukommen und deinen Schwur einhalten.“

Myotismon streckte ihr seine Hand entgegen und Sanzomon sah diese lange schweigend an, glaubte, genau diese Hand und diese Finger auf ihrer Wange zu spüren. Zwar schaffte sie es rational zu bleiben, überlegte, was sie tun sollte und ihr wurde heiß unter ihrem Halstuch. Sie suchte nach einer anderen Option, fand aber keine. Egal was ihr einfiel, dass Totschlagargument blieb die Meister der Dunkelheit...

Solange Sanzomon jedoch bei ihnen war, würde der Sturm der Herzkönigin sie ewig verfolgen. Das war nicht das Leben, was sie ihren Schützlingen geben wollte.

„Versprichst du, dass ihnen nichts passiert? Dass dein Orchester und die ganze Dienerschaft, die dazugehört sie nicht mehr verfolgt und in Frieden lässt?“

„Ich sagte doch, dass -“

„Versprich es!“, schrie Sanzomon dazwischen. „Versprich, dass du alles in deiner Machtstehende tun wirst, damit weder Piedmon, noch das Orchester oder ein anderes Digimon sie jemals verfolgen oder töten wird!“

Für einen Moment glaubte Sanzomon, sie erstickte vor Anspannung. Ihr Herz schlug so heftig, dass es in ihrer Brust schmerzte.

„Gut. Ich verspreche es.“

Myotismon sagte dies zwar nicht aus tiefster Überzeugung, wirkte auch nicht wie ein Digimon, das erfreut über eine so klare Forderung war, die keine Möglichkeit bot sie sich zurechtzubiegen. Dafür wie ein Digimon, dass dies dennoch halten würde und Sanzomon konnte erleichter aufatmen. Zumindest bis ihr klar wurde, was das nun hieß.

Mit Opossumon und Gawappamon in je einem Arm ging sie zu Gokuwmon, dem sie die beiden geschwächten Digimon in die Hände drückte, Sirenmon und den Sistermon.

„Verzeiht, dass ich eure Ausbildung und euren Dienst so beenden muss. Ich hatte auf feierliche Umstände gehofft. Aber es wird wohl Zeit, dass ihr von meinem Rockzipfel wegkommt.“

„Meister...“

Gokuwmon so zu sehen, ohne dunkle und grimmige Falten im Gesicht war ungewohnt, genauso wie dieser klägliche Versuch keine Trauer zu zeigen. Zwar wollte sie schon immer, dass Gokuwmon mehr Emotionalität an den Tag legte, aber nicht unter diesen Umständen. Sistermon Blanc und Sistermon Noir schauten hilfesuchend zu Opossumon, die vor Entsetzen den Schmerz in ihren Gliedern vergaß. Sirenmon brauchte am längsten, dachte, dass Sanzomon einen Plan hätte, stellte jedoch fest, dass sie es ernst meinte. Und da hörte Sanzomon das erste Mal Sirenmons trauriges Schniefen, dass nichts von ihrer Sopranstimme besaß und nicht einmal Gawappamons Trost half.

„Sanzomon, bleibst du bei Myotismon?“

„Wann kommst du wieder?“, fragten Moonmon und Sunmon, erwartungsvoll. Die Baby- und Ausbildung-Digimon sahen sich untereinander an, da Sanzomon ihnen erst keine Antwort gab. Bei den ein oder anderem, wie Paomon, Kyaromon und Viximon dämmerte ein Verdacht, wagten es aber nicht etwas zu sagen, sondern hofften Sanzomon würde etwas tun, was diese Vorahnung dementierte. Aber sie war selbst den Tränen nahe. Sie ging in die Knie, versuchte mit ihren Armen alle Digimon zu sich zu nehmen und holte tief Luft, ehe sie es schaffte die Worte über die Lippen zu bekommen.

„Seid schön artig. Hört immer, was die anderen euch sagen. Ihr sollt schließlich irgendwann alle zu tugendhaften Digimon werden, die die Digiwelt zu einem schönen Ort machen.“

Fast in der selben Sekunde, als Sanzomon ihr letztes Wort aussprach, ließ sie die Digimon los, drehte sich um und ging von ihnen fort, die Arme eng an den Körper gepresst und auf die Unterlippe beißend. Sie hörte hinter sich einige Baby-Digimon, die zu weinen anfingen, Ausbildung-Digimon, die nicht begriffen, was geschah und Gokuwmon und Sirenmon anbettelten, etwas zu tun und hörte, wie SnowBotamon nach ihr rief, ehe Sistermon Blanc es einfangen konnte.

„Sanzomon!“

Sanzomon sah nicht zurück. Der Abschied war schon schwer genug und sie blieb erst stehen, als sie vor Myotismon stand. Sie griff nach seiner Hand und ließ sich von ihm in seine Arme ziehen. Um sie beide legte sich der schwere und dunkle Umhang. Sanzomon wünschte sich, wenigstens diese Arme, die sie in dieser Umarmung hielten hassen zu können. Es ging nicht.

Die langen Finger berührten ihr Gesicht, versuchten den Kopf anzuheben, aber kaum dass sich ihre Blicke trafen, riss Sanzomon den Kopf zur Seite. Ihre Arme blieben vor ihrer Brust verschränkt, die Schultern angehoben. Myotismons Augen verengten sich, aber er lächelte weiter.

„Der Tag wird kommen, dann wirst du mir dankbar sein, dass ich dich von deinen lästigen Pflichten befreit habe. Du bist deinem kleinen Wunderland ein Stück näher gekommen, Sanzomon. In einem Wunderland, nur für uns beide, in dem du für immer für mich singen kannst und ich dich ewig wärmen werde, solange und so viel du willst.“

„Ich will, dass du dein Versprechen hältst!“, schimpfte Sanzomon enttäuscht und wütend, ohne Myotismon dabei anzusehen. Tränen bildeten sich im Augenwinkel.

„Du weißt, ich halte mein Wort. Du hast keinen Grund misstrauisch zu sein. Sieh mich an, Sanzomon.“

Doch Sanzomon tat es nicht. Myotismon nahm ihren Kopf in beide Hände und versuchte ihn wieder anzuheben, doch Sanzomon sah wieder weg. Sie hielt ihre Augenlider geschlossen und bemerkte daher nicht, wie Myotismons eigenes Gesicht entgleiste, letztendlich aber Sanzomons Starrsinn auf ihren sogenannten Nonsens schob, der geradegebogen gehörte. Sanzomon schluchzte, wagte es aber nicht zu weinen. Nicht hier und nicht vor ihren Schützlingen. Vor ihm schon gar nicht.

Sie bemerkte nicht, dass der Griff, der sie festhielt lockerer wurde.

„Das ist aber eine sehr traurige Klavierballade. Ich hatte fast darüber nachgedacht, ob ich auch ein Tränchen vergießen soll.“

Im selben Augenblick, als Piedmon seinen Satz beendete, kam er wie eine Feder auf dem Boden auf.

„Sag nicht, ihr seid schon fertig?“, fragte er, tatsächlich etwas enttäuscht, die knallroten Mundwinkel leicht gesenkt, dafür aber die Augen weit aufgerissen, was sie fast rund erschienen.

„Sie wollten gerade gehen. Sanzomon hat sich entschieden hier bei mir zu bleiben. Damit sind ihre Anhängsel ihrer Positionen enthoben und stellen keine Bedrohung mehr da.“

„Wir werden ni-“, knurrte Gokuwmon, doch in seinem Augenwinkel sah er Sanzomon, wie sie, streng wenn auch traurig, den Kopf schüttelte. Innerlich wehrte sich Gokuwmon zwar gegen die folgenden Worte, aber eine Wahl hatten sie alle in dieser Lage nicht. Er hoffte, Sanzomon würde ihm vergeben.

„W-Wir werden gehen. Wir gehören nicht länger zum Widerstand und kommen euch nicht mehr in die Quere.“

„So leicht lasst ihr euch abbringen? Dann waren euch eure eigenen Prinzipien ja herzlich wenig wert. Und wieso glaube ich euch kleiner Bande von Volksverrätern nicht? Wisst ihr, wie wir mit solchen Digimon für gewöhnlich umgehen?“

„Jetzt lass sie“, rief Myotismon zu Piedmon hinüber. „Abgesehen von Sanzomons treudoofen Schülern wusste niemand von ihrem Aktivismus. Die Kleinen begreifen nicht einmal, was wir beide reden. Nichts sprichst dafür sie töten zu müssen. Du kannst sie genauso gut gehen lassen, es macht keinen Unterschied.“

„Und wenn ich sie nicht gehen lassen möchte? Der ganze Abend ist nicht unbedingt so gelaufen, wie ich es mir erträumt hätte. Was ist schon ein Krocketspiel, wenn keine Köpfe rollen? Trumpfkarte!

Lachend zog Piedmon die Schwerter, die an seinem Rücken thronten heraus und warf sie auf den zusammengekauerten Haufen von rebellischen Digimon. Gokuwmon stabilisierte seinen Stand, jedoch mit einem schmerzverzerrten Gesicht und Sirenmon holte tief Luft, wenn es aber ebenso schmerzhaft war, um mit einer Arie den Angriff abzuwehren. Ehe sie dies aber konnte, wurden Piedmons Trumpfkarten von Myotismons Albtraumkralle getroffen und flogen in je verschiedene Richtung, dann lösten sie sich auf.

„Was wird das?“, knurrte Piedmon, mit dem Blick eines Raubvogels.

„Ich habe doch gesagt, sie haben mit Sanzomon nichts mehr zu tun. Sie selbst ist an meiner Seite und ist somit keine Gefahr mehr. Und sieh sie dir an. Denkst du einer von denen wäre eine Gefahr? Oder fürchtest du dich von ein paar Baby-Digimon?“

Noch Baby-Digimon. Wer weiß, was der Wahnsinn, den deine Primadonna ihnen vorgesungen hat für Schrauben gelockert hat? Ich bin ja dafür, Unkraut so früh wie möglich zu rupfen.“

„Unkraut, wie das kleine Leafmon?“

Piedmons Augenbrauen hoben sich. Er blinzelte kurz und sagte lange nichts, und wie länger dieser Augenblick wurde, um so angespannter wurden Sanzomon, die hinter Myotismon stand, Gokuwmon, der einzige von ihren Schülern, der noch ohne Hilfe gerade stehen konnte und die Kleinen, die ängstlich und wimmernd an Sirenmon und den Sistermon klebten.

„Ist das eine Drohung?“

„Möchtest du es denn riskieren? Und wenn nicht ich mich darum kümmere, jemand von den anderen würde die Aufgabe sicher liebend übernehmen, wenn sie es erfahren.“

„Geh doch und frag mal. Sie wissen es ohnehin schon.“

Nun war es Myotismon, der schwieg. Doch statt wie Piedmon fragend und doch entspannt zu sein, zeichnete sich Entsetzen ab. Der Mund stand offen, aber es kam nichts raus. Die Pupillen waren klein geworden. Jene Mimik, die außer im Fall von Zynismus sich nur selten änderte, war entgleist. Und was immer ein Leafmon damit zu tun hatte, Sanzomon ahnte, dass dieser Joker, den Myotismon für solche Momente bereitgehalten hatte gegen ihn verwendet worden war und das – wenn Sanzomon es kaum glauben mochte – zusammen mit Piedmons Grinsen löste Panik in ihm aus.

„Du hattest Recht, sehr begeistert waren sie alle nicht. Aber was sollen sie tun? Sie wissen, sollten sie es wagen irgendeines von Humpty Dumptys Splittern zu zermalmen, zahle ich es ihnen mit gleicher Miene zurück. Sie alle haben sich mit der Zeit ihre wunden Punkte herangezüchtet, so wie du und niemand kennt sie besser als ich. Du bist nicht der Einzige, der mit verdeckten Karten spielen kann.“

„Du bluffst“, antwortete Myotismon tonlos. „Niemals hättest du das riskiert.“

„Möchtest du sie fragen? Deine Mitspieler, die alle genauso wenig davon begeistert sind, dass du dir eine feindliche Aktivistin hältst? Was willst du sagen? Hey, unser Gitarrist hat da was von Humpty Dumpty gefunden und nun, da meine Drohungen nicht ziehen erzähle ich es euch? Willst du das sagen? Und wem denkst du, fallen sie eher in den Rücken? Der Herzkönigin oder einem Außenseiter?“

Stille. Und je länger sie hielt, um so breiter grinste Piedmon zu Myotismon hinüber. Er dachte nach, aber so wie in diesem Moment hatte Sanzomon ihn nie erlebt. Er dachte verzweifelt nach.

„Wenn du erlaubst, ich muss ein paar unnütze Schachfiguren los werden, ehe sie lästig werden.“

Die Baby-Digimon zuckten zusammen, als sich Piedmon ihnen nun zuwandte, aber Gokuwmon schob sie weiter zu sich. Gawappamon und Opossumon standen wieder auf ihren eigenen Beinen, wackelig, positionierte sich zu der schwer angeschlagenen Sirenmon, während nun auch Sistermon Blanc und Sistermon Noir ihren Mut zusammennahmen und an Gokumons Seite traten.

Kaum das Piedmon den Boden berührte und nun mehr Interesse an eben diesen Digimon zu hegen schien, als an seinem Pianisten, attackierte dieser ihn mit einer Albtraumkralle und gleichzeitig schob Myotismon Sanzomon wieder zurück, als er merkte, dass sie in ihrer Sorge zu ihrer Anhängerschaft rennen wollte. Der Angriff wurde abgeblockt, aber Myotismon hatte das erreicht, was er wollte, nämlich des Gitarristen volle Aufmerksamkeit.

„Du willst kämpfen? Du weißt, Mord ist gegen die Orchester-Regeln.“

„Es reicht wenn ich dein hohles Grinsen aus dem Gesicht wische. Zur Hölle, Piedmon, hörst du dir nur eine Sekunde selbst zu? Ist dir bewusst, dass du das predigst, was wir all die Jahre abgelehnt haben?“, redete Myotismon weiter auf Piedmon ein, aber mehr, als dass das Clown-Digimon nur genervt seufzte bezweckte er damit nicht.

„Ist das wieder dein Gerede von Notwendigkeit und Gerechtigkeit? Als ob du noch in der Position wärst das zu definieren. Du hast so wenig Ahnung von Gerechtigkeit wie ich von Freundlichkeit.“

„Du klingst genau wie die hohen Digimon von damals! Wie jene Digimon die andere verstoßen und verfolgt haben! Die bereits Baby-Digimon umprogrammiert und getötet haben, nur weil vielleicht keine Serums aus ihnen geworden wären! Die Tod und Krieg in dieser Welt erst möglich gemacht haben! Willst du dich wirklich mit diesen Digimon auf eine Stufe stellen, Dracmon!“

Ein starker Wind kam plötzlich auf, nur das Geschrei der jungen Digimon übertönte das Heulen dieses Orkans. Selbst Sirenmon riss es fast mit einigen Baby-Digimon davon, aber sie hielten sich alle an Gokuwmon fest. Auch Sanzomon fegte es fast von den Beinen, hätte Myotismon sie nicht festgehalten, sie tiefer in seinem Umhang gewickelt, nicht nur vor diesem Unwetter schützend, sondern auch um sie vor Piedmons Augen zu vergeben, so rot, so viel heißer als jeder stickige Sommertag, tosender wie jeder Tornado. Und dazwischen war ein Abgrund. Und Humpty Dumpty

(war so munter Humpty Dumpty fiel die Wand hinunter)

„Na, hör an. Für diesen Kinderchor nimmst du dein Pokerface runter, aber deinem Orchester gegenüber zeigst du nur ein verdecktes Blatt, Tsukaimon?“

„Du hättest auch fragen können. Selbst Schuld, wenn du nicht darauf kommst.“

„Schieb die Schuld nicht auf andere. Aber ich sehe das Problem schon...“

Zum ersten Mal seit diese Diskussion ihren politischen Rahmen gesprengt und auf eine persönliche Schiene abgedriftet war, sah Piedmon zu Sanzomon, stechender und schärfer als seine Schwerter. Ihr Blickkontakt wurde von Myotismon abgebrochen, als er sich dichter vor Sanzomon stellte.

„Ich gebe dir einen letzten guten Rat, Herr Pianist – halt dich da raus! Sonst kannst du das auch immer so gut. Ich will sicher gehen, dass diesmal alles glatt läuft. Ein Krieg ohne Opfer gibt es nicht, dass wissen wir beide. Also nimm dein Betthäschen und hau ab! Dein Kapellmeister wird sich sicher über deinen Verrat und deine Untreue freuen.“

„Denkst du, dein Kapellmeister wäre erfreut, wenn er dich so sehen würde?“

Wieder kam ein Sturm auf, der aber nur um Myotismon und Sanzomon wehte.

„Nimm den Mund nicht so voll! Ich kann dich nicht töten, sei den Orchester-Regeln dankbar dafür. Beim Herr Dirigenten aber, Adonai höchstpersönlich sieht das allerdings etwas anders aus!“

Die Erwähnung dieses ominösen Digimon, der für sie von so großer Wichtigkeit war, löste ein kurzes Zittern bei Myotismon aus, aber wirklich so kurz, dass es Sanzomon nur deswegen mitbekam, weil sie sehr dicht bei ihm stand. Dennoch stand Myotismon so imposant wie immer da. Dieses passive hochnäsige Getue brachte nicht übersehbar in Piedmon die Weißglut zum kochen. Beide Digimon stierten sich mit verkrampfter Mimik an und vielleicht interpretierte Sanzomon zu viel hinein – aber sie erkannte Myotismons nachdenkliches Gesicht und sie konnte darin lesen, wie er intensiv nachdachte und diese offensichtliche Provokation nur ein Plan, wenn auch nur um Zeit zu gewinnen. Zumindest war ihm sein Versprechen so viel wert, dass er selbst das über sich ergehen ließ.

Gawappamon – jenes Digimon unter ihnen, dass mit Ausnahme von Sanzomon am ehesten verstand, wie Myotismon tickte schien selbiges zu denken wie sein Meister. Mit einer zaghaften Handbewegung signalisierte er den anderen Digimon um ihm herum, sich langsam und unauffällig zu bewegen.

Wieso Piedmon es letztendlich doch bemerkte, hatte mannigfaltige Gründe. Am wahrscheinlichsten war, dass Myotismon im Gegensatz zu ihm doch berechenbar war. Vielleicht hatte er auch bemerkt, wie Sanzomon kurz zu ihren Anhänger hinüber spähte. Mit dem Grinsen erschienen eine fast kaum zählbare Menge an Schwertern, vor, hinter und über der Gruppe von Digimon, die dabei waren zu fliehen. Entsetzt schlug Myotismon noch mit einer Albtraumkralle zu, Piedmon jedoch löste sich auf und erschien einige Meter weiter weg wieder, um sich dieses Spektakel aus nächster Nähe anzusehen, die Hand erhoben, Daumen und Mittelfinger aneinandergepresst.

Als alle älteren Digimon sich nun über die Kleinen warfen wie ein Zelt, in der Hoffnung zumindest so verhindern zu können, dass eines der Schwerter sie traf und Myotismon Sanzomon wieder zurück zu sich zog, gerade als sie zu ihnen rennen wollte blieb ihre Zeit stehen. Zum ersten Mal, seit sie zum Ultra-Level digitierte, vielleicht sogar schon seit sie ein Champion war, begann Sanzomon ihren Pazifismus zu hinterfragen. Denn, so stellte sie fest, lag der wesentliche Unterschied zwischen Vernunft und Wahnsinn darin, dass Wahnsinn keine Grenzen kannte, wie auch keine Regeln. Und es litten die, die versuchten nach Regeln zu leben. Vernunft und Rationalität half gegen so einen endlosen Abgrund nicht. Im Anblick dessen wirkten ihre eigenen Ideale wirklich wie der reine Irrsinn.

Während ein Teil von Sanzomon zum deutlichen Schluss kam, dass jene Digimon, die ihr lieb und teuer waren weit, weit wichtiger waren wie Dogmen und das Streben nach der Obrigkeit der Vernunft als Schlüssel zur Balance und Frieden, sagte ein anderer – jene Daten, die in jedem Sanzomon innewohnten – dass sie verrückt war. Sie war schließlich die Weiße Königin und die war ja verrückt. Aber Sanzomon war noch verrückter und tat nun dies, zu dem Myotismon sie die ganze Zeit bringen wollte - Loslassen.

Es reeeeeeeeeeeeeeeeiiiicht!

Und im selben Augenblick, als Sanzomon all ihre Prinzipien ablegte um überhaupt gegen diesen Wahnsinn anzukommen, begann ihre Mala-Kette zu leuchten. Das Licht allein brachte Myotismon dazu von ihr zu weichen, hielt sie aber dabei noch fest. Doch ehe sich die Perlen lösten, klatschte Sanzomon ihm mit der Kette um ihre Hand ins Gesicht. Myotismon ließ sie los.

Piedmon sah überrascht über die Schultern, bekam schließlich selbst die Kräfte zu spüren, kaum dass Sanzomon „Mugen Danmakushin-kyou“ rief, während sie auf ihn zu rannte. Sie schaffte es noch die Amulette, die an Piedmons Anzug hingen wegzureißen, ehe er selbst versuchte, sie mit dem Schwert zu attackieren. Aber er traf nicht. Piedmon wirbelte nur mit seinem Schwert hin und her, den Kopf haltend.

„Du ver-verdammtes Miststück, ich bring dich um! Dafür rollt dein Kopf!“, brüllte Piedmon sie an, mit dem Schwert unkoordiniert und ziellos um sich schlagend. Er taumelte, kam auf Sanzomon zu bis Gokuwmon mit einer Blitzkanone auf ihn zielte und gemeinsam mit den beiden Sistermon und Sirenmon, Piedmon damit trafen. Er fiel zu Boden.

„Geht! Ich halte sie so lange es geht auf“, befahl Sanzomon, sie sah dabei nicht hinter sich.

„Aber Meister, was ist mit Euch?“

„Ihr wollt doch mit uns kommen!“

Und das wollte Sanzomon immer noch. Doch sie würde riskieren, dass man sie weiter verfolgte und damit der Zorn der Meister der Dunkelheit sie traf. Außerdem...

Ihr Blick fiel auf Myotismon, der auf die Knie gegangen war. Als untotes Digimon reagierte er auf die heilige Energie noch empfindlicher wie Piedmon. Wann immer er so wurde, ob schon bevor sie ihn fand oder erst viel später, er war so wie er war. Und dafür liebte sie ihn schließlich.

Sie hatte versprochen bei ihm zu bleiben. Freiwillig, in vollster Überzeugung. Es hat sich nichts geändert. Sie durfte Myotismon genauso wenig dem Wahnsinn überlassen, wie ihre Familie.

„Gokuwmon, du hast die Obhut. Bring alle in Sicherheit“, sagte Sanzomon und sie klang ruhiger, wie sie erwartet hätte. Dabei wurde ihr mulmig, als Piedmon wieder auf den Beinen stand, wenn auch wacklig.

„Ihr müsst mitkommen, Meister“, sagte Opossumon traurig. Gokuwmon hatte sie und Gawappamon unter die Arme geklemmt, um sie zu tragen.

„Bitte geht mit.“

„Ja, komm mit, Sanzomon“, weinten die Baby- und Ausbildung-Digimon.

„Das geht nicht. Eure Sicherheit ist wichtiger. Wenn ich ein zu großer Risikofaktor bin, muss ich bleiben. Zudem -“, Sanzomons Augen wanderten wieder zu Myotismon, „- bin ich hier noch nicht fertig.“

„Sanzomon...“

Gokuwmon schien nicht gemerkt zu haben, dass er nicht nur ihren Titel vergessen hatte, sondern ihren Namen regelrecht rührselig aussprach. Sein Protest gegen diese Entscheidung war nahezu spürbar.

„Ihr habt gehört. Die Sicherheit der Kleinen und der Verletzten geht vor. Wir müssen hier weg.“

Die Kleinen protestierten, wurden aber dann von den Sistermon zum Gehen aufgefordert, egal wie sehr sie jammerten. Wohl um nicht in Versuchung zu kommen zurückzublicken, marschierten sie los, so schnell ihre kleinen Körper sie tragen konnten, mit Sistermon Blanc und Sistermon Noir vor und Sirenmon direkt hinter ihnen. Gokuwmon mit seinen angeschlagenen Mitschülern bildete das Schlusslicht. Kurz blieb er stehen, alle drei noch einmal zu Sanzomon schauend, wenn sie auch nicht mehr wie ihre Rückseite zu sehen bekamen. Sie brauchten lange um diese Entscheidung, wenn sie auch schon längst gefällt war übers Herz zu bringen, aber sie gingen.

„Du bleibst? Wie dumm. Du kannst mich nicht vernichten.“

„Muss ich auch nicht“, antwortet Sanzomon Piedmon gefasst, wenn ihr Puls auch raste. „Ich bleibe dabei, dass Kämpfe und Kriege keine Lösung sind. Aber deine Pläne durchkreuzen kann ich durchaus.“

Sanzomon streckte ihren Arm aus, an dessen Hand sie die Amulette hielt. Sie leuchteten. Dann stieg eins nach dem anderen, Lichter wie ein Regenbogen zum Himmel auf. Zurück blieben die Amulette, leer, während die Wappen sich über ihnen sammelten und dann jedes in eine andere Himmelsrichtung flog. Piedmon konnte ihnen nur entsetzt nachschauen und wie die Lichter am Horizont letztendlich erloschen.

„Wer weiß, wo sie laden. Irgendwo hier auf Server vermutlich. Aber nicht einmal ich werde sagen können, wo genau.“

„Du elendes, widerwärtiges -“, knurrte Piedmon und holte wieder mit dem Schwert aus. Sein Angriff wurde aber von Sanzomons Gebetskette geblockt, dennoch spürte sie Piedmons enorme physische Kraft. Vielleicht konnte sie es mit ihm wirklich nicht aufnehmen. Aber zumindest verhindern, dass sein Wahnsinn mehr Opfer forderte. Dass jene Digimon, die zu Hause und Familie waren sicher waren. Dass sie vielleicht sogar Myotismon aus diesem Abgrund holen konnte.

Sanzomon Mega-Digitation zuuuuu -

„Daraus wird nichts, Schätzchen!“

Piedmon holte zwar mit dem Schwert aus, aber das Metall glänzte nicht im fahlen Licht. Es war einfach nur schwarz und das Schwert war kein Schwert. Sanzomon sah nur einen Arm, einen langen Arm mit einer Kralle am Ende und es gehörte zu einer monströsen Kreatur, die wie eine Gottheit über Piedmon schwebte. Und obwohl die absolute Dunkelheit dieses Geschöpf umgab, sah Sanzomon zwei Dinge:

Die Augen gleich dem Höllenfeuer und abstrakte, verzerrte Gestalten, ohne Form und ohne Stimme, Schatten von Digimon, die Sanzomon in so manchen Graben fand, auch in ihrem eigenen und der Gedanke daran erstickte die Welle aus Wärme und Blumenduft, die sie überkommen hatte erbarmungslos.

Das Schwert erschien wieder, wollte zuschlagen, Fledermäuse aber beförderten es und schließlich Piedmon in die Lüfte. Sanzomon hörte dieses dunkle Wesen schreien, aber keine vernünftigen Laute ließen sich daraus vernehmen. Die langen Arme schnappten nach ihr, verfehlten sie aber. Sanzomon fiel.

Eine Albtraumkralle wickelte sich um ihren Körper und bremste ihren Fall. Mit einem kräftigen Ruck wurde sie zu Myotismon gezogen, der sie auffing.

(Ve̷̡rr̷̢ä̛t̛e͏̕ŗ͡!̵ )

„Halt dich fest!“, forderte Myotismon sie auf und zog noch seinen Umhang um sie beide. Sanzomon tat, was er sagte. Was und wer auch immer sie angriff und den Abhang hinunterwarf, war mächtig. Das war kein normales Digimon.

Zweimal spürte Sanzomon einen harten Aufprall, den restlichen Weg hinunter rutschten sie und rissen Äste mit. Auf den harten Boden kamen sie erst zum Stillstand, nachdem sie sich noch mehrmals überschlugen.

Sanzomon hatte über den gesamten Sturz ihre Augen zugekniffen, aber sie brauchte nicht hinzusehen um zu wissen, dass sie, wenn es auch kurz war sehr tief gefallen waren. Die Amulette hatte sie verloren. Vermutlich lagen sie irgendwo verstreut oder hatten sich an einem Zweig verfangen.

Sie hörte Myotismon stöhnen, als er versuchte sich aufzurichten, aber er behielt Sanzomon seinen Armen.

„Verletzt?“, fragte er schnaufend. Sanzomon schüttelte nur den Kopf. Sie hatte kaum etwas abbekommen, außer leichten Kratzern und Dreck. Die tiefen Schrammen hatte überwiegend Myotismon kassiert.

„Schau nicht so. Wer wäre ich, wenn ich zulassen würde, dass du auf dem Boden zerschellst?“

Ein Lächeln zierte seine Lippen, nicht mal das, dass Sanzomon immer so gehasste, obwohl sie sich in dem Moment nichts mehr wünschte, als dass Myotismon ihr irgendeinen Anlass gab, ihn zu verabscheuen und wenn es nur sein gehässiges Gesicht gewesen wäre. Oder dass die letzten Stunden nichts weiter als ein böser Traum waren. Sie würde aufwachen, genau das feststellen und merken, dass Myotismon neben ihr lag. Sie würde ihm von diesen Traum erzählen und womöglich würde er Sanzomon auslachen, auf was für absurde Vorstellungen sie immer käme, aber sie dabei in den Armen halten, so wie gerade.

Hoffnungslosigkeit machte sich in Sanzomons Herzen breit. Und je mehr Zeit verging und sich nichts rührte, außer der Sand zu ihren Füßen, wusste Sanzomon, welcher Schizophrenie sie da ins Gesicht sah, jenseits von Gut und Böse.

„Dass Piedmon dir etwas antun wollte wird er noch bereuen. Nichts und niemand soll dir auch nur mehr ein Haar krümmen. Ich erschaffe eine Welt, in der es keinen Krieg mehr geben muss.“

„Merkst du nicht, was du da sagst? Das ihr der Grund seid, dass es immer noch Krieg gibt? Ihr verursacht Krieg! Siehst du nicht, dass ihr nichts ändert?“, sagte Sanzomon leise und zitternd, die Hand auf Myotismons Gesicht ruhend, aber er lächelte nur weiter.

„Dein Idealismus trübt wie immer deine Rationalität. Du wirst genug Zeit haben, deine Sichtweisen zu überdenken. Hier bei mir. In einem Wunderland ohne Qual und Leid. Eine würdige Bühne für unser Konzert.“

Sanzomon war zu erstarrt, um die Umarmung oder auch den Kuss erwidern zu können, aber Myotismon schien zu sehr in seiner abstrakten Weltsicht abgetaucht zu sein, dass ihm das gar nicht auffiel. Seine Hand strich über Sanzomons Haare und sie wusste immer noch nicht, wie sie das erwidern sollte.

„Dank deiner Hilfe bin ich meinem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Ich hätte ohne dich nie die Informationen bekommen, die ich brauche oder wo der Widerstand das Tor in all den Jahren versteckt hielt. Ich frag mich ja, wie sie das hinbekommen haben.“

„Was meinst du?“

„Du weißt, was ich meine“, sagte Myotismon streng. „Wie habt ihr dieses Tor von dort weggeschafft?“

„Weggeschafft? Was redest du? Das Tor ist seid Äonen hier! Es war immer schon hier, sogar als der Berg von von Eis und Schnee bedeckt war.“

Myotismons vom Wahnsinn gezeichnetes Gesicht verschwand und es zeigte sich Schock. Er stand auf, half Sanzomon selbst noch auf die Beine. Dann sah er sich um, über Boden, Steinkanten und Abhänge blickend.

„Ich... kenne das hier.“

„Natürlich tust du das“, warf Sanzomon vorsichtig ein. „Ich habe dich hier damals gefunden. Genau auf diesem Fleck.“

„Nein, das ist es nicht.“

Nervös dreinschauend warf Myotismon den Kopf in alle Richtungen. Dann starrte er gen Himmel, die Mondsichel im Fokus, die zwischen einigen Wolken hervortrat und eine dieser blaugrauen Wolken lag genauso in Myotismons Blickwinkel, als würde der Mond selbst sie über die Bergreihen pusten, die nun nicht mehr grau, sondern im Licht weiß aussahen.

„Hier. Es ist genau hier gewesen. Die Bergreihen sind genau wie damals.“

„Damals?“, wiederholte Sanzomon, war aber nicht gehört worden, stattdessen redete Myotismon weiter nur mit sich selbst. „Das Klima hat sich verändert. Die Berge sind nicht mehr vereist. Die Wälder vom Schnee befreit. Aber das ist der Ort. Natürlich, das macht Sinn, das Tor ist hier, dieses verdammte Tor durch das Alice hierher kam war die ganze Zeit hier. Aber wieso ist Alice nicht hier? Wo ist mein Kapellmeister? Alice sagte, wir sehen uns an unserem Ort wieder.“

Sanzomon hatte die ganze Zeit nur auf Myotismons Hände gestarrt, die mehr und mehr zitterten, weil sie sich kaum traute, in sein Gesicht zu sehen. Grey Mountain war einst mal flacher und von Eis und Schnee bedeckt. Dies war jedoch schon zig und aberzig Jahrzehnte her, nach vielen Aneinanderreihungen von digitaler Wiederherstellung und Erneuerung. Jijimon und Babamon wussten dies, weil sie die Macht hatten, solange zu leben – aber ein gewöhnliches Tsukaimon konnte das nicht. Es sei denn, an ihrer Theorie war doch so viel dran, wie sie vermutete.

„Ihr seid das“, sagte Sanzomon, Auge in Auge mit Myotismon, der aber mehr durch sie hindurch zu schauen schien. „Ihr seid Babamons Gänslein, nach denen sie immer rief. Ihr seid die Digimon, die die Digiwelt von der Apartheid befreit haben.“

„Das ist niemals passiert!“, brüllte Myotismon sie an. Ein Heulen zog in Form von Windböen an ihnen vorbei. Die Ringe an Sanzomons Ärmel und die Armreife an ihrem Handgelenken klingelten wie ein Windspiel im Luftzug. Keiner rührte sich.

„Wie konntet ihr so lange leben?“, fragte Sanzomon, aber es klang mehr wie ein Flüstern. Myotismon ging nicht auf sie ein, hielt sich nur den Kopf, den er langsam hin und her schüttelte.

„Das ist niemals passiert. Alice ist nur ein Traum!“

„Du weißt, dass es kein Traum ist, sonst würdest du nicht so verbissen nach Alice suchen.“

„Aber wieso... ist Alice nicht hier?“

Myotismon schien wirklich zu hoffen, dass sie es wüsste. Dass sie irgendetwas in diesem Abgrund gesehen hatte, dass er selbst übersah. Und wie es schien gab es zwei Optionen – entweder Sanzomon irrte sich oder Myotismon erkannte das Offensichtlichste wirklich nicht. Sie hoffte inständig, dass sie sich irrte.

Aber seine Augen waren vollkommen klar. Vielleicht war genau das der richtige Moment...

„Komm mit mir“, hauchte Sanzomon stattdessen und stieß damit bei Myotismon auf Unverständnis.

„Was?“

„Komm einfach mit. Keiner von ihnen wird erfahren, dass du bei mir bist. Keiner von ihnen wird dich finden. Nicht mal der Wahnsinn wird dich bekommen.“

Erwartungsvoll streckte Sanzomon ihre helle Hand aus und sie blieb in der Luft schwebend. Man hörte ihre Ringe klimpern und ihre Bänder flattern.

„Komm mit. Wir holen dein Gefolge und gehen, ehe sie etwas merken. Wir gehen zu Gokuwmon und den anderen. Ich werde dir helfen Alice zu finden.“

„Du gibst wieder nur sinnentleertes Geschwafel von dir!“, brüllte Myotismon weiter, aber Sanzomons Pose blieb unverändert. „Genau deswegen gehörst du davon befreit, weil du immer noch nicht verstehst, dass Gefühle und Ich-Bewusstsein nichts als dumme Träume sind. Und Träume haben in dieser Welt keinen Platz! Es wird Zeit, dass du das endlich begreifst! Du bist verrückt, mehr nicht!“

„Ja, mag sein“, sagte Sanzomon mit rollenden Augen, dann holte sie tief Luft. „Weißt du, es stimmt, was du sagtest. Zwischen uns hat sich nichts geändert. Und wer wäre ich, wenn ich es nicht wenigstens versuche. Ich werde Alice mit dir finden. Ich werde alles tun, um dieses Versprechen zu halten.“

Zwar hatte Myotismon noch versucht verbal zu kontern, doch es hatte ihm die Sprache verschlagen. Sanzomon bewegte sich nicht, ihre Hand hielt sie ihm weiter offen entgegen, wartend, dass er sie annahm. Es dauerte lange, bis er zu irgendeiner Bewegung in der Lage war. Was immer er dachte – nicht einmal Sanzomon konnte es sagen – er wehrte sich einerseits und doch kam er ihrer Hand näher.

„Das ist Irrsinn. Das ist verrückt.“

„Versuche es doch wenigstens. Nicht für mich, auch nicht für Alice. Sondern für dich“, sagte Sanzomon, die Strenge von zuvor war gewichen. Hoffnungsvoll kam sie ihm entgegen und als nur noch Millimeter ihre Fingerspitzen voneinander trennten, noch bevor die bebende Stimme des Herr Dirigenten Myotismon zum Stillstand zwang, flogen Schwerter auf ihn zu und blieben mit ihm in der Steinwand stecken, die Klingen nagelfest in der Kleidung, im Umhang und einige sogar in seinem Körper. Der Versuch, sich loszureißen war nicht nur vergebens, sondern auch schmerzhaft.

Sanzomon war keinen Schritt auf Myotismon zugegangen, da wurde sie an ihrem Haarschopf gepackt und von einem gewaltigen Ruck wieder zurückgezogen. Ihr ganzer Kopf wurde nach hinten gezogen, bis sich ihr Hals fast überstreckte. Sie konnte Piedmons hasserfülltes und angewidertes Gesicht gesehen.

„Ich habe langsam die Schnauze voll von eurem sülzigen Geschwätz“, brüllte er, fast direkt in Sanzomons Ohr, zusammen mit dem starken, heißen Atem. „Wird Zeit, dass ich dich zum Schweigen bringe.“

„Lass sie!“, schrie Myotismon, während er weiter versuchte sich loszureißen. „Wir hatten einen Deal!“

Solange sie nicht im Weg steht war der Deal! Ich habe dich gewarnt, du kennst die Orchester-Regeln! Jedes Digimon, dass versucht dem Herr Dirigenten bei seinem großen Opus zu stören, stirbt!“

Kaum das hinter Piedmons Rücken neue Schwerter erschienen waren, zog er eines von ihnen heraus.

„Das gilt insbesondere für Flittchen, die versuchen dem Orchester ihren Pianisten auszuspannen.“

Piedmon zog noch mal an Sanzomons Haarschopf und ließ sie los, nur aber um mit seiner freien Hand ihr an die Kehle zu packen. Sein Daumen lag genau auf ihrem Kehlkopf.

„Das hätte ich längst tun sollen. Letzte Worte?“

Außer wüste Beschimpfungen fielen Sanzomon keine Worte ein, und selbst wenn sie sich die Mühe machen würde, sie Piedmon an den Kopf zu werfen, wäre es nicht möglich gewesen. Er packte ihren Hals zu fest, sie schaffte es kaum zu atmen.

„Hmpf, sei es auch darum“, schnaubte Piedmon verächtlich, mit einem Lachen im Unterton. „Myotismon hat mir oft genug erzählt, dass du übergeschnappt bist. Aus deinem Mund käme ohnehin nichts Sinnvolles, weil in deinem Kopf schon alles drunter und drüber sei. Nur vollgepackt mit Träumen von einer bescheuerten Welt. Und wenn weder dein Mund, noch dein Kopf irgendetwas Sinnvolles beizutragen haben, für was brauchst du sie dann noch?“

Ihr Kehlkopf war vom Druck befreit, dafür packte sie Piedmon nun fest am Kragen. Nur ihre Zehenspitzen berührten den Boden gerade so noch.

Myotismon versuchte weiter sich zu befreien, zog mit aller Kraft an den Armen und Beinen, um die Schwerter, die ihn an der Steinwand fixierten herauszubekommen. Eines, dass seinen rechten, unteren Arm festhielt fiel tatsächlich klirrend hinunter. Sein Befreiungsversuch blieb jedoch weitgehend unbemerkt, also zerrte Myotismon mit aller Kraft weiter daran.

Piedmon kümmerte sich nicht um ihn. Dieser ließ sein Schwert über seinem und Sanzomons Kopf balancieren. Mondlicht tauchte die Klinge in Weiß, während dass Digimon, dass es hochhielt vergnügt summte. Sie erkannte die Melodie von Humpty Dumpty sofort, die Figur aus den Mutter-Gans-Geschichten, von der Piedmon genauso besessen war wie Myotismon von Alice. Von Menschen geschriebenen Figuren, Geschichten, Liedern und Reimen.

(Humpty Dumpty war so munter, Humpty Dumpty fiel die Wand hinunter)

Und weder Pferd noch Königsmann in Eil', machten Humpty Dumpty jemals wieder heil.

„Wieso nur sechs?“

Das Summen stoppte abrupt, das Schwert über Piedmons Kopf hörte auf zu tänzeln. Die Schwärze, die sie bei ihrem ersten Treffen in Piedmons Augen gefunden hatte existierte nicht mehr. Vielleicht war Sanzomon auch einfach stärker geworden und hatte ihre Sinne geschult, aber sie sah den Sommerorkan im Abgrund und dieser war schlimmer als die Herzkönigin es hätte sein können.

„Einer war nicht mit Erde und Laub bedeckt. Das war Humpty Dumpty, nicht? Sein Kopf war verdreht. Er fiel, sein Hals brach und jeder konnte es sehen. Alle anderen hingegen waren im Abgrund beerdigt, damit niemand sie fand. Wie Alice. Weil niemand es wahrhaben wollte.“

„Du quatschst zu viel. Reicht schon, dass du Myotismon den Kopf gewaschen hast“, fauchte Piedmon mit knirschenden Zähnen und zog fester an Sanzomons Kragen. „Halt dich aus unseren Angelegenheiten raus! Digimon wie du können uns niemals das Wasser reichen. Diese Bande kann niemand durchtrennen. Dafür sorge ich. Wir haben weder Vergangenheit noch Zukunft. Das alles ist niemals passiert und es ist besser, wenn sie die Gefühle, die man uns einst beibringen wollte wieder löschen. Wir sind befreit. Wir sind einfach gleich.“

Zwei weitere Schwerter schaffte Myotismon herauszuziehen, eines davon hatte in seiner Schulter gesteckt. Ein kurzes schmerzhaftes Wimmern. Sanzomon zog fester, schlug gegen Piedmons Arm, zappelte und hielt nicht still, dass er nicht wirklich den Halt fand, um ihr in der Manier der Herzkönigin den Kopf sauber abzutrennen.

„Jetzt halt still. Ich will einen passenden Abgang für die Weiße Königin. Schließlich soll niemand behaupten, meine Solos wären nicht durchdacht und hätten einen Mangel an Tiefe.“

„Was hast du getan?“, sagte Sanzomon und sie hielt nun still um Piedmon direkt mit ihrem Blick durchbohren zu können, Auge in Auge mit dem Sturm. Er verzog das Gesicht. Und sie sah Humpty Dumpty vor ihrem geistigen Auge, nicht beerdigt. Zersplittert. Gebrochen. Spuren von kläglichen Versuchen ihn zusammenzuflicken, die gescheitert waren. Humpty Dumpty war tot, warum auch immer. So wie der Rest. So wie alle. Alles gleich...

Er sorgte dafür, dass alles gleich war.

„Hab ich dir nicht gesagt, dass du dich raus halten sollst? Hysterisches, blödes Ding, jammerst über Dinge, von denen du keine Ahnung hast und wagst es immer noch die Klappe so weit aufzureißen! Philosophierst von Leid, dabei hast du keinen Schimmer davon, wie es ist im Krieg sitzen gelassen und vergessen zu werden!“

„Sie haben euch nicht vergessen, sie sind tot! Sie sind tot und du hast das gewusst!“

Sanzomon sah das Schwert nicht einmal aus sie zurasen, sie hörte nur das Geräusch, wie es durch die Luft schoss und den Ruf der Herzkönigin.

(Den Kopf ihr ab!)

Dann blieb die Spitze des Schwertes genau vor ihrer Kehle stehen und sie war überzeugt bereits tot zu sein und das Bild, wie er sie hasserfüllt ansah, während er ihr das Schwert in den Hals rammte hätte sich auf ihre Netzhaut gebrannt und würde erst verschwinden, wenn sie sich auflösen würde. Sanzomon war sich sicher gewesen, sehr lange sogar. Zu zweifeln begann sie erst, als Piedmon von ihr weg schaute. Sie folgte seinen Augenbewegung, dann sah Sanzomon dunkelblauen Stoff.

Das Schwert war immer noch da, hatte aber ihren Hals nicht berührt. Es bewegte sich weiter, da Piedmon noch immer versuchte, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Aber Myotismon hielt die scharfe Klinge in seiner Hand. Sanzomon glaubte zu hören, wie Bluttropfen noch im Fall sich in ihre Datenbestandteile auflösten.

Sie stand in einem ungünstigen Winkel, Myotismons Arm versperrte ihr die Sicht und als das Schwert von seiner bloßer Kraft zerstört wurde und sich genauso auflöste, starrte er nur Piedmon an. Sie sah nichts von seiner Mimik, aber allein dass Sanzomon hörte, wie er seinen folgenden Satz aussprach, versicherte ihr, dass Myotismon in diesem Augenblick den Verstand endgültig verlor.

„Alice... ist tot?“

Von Natur aus besaß Myotismon zwar einen fast schon gräulichen Teint, aber in dem Moment, als die Erkenntnis von seinem Gedächtnis aufgenommen und verarbeitet wurde, war er regelrecht weiß. Man konnte den Schneesturm geradezu hören, als er Piedmon ins Visier nahm und was immer er in Myotismons Augen sah, musste so furchterregend sein, dass das Clown-Digimon Sanzomon losließ.

„D-Du glaubst ihr doch das nicht etwa? Sie ist irre, schon vergessen?“

Doch Myotismon schien Sanzomon offensichtlich zu glauben. Langsam ging Piedmon einige Schritte zurück, immer noch mit – man mochte es kaum glauben – Angst im Gesicht. Myotismon folgte ihm.

„Alice ist tot? Und du hast es gewusst?!“

„He, ganz ruhig. Ich dachte, du wüsstest es. Oder zumindest dass du eine Ahnung hast, wie die anderen auch. Ich wollte sie nur nicht darauf ansprechen. Wunden aufreißen, du verstehst?“, erklärte Piedmon, lachte, aber es klang gekünstelt.

„Du wusstest genau, dass es keiner von uns weiß. Du wusstest, dass wir verzweifelt auf ein Lebenszeichen gewartet haben, in der Hoffnung, dass diese Vorahnung nur ein Sinnestäuschung sei. Du wusstest das und hast uns absichtlich in diesem falschen Glauben gelassen. Und dann wagst du es auch noch zu behaupten, dass all das, was wir in diesen vier Jahren erlebt und gefühlt haben nicht echt sei?! Das es besser ist zu glauben, dass es nie passiert sei?!“

Sanzomon sah wie sich Myotismon Brustkorb sich langsam, dafür aber deutlich hob. Ihr Blick fiel auf seine Hände. Seine Finger verkrampften sich. Und zwischen ihnen tauchten rote Blitze auf.

„Ich tat es einzig für das Orchester. Wenn du oder die anderen gewusst hättet, dass die Kapellmeister tot sind, wärt ihr geblieben? Mal ehrlich, unsere ehemalige Freundschaft ist dir nichts wert. Gilt auch für den Rest. Mir jedoch ist unser Orchester wichtig, deswegen habe ich euch schließlich alle mit in den Abgrund genommen. Ich habe schon Humpty Dumpty zerschellen sehen und wollte meinen Mitmusikern den gleichen Kummer ersparen. Außerdem dachte ich, du hättest Amnesie. Hab mich für dich sogar gefreut, echt, weil du diesen Schmerz vergessen hättest.“

Auf dein falsches Mitgefühl pfeife ich!“, brüllte Myotismon, Piedmon wich noch ein weiteres Stück von ihm weg, genauso wie Sanzomon. „Du hast gewusst, dass ich jedes einzelne Schneefeld in der gesamten Digiwelt nach Alice abgesucht habe. Du wusstest, dass ich auf Alice warte. Dass ich jeden verdammten Tag gewartet habe, dass Alice wieder in das Kaninchenloch hineinfällt und zum Schwarzen König zurückkehrt. Der Schwarze König träumt von Alice, aber er darf nicht erwachen, weil Alice sonst verschwindet, haben sie gesagt, weil Alice außerhalb seiner Traumwelt nicht mehr existiert, weil Alice schon seit Ewigkeiten tot ist!“

Myotismon hatte das Wort Albtraumkralle nicht einmal im Ansatz ausgesprochen, da stoppte er mitten in der Bewegung. Nichts rührte sich mehr, außer den angespannten Gesichtsmuskeln und seine erhobene Hand, verkrampft wie eine Klaue und zwischen den Fingern sah man rote Funken. Myotismon versuchte sich aus dieser Starre zu befreien, wenigstens den Arm bewegen und zuschlagen zu können, aber die unsichtbaren Ketten des Herr Dirigenten hielten ihn fest.

„Hast du schon wieder unsere Asimov-Gesetze vergessen? Wir können uns nicht gegenseitig umbringen“, sagte Piedmon kichernd. Dann wurde sein Kichern leiser und die Mundwinkel senkten sich. Denn die roten Funken wurden zu gleichfarbigen Blitzen. Und dazwischen sah Sanzomon, während Myotismon all seine Kräfte zusammennahm um diese Ketten einprogrammierter Richtlinien zu durchbrechen, wie sein Arm zu flackern begann und die Struktur kurz davor war, in dem Wirrwarr aus schemenhaften Einsen und Nullen in sich zusammenzufallen.

Albtraumkralle!

Er schlug nicht nur einmal sondern gleich zweimal zu. Für Piedmon wäre es eigentlich ein leichtes gewesen auszuweichen oder einzustecken, doch der Schock saß tief. Der zweite Schlag brachte ihn zu Fall. Wie ein Blitz zog der Schmerz durch Myotismons ganzen Arm. Die Zahlen, aus denen seine Daten bestanden flackerten auf. Doch statt aufzuhören, wissend was sonst geschah, holte er wieder aus.

„Stop! Myotismon, hör auf! Deine Daten werden noch beschädigt! Du schadest dir mehr als ihm!“, schrie Sanzomon, klammerte sich an ihn, doch er riss sich von ihr los.

Albtraumkralle!

Diesmal wurde Piedmon getroffen, weil er sich wehren wollte. Doch anders wie Myotismon schaffte er es nicht. Als er angreifen wollte, erstarrten seine Glieder. Er schaffte es nicht die Regeln, die man einst in sie speicherte zu umgehen. Nicht mal, wenn man Myotismon alle Knochen brechen würde, würde er aufhören. Nicht mal das Risiko, das seine Daten einen irreversiblen Schaden erleiden könnten. Ihn selbst an Ort und Stelle vernichten konnte Piedmon nicht.

„Es wird Zeit, dass ich mich für all das revanchiere.“

„Hör auf!“, forderte Sanzomon Myotismon ein weiteres Mal auf, aber er schubste sie zur Seite. Sie spürte sogar den Blitzschlag, der Myotismon eigentlich daran hindern sollte einen Mitmusiker zu töten. Sanzomon sah, wie seine Daten immer mehr an Stabilität verloren. Doch er ging weiter auf Piedmon zu.

„Zu dumm, wenn sich die eigenen Regeln gegen einen wenden. Siehe es als einen Segen.“

„Hör auf...“, stammelte Sanzomon weiter, aber sie wurde nicht gehört.

„Ich werde nicht nur derjenige sein, der dich richtet, sondern dich auch wieder mit deinem Kapellmeister vereint. Du wolltest doch auch immer nur das Beste für uns. Schließlich tut man das doch unter Freunden, nicht wahr, Dracmon?“

„Hör auf!“

Grusel-!“

Stooooooooop! Shinshun-kyou!

Keine Sekunde später ging Myotismon in die Knie. Es war kein Blitzschlag, mehr ein Stich einer dünnen, spitzen Nadel, aber effektiv. Die Mordlust hatte sich regelrecht in Rauch aufgelöst. Sanzomon, die nicht fassen konnte, was sie getan hatte lief auf Myotismon zu, ging selbst in die Knie und legte die Arme um ihn. Sie spürte, dass er wütend auf sie war. Aber wichtig blieb, dass das Flackern aufhörte, ehe seine Daten wirklich beschädigt wurden.

„Hör auf. Bitte. Es bringt dir doch nichts. Es bringt absolut nichts...“, hauchte sie. Es war schwer zu sagen, ob Myotismon, nun da sein Zorn verstummt war einsichtig war oder die Wut weiter kochte. Zumindest ließ er sich von Sanzomon aufhelfen.

„Ich gebe zu, deine psychische Kraft ist beeindruckend“, sagte Piedmon, perplex und sogar irgendwo verängstigt beim Anblick der Schrammen die Myotismon ihm verpasst hatte und im Hinterkopf vermerkt, dass er noch weit mehr getan hätte. Sein alter Freund hatte tatsächlich versucht ihn umzubringen.

Angewidert von der Tatsache, dass ausgerechnet Sanzomon ihm den Hals rettete sahen die beiden sich in die Augen. Auch ihr Blick zeigte Verachtung, als wollte sie ihm sagen, dass er fort bleiben sollte, wenn ihm sein Leben lieb war. Sanzomons Angst, die sie stets vor Piedmon hatte war verschwunden.

Myotismon entging dies nicht. Schnaufend richtete er sich auf und drängte Sanzomon schützend hinter sich.

„So dankst du mir das also? Wer hat dich denn in den Abgrund geschickt? Dank mir bist du überhaupt zu diesem Digimon geworden. Mir hast du es zu verdanken, dass du deine Primadonna treffen konntest!“

Myotismon drängte Sanzomon weiter zurück. Da Myotismon zu groß war und sein Umhang allein ihr schon die Sicht versperrte, sah sie Piedmon nicht mehr, sondern hörte nur wie er verächtlich schnaubte. Erst, als das Clown-Digimon über ihnen schwebte sah sie ihn wieder, aber Piedmon würdigte Sanzomon keines Blickes. Die Abscheu in seinem Gesicht galt allein seinem Pianisten.

„Unser Deal steht noch und glaube nicht, dass man es dir erlaubt noch eine Regel zu brechen. Na komm, ich will das Finale eurer kleinen Ballade sehen, Herr Pianist.“

Sanzomon verzog böse ihr Gesicht, als sie in Piedmons dieses typische, verkommene und manische Grinsen sah, doch es war kein Vergleich zu dem, was sie in Myotismons sehen sollte. Dieser finstere Schatten um die Augen, der seine Besonnenheit komplett verdeckte.

Mit großen Schritten ging Myotismon auf sie zu, jedes Mal wenn Sanzomon sich einen von ihm entfernte, bis sie mit dem Rücken gegen die Steinwand stieß. Als sie ihre Mala-Kette für ein Sutra rief, schlug Myotismon sie ihr sofort aus der Hand.

„Das ist es also, was du willst? Denkst du wirklich, ein Digimon, dass du dir zurechtbiegst, wird dein sein wollen?“

„Du bist bereits mein!“, schrie Myotismon sie an, seine Hände verließen ihre Schultern und packten sie an den Armen. „Du hast mir dein Wort, deine Unschuld und damit ein Versprechen gegeben. Das hier ist nur der Feinschliff, damit das alles auch ganz offiziell ist. Die Garantie, dass du dein Versprechen auch hältst. Das was ich erschaffen werde wird der Ort sein, den du immer wolltest. Niemand wird dir mehr schaden können und wenn ich dich dafür an Bretter nageln und Stein für Stein einmauern muss!“

Myotismon ließ los, aber Sanzomon war sich nicht sicher, ob er das wirklich tat, weil er merkte, dass sie sich vor Schmerz auf die Lippen biss. Dafür war die Umarmung, die sich um Sanzomon legte schon fast zu zart, wie eine Sinnestäuschung, die vertuschen wollte was hier vor sich ging und sie dazu verführen wollte sich gehen zu lassen, wie es Myotismon kurz tat, nachdem er sein Gesicht in ihrem Haar vergrub, ihren Geruch einatmete und bevor er versuchte ihr Halstuch wegzureißen. Sanzomon schob Myotismon mit beiden Händen von sich, versuchte weiter sich zu befreien, bis er ein Handgelenk packte und mit dem anderen Arm weiter um Sanzomons Schultern sie so gut wie bewegungsunfähig machte. Seine Manie war schwächer geworden, dafür zeigte sich Wut.

„Da sieht man, dass du keine Ahnung von der Welt hast. Ich meine es nur gut mit dir. Hör einmal auf das, was ich dir sage. Dein unsinniges Geschwätz hat in einer Kriegswelt nichts verloren. Wunderländer wie sie in deinem Kopf existieren sind zum Scheitern verurteilt. Gefühle und Träume gehen darin unter. Sei mir dankbar dafür, dass ich dir die Schmach dieser Erkenntnis ersparen will. Aber warum sollte ich auch von Verrückten Dankbarkeit erwarten?“

„Verrückt... Du kennst also wirklich, dass ich nur verrückt bin?“

Sanzomon schluckte, spürte wie ihr Hals eng wurde und den Anflug von Tränen.

Myotismon sagte nichts. Seine Mimik war ausdruckslos. Sekunden vergingen. Immer noch nichts, nur das stumme Überlegen, was er sagen sollte. Und statt zu antworten schwieg er. Und allein dass er schwieg, enttäuschte Sanzomon viel mehr, als jede Antwort.

Er war genau wie ihre Geschwister. Genau wie jedes Digimon, dass sie immer für das, was sie war ausgelacht und verjagt hatte. Wie jeder, der sie einfach für verrückt hielt. In seiner Welt, hatte sie wie sie war – wie so oft – keinen Platz.

Er war doch wie alle anderen.

Im Augenblick der Erkenntnis erlosch der letzte Funke Hoffnung - und Sanzomon brach es das Herz.

„Ich verstehe schon...“

Ihr Kopf hing kraftlos auf ihren Schultern. Die Augen schauten zu Boden, fokussierten aber nichts. Keine einzige Faser ihres Körpers schien sich mehr zu rühren und jeder Hauch von Leben ging unter der Last des Kummers verloren. Nicht einmal zum weinen war Sanzomon fähig, obwohl die Augen glasig waren, schon bereit den Tränen ihren Lauf zu lassen. Aber wofür? Es würde nichts bringen.

Ihre Schüler und die Kleinen waren sicher. Zumindest das hatte sie erreichen können. Die Hauptsache war, dass es ihnen gut ging und sie sicher waren. Und immerhin würde sie bei einem Digimon sein, mit dem sie ohnehin zusammenbleiben wollte. Wenn es auch ihrem lavendelblauen Traum in keinster Weise glich.

 
 

𝅜

 

Nichts in Sanzomons Inneren reagierte, als der schwere, dunkle Umhang sich um ihren Körper legte, wie der Arm, der sie näher an den schlanken Körper schob. Ihr Zustand blieb von Myotismon nicht ungeachtet, wenn ihm auch regelrecht schlecht vor Hunger war. Aber bald war dieses Theater vorbei. Sie würde es schon begreifen, irgendwann und dann würde sie dankbar sein, dass er das Richtige getan hatte.

Andersartigkeit, Wunderländer und das Geschwafel von aufrichtigen Emotionen hatte weder in seiner, noch in irgendeiner Welt der absoluten Gleichheit einen Platz. Es musste alles weichen und allein ihre Hingabe für ihn würde bleiben. Das und was auch immer dann noch übrig bleiben würde. Was immer das sein sollte. Wenn überhaupt. Wenn etwas übrig blieb. Etwas Irrsinniges, was ihrer Stimme diesen schönen Klang und ihren Augen dieses Leuchten gab. Diese kleinen krummen Gedanken, von denen er so gerne hörte. Wenn es übrig blieb.

„Wird das heute noch was?“, schrie Piedmon hinter ihm. „Beende es endlich. Wenn du schon ein feindliches Digimon zu deiner Braut machst, dass sorge auch dafür, dass sie gehorsam bleibt und nicht stört. Erst das Konzert des Dirigenten, danach kannst du dir Gedanken über dein Solo machen.“

(Unfug und Nonsens! Was für eine Idee: Erst das Ehrliche! Erst die Gerechtigkeit! Ihr seid sonst nur ein Satz Musiker die ungefragt alles spielen was der Herr Dirigent verlangt!)

Alice' Stimme verstummte so schnell in Myotismons Kopf, wie sie gekommen war. Er versuchte Sanzomon zu lauschen, aber außer ihrem Atem, der mehr wie ein Schluchzen klang, hörte er nicht. Er zog sie näher an sich.

Es war das einzig Richtige, davon war Myotismon mehr wie überzeugt. Richtig war, der Prophezeiung zu folgen, nach deren Erfüllung sich alle Myotismon vor ihm schon sehnten. Das Richtige war, alles zu tun, um den Herr Dirigenten erst zurückzubringen, um ihn anschließend vernichten zu können. Richtig war, wenn alles gleich und tot war, frei von Rechten und Pflichten, damit es nie mehr Krieg geben würde. Richtig war, dass Sanzomon -

(Ich liebe dich)

, dass Sanzomon -

(und wenn Tausende deiner Art vor mir stehen würden)

Sanzomon -

(würde ich dich unter ihnen allen wiederfinden)

Sanzomon...

(Ich liebe dich)

...

(Sag mir, Myotismon, was denkst du darüber?)

„Ich habe es versprochen. Ich habe dir geschworen, dass dir kein Leid mehr geschieht. Und daran halte ich mich.“

Sanzomon erschrak bei der spitzen Eiseskälte auf ihrer Haut. Schmerzen. Warme Flüssigkeit lief über ihre Haut. Ehe Sanzomons Welt trübe und dunkel wurde verloren ihre Glieder die Kraft. Dafür hatte Myotismon ihren langsam bewusstlos werdenden Körper aufgefangen und das Letzte, dass Sanzomon von ihm sah, waren seine blutverschmierten Lippen und seine eisblauen Augen. Aber er hielt sie, also war es in Ordnung. Selbst als ihre Welt schwarz war, spürte sie jenen bizarr warmen Winter, der sie in den Armen hielt.

Er hielt sie im Arm fest. So wie sie es sich so oft gewünscht hatte.

 
 

 

Als erster und wohl auch als Sanzomons stärkster Schüler war für ihr Quartett schon jeher klar gewesen, sollte ihr jemals etwas zustoßen würde Gokuwmon in ihre Fußstapfen treten. Jedoch hatte Gokuwmon immer gehofft, dass dieser Tag niemals käme. Dass sie jedoch so viel Vertrauen in ihn hatte ehrte ihn, obwohl er D'arcmon anfangs so ungerecht behandelt hatte.

Virus-Typen galten allgemein als skrupel- wie rückgratlos. Aber Ausnahmen bestätigten die Regel und Gokuwmon war besagte Ausnahme. Das klang weniger vorurteilsbelastet wie Außenseiter.

Wie Sanzomon schon mit Jijimon und Babamon unter ihren Findelkindern lebte Gokuwmon schon seit er denken konnte unter Kämpfern, war als Kotemon zwischen Gladimon, Ninjamon und Yasyamon groß geworden und wurde von seinem ersten Meister, Meister Musyamon sehr geschätzt. Meister Musyamon, bekannt geworden durch die vielen gewonnen Schlachten lebte einst mit seinen Lehrlingen in einem Dorf im Osten Data Valleys, verließen es aber, als Etemon auf der Bildfläche erschien und Treue und Geld verlangte. Auch auf Meister Musyamons Schatz hatte Etemon es abgesehen.

Auf seiner Flucht mit seinen Schülern bei Nacht und Nebel vergrub Meister Musyamon ein eiförmiges Ding in der Erde, dass das Zeichen trug, das man in der Apartheid als Hod bezeichnete. Gokuwmon wusste damals nicht, dass dies das Digi-Armor-Ei der Aufrichtigkeit war.

Meister Musyamon hatte stets betont, dass Kotemon der geborene Kämpfer sei. Er hatte Talent, daran zweifelte keiner, war stark, so stark sogar, dass er das Champion-Level übersprang und direkt, nach unzähligen Tagen Training auf einem aktiven Vulkan zu Gokuwmon digitierte. Obwohl Gokuwmon stetig Fortschritte machte und seine Kameraden ihn lobpreisten, hielt sich Meister Musyamon damit zurück. Sein Meister sagte, er müsse noch so viel lernen. Er sei ungeduldig und zügellos, er hätte die Stärke und die Intelligenz eines wahren Kämpfers und doch sehe er in seinem besten Lehrling eine große Leere. Er müsse noch sehr, sehr viel lernen, ehe Gokuwmon sich selbst Meister schimpfen durfte.

Und es machte ihn rasend warum er, der von allen, die in den tiefen Dschungeln Servers lebten und bei Meister Musyamon in die Lehre gingen angeblich noch so viel zu lernen hätte und ungeeignet sei, dem es an irgendetwas fehlte, wohingegen seine Kameraden oftmals mit irgendwelchen Harpymon, Lilymon oder Lilamon rumschäkerten. Denen mangelte es an so einigen Dingen, daher bemitleidete Gokuwmon sie auch nicht, wenn sie ihre Selbstdisziplin für ein paar hübsche Augen fallen ließen, die manchmal auch so heimtückischen Digimon wie Persiamon, Lotusmon oder LadyDevimon gehörten. Widerliche Dinger, die, statt zu kämpfen ihre Reize ausnutzen. Verabscheuungswürdig, genau wie diese anderen Weibsbilder, die seine Kameraden mit ihren zierlichen Gesichtern und Körpern vom Wesentlichen fernhielten. In seinen Augen war keiner von ihnen das, was Gokuwmon unter einem wahren Krieger verstand. Und Meister Musyamon sagte daraufhin auch nur wieder, dass er viel zu lernen hätte.

Irgendwann hatte er Gokuwmon fort geschickt. Meister Musyamon meinte, er könne ihm nichts mehr beibringen. Die Lücken zu füllen, dass könne Meister Musyamon nicht. Gokuwmon bräuchte einen neuen Meister und als er fragte, wer dies sein sollte, meinte Musyamon nur, dass er das früher oder später noch erfahren würde. Wenn er seinen Meister gefunden hätte, würde er es wissen.

Gokuwmon protestierte, aber er ging, wenn auch wütend und verbittert. Und diese angestaute Wut ließ er an jedem Digimon aus, dass seinen Weg kreuzte. Kämpfen war alles was er konnte, Stärke und strategisches Denken, dass war es, was ein Krieger brauchte. Dinge die Gokuwmon doch zu genüge besaß und dennoch sollte ihm was fehlen? Und wenn es wirklich so war, wer wolle denn diese Lücke füllen?

Zu Kämpfen war wie den leeren Magen mit Watte vollzustopfen, aber allein für die paar Stunden, die die Ekstase hielt war es jeden einzelnen Kampf wert, egal gegen was oder gegen wen, egal ob er haushoch gewann oder fast dabei drauf ging.

Dann stand da dieses D'arcmon vor ihm, als er gerade ein Grounddramon besiegte, aus keinem wirklichen Grund heraus oder irgendeiner anderen Motivation. Es war da und es war stark und mehr hatte Gokuwmon nicht interessiert. Und dieses D'arcmon hatte zugesehen.

Sie sagten nichts. Irgendwann schüttelte sie nur enttäuscht den Kopf und ging. Er hatte diesem Digimon nachgeschaut und er wusste nicht wieso er gerade da an Musyamons Worte denken musste. Vielleicht weil es so sehr absurd schien, aber als Gokuwmon D'arcmon so ansah, kam ihm der Gedanke in den Sinn, dass sie dieser ominöse neue Meister sein könnte. Kaum dass Gokuwmon das gedacht hatte, hatte er begonnen dieses Engel-Digimon zu hassen. Sein Meister? Ein schwacher Champion? Ein weibliches Digimon?

Gokuwmon hatte drei Wochen gebraucht um es zu akzeptieren, solange war er D'arcmon immer nur hinterhergelaufen, hatte versucht sie zum Kampf anzustacheln und hatte dabei immer versagt, egal wie aggressiv er dabei vorging. Schon damals war sie ein Pazifist und nutzte Worte statt ihr Schwert, aber sie waren ebenso effektiv. Sie hatte damit Sagomon erreicht, der von Piximon bewacht und der allein bei dem Gedanken, mit einem Serum die gleiche Atemluft zu teilen das Gesicht verzog. Genauso wie Cho-Hakkaimon, die sie in einem Dorf von der Straße aufgegabelt hatten, nachdem Digitamamon – damals noch Tellerwäscher – sie aus der Taverne kickte, nachdem sie sich bei seinem damaligen Arbeitgeber vollgefressen und sich unmöglich aufgeführt hatte (und bezahlt hatte sie auch nur die Hälfte).

Sie mochte den Kampf meiden, aber hatte ein Herz, dass dem eines Kriegers ebenbürtig war. Sie sprach von Bereicherung, von einer Seele, einem Ich, dass sie entdecken, verstehen und weitertragen müsse. Sie dachte zu viel und zu absurd, dass kaum jemand mitkam, aber man gewöhnte sich daran.

Gokuwmon war der Erste, der sie nach ihrer Digitation sah. Sie war die Tage und Nächte zuvor immer nachdenklicher geworden und in einer Nacht schlief sie gar nicht, während sie irgendwo in einer Steppe ihr Lager errichtet hatten. Mehrmals hatte Gokuwmon D'arcmon gefragt, ob sie etwas bedrückte, aber sie sagte nur, dass es ihr blendend ginge und das hatte alles gesagt.

Er meinte, im Schlaf D'arcmons Stimme gehört zu haben

(D'arcmon Ultra-Digitation zu -)

wachte aber erst zum Sonnenaufgang wieder auf. Und da saß nicht mehr D'arcmon vor ihm, sondern sie war digitiert und Sanzomon kniete gegen das Sonnenlicht auf dem Boden, lächelte Gokuwmon an, als sie merkte, dass er aufgewacht sei und sprach mit ihm wie immer.

Als Gokuwmon dies sah, wusste er auch, was ihm immer gefehlt hatte. Ein Sinn. Er kämpfte, er lernte, aber für was? Nichts anderes hatte er im Leben. Seine Kameraden mochten schwächer sein und der einzige Sinn den sie im Kopf hatten, war es flatterhafte Digimon zu imponieren. Aber es war besser wie nichts.

Sanzomon war sein Sinn. Sie, Cho-Hakkaimon und Sagomon, Sirenmon und die Sistermon, die Kleinen, Grey Mountain. Es war erfüllend, wenn sie auch, als Anhänger der vier Souveränen in Furcht lebten. Gokuwmon wollte sie beschützen und das hatte er nie für irgendwelche Digimon empfunden. Besonders Sanzomon wollte er beschützen. Wenn er auch mürrischer wie Cho-Hakkaimon und harscher wie Sagomon war, war seine Beziehung zu Sanzomon ein wenig stärker, wie zu den anderen beiden. Wenn es bei weitem nie die Intensität hatte und nie haben würde, die bei dieser Fledermaus. Vielleicht weil sie zu unterschiedliche Digimon waren. Weil Gokuwmon anders erzogen wurde. Oder weil er einfach er war.

Gokuwmon musste sich eingestehen, dass er eifersüchtig auf Myotismon war. Deswegen und weil alle anderen das auch wussten, hatte man sein Misstrauen kleingeredet. Er könnte allen einen Vorwurf machen, aber das wäre in ihrer momentanen Situation mehr wie unangemessen. Schließlich hatte Gokuwmon es selbst auf seine Eifersucht geschoben. Und hatte letztendlich auch versagt.

„Was schaut ihr mich nun alle so an?“, seufzte Gokuwmon, nicht so grimmig wie gewohnt, aber verstimmt. Opposumon und Gawappamon waren die einzigen Digimon, die vor Gokuwmon standen und auf ein Kommando seinerseits warteten, während der Rest geschlossen und missmutig auf den Boden starrte. Sie hatten es geschafft den Ewigen Wald hinter sich zu lassen und da die oberste Priorität war, einen sicheren Ort für alle zu finden, wäre Piximon die naheliegenste Option. Allerdings mussten sie dafür auf die andere Seite des Sees und da haperte es.

„Meister Sanzomon hat dir das Wort erteilt. Du entscheidest also was wir tun“, sagte Opposumon und jedes einzelne Wort klang gequält und gezwungen. Sie zuckte, als sie ein Brüllen in der Ferne hörte. Die Baby- und Ausbildung-Digimon schreckten ebenso auf und klammerten sich an die beiden Sistermon. Devidramon konnte man in der Ferne ihre Runden drehen sehen, aber sie schienen nicht näher zu kommen.

Einigen Goatmon, Sheepmon und Butterflymon waren ihnen begegnet, aber nicht mehr. Die meisten Digimon, die zur Weißen Königin gehörten waren schon geflohen, bis sie in der Wüste waren oder über die Bergreihen noch weiter Richtung Norden. Die Reppamon und Kyubimon hatten eine sichere Evakuierung organisiert, da die Swannmon rechtzeitig Alarm geschlagen hatten. Die Moosemon hatten sich entschlossen zu helfen, hatten die Grizzlymon und Digimon, die weiter weg lebten gewarnt. Scheinbar hatten Sanzomons Worte doch etwas bei ihnen bewirkt.

Gokuwmon blickte nachdenklich auf, um Sirenmon zu sehen, die über das Wasser zurück ans Ufer flog.

„Ich hab die andere Seite gefunden. Scheint ruhig zu sein, aber der Weg ist weit. Und ich habe weder Boote, noch Digimon gesehen, die uns helfen könnten“, sagte sie schnaufend, erschöpft vom Flug. Sie war längere Strecken gewohnt, aber Machinedramons Angriff hatte ihr übel zugesetzt. Sie alle waren noch schwer angeschlagen.

„Dann müssen wir wohl doch im Wechsel rüber.“

„Und wenn wir außenrum gehen, Gokuwmon?“, fragte Sistermon Noir.

„Das dauert noch länger.“

„Wie kommen wir aber alle darüber?“, fragte Gawappamon und sah über das Wasser. Kein Ufer war am Horizont zu sehen. Irgendwo in der Weite hörte man Donner und Gebrüll, sah Lichtblitze und Rauch. Die Souveränen hielten die Meister der Dunkelheit noch immer in Schach. Die Frage war nur für wie lange.

„Selbst auf deiner fliegenden Wolke passen wir nicht alle da drauf, Gokuwmon“

„Wird schon gehen. Sirenmon kann ja fliegen und du kannst schwimmen. Wir können nur hoffen, dass uns keiner sieht. Das wird eine sehr holprige Angelegenheit.“

„Also gehen wir wirklich ohne Meister Sanzomon?“

Gokuwmon schnaubte, ehe er zu Opossumon sah. Die Ausbildung- und Baby-Digimon wurden bei Sanzomons Namen hellhörig.

„Wir müssen. Du hast sie gehört. Wir müssen das respektieren.“

„Können wir nicht wenigstens versuchen ihr zu helfen?“

„Und wie stellst du dir das vor?“, mischte sich Sirenmon ein, die wieder an Puste zugenommen hatte. „Du hast selbst gespürt, dass wir nicht die stärksten Digimon sind. Und jetzt, da du wieder auf dem Champion-Level bist, ist die Chance noch geringer. Denkst du, Sanzomon wäre erfreut, wenn sie mitbekäme, dass wir für sie so leichtsinnig unser Leben riskieren?“

„Aber wir müssen doch was machen! Wir müssen zu Meister Sanzomon!“

„Willst du das wirklich?“, fragte Sistermon Noir. Nun hielt sie, zusammen mit SnowBotamon auch Sistermon Blanc im Arm. Sie hatte auf ihrer ganzen Flucht nichts gesagt. Der Schock saß tief und nachdem was Piedmon offenbarte, war sie geistig wieder an jenen Tag, als sie schon einmal ihre Heimat an die Meister der Dunkelheit verlor.

„Was wenn Myotismon mit Meister Sanzomon das gemacht hat, was Piedmon unserer Schwester angetan hat? Wenn -“. 

Dann sprach Sistermon Noir nicht mehr weiter. Ihre Schwester war bereits den Tränen nahe, zumindest sie wollte stark bleiben.

„Das hat er sicher nicht.“

„Was macht dich so sicher?“, fragte Gawappamon. Er klang immer noch ernst wie gewohnt, aber in dieser Gestalt wirkte diese Stimme so unpassend.

„Wie er Meister Sanzomon immer angesehen hat. Ein Digimon, dass ein anderes so anschaut tut ihm nichts Schlimmes an.“

„Fang nicht damit an“, schnaufte Gokuwmon, noch lauter und vor allem deutlicher, was Opossumon entweder nicht begriff oder, ihrem sehr beharrlichen Blick zu urteilen, ignorierte.

„Aber, Gokuwmon -“

Schnauze jetzt!

Zwar hatte er nur Opossumon damit zum Schweigen bringen wollen, doch damit eingeschüchtert hatte Gokuwmon eher alle anderen. Opossumon selbst blieb nur beleidigt, wandte sich aber dann von ihm mit hängenden Kopf ab. Der Zipfel ihrer Mütze hing in ihrem nun tierähnlichen Gesicht.

„Sind wir Schuld?“, fragte Yaamon nach langem Schweigen. Die älteren Digimon sahen nun alle geschlossen und mit weit aufgerissenen Augen zu den vierundzwanzig Digimon, eines so bestürzt und traurig wie das andere.

„Wäre Sanzomon mitgekommen, wenn wir nicht wären?“, fragte von Kyaromon, das zwischen Kyokyomon und den beiden Pagumon saß. Nyokimon und Yuramon schluchzten und verkrochen sich unter Sirenmons Federkleid und als auch SnowBotamon, dass auf Sistermon Blanc Arm saß kurz davor war loszuheulen, ging Gokuwmon zu ihnen hin.

„Redet nicht auch noch so einen Unsinn“, sagte er, wenn auch forsch. „Denkt nicht über das nach, was Sanzomon, sondern was die Meister der Dunkelheit getan haben. Sanzomon entschied sich dafür, weil sie dies für das Beste hielt. Haltet also ihr Opfer in Ehren. Sie will sicher nicht, dass ihr hier sitzt und euch Schuld einredet. Dafür hat sie sich nicht dem Feind ergeben.“

„Warum hat Myotismon das getan?“, fragte Viximon mit hängenden Ohren. „Wir dachten, er mag Sanzomon.“

Genau deswegen, dachte Gokuwmon, sprach es aber nicht aus. Den Kleinen so etwas komplexes zu erklären wäre vergebens, sie würden es nicht verstehen. Für die hässlichen Seiten von sonst eher positiv aufgefassten Gefühlen waren sie noch zu klein. Geschweige denn, was Wahnsinn war.

SnowBotamon, das jüngste Digimon (und immer noch eine Heulsuse), blies traurig einige Seifenblasen in die Luft. Es wollte etwas summen, aber jede Melodie, die ihm einfiel erinnerten es an Sanzomon. Sistermon Blanc strich über SnowBotamons Kopf, aber es verschaffte nicht das wohlige Gefühl, dass es sonst tat. Es hatte die Situation nicht ganz begriffen, nur dass die Trauer, die jeder von ihnen versprühte sehr ansteckend war. Das und dass Sanzomon nicht da war. Und Boogymon auch nicht. Es wurde trauriger und spitzte die Ohren – die sich, seit es seine musikalische Ader entdeckt hatte sensibilisiert hatten -, ob es etwas hörte, dass verriet das die beiden noch kämen und dann wäre diese bedrückende Stimmung vorbei. Und tatsächlich hörte es die Fledermäuse von Weiten und das lähmende Gefühl war dahin. Und sie kamen näher, in ihre Richtung, so wie der unheimliche Nebelschleier.

„Boogymon! Boogymon!“, jauchzte es und war so in Euphorie, dass es gar nicht merkte, dass sein Rufen und der Name bei den anderen Digimon alles andere als Freude auslöste. Es sprang hinunter, zurück zu den grüngelben Bäumen und den Farn, spiralförmig und gemustert wie in einem abstrakten Gemälde und sah dazwischen einige Fledermäuse flattern. Sistermon Blanc schnappte es sich jedoch wieder, ehe es in den Wald lief, wo erst ein paar Bakemon und Soulmon hervorkamen. Es folgte anschließend Phantomon.

„Da sind sie, Meister“, rief Phantomon zwischen die Bäume und Sistermon Blanc fiel auf den Boden vor Schock, mit dem immer noch euphorisch zappelten SnowBotamon im Arm. Gokuwmon, der mit Opossumon, Gawappamon und Sirenmon vor Sistermon Blanc eilte und sie wieder zu ihrer Schwester und den Kleinen schob, erkannte im Geäst die Ansätze des dunklen Umhangs. Myotismon trat nur langsam aus dem Schatten, Auge in Auge mit Gokuwmon, der seinen Kampfstab hielt und das affenähnliche Digimon spürte sein Herz im Brustkorb hämmern, während er unter seinem Fell unerträglich schwitzte.

„Lasst gut sein. Ich will euch nicht schaden“, rief Myotismon, aber Gokuwmon nahm es kaum wahr. Er starrte nur auf das Digimon, dass bewusstlos in Myotismons Armen lag.

„Meister Sanzomon...“, flüsterte Gawappamon, Opossumon schlug ihre Hände von den Mund. Es war also keine Sinnestäuschung, wie Gokuwmon erst dachte und der Jubel der jungen Digimon hinter ihm versicherte es. Auf Myotismon hatte schon keiner mehr geachtet, bis er einige Schritte auf sie zu ging, erinnerte Gokuwmon sich wieder in welcher Lage sie steckten und wem sie das zu verdanken hatten.

„Stop! Kein Schritt weiter!“, brüllte er , tatsächlich blieb Myotismon auch stehen, seine Miene ausdruckslos.

„Ich will euch euren Meister wiederbringen, also nimm das dämliche Ding da weg, bevor es noch jemand ins Auge bekommt.“

„Und Euch blind glauben? Nach alldem?“

Hinter Gokuwmon ermahnten die Ausbildung-Digimon die jüngeren Baby-Digimon, dass sie ruhig sein sollten. Der Jubel stockte. Sie begriffen, wie unangemessen diese Freude gerade schien und wie hin und her gerissen sie waren, einerseits durch die Freude, dass das Digimon, das so etwas wie ihre Mutter war wieder da war und der Angst nicht zu wissen was in dem Kopf des großen, bösen Boogymon vorging. Aber er gehörte zum Orchester, das haben sie begriffen, und das Orchester war böse.

Sie zuckten zusammen, als Myotismon kurz zu ihnen sah. Er hatte lange ruhig dagestanden, gewartet, dass die Skepsis sinken würde, was sich als vergebens erwies. Sie blieben stur und misstrauisch.

Fledermäuse kamen von den Bäumen geflogen, packten Sanzomon an ihren Kleidern und trug sie aus Myotismons Armen hinüber zu ihrem Gefolge, um sie direkt über Gokuwmons Armen loszulassen und er sie auffangen konnte.

„Was habt Ihr ihr angetan?“, rief Gokuwmon zu ihm hinüber. Gokuwmon war auf die Knie gegangen, so dass auch Opossumon und Gawappamon einen Blick auf ihren Meister werfen konnten. Die beiden Sistermon traten näher, Siren mon ließ sich auf Gokuwmons Schulter nieder.

„Bevor du mir etwas unterstellst, schau richtig hin.“

Und dies war es auch, was Gokuwmon tat, aber nicht ohne dabei Myotismon weiterhin misstrauisch zu beäugen. Vorsichtig schob er Sanzomons Halstuch fort und entblößte Nacken und Hals. Sie hatte leichte Schrammen und Kratzer – aber kein Hinweis auf einen Biss.

„Aber wie… Wie seid ihr unbemerkt davongekommen?“, fragte Gawappamon. Myotismon sagte nichts, sondern hob nur seine Hand, dann zog er den Ärmel hinunter. Zwei große Löcher, gerötet und geschwollen ragten unterhalb des Handgelenks.

„Piedmon wollte eine Show und die hat er bekommen. Er hat nicht gesagt, dass die Effekte echt sein müssen. Ich habe ihr nur ein paar Kratzer und einen Schlag in den Bauch verpasst, sonst wäre es nicht authentisch genug gewesen. Würde sie nicht immer so viel arbeiten, wäre sie auch schon längst wieder wach. Typisch, schläft immer an den unmöglichsten Orten.“

Ungläubig blinzelte Gokuwmon, Opossumon flüsterte zu den Sistermon, dass eine von beiden sie kneifen sollte, aber sie hingen bei den Bakemon und Soulmon fest. Als diese das merkten, versuchten sie zu lächeln. Sistermon Blanc lächelte schüchtern, Sistermon Noir hingegen ging unsicher einen Schritt zurück. Die Bakemon und Soulmon seufzten.

„Schaut nicht so erbärmlich drein. Und achtete auf eure Körperhaltung“, schimpfte Myotismon von der Seite und schlagartig streckten die Geist-Digimon ihren Rücken durch, weniger aber weil ihr Herr und Meister es befahl, sondern weil zum gleichen Zeitpunkt hinter ihnen ein Devidramon landete. Die Baby-Digimon schrien auf, gleichzeitig stieg hinter ihnen Raremon aus dem Wasser und hysterisch rannten sie zu den älteren Digimon. Gokuwmons Herz hämmerte vor Anspannung und ärgerte sich bereits, dass er wirklich dachte, Myotismon hätte es gut gemeint mit ihnen. Dieser aber blieb ruhig.

„Raremon bringt euch auf die andere Seite. Der Weg über Wasser ist sicherer, wie durch die Luft. Dennoch wird Devidramon und damit der Nebel euch begleiten, dann sieht euch auch niemand. Sobald ihr auf der anderen Seite seid könnt ihr ja zusehen, wie ihr klar kommt“, erklärte Myotismon ihnen und da bemerkte Gokuwmon, dass er nicht entspannt war, sondern einfach absolut gefühllos in seiner Sprache. Mehr wie grimmige Blicke wurden nicht ausgetauscht, aber keiner wagte es zuerst den Schritt zum Gehen zu wagen, dafür lag zu viel Ladung, Argwohn und Unsicherheit in der Luft.

Was gerade Sirenmon jedoch den Mut gab dieses Eis zu brechen verstand sie selbst nicht. Eventuell weil die gleiche Spannung zwischen ihr und Digitamamon gelegen hatte, als sie im Streit ging.

„Danke, dass Ihr Sanzomon wieder gebracht habt, Myotismon“, rief Sirenmon zu ihm hinüber, mit den Flügeln vor ihrer Brust gefaltet, aber Myotismons Mimik brachte sie nur dazu die Schultern hängen zu lassen.

„Ich hab das für keinen von euch gemacht. Ihr seid und bleibt mir gleich.“

„Und Sanzomon? Bedeutet sie Euch denn wirklich gar nichts?“, keifte Opossumon nun, man sah wie Myotismon mit den Augen rollte und den Kopf schüttelte. Und doch zögerte er etwas.

„Sie ist wieder bei euch. Ihr wolltet doch, dass eure Hohepriesterin von diesem grusligen Digimon weg kommt. Seid froh, dass ich sie euch wiederbringe, wenn ihr schon zu feige seid zu sagen, wie sehr euch unsere Beziehung missfiel. Was Sanzomon an euch so schätzt werde ich nie begreifen.“

Nun waren auch die Baby- und Ausbildungs-Digimon näher herangetreten, weniger aber um nach Sanzomon, sondern nach dem so gefürchteten Boogymon zu schauen. Aber er schenkte ihnen kaum Beachtung.

Sein Umhang drehte sich mit ihm, als Myotismon ihnen den Rücken zuwandte und sich zum Gehen aufmachte. Raremon und Devidramon jaulten schon ungeduldig, aber Gokuwmon blieb weiter auf Myotismon fixiert, der schon fast mit Phantomon wieder im Wald verschwunden war. Und mal abgesehen von der Tatsache, dass es ein absolut unhöfliches und arrogantes Benehmen war, hatte Gokuwmon nicht vor ihn so davonkommen zu lassen. Denn wenn Gokuwmon eins nicht auf sich sitzen lassen wollte, dann dass er feige sei.

„Myotismon! Wartet bitte kurz“, rief Gokuwmon ihm hinterher und Myotismon blieb auch sofort stehen. Überrascht blickte er zurück, davon dass es ausgerechnet Gokuwmon war, der ihm am Gehen hindern wollte. Auch Gokuwmon war nicht immer so klar zu lesen, wie man dachte. Wenn auch keine Abgründe, aber mit dem selben Drang darin zu suchen, wie Sanzomon ihn hatte.

„Warum habt Ihr es nicht getan? Ihr hattet so viele Gelegenheiten sie zu beißen und sie zu einer Dienerin zu machen. Es wäre doch für Euch so viel einfacher und sicherer gewesen. Also warum habt Ihr ein Jahr an uns verschwendet?“

Nun starrten auch die Bakemon und Soulmon gespannt zu ihrem Herrn, bei dem sich aber erst nur eine Augenbraue hob und sich selbst fragte, warum gerade Gokuwmon das nun wissen wollte. Und wenn Gokuwmon ehrlich war, erwartete er keine klare Antwort, höchstens dass er die Frage umging.

Bekanntermaßen jedoch war Myotismon immer mal wieder für Überraschungen gut.

„Eine Weiße Königin, die nicht schon beim Erwachen an mindestens sechs unmögliche Dinge denkt, ist keine Weiße Königin des Wunderlandes. Eine Weiße Königin, die das nicht kann, ist eine tote Königin. Und was soll ein schlafender König mit einer toten Königin?“

Im ersten Moment klang es wirklich so kryptisch, wie Gokuwmon und auch die anderen erwartet hatten. Wenn man aber so darüber nachdachte, erkannte man einen Sinn, ohne Sanzomons geliebte Alice-Märchen zu kennen. Trotz der Distanz von geschätzt sechs Metern merkten man deutlich, dass Myotismon dabei nur Sanzomon ansah und irgendwo bedauerten ihre Schüler es, dass sie dies hier nicht mitbekam. Geschweige denn, dass erst so etwas passieren musste, damit Myotismon das über die Lippen brachte.

Opossumon seufzte, Gawappamon schüttelten den Kopf. Gokuwmon verkniff sich ein Schmunzeln.

„War Euch ein weil ich sie liebe zu schlicht oder was sollte diese schwülstige Rede?“

Gokuwmon versuchte zu Lächeln und hoffte zumindest, Myotismon würde ihn wie gewohnt abwerten, genervt schnaufen oder mit den Augen rollen. Zu Gokumons Bedauern tat Myotismon nichts davon.

„Wenn sie aufwacht, sagt ihr nicht, dass ich sie zurück gebracht habe. Es ist besser für sie. Denkt euch etwas aus. Setzt keinen Fuß mehr nach Grey Mountain. Ich garantiere sonst für nichts.“

Alle Digimon nickten, das eine mehr, dass andere weniger deutlich.

„Und was euch betrifft“, sprach Myotismon weiter und drehte sich zu den Bakemon und Soulmon, die zusammenfuhren und stocksteif in der Luft schwebten. „Das ist niemals passiert. Verstanden?“

„Ja, Meister Myotismon“, antworteten sie folgsam, aber nicht besonders erfreut. Und sie, selbst Phantomon warf einen letzten Blick auf die angeschlagene Gruppe. Als Phantomon zu Opossumon sah, drehte er sich von ihr weg, während die Bakemon und Soulmon bei den Sistermon und selbst bei den Kleinen lange hingen. Diese wussten selbst nicht, ob sie nun Angst haben sollten oder nicht, schließlich gehörten diese Digimon zu Myotismon. Der aber versucht hatte Piedmon aufzuhalten. Der Sanzomon zurückgebracht hatte. Hätte Myotismon nochmal Augenkontakt mit ihnen aufgenommen, hätten sie vielleicht verstanden, dass es ihm mehr um Prinzipien ging als um echte Empathie. Stattdessen vergaben sie ihm und sahen aus dem Wald Krallen und Schatten kommen, direkt hinter Myotismon, aber weder er noch einer seiner Diener bemerkte irgendetwas. Sie öffneten ihre Münder, rissen die Augen weit auf und bevor sie rufen konnten,

Boogymoooon, hinter dir!

wurde Myotismon von hinten attackiert, nach vorne geworfen und blieb auf den Boden liegen. Der Schatten stellte sich als Devimon heraus, der aus den Bäumen geflogen kam.

„Verräter! Piedmon hatte Recht, dir kann man nicht trauen!“

„Ausgerechnet er wagt es mich so zu nennen“, knurrte Myotismon, als er wieder aufstand, als hätte ihm der Angriff gar nichts ausgemacht. „Und was hast du nun vor? Töten kannst du mich nicht, was du aber wohl oder übel tun müsstest, wenn du diesen Kinderchor haben willst.“

„Orchester-Regeln gelten für das Publikum nicht.“

Kaum dass Devimon es aussprach, flogen Vilemon und Megadramon aus dem Wald auf sie zu, Guardromon schritten aus den Hecken.

„Haut ab!“, rief Phantomon zu den Digimon hinter ihm. „Wir beschäftigen sie für eine Weile, bis ihr fort seid.“

„Das wird das letzte Mal sein, dass ich euch aus der Klemme helfe. Also macht und bringt euch und euren Meister in Sicherheit“, sagte Myotismon noch zu ihnen – besonders Gokuwmon streng anschauend – dann, als Devimon auf ihn losging flogen beide davon, um ihren Kampf auf höheren Ebenen auszutragen, ein Megadramon folgte ihnen. Die Bakemon und Soulmon hatten sich von einem duzend zu einem riesigen Exemplar ihrer Sorte verschmolzen und griffen mit Phantomon die Guardromon an.

„Los! Sehen wir zu, dass wir weg kommen!“, rief Gokuwmon in die Runde. Alle Digimon setzten sich in Bewegung, die kleinen Digimon voraus zu Raremon, jedoch tauchte ein Schwarm Vilemon vor ihnen auf, die ihnen nicht nur den Weg versperrten, sondern auch Raremon kratzten und zwickten. Und als sie dass sahen, stellten sich alle vierundzwanzig in eine Reihe und schossen mit Seifenblasen auf die Vilemon, die ihnen zwar wenig schadeten, aber in den Augen brannten. Sirenmon kam angeflogen und mit einem kurzen Erklingen einer Arie, der Hölle Rache, fielen die Vilemon antriebslos zu Boden wie Steine.

Sistermon Blanc und Sistermon Noir schauten lange den Geist-Digimon nach und weil dass alles sie doch zu sehr an jenen Tag erinnerte, als sie ihre Heimat verloren, sie flohen und ihre Schwester Sistermon Ciel zurückließen, nickten sie sich zu, machten auf dem Absatz kehrt und liefen wieder zurück.

„Hey, wo rennt ihr-“, fragte Gawappamon, aber sie liefen an ihm vorbei und packten dabei noch Opossumon, mit der sie auf den Rücken von Devidramon sprangen. Dieses stieg auch sofort in die Höhe und von ihrem Standort aus zielten die Sistermon mit Blitzen und Patronen auf die Guardromon. Ein bisschen verwundert waren die Geist-Digimon zwar über die Hilfe, freuten sich aber, als die beiden Schwestern lächelnd zu ihnen hinunter winkten.

„Ihr seid ja immer noch da! Welchen Teil von Haut ab! habt ihr nicht begriffen?“, schimpfte Phantomon, der zu ihnen geflogen kam, bis Devimon genau vor Phantomon erschien.

„Phantomon, geh zurück! Ballonbombe!“, rief Opossumon. Mit einem klatschen in die Hände erschienen nicht nur viele bunte Ballons um Devimon, sie explodierten auch sofort. Ein paar der Explosionen auf Konfetti und Qualm erwischten ihm im Gesicht. Devimon rieb sich dieses und mit einem Faustschlag von Myotismon, der angeflogen kam, fiel Devimon – wenn auch wohl vorerst – in die Gräser.

„Jetzt haut endlich ab, bevor der Rest hier auftaucht!“

„Aber -“

„Geht endlich!“, schrie Myotismon zu ihnen hoch und Devidramon, vom Ton seines Herrn eingeschüchtert, horchte, trotz der Proteste der Sistermon und Opossumon. Es flog in den Nebel, in dem Raremon schon verschwunden war und schon nach wenigen Metern sah man nichts mehr, weder vom Ufer, noch von den Digimon, die unüberhörbar immer noch kämpften. Opposumon versuchte durch den Nebel hindurchzusehen zumindest etwas schemenhaftes zu erkennen, aber nichts als das Gemisch verschiedener Grau-Stufen. Sie ließ sich zwischen den beiden Sistermon fallen. Die Digimon, die auf Raremon saßen versuchten ebenfalls ihr Glück und waren ebenso erfolglos. Sirenmon flog etwas nach oben und Gokuwmon und Gawappamon, wie auch die kleinen Digimon warteten ab, ob sie etwas sehen würde. Aber Sirenmon schüttelte nur den Kopf und selbst jene, die Myotismon für den Verrat alles Schlechte der Welt wünschten, seufzten schwer.

„Boogymoooon!“, rief SnowBotamon in den Nebel, wenn seine Antwort wohl aber bei niemanden ankommen würde und als es das begriff, sammelten sich Tränen in den schwarzen Knopfaugen.

„SnowBotamon mochte ihn echt gerne“, sagte Gawappamon und sah zu, wie Gokuwmon das kleine Digimon auf die Hand nahm und dann auf Sanzomons Bauch absetzte. Die kleinen Digimon rückten näher, sahen SnowBotamon mitleidig an und wollten es trösten, obwohl sie sonst immer genervt von seiner Heulerei waren.

„He, was hat Sanzomon da in der Hand?“, rief Kokomon auf. Sanzmons Hände haben die ganze Zeit auf ihrem Bauch gelegen, aber nun da SnowBotamon es sich dort bequem gemacht hatte merkte man, dass sie etwas unter ihrem Ärmel festhielt. Unter den neugierigen Blicken aller Digimon – selbst Raremon schien seine nichtvorhandenen Ohren zu spitzen – griff Gokuwmon danach. Sanzomon hielt einen Lavendelstrauß in der Hand.


Nachwort zu diesem Kapitel:
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...Mal ganz ehrlich. Von 'ner Skala von 1 bis drölf, wie sülzig war das?

Piedmon zitiert übrigens die Herzkönigin, allerdings sagt sie in etwa "Erst das Urteil, dann die Verhandlung", doch Alice widerspricht ihr (so wie hier auch).

Die offizielle einzige Digitation von Sanzomon wäre zu Shakamon, allerdings würde es viel eher zu Sanzomon passen, würde sie eine andere Route einschlagen (und mal ehrlich, so wie sie drauf ist hätte Shakamon niemals zu ihr gepasst). Wäre ihr Traum, den sie als Cupimon hatte wahr geworden oder wäre sie zu was anderem digitiert? Was hätte gepasst?

Ein Keks für den, der errät was für 'n Song bei dem Kapitel Dauerschleife lief. Ich geb 'nen Tipp: es ist 'ne deutsche Band. Komplett anzeigen

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