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Wintersonett

Which dreamed it?
von

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Konzert VIII - POOL OF TEARS, 3. Satz, Largo lugubre allargando Eis-Moll


 

𝄞

 

Flammendes Inferno!

Die Kombination aus seinem dichten Umhang und Jijimons telekinetischen Lehren hatten es Myotismon bisher ermöglicht Deemons Angriffen so gut wie möglich standzuhalten, egal ob sie ihn streiften oder direkt trafen. Diese Strategie würde auf Dauer aber immer weniger erfolgreicher werden. Die Wahl an Möglichkeiten blieb begrenzt.

Deemon war stärker wie er und insbesondere war er wütender. Mit zunehmender Zeit stieg diese Wut nicht nur an, sondern auch büßte Myotismon immer mehr Ausdauer ein (nicht zuletzt auch durch den Mangel an Blut in seinem Inneren). Mit reiner Gewalt auf Deemon einzuschlagen konnte er vergessen.

Bisher spielte Deemon nur. Es blieb nur die Frage, wann es ihm zu langweilig wurde.

Die Feuersalve traf Myotismon direkt. Er streckte die Hände aus, versuchte allein mit Telekinese den Angriff zu blocken. Bei einem schwächeren Digimon wäre es einfach gewesen den Angriff umzulenken, auch gegen Digimon seines eigenen Levels. Aber ein Mega-Level, dass zudem noch ein Dämonenkönig war, war ein Problem. Ein sehr großes Problem.

Die flammende Kraft drückte Myotismon immer weiter hinunter zurück zum Boden, aber er konnte den Angriff abwehrten, ehe seine Füße diesen auch nur berührten. Deemon schwebte über ihm und dass allein ärgerte Myotismon mehr, als die Tatsache, dass dieses Digimon ihm zum Narren hielt. Er schwebte permanent über ihm, provokant, als Ausdruck dessen, dass er ihm überlegen war.

„Findest du diese Situation auch so nostalgisch wie ich?“, sprach Deemon vergnügt, beachtete Myotismon wenig, sondern sah sich um. „Ein Kampf am Meer - es ist dunkel, die Wellen laut. Das weckt Erinnerungen. Es freut mich, dass du es doch nicht vergessen hast.“

„Nicht vergessen, aber Erinnerungen an dich und an das Meer der Dunkelheit waren es nicht wert, dass ich sie in Ehren halte.“

„Wegen einem ganz bestimmten Vorfall? Wer sich so einen unheilvollen Decknamen aussucht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er diesem irgendwann gerecht wird.“

Myotismon antwortete nicht. Es war ohnehin nur ein weiterer Versuch von Deemon, ihn zur Weißglut zur treiben. Dieses Digimon saugte den Zorn aus ihm heraus, wie Myotismon sonst das Blut aus seinen Opfern. Nur dass es leichter war an diesen Zorn zu kommen. Auch wenn Myotismons Gesicht eisern blieb, innerlich tobte der Schneesturm.

„Piedmon kann einem fast Leid tun. Er hat zusehen müssen und nichts machen können. Er hat in einer Sekunde seinen Freund und seine Daseinsberechtigung verloren. Kein Wunder, dass er so durchdrehte.“

„Er hat dein Mitleid sicher nicht nötig. Albtraumkralle!

Deemon wich nicht aus. Als der rote Strahl ihn fast traf, fing er diesen ganz leicht mit einer Hand ab und hielt die Albtraumkralle samt Myotismon am anderen Ende fest.

„Mich würde ja interessieren, was zwischen euch vorgefallen ist. Du und Dracmon waren doch so gut befreundet. Ich möchte sogar sagen euer Verhältnis war fast brüderlich. Was also ist passiert, dass du so schlecht auf ihn zu sprechen bist und Piedmon und die anderen dich lieber tot sehen wollen? Kann ja nicht allein an deiner hübschen Maitresse liegen.“

„Lenk nicht ab!“, rief Myotismon ihn entgegen. „Ich dachte, du willst dich rächen. Also halt dich aus unseren Angelegenheiten raus! Du würdest es ohnehin nicht verstehen.“

„Vielleicht hast du Recht.“

Seine Stimme klang ruhig, aber es hatte nichts beruhigendes oder erleichterndes an sich. Diese Ruhe war nur der Auge des Sturmes und auch wenn Deemon weiter ruhig klang, war sein Ton gleichzeitig scharf wie seine Krallen.

„Vielleicht bin ich wirklich nicht in der Lage die verlassenen Digimon von Digirittern zu verstehen.“

Halt den Mund!

Mit der noch freien Hand holte Myotismon mit einer weiteren Albtraumkralle aus. Aber auch die wurde von Deemon abgefangen. Myotismon kochte innerlich. Die Hände zitternd vor Wut.

„Stell mich nie wieder mit diesen Volksverrätern auf eine Stufe! Wir sind nicht wie diese verfluchten Souveränen, noch wie dieser erbärmliche Haufen Digimon, die glauben sie könnten meinen Plan durchkreuzen! Wage es nie wieder mich mit ihnen zu vergleichen, geschweige denn meinen Kapellmeister mit diesem nichtsnutzigen Haufen Kindern!“

Myotismon legte seine gesamte Kraft in beide Albtraumkrallen. Ein sinnloses Unterfangen, Deemon damit attackieren konnte er nicht. Aber es war Deemon auch nicht möglich Myotismon von seiner eigenen Medizin kosten zu lassen und ihn ins salzige, dunkle Wasser oder gegen den nächsten harten Untergrund zu werfen. So deliziös Myotismons Zorn auch für Deemon war, so überrascht war er auch, welche Kraft dieses untote Digimon in sich hatte und wie stark sein Wille.

„Schluss jetzt!“

Gleich einem plötzlichen Wetterumschwungs oder der Wechsel von hell zu dunkel änderte sich nicht nur die ganze Atmosphäre, die die beiden Digimon umgab. Auch die Quelle, aus der Deemon seine Kraft geschöpft hatte war mit ein auf dem anderen Moment versiegt. Myotismon war zwar immer noch wütend, und dies deutlich spürbar, aber dieser Zorn baute nicht auf Hass oder dem Zerstörungsdrang auf. Es war Verblüffung und dann schlichte Genervtheit, als er Yuki erblickte.

Sie stand abseits, näher an Deemon, als an Myotismon, kerzengerade samt erhobenem Haupt, die Arme hinterm Rücken verschränkt. Von Deemons Schlag sah man nichts mehr wie einen rötlichen Schimmer auf der Wange. Nicht mal sonderlich eingeschüchtert wirkte sie, sondern entschlossen.

„Was zur Hölle willst du jetzt noch hier? Verschwinde endlich!“

Aber Yuki hörte nicht auf ihr Onkelchen.

„Nein“, antwortete sie nur knapp, das Risiko von Myotismon angebrüllt zu werden ignorierend, zumal sie ahnte, dass er sie so oder so zusammenstauchen würde.

„Was soll das heißen, Nein?“

„Nein, ich geh nicht. Ich habe etwas mit dem Jabberwock zu klären.“

Besagter Jabberwock fing auch im selben Moment an aus vollstem Hals zu lachen.

„Ein guter Witz. Aber sprich ruhig, kleine Alice. Was willst du denn mit mir klären?“

„Erst will ich wissen, ob ich vor dir stehe.“

Deemon gab nur ein kurzem „Mhmm“ von sich, daraufhin ging sie fünf Schritte nach vorn, bis Yuki das Gefühl hatte der Geruch von Verbranntem, der von ihm ausging – vielleicht auch kein Geruch, mehr die Aura, die ihn umhüllte – ihr ins Gesicht klatschte, als liefe sie gegen eine Mauer.

Myotismons Albtraumkrallen lösten sich im Nichts auf, als Deemon sie los ließ und nur Yuki Beachtung schenkte. Er wollte gerade Yuki anbrüllen, was sie sich dabei dachte diesem Digimon, dass sie fast getötet hätte schon wieder so nah zu kommen und ob sie nichts aus ihrer Ohrfeige gelernt hätte, bis sie so stand, dass sie Myotismon dem Rücken zukehrte. Er sah in ihren Händen, die sich immer noch hinter ihr kreuzten ihr Digivice.

Myotismon glaubte selbst nicht, dass er das ernsthaft in Erwägung zog, aber die Kleine hatte einen Plan. Einen bescheuerten Plan, aber sie hatte einen.

„Also, kleine Alice, was willst du?“

„Ich möchte wissen, ob ihr wirklich kämpfen müsst. Könnt ihr das nicht, nun, anders regeln? Vernünftig?“

Stille. Dann begann Deemon wieder zu lachen, so heftig, dass er fast daran erstickte. Myotismon hingegen seufzte nur, mit der Hand auf dem Gesicht.

„Sag mal, kapierst du die Situation immer noch nicht? Wir sind im Krieg und im Krieg kämpft man!“

„Weil Krieg auch immer so sinnvoll ist“, antwortete Yuki Myotismon. „Wegen Kriegen hatte Papa diese Phasen! Sie haben diese grauen Gedanken, die Großvater ihm eingeredet hat schlimmer gemacht. Ich weiß nicht was euer Problem ist, aber das muss aufhören, ehe noch jemand stirbt!“

Genau auf das sollte es auch hinauslaufen, dachte Myotismon und wollte es auch so sagen, wenn es nicht so sinnlos ausgesehen hätte. Er musste sich nur ihre Haltung anschauen und wusste, sie war zu stur um sich abbringen zu lassen. Aber, das stellte Myotismon auch fest, Deemon hatte sich entschieden zuzuhören. Wenn Yuki es tatsächlich schaffen sollte, dass Deemon wieder etwas zur Besinnung kam, ehe seine neugewonnen Kräfte mit ihm durchgingen, könnte sich das Blatt doch noch zu seinem Gunsten wenden.

„Und was dich angeht, Herr Jabberwock“, sprach Yuki weiter. „Du hast vielleicht Recht mit dem, was du gesagt hast. Du weißt, wegen dieser Doppelmoral. Das war wirklich nicht in Ordnung. Auch wenn du ein Jabberwock bist und der Jabberwock mir Angst macht. Aber eigentlich macht er nichts, als im Baum zu sitzen. Warum man ihn getötet hat, habe ich auch nicht verstanden.“

Yuki legte eine Pause ein, dachte an das Gedicht aus ALICE HINTER DEN SPIEGELN zurück und an das Fühlbild.

„Und ob du auch so gruslig aussiehst kann ich nicht wissen.“

„Komm zum Punkt, Kind“, schnaufte Deemon ungeduldig, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Eigentlich, wenn ich so nachdenke, sind Vampire viel schlimmer als ein Jabberwock. Sie verstehen schließlich was Moral und Gerechtigkeit ist und halten sich trotzdem nicht daran.“

Yuki wartete kurz, ob sich Myotismon durch ein verärgertes Räuspern oder ähnliches bemerkbar machen würde. Dann holte sie tief Luft.

„Aber ich habe gesagt, dass ich einem Vampir keinen Vorwurf mache, nur weil er Hunger hat. Ich weiß nicht, ob ich ihm das mit Mama einfach so verzeihe. Aber weil er Onkelchen ist, möchte ich es versuchen. Jedoch muss ich dir gegenüber auch so fair sein. Aber ich kann das nur, wenn du wirklich ein Jabberwock bist, der nicht tobt und Wälder zerstört, sondern einer, der nur für sich im Baum sitzt.“

Es war wieder still. Wenn auch kürzer, war diese für alle Beteiligten sichtlich erdrückender. Auch diesmal musste Deemon lachen, es klang aber nicht danach, als wäre irgendetwas witzig gewesen.

„Da merkt man, dass du noch nie in deinem tollen Wunderland warst. Wir Digimon leben, wie die Digiwelt es von uns verlangt. Wir sind nur Daten. Sie erblüht, zerstört sich selbst und kommt wieder, um sich dann wieder in Brand zu setzen. Das geht schon über Generationen hinweg. Sei es, was dein Onkelchen in der Digiwelt treibt, seien es die Typus-Kriege davor, sei es die Apartheid davor. Sei es die vielen Ären davor. Und Querdenker, die immer noch glauben es könnte sich jemals irgendetwas daran ändern, sind die Ersten die draufgehen!“

Deemon hielt nur seine verkrampfte Kralle hoch, Myotismon hatte sich selbst noch keinen Zentimeter bewegt, da hielt Yuki Deemon schon ihr Digivice entgegen. Augenblicklich begann es zu leuchten und das Licht, wenn auch schwach, ließ das Digimon vor ihr zurückweichen. Für die kurze Zeit, die es erstrahlte war es jedoch effektiv gewesen, selbst Myotismon konnte die Kraft darin spüren und hielt sich seinen Umhang schützend vors Gesicht.

So schnell es begonnen hatte, so schnell hörte es auch wieder auf und genauso erholte sich Deemon wieder.

„Du mieses kleine -!“

Deemon streckte die Hand nach Yuki aus, das Feuer schoss hervor, traf sie aber nicht. Gerade so hatte Myotismons Albtraumkralle sich um ihren Körper gewickelt und er zog sie mit einem kräftigen Ruck von der Stelle. Myotismon fing sie im Flug auf, rechtzeitig um zu sehen wie der Boden, auf dem sie eben noch vor Deemon stand bei der enormen Hitze schmolz.

„Al.... iiiice...!“

Deemon hob seine schweren Flügel, eine Welle blauer Flammen kam ihnen entgegen. Kontern war sinnlos, und Myotismon, mit Yuki im Arm, blieb nur eins.

„Luft anhalten!“

Mit einem Hechtsprung landeten beide kopfüber im Wasser. Das Meer war unruhig, und selbst unterhalb des Meeresspiegels spürte man den starken Wellenschlag. Das Wasser war dunkel und trüb. Myotismon sah nur die blauem Flammen, die sie beide fast getroffen hätten über sich hinwegfegen. Als es erlosch, tauchte er wieder auf. Yuki hielt sich weiter an Myotismon fest und schnappte wie er nach Luft.

„Alles in Ordnung?“, fragte Myotismon, aber nicht sehr freundlich.  

„Glaube ja.“

„Was hast du dummes Gör dir dabei eigentlich gedacht?!“

„Ich musste doch sehen, ob meine Spieluhr auch dem Jabberwock stoppen kann! Bei dir geht es doch auch“, sagte Yuki, sie atmete noch einige Male tief ein, gerade als Deemon über ihnen hinwegflog.

Über ihnen schwebte zwar Deemon, aber er trug keine Kutte mehr, die sein dämonisches Erscheinungsbild kaschierte. Ein gehörntes Monster, gekleidet in Fell und Stacheln, mit vielen langen Zähnen und noch längeren Krallen, die, wie die übergroßen Flügel einem Jabberwock würdig waren.

„Das hast du wirklich fabelhaft hinbekommen. Hast du noch mehr solch glorreiche Ideen?“, baffte Myotismon Yuki an, die gleich empört aufschrie:

„Ich habe es wenigstens versucht, okay?“

Ehe Myotismon ihr über den Mund fahren konnte, griff Deemon erneut mit einem Flammenden Inferno an und sie beide waren gezwungen wieder unter Wasser zu verschwinden. Die Feuersalve hatte Myotismon gestreift, war aber durch das Meerwasser abgekühlt genug gewesen, als dass es ihn hätte groß Schaden können. Eine zweite verfehlte ihn knapp, Yuki noch knapper. Ihren kleinen Lungen ging der Sauerstoff aus,sie zappelte und zog es blieb ihm nichts, als wieder aufzutauchen.

Ein Welle erfasste sie beide, als sie ihre Köpfe aus dem Wasser streckten. Yuki begann zu husten, mit beiden dünnen Armen um Myotismons Hals, während er trotz der hohen Wellen versuchte nach Deemon Ausschau zuhalten, aber ihn nicht fand.

„Das gibt es nicht! Er muss doch hier sein.“

„Onk... Uhr...“, stöhnte Yuki, mehr brachte sie nicht heraus. Jede Silbe und jeder Laut ging in einem Atemzug oder einem Hustenanfall unter.

„Sei ruhig, ich finde Deemon sonst nicht!“

„N.. Uhr... Neun.. Neun Uhr! Neun Uhr! Links!“

Myotismon sah nach links und sah auch dort Deemon, in Flammen gehüllt und der glühend rote Regen fiel auf sie herab. Sie tauchten wieder hinunter, einzelne Feuerbälle ihnen nach. Wasserdampf stieg auf und wie ein Nebelschleier schwebte dieser Dampf über der Wasseroberfläche.

„Aliiiiice... Wo bist duuuu?“

Deemon flog knapp über der Decke aus Wasserdampf, starrte durch den weißen Qualm hindurch, der dabei war sich zu legen und fand, obwohl er jeden Zentimeter genau unter die Lupe nahm weder den einen, noch den anderen Blondschopf.

„Komm raus, komm raus zum spielen, Alice! Komm raus, sonst verpasst du noch die schöne Teeparty! Du und dein Schwarzer König sind herzlichst eingeladen, es ist Platz für alle da! Wir werden viel Spaß haben! Ich werde den Kuchen mit den Zähnen des Schwarzen Königs verzieren! Ich werde aus euren Schädeln hübsche Teetässchen machen und darin eure Überreste der Herzkönigin servieren!“

Die einzige Antwort blieb das Meeresrauschen. Und dieses Rauschen und dieses dunkle Wasser erinnerten Deemon nur noch mehr an das Meer der Dunkelheit, dies und der salzige Geruch. Seine Rage stieg.

Kommt endlich raus!“, brüllte er weiter. Hinter ihm blitzte rotes Licht auf. Es wickelte sich um Deemons Hals und versuchte ihn hinunterzuziehen. Myotismons Albtraumkralle ragte hinter ihm aus dem Wasser. Er kam nicht heran, um sich davon zu lösen, schlug mit den Flügeln, um sich loszureißen, aber auch das klappte nicht. Er wurde nur weiter hinuntergezogen und als seine Füße fasst das Wasser berührten und statt Wut Panik seinen Puls zum Rasen brachte, schlug Deemon so heftig mit den Schwingen, dass nicht nur er wie eine Rakete in den Himmel schoss, sondern damit auch Myotismon und Yuki aus dem Meer zog.

Einige Meter über der Wasseroberfläche ließ Myotismon die rote Peitsche los, die sich dann auch so gleich auflöste. Kurz trafen sich sein und Deemons Blick. Ehe Myotismon aber angreifen konnte, flog Deemon davon, so schnell, dass er nicht einmal mehr zu sehen war.

„Mist. Wo ist er?“

Myotismon hörte zwar die Flügel in der Luft schlagen, was er aber ebenso hörte war das Laute pfeifen des Windes, die die Schallwellen dämpften, das Meer unter ihm, das Pfeifen und Schnauben von Schiffen in der Ferne. Die schemenhafte Gestalt Deemons blitzte hier und da kurz auf, aber nicht lange genug, dass Myotismon die Zeit gehabt hätte ihn zu lokalisieren, geschweige denn erfolgreich zu attackieren.

„Onkelchen, ein Uhr! Genau vor dir!“

„Stör mich nicht!“, schnauzte Myotismon, sah aber dann doch in die Richtung, die Yuki bestimmt hatte. Ein Uhr, also ein leichter Schwank nach rechts. Deemon sah er nicht, aber einen Funken mitten im Himmel schwebend.

Der Feuersalve konnte Myotismon ausweichen. Auch der nächsten. Die Zeit, die zwischen den Attacken verging war gleich, auch die Zeit zwischen den Flügelschlägen und den Angriffen. Das war Myotismon zuvor schon aufgefallen. Verfolgte Deemon einen bestimmten Rhythmus? Wenn dem so war...

„Sieben Uhr!“, schrie Yuki Myotismon ins Ohr, gerade als Feuer auf ihn zuflog, noch auswich, bekam aber dafür Deemons geballte Faust in den Bauch. Die Schockwelle warf Myotismon zurück und er verlor an Höhe.

„Chaos Flamme!“

„Gruselflügel!“

Statt hinauf flogen die Fledermäuse ins Wasser und als sie wieder aufstiegen, zog sie eine Welle mit sich, die ihren Meister in Wasser hüllte. Doch die Hitze verwandelte das Wasser in wenigen Sekunden zu Dampf und die Fledermäuse zu Asche, eher ihre Daten komplett verschwanden.

„Das bringt auch nichts...“, ächzte Myotismon entsetzt. Deemon verschwand vor ihm. Doch statt davon zu fliegen wartete Myotismon ab. Und zählte. Und eins. Und zwei. Und -

Bis Yuki brüllen konnte, wo sie Deemons Flügelschlag ausfindig machte, mit der Erkenntnis wie verdammt nah dran er war, tauchte das Dämonen-Digimon vor ihnen auf, doch statt auszuweichen blockte Myotismon den Fausthieb mit seiner eigenen Hand. Das hatte ihn zwar Energie gekostet, aber dafür hatte sich Myotismons Theorie bestätigt. Er war bis drei gekommen, und eins und zwei und drei und...

„Sieh an, da besitzt noch jemand eine musikalische Ader.“

Deemon nahm noch mal seine Kraft zusammen, doch da Myotismon ihn daraufhin losließ, flog Deemon ins Leere. Myotismon flog zurück in die Höhe, sah Deemon noch kurz, eher er wieder unsichtbar für ihn wurde. Dann schaute er böse Yuki an, deren Gesicht viel zu dicht an seinem klebte.

„Und habe ich nicht zu dir gesagt, du sollst still sein?“

„Aber er hätte dich fast erwischt, Onkel-“

Yuki hielt inne, schrie dann „Zwölf, über dir!“. Nicht die Flammen, aber die Hitze streifte Myotismons Gesicht. Es war fast schon zu knapp.

„Wie kann es überhaupt sein, dass du ihn besser hörst als ich?“

„Weil ich es gewohnt bin! Weißt du eigentlich wie viel Krach und unterschiedliche Geräusche da in so einer großen Stadt sind? Drei Uhr!“

Deemon kam von rechts angeflogen, mit der Faust voraus, flog Dank Myotismons Ausweichmanövers an ihm vorbei. Die hohe Geschwindigkeit erlaubte es Deemon nicht, sofort zu bremsen. Dann war er wieder weg. Eins und zwei und -

„Sechs Uhr, hinter dir!“, schrie Yuki, gerade als Myotismon innerlich auf drei und gezählt hatte. Seine Albtraumkralle verfehlte Deemon zwar, aber dafür war er sich nun sicher. Er griff wirklich in einem bestimmten Takt an. Vielleicht ein verzweifelter Versuch diesen Überschuss an Zorn und an Daten sortieren und ordnen zu können, eher er sich noch selbst in die Luft jagte, mit allem was ihm auch nur zu nahe kam.

„Vielleicht kann man ihn überlisten“, murmelte Myotismon zu sich selbst, jedoch fühlte sich Yuki angesprochen und sagte euphorisch, weiter fast Wange an Wange an ihrem Onkelchen:

„Dann können wir ihn doch aufhalten. Dann kannst du ihn überlisten und ich helfe dir.“

„Wer hat gesagt, dass du hier irgendetwas zu melden hättest?“

„Das habe ich beschlossen! Dass er mich gehauen hat verzeihe ich ihm, aber nicht, dass er Papa beleidigt hat!“

Aaaaliiiiice!

Geschätzte zehn Meter schwebte Deemon vor ihnen. Ihm war die Puste ausgegangen, aber seine Wut hatte sich nicht gezügelt. Die Hand an seinem linken, längeren Arm ballte sich zu einer Faust. Der Pelz an seiner Brust stand ihm vor Wut zu Berge. Doch Deemon sah aus, als bereitete ihm der aufgenommene Zorn langsam Schmerzen. Das war nicht gut...

„Ich höre seine Flügelschläge in der Luft. Solange wir in die gleiche Richtung schauen, kann ich dir fast genau sagen, wo er ist, Onkelchen“

„Das ist keins deiner dummen Spiele, das ist todernst“, zischte Myotismon, hielt aber dabei weiter Deemon im Fokus.

„Das weiß ich, sonst hätte ich diese Idee nicht. Du kannst auch mal auf andere hören.“

„Und du bist viel zu vorlaut.“

„Ja, ich weiß“, antwortete Yuki nüchtern. „Trotzdem höre ich besser als du.“

„Ich bin nicht auf dich angewiesen.“

„Aber es wäre doch so viel leichter. Und du musst ihn schnell erledigen, also ist das doch praktisch, wenn ich dir den Teil der Arbeit abnehme. Oder nicht?“

Wäre es. Yuki hatte gelernt, welche Worte bei ihm ansetzen und tatsächlich kam Myotismon ihr Vorschlag gar nicht einmal so dumm vor. Sein Blick wanderte von Deemon fort in das Gesicht dieses Mädchens

Und während Yuki, dafür dass sie blind war ganz entschlossen dreinschaute, überkam Myotismon ein Deja-Vu. Er hatte diesen Gedanken, der sich in seinem Kopf zusammensponn bereits schon einmal gedacht. Dass er dabei war einen großen Fehler zu begehen. Zugegeben, dass Ausmaß wie einst bei Sanzomon war nicht identisch. Dennoch musste Myotismon sich eingestehen, dass er dabei war dieses Mädchen zu mögen.

„Na schön. Du wolltest ja irgendwann einmal Klavierspielen. Das richtige Taktgefühl ist essenziell dafür. Und jetzt lernst du, wie man einen Dämonenkönig im Dreiachtel-Takt fertig macht.“

Yuki nickte eifrig, ihre Umarmung wurde enger, wie auch ihre Augenlider. Sie hatte Selbstvertrauen, wenn auch Myotismon eher zum Begriff leichtsinnig oder waghalsig tendiert hätte. Aber er selbst war schließlich auch nicht besser. Er musste verrückt sein.

Auf diesen Schluss kam auch Deemon, soweit seine Sinneswahrnehmung es noch zuließ. Dieses Kind und dieses Digimon. Mit den selben Blicken wie damals, in einem Kampf und um sie herum nur das Meer. Welch Nostalgie.

Knurrend verschwand Deemon wieder vor ihnen, aber statt umherzublicken oder davon zu fliegen blieb Myotismon, mit Yuki auf dem Arm an Ort und Stelle, begann zu zählen,

(Eins und)

hörte das schwere Flattern der großen Flügel, wenn sie die Richtung änderten oder der dazugehörige Körper an Höhe gewann.

(zwei und)

„Vier Uhr, direkt voraus!“

(drei und)

„Albtraumkralle!“

Er traf Deemon direkt. Dank des Überraschungseffektes hatte Myotismon ihn gut und kräftig genug erwischt, dass Deemon ins Straucheln kam. Deemon starrte ungläubig durch die Gegend, konnte nicht fassen, dass Myotismon, der viel schwächer war ihn so bloßstellte. Wieder verschwand er, der Wind über dem Meer so stark, dass man sein eigenes Wort nicht hätte hören können.

(Eins und)

Zwar hörte Myotismon so kaum etwas, aber Yuki, mit ihrem trainierten Hörsinn hörte nicht nur die Flügel zwischen den Windböen schlagen, sondern auch, wie der Jabberwock durch diese Ströme flog, als seien sie nicht mehr wie Papierwände. Sie hörte sein Schnaufen und sein Schnalzen, wenn er dachte, dass er den richtigen Moment gefunden hätte, um ihrem Onkelchen den Rest zu geben.

(Zwei und)

„Auf Acht, unter dir!“

(Drei und)

Albtraumkralle!“

Diesmal traf er Deemon direkt ins Gesicht, eine zweite Albtraumkralle die folgte schleuderte ihn fort, wenn auch nicht weit. Feuer kam aus Deemons Flügel auf die beiden zugeflogen, zwei, statt rot, bläuliche flammende Pfeile, ihnen aber auszuweichen war für Myotismon schon fast zu leicht. Solange sie ihren Kampf mit einem großzügigen Abstand austrugen hatte er gute Chancen. Und Deemon, erbost über diese Erkenntnis verschwand, ein lautes Knurren folgte ihm.

(Eins und Zwei und Drei und)

„Drei Uhr, Onkelchen!“

Todesschrei!“

Der dunkle Schatten, in seiner Form Myotismon eigener Maske sehr ähnlich, schoss aus seinem Umhang, als er diesen mit seiner noch freien, linken Hand hob. Deemon erschien wieder, als der Angriff ihn traf und war anschließend nur noch zu langsamen, ruckartigen Bewegungen fähig. Eine vermutlich nur kurze Lähmung, aber für Myotismon waren diese paar Sekunden schon genug.

„Onkelchen! Onkelchen, was war das?“

Yuki hatte ihren Schmerzensschrei unterdrückt, aber nun merkte auch Myotismon was los war. Sie saß noch auf seinem rechten Arm, aber ihr eigener, mit dem sie sich an ihm festhielt, wie auch ihr rechtes Bein waren steif geworden. Ihre Finger krampften.

„Mein Arm und mein Bein tun weh. Was war das für ein kalter Luftzug?“

„Beruhige dich, das hört gleich wieder auf“, sagte Myotismon zu ihr. Yuki nickte, versuchte dennoch ihre Hand zu bewegen, schaffte dies aber kaum. Es war schmerzhaft, obwohl die betroffenen Extremitäten gleichzeitig so taub waren. Dabei hatte der Todesschrei sie nur gestreift.

„So was blödes...“, knurrte Myotismon leise.

Anders wie Yuki schien Deemon seine Glieder wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Wirkung hielt nicht lange. Myotismon war klar, dass er etwas tun musste, aber er konnte nicht ewig mit Albtraumkrallen auf ihn einschlagen. Und ein anderer Angriff, solange er Yuki bei sich hatte ging nicht, sonst bekäme sie diese genauso ab. Er musste sie loswerden. Doch wohin mit ihr, wenn sie doch direkt über dem offenen Meer schwebten und die Küste zu weit weg, um sie abzusetzen?

„Yukino, lass mich los. Und halte deine Arme dicht am Körper, verstanden?“ „Was hast du vor, Onkelchen?“, fragte sie, tat aber, was Myotismon ihr sagte. Er hielt Yukis schmalen Körper in beiden Händen und sah in alle Richtungen.

Deemon brüllte in den Nachthimmel, als er sich vom Bann des Todesschreis befreit hatte.

„Jetzt kommt die nächste Lektion. Notenpausen! Guten Flug!“

„Was? Nein, nein, nein, nicht schon wieder!“, schrie Yuki, dann warf Myotismon sie so hoch und weit er konnte in die Lüfte. Sie schrie, versuchte dennoch Arme und Beine so eng wie möglich an ihrem Körper zu halten.

Ein lauter Flügelschlag, dann blieb Deemon aber schon wieder stehen. Er sah Myotismon schweben, aber auch wie die kleine Alice durch die Luft flog und dabei war hinunter ins Wasser zu fallen und seine Denkweise, die sich durch die unkontrollierbare Wut auf die niedrigsten Gedankengänge reduzierte wussten erst nicht, ob er zuerst die kleine Alice oder den Schwarzen König angreifen und fressen sollte.

Gruselflügel!

Die Fledermäuse aus Myotismons Umhang flogen direkt auf Deemon zu, versperrten ihm die Sicht, bissen ihn und kratzten ihm regelrecht die Augen aus. Lange gut gehen würde es nicht, aber es reicht fürs erste.

So kümmerte sich Myotismon vorerst nicht mehr um Deemon und flog stattdessen Yuki nach, die (weiter schreiend) direkt hinunterfiel, dem Wasser immer näher und näher kommend. Vielleicht keine drei Meter über der Wasseroberfläche fing Myotismon sie auf und im gleichen Augenblick verstummten ihre Schreie.

Während Myotismon nun Richtung Festland flog, zitterte Yuki in seinen Händen. Die Arme waren weiterhin eng an ihren Körper gepresst, die Augen ganz weit aufgerissen. Puls und Atmung beruhigten sich schließlich und dann erst realisierte Yuki, dass sie bei Onkelchen war.

„Du hättest mich vorwarnen können!“, sagte sie nach langem Schweigen und Fassungslosigkeit.

„Hattest du etwa Angst?“, fragte Myotismon, scherzhaft und wie Yuki fand, auch sehr schadenfroh.

„Das ist nicht witzig. Ich dachte, du lässt mich ins Wasser fallen.“

„Verdient hättest du es.“

Empört klappte Yukis Mund auf, dann kräuselte sie ihn. Fast hätte Myotismon gelacht über ihr beleidigtes Gesicht, widerstand dem aber. Ein kurzes Schmunzeln ließ er jedoch durchgehen. Eingeschnappt saß Yuki auf seinem Arm und schaute böse. Bis sie Onkelchens Hand auf ihrem Kopf spürte.

„Es war nur ein Ablenkungsmanöver. Ich lasse eine Alice nicht fallen. Alice' haben nur in Kaninchenlöcher zu fallen, nicht in Tränenteiche.“

Yuki dachte kurz darüber nach. Sie war sich nicht sicher, ob sie diese Metapher wirklich verstanden hatte oder was er ihr damit sagen wollte, aber der Aussprache ihres Onkelchens nach, hörte es sich ganz nett und zudem auch sehr charmant an. Schnell legte Yuki ihren Kopf auf Myotismons Schulter, klammerte sich an seinen Umhang und hoffte, er hatte nicht gesehen wie rosarot ihr Gesicht war.

Er hatte es gesehen. 

„I-Ist der Jabberwock noch da?“

„Der ist beschäftigt. Der ideale Zeitpunkt sich fürs erste zurückzuziehen. Dann können wir immer noch überlegen, was wir wegen Deemon unternehmen.“

„Kannst du nicht versuchen noch einmal mit ihm zu reden, Onkelchen?“, fragte Yuki, jedoch bekam sie darauf keine Antwort. Ein klares Nein. Myotismon sagte zwar etwas, aber auch dass klang nicht danach, als würde er diesen Vorschlag nur eine Sekunde in Erwägung ziehen. Eine leichte Seebrise dämmte das, was Myotismon zu sich selbst murmelte und für Yuki somit unklar, ob er das Folgende wirklich so gesagt hatte:

„Genauso wirr im Kopf wie Sanzomon...“

Sein Flug stoppte abrupt und Yuki konnte sich denken wieso, als sie die starke Hitze spürte. Myotismon hielt sich die Hand vors Gesicht, ehe Funken aus der orangeroten Flammenwand, die sich vor ihnen erstreckt hatte ihn trafen. So schnell und so gewaltig, wie diese aus dem Wasser in die Lüfte gestiegen war, verschwand sie auch wieder und Yuki hörte schweres Flügelschlagen. Nah. Sehr und vor allem zu nah!

„Onkelchen, Vorsicht!“

Ehe Myotismon auf den Ruf reagieren konnte, war Deemon schon hinter ihm aufgetaucht und sah direkt in Yukis blindes Gesicht. In seiner Rage merkte Deemon jedoch nicht, dass Yuki keine Angst zeigte. Als sei sie doch in der Lage zu sehen (wobei es eher die Gunst des Winkels war) schaute sie direkt auf Deemon. Sie hielt ihr Digivice in der Hand und streckte es Deemon entgegen. Es begann zu leuchten.

Dieses heilige Licht, ein Reliquie einer vergangenen, wenn auch digitalen Ära stoppte den Dämonenkönig, der aus der gleichen Epoche entsprang. Deemon spürte regelrecht, wie die Computerviren und die dunklen Mächte, die seiner Gestalt Form gaben ihre Stabilität und Kraft verloren. Statt aber Abstand zu gewinnen, versuchte er weiter dagegen anzukommen, doch jeder Versuch anzugreifen und dabei entweder Myotismon oder Yuki zu töten war vergebens. Seine Kräfte gehorchten ihm schließlich nicht mehr.

Myotismon, als ebenso dunkles Digimon, zusätzlich mit den korrupten Daten des Herr Dirigenten in sich, erging es nicht anders. Das Licht blendete und fiel direkt in sein Gesicht. Es brannte wie Sonnenschein und Myotismon hatte keine Möglichkeit sich davor zu schützen.

Angeschlagen vom Kampf und dem heiligen Licht versagten erst Deemons und schließlich auch Myotismons Kräfte. Zeitgleich verloren sie ihren Halt in der Luft und fielen hinunter Richtung Meer.

„Onkelchen! Onkelchen, komm zu dir! Wir stürzen ab!“

Er antwortete ihr nicht. Auch wenn ihr Arm sich weiterhin anfühlte, als wäre er mit Ameisen gefüllt, hielt sich Yuki mit aller Kraft an Myotismon Anzug fest. Er war bei sich, teilweise zumindest, schaffte es aber nicht sich zu sammeln. Das Licht des Digivices hatte ihn benebelt. Und dann waren sie noch am Meer, am dunklen, dunklen, endlosen, tosenden Meer.

Wach aaaaaaauf!“

Hellblaues Licht erstrahlte. Hellblaues Augenblau. Alice' Blau.

(Tsukaimon wach auf!)

Myotismons und somit auch Yukis Fall endete mitten in der Luft. Nicht weit von ihnen fiel Deemon ins Wasser. Eine Wasserfontäne stieg neben ihnen auf und das Wasser erwischte sie beide, während Myotismon Yuki fest hielt und knapp (noch knapper wie Yuki vorhin schon) über dem Wasserspiegel kopfüber schwebte.

(Tsukaimon wach auf es tut mir Leid nur bitte wach wieder auf)

„... -ki...“

Für ein paar Sekunden blieb Myotismon noch so schweben, dann richtete er sich wieder auf. Diesmal merkte Yuki jedoch, dass die Kette um ihrem Hals warm geworden war und wusste, dass da dieses bläuliche, helle Licht war und dass es aus diesem Anhänger kam. Es war so stark, dass Yuki es sah. In ihrem Kopf. Strahlend und hellblau.

Und anders wie die Spieluhr tat dieses Licht ihrem Onkelchen nicht weh. Im Gegenteil.

„Onkelchen, geht’s wieder? Es tut mir Leid! Ich habe Panik bekommen und mir fiel nichts anderes ein und -“

„Schon gut... Solange das Wappen noch Kraft hat, ist es in Ordnung...“

Vorsichtig sah Myotismon auf, die Umwelt wirkte heller wie zuvor, ein viel zu hoher, langgezogener Ton pfiff in seinem Ohren und erweckte den Eindruck, ihm platze des Trommelfell. Aber Hauptsache er hielt dieses Kind noch im Arm, ein Kind, dass er für einen kleinen Augenblick für seinen Kapellmeister hielt. Dann flog er los, Richtung Land, wieder zur Baustelle zu, die zwar nicht weit war, aber der Weg kam Myotismon so lang vor.

„Sicher, dass es dir gut geht? Du klingst so... Nun, so...“, sagte Yuki, aber eine passende Umschreibung fiel ihr nicht ein. Myotismon nahm es nicht wahr.

„Das Wappen leuchtetet... Dann weißt du nun, was Gerechtigkeit ist?“, murmelte er sehr leise, eher nur zu sich selbst, dennoch glaubte Yuki ihm antworten zu müssen.

„Na, wenn man ehrlich und aufrichtig zu sich und anderen ist. Das habe ich dir doch erzählt.“

„Nein... du hast damals etwas anderes gesagt... Wenn man seine Wünsche und Träume zugleich auch mit anderen teilt. Das waren deine Worte.“

Das hellblaue Schimmern erlosch. Der letzte Rest an Energie, der im den Wappen war, war auf Myotismon übergegangen und mit der Kraft kam auch seine volle, kognitive Orientierung zurück. Mit auch die Erkenntnis, dass das Kind in seinem Armen nicht der Kapellmeister war.

„Aber das schließt sich doch nicht aus. So etwas wie Gerechtigkeit kann viel heißen. Oder?“, fragte Yuki, die nicht merkte, dass Myotismon aus der Welt der Erinnerungen wieder zurück in die Realität gefunden hatte. Aber dass er wieder fit war, dass merkte sie, als sich sein Flugtempo beschleunigte.

Deemon stieg schließlich ebenso aus dem Wasser. So schnell wie er herausgeschossen kam, fiel er jedoch auch wieder, nur diesmal nicht wieder zurück ins Wasser, dass ihn viel zu sehr an das Meer der Dunkelheit erinnerte, sondern schaffte es an Land zu gelangen, kniete auf dem staubigen Asphalt der geschlossenen Baustelle und rang nach Luft. Wie Myotismon Deemon auch gleich sah, warf er seine Fluchtversuche über den Haufen. Wenn dieses Digimon schon so geschwächt war, war dies auch der beste Zeitpunkt ihn loszuwerden. Solch eine Gelegenheit bekäme er kein zweites Mal mehr.

Anstelle weiterzufliegen, landete Myotismon auf dem Boden und setzte Yuki ab.

„Du bleibst, wo du bist!“, befahl er ihr noch. Yuki wollte ihm nach, aber kaum dass sie sich nicht mehr an ihrem Onkelchen festhalten konnte verlor sie ihr Gleichgewicht. Ihr Bein war immer noch wie eingeschlafen.

Deemon hörte wie Myotismon auf ihn zuschritt, knurrte ihn an, war aber für einen Angriff doch zu langsam. Myotismons Albtraumkralle schlug ihm entgegen, erst links, dann rechts. Eine weitere Linke warf Deemon zurück und schleuderte ihn über den Boden. Sand wirbelte auf und blieb an Deemons nassen Fell hängen. Er stand auf, Myotismon war jedoch schneller, packte Deemon am Kragen und presste ihn mit aller Gewalt gegen die Wand.

Myotismon hielt ihn fest und Deemon wehrte sich nicht. Ihre Blicke waren auf gleicher Höhe.

„So schnell wendet sich also das Blatt.“

„Bilde dir bloß nichts darauf ein. Du hast es einer kleinen Göre zu verdanken, dass du noch an einem Stück bist, mehr auch nicht“, fauchte Deemon und Myotismon packte fester zu.

„Halt endlich den Mund. Ich will das hinter mir haben. Ich werde Piedmon ausrichten, dass du versagt hast.“

„Du meinst, ehe du ihn selbst umbringst?“, knurrte Deemon wieder, nur dass es mehr wie ein Lachen klang. „Schade, dass ich das nicht sehen werde. Geschweige denn Alice. Was er wohl sagen würde, wenn er das wüsste. Was sie alle wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass ihr euch gegenseitig bekriegt?“

„Was kümmert das schon? Sie sind ohnehin nicht mehr.“

Und Deemon wusste es auch. Das machte Myotismon für einen kurzen Moment stutzig und wie so oft, wenn der Wahnsinn an ihm nagte, dachte er nach. Über eine bestimmte Sache, die ihm unerträgliche Unruhe verschaffte. Diese eine, kleine Sache, diese Ungereimtheit...

„Sag mir nur noch eins, bevor ich dich vernichte.“

Myotismon drückte ihn noch mehr gegen die Wand, seine Hände verkrampften sich so stark, dass Deemon die spitzen Fingernägel unter dem Stoff der Handschuhe spüren konnte. Dafür war Myotismons Gesicht ganz starr geworden, kein Anzeichen mehr war zu sehen von seinem sonstigen großem Ego und der Selbstüberschätzung, geschweige den seines Jähzorns.

„Wie. Wie starb der Kapellmeister?“

„Wie kommst du darauf, dass ich etwas weiß?“, fragte Deemon, die Ahnungslosigkeit klang mehr als nur gestellt. Dieser Ton machte Myotismon nur noch zorniger.

„Quatsch kein dummes Zeug! Du willst mir doch nicht weiß machen, dass du vom Tod der Kapellmeister erfahren hast, aber nicht nachgeforscht hast, wie das sein kann? Jeder sieht, dass an der Sache etwas faul ist. Entweder hat Piedmon in seiner Leichtsinnigkeit etwas verraten oder du hast es selbst herausgefunden, aber du weißt etwas. Ich spüre es. Also raus mit der Sprache!“

Die Fingernägel unter den Handschuhen drückten sich tiefer in Deemons Fleisch. Aber Myotismon kam ihm mit seinem Gesicht näher, dass Deemon selbst bei entgegengesetzten Wind den Geruch nach Tod und Grab mehr wie deutlich riechen konnte. Ein Geruch der dem der Dunkelheit nicht unähnlich war.

„Wie ist Alice gestorben?“

„Sag schon seinen richtigen Namen, wenn du mir drohen willst.“

Myotismon öffnete seinen Mund sacht, aber innerlich schrie etwas, dass er es nicht tun sollte. Nicht durfte. Und nicht konnte. Trotzdem begann Myotismon die hintersten Ecken seiner Erinnerungen zu durchstöbern, diese Winkel im Abgrund. Löcher, die entstanden als man Tsukaimons Daten löschte, neue zusammenstellte und wiederherstellte. Löschen. Wiederherstellen. Immer und immer wieder, bis die Daten überschrieben wurden und der Name Alice die Lücke füllte.

Das zumindest sagte man sich im Orchester. Myotismon aber wusste es besser, warum niemand es schaffte die richtigen Worte auszusprechen. Warum sie ihn, dieses Digimon, dass sie schon als Adonai bezeichneten, der Lewis Carroll seines Wunderlandes, Herr Dirigent nannten, statt beim wahren Namen. Warum sie diese Menschen Kapellmeister nannten, statt Digiritter. Warum sie, statt die wahren Namen dieser Kinder aus dem Jahre 1979 zu sagen, nur zu diesen Pseudonymen aus Kinderfabeln fähig waren.

Myotismon fand das, was er auch finden wollte. Erinnerungen, eingesperrt in einem alten, steinigen Sarkophags, den er nun öffnete. Als die Luft mit den Lauten aus seiner Kehle entwichen, war es als würde er Nebel, Schwefel und Asche ausatmen.

„Wie... ist Hisaki gestorben?“

Der Name seines Kapellmeisters, seines alten Partners wiederholte sich in Myotismons Geist mehrmals, mal klang es hoch, mal schwer. Es verursachte Kopfschmerzen. Statt Erleichterung zu spüren, hatte Myotismon eher das Gefühl, dass die Last größer geworden war. Als hätte er einen mentalen Rückschritt begangen. Myotismon war wütend auf sich selbst, dass eine Situation wie diese ihn Zwang diesen Namen auszusprechen und Deemon sah es ihm an.

„Warum fragst du nicht deinen Dirigenten?“, sagte er. „Ich kann nur Vermutungen aufstellen, aber er weiß doch, wie man sich als Datenmenge zwischen den Welten bewegt. Leider ist die Technik der Menschen ziemlich empfindlich und leicht zu manipulieren. Da kann dann mal eine Ampel nicht funktionieren. Oder der Strom und sogar der Notstrom ausfallen. Oder ein Zug nicht zum stehen kommen, obwohl in der Panik hellhäutige, blonde Menschen auf die Gleise fallen. Zu dumm aber auch, wenn die Technik versagt.“

Eigentlich war diese Antwort gar nicht so überraschend, wenn dennoch ein Schauer durch Myotismons Körper jagte und eine Gänsehaut verursachte. So wenig überraschend es war, hatte er doch gedacht er irrte sich. Denn dass hieße, dass Piedmon es wusste. Piedmon wusste nicht nur, dass sie tot waren, als des Herr Dirigenten Lieblings wusste er sicher auch wie dieser Zufall zustande gekommen war. Dieser ganz merkwürdige und noch merkerwürdige Zufall, der niemand anderem wie dem Herr Dirigenten selbst besser gelegen kam. Ihm garantierte, dass seine Musiker nun dort blieben, wo sie waren und nicht ins schwanken gerieten – oder schlimmer, sich entscheiden müssten zu wem sie gingen.

Ja, ein ganz merkerwürdiger Zufall und so ganz zufällig wusste Piedmon, dass sie alle tot waren, ganz zufällig das Digimon unter ihnen, das schon vorher seinen Kapellmeister verlor und damals schon neidisch war. Hielt Piedmon ihn wirklich für so bescheuert? Hatte dieser bekloppte Clown wirklich geglaubt, diesen Zufall würde niemanden auffallen und hinterfragen?

Mittlerweile glaubte Myotismon nicht einmal mehr, dass er und eben Piedmon die Einzigen sein sollten, die das wussten. Sie wussten es alle, sie mussten doch irgendetwas wissen, irgendetwas in ihrem Inneren spüren, Piedmon hielt ihn schon wieder zum Narren, genauso wie Deemon es die ganze Zeit tat. Dabei grinste er ihn auch noch so frech an, genauso überzogen und schadenfroh wie Piedmon es immer tat, weil er sich für so unsagbar gerissen hielt und überlegen, bei allen unheiligen Dingen in allen Welten, wie Myotismon ihn hasste, kein Maß der Welt konnte dies erfassen, er hasste ihn, er war an allem Schuld, er hat sie alle in den Abgrund geschmissen, Digimon wie Piedmon, Digimon wie Deemon waren an diesem verfluchten Krieg schuld, sie waren schuld sie waren schuld siewarenschuld siewarenschuldsie warensiewarenschuldsiewarenschuldsiewarenschuld -

Albtraum-!“

Er holte aus.

Myotismoooon!

Er stoppte. Im gleichen Augenblick, als Myotismon mit seiner Hand für einen Angriff ausgeholte, ließ er sie wieder fallen. Erst kam er nicht darauf, wer ihn gerufen haben sollte, bis ihm die ernüchternde Erkenntnis kam. Nur überraschte es ihm, dass sie doch in der Lage war seinen Namen zu sagen. Sie hatte ihn tatsächlich beim Namen genannt.

Rasch drehte sie Myotismon um und sah Yuki langsam auf ihn zulaufen, ihre eine Hand glitt über ein paar umgeworfene Stahlträger, ihre andere bewegte sich im Halbkreis hin und her, prüfte ob etwas vor ihnen lag, ehe der Körper dazu einen Schritt weiter ging. Ihren rechten Fuß schleifte sie etwas. Er war immer noch taub.

„Was?“, knurrte Myotismon zu ihr hinüber, unterdrückte seine Lautstärke, aber hielt Deemon weiter direkt am Kehlkopf. Dieser grinste weiter vor sich hin, wenn ihm auch eigentlich nicht danach war. Es hätte die perfekte Szene sein können und die Kleine hatte es mal wieder ruiniert. Myotismon war wütend und hatte in seiner Rage vergessen, dass sich Deemon an seiner Wut labte, und Myotismons Zorn schmeckte für ihn besser wie zartes Fleisch schwimmend im eigenen, süßen Saft. Er hätte Myotismon zuschlagen lassen, genützt hätte es ihm ohnehin nichts und dann hätte Deemon ihm seine Krallen in den Brustkorb gerammt. Oder den Kopf abgerissen, dass hätte er sich noch überlegt.

Nun war Myotismon aber nicht mehr wütend. Genervt vielleicht, ungeduldig, etwas verblüfft weil er seinen Angriff abgebrochen hatte. Doch er war nicht wütend, schon gar nicht auf Yuki, die ihn wachgerüttelt hatte. Er wurde nur etwas, doch spürbar ruhiger.

„Ist alles gut? Bist du in Ordnung?“, fragte sie schüchtern, etwas besseres war ihr nicht eingefallen. Sie hatte einen Teil von dem mitbekommen, was sie geredet hatten. Und auch, was Myotismon dabei war umzusetzen.

„Ich bin in Ordnung.“

„Und der Herr Jabberwock? Ist er hier?“

„Noch ja.“

Er sah von Yuki weg und wieder Deemon direkt in die Augen, seine Hand an dessen Hals so stark verkrampft, dass es Myotismon selbst fast schmerzte.

„Aber das wird sich ganz schnell ändern.“

„D-Du willst den Jabberwock doch nicht töten, oder?“, fragte Yuki fast empört und dem Hauch von Protest. Natürlich protestierte sie, obwohl dieser Dämon sie beide fast lebendig gegrillt hätte. Idealistisch verblendet nannte Myotismon diese Geisteskrankheit.

„Bitte töte ihn nicht. Bitte.“

„Nenne mir einen guten Grund.“

Ohne sie anzusehen wartete Myotismon, ob Yuki tatsächlich etwas zustande bringen würde, was ansatzweise schlüssig klang. Dass ihr dann doch nichts einfiel, nur auf wackligen Knien und leicht offenen Mund dastand, zitternd und stotternd, war nicht anders zu erwarten.

„Weil... Weil...“

„Weil was?“, schrie er zu ihr hinüber und Yuki zuckte zusammen. Nun war sie eingeschüchtert und musste sich erst wieder fassen, ehe sie den Mut hatte ihren Mund aufzumachen.

„Weil du doch nicht bist, wie er gesagt hat. Du bist vielleicht einiges, aber doch kein Jabberwock. Jabberwocks schlagen und töten einfach andere. Aber du bist doch keiner. Oder, Onkelchen?“

„Ein unsinniger Vergleich.“

„Bist du einer oder bist du es nicht?!“

Es war nahezu unheimlich ruhig. Keiner rührte sich und alles, was man schließlich hörte war nur Myotismon, der tief ausatmete. Yuki ging erst davon aus, ihm wäre der Geduldsfaden endgültig gerissen, aber es blieb weiterhin ruhig. Ihre inneren Antennen für Gemüter und Gefühle sagten Yuki, dass er nachdachte. Und wenn Onkelchen nachdachte, war dies immer etwas Gutes.

„Du bist keiner, oder? Ich weiß es ja, Vampire sind nicht nett. Das ist in deiner Welt bestimmt nicht anders. Aber ich weiß, dass du anders bist. Du bist nicht so.“

„Woher willst ausgerechnet du das wissen?“

„Weil du mir sonst nicht zuhören würdest, würde ich nur Nonsens von mir geben.“

Myotismon musste, wie schon zu oft an diesem Tag an Sanzomon denken. Nicht zuletzt, weil dieses Gerede von ihr hätte stammen können. Sie hätte aber ebenso auf Vernunft plädiert und das Vernünftigste war dieses dämonische Digimon zu eliminieren.

Dann fiel Myotismon jedoch das Wappen um Yukis Hals ins Auge und er kam nicht drumherum nicht nur nachzudenken, sondern sich auch zu erinnern. An die Bedeutung dachte Myotismon nicht einmal wirklich. Vielmehr an den Tag, als Humpty Dumpty in den Abgrund hinunter fiel und zerbrach. An dem Tag als die Digiwelt und sowohl er selbst, als auch das gesamte Orchester lernten was tot wirklich hieß. Was Verzweiflung war. Diese Erkenntnis war es, die alles zerstört hatte und wie ein dunkler, unheilvoller Orkan über dem Orchester schwebte. Ein Tag gleich einem Weltuntergang, als Träume sich in Rauch auflösten. Und dieses Gesicht... Das Gesicht seines Kapellmeisters, als es erst vor Entsetzen erfror und dann in Tränen ausbrach... 

Dieses Mädchen mochte zwar in einem bunten, kindischen und sinnfreien Wunderland leben, wo etwas wie Gerechtigkeit noch existierte, aber Myotismon wollte nicht der Jabberwock sein, der ihr diesen Glauben nehmen sollte. Nicht so. Noch nicht. Wieso auch? Keiner hätte etwas von einem zerbrochenem Kinderherz. Sie war nicht das achte Kind, warum ihr also schaden wollen? Es wäre so sinnlos.

So war er wirklich nicht. Er war so nicht. Er war...

„Nein... So bin ich nicht“, sagte er in Gedanken versunken, deutlich genug aber, dass Yuki es hören konnte. Sie war erleichtert und zufrieden, anders wie Myotismon. Dafür waren sie nun quitt. Sie hatte ihm geholfen, er hatte ihr ihr Wunderland noch gelassen. Deemon würde er sich noch früher oder später vorknöpfen. Wenn Myotismon das achte Kind ausgeschaltet hatte und er der untote König war, der er werden musste könnte selbst ein Dämonenfürst nichts mehr gegen ihn ausrichten.

Die Ehre seines ersten Triumphs sollte zudem – neben dem achten Kind – dem Herr Dirigenten zuteil werden. Dann das Orchester. Dann der Rest.

Solange diese Welt noch so war wie sie war, sollte sie ihr blödes Wunderland eben behalten.

„Niedlich“, sagte Deemon. „Du lässt dich wirklich von ein paar unschuldigen Augen umstimmen? Du hast sie lieber, wie du zugibst.“

„Halt die Klappe, bevor ich meine Entscheidung noch bereue und es mir anders überlege.“

„Du würdest also wirklich ein Kind zum weinen bringen. Ausgerechnet sie? Dann hätte ich mir die Mühe ja sparen können, wenn du das selbst übernehmen möchtest.“

Deemon lachte, tief, aber laut, nur um ihn zu provozieren. Myotismons Wut war noch nicht erloschen, aber er bemühte sich, sie zu dämmen. Zumindest solange Yuki noch dabei war.

„Na komm, setzt euer kleines Spiel fort“, sagte Deemon, immer noch lachend. „Du bist dran, hab ich Recht? Frag sie.“

„Ich sagte, du sollst aufhören ablenken zu wollen. Sei froh wenn ich dir nur alle Knochen breche. Außerdem habe ich ihr nichts mehr zu sagen.“

„Weil du die Antwort kennst? Du weißt, warum sie dieses Wappen hat. Du willst es nur nicht sehen. Wie machst du das? Es ist so offensichtlich, so viel Nonsens kann man sich gar nicht einreden.“

Obgleich Myotismon den Griff strammer zog, war er unkonzentriert. Deemon wurde immer weniger zu seinem Hauptaugenmark. In dessen blau-durchzogenen Augen spiegelte sich Myotismons Gesicht, die Bedeutung in der Mimik undefinierbar.

„Kinder in dieser Stadt gibt es viele. Und Amano ist ein häufiger Name. Da wundert es mich nicht, dass sie auch so heißt. Aber ein Kind, das hier in diesem Land geboren wurde, aber so ausländisch aussieht ist dann doch schon eine Rarität. Hellblond. Blaue Augen. Woher sie die wohl hat?“

„Du redest zu viel“, knurrte Myotismon ihn an. Nun packte er Deemon mit beiden Händen, drückte ihn noch fester gegen die Betonwand. Aber Deemon grinste weiter und der starke Schwefelatem konnte einen umhauen.

„Du weißt es. Es wäre witzig, wenn es gleichzeitig nicht so armselig wäre. Selbst ich sehe es. Es ist das Gesicht, dass ich so hasse. Ich habe die Gesichter dieser sieben Kinder abgrundtief gehasst und ich habe sie niemals vergessen. Genauso wie ich deine Augen nicht vergessen habe. Egal zu was für einem Untier du digitiert wärst, dich, euer ganzes dämliches Orchester hätte ich sofort wiedererkannt, genau wie ich Alice unter Tausenden erkennen würde. Oder jemanden, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Dir muss doch ebenso auffallen, dass sie wie Alice aussieht.“

Ja. Das tat sie. Dass war Myotismon schon klar gewesen, als er Yuki das erste Mal sah. Sie sah aus wie Alice. Aber nicht nur wie die kleine Alice aus Lewis Carrolls Buch.

„Du kennst das Wappen, sehr gut sogar. Du kennst die Melodie des Digivices. Und sie hat es. Was sagte sie? Sie hat es von jemanden geschenkt bekommen? Von wem denn?“

Myotismon musste etwas grübeln, aber es dauerte nicht lange, bis es ihm wieder einfiel. Schließlich hatte er sie mehrmals gefragt, woher sie ihr Digivice und das Wappen hatte und sie hat ihm auch immer dieselbe Antwort gegeben. Erst hatte Myotismon ihr nicht geglaubt und dann auch nicht mehr weiter nachgefragt. Warum eigentlich nicht? Den wohl wichtigsten Punkt bei seinem gesamten Verhör hatte er komplett außenvorgelassen.

Deemon legte eine Hand auf Myotismons Arm ab, aber nicht ohne dabei seine Krallen in den Ärmel und in die Haut darunter zu rammen.

„Lass mich dir etwas helfen. Ich sage dir, was ich herausgefunden habe. In der Digiwelt waren du und deine Mitmusiker ziemliche lange Weg vom Fenster. Auch in der Realen Welt kann viel Zeit vergehen. Und in zwanzig Jahren kann einiges passieren. Der Tod deines geliebten Kapellmeisters ist jedoch noch gar nicht so lange her. Fünf Jahre, oder sogar nur vier. Bin mir nicht mehr ganz sicher.“

Myotismon biss sich auf die Unterlippe, weniger wegen dem Schmerz in seinem Arm, vielmehr weil sein Kopf kurz davor war zu explodieren. Die ganzen Zahlen wollten sich nicht ordnen lassen.

Wie viele Jahre auch immer Myotismon im Abgrund war, bis Tinkermon ihn fand, in Hisakis Welt waren es zwanzig Jahre. Zwanzig. Jahre. Und Menschen digitierten nicht, sie altern und wuchsen mit jedem Jahr heran. Wie alt war er dann gewesen oder wäre er nun? Fast Dreißig? Oder sogar über Dreißig?

Die Zahlen ließen sich in eine Reihenfolge legen und bildeten eine Formel. Das Ergebnis war, dass Hisaki erwachsen geworden war. Und was taten Menschen, wenn sie erwachsen waren?

Sein Kopf bewegte sich langsam zur Seite, bis Myotismon über die Schultern schauen und Yuki sehen konnte.

„Frage sie. Stelle ihr die offensichtlichste Frage, die man stellen kann. Wenn du dich das überhaupt traust.“

Zuerst ging es nicht und es fiel Myotismon fast noch schwerer, als überhaupt den richtigen Namen seines Kapellmeisters auszusprechen, während er dabei Yuki ansah. Es war nicht wunderlich, dass Yuki diesmal genau verstand, über was sie redeten. Das Gegenteil wäre ihm lieber.

„Yukino...“

Er musste nachdenken, dass sagte Myotismon sich immer wieder, obwohl er es schon die ganze Zeit tat. Nur kam er zu keinem Schluss, oder wollte keinen finden. Myotismon sah Yuki an und sagte sich innerlich, dass es nicht sein konnte. Das konnte nicht sein.

„Dein Vater -“

Myotismon stoppte sofort. Aber schweigen konnte er nicht weiter.

„...Kennst du jemanden, der Hisaki heißt? Hisaki Amano?“

Er hoffte, sie verneinte. Bitte sagte sie Nein, einfach nur Nein, sie kannte den Namen nicht. Oder ein Kopfschütteln, das würde ihm reichen. Oder dass sie den Namen schon einmal gehört hatte, vielleicht ein Bekannter, jemand, den sie flüchtig kannte, eine Person, die sie ein-, zweimal getroffen hatte, irgendwas davon oder dem im entferntesten nahe kam.

Nur damit er die offensichtlichste Antwort nicht hören musste.

„Du kennst meinen Papa also wirklich, Onkelchen?“

Myotismons Herz, einem Organ von dem er immer überzeugt war es existierte nicht, nicht mal auf einer digitalen Weise machte einen so heftigen Schlag, dass er fast in die Knie ging. Die Kraft in seinen Händen versagte. In seinem Inneren konnte Myotismon spüren, wie dieses Irgendetwas wieder hoch kroch, wie damals, als er Piedmon sah und Dracmon in ihn wiedererkannte. Nur damals wurde der Schneesturm schlimmer, stärker und lauter, damit er nichts am Boden dieses Abgrundes, diese grotesken Abklatsch der Büchse der Pandora sehen musste. Nun jedoch wurde die Sicht klarer.

Nun ließ der Sturm nach. Sein Kopf wurde klarer.

Es waren zwanzig Jahre in dieser Welt vergangen. Hisaki war als Erwachsener gestorben. Hisaki war erwachsen geworden, hatte geheiratet und hatte eine Familie gegründet, wie es Menschen taten, wenn sie erwachsen wurden. Hisaki hatte selbst ein Kind. Hisaki hatte ein kleines Mädchen in diese Welt gesetzt, dass genauso quer dachte und komisches Zeug sprach wie er, dass sein Wappen um den Hals trug, dass sein Digivice hielt, das sein Lied spielte, ein Mädchen dass verdammt noch mal genauso aussah wie ihr Vater!

Und Myotismon hatte es nicht gesehen. Er hatte das Offensichtlichste nicht gesehen.

Er hatte die Tochter seines eigenen Partners nicht erkannt.

„Na, siehst du. Es geht doch. Besser später als gar nicht, bist du da nicht auch meiner Meinung?“

Beinah freundschaftlich klopfte Deemon Myotismon auf die Schulter, er selbst registrierte es kaum. Nachzudenken hatte er aufgeben und sich zu fragen, wie er das nicht hat sehen können. Vielleicht wollte er es auch gar nicht. Dafür hatte Myotismon seinen Kapellmeister die letzten Jahre, seit er sich wieder erinnert hatte zu sehr gehasst. Gehasst, weil er den Kapellmeister suchte und nicht fand. Weil sie immer noch, trotz dass Alice das Wunderland aufgegeben hatte aneinander gebunden waren.

Zu wissen, dass Hisaki tot war, war wie ein Stich ins Herz und doch hatte Myotismon Erleichterung empfunden. Dieses ewige, unsichtbare Band zwischen ihnen war damit verschwunden. Er war frei.

Und nun musste er feststellen, dass Hisaki – oder zumindest ein Teil von ihm – immer noch da war. Er war tot, mausetot und trotzdem ließ Hisaki ihn nicht gehen, sondern ließ ein Kind zurück, dass ihn weiterhin an sein frühes Leben ketten sollte? Damit er für immer das Digimon eines verfluchten Digiritters blieb?!

Die Klaue auf Myotismons Schulter packte fest zu.

„Schließlich sollst du wissen, wen ich vor deinen Augen in Stücke reiße.“

Mit einem Faustschlag gegen das Gesicht warf Deemon Myotismon im hohen Bogen zu Boden. Er landete fast direkt neben Yuki. Ein kräftiger Schlag, aber er kam schnell wieder hoch, gerade um zu sehen, wie Deemon auf Yuki, die angewurzelt dastand zuging, mit ausgestreckter Hand, die scharfen Jabberwock-Krallen glühend wie sein Blick.

Rational betrachtet war es zu spät. Kein Angriff von Myotismon wäre schnell oder stark genug gewesen um Deemon auszukontern. Jede andere mögliche Handlung wäre Selbstmord.

Und was ihm in den Sinn kam war im Grunde Selbstmord. Nein, Wahnsinn. Es war wahnsinnig.

Ohne sich Gedanken zu machen, was der Grund für dieses Handeln war – ob es war, weil sie Hisakis Kind war und er Hisakis Digimon, weil er nun mal Prinzipien hatte oder einfach, weil er die Kleine unabhängig von alledem doch irgendwie mochte – sprang Myotismon nach vorn. Die Klauen fiel auf sie beide hinab. Myotismons Umhang legte sich um Yuki, gerade als sie aus Verzweiflung herausschrie:

Hört endlich auf zu kämpfen!

 
 

x𝄀

 

Warum Deemon diese Melodie mit der Zeit so hassen gelernte war ein einfaches psychisches Phänomen, basierend auf Verknüpfungen von Erinnerungen und Sinnen. Weil ihm Antonio Vivaldis Winter doch so gut gefiel, prägten sich die Klänge in seinen Verstand. Hisaki, der sich aufgrund der politischen Verfolgung den Decknamen Alice gab und sein Digimon waren ganz witzig, aber IceDevimon hätte sich ohne die Musik nie für sie interessiert. Oft schlich er sich in das Frigimon-Dorf, um dem Klavierspiel zuzuhören und fragte sich, wie ein menschliches Kind so viele Emotionen in ein paar Noten legen konnte.

Es war etwas anderes. Zuvor kannte IceDevimon nur seine Überlebenstriebe und das Bedürfnis nach gemeinen Scherzen, die andere Digimon ausbaden mussten. Als Alice und Tsukaimon gingen, fehlte plötzlich etwas. Kaum dass sie gingen, kamen die Säuberungstruppen und verjagten die Gruppe IceDevimon, die nicht weit von dort weg lebten, wo Jahre später ein Schloss stehen sollte, dass zu dem Zeitpunkt schon im Bau war.

Der dritte Wintersatz jedoch hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Immer wenn das Geräusch der dunklen Wellen ihn fast in den Wahnsinn trieb versuchte IceDevimon sich an dieses Klaviermelodie zu erinnern, die ihn kurz wieder zur Besinnung brachte, ehe er von Heimweh überkommen wurde.

Sein zu Hause war nicht besonders herzlich. Es gab kein wirkliches Gefühl von Gemeinschaft. Es war ein Alltag mit Kämpfen und Schabernack, aber es war ein Alltag am Rande dieser zerstörerischen Diktatur, ein Ort, wo noch alles so simpel war, ehe der Krieg es ihnen wegnahm und sie zu geistiger Reife gezwungen wurden.

Vivaldis Winterklänge erinnerten ihn, egal ob er IceDevimon, NeoDevimon oder Deemon war an diese einfache, aber doch angenehmen Tage. An Alice und an Poyomon, die trotz, dass sie mitten im Krieg waren ihre infantilen Ideale behielten, im Glauben sie hätten in einer solchen Welt, die sich doch nicht entwickelte etwas wie Bedeutung. Selbst zwanzig Menschenjahre später lebten diese Ideale noch. Und das, wo doch der eine tot und der andere untot war. Und Alice' Tochter war in der Hinsicht schlimmer wie die beiden zusammen.

Er hasste Alice und er hasste Alice' geliebtes Digimon, wie Alice' kleine Tochter. Doch nur sie konnten dieser Melodie die Emotionalität geben, wie es kaum ein anderes Digimon konnte. Diese Melodie, die Deemon an jenen Ort – zu Hause – erinnerte.

Er hatte es gesehen. Zwischen all den Klängen war ein Geist erscheinen. Ein junger Mann. Blass. Blond.

Alice stand geisterhaft bei seinem Digimon und seiner Tochter, hielt schützend die Hände über ihnen und sah Deemon direkt in die Augen. Entschlossen. Und doch so voller Mitleid.

 
 

𝅝

 

Yuki getraute sich erst wieder ihre Muskeln zu entspannen, als sie hörte, wie etwas vor ihr in sich zusammensackte. Sie dachte sich, und so war es schließlich auch, dass dies der Jabberwock war. Sie nahm an, ihr Onkelchen hätte ihn angegriffen. Dieser aber kniete neben ihr und hielt sie fest, also schloss sie das aus.

Ihr taubes Bein tat weh, Yuki musste ihr Gewicht verlagern und verlor fast die Balance. Nur ihr Hände waren angenehm warm, auch als das Digivice die letzten Noten abspielen ließ und schließlich verstummte.

„Onkelchen. Ist alles gut? Ist etwas Schlimmes passiert?“

Myotismon nickte. Er hatte ganz vergessen, dass sie das ja nicht sehen konnte. Aus seinem Schweigen schloss Yuki schließlich, dass er in Ordnung war (Yuki sagte sich, im gegenteiligen Fall hätte er seinem Ärger längst Kund getan).

Erleichtert war sie zwar, aber fassen konnte sie es nicht so wirklich. Tatsächlich glaubte Yuki nicht einmal, dass sie vollkommen unversehrt, geschweige denn am Leben war. Sie hatte das Erdbeben gespürt, als der Jabberwock auf sie zulief und war sicher, dass es damit gewesen sei.

Auch Myotismon, der sie immer noch festhielt wagte es kaum zu glauben, was er hörte und sah. Und was er sah war Deemon, auf den Knien. Er trug seine dunkelrote Kutte mit der spitzen Kapuze wieder. Die Arme hingen schlaff da. Der Kopf war gesenkt. Man hörte ihn murmeln und dass Deemon seufzen würde. Traurig seufzen. Sein Gemurmel selbst verstand man kaum, aber es klang wie „Zu Hause... Wo... zu Hause...“

„He... Herr Jabberwock?“, fragte Yuki vorsichtig. Da hörte das Murmeln auf und Deemon hob wieder den Kopf, sah direkt in Yukis Gesicht, das weiß und starr wie eine Wand war.

„Ihr... ihr seid schuld... Wieso müsst ihr diese Musik spielen!“, sagte Deemon, brüllte aber nicht so wie zuvor, aber trotzdem zornig. Es machte bereits den Anschein, als wollte Deemon wieder auf sie losgehen, Myotismon zog Yuki weiter zu sich, wollte angreifen und die Sache diesmal wirklich beenden, bis sie zu schreien, fast schon zu weinen anfing:

„Schluss jetzt! Hört auf, hört beide endlich auf! Kein Tod, kein Tod mehr, ich will nicht das jemand tot ist! Ich will nicht, dass jemand weg ist so wie Papa! Bitte!“

Sie weinte wirklich, wenn Yuki aber auch versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Man sah sie an ihren Augenwinkeln kleben, aber nicht die Wangen hinunterlaufen.

„Willst du lieber draufgehen?“

„Du hast es versprochen!“, sagte Yuki laut zu Myotismon und klammerte sich an ihn fest. „Du hast versprochen du verschonst ihn!“

Myotismon atmete einmal tief ein und dann wieder lange aus. Es half. Auch wenn er dabei blieb, dass es besser wäre Deemon auszuschalten, erst recht da er sehr geschwächt war – er hatte es versprochen. Also hielt er sich daran.

„Und das gilt auch für dich! Ich habe Onkelchen angefleht dich zu verschonen! Jetzt sei auch so gerecht und lass ihn in Ruhe!“

„Warum sollte ich darauf Wert geben? Ein närrisches Kind hat nichts zu entscheiden“, knurrte Deemon sie an. Yuki hörte, dass dieses Knurren nur etwas überdecken sollte, nämlich den gequälten Unterton. Die Trauer, oder was immer die Musik des Digivices in ihm ausgelöste.

„Weil ich gesagt habe, dass ich es versuche. Und was man sagt, muss man auch machen. Ich habe Onkelchen eine Chance geben, also muss ich das auch bei dir machen. Das ist ehrlich. Papa hat gesagt, so funktioniert Gerechtigkeit. Irgendwie so ähnlich.“

Yuki steckte das Digivice in ihre Hosentasche, sie schluckte so laut, dass man es deutlich hören konnte. Dann, mit ausgestreckter Hand ging sie einen Schritt auf Deemon zu. Myotismon hielt sie noch fest, zischte, ob sie nun komplett übergeschnappt sei. Sie ging nicht darauf ein, auch wenn sie mit der anderen Hand sich an Myotismon Ärmel festhielt.

Sie zitterte. Sie hatte Angst. Deutlich Angst. Das Zittern jagte durch den gesamten Körper, mitsamt dem Schmerz. Yuki brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und glaubte sogar, dass ihr schlecht wurde. Schließlich wollte er sie umbringen. Er hätte sie und Onkelchen beinahe getötet.

„Es... tut mir Leid, dass ich Jabberwock zu dir gesagt habe... Das war nicht nett von mir.“

Dann streckte Yuki Deemon die Hand entgegen und ließ dafür Myotismon los.

„Versprichst du, dass du Onkelchen in Ruhe lässt, Herr Deemon?“

Ungläubig sah Deemon diesem Kind in die Augen und dann auf die blasse Hand. Myotismon blendete er aus, allerdings konnte Deemon sich denken, wie argwöhnisch er diese Szene beobachtete, darauf wartend, dass Deemon irgendeine verräterische Bewegung machen wurde. Aber er saß auf seinen Knien, wechselte weiter zwischen dem blassen Gesicht und der gleichfarbigen Hand hin und her und fragte sich, was ihn davon abhielt ihr den Arm nicht einfach abzureißen? Myotismon sicherlich nicht, denn wäre das Mädchen nicht gewesen, wäre er längst in der Luft zerfetzt worden.

Ein anderes Virus-Digimon hätte es getan. Es hätte erst einen Eid abgelegt und kaum, dass man ihm den Rücken zugedrehte, hätte er seinem Gegenüber den Todesstoß versetzt. Aber Deemon war eben nie wie alle anderen Virus-Typen gewesen. Nicht wie seine Artgenossen, nicht wie die Digimon, die sich untereinander als Brüder bezeichneten. Und so wie alle anderen Virus-Digimon wollte Deemon auch nie sein, allein um den alten Serums der Apartheid diese Bestätigung, auch nach ihrem Fall nicht zu gönnen. Er war nicht rückgratlos. Insbesondere nicht ehrlos und die Kleine hatte ihm, wenn auch indirekt geholfen. Nicht wegen Myotismon. Aber er hat diese Melodie noch einmal hören dürfen. Dieses Klavierspiel über die Wintertage einer sorglosen Epoche seines Lebens.

Yuki erschrak, als Deemon schließlich ihre Hand nahm. Sie war rau und schuppig, mit scharfen Klauen, wie die Kralle eines Vogels.

„Versprochen.“

Noch für ein paar Sekunden stand Yuki da und hielt diese Hand. Dann glitt ihre eigene aus diesem Griff, blieb neben ihrem Körper hängen, während Yuki noch etwas brauchte, um das Gefühl der schuppigen Oberfläche zu verarbeiten, geschweige denn die Situation zu realisieren. Ihre Beine gehorchten ihr wieder, gleichzeitig musste sie sich aber auch daran erinnern, dass ihr Bein immer noch betäubt war, als sie dabei war sich umzudrehen. Ihre ausgestreckte Hand nahm Myotismon auch gleich an sich, zog sie zu sich und Yuki hielt sich an dem immer noch etwas feuchten Stoff seiner Hose und den Umhangs fest.

„Geh.“

„Werde ich. Keine Sorge“, antwortete Deemon, mehr oder minder beeindruckt von Myotismons scharfen Ton.

„Und merke dir eins, Deemon – Sollte ich herausfinden, dass du diesem Mädchen nachstellst, werde ich dich suchen, dich finden und dich zerquetschen, wie ein wertloses Insekt und jedes deiner Einzelteile in einem anderen Winkel der Digiwelt zerstreuen. Und wenn du es wagen solltest wiedergeboren zu werden, werde ich dein Digiei finden und zerschmettern, solange bis es nur noch Staub ist.“

Am liebsten hätte Myotismon dieses Digimon am Kragen gepackt und ins Meer geworfen, da wo es hingehörte. Doch er Zug an seinem Umhang erinnerte ihn wieder an seine eigenen Worte, also unterdrückte er diesen Wunsch. Der stechende Zorn im Gesicht und das Eis in den Augen blieb aber.

„Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Du drohst mir? Einem Mega-Level? Einem Dämonenkönig aus alten Horrormärchen? Du bist wie eh und je sehr von dir überzeugt. Jetzt weiß auch wieder, warum du mir so sympathisch warst...“

Deemons Lachen klang mehr wie ein erschöpftes Schnaufen. Dann stoppte er abrupt und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Yuki und war überrascht, dass sie etwas wie Gnade kannte. Dabei hätte Deemon seine Hand dafür ins Feuer der Dunklen Zone gelegt dass Alice, nach allem was geschehen war nicht nur des Lebens überdrüssig wäre, sondern sein Hass auch auf seine Nachkommen übergehen würde. Doch Deemon schien sich geirrt zu haben.

Eine Scheibe davon hätte Myotismon sicherlich auch gut getan, dann würde er vielleicht merken, dass das, was er vor hatte eben auch nichts anderes wie Suizid war. Fast bemitleidenswert, was aus diesen sieben Digimon von früher geworden war.

„Aber ich werde der kleinen Alice nichts mehr tun, dafür, dass sie so viel Mitgefühl für einen armen, alten Jabberwock hatte. Schließlich will ich nicht gänzlich undankbar sein. Sie gibt sich wenigstens Mühe, den Sinn dieses Wappens zu begreifen.“

Yuki, weiter an Myotismon geklammert, hatte sich seine Worte angehört, jedes einzelne Silbe genau studiert und auf das leiseste Anzeichen eines Schnalzens geachtet. Aber sie hörte nichts. Er meinte es also nicht nur ehrlich, sondern wohl auch ernst.

Vorsichtig stand Deemon auf. Nun, da weder Rausch noch Daten von Adrenalin Sinne und Denken sedierten, spürte er, wie geschwächt er eigentlich war. Myotismon hatte zwar ein paar saftige Schläge drauf, letztendlich war es aber die heilige Kraft des Digivice gewesen, die ihn in die Knie zwang. Dies und die Erinnerungen an die schöne, sorglose Heimat. Er würde eine Weile brauchen, bis er sich vollständig erholt hätte.

Deemon ging an den beiden vorbei, unter den prüfenden Blicken Myotismons, der an Deemons Ehrlichkeit zweifelte. Ihre Augen trafen sich und auch wenn sein Gesicht wieder komplett verdeckt und in Schwärze getaucht war, war Myotismon sich sicher, wieder dieses mit Zähnen bestückte Grinsen zu sehen.

„Aber wir beide haben uns nicht das letzte Mal gesehen, Myotismon.“

Dann ging Deemon. Humpelnd und geknickt, besaß aber noch genug Dreistigkeit um zu lachen.

„Ein Kind... Ein dummes Kind und ein Haustier haben mich verschont... Zum totlachen“, murmelte er, murmelte sogar weiter, aber es war viel zu gedämmt, als dass man etwas hätte verstehen können. Letztendlich verschmolz Deemon mit den dunklen Schatten in den Ecken und Winkeln des nicht einmal halbfertigen Gebäudes. Die Aura seiner Anwesenheit lag noch länger in der Luft, gleich Rauch nach einem Großbrand. Dann blies der Wind diese Präsenz fort und erst als dies geschehen war, versagten Yukis Beine. Sie rutschte zu Boden und konnte noch nicht so ganz fassen, was geschehen war oder was sie mehr wundern sollte - Das sie noch lebte? Dass sie alle noch an einem Stück waren? Dass sie den Jabberwock angefasst hatte, ganz freiwillig?

Und Onkelchen? Er hatte gar nichts mehr gesagt, aber Yuki hielt noch immer seinen Umhang fest. Sie hatte bisher keine Zeit gefunden, das was sie gehört hatte zu verarbeiten. Etwas sagte ihr, dass es Myotismon in der Hinsicht nicht anders ging. Aber auch, dass sie eigentlich den Mund halten sollte.

Yuki fühlte ihre unteren Glieder wieder und stand auf. Kaum dass sie wieder auf den Beinen war, riss Myotismon seinen Umhang aus ihren Händen. Sie hatte also Recht gehabt, er war böse. Sie konnte sich seinen Blick ausmalen. Die Blicke des Schwarzen Königs. Er war... er war doch...

„Onkelchen. Bist du wirklich...“

„Spar dir den Atem.“

Eisiger Wind kam auf. Yuki presste verängstigt Augen und Lippen zusammen und zog ihre Schultern so weit es ging hoch.

„Dass du vorlaut bist, daran kann man sich mit der Zeit gewöhnen. Aber nicht, dass du es wagst mich an der Nase herumzuführen. Ich habe von Anfang gewusst, dass an dir etwas faul ist.“

„Onkelchen, ich -“, begann Yuki, schwieg aber dann sofort wieder, als sie wieder einen kalten Luftzug spürte, so willkürlich, als hätte jemand diesen heraufbeschworen.

„Du stolzierst hier mit dem Digivice und dem Wappen herum, versuchst dich bei mir einzuschmeicheln und wofür? Denkst du, es sei witzig?“

„I-Ich war mir nur nicht sicher. I-ich wollte doch nur Papas Freund finden.“

„Weil dir die Ehre deines Vaters so wichtig war? Weil du dachtest, du müsstest Papas verloren gegangenes Haustier finden? Was mischst du dich in Dinge ein, die dich nichts angehen?“

Eingeschüchtert stand Yuki vor ihm, fühlte sich als wäre sie mit ihrem Selbstbewusstsein immer kleiner geworden. Sie wollte etwas sagen, aber Myotismon fiel ihr bereits ins Wort:

„Denkst du, es gebe keinen Grund, warum dein Vater das Wunderland mied? Das er nicht zu seinen Freund zurückkehrte? Dass er ihn verlassen hat?“

„Er hat ihn nicht verlassen!“, brüllte Yuki schließlich doch los, kräftig genug, dass das Nachbeben dieses Schreies von den Wellen getragen wurde, vielleicht sogar bis zum anderen Ufer hinüber, wenn das Meer doch sonst so gern jeden anderen Ton verschlang.

Yuki fing sich wieder. Ihre Brust tat weh.

„Papa hat immer versucht ins Wunderland zu kommen. Er hat gesagt, irgendwann hat er kapiert, dass es nicht ging. Er könne nicht an Gerechtigkeit glauben, nicht genug, um den Eingang zu finden. Aber er wollte, dass ich es vielleicht einmal schaffe und ich wollte es auch. Ich wollte seinen Freund treffen und ihm sagen –“ , sie pausierte plötzlich und nutzte den kurzen Moment, um den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken , „ – ihm sagen, dass es Papa Leid tut, dass er sein Versprechen nicht halten konnte.“

„Denkst du wirklich, sein Freund hätte auch nur einen Moment geglaubt, dass er freiwillig in dieses Kriegsgebiet zurückkehren würde?“, fragte Myotismon streng. „Dass dein Vater wirklich wieder dorthin gelangen und weiterleben könnte wie zuvor, als sei nie etwas passiert? Tse, dummes Gerede. Nichts als alberne Träume von einem albernen Versprechen, von einem Menschen der sich schon vor langer Zeit selbst aufgegeben hat. Vielleicht war dein Vater sogar froh, dass ihm irgendetwas ein Ende setzte.“

Erst wollte sie wieder schreien, dann aber lief Yuki Myotismon nach. Sie stieß gegen ihn, hielt sich aber an seinem Umhang fest und aus Protest heraus zog sie stärker daran. Wutentbrannt sah Myotismon auf sie herab. In ein Gesicht, dass kurz vorm Heulen war.

„Vielleicht konnte Papa wirklich nicht mehr“, sagte Yuki mit trauriger Stimme. „Vielleicht war es ihm doch alles zu viel. Aber ich bin ganz sicher, er wäre nicht gegangen, ehe er nicht wüsste, ob es seinem Freund gut ginge. Ob er ein zu Hause hat und Dinge macht, die ihm Spaß machen. Und ob er jemanden an seiner Seite hat, so wie Papa Mama hatte. Mehr wollte Papa doch nie, obwohl er seinen Freund doch so schrecklich lieb hatte. Selbst wenn er nie mehr mit seinem Freund reden oder hätte sehen können, aber zu wissen, dass es ihm gut ginge hätte ihm gereicht.“

Yuki hörte nur ein tiefes Schnaufen, eines, dass sie nicht einordnen konnte. Sie ließ den dicken, schwarzen Umhang los und war überrascht (ließ es sich aber äußerlich nicht anmerken) dass ihr Onkelchen, statt zu gehen vor ihr in die Knie ging. Nervös wartete Yuki, ob er etwas sagen würde, was Myotismon nicht tat.

„Du hast gesagt, die Digimon in der Digiwelt enden alle mit -mon. Und Herr Deemon hat gesagt, die Digiwelt ist das Wunderland. Papas Freund ist der Schwarze König und Herr Deemon hat dich so genannt... Also... also bist du doch Tsukaimon, Onkelchen?“

Yuki wünschte sich, sie hätte sehen können. Sie hörte nichts außer dem Meer und spürte nichts außer den Wind. Von Myotismon nahm sie nichts wahr, glaubte sogar, dass er sie einfach hat an Ort und Stelle stehen lassen. Yuki wünschte sich in das Gesicht sehen zu können, dass sie mit ihren Händen berührt hatte und würde dann wissen, dass er Tsukaimon war.

Myotismon, der Tsukaimon war sagte nicht nur nichts, er dachte auch nichts. Die einzigen akuten Reize und Gedanken, die er auffassen konnte war die Tatsache, wie schrecklich ähnlich Yuki Hisaki sah.

Er hätte es sehen müssen. In dem Augenblick als er sie sah und er an Alice dachte, hätte er wissen müssen, dass es nicht Alice Liddle, sondern Hisaki war. Sie schaute genauso wie Hisaki, trotz Blindheit. Ihre Augen waren seine Augen. Es waren die ersten Augenpaare, die Myotismon sah. Sie waren noch da.

Wenn auch vom Herr Dirigenten unzählige Male über- und umgeschrieben worden - Myotismons allererste Erinnerung war noch da und hatte die Zeit im Abgrund überlebt. Und diese Erinnerung begann auf einem Feld aus frischen und weichen Schnee, das erste was Poyomon sah, als er aus dem Ei schlüpfte. Das zweite war Hisaki, der gerade seinen ersten Schritt in die Digiwelt hinter sich gebracht hatte. Er hatte vor Poyomon gelegen, musste kurzzeitig bewusstlos gewesen sein, aber kam nun wieder zu sich. Frischer Schnee lag auf seinem unordentlichen hellblonden Haar und diese Augen, diese großen leuchtenden Augen, die das frischgeborene Poyomon voller Faszination angestarrt hatten. Und die weißen, dünnen Arme mit den ebenso dünnen Hände, die seinen damals so kleinen und unförmigen Körper nahmen und hochhielt. Und während Hisaki ihn freudestrahlend empor hob und jauchzte, er sei so süß, er sei so toll, es sei gar nicht zu fassen, dass er echt sei hatten sie in all ihrer Freude die Kälte gar nicht gespürt.

Nur wie schön dieser Schnee war und dieser Ort, wo Poyomon und dieser Digiritter, sein Partner waren, die schönste Bühne für diese ersten Minuten ihres Lebens, nicht wissend, welches Unheil auf sie laueren würde. Schlafloses Nächte und duzende Kämpfe in einer Welt des Ausnahmezustandes. Nichtsdestotrotz war die Digiwelt ihr innig geliebtes Wunderland, wo es keine Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit geben sollte. Eine Welt, für die es sich lohnen sollte weiterzumachen.

Dann fiel Kouta, der sich Humpty Dumpty nannte, wie Hisaki sich Alice nannte, hinunter. Und starb. Dann war dieser süße Traum plötzlich vorbei.

Er hätte verstanden, wenn Hisaki die Digiwelt nach alledem hasste. Oder sein eigenes Digimon. Myotismon hätte es nachvollziehen und ihm auch nicht übel nehmen können. Schließlich hatte auch er so gut es ging seine Abenteuer im Wunderland mit Alice geleugnet. Und wenn er sich nicht sagte, dass dieser Teil seines Lebens nicht mehr war wie eine psychodelische Konzerttour durch ein Kriegsgebiet, hatte er Hisaki gehasst. Selbst als Myotismon wusste, dass sein ehemaliger Freund tot war. Er hatte ihn gehasst. Nicht weil Hisaki sein Versprechen nicht gehalten hatte, sondern vielmehr, dass er es überhaupt aussprach, obwohl ihnen beiden doch klar war, dass er es unmöglich hätte halten können. Nicht zu vergessen die kurzes Phase in seinem Dasein, als er es tatsächlich in Erwägung zog, dass Hisaki es schaffen könnte. Dass er wirklich wiederkäme.

Ihn zu hassen war einfach so viel besser gewesen. Es machte das Vergessen so viel leichter. So viel erträglicher. Nun aber hatte Myotismon dieses Kind vor sich. Hisakis Kind...

„Onkelchen? Bitte, kannst du etwas sagen? Bitte rede mit mir...“

Etwas schüchtern ging Yuki auf ihn zu, ließ ihre Hand hin und her schweben und hoffte Myotismon erfassen zu können. Sie machte einen so desorientierten Eindruck und doch konnte er in Yukis Gesicht das von Hisaki erkennen. Diese nahezu unerträgliche Ähnlichkeit in einfach allem. Wäre sie ein Junge, hätte er es eher bemerkt? Wäre es ihm früher aufgefallen, wenn es geschneit hätte?

Yukino. Dieser Name schon. Wie hätte Hisaki sein Kind auch anders nennen können?

Myotismon begann schweigend den Kopf zu schütteln. Hisaki hätte seiner Tochter, statt Mutter-Gans-Lieder und Unsinnigkeiten Manieren und eine bessere Selbsteinschätzung anerziehen sollen. Geschweige denn Worte und Geschwätz, dass seine Ohren viel zu spät erreichte.

Yuki hatte aufgehört mit den Händen nach Myotismon zu suchen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er mehr wie die Schnauze voll von ihr hatte und wollte sich nicht noch mehr Ärger einhandeln, indem sie seinen Wunsch nach Distanz missachtete.

„Onkelchen...“

„Was willst du noch?“

Sie zuckte. Myotismons Ton klang nicht erfreut. Allerdings entsprach sein Ton auch nicht seiner üblichen, erzürnten Art zu reden.

„Nichts. I-Ich werde gehen. Ich finde schon nach Hause. Du wolltest doch, dass ich gehe. Es -“, noch einmal holte Yuki tief Luft, ihre Hände verkrampften sich in in Stoff ihrer Hose, „ - ist okay, wenn du mich nicht mehr magst. Ich versteh das, schließlich war ich unehrlich. Aber egal was du über Papa denkst, ich habe gesagt, was ich sagen musste. Und ich hab dich trotzdem gerne. Für mich alleine reicht das.“

Gehen, mehr nahm Myotismons Verstand nicht auf. Gehen. Die Kleine wollte gehen. Endlich. Sollte sie doch. Sollte sie dorthin wo der Pfeffer wächst. Was sollte er schon mir ihr? Wieso hatte Hisaki nur ein Kind zurück gelassen?

Nur das. Mehr gab es von Hisaki nicht mehr, dass dachte Myotismon und sah Yuki zu, wie sie einen großen Schritt zurückging und ihre Taschen absuchte, da sie vergessen hatte, dass sie ihren Blindenstab verloren hatte. Verloren. Gehen. Wie Hisaki. Und nur sein Töchterchen war noch da.

Wieso war Hisaki Vater geworden? Wie kam es, wo er doch selbst einen so großen Hass auf seine Eltern hegte? Was war mit seinem Partner geschehen? Hatte Hisaki sich so verändert? Oder nicht? Was für ein Leben hatte Hisaki ohne sein Digimon geführt?

Myotismon würde es nie erfahren. Hisaki war weg und zum ersten Mal wurde Myotismon das wirklich klar. Hisaki war weg. Für immer. Tot. Sein Partner war tot. Und mehr wie dieses Mädchen gab es von ihm nicht mehr. Und egal wie viele Welten Myotismon in der Dunkelheit vereinen würde und wenn er Raum und Zeit bis zur Unendlichkeit krümmen könnte - dies war nicht zu ändern. Er würde Hisaki nie mehr wiedersehen. Der Mensch, der trotz allem was geschehen war und ein eigenes Leben lebte, ihn dennoch nicht vergaß...  

„Onkelchen...“

Und wie von einem auf den anderen Augenblick hatte sich Yukis gesamte Umwelt verändert. Auf einmal war Myotismons Anwesenheit für Yuki mehr wie nur wieder spürbar. Sie roch die Friedhofserde und die Kälte eines Winterabends, die ihn umgab. Konnte den kalten Körper spüren, der sich wie der Leichnam ihres Vaters anfühlte. Yuki spürte seine Arme um ihren Oberkörper und wie ihr Gesicht gegen die Brust und den dunklen Anzug gedrückt wurde, während sie selbst ganz steif wurde.

„Onkel-“

„Sei still!“, brüllte Myotismon sie an, presste Yuki dabei noch enger an sich. „Sei verdammt noch einmal einfach still! Hör endlich auf weiter solch dummes Zeug zu reden!“

Yuki blieb still, obwohl sie kaum Platz hatte sich zu bewegen. Aber sie ertrug es und tat, was er sagte. Und lauschte, als sie sich immer noch in dieser Umarmung gefangen, entspannte.

„Du bist ein verdammter Idiot, Hisaki. Wieso hast du versucht dieses dumme Versprechen zu halten? Wieso bist du nicht den erträglicheren Weg gegangen?... Wieso hasst du mich nicht?... Nach alledem... Wieso hast du nicht losgelassen?... Wieso hast du mich nicht einfach vergessen? Du...“

Gerade so noch verhinderte Yuki, dass sie ihr Schweigen brach. Sie war sich ohnehin sicher, dass Myotismon sie nicht gehört hätte. Er war woanders. Seine Gedanken waren an jenen Ort, den er immer gesucht hatte, den er aber nie fand, weil dieser Ort nur da sein konnte, wo auch Hisaki war. Yuki legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab und umarmte ihn, mit einem Arm um den Hals, wartete, dass er schimpfen würde, aber nichts dergleichen geschah.

Die Wut, die Myotismon all die Zeit mit sich rumtrug verflog und ging mit dem Schnee sang und klanglos im Abgrund unter. Heraus kam Vivaldis Musik vom zarten Winter, deutlicher und klarer denn je.

„Hisaki... Ich habe den Schnee gefunden, Hisaki... Ich habe dich im Schnee gefunden... Ich habe dich gefunden... Ich habe dich endlich gefunden...“

Die Umklammerung in der Yuki gefangen war, war etwas lockerer geworden, aber sie umarmte ihn weiter. Sie war überfordert, wusste nicht wie sie weiter auf dieses Verhalten reagieren sollte, aber sie ließ es sich gefallen, als wäre sie eine Puppe. Sie ließ sich von Myotismon halten, während er im Geiste weiter mit ihrem Vater sprach. Er begann ihren kleinen Körper zu schaukeln und über ihren Kopf zu streichen, so wie Hisaki es früher bei ihm tat, als er noch Tsukaimon war. Und auch wie Hisaki das genauso Jahre später bei seiner Tochter tat und Yuki musste gestehen, so wie Myotismon sie hielt, fühlte es sich an, als würde ihr Papa sie halten. Sie hatte wirklich Papas Freund gefunden.

„Verzeih mir, dass ich es nicht sofort bemerkt habe. Du hast dein Versprechen gehalten... Selbst über den Tod hinaus hast du es gehalten, Hisaki...“

Vielleicht war es Sentimentalität, die Erleichterung, dass der Jabberwock fort war oder weil Yuki Onkelchen so Leid tat. Aber ihre Schüchternheit und ihr Gewissen, dass ihr sagen müsste, dass das Fremden gegenüber unhöflich wäre ruhten. Sie brachte den Mut auf sich enger an Myotismons kühlen Körper zu drücken, sich etwas näher an seinen Kopf zu tasten und ihm letztendlich einen Kuss auf die Wange zu geben, ehe ihr Gesicht in seiner Halsbeuge verschwand. Yuki spürte selbst nach einigen Sekunden noch auf ihren Lippen, dass seine Wange warm und nass gewesen war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
#vollnichtvorhersehbarerPlottwist

Ich muss an der Stelle auch etwas gestehen... Es... kommt noch eine dritte Timeline hinzu. Heißt ab dem nächsten Konzert reisen wir noch ein gaaaaanzes Stück weiter in die Vergangenheit... Positiv ist, es hat vielleicht mehr Digimon-Feeling. Komplett anzeigen

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