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Wintersonett

Which dreamed it?
von

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Konzert IX - WONDERLAND, 4. Satz, Allegro [ winter ]

𝄢

 

Seraphimon richtete seinen Blick auf.

„Er wurde besiegt.“

„Ja...“, hauchte Cherubimon, Ophanimon nickte nur. Nicht nur der Schwarze Lichtkegel war verschwunden, auch das düstere Polarlicht-ähnliche Schimmern am Horizont, dass zeigte, dass die Tore zur Finsternis offen standen erlosch. Und dieser Klang. Dieser schwere Glockenschlag war verstummt.

„Sie haben Dragomon wirklich besiegt“, sagte Cherubimon fassungslos. Ophanimon blieb nachdenklich.

„Wie sie das wohl geschafft haben?“

„Wen kümmert es“, knurrte Seraphimon. Im Osten ging die Sonne auf und tauchte die Kristallstadt Atzilut in Regenbogenlicht.

„Sie haben getan, was nötig war. Der Krieg ist vorbei. Wir haben gewonnen. Es fehlt nur eine Sache...“

„Seraphimon!“, rief Ophanimon, aber ihr entfiel, was sie sagen wollte. Doch er wartete.

„Was?“

„Gibt es keine andere Möglichkeit? Die Viren, die in den Städten leben haben sich integriert. Es gibt keinen Grund -“

„Viren können sich nicht integrieren, Ophanimon! Sie sind ein feindseliges Programm. So etwas gehört gelöscht! Ein für allemal.“

„Er hat Recht, Ophanimon“, stimmte Cherubimon zu. „Es darf nicht nochmal das passieren wie einst. Wenn wir die Viren, die noch hier sind ausradieren, herrscht die absolute Ordnung des Systems.“

„Ich meinte nur...“

„Machst du dir Sorgen um Rosemon und ihren... Gatten?“

Ophanimon senkte den Kopf. Tatsächlich hatte sie an Rosemon gedacht, aber nicht primär. Sie schämte sich sogar, erst an die Kinder gedacht zu haben. Die Musik, die sie spielten klang so erhaben. So schön. Die Klänge berührten sie regelrecht unter ihrer Brust und hinterließ das Gefühl wie Sonnenschein von Tagen aus frühster Zeit und Sorglosigkeit, als die Wiesen grüner und der Himmel strahlender waren.

Doch Ophanimon sagte nichts mehr. Ihre Kameraden hatten Recht. Es musst endlich getan werden. Die Ereignisse der Beta-Ära – allen Epochen davor – durften sich nicht wiederholen. Diesmal musste man die Digiwelt nicht wiederherstellen. Diesmal blieb sie erhalten, mit allem was sie nun hatte.

Die Digiwelt drehte sich schnell, schneller wie andere Welten. Einst waren sie synchron, doch durch das HCF-Programm verschob sich alles. Es hatte durch die dunkle Energie, die der Zorn des Kriege freisetzte zu viel Macht erhalten. Es durfte nicht ausgeführt werden, sonst brennt diesmal alles. So wie damals fast.

„Seraphimon, es wird Zeit“, sagte Cherubimon. Die Sonnenstrahlen brachte die Rüstungen der beiden Engel und CHerubimons weißes Fell zum funkeln.

„Ja. Endlich. Programm 14F13 wird ausgeführt. Keine Gefangenen, keine Ausnahmen.“

„Und die Digiritter? Wen soll ich schicken?“

„Das übernehmen wir persönlich. Meister Huanglongmon wartet bereits.“

„Umso besser. Geht vor, ich erteile den Befehl an die Generäle.“

Cherubimon verschwand ins Innerste des Schlosses und ließ die beiden Engel-Digimon auf dem großen Balkon zurück. Vor Ophanimon breitete Seraphimon sein Flügel aus um loszufliegen. Da aber Ophanimon wider seiner Erwartung sich nicht rührte, sondern nur den opalweißen Boden anstarrte hielt er inne.

„Was ist los?“

„Es... wirkt nur so surreal.“

„Ich weiß, was du denkst“, sagte Seraphimon freundlich und legte seine Hände auf ihre Schultern. Doch sie hatte Zweifel. Ganz sicher wusste er nicht, was sie dachte.

„Aber wir haben es geschafft. Es wird sich nicht mehr wiederholen“, versicherte er Ophanimon. Ob ihrem Gegenüber bewusst war, dass er das Selbe sagte wie einst?

Die drei Engel plagten die Erinnerungen an den letzten Krieg. Ihre Kameraden waren getötet worden. Sie vier überlebten nur, weil Huanglongmon im letzten Moment heraneilte. Sie war zurückdigitiert und fast bewusstlos. Patamon versuchte wieder zum Ultra-Level zu digitieren, schaffte es aber nicht einmal wieder auf die Beine zu kommen, während Salamon weinte, aus Angst er könnte sterben. Terriermon hielt seinen schwer verletzten Freund Lopmon im Arm. Sie standen im Schatten ihres Meisters, der von den Dämonenkönigen attackiert wurde, aber zu schwach allein war. Sie griffen immer wieder an. Sie lachten. Sie verschmolzen zu einem Digimon. Sie lachten weiter. Sie lachten. Sie lachten sie aus. Und dieser Glockenschlag aus der Ferne. Und immer noch dieses Lachen. Ein Chor des letzten Gerichts.

Huanglongmon gab ihnen sein letztes bisschen Kraft. Salamon und Patamon digitierten, Terriermon verschmolz mit seinem sterbenden Freund. Die drei Engel konnten das Geheuer vernichten, doch eines der Dämonenkönige überlebte. Dieser Teil, Dragomon, floh in die Welt der Dunkelheit. Er war schwer verletzt und fiel in einen langen todesgleichen Schlaf. Doch entscheidender war, dass sie den Zerfall der Digiwelt stoppen konnten, ehe das HCF-Programm alles zerstörte.

Aus diesem Rest, der ihnen erhalten blieb, als sie das HCF-Programm und damit den Reboot stoppten mussten sie etwas aufbauen. Ein System, was nicht zusammenbrach. Ein System ohne diese Viren. Das durfte nicht nochmal passieren. Und auch da sagte Seraphimon, es würde sich nicht mehr wiederholen und hielt dabei die Hände von Ophanimon und Cherubimon. Nie wieder.

„Ich möchte dir glauben, Seraphimon.“

„Tu es einfach. Wir haben es fast geschafft. Bald herrscht endlich Ordnung. Jetzt komm.“

Er ließ Ophanimons Schultern los, dafür reichte Seraphimon ihr nun die Hand, damit sie ihm folgte. Sie nahm sie an, jedoch mit Huanglongmons warnenden Worten im Hinterkopf, die Seraphimon und Cherubimon vergessen zu haben schienen.

Die Dämonenkönige von einst waren Hohe Serums und Heilige Dateien, wie sie. Doch weil jeder von ihnen einen anderen Sinn von Ordnung hatte, zerstritten sie sich und führten gegeneinander Krieg. Als die Dunkelheit sie vereinte, waren sie ihrem Zerstörungswahn bereits verfallen und das Volk war gezwungen, nun gegen ihre Könige und Königinnen zu kämpfen, nicht nur für sich, sondern für die gesamte Digiwelt. Und trotz der Schwarzen Digitation waren auch sie bis zuletzt im Glauben, die Grausamkeit, die sie in der Alpha-Ära erlebten würde sich nicht mehr wiederholen.

Am Himmel flogen die Truppen in die verschiedensten Himmelsrichtungen los.

Jeder Virus, den sie zu fassen bekamen wurde getötet. Viren die auf Sanitätsstationen untergebracht wurden, Viren mit Vormund oder in freier Wildbahn. Zum Wohle der Ordnung.

„Omnia autem honeste et secundum ordinem fiant!", riefen die Serums bei ihrem Feldzug.

 

𝅗𝅥♯

 

QueenChessmons Truppen kamen viel zu spät. Der Kampf war lange vorbei und von den Hohen Digimon war keine Spur mehr da. Einzig was es noch zu finden gab waren Rosemon, Wisemon, die Kinder und ihre Digimon. Und Koutas Leichnam.

Da er sich nicht wie in der Digiwelt gewohnt auflöste blieb ihnen nichts, wie ihn zu bestatten. Doch der Weg zurück nach Hause war weit und die Digimon angeschlagen. Zudem war dieses Tod den Digimon immer noch nicht geheuer. Fremd, man wollte fast sagen unrein und in den Sicheren Zonen wollte man es nicht einbringen. Ihnen blieb nichts wie Kouta an der großen Grenze, wo es halbwegs ruhig war einzuäschern.

Es war schon dunkel, als Wisemon den Berg aus Holz, auf dessen Spitze Kouta lag anzündete. Es dauerte nicht lange, bis der Scheiterhaufen lichterloh brannte und die Flammen auch den Leichnam erreichten. Kinder und Digimon standen wortlos daneben. Rosemon hielt Dracmon im Arm, der Einzige, der irgendeinen Laut von sich gab, auch wenn es nur sein Weinen war. QueenChessmon stand abseits, ebenso Labramon. Es war das einzige Digimon der Kriegsflüchtlinge, dass noch hier war. Die anderen hatten, nachdem die freie Jagd nach den Viren eröffnet wurde versucht einige Virus-Digimon in Sicherheit zu bringen. Ob sie erfolgreich waren konnte man schwer sagen, aber diese Hetzjagd an diesem schrecklich Tag hatten mehr Viren überstanden, wie man erwartete. Vielleicht gerade wegen Digimon wie ihnen.

Die Flammen spiegelten sich in den glasigen Kinderaugen, schien sie zu hypnotisieren und vergessen lassen zu wollen, was passiert war. Doch das schaffte es nicht. Sie konnten nicht vergessen.

Nur die Wirklichkeit um sie herum hatten sie ausblenden können. Nicht einmal Cherubimon bemerkten sie, dass irgendwann – keine Ahnung wann oder wie lange – hinzukam. Es sagte nichts, auch nicht, nachdem es die Bestattung etwas beobachtet hatte und Dracmon nur noch leise weinte. Labramon bemerkte es als erstes. Wisemon drehte sich um, dann die Partner-Digimon, die wütend die Gesichter verzogen.

„Es... Es tut mir Leid“, stammelte Cherubimon hoffnungslos vor sich hin, die Ohren herabhängend. Nun auch warfen die Kinder die Köpfe zurück, doch die Mimik blieb ausdruckslos. Ihre Partner hingegen gingen auf Cherubimon zu, einige näher, andere weniger.

„Es tut Euch Leid? Ist das alles, was Ihr zu sagen habt?“, brüllte Floramon und unterdrückte dabei ihre Tränen. Rosemon hielt sie mit ihrer noch freien Hand fest und mit Floramon blieb auch der Rest der Digimon zurück, die genauso wenig erfreut waren Cherubimon zu sehen. Überraschend war, dass bei Cherubimon auch Caturamon war. Noch weiter hinter stand Ophanimon (über die Rosemon und QueenChessmon nicht erfreut waren) und Valkyriemon. Ophanimon so krümmend zu sehen war komisch, aber in ein paar der Kindern, zu denen auch Hisaki gehörte sagten sich, dass sie nur weiter heulen sollte. Sie hatte die Schuld verdient.

„Bitte“, sprach Cherubimon weiter, bedrückt und auch aus seinen Augen liefen Tränen. „Wir... wir ahnten das nicht. Wir wussten nicht was Tod ist und was es bedeutet. Wir wussten nicht das Menschen so sterben. Hätten wir das geahnt, dann...“

„Was bringt uns ein Hätte? Was bringt mir das?“, schrie Dracmon, sprang aus Rosemons Armen und rannte an seinen Kameraden vorbei. „Ich habe meinen Partner verloren. Mein bester Freund ist weg, weil ihr uns ausgenutzt habt! Alles ist eure Schuld!“

Weinend fiel Dracmon auf die Knie. Er schlug mit der Faust auf den Boden, dicke Tränen tropften hinunter. Cherubimon, von Mitleid erfüllt und dann auch noch für einen Virus, wollte dieses Digimon berühren, hoffend es könnte irgendetwas bewirken, was tröstlich war. Doch es nahm seine Hand gleich wieder zurück, als Dracmon zuckte. Schließlich kam Rosemon und nahm Dracmon wieder zu sich, gerade als auch Ophanimon sich der Szenerie näherte und einen noch kläglicheren Eindruck erweckte wie Cherubimon.

„Ich habe den Befehl zurückgenommen“, sagte sie plötzlich. „Die Jagd nach den Viren haben wir offiziell beendet und unter Strafe gestellt. Mein Kopf ließ mir keine Ruh. Ich habe Zweifel bekommen. Ich ertrug es nicht mehr. Ich... unsere ganze Politik. Die Digimon sind gestorben deswegen. Sie sind tot... Wie dieser Junge...“

„Ja! Schön für euch!“, schrie Soichiro. Die anderen Kinder hatten nur über die Schultern geschaut, ließen aber keinen Ansatz einer Mimik auch nur erahnen, nicht einmal als Soichiro für Wut die Tränen kamen.

„Schön dass ihr euch endlich einmal Gedanken drum macht, was alles so bei euch falsch läuft! Und wofür?! Kouta ist wegen euch tot, nur wegen euch!“

„Soichiro, bitte, hör auf zu schreien. Nicht hier“, bat ihn Kana wimmernd. Ihr Bruder unterdrückte einen weiteren Gefühlsausbruch und kickte einen Stein weg.

„Ach, scheiß doch drauf! Auf alles!“, brüllte er schließlich und ging weinend auf die Knie. Dorumon lief auf ihn zu und wollte Soichiro mit der Schnauze anstupsen, aber kaum, dass er seinen Partner berührte, zuckte Soichiro nicht nur zusammen, er sprang regelrecht auf und flüchtete sich zwischen seine Schwester und Renta. Dorumon lief rückwärts wieder zu den Digimon, die Abseits standen.

„Ist schon gut. Sie brauchen einfach noch etwas“, versuchte Labramon Dorumon aufzuheitern. Er nickte zwar, aber er glaubte nicht wirklich daran. Nachdem sie wieder alle Ausbildungs-Digimon waren, waren sie irgendwann eingenickt, schliefen tief und glaubten, würden sie aufwachen würde die Welt schon wieder anders aussehen. Tat sie jedoch nicht.

Die Welt wurde immer dunkler. Keiner wusste mehr genau, was geschehen war. Sie waren digitiert, das war ihnen klar, nur zu was? Was immer es war, seither sahen ihre Partner sie nur mit Angst an. Als Candelmon Natsus Hand nehmen wollte, zog er diese sofort weg und murmelte etwas wie „Wie Thorin... Wie das Drachenfieber bei Thorin...“. Und er hätte wie der Hexenkönig ausgesehen.

Ähnlich erging es Floramon. Renta zumindest war direkt und sagte Koemon, dass er doch bitte Abstand halten sollte. Betamon versuchte es erst nicht und Tsukaimon stand stumm neben seinem Partner, der ihn konstant ignorierte.

Hisaki blendete sogar die Diskussion zwischen Rosemon und Ophanimon weiter aus. Es interessierte ihn nicht. Sein Freund, der Junge mit dem er schon im Kindergartenalter Schmetterlinge und Hirschkäfer fing, die zusammen Stand by me auf Klavier und Gitarre spielten, als die Schulband gegründet wurde und sie anfangs nur zwei waren, ehe die anderen nach und nach dazukamen. Dieser Junge war weg. Kouta war einfach weg, aber begreifen tat Hisaki erst, als Wisemon das Feuer mit Magie löschte. Die Flammen gaukelten Hisaki vor, Kouta lege da noch. Doch kaum, dass das Feuer aus war, musste er feststellen, dass von Kouta nichts mehr übrig war als Asche und Knochensplitter. Sie lösten sich nicht in Daten auf, sie starben wie Menschen starben. Wie in der Realität. Wie in der Welt der Erwachsenen.

Dracmon, neben Wisemon stehend und weinend, als dieser die Asche häufte, drückte ihm ein Stück lila Stoff in die Hand, um alles darin zu sammeln.

Beerdigt wurden Koutas Überreste unter einem Baum, einem der letzten, der noch grüne Blätter in seiner Krone trug. Labramon grub schnell das Loch, tief genug, dass niemand die Totenruhe stören könnte.

„Kann ich das dazu legen?“, fragte Dracmon, gerade als Wisemon das Loch wieder zuschaufeln wollte. Er hielt eine Handpuppe in der Hand, die wie ein Clown aussah, eine selbstgemachte Tonfigur, die wie eine Raupe aussah, Spielkarten, Buntstifte und ein paar von Koutas Zeichnungen von einigen Mutter-Gans-Figuren. Darunter auch die Herzkönigin. Und Humpty Dumpty.

„Nur... nur damit Kouta nicht so alleine sein muss und – und auch ohne mich Spaß haben kann“, schluchzte er. Wisemon nahm die Sachen an sich und legte sie zu Koutas Asche. Betamon, Floramon, Candlemon, Koemon, Dorumon und Tsukaimon stellten sich zu ihm, strichen ihm über den Rücken und Kopf. Schließlich, als sogar Tsukaimon, der für so etwas bekanntermaßen nicht zu haben war zeigte, dass er mehr Mitgefühl und Empathie besaß wie er zugab und die Arme für Dracmon ausstreckte, brach das dämonische Digimon in Tränen aus und lief in Tsukaimons Umarmung. Wisemon setzte sich schließlich dazu und nahm alle sieben trauernden Digimon in die Arme.

Caturamon, der stellvertretend für das verletzte Huanglongmon hergekommen war trat näher, erfüllt von dem Bedürfnis etwas sagen zu wollen. Labramon funkelte ihn aber daraufhin an. Nicht böswillig, aber seine Augen verrieten, dass Caturamon es fürs erste besser sein lassen sollte. Geknickt blieb er stehen.

Kana legte gerade einen Blumenstrauß auf den Erdhaufen, nachdem sie sich zusammen mit Touko an ihren Digimon regelrecht vorbei schlichen, als noch jemand dem Geschehen beiwohnte.

Bei Seraphimons Anblick schreckte Kana auf und rannte wieder zu ihren Freunden zurück. Rosemon stellte sich gleich vor die Kinder, die Digimon pfiff sie zurück. Einzig Ophanimon und Cherubimon zeigten Freude beim Erscheinen ihres Kameraden, die bedrückende Aura die ihn umgab ignorierend.

„Ihr habt die Jagd nach Viren beendet?“, fragte Seraphimon mit gedrückter, tiefer Stimme. Ophanimon und Cherubimon blieben überrascht stehen, denn eigentlich hatten sie damit gerechnet, dass Seraphimon auch froh sein müsste, sie zu sehen. Cherubimon nickte.

„Ja. Es war einfach nicht mehr richtig. Es war, als hätte es plötzlich, nun, Klick in meinem Kopf gemacht.“

„Du meinst, in diesem Moment, als dieses Kind starb?“, sagte Seraphimon, wenn es auch mehr wie ein erbostes Zischen klang. Spätestens dann merkten auch Ophanimon und Cherubimon, dass etwas an ihm merkwürdig war. Valkyriemon stellte sich vor die beiden Engel-Digimon. Zwischen den Bäumen funkelten die Augen von Shakoumon auf, wie die Augenpaare eines weiteren Digimon.

„Diese Kinder -“, Seraphimon sprach es so abfällig aus und deutete dabei auf die sechs Digiritter, „- haben unsere Welt aus dem Gleichgewicht gebracht. Seit dieses Kind tot ist, versinkt alles im Chaos.“

„Wir haben Mitschuld daran!“, unterbrach ihn Ophanimon. „Selbst wenn es ein Unfall war tragen wir eine Verantwortung. Wir haben sie angegriffen.“

„Weil sie Chaos in unser System gebracht haben!“

Der Himmel wurde von Schwärze überzogen. Es donnerte.

„Alles hatte seinen Ablauf und seine feste Bahn, bis sie kamen. Wir hatten endlich die Ordnung in die Digiwelt gebracht, die ihr seid Anbeginn fehlte und diese Kinder haben alles zerstört! Und wenn ihr euch auf ihre Seite schlägt, seid ihr ebenso am Untergang der Digiwelt schuld!“

Ohne Vorwarnung und gar zur Überraschung von Cherubimon und Ophanimon, die sie zudem in eine Starre versetzten, holte Seraphimon aus und feuerte Himmlische Lichter sowohl auf die beiden Engel-Digimon, als auch auf die Kinder. Valkyrimon fing den Angriff ab. Shakkoumon fing jene ab, die die Digiritter und deren Digimon getroffen hätten. Die Öffnung in seinen Torso zog die Blitze zwar ein, doch paralysierte es auch für einen Augenblick, wie auch Valkyrimon.

Das dritte Digimon, dass sich hinter den Schatten der Bäume versteckt hielt brüllte. Der dritte General der Serumischen Armee war die geheime Trumpfkarte der drei Engel-Digimon und bisher bekam kaum jemand es zu sehen. Ein Drachen-Digimon flog direkt auf Seraphimon zu mit weit aufgerissenen Maul, doch Seraphimon packte es am Kiefer und verhinderte, dass es noch zubiss.

„Meister Seraphimon, hör auf! Ihr habt Euch nicht unter Kontrolle.“

„Sei still... Volksverräter!“

Dann warf Seraphimon Imperialdramon fort, dieses aber konnte sich in der Luft wieder fangen, dann folgte es dem Engel-Digimon, dass ich in die Höhen flüchtete.

„Imperialdramon, warte auf uns!“, rief Valkyrimon. Er und Shakkoumon litten immer noch unter der Paralyse, zögerten jedoch nicht, zu helfen, auch nicht als Ophanimon sie zurückhalten wollte.

Positronen-Laser!

Blitzpfeil!

Böser Blick!

Alle drei trafen Seraphimon direkt. Eine Explosion, dann hüllte ihn Qualm ein. Ein starker Wind wehte diesen schließlich fort und die Digimon, wie auch die Menschen mussten feststellen, dass Seraphimon nicht mehr Seraphimon war. Der heilige Funke war erloschen. Die goldenen Flügel nur noch schwarze Schwingen. Schockiert schlug Ophanimon ihre Hände vor den Mund.

„Diese Digiwelt kann nicht gerettet werden. Wir müssen zu Anfang zurück. Alles muss zu Asche werden.“

Ein Donnergrollen. Anschließend drei Blitze, die die drei Generäle traf, gleißend und blendet, dass niemand sehen konnte was geschah. Nicht einmal, wie diese drei Digimon zurück digitierten. Fast blind erhob sich Ophanimon, die nicht mehr wie schwarze Punkte vor sich sah und fing die drei Ausbildungs-Digimon auf, ehe sie am Boden aufkamen. Das Licht wurde schwächer.

„Verzeiht uns“, wimmerte Upamon.

„Wir haben total versagt.“

„Wir waren keine Hilfe für Euch“, entschuldige sich DemiVeemon und Poromon.

„Ist gut. Solange ihr nicht auch stirbt, ist es egal.“

Fast mütterlich drückte sie die drei an sich. Seraphimons Himmlische Lichter, die jeden Glanz verloren hatten, steuerten auf sie zu, einer traf Ophanimon. Sie stürzte ab, wurde aber von Rosemon aufgefangen, dann wurde auch sie getroffen, diesmal von mehreren. Seraphimon bombardierte sie regelrecht. Nachdem Rosemon mit Ophanimon auf den Boden lag, war QueenChessmon das nächste Opfer dieses Hagelfeuers, als sie ihre Schwestern vor weiteren Schaden bewahren wollte. Dann Cherubimon. Dann Wisemon, der es noch schaffte, die Himmlichen Lichter zu stoppen und zumindest einen kleinen Teil umzulenken und dabei die Kinder beschützte. Sein Schutzwall hielt nicht lange und schließlich war es ein Himmelsbrecher, der Wisemon paralysierte und in die Knie zwang.

„Wisemon!“, schrien die sechs Kinder, neben ihn kniend, aber nicht wissend, was sie tun sollten. Als Touko ihm helfen wollte, bekam sie sogar einen Stromschlag ab. Ihre Digimon, zusammen mit Labramon standen vor den Kindern, aber wissend, dass sie gegen Seraphimon keine Chance hatten. Sie hatten zuvor schon keine gehabt und ohne Kouta konnte Dracmon auch nicht mehr zu Piedmon werden.

„Ihr habt der Digiwelt genug geschadet! Empfangt eure gerechte Strafe!“, brüllte Seraphimon zu ihnen hinab. Erneut feuerte Seraphimon auf sie. Die Kinder waren paralysiert, ihre Digimon zumindest gewillt, nicht kampflos aufzugeben. Dann, als es keine Möglichkeit mehr gab rechtzeitig ausweichen zu können, selbst wenn man gewollt hätte, sprang Caturamon in die Schusslinie und fing damit den Angriff ab.

Kraftlos lag er vor den Rookie-Digimon, die erst nicht fassen konnten, was vor ihnen passiert war.

„Caturamon!“, heulte Labramon und rannte auf ihn zu. Er versuchte sich zu bewegen, ohne Erfolg.

„Du Dummkopf, wieso...?“

„Ich war nie ein guter Bruder“, sagte Caturamon und schien, als versuchte er zu lächeln. „Es tut mir Leid, dass erst so etwas Schreckliches passieren musste, bis ich es begriff.“

Mit einem Grinsen im Gesicht, löste sich Caturamon vor ihnen auf. Labramons Mund stand auf, als die Restdaten davon geweht wurden. Unter Schock starrte Labramon in die Leere, die anderen Digimon um es herum konnten es nicht glauben. Geschweige denn dass es Caturamon war, der sich beschützt hatte, auch wenn es ihm mehr um Labramon gegangen war.

„Labramon...?“, sagte Floramon, doch es hörte nicht zu. Seine Krallen kratzen über den Boden. Es knurrte.

„Erst der arme Humpty Dumpty... Die Viren, die sich nicht wehren können... Mein Bruder...“

Dann, als Labramon seinen Kopf erhob -

„Wieso begreift ihr nicht, dass ihr der Digiwelt am meisten schadet?!“

Ein Lichtstrahl wie ein Blitz schlug da ein, wo Labramon stand. Floramon wurde noch rechtzeitig von Koemon weggezogen, ehe dieser auch sie traf. Der Lichtstrahl wurde zu einer Lichtkugel und flog hinauf. Zwei Flügelpaare erschienen. Ein Schakal mit goldenen Flügeln.

„Labramon ist zu Anubimon digitiert“, sagte Ophanimon und sank auf die Knie. „Feuer und Asche... Die Digiwelt will also weiterhin den HCF-Befehl durchführen.“

„Aber wir haben doch Dragomon verbannt!“, protestierte Hisaki. „Wieso also wird der Befehl fortgesetzt?“

„Ich... weiß es nicht.“

„Heißt das, unsere Mühen waren umsonst? Wir haben versagt?“, fragte Kana entsetzt. Erst sah sie zu Touko, dann zu Renta, dann schließlich durch die gesamte Gruppe. Keiner bekam ein Wort heraus.

Seraphimon hatte seinen potenziellen Gegner ins Visier genommen, aber Anubimon beachtete ihn im ersten Moment nicht. Wen dieses Digimon stattdessen verachtend ansah, waren Ophanimon und Cherubimon.

„Ihr... habt die Digiwelt ins Chaos gestürzt“, knurrte er sie an, Cherubimon protestierte:

„Das war niemals unsere Absicht. Wir wollten nichts als Stabilität und Sicherheit! Das ständige brennen und rebooten einer Welt muss ein Ende finden.“

„Labramon! Stop!“

„Labramon, hör uns an!“, riefen Dracmon und Tsukaimon zu dem Digimon hinauf.

„Du bist geschockt, aber das da bist du nicht“, rief Betamon ebenso verzweifelt. Doch nichts davon erreicht das Herz ihres alten Freundes.

„Seid still! Ammit, friss sie! Alle!“, kläffte Anubimon. Aus dem Nichts erschien ein Monster – keiner wusste ob das nun ein Digimon war oder nicht – mit dem Gesicht eines Krokodils und dem Körper eines Löwen und kaum dass es seine Beute sah, riss es sein langes Maul auf. Speichelfäden hingen zwischen den Kiefern und den Reißzähnen.

Ein Feuerstrahl ließ das Ungetüm zurückschrecken. Eine Blitzkugel vernichtete es schließlich. Seraphimon hatte bisher nur zugeschaut, sammelte aber bereits Strom in seinen Händen, bis auch er von einem Feuerstrahl attackiert wurde. Zwischen den beiden verrückt gewordenen Digimon und der Truppe schwebte nun Huanglongmon.

„Hier ist ein Kind begraben worden. Habt wenigstens so viel Anstand und tragt euren Kampf gefälligst woanders aus“, schimpfte Huanglongmon und trieb sie mit einem weiteren Feuerstrahl weiter zurück.

„Huanglongmon, was habt Ihr vor? Ihr seid noch immer verletzt!“, rief Ophanimon und kam wieder auf ihre Beine.

„Wir werden mit diesen schon fertig. Verschwindet ihr mit den Digirittern. Bringt sie in Sicherheit.“

„Aber -“

„Habt ihr nicht gehört, Cherubimon? Wir erwählten Euch nicht, damit ihr euch für Uns opfert. Wir schaffen sie von hier fort, so gut Wir können.“

Huanglongmon speite wieder Feuer. Seraphimon traf er, Anubimon jedoch wich aus. Bevor dieser aber einen Gegenangriff starten konnte, flog Cherubimon auf ihn zu und seine Faust, verstärkt durch die heilige Kraft traf Anubimon direkt ins Gesicht.

„Ophanimon, geh! Ich helfe Huanglongmon so gut ich kann!“

„Meister Cherubimon!“, rief DemiVeemon ihm nach anstelle von Ophanimon, die brüllen und weinen wollte, damit Cherubimon nicht ging. Sie schaffte es aber nicht.

„Ophanimon... Schwesterherz?“, fragte QueenChessmon vorsichtig. Als sie Ophanimon an der Schulter berührte, schreckte sie erst auf und drückte QueenChessmon schließlich die drei Ausbildungs-Digimon in die Arme. Ophanimon hob ihre Hände. Um die Gruppe aus Menschen und Digimon schloss sich eine Kugel aus dünnen Kristall, die sich mit ihnen erhob und davonflog. Cherubimon und Huanglongmon trieben derweil Anubimon und Seraphimon zurück und schaffte es sie wegzulocken, in die Ferne. Sie verschwanden hinter den Bergen. Lange geschah nichts, während sich die Gruppe vom Ort des Geschehens entfernte. Dann ein Blitz. Datenpartikel stiegen auf.

Anubimon und Seraphimon erschienen über den Reihen der Berge und setzten am Himmel ihren sinnlosen Kampf fort.

 

𝅝♯

 

Während die Digiwelt unter zu gehen schien regnete es Schnee, der aber nicht kalt war. Böse Zungen sagten sogar, es wäre Asche. Das Wetter spielte verrückt und die Digimon verkrochen sich. In manchen Ecken donnerte es und wenn man irgendwo Blitze sah, konnte man davon ausgehen, dass dort sich der verrückte gewordene Seraphimon mit den rachsüchtigen Anubimon bekämpfte, während die Digiwelt um sie herum immer weiter zerfiel. Der HCF-Befehl war bereits im Gange, doch aufhalten konnte es wohl niemand mehr, selbst wenn man Anubimon Seraphimon töten würde. Die Soldaten versuchten gegen die beiden Digimon anzukommen, die nun statt Ordnung Chaos brachten. Doch sie hatten keine Chance. Die Armee wurde kleiner. Wer nicht von Seraphimon oder Anubimon vernichtet wurde floh.

Von den einstigen Hoheiten der Serums lebte nur noch Ophanimon. Ob sie etwas ausrichten konnte oder nicht war unklar, aber in dem Zustand, in dem sie sich befand, war sie keine Hilfe. Sie war mit der Erkenntnis von Schuld überfordert. Sie fing an nicht nur Reue für Koutas Tod zu empfinden, sondern auch für so einige andere Schandtaten, die sie unter anderem auch ihren eigenen Schwestern angetan hatte. Sie steckte in einer tiefen Depression und weder Rosemon, noch QueenChessmon konnten sie aus dieser herausholen.

Doch die größere Herausforderung saß in ihrer Villa. Wisemon versuchte was möglich war, doch nichts schloss die Kluft, die sich zwischen Menschen und Digimon gebildet hatte. Kein Lachen mehr erfüllte die Gänge und Räume. Obwohl alle Lichter brannten, wirkte es dunkel im Inneren und in dieser Dunkelheit starrten die sechs übriggebliebenen Digiritter an die Decke oder nur leer durch die Gegend. Sie lachten nicht. Sie spielten nicht. Man wussten nicht einmal, ob sie trauerten, denn es kam selten ein Mucks von ihnen. Ihre eigenen Gedanken redeten ihnen ein, dass sie versagt hätten und drehten sich wie ein Karussell in ihrem Kopf. Es gab die, wie Kana und Natsu, die die Gesellschaft der anderen suchten, da sie die Stille nicht ertrugen. Andere, wie Touko und Hisaki wollten gänzlich für sich sein.

Was die ganze Sache nur weiter unerträglich machte und dies war von dem alle eigentlich das Schlimmste, war, wie die Digimon darunter litten. Sie wollten helfen, aber ihre Partner ließen sie nicht an sich heran. Puppen, die Floramon für Kana bastelte nahm das Mädchen nicht an. Natsu zitterte wie Espenlaub, wenn er Candlemon sah. Wenn Betamon von Touko einen Rat oder Hilfe wollte, schwieg sie, oder entgegnete, sie sei keine Hilfe. Renta, wie auch Soichiro wichen von Koemon und Dorumon, wenn diese mit ihnen spielen oder sich an sie schmiegen wollten.

Wer am längsten durchhielt war Tsukaimon. Er sagte nie etwas oder tat etwas, er saß nur stets bei Hisaki. Er wich ihm nicht von er Seite und Hisaki war zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt und zu kraftlos, um Tsukaimon anzuschreien. Was nicht hieß, dass er dies nie tat. Er hatte Tsukaimon angebrüllt. Das er nervte. Das er ihn allein lassen sollte. Er tat es nicht, also ignorierte Hisaki ihn nur noch.

Doch mit jedem Tag wurde es anstrengender und auch manchmal suchte Tsukaimon die Anwesenheit Wisemons. Er saß meist in seinem Studierzimmer, zusammen mit Rosemon, die fast immer Dracmon im Arm hielt. Die ersten Tag nach Koutas Bestattung hatte er nur geweint, allmählich wurde es seltener. Doch er brauchte weiterhin Rosemon, die ihn wie eine Mutter festhielt und streichelte und eventuell brauchte auch sie es. An dem Unfall gab sie sich schließlich auch die Schuld.

Manchmal waren auch die anderen hier, saßen zu Wisemons und Rosemons Füßen, ließen sich ebenfalls streicheln, halten oder redeten, wenn sie das Bedürfnis dazu verspürten. Tsukaimon meist ließ sich einfach neben Wisemon nieder, sagte nichts und wenn Wisemon eine Hand frei hatte, kraulte er Tsukaimon. Doch es fühlte sich nicht so an wie bei Hisaki.

Nach und nach gaben die anderen auf, je mehr Tage verstrichen, ohne dass sie es schafften den Kindern ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Auch Tsukaimon plagten die Zweifel. Aber er gab nicht auf und jede Nacht, auch wenn ihm zum weinen und schreien zu Mute war, legte er sich neben Hisaki.

Die einzigen, die dies noch taten, waren Candlemon und Koemon.

„Natsu hat Angst im Dunkeln. Ich muss bei ihm bleiben, damit er keine Angst hat“, murmelte Candlemon immer müde. Er lag nicht bei Natsu, sondern wie eine Nachtkerze stand er auf dessen Nachtisch, die Flamme auf seinem Kopf besonders klein, damit es nicht zu hell war.

„Renta hat doch immer Angst, dass ich was anstelle. Vielleicht hilft es ihm, wenn ich zumindest hier am Fußende liege. Dann weiß er, dass ich nichts ausfresse“, brummte Koemon ebenso müde, in den Decke gewickelt. Nicht weil ihm kalt war. Er versuchte sich vorzustellen, dass er neben Renta liegen würde.

Tsukaimon saß nicht am Fußende, er lag neben Hisaki, doch der Abstand weniger Zentimeter zwischen ihnen wirkte wie Kilometer. Egal wann und von wo Tsukaimon zu ihm ins Bett sprang, Hisaki kehrte ihm immer den Rücken zu. Tsukaimon konnte nicht sagen, ob er schlief oder ob er merkte, wie sein Digimon ihn ansah.

„Gute Nacht, Hisaki“, murmelte Tsukaimon stets. Er bekam nie eine Antwort. Doch Tsukaimon blieb bei ihm und hätte gerne Hisaki über den Kopf gestreichelt oder den Flügel auf ihm abgelegt, damit er wusste, dass er nicht alleine war.

Tsukaimon fror neben ihm. Selbst im Schlaf spürte er den kalten Lufthauch und erinnerte sich an den Tag seiner Geburt. Er und Hisaki, mutterseelenallein in der Kälte und sie hatten nur sich, um sich warmzuhalten. Er hatte versprochen, dass er sein Digimon ewig warmhalten würde. Nun mied er ihn.

Tsukaimon erinnerte sich nur noch wage an den Augenblick seiner Schwarzen Digitation zurück. Er hatte zu sehr damit kämpfen müssen sich wieder zu beherrschen, schaffte es aber nicht die Kontrolle zurück zu gelangen. Aber er hatte mitbekommen, wie Hisaki ihn angestarrte, während er und die anderen Digimon alles um sich herum zerstörten. Hisaki hatte ihn angesehen, als sei er der Jabberwock, die Verkörperung aller Plagen und der primitiven Zerstörungswut.

Vielleicht war er das. Hisaki sagte zum Scherz, dass das Engel-Digimon-Sein nicht so zu ihm passte. Aber auch in einem Scherz steckte ein Funke Wahrheit. War er ein Jabberwock?

 

𝅘𝅥𝅯

 

Tsukaimon hatte nur wenige Stunden geschlafen. Als er zu sich kam war es immer noch dunkel und das Schlafzimmer war genauso wie es vorher, außer einer Kleinigkeit.

„Hisaki?“

Tsukaimon sprang auf und tastete die Stelle ab, auf der Hisaki gelegen hatte. Sie war noch nicht ganz kalt, aber Hisaki musste schon vor einer Weile aufgestanden sein. Er flog in die Höhe, sah dabei aus dem Fenster und erkannte etwas.

Es hatte geschneit und der Boden und die Wälder vor der Villa waren weiß. Man sah Fußspuren im Schnee die von der Villa in den Wald führten. Und instinktiv wusste Tsukaimon, dass diese von Hisaki stammten.

Ohne nachzudenken riss Tsukaimon das Fenster auf (was sich mit seinen kleinen Fingern als etwas schwierig erwies) und flog hinaus, kaum dass es auf war. Der kalte Wind blies in den Raum und erst wurde Koemon wach, schließlich auch Renta, Natsu erst, als Candlemon bei der plötzliche Kälte aufschrak.

Dies bekam Tsukaimon nicht mit. Er flog direkt in den Wald und behielt seinen Blick auf den Fußspuren. Hier und da verloren sie sich da der runterfallende Schnee sie langsam verdeckte.

„Hisaki! Hisaki, wo bist du?“

Keine Antwort. Hastig sah Tsukaimon sich weiter um, sah durch die Hecken und Bäume, doch alles um ihn herum erschien entweder weiß oder schwarz. Er rief wieder nach seinem Partner. Dann ein weiteres Mal. Tsukaimon begann schneller zu Atmen, die Luft aus seinem Mund wurde zu weißen Dampf. Er schwitzte, obwohl ihm bitterkalt war.

Dann blitzte etwas zwischen den Bäumen auf. Tsukaimon könnte schwören, er hätte Hisakis hellblonden Schopf gesehen. Da er sich aber nicht sicher war, blieb Tsukaimon in der Luft schweben und sah mit verengten Augen durch die Bäume und erkannte zwischen den schwarzen Ästen und den weißen Schneeflocken nicht nur die blonden Haare, sondern auch die in Blau-Tönen gehaltene Kleidung.

„Hisaki!“, rief Tsukaimon auf, flog so schnell er konnte und der Wind es zuließ Hisaki nach. Doch Hisaki lief weiter.

„Hisaki! Hisakiiiii!“, rief Tsukaimon wieder, sicher, dass Hisaki ihn nicht hat überhören können. Er ignorierte ihn, lief weiter ziellos und abwesend durch das Geäst. Selbst als er deutlich merken musste, dass Tsukaimon ihn fast eingeholte, machte er keine Anstalten dass er seine Bitte nachkommen wollte.

„Jetzt bleib doch mal da! Hörst du nicht?! Alice!“

Plötzlich blieb Hisaki doch stehen. Tsukaimon wusste nicht, wieso er Hisaki mit seinem Decknamen ansprach, aber er dachte auch nicht weiter drüber nach, schließlich hatte es seinen Zweck erfüllt.

Hisaki trug nur seine Kleider, die er immer trug. Aber es waren Sommerkleider. Kurze Jeans, sein weißes Shirt und auch seine hellblaue Weste war viel zu dünn, um ihn ordentlich warm zu halten. Er musste unheimlich frieren. Schnee hing in seinen Haarspitzen. Die Wangen und die Nasenspitze waren knallrot.

„… Alice? Was machst du hier? Es ist doch kalt hier und du hast keinen Mantel an“, redete Tsukaimon auf Hisaki ein, aber er glaubte nicht daran, dass er ihm zuhörte. Da Hisaki auch keinen Anschein erweckte sich in Bewegung zu setzen, zog Tsukaimon an einem Stück seine Strümpfe.

„Komm. Wir gehen zurück, Alice.“

„Ich beneide Alice“, murmelte Hisaki vor sich hin. Er sah sein Digimon immer noch nicht dabei an.

„Ich wollte immer wie Alice sein. Alice hat ihr eigenes Wunderland. Und wenn ihr all der Unfug zu viel wird kann sie nach Hause. Da sind ihre Geschwister und ihre Eltern. Alice hat's gut.“

Tsukimon ging sachte um Hisaki herum und sah seit langem wieder das Gesicht seines Partners, zumindest lang genug. Unter seinen Augen hatten sich Schatten abgebildet, während diese vollkommen ausdruckslos schienen. Und selbst als Tsukaimon Hisaki direkt in die Augen sah, schien er sein Digimon nicht zu registrieren.

„Wusstest du, dass es Alice Liddle wirklich gab? Carroll hat sich diese Geschichte ausgedacht, damit sie sich während der Bootsfahrt nicht so langweilt. Dann hat er es geschrieben und ihr geschenkt. Er schenkte ihr ein Wunderland. Ein fast Fremder, nur um ein kleines Mädchen strahlen zu sehen. Alice... existiert. Und jeder kann es lesen.“

„Alice, es schneit!“, rief Tsukaimon weiter, ziemlich ungeduldig. Er flog hoch und zog Hisaki nun an der Weste, aber er rührte sich immer noch nicht. Er war wie festgefroren.

„Weißt du, wie ich Kouta kennengelernt habe? Das war im Kindergarten. Er ist oft gehänselt worden von den anderen Jungen, weil er Käfer mochte. Einmal bin ich zu ihm hin. Es war kein besonderer Grund. Ich hatte einen Käfer gesehen, den ich nicht kannte und fragte ihn daher. Mehr nicht. Ich dachte, bis zum nächsten Tag vergisst er das wieder.“

Hisaki schnaufte einmal tief, dicker, weißer Qualm entstieg aus seinem Mund.

„Aber dann kam er auf mich zu. Sagte Guten Morgen, Hisaki und ich war perplex. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, ihm meinen Namen genannt zu haben. Aber er wusste ihn. Er redete mit mir, statt über mich. Ich fiel auf, weil ich immer das einzige blonde Kind in der Klasse war. Die Leute tuschelten. Das machte den Jabberwock immer so wütend. Der Jabberwock hört alles und ist immer wütend. Für ihn bin ich nur ein Wechselbalg, dass wieder in die Fabelwelt zurückgehen soll, aus der es entsprungen ist.“

„Ali-Ach, verdammt, Hisaki! Was redest du?! Du bist kein Fabelwesen oder eine Märchenfigur!“

„Was dann?“

Zum ersten Mal seit langer Zeit sah Hisaki Tsukaimon wieder in die Augen und Tsukaimon schämte sich fast dafür, dass ihm dies unangenehm erschien, wie sein Partner ihn ansah. In den sonst so entschlossenen, verträumten hellblauen Augen war nichts.

„Was bin ich denn dann?“

„Du... du bist mein Kapellmeister.“

„Aber wer bin ich? Das Raupentier fragt mich immer. Alle fragen mich, wer ich denn sei. Aber ich weiß es nicht.“

Tsukaimon merkte plötzlich, wie schrecklich still es um sie herum war. Man hörte nur den Schnee, sonst überhaupt nichts. Er spürte ein unangenehmes Pochen in seinem Körper. Wie Herzrasen. Tsukaimon spürte das Pochen in dem Schläfen. Er dachte. Bemühte sich um eine Antwort, eine gute, oder zumindest eine beruhigende. Erfolglos.

„Ich gehöre nicht in meine Welt. Da wartet niemand auf mich.“

„Weil du hierher gehörst! Du sagst, die Digiwelt ist dein Wunderland. Hier sind deine Freunde!“, sagte Tsukaimon, bemüht nicht zu klingen, als wäre er überfordert. Aber selbst wenn er absolut ruhig geklungen hätte und überzeugt, hätte es Hisaki vermutlich nicht berührt.

„Ich bin kein Digimon. Ich gehöre hier nicht her. Keiner von uns. Wenn es so wäre, hätte Kouta nicht sterben müssen. Er wäre wiedergeboren worden, wie das Digimon machen. Aber er blieb tot. In der Realität stirbt man und steht nicht wieder auf. In der Realität gehören wir nirgendwo hin. Uns will man nicht.“

„Hisaki, das stimmt doch nicht. Die Digiwelt braucht euch doch.“

„Was braucht sie denn von uns?“, sagte Hisaki und klang dabei sogar recht wütend. Tsukaimon ging ganz langsam ein Stück zurück. Die beiden sahen sich ins Gesicht und Hisaki so zu sehen, mit nässenden Augen und die Mimik von Zorn und Trauer verzerrt versetzte ihn einen Stich. Genau in die Brust. Tsukaimon berührte diese sogar kurz, als er glaubte, der Schmerz käme von etwas, was sich in seinen Brustkorb gerammt hatte, aber da war nichts. Der Schmerz kam von innen.

„Wir haben es doch nur schlimmer gemacht. Seraphimon und Anubimon werden sich bekriegen, bis alles in Flammen aufgeht. Dann wird alles auf Null zurückgesetzt und alles beginnt wieder von Vorne. Wenn sie überhaupt etwas übrig lassen. Die Digiwelt steht vor dem Untergang.“

„Das muss es aber nicht!“, schrie Tsukaimon. Er merkte, dass seine Augen feucht wurden, aber Tsukaimon kniff sie einmal feste zu. Er schob es auf den hin und wieder aufkommenden Wind.

„Ihr wurdet in die Digiwelt geholt, um dass zu verhindern! Die Digiwelt kann sich ändern!“

„Wie sollen wir sie denn ändern? Können wir das überhaupt? Seraphimon hatte Recht, mit Musik und Träumen gewinnt man keinen Krieg.“

„Vielleicht können sie das wirklich nicht. Aber die Träume eines Einzelnen können etwas verändern. Je mehr dies tun, um so mehr verändert sich.“

„Ich? Als einzelner? Was haben wir denn bisher erreicht? Die Digiwelt folgt weiter ihrem gewohnten Lauf. Wir sind nur irgendwelche Kinder. Wir konnten in unserer Welt schon nichts verändern, wurden überhört und ignoriert. Warum sollte es hier also anders sein?“

Warum Hisaki sein Wappen herauszog und es in der Hand hielt wusste er selbst nicht. Lange hatte er es angesehen, ohne zu wissen, was er sich erhofft hatte. Das es ein Zeichen von sich gab? Dass Shakamon auftauchte und alles geradebog?

Tsukaimon erkannte eher, was in Hisaki vorging. Er begann zu zweifeln um schließlich zu verzweifeln, als er sich noch einmal dazu aufraffte Tsukaimon direkt in die Augen zu blicken, sich regelrecht in die Netzhaut zu brannte. Und Tsukaimon selbst wusste nicht, was er bei diesem Anblick empfinden sollte.

„Kannst du es, Tsukaimon? Kannst du eine Welt erschaffen, in die Kreaturen wie wir hineinpassen? Kein Krieg? Keine Ungleichheit? Kannst du allein so eine Welt erschaffen, die es doch nur in Träumen gibt?“

Fast vorwurfsvoll blickte er auf sein Digimon hinab, dass sich hilfesuchend umsah. Tsukaimon wusste nicht, was er antworten sollte und senkte beschämt das Gesicht. Die Antwort war, Nein, konnte er nicht. Ohne Hisaki konnte er nicht einmal digitieren. Ohne Hisaki hatte Tsukaimon keine Daseins-Berechtigung...

„Nein... Ich kann es nicht...“

Beschämt ließ Tsukaimon die Flügelohren hängen. Beschämt, aber auch wütend darüber, dass er nichts hat anderes antworten können. Weil es die Wahrheit war. Beinah angewidert sah sich Tsukaimon seine Hände an, die viel zu klein waren um vernünftig Klavier zu spielen und viel zu schwach um etwas ändern zu können. Nicht einmal Kouta oder Dracmon hatte er helfen können. Alles nur, weil er sich nicht im Griff hatte. Weil er körperlich und mental immer noch zu schwach war.

Wenn er sich nur kontrollieren könnte.Wenn er nur noch einmal zu so einem Digimon werden könnte.

Wenn er zu etwas mächtigeren werden könnte, wie die Dämonenkönige, dann, vielleicht dann könnten solche Träume ja doch wahr werden...

Es ging nie um den Typus. Sondern um Vorteile und Macht. Die Serums hatten vieles davon, dass machte diesen Kampf auch so unfair. So hatte er nie eine Chance. Wenn man dies aber begradigen würde. Die Frage nach dem eigenen Wert wäre obsolet. Die Frage, wer man war und wohin man gehen müsse.

Wenn alles in der Digiwelt wirklich absolut gleich wäre...?

Im Augenwinkel sah Tsukaimon, wie sich etwas schwarzes an seinen Beinen hochschlängelte. Erschrocken schrie er auf und sprang in die Höhe. Hisaki registrierte zwar, dass sich sein Digimon vor etwas erschrocken hatte, nicht aber, dass sie diese grotesken Aderlässe an ihm vergriffen.

„Hisaki, weg da, schnell!“, brüllte Tsukaimon ihn an und begriff immer noch nicht warum. Er sah erst zu seinen Füßen, als Tsukaimon ihn an die Hand nahm und wegzerren wollte. Um ihn erstreckte sich bereits eine Pfütze aus Schwärze und mit einem ebenso überraschten Schrei sprang Hisaki zur Seite. Er landete auf dem kalten Boden und sah sich dieses Ding an. Es war kein Tier, Hisaki war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein Lebewesen war, auch wenn es zischte wie eine Schlange. Es kroch näher an sie heran und hinterließ dabei eine Spur schwarzen Qualmes. Dort, wo Hisaki erst stand und dieses Ding sich gesammelt hatte war ein Loch erschienen.

Hisakis Beine rührten sich kaum, sein Körper hatte die Kälte um ihn herum wahrgenommen – zu einem überaus ungünstigen Zeitpunkt -, waren taub und zittrig und weil er nicht hochkam, rutschte er über den Boden, mit Tsukaimon im Arm von dem Ding und dem Loch weg. Es wollte sie dort hineinziehen.

Als er gegen einen Baum stieß und erneut versuchte, doch wieder hochzukommen, wurde dieses schwarze Ding, dass irgendwo etwas von einem Blutegel hatte, wenn auch nicht so schleimig, von etwas attackiert. Hisaki und Tsukaimon hatten nur Licht gesehen und wurden, als der Staub aufwirbelte, zu Boden geworfen, um nicht zu viel von dem abzubekommen, was ihnen entgegenflog.

„Tsukaimon, alles gut?“, fragte Hisaki seinen Partner, der schützend unter dessen Weste lag. Er nickte, zitterte aber, denn Tsukaimon wusste bereits, was sie da gerettet hatte, wenn man so weit den von Rettung sprechen konnte. Hisaki sah auf. Seraphimon stand direkt vor ihm.

Tsukaimon zögerte keinen Moment und blies seine dunkle Wolke aus, um Seraphimon zumindest für einen kurzen Moment die Sicht zu nehmen. Vom Adrenalin wieder angeheizt, kam das Gefühl in Hisakis Glieder wieder zurück und er schaffte es aufzuspringen und mit seinem Digimon voraus aus dem lila Qualm zu laufen. Eines dieser schwarzen Dinger sprang plötzlich aus dem Qualm, doch ehe es Hisaki oder Tsukaimon erreichen konnte, wurde es von einem Kugelblitz zerstört.

Ein Schatten breitete sich über den beiden aus.

„Seraphimon...“, flüsterte Hisaki, alles an seinem Körper war erstarrt. Er nahm nicht einmal Tsukaimon wahr. Nur das Engel-Digimon und die Hand, die sich für einen Angriff hob.

„Hisaki, komm, lass mich digitieren!“

„Nein!“, brüllte er sein Digimon an, dieser reagierte aber nur mit Unverständnis.

„Aber ich muss kämpfen! Wenn ich nicht digitiere, komme ich gegen Seraphimon nicht an.“

„Nein, ich will nicht! Ich will nicht, dass du wieder zu einem Jabberwock wirst!“

Beide schnappten scharf nach Luft. Beide waren entsetzt über diese Worte. Die Worte unterstrichen nur die Angst und diese Emotion von Hisaki nicht nur zu hören, sondern nun auch zu sehen schmerzte in seinem Inneren. Tsukaimon wollte weinen, beherrschte sich aber. Er würde nicht weinen. Nicht hier, nicht mitten im Kampf und schon gar nicht vor Seraphimon.

„Hisaki, Tsukaimon, wo seid ihr?!“, hörten sie Koemon hinter sich rufen. Hinter ihm direkt Renta, dicht gefolgt von Soichiro mit Dorumon und Kana mit Floramon. Hisaki rief ihnen noch nach, dass sie weg bleiben sollten, jedoch zu spät. Zweimal schoss Seraphimon mit Himmelsbrechern zu den anlaufenden Digirittern.

Da die Gewalt dieses Angriffs den Schnee aufwirbelte und der Wind im Gesicht peitschte sah Hisaki nicht, was mit seinen Freunden passierte. Er hörte nur knirschendes Holz. Ein Schlag. Serpahimons Angriff hatte einen Baum getroffen, der mit stumpfen Lärm zu Boden fiel. Dann hörte Hisaki einen Schrei. Rentas Schrei.

„Renta!“, schrie nun Touko. Der Schnee legte sich und Hisaki hatte wieder freie Sicht, um entsetzt festzustellen, dass Renta unter dem Baum begraben war, beide Beine unter dem dicken Stamm eingequetscht.

„Renta, hast du dich schwer verletzt?“

„Meine Beine... tun weh“, ächzte er. Koemon versuchte sofort mit den anderen Kindern den Baumstamm hochzuheben und etwas beiseite zu schieben. Der Stamm hob sich auch, allerdings nur, weil Rosemon und Wisemon gekommen waren und ihn zusammen mit den Kindern hochhoben. Koemon packte Renta mit Floramon und Kana an den Armen, um ihn noch etwas herauszuziehen und dann wieder abzulegen. Renta krümmte sich vor Schmerz und jeder Versuch, seine Position zu wechseln wurde von Schmerz begleitet.

„Wir müssen hier weg!“, forderte Rosemon auf, dabei Wisemon anschauend. Er überlegte, wie er Renta möglichst schmerzfrei von hier wegtransportieren konnte und Hisaki, der Rosemons Ruf hörte kam ihnen bereits zugelaufen. Bis Seraphimon ihn überholte und allen versuchte den Weg zu versperren. Rosemon stand bereits mit gezückter Peitsche vor ihm, doch ein anderes Digimon kam ihr zuvor, schlug Seraphimon mit der geballten Faust und trieb ihn aus den Bäumen heraus auf etwas offeneres Gefilde, weg von den Digirittern und Digimon.

„Was war das?“

„Das war Anubimon!“, stellte Hisaki erschrocken fest. Er rannte mit den Zwillingen dicht an den Fersen aus den Bäumen heraus um einen besseren Blick zu haben. Die beiden Mega-Level beachteten ihre Zuschauer nicht, kämpften aber auch nicht wirklich. Die hatten sich wie zwei wilde Tiere ineinander verfangen, hielten sich an den Kehlen, während sie sich in die Augen sahen und versuchten das Gegenüber zuerst zu Boden zu werfen und damit einen Vorteil zu erlangen.

Was sich stattdessen auf dem Boden tat, waren ihre Schatten, die sich komplett asynchron zu den beiden Digimon bewegten. Die zwei Schatten wurden zu einem, verloren ihre Form und waren nicht mehr wie eine schwarze Pfütze, die breiter wurde und immer mehr in die Tiefe ging, bis es ein Loch wurde, mitten im Boden. Ein endlos erscheinendes Nichts.

Doch dort unten war eine Präsenz, so ziemlich das Gegenteil von Nichts, die aus dem Untergrund stieg die Rauch und wenn auch unsichtbar, dafür deutlich spürbar.

(É͟n̷d̶͝l҉͘i̧͜c̴̀h͡ ̸̸h̸͠abe ̧i͘ch͘̕ ҉e̕͡u̴c͜h̴̸͠ )

Etwas schoss heraus, in einer Schnelligkeit, dass niemand es erst wahrnahm und sich jeder fragte, wo es plötzlich herkam. Dieses Etwas war metallisch. Es hatte, das glaubten die Kinder zumindest, Klauen oder Krallen. Es hielt Anubimon in seiner Gewalt, Seraphimon wich im letzten Moment aus.

Wenn er auch dem Wahnsinn verfallen war, spürte er, dass dieses Ding nicht normal war. Er hatte sogar eine vage Vermutung was genau sich da aus dieser Düsternis erhob. Seraphimon bereitete noch einen Angriff vor, doch eine zweite klauenhafte Gestalt erschien vor ihm und schlug ihn fort.

Seraphimon flog gegen die Bäume und selbst in der Ferne hörte man weiter das Holz der Bäume brechen. Anubimon wurde erbarmungslos in die Tiefe des Lochs gezogen.

„Labramon...“, nuschelte Kana in ihre Hände, die auf ihren Mund lagen. Soichiro mit Dorumon traute sich am nächsten an das Loch heran, trotz dass Rosemon ihm zurief, dass er da wegbleiben sollte. Hisaki ging ihn mit bedachten Schritten und etwas mehr Abstand hinterher. Und als Soichiros Schuhe gerade den Rand des Lochs erreichten und Schnee in die tiefe Finsternis fiel, schoss eine weitere Klaue nach oben. Vor Schreck machten die beiden Jungen und ihre Digimon einen gewaltigen Sprung zurück.

„Was ist das?“, fragte Natsu kaum hörbar und als hätte diese Klaue ein Gehör, zogen sich ihre Klauen zusammen und die Spitze zielte dabei auf ihn. Wie eine zubeißende Schlange schnellte es nach vorne und Dank Candlemon konnte er noch entkommen. Die Krallen blieb erst im Boden stecken, breitete ihre Finger aus und versuchte Soichiro, der fast daneben stand einzufangen. Soichiro warf sich mit Dorumon auf den Boden, die Klaue verfehlte ihn.

Metallkanone!

Pollenregen!

Die Attacken von Dorumon und Floramon wurde der Klaue nicht einmal abgewehrt. Sie trafen, hinterließen jedoch nicht einen Kratzer.

„Soichiro, ich muss digitieren!“

„Kommt nicht in Frage!“, protestierte Soichiro sofort.

„Aber -“

„Nichts aber! Ich will nicht, dass du digtierst!“

„Kana...“, sagte Floramon hilfesuchend zu ihrem Partner, doch sie musste nichts sagen. Sie wehrte sich genauso gegen den Vorschlag und begann heftig mit den Kopf zu schütteln. Betamon und Candlemon versuchten es erst gar nicht. Sie schauten nur zu ihren Partnern, möglichst unauffällig, die so taten, als bemerkten sie es nicht und versuchten weiter dem armen Renta zu helfen. Beide Beine waren angebrochen.

Weiter wie ein Reptil, das seine Beute fixierte tänzelte dieses Dinge vor ihnen. Die Klaue mit den frei Krallen öffnete sich und versuchte erst die Digimon zu schnappen, sie gingen aber noch rechtzeitig zur Seite. Sie versuchten anschließend weiter mit ihren Attacken dieses Etwas zu vernichten, jedoch vergebens. Ihre Attacken waren zu schwach. Stattdessen stellten sich Rosemon und Wisemon ihm nun in den Weg.

Rosenpeitsche!

Ewiges Nirvana!

Das Etwas ging zwar auf Abstand, aber mehr wie oberflächliche Kratzer verursachten die Attacken nicht. Die Klauen zogen sich zusammen und mit der Spitze voraus sprang es, fast wie ein Raubvogel auf die Digimon. Wen immer es eigentlich Treffen wollte blieb offen. Wen es letztlich erwischte war Seraphimon. Er hatte zuvor nicht da gestanden und keiner wusste so genau, wo er plötzlich herkam war. Die Klaue steckte im Rumpf, die Spitze ragte aus dem Rücken heraus, aber man musste genau hinsehen um es zu bemerken. Das Etwas ließ Seraphimon zu Boden fallen und verkroch sich wieder in die Dunkelheit, aus der es gekommen war.

Seraphimon fiel in den Schnee. Er lag auf den Rücken, mit ausgestreckten Gliedmaßen und starrte zum Himmel hoch, während die Schneeflocken auf seine Rüstung fielen. Die Wunde in seinem Rumpf war groß und die Daten fielen heraus, als wäre Seraphimon eine mit Reis gefüllte Puppe.

Wisemon ging als Erstes zu ihm hin, als er sah dass dort, wo die Schneeflocken schmolzen seine Rüstung wieder seine Ursprüngliche Form annahm, ehe er durchdrehte. Seine Flügel bekamen ihren goldenen Schimmer wieder. Blutspritzer beschmierten sie, ehe sich diese auflösten. Die Flügel langsam mit.

Direkt nach Rosemon war es Tsukaimon, der eigentlich immer irgendwo etwas Angst vor Seraphimon hatte zu ihm ging. Der Rest, außer Touko, Natsu und ihre Digimon, die beim verletzten Renta und bei Koemon blieben, folgte nach und nach und ihnen wurde etwas klar:

Seraphimon war nicht zufällig in die Schusslinie geraten. Es war kein Zufall gewesen. Seraphimon hatte sie beschützt. Ausgerechnet er.

Sein Helm hatte Risse bekommen und Teile davon waren abgefallen. Von seinem Gesicht sah man immer noch nicht viel mehr, als nur ein blaues Auge, dass einmal im Kreis umherwanderte, um jeden Digiritter und jedes Digimon noch einmal anschauen zu können.

„Sagt Ophanimon bitte, dass es mir Leid tut. Ich wollte sie... nicht zum weinen bringen... Es sollte sich nur nicht wiederholen... Sie sollte... nicht noch einmal weinen...“

Seine Augen fielen zu. Keine Sekunde später löste sich sein Körper vor ihnen allen auf und der Wind nahm die Daten mit sich. Sie flogen an den Kindern vorbei, streichelten sie regelrecht, wie eine schwache Geste des Trostes. Von einem Digimon wie ihm. Selbst Rosemon, die es mit eigenen Augen gesehen hatte, wollte es nicht so ganz glauben. Hatten diese Digimon, wenn auch kurz vor ihrem Ableben, es doch endlich begriffen?

Der Wind heulte, doch es war nicht der Wind, der durch die Bäume flog. Es kam aus diesem Loch vor ihnen. Dann ein Zischen. Jene schwarzgetränkten Blutegel, mit denen bereits Hisaki und Tsukaimon Bekanntschaft gemacht hatten, krochen heraus und ehe irgendjemand reagieren konnte, wurde das Loch größer und breitete sich aus wie ein Schatten bei Abenddämmerung. Die Dunkelheit griff jedes Kind an denen Beinen und zog sie, ohne die Chance sich zu wehren eines nach dem anderen zu sich und schließlich in das Loch hinein. Ihre Digimon folgten ihnen, konnte sie aber nicht befreien und wurden mitgezogen.

Rosemon und Wisemon versuchte noch nach den Händen zu greifen, doch die Schwarze Energie aus diesem Loch attackierte sie und warf sie zurück. Wisemon fing Rosemon noch auf, wurde aber mit ihr gegen einen Baum geworfen, der anschließend zerbrach.

Aus dem Abgrund hörte sie nur noch Schreie. Dann Stille.

 

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( Sie fiel, fiel fiel Ob der Fall nie ein Ende nehmen würde? Wie viele Meilen ich schon gefallen bin? Sprach Alice laut Ich bin bestimmt schon in der Nähe vom Mittelpunkt der Dunkelheit )

 

𝅘𝅥𝅲

 

Wenn Hisaki von der Schule Heim kehrte, stand er meist sehr lange vor der Haustüre. Er wollte, ehe er das Haus betrat sicher gehen, ob seine Eltern da waren oder nicht. Ob sie gut gelaunt waren oder nicht. Wenn sie es nicht waren, wartete er immer noch etwas, bis die Spannung nachließ. Um das festzustellen dauerte es oft sehr lange. Man sagte, man könnte die Anwesenheit anderer spüren, doch im Falle der Amanos war es egal, ob jemand zu Hause war oder nicht. Im ihren Haus herrschte immer Kälte.

„Hisaki...“

Tsukaimons Stimme klang fern, obwohl er neben Hisaki stand. Sie waren von Dunkelheit umzingelt. Doch Hisaki interessierte sich nur für diese Tür, die aussah wie jene zu seinem zu Hause. Wenn es das jemals wirklich war.

„Hisaki. Bitte rede mit mir. Bitte sieh mich an, Hisaki...“

Aus diesem Abgrund, in den sie hineingefallen waren herauszukommen war eigentlich ziemlich simpel. Es hätte gereicht nur die Tür zu öffnen. Was jedoch so einfach schien, war für alle Digiritter, die hier unten eingesperrt waren ein Ding der Unmöglichkeit. Es war psychische Folter, was man mit ihnen trieb.

Die Türen waren nicht verschlossen, doch jeder von ihnen spürte diese vertraute Präsenz, die sie in ihrer Welt schon hat machtlos werden lassen. Sie daran erinnerte, dass sie nur Kinder waren. Sie spürten die Anwesenheit ihrer Familienangehörigen dort und dieses Wissen hielt sie fest wie die Wurzeln eines alten Baumes an Ort und Stelle. Sie konnten nicht durch. Nicht raus aus dieser Tiefe.

Soichiro und Kanako konnten es nicht. Sie spürten ihre Mutter dahinter, die ihre Laune an ihnen ausließ, weil sie mit vierzehn von einem Kerl schwanger wurde, der sie mit Kindern, die sie nie wollte sitzen ließ.

Renta konnte es nicht. Er spürte seine Eltern und älteren Geschwister dahinter, die ohnehin nie Zeit für ihn hatten und ihn wie oft alleine ließen, weil die Firma und der Reichtum wichtiger waren.

Natsu konnte es nicht. Er spürte seine Familie dahinter, die ihn, neurotisch wie sie waren verhätschelten und ihn am liebsten von der Welt wegsperren würden, um ihm jedes Stück persönliche Freiheit zu nehmen.

Touko konnte es nicht. Sie spürte ihren Vater und ihre Mutter, für die sie nur eine gute und ehrenhafte Tochter war, solange sie die höchstmögliche Leistung erbrachte und gehorsam war.

Auch Hisaki konnte es nicht. Er spürte seinen Vater, seinen scheinbaren Vater dahinter, der ihn hasste, da er das lebende Aushängeschild der Untreue seiner Mutter und der damit verbundenen Schande war.

„Was kann ich denn dafür?“, murmelte Hisaki, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich bin doch nicht schuld dran, dass Mutter fremdgegangen ist. Ich wurde nicht gefragt, wer meine Eltern sein sollen. Ich bin nicht schuld. Wenn, dann ist er schuld! Mutter ist doch nicht ohne Grund zu anderen Männern geflüchtet. Er hat es vermasselt, sie ist fremdgegangen und ich bin der, der dafür bestraft werden soll?“

Hisakis Fingerknöchel wurden weiß, je fester er seine Fäuste verspannte, wie die Lippen, die er zusammenpresste. Er wollte weinen, ließ es aber nicht zu. Wegen seinem Vater würde er nicht weinen. Nicht wegen diesem Mann, der ihn dafür bestrafte, dass er auf die Welt kam.

Doch Tsukaimons Betteln hörte Hisaki weiterhin nicht.

„Hisaki, schau mir doch mal in die Augen. Rede mit mir. Bitte, Hisaki. Du machst mir Angst.“

Vielmehr empfand Hisaki Tsukaimon Worte die für ihn wenn überhaupt als ein langgezogenes Heulen wahrgenommen wurden als nervig. Zorn flammte auf, die Aggression kroch hoch und legte sich wie ein Film kochender Teer über die Magengegend.

„Was glaubte er, für was ich mir so viel Mühe gebe? Wegen ihm habe ich doch erst angefangen Klavier zu spielen. Ich habe nie Ärger gemacht. Ich habe mich immer in der Schule angestrengt. Ich habe alles getan um weder ihm noch Mutter Schande zu bereiten. Und wie bekomme ich es gedankt?“

Schwarze Schatten krochen umher. Die Dunkelheit roch den aufkeimenden Zorn und leckte sich die Lippen, von Hisaki unbemerkt, dafür aber von Tsukaimon.

„Hisaki…“

„Ich werde bestraft, obwohl ich nichts getan habe! Ich habe mir nicht ausgesucht, wer ich sein will! Wieso werde ich für die Fehler meiner Eltern bestraft? Wieso musste Kouta sterben, obwohl er nie einer Fliege etwas zu Leide getan hat?“

„Hisaki…“

„Wieso?! Wieso verdammt!? Gerechtigkeit, so ein Schwachsinn! Was soll das für eine Gerechtigkeit sein, die die Aufrichtigen immer bestraft?!“

Hisaki!“

Tsukaimon sprang mit einem gewaltigen Satz vom Boden, mit dem Schädel voraus. Sein Tackle traf Hisaki im Bauchraum und er verlor nicht nur abrupt Luft, die ihm mit einem Ächzen entwich, sondern auch seinen Halt. Es war kein tiefer oder harter Fall, eher der Schreck setzte ihm zu. Im Augenwinkel sah er noch, wie dunkler Qualm in alle Richtungen entwich, krabbelnd wie eine Schar Insekten, doch geformt wie lange Arme mit langen Klauen.

Die Düsternis war geflohen, lauerte aber in den Ecken, wartend, dass Hisakis Zorn sie wieder rief und sie sich an ihm vollsaugen konnten. Dieser kam nach einem kurzen Anfall von Entrüstung wieder hoch, nun aber auch der Zorn auf Tsukaimon. Hisaki wollte ihn anbrüllen, was das sollte und was ihm einfiel ihn anzugreifen. Bisher hatte Hisaki Tsukaimon nie angebrüllt. Und geändert hatte es sich niemals.

Denn als er sein Digimon sah war der Zorn, auf den sich die Dunkelheit hat stürzen wollen, um diesem mitsamt seinen Lebensgeistern aufzufressen auf einmal weg. Hisaki sah sein Digimon, jeder einzelnen Muskel verspannt, die Augen voller Tränen und als diese von den Wangen hinabliefen und zu Boden tropften fragte er sich, wie er auch nur eine Sekunde hat daran denken können, Tsukaimon anzubrüllen.

„Tsukaimon… Tsukaimon, e-es tut mir leid.“

„Spar dir die Entschuldigung!“, schrie Tsukaimon los, weinend. „Du enttäuschst mich, Hisaki. War alles, was du mir beigebracht hast etwa leere Worte? Du warst der, der sagte, dass man nicht aufgeben darf und jetzt stehst du hier und suhlst dich in Selbstmitleid? Ist das etwa der Kern von allem, was du mir gesagt hast?“

Dann fiel Tsukaimons Miene in sich zusammen, die eiserne Maske die er immer auf seinem Gesicht trug und nicht zeigte, wie viele Gedanken und wie viele Sorgen er sich machte. Wie viel Sorgen, von dem Moment an, als er Caturamon das erste Mal sah und die Pegasusmon ihn verletzten. Der Gedanke nur, was dann mit Hisaki geschah. Wie ohnmächtig, als er Koutas Leiche sah unddas Entsetzen seines Partners. Trotz dass es eine Schwarze Digitation war und er durch all die Trauer und all die Wut zu einem Monstrum wurde, wusste er in seinem Inneren, dass sein Partner bei diesem Anblick Angst vor ihm bekam.

Tsukaimon dachte, er käme damit klar. Trotz der Zweifel, was nun sein wahres Selbst war. Hatten die Hohen Digimon doch Recht?

„Du hast gesagt, man muss weiter machen. Wenn man hinfällt, muss man aufstehen. Man bekommt die Dinge nicht geschenkt. Man verdient sich das, dass hast du gesagt. Gerechtigkeit muss man sich verdienen. Waren das auch leere Worte? War es das alles? Auch, dass ich mir Gerechtigkeit verdienen kann? Das ich Träume haben darf? Das ich mehr bin wie Daten? Das ich ein Herz habe? Ist es das?“

„Tsukaimon…“

Hisaki sprintete nach vorn, nicht zuletzt, da die Schatten nun auch zu seinem Digimon krochen und sich an seinen Beinen festsaugten wie Blutegel. Er hielt dieses kleine Digimon in seinem Arm. Die Schatten sollten ihn nicht zu fassen kriegen.

„Du bist mehr wie nur Daten! Du bist viel, viel mehr!“, sagte Hisaki, in aller Deutlichkeit und sah seinem Digimon direkt in die Augen. Die Schatten, die nun an beiden entlangkrochen ignorierte Hisaki, er blickte nur in die glasigen Augen und fragte sich, wie er nur so verdammt dumm und egoistisch sein konnte. Wann hatte er Tsukaimon zuletzt gefragt, wie es ihm ging? Wann hatte das überhaupt einer von ihnen seit Koutas Bestattung? Er wusste es nicht, obwohl Hisaki angestrengt überlegte, aber die Erinnerungen waren wie ausradiert. Wie fühlte sich sein Digimon, dass mit etwas konfrontiert wurde, dass es bisher so nicht in der Digiwelt gab? Ophanimon wurde depressiv, Seraphimon war durchgedreht. Und Tsukaimon? Die anderen?

Diese Digimon haben versucht stark zu sein. Sie hatten ja ihre Partner und die hatten ihnen beigebracht beharrlich zu sein. Doch mit jedem Tag waren immer mehr Zweifel und Ängste entstanden und die Digimon wussten sich nicht zu helfen oder damit umzugehen. Dies wurde Hisaki bewusst, während er Tsukaimon im Arm hielt, der stumm, aber bitterlich weinte. Die Schatten scharten sich um sie, angelockt von Tränen, auf der Suche nach Löchern im gebrochenen Herz, in die sie hineinkriechen konnten.

„Oh Tsukaimon… Es tut mir Leid. Ich wollte nicht, dass du dich so fühlst! Ich wollte dir das ersparen, bitte glaub mir das! Glaub mir das, bitte, bitte! Ich wollte niemals, dass du dich so fühlen musst wie ich!“

Jene langen, klumpigen Schattenwürmer sammelten sich, wurden klobig und krümmten sich. Sie wuchsen über Bein und Leib, Mensch wie Digimon, an sechs verschiedenen Orten dieser Zeit-Raum-Verzerrung, an sechs verschiedenen Opfern, an sechs verschiedenen Digimon. Die Szenen selbst jedoch unterschieden sich dafür kaum voneinander.

„Zu Hause konnte ich nicht träumen. Die Welt, aus der ich komme ist keine Welt aus Märchen und Kinderliedern. Meine Welt... die Reale Welt ist grausam.“

Hisaki hörte Tsukaimon scharf nach Luft schnappen. Hörte ihn schwer schlucken. Er bemühte sich nicht laut loszuweinen, konnte es aber nicht. Das kleine Gesicht mit den großen Augen presste sich an die Brust seines Partners. Selbst weinend strich Hisaki Tsukaimon über den Kopf und schaukelte ihn sachte.

„Die Digiwelt ist ganz anders. Sie kann so werden, wie wir sie uns vorstellen. Ein Welt aus einem Traum, wie das Wunderland. Eine Welt, die zu uns passt. Egal was du für ein Digimon du bist oder als was ich geboren wurde. Hier, an einem Ort wie diesen, kannst du alles werden, was immer du willst.“

Die Umarmung wurde fester. Tränen tropften von den Wangen, berührten aber nie den Boden. Die Dunkelheit verschlang sie, wie auch diese beiden unterschiedlichen Wesen. Der schwarze Nebel, angelockt von Trauer und Verzweiflung umhüllte sie wie einen Kokon, in dem sie für immer feststecken würden. Doch Angst davor empfand keiner von ihnen.

„Hisaki…“

„Es tut mir so Leid. Ich habe durch Koutas Tod vergessen, dass ich noch einen Freund habe, der auf mich zählt.“

„Freund?“

Tsukaimon öffnete die Augen. Die Sicht war schwammig, aber er hatte etwas gesehen. Vielleicht versuchte die Finsternis ihn nur zu verführen, aber statt endlosem Nichts sah er Schnee und blauen Himmel. Sterne, Eis, buntes Polarlicht und Schnee, noch mehr Schnee, reinweißer, weicher Schnee.

„Du bist mein Freund, Tsukaimon. Unter tausenden Tsukaimon würde ich dich immer wieder erkennen. Und egal zu was auch immer du digitierst, du wirst immer mein bester Freund bleiben.“

Ein Nicken, das einzige, was sie abgesehen von der Umarmung noch spürten. Die Dunkelheit hatte jeden Sinnesreiz verschluckt. Die Körper wurden taub, die Glieder schwer. Das winterliche Sonett aus einem Traum wurde blasser. Dunkler wie die Kälte, aber umschlungen in ihrer Umarmung, war diese nicht einmal so schlimm.

„Ich hab dich lieb, Tsukaimon. Hörst du? Wie einen Freund. Wie eine Familie... Tsukaimon...“

„Hisaki...“

Die Schatten verschmolzen zu Ungeheuern, zu Hexen und Hexenmeistern, zu Zeitdieben, Drachen und Jabberwocks. Sie versprühten schwarzen Qualm und fixierten ihre Beute. Hand und Pranken mit Klau und Krall fielen auf sie hinab, Mäuler und Schnauzen wurden aufgerissen.

Man konnte nicht sagen, wer genau die Worte aussprach. Es stand nur eines fest – die Herzen der Kinder waren verbunden, durch all die Fäden, mit denen sie ihre Wunden zusammengeflickt hatten, Fäden namens Träume, Fäden aus Musiknoten, komplexer und verworrener wie jede Akkolade.

Und noch weit, weit komplexer waren die Fäden, die sie mit ihren Digimon verband. Man war sich einig, dass das Herz von Mensch und Digimon absolut synchron, in ihrem jeweils individuellen Takt schlug. Obgleich wer es wie aussprach, verbal oder im Inneren, wer zuerst und nur erwiderte, es war irrelevant. Fest stand, alle Kinder und alle Digimon fühlten in diesem Augenblick absolut gleich.

„Ich liebe dich...“

Dann verschlangen die Schatten sie vollständig. Für mehrere Sekunden herrschte in diesem Winkel der Dimension der absoluten Verzweiflung nichts als Nichtigkeit. Jenes Lebewesen, was dieses Nichts kontrollierte war überzeugt davon, auch die letzten Funken erstickt zu haben und wurde geradezu euphorisch, die Digiwelt mit in den Abgrund zu ziehen. Schließlich kannte es nichts, außer Verzweiflung, diese gigantische, groteske Melancholie.

Das kleine Leuchten wurde für eine Sinnestäuschung gehalten. Dann war es ein Flackern. Und schließlich war jenes so schwache Flackern ein strahlender Stern.

Tsukaimon, Warp-Digitation zuuuuu – Dominimon!

Einsames Klavierspielen aus einem Digivice erklang. Es hatte die Intensität eines gesamten riesigen Orchesters. Es schreckte die Dunkelheit fort, fauchend und geblendet von hellblauen Licht.

Hisaki sah erst nichts. Alles war zu grell. Aber kein Grund zur Sorge. Sein Digimon hielt ihn ja fest. Hisaki saß auf dem Arm seines Digimon und als sie sich ansahen, musste er fast Lachen. Das Engel-Sein passte immer noch nicht zu seinem Charakter. Aber zu seinem Sinn für Gerechtigkeit.

„Weine nicht. Selbst wenn du mal an Gerechtigkeit zweifeln magst, ich kann für uns beide zusammen daran glauben.“

„Du weinst doch selbst!“, antwortete Hisaki seinem Digimon schnippisch, aber mit einem Lächeln. Dominimons Stimme war fast zu tief für ihn. Die Gold-Blaue Rüstung blendete, das Weiß und selbst die blonden Haare, aber Hisaki sah die Tränen unter Dominimons Maske hinunterlaufen.

„Wie konnte ich nur eine Sekunde zweifeln, wo ich doch dich an meiner Seite habe, Dominimon.“

„Wir dürfen nicht zweifeln! Wir müssen es versuchen, immer wieder. Wenn wir an dem zweifeln und keinen Glauben haben, haben wir verloren.“

Ein Licht, nicht ganz rot, aber auch nicht ganz pink jagte die Schatten weiter zurück. Kana hatte auch geweint, aber sie zitterte nicht wie sonst. Ceresmon trug sie wie eine Prinzessin in den Armen.

„Oh Kana, du bist so mutig geworden. Ihr seid alle so mutig geworden“, freute sich Ceresmon und drückte sie näher an ihre Brust. Vor Freude blühten die Rosen an ihren Schulterpolstern auf.

„Ja, Schwesterherz. Glauben und Entschlossenheit, das hat uns schließlich die letzten vier Jahre vorangetrieben!“

Grünes Licht schlug lange dunkle Klauen in die Flucht. Die Ursache dessen schwebte über Hisakis Kopf. Goldramon zog seine Kreise, Soichiro auf den Schultern sitzend.

„Dies gilt ebenso für uns Digimon“, sprach Goldramon. „Wir müssen für unsere Partner genauso entschlossen bleiben.“

„Es ist schön, so viel Vertrauen von euch zu hören“, rief Natsu aus einer Ecke, geklammert an AncientWisemons Umhang. Als die düsteren unförmigen Existenzen auf ihn zu gingen, schlug orangene Strahlen sie gleich wieder weg.

„Du vertraust uns doch auch, oder?“

„Ohne Zweifel“, sagte AncientWisemon. Seine Hände, praktisch nur noch Federwedel streichelten Natsus Kopf.

„Tante Rhody und Onkel Remus wären stolz auf euch.“ „Wären sie sicher. Die Digiwelt hat uns so viele Weisheiten beigebracht -“

„- und ihr uns!“, riefen Touko und Plesiomon, auf dem sie ritt, umhüllt von gelben Schein, die Figuren, die davon getroffen wurden lösten sich auf. „Auch wenn wir Träumer sind, wir können was erreichen.“

Fauchen und Geschrei war direkt vor ihnen. Der Grund dessen waren die letzten Rest dunkler Wesen und Gestalten, die sich noch einmal aufbäumten, um das Licht, dass ihnen schadete auszulöschen. Die bunten Sterne, das vereinte Leuchten von Digicive und Wappen war jedoch zu stark. Ein dunkles Blau erstrahlte noch zusätzlich und gab diesen Albträumen den Gnadenstoß. Sie lösten sich auf.

Hinter der Truppe lag Renta. Trotz Schmerz hielt er sein Digivice fest und hob es empor. Gankoomon kniete schützend neben ihm.

„Renta, geht es dir gut?“

„Wird schon wieder“, antwortete er Hisaki mit gezwungenem Lächeln. „Und wenn ich Arme und Beine gebrochen hätte, würde es mich nicht davon abhalten weiterzumachen.“

„Du bist unverbesserlich“, sagte Gankoomon, grinsend, aber doch besorgt. „Das hättest du nicht tun dürfen. Du bist genauso ein Dummkopf wie ich.“

„Aber ich wollte. Alles beruht auf Gegenseitigkeiten. So funktioniert nicht nur Großzügigkeit, alles funktioniert so.“

„Deswegen funktionieren wir zwei ja auch so gut.“

Gankoomon zog die Nase hoch, schniefte unüberhörbar. Leid tat es ihm dennoch.

„Oh Digiritter, wie töricht. Wie infantil. Wie schrecklich, schrecklich dumm...“

Zuerst dachten sie, die Monster wären wieder zurück, aber jenes Dunkle um sie war nur ein Schatten. Arme. Nicht Arme, wie sie es kannten. Arme, aufgebaut und verdreht wie DNA-Strenge und so lang. An ihrem Ende Klauen, genau jene, die sie sahen, bevor sie in den Abgrund gefallen waren.

Das Konstrukt was vor ihnen war, war gigantisch und nicht wirklich zu beschreiben. Das schwebende Dodekaeder war, wenn auch riesig, nicht wirklich von Interesse. Eher das, was ganz oben thronte. Ihre Instinkte sagten, dass dies ein Digimon war. Aber was immer für eine Art Digimon, es war anders. Anders wie die Hohen Digimon. Anders wie Dragomon. Anders wie die Dämonenkönige. Es war das Digimon, das nicht nur Seraphimon getötet hatte, es war jenes, dass sie ausgelacht hatte und sie hier festhielt. Das ihnen ihren eigenen Horror vor Augen hielt.

„Was ist das?“, fragte Kana und klammerte sich näher an Ceresmon und sofort lachte dieses Wesen sie aus.

„Ihr erkennt Uns nicht? Dabei redet ihr doch die ganze Zeit von Uns. Wie unhöflich von euch.“

„Wir reden von dir?“, wiederholte Touko ungläubig.

„In all den vier Jahren redet ihr und die Serums über Uns. Man müsse Uns aufhalten. Stoppen, ehe Wir starten können, denn sonst brennt die Welt. Apokalymon nannten Uns die Digimon längst vergangener Tage, die miterlebten, wir die Daten jener, die sie als unwürdig einstuften im Feuer diese Form erschufen.“

„Feuer... Halt and Catch Fire!“, rief Dominimon bei der Erkenntnis auf, AncientWisemon kam zeitgleich zum selben Schluss.

„Das ist der HCF-Befehl, der die korrupten Daten löscht.“

„Der HCF-Befehl ist ein Digimon?“, fasste Renta schockiert zusammen. Apokalymon grinste die Kinder an.

„Wir wurden aus der Verzweiflung der Digimon geboren, als die Digimon an der dunklen Seuche erkrankten und ihre eigene Welt zum ersten Mal ins Chaos stürzten. Sie zerstörten die korrumpierte Digiwelt. Und all diese zerstörten Daten nahmen Wir auf und setzten die Digiwelt in Flammen. Doch ehe Wir unser Werk vollenden, kommen die Serums und beenden den Wiederherstellungsprozess. Die Digiwelt wird auf altem Boden neugeboren. Dieser Kreislauf wiederholt sich, ständig und Wir bin es Leid, so verdammt Leid. Diese ignoranten Gottheiten und Serums, wer gab ihnen das Recht zu entscheiden, wer leben durfte und wer nicht? Welche Daten gut und welche gelöscht gehören?! Wer bestimmt, wie weit man die Zeit zurückdrehen darf?!“

„Das war doch auch unser Ziel“, sprach Hisaki dazwischen. „Wir wollen doch auch, dass das aufhört!“

„Was verstehen denn Kinder schon!“

Eine von Apokalymons langen Klauen verformte sich im Schatten zu einer Gestalt, die Seraphimon ähnlich sah. Es beschwor sogar den Himmelsbrecher und ein Stromschlag traf die Kinder und Digimon.

„Die Digiwelt ist hoffnungslos verloren. Sie lernt nicht. Sie kann nicht lernen. Wie auch, denn alle Daten, die sie hat, hat sie aus der Realen Welt. Wollt ihr leugnen, dass es in Eurer Welt keinen Krieg gibt? Kein Unheil, keine Plage, kein Tod? Wie soll aus ihr je etwas werden?“

„Deswegen muss dieses ständige Rebooten aufhören!“, brüllte Natsu trotzig zurück, Soichiro stimmte ihm zu.

„Unsere Welt hat Fehler gemacht und aus ihr gelernt. Wie soll die Digiwelt aus ihren lernen, wenn man ständig alles zurücksetzt?“

„Ruhe!“

Eine andere Klaue sah aus wie Huanglongmons Kopf, der Feuer nach den Kindern spuckte, doch ihre Digimon stellten sich in eine Reihe und wehten zusammen den Angriff ab.

„Nun, da alle heiligen Digimon fort sind, kann die Welt endlich abbrennen! Kommt Uns nicht in die Quere. Das ist die letzte Warnung!“, drohte Apokalymon. Der Raum, indem sie sich alle befanden erzitterte mit der Stimme. Es herrschte kaum Schwerkraft und doch fühlten sie sich erdrückt. Doch nichts davon konnte etwas von dem, was ihre Wappen zum leuchten gebracht hatte aus ihren Augen treiben.

„Ich bin nicht wie die Hohen Serums oder Dragomon. Ich vernichte, um diese Welt eine neue Chance zu geben. Diese Gefühle haben die Welt nun endgültig aus der Bahn gebracht. Es muss alles wieder komplett zurückgesetzt werden, noch vor seinen Ursprung! Und diesmal sind keine heiligen Serums da, die den Vorgang vorzeitig abbrechen!“

„Vergiss es, nichts wirst du hier neu starten oder vernichten!“, fauchte Gankoomon. Die Digimon traten näher vor, während die Kinder dahinter blieben, im Kreis um Renta stehend.

„Wir mögen Daten sein, aber wir haben ein Anrecht auf Gefühle und Träume.“

„Und egal wie schmerzlich sie manchmal sind, wir geben das nicht auf“, riefen Plesiomon und Goldramon.

„Wir mögen Schmerz gefühlt haben, aber wie haben gelernt und wir sind daran gewachsen.“

„Diese Kinder haben uns so viel gegeben und das geben wir niemals her“, riefen auch AncientWisemon und Ceresmon.

„Es ist der Beweis, dass wir am Leben sind!“

Aus Dominimons Armschützer schoss eine Klinge heraus und richtete die Spitze auf Apokalymon. Alle Digimon rückten zusammen und standen kampfbereit vor ihrem Feind.

„Ihr Narren, Wir werden euch -!“, brüllte Apokalymon hinunter. Eine seiner Klauen öffnete sich, schnappte nach der Gruppe Mega-Digimon. Sie bekam keinen von ihnen zu fassen. Violettes Licht trieb sie und Apokalymon selbst zurück, der davon geblendet wurde, zusammen mit den anderen sechs.

„Ist das etwa...“, sagte Hisaki. Er sah zur Seite. Dracmon stand dort, mit Koutas Digivice in der Hand und dem Wappen um den Hals.

„Dracmon, wie bist du hierher gekommen?“, fragte AncientWisemon ihn überrascht.

„Denkt ihr, ich lasse euch den ganzen Spaß? Hättet ihr wohl gern.“

„Tse. Armseliger Wicht“, lachte Apokalymon, mit den Händen und den Umhang vor dem Gesicht. „Du willst kämpfen? Du bist alleine! Du bist wertlos. Ohne deinen Partner hast du keine Existenzberechtigung.“

„Nein. Ich bin nicht alleine.“

Es sah erst wie eine Täuschung aus, ein Bruch im Licht, den das Wappen der Freundlichkeit in die Leere warf. Doch eine Täuschung konnte niemals solch klare Konturen haben und niemals so intensiv sein, dass man glauben könnte, sie hätte Hände. Dracmon sagte die Wahrheit, er war nicht alleine. Jemand stand neben ihm.

„Kouta!“, riefen alle Kinder gleichzeitig und fast genauso gleichzeitig brach ein Tränenfluss aus ihren Augen, als sie ihren toten Freund sahen, geisterhaft und fast durchsichtig im lilafarbenen Licht. Apokalymon zischte wütend.

„Du?! Aber wie bist du -!“

„Hast du geglaubt, der Tod hielte mich davon ab meinen Freuden beizustehen?“, sagte Kouta, die Gesichtsfalten angespannt. Sein gewohnt freundlich Gesicht zeigte sich er wieder, als er sein Digimon ansah, den er genauso liebte.

Kouta griff nach Dracmons Hand, das Licht bereitete sich aus. Die kleine Gestalt, die erst zu Kouta hoch blicken musste, und es kaum schaffte ihn anzuschauen, ohne zu weinen, stand nun als Mega-Level da.

„Ich lasse sie nicht allein. Ich lasse Piedmon nicht alleine. Freundlichkeit mag für manchen naiv sein, aber nur ein wenig reicht um die Welt, von der wir träumen zu einer besseren zu machen.“

„Und dafür sorgen wir“, sagte Piedmon, drückte dabei Koutas schemenhafte Hand. „Wir machen die Digiwelt zu einem besseren Ort. Zu einem Ort ohne Krieg und ohne Leid!“

Piedmon flog zu der Gruppe Digimon. Sie alle, er, Gankoomon, Dominimon, Goldramon, Plesiomon, AncientWisemon und Ceresmon standen vor Apokalymon im Halbkreis, hoben Hände und Waffen, ohne Zweifel, ohne Angst, sogar ohne Zorn. Nur mit der reinen Überzeugung, dass sie das Richtige taten, denn sie taten es für ihre Partner und ihre Träume an ihre Märchenwelt, die zu jeder Jahreszeit erstrahlte.

Wie erstarrt blickte Apokalymon auf die sieben Digimon hinab. Die negativen Gefühle, die er aus den Kindern herausgezogen hatte reichten nicht aus. Er hatte noch nicht genug Macht und dieses verfluchte Licht schwächte ihn. Er hätte gegen diese sieben keine Chance. Das, was aus ihren Wappen resultierte fraßen seinen instabilen Körper an wie Krebsgeschwüre. Seine Gestalt war noch zu instabil. Wenn sie ihn nun alle auf einmal angreifen...

Apokalymon war jedoch auch nicht mehr wie die Manifestation eines Selbstzerstörungsprogrammes, das darauf abzielte, wenn er sich schon in die Luft jagte, auch soviel wie möglich – oder am besten alles mit sich in den Untergang zu reißen. Und selbst wenn es nicht die Digiwelt sein sollte, eine Welt, die eigenständig zu nichts fähig war, sollten wenigstens diese Gören mit ihm in der Hölle schmoren, die den Gnadentod der digitalen Welt nur weiter in die Zukunft rückten.

„Tut es doch! Wir sind hier alleine in einem Spalt zwischen den Welten. Wir haben diese kleine Welt für Uns erschaffen. Zerstört Uns und ihr zerstört diesen Raum mit. Niemand kann dann mehr sagen, wo ihr landet. Vielleicht zerreißt es euch in Stücke. Wenn ihr überhaupt das Vakuum der Endlosigkeit überlebt!“

Finger zuckten, wie auch Augenlider. Münder öffneten sich, aber es wurde nichts gesagt. Entsetzen. Alle Digimon sahen ratlos zu ihren menschlichen Freunden, die Kinder untereinander. Sie warfen Blicke zu Kouta, dem in diesem Moment bewusst wurde, dass er das letzte Mal vor seinen Freunden stehen würde.

Er sah besorgt aus. Dann aber, als Piedmon ihm zunickte und Koutas Erinnerungen ihm vorgaukelten, das Gefühl in seiner Hand sei echt, geschah das Gleiche unter den anderen Kindern. Egal was geschah, eine Welt ohne ihre Träume wollten sie nicht. Und wenn nicht sie dann weiterleben durften, so sollten ihre geliebten Geschichten, Märchen und Lieder, die sie in die Digiwelt gebracht hatten es für sie tun.

„Dann, so sei es.“

Kinderhände umklammerte ihre Digivice. Sieben Wappen strahlten immer heller. Sieben Digimon machten sich zum Kampf bereit.

„Wie auch immer es enden mag -“

„Und wenn wir es bereuen sollten -“

„Wenn wir für die Digiwelt auch nicht mehr sein werden wie Gestalten aus Märchen -“

„Wenn es das Ende unserer Träume sein sollte -“

„Wir werden dir die Digiwelt niemals überlassen.“

„Du bekommst unsere Träume nicht, Apokalymon!“

 

𝅘𝅥𝅱

 

(Nein Nein das lasse ich nicht zu Ihr könnt mich nicht verrichten! Ihr seid nur Träumer hoffnungslose Träumer)

„Frucht Flechetten!“

(Träume haben in der Realität keinen Wert keine Hoffnung keine Gefühle sie sind wertlos)

„Zeichen der Ältesten!“

(Ich bin der Rest aller zerstörten Träume aller Welten und was blieb war die bittere Realität!)

„Zitternder Impuls!“

(Ihr werdet aufwachen und dann wird euch klar sein dass es nichts gibt wofür es sich zu träumen lohnt Ihr zögert das Ende nur hinaus!)

„Goldene Flamme!“

(Ich werde mich rächen ihr habt unser aller Leid nur verlängert Ich werde mich rächen an euch die gesamte Digiwelt wird sich an euch allen rächen)

„Letztes Exkalibur!“

(Ihr glaubt eure Fantasie eure Gefühle eure Träume eure Herzen hätten alle gerettet? Ihr Dummköpfe ihr seid der Anfang vom Ende Der Schatten in eurem Herzen wird niemals verschwinden)

„Faustschläge!“

(Ich bin all eure Trauer all euer Zorn all eure Verzweiflung Ich werde euch immer finden Ich werde eure Leben zerstören Ich werde eure Träume zerstören Ihr werdet niemals glücklich werden!)

„Trumpfkarte!“

(Ihr glaubt ihr hätte den ewigen Kreis der Digiwelt zerstört dabei habt ihr sie noch weiter an den Abgrund geführt ihr Ja ihr werdet es sein die die Digiwelt zer01110011tören ihr we01110010det für i01101101mer verzw01110010ifeln ihr w01110010rd01110010 01110100 mi01100011 01101000 befre01101001 01100101 01100100 01100001für 01110011 01101111 01110010 01100111 01100101 00100000 01101001 01100011 01101000)

Stille.

 

𝅜

 

(Wach auf! Wach auf liebe Alice es war alles nur ein Traum)

rief man nach ihm, doch die Stimmen waren schrecklich gedämpft. Es schmerzte ihnen zuzuhören, wie auch sich umzusehen. Schwarz-Weißes Schachbrettmuster zu seinen Füßen. Spielte er immer noch Schach mit der Königin? War er nicht mit der Spiegelbahn gefahren, durch die Dunkelheit der Nacht, hatte mit dem Mond debattiert, hörte wie Löwe und Einhorn sich stritten und so jeder schimpfte, weil der Tee mal wieder nicht reichte, obwohl niemand am Tisch saß? Nein, das war Unsinn, wenn Hisaki auch nicht sagen konnte, wo genau die Unlogik saß (geschweige denn das alles an diesem Gedanken unlogisch war).

(Tsukaimon?)

Man schubste ihn. Er hatte etwas in den Händen gehalten, dass war das Letzte, was er wusste. Aber was? Binsen? Nein, es war etwas lebendiges gewesen. Das Ferkel der Herzogin? Das ist abgehauen. Das Reh? Nein, auch das ist auf und davon. Das weiße Kaninchen? Auch nicht, er hatte es nie zu fassen bekommen. Zumindest aber bei der Farbe klingelte es bei Hisaki.

Es war so warm. Sommer. Warum hatte er aber dann an Schnee gedacht?

(Tsukaimon?!)

„Hisaki, sag was. Du wurdest gefragt“, sagte Touko erneut und schubste Hisaki wieder an den Schultern. Er schüttelte sich kurz und sah sich geistesabwesend um. Das Licht war immer noch blendend, aber das Schachbrett verwandelte sich in Kacheln.

Noch nicht ganz bei sich sah Hisaki Touko an, die rechts von ihm saß. Neben ihr die Zwillinge, Natsu saß links von Hisaki. Auch ihnen schenkte Hisaki kurz Aufmerksamkeit, anders wie dem Polizisten vor ihm.

„Tsukaimon...“, murmelte Hisaki. Dann nahm er erst den Polizisten zur Kenntnis. Und die Krankenschwestern. Und ganz viele andere Leute. Menschen. Keine Digimon. Überall waren Menschen.

„Touko, wo sind wir?“

„Wir sind im Nerima Krankenhaus... Wir sind zurück.“

Toukos Hand, die auf Hisakis Schultern lag wanderte wieder auf ihren Schoß. Er warf den Kopf hin und her, sah noch mehr Menschen, die auf die Gruppe Kinder starrte, die auf den unbequemen Stühlen saßen, tuschelten und dann weiter gingen, wenn ein Polizist sie dazu aufforderte. Auf einem der an der Decke hängenden LED-Schild las Hisaki AMBULANZ, weit davon hing eine schlichte, weiße Wanduhr, nur mit simplen Strichen, statt Zahlen. Es war kurz vor halb neun.

„Wir sind wieder zurück? Aber wie? Wie kann das sein?“

„Schon gut, Junge, alles ist gut. Ihr seid sicher“, sagte der Polizist. Er sprach sehr ruhig, aber auf Hisaki hatte es kaum einen Effekt. Stattdessen blieb er verwirrt. Sein Mund fühlte sich trocken und pelzig an. Er schmatze ein paar mal, aber der Geschmack verschwand nicht.

„Das ist eine Nebenwirkung von den Beruhigungsmittel“, erklärte der Polizist. Die Worte waren nett, aber allein das Wort Beruhigungsmittel zu hören machte Hisaki stutzig und wäre er nicht immer noch so benommen, hätte er entsetzt aufgeschrien. Dann aber erinnerte er sich.

„Eure Eltern werden auch gleich hier sein. Ihr habt ihnen und euren Lehrern einen ziemlich Schreck eingejagt.“

„Wo ist Renta?“, fragte Hisaki Touko weiter.

„Er wird gerade operiert. Gut scheint es ihm auch nicht zu gehen.“

„Vorhin kamen sein Vater hier vorbei“, fügte Kana hinzu. „Mit uns gesprochen hat er nicht. Aber es sah schrecklich wütend aus.“

Hisaki dachte kurz nach. Er erinnerte sich. Während er in der Realität nur Löcher in die Luft gestarrt hatte er in seinem Kopf den Hexenmeister mit der Augenklappe wütend an ihm vorbeigehen sehen.

Der Polizist, der immer noch vor Hisaki kniete räusperte sich laut.

„Mein Junge, ich habe dich etwas gefragt und ich bitte dich, dass du mir Antworten gibst.“

„Eine Frage?“, wiederholte Hisaki vorsichtig. „Könnten Sie die noch einmal wiederholen. Ich habe es wegen dem Mittel vermutlich nicht aufgenommen.“

„Meine Frage war, wo ihr den ganzen Tag gewesen seid.“

Über die Äußerung den ganzen Tag wunderte sich Hisaki zwar, aber er antwortete dennoch ohne zu zögern:

„Wir waren in der Digiwelt!“

Der Polizist (ein Herr Ende vierzig), blies Luft aus der Nase und sah Hisaki überaus mitleidig an. Verwundert drehte Hisaki sich zu seinen Freunden, die plötzlich alle die Blicke sinken ließen.

„Das haben deine Freunde auch schon gesagt.“

„Ja.“

„Und wie seid ihr dahin gekommen?“

„Ich weiß es nicht. Das ist einfach so passiert. Ich weiß nur, der Troubadour hat uns dahin gebracht, aber keine Ahnung wie er das angestellte.“

„Und wer ist das?“

„Ich weiß nicht. Er hat ja keinen eigenen Körper, aber passt auf die Digiwelt auf. Oder so ähnlich.“

Der Polizist schüttelte den Kopf und sah Hisaki dabei immer noch überaus mitleidig an, was ihn selbst langsam ärgerte. Krankenschwestern liefen umher, teilweise standen sie mit in diesem Eck der Ambulanz, der eigentlich als Wartebereich fungierte. Einige weitere Polizisten standen zwischen Tür und Angel, um andere Leute, die hier vorbeikamen in einen anderen Gang zu führen. Es saßen wenig Leute hier, zirka eine Hand voll älterer Leute oder Personen, die durch Verletzungen beeinträchtigt waren.

„Mein Junge, weißt du, wie du heißt?“

„Natürlich!“, antwortete Hisaki deutlich beleidigt. Er kam zum Schluss, dass der Polizist ihm nicht glaubte, weil er dachte Hisaki würde immer noch unter dem Einfluss der Beruhigungsmittel stehen. Allerdings wunderte er sich, warum seine Freunde so still waren.

„Ich heiße Hisaki Amano.“

„Und ich welche Klasse gehst du?“

„Ich gehe in die Fünfte.“

„Weißt du, wann du Geburtstag hast?“

„21. Dezember.“

„Und wie alt bist du?“

„Ich -“, und dann begann Hisaki ins straucheln zu kommen. Sie waren zu lange in der Digiwelt und auf das konkrete Datum haben sie nie geachtet. Es spielte ohnehin nie eine Rolle welcher Tag des Monats es war und sie waren dafür auch stets zu beschäftigt. Aber vier Jahre waren sie dort. Knapp vier und Hisaki wurde klar, was sich in dieser Zeit alles hier verändert haben müsste.

„Ich war elf, als wir in die Digiwelt kamen. Aber da ich nicht gewachsen bin, bin ich vermutlich immer noch elf. Aber eigentlich müsste ich jetzt fünfzehn sein.“

„Wie willst du fünfzehn sein, wenn du nicht gewachsen bist?“

„In der Digiwelt funktioniert das halt alles anderes, wissen -“

Er wurde plötzlich von Touko mit den Ellenbogen angeschubst. Hisaki blinzelte verärgert.

„Was sollte das?“ „Frag doch mal, welcher Tag heute ist“, sagte sie. Hisaki hatte ihren Ton nicht einordnen können oder was der Sinn dieser Frage sein sollte. Der Polizist wartete jedoch nicht.

„Es ist der 2. August“, antwortete er. Hisaki wurde hellhörig. Am 1. August wurden sie in die Digiwelt geholt. Man wollte fast denken, was für ein Zufall es war, aber was man über Hisaki wissen musste, war dass er gerne mal ein paar Ecken zu weit dachte. Und plötzlich machte die Aussage den ganzen Tag Sinn.

„2. August... 1979?“, fragte Hisaki vorsichtig, wie schockiert. Der Polizist nickte ihm zu.

„Man hat euch zuletzt kurz nach 9 Uhr morgens gesehen. Danach seid ihr regelrecht von der Bildfläche verschwunden. Ich möchte daher herausfinden, was passiert ist. Auch eure Eltern würde das interessieren. Sie waren krank vor Sorge“, erklärte der Polizist ruhig. „Also, sagt, wo seid ihr gewesen?“

„Wir waren in der Digiwelt!“, sagte Hisaki nochmal überaus verzweifelt klingend.

„Wo ist diese Digiwelt?“

„Die Digiwelt ist in den Computern. Also so hat man es uns gesagt.“

„Wer?“

„Na, der Troubadour hat das gesagt.“

„Hat er euch mitgenommen?“

„Er hat uns nicht mitgenommen! Es ist einfach so pa-“

Wieder unterbrach ihn Touko, diesmal aber hatte sie ihm in den Arm gekniffen. Hisaki biss vor Schmerz auf die Lippen und sah sie giftig an.

Der Polizist schaute noch einmal die Reihe an Kindern auf und ab, dann stand er genervt auf.

„Wisst Ihr Kinder, vielleicht ist es für den Moment auch zu viel für Euch. Ihr steht noch unter Schock. Ich und meine Kollegen werden uns erst einmal mit dem beschäftigen, was wir wissen. Wir haben bereits mit euren Eltern Kontakt aufgenommen und vereinbart, dass wir in den nächsten Tagen euch zu Hause besuchen, um im Ruhe mit euch zu sprechen.“

In dem Moment, als er aufstand rief bereits ein Kollege nach ihm, zu dem er auch gleich hinrannte. Eine Ärztin und eine Krankenschwester standen dabei, sie redeten miteinander, man konnte aber nicht sagen über was. Nur dass es offensichtlich um die Kinder ging.

„Sag mal, hast du sie noch alle, Touko? Was sollte das?“, keifte Hisaki sie an.

„Sei dankbar, oder wolltest du wieder was gespritzt bekommen, so wie vorhin?“

Hisaki antwortete nicht, sondern hob nur verwundert die Augenbrauen.

„Du weißt es nicht mehr?“, harkte Natsu nach und Hisaki schüttelte nur den Kopf. „Wir sind im Kaorikawa Park zu uns gekommen. Die Polizisten haben uns entdeckt und als sie uns vor Ort verhört haben, haben du und Soichiro geschrien.“

„Warum haben wir geschrien?“

„Weil ihr die ganze Zeit von der Digiwelt geredet habt und die Leute vom Rettungsdienst dachten, ihr hättet eine Vollmeise. So wie eben.“

Hisakis Arm zuckte. Er erinnerte sich vage, dass man ihm eine Spritze gegeben hatte. Er war aufgebracht gewesen, aber dann war er ganz müde geworden und die ganze Welt fühlte sich weich an. Laufen konnte er noch und der Zustand hielt nicht lange, aber er musste an die Hand genommen werden.

Soichiro selbst kam nur schleichend aus diesem Dämmerzustand wieder heraus.

„Wir haben ihnen immer und immer wieder alles erzählt“, sprach nun Kana. „Die Digimon. Die Apartheid. Shakamon. Die Wappen. Tante Rhody und Onkel Remus. Unsere Digimon. Alles, was wir in den fast vier Jahren erlebt hatten. Aber niemand glaubt uns.“

„Wir sind gerade einmal einen Tag weg gewesen“, fing Touko wieder an. „Deswegen sind wir nicht älter geworden. Weil unsere Zeit anders verlief. Das war vielleicht eine dieser Anomalien.“

„Aber wie sind wir wieder hier gelandet? Wir haben doch gegen Apokalymon gekämpft. Was ist mit ihm passiert? Haben wir gewonnen? Ist er fort?“

Touko antwortete nicht mehr. Sie starrte geradeaus, ihr Rücken war plötzlich ganz gerade geworden. Hisaki meinte, ein Schlucken zu hören und ehe er daran dachte, mal zu schauen auf was Touko da starrte, erinnerte er sich an noch eine Aussage:

(Wir haben eure Eltern kontaktiert)

Dort standen also Toukos graue Zeitdiebe, oder schlicht gesagt, ihre Eltern. Nicht erfreut, was wenig überraschend war. Hisaki sah sie an und sein erster Gedanken war, dass sie wie damals aussahen. Damals, was eigentlich gestern war. Er hatte sie zuletzt gesehen, als er Touko abgeholt hatte. Verdammt, man sah sogar noch, dass Toukos Mutter den Tag zuvor sich die Haare frisch geschnitten hatte, wie in dem Moment, als Touko sich noch von ihren Eltern verabschiedete.

Damals. Gestern. Gestern. Sie waren einen Tag weg gewesen. Keine vier Jahre. Ihre Welt war genau so, wie sie sie zurückgelassen hatten.

Niemand von den Nakatanis signalisierte wirklich Freude bei dem Aufeinandertreffen. Touko war froh, so viel Abstand von ihren Eltern zu haben und hatte ihre Freiheit genossen. Sie hatte an sie gedacht, aber nie vermisst, wie alle anderen ihre Eltern auch nie vermisst haben. Sie nun zu sehen, wo man sie eigentlich schon aus seinem Leben gestrichen hatten war mehr wie nur beklemmend. In den Augen ihrer Eltern war sie im Moment jedoch nur eine ungehorsame Tochter, die sich offenkundig schämte bewusst etwas angestellt zu haben, dass viele Leute verschreckt hatte.

„Touko. Vater und ich sind hier“, rief ihre Mutter zu ihr. Die beiden waren auf die Kinder zugelaufen, aber auf halber Strecke stehen geblieben.

„Ja... Ich habe euch gesehen“, antwortete sie, aber klang so eingeschüchtert, wie Hisaki sie lange nicht mehr gehört hatte. „Hallo Mama. Hallo Papa.“

„Ist das alles was du zu sagen hast?“, schimpfte ihr Vater weiter. „Du bist uns nämlich einige Erklärungen schuldig.“

„Herr Nakatani, es war -“, fing Hisaki an, aber der scharfe Blick von Toukos Vater ließ ihn verstummen. Es war nicht gleichzusetzen mit dem flammenden Blick seines eigenen Vaters, aber sicherheitshalber sagte Hisaki nichts mehr.

„Schatz. Wir sollten das zu Hause klären. Hier schauen zu viele Leute zu“, flüsterte Toukos Mutter, während sie dabei ihren Mann an der Schulter berührte. Beide warfen die Köpfe zur Seite, Krankenschwestern wurden beim Starren ertappt und versuchten anschließend so zu tun, als würden sie irgendeine Arbeit verrichten. Den wenigen Polizisten, die noch hier waren und solange Aufpasser spielten, bis alle Kinder bei ihren Erziehungsberechtigten waren versuchten so zu wirken, als kümmerte es sie nicht.

„Du hast Recht. Touko, wir gehen nach Hause.“

Doch Touko hörte nicht. Sie atmete einmal schwer, aber tief und blieb sitzen, bemüht nicht eingeknickt zu wirken, sondern überzeugt. Kana legte noch ihren Arm um den von Touko, diese beruhigte sie aber mit einem etwas gezwungenen Lächeln.

Sie blieb weiter sitzen und dann schüttelte sie eifrig den Kopf. Ihr Vater riss erzürnt die Augen auf, ihre Mutter wurde bereits leicht rot vor Wut.

„Touko. Komm her.“

„Nein!“, rief sie. „Ich geh nicht, bis ich weiß, wie es Renta geht!“

„Touko, es reicht! Du hast schon genug Ärger bereitet. Das ganze Viertel hat euch gesucht!“

Toukos Finger krallten sich in den Stuhl, auf dem sie saß, ihr Körper blieb angespannt, selbst als ihr Vater kam und sie mit einem Ruck auf ihre Füße stellte. Er zog sie hinter sich her, aber Touko stemmte dagegen. Natsu, Hisaki, Kana und auch der noch leicht benommene Soichiro sprangen auf, um Touko irgendwie zu helfen (wenn auch keiner wusste wie), aber wieder brachte sie das wütenden Gesicht von Herr Nakatani dazu sich nicht zu rühren. Und keiner von ihnen verstand weshalb. Sie hatten vor Dämonen gestanden und gekämpft. Wieso schafften sie es bei ihren Eltern nicht?

„Wenn wir sagen, wir gehen, dann gehen wir jetzt auch! Siehst du nicht, wie die Leute dich anschauen? Du bist ein anständiges Kind, also benimm dich auch so und hör auf dich von diesen anderen Kindern immer in alles mit reinziehen zu lassen!“

„Ich kann das selbst entscheiden!“, brüllte sie und Touko schaffte es sich auf dem Griff ihres Vaters zu befreien. Sie stand mit erhobener Brust da, fast genauso gerade und steif wie ihr Vater, die sofort verriet dass er Marineoffizier war. Zitternd schluckte sie den Kloß, der sich in ihrem Hals bildete runter.

„Ich kann Entscheidungen auch alleine treffen und mir ist egal, was andere Leute dabei denken! Hört auf mir ständig einreden zu wollen, was ich zu denken habe!“

Man sah Touko an, dass sie kurz davor war einzuknicken. Denn das Wichtigste im ihrem Hause war Autorität und Loyalität. Doch wenn auch nicht körperlich war Touko vier Jahre geistig reifer geworden.

Hisaki, Soichiro, Kana und Natsu sahen zu und auch wenn sie keinen Laut von sich gaben, wusste Touko, dass die vier sie ermutigten weiter zu machen.

Ihre Eltern, besonders aber ihr Vater ärgerte sich viel mehr über die Meuterei, die ihr Kind da an den Tag legte.

„Lass diesen unverschämten Ton, Touko! Wir waren krank vor Sorge, kapierst du das nicht? Wir dachten du bist entführt worden und dann benimmst du dich so? Etwas Schlimmeres hättest du uns nicht antun können!“

„Aber das ist doch keine Absicht gewesen. Wir waren doch nur in der Digiwelt, aber wurden einfach so hineingezerrt. Wir wussten auch nicht, wie man wieder zurückkam und ich konnte nicht einfach gehen! Betamon brauchte mich doch! Ich will wieder zu Betamon!“

„Hör auf solche Lügen zu erzählen!“

„Das ist keine Lüge!“

Es war ihre Mutter, die den Streit beendete. Sie ging nur einen Schritt nach vorn, holte aus und schlug Touko mit der offenen Hand ins Gesicht. Die euphemistischen Gesichter der anderen vier verzerrten sich vor Entsetzen, ein paar Krankenschwestern schnappten überrascht nach Luft. Es war still und jeder in diesen Gang starrte auf Touko, die sich die rote Wange hielt und als könnte sie nicht glauben, was eben passiert war blickte sie mit weit aufgerissenen Augen zu Boden. Und dann, als Tränen aus ihren Augen kamen, zu ihren Eltern.

„Ich bin enttäuscht von dir, Touko. Ich bin davon ausgegangen, dass du ein liebes Mädchen wärst.“

„Aber ich lüge nicht, Papa. Bitte glaub mir. Betamon...“

„Es reicht. Wir wollen keine Lügen mehr von dir hören“, unterbrach ihre Mutter sie. Touko hielt sofort den Mund zu, presste ihn dabei so fest zusammen, dass man nur noch einen Strich sah.

„Komm jetzt. Wir haben genug. Zu Hause kannst du darüber nachdenken, was du getan hast.“

„Aber Mama...“

„Komm endlich, Touko!“, fuhr ihre Mutter wieder dazwischen. Sie schwieg sofort. Beinah weggetreten setzte Touko einen Schritt nach vorne, dann den nächsten, beobachtet von ihren Freunden.

„Touko!“, rief Hisaki ihr nach. Sie blieb stehen und Hisaki offenbarte sich ihr verheultes und schockiertes Gesicht. Sie sagte nichts. Noch einmal sah Touko zu ihren Eltern, die erbost darauf warteten, dass ihre Tochter sich wieder in Bewegung setzte. Hisaki wollte auf sie zu gehen, doch Touko schüttelte den Kopf.

Mit einem letzten Blick noch einmal zu Hisaki, den Zwillingen und Natsu kehrte sie ihnen beschämt den Rücken zu, um ihren Eltern zu folgen.

„Touko, bleib da!“, rief noch einmal Kana hinterher. Doch Touko lief gehorsam ihren Eltern nach. Kana stand ungläubig da, konnte kaum fassen, dass ausgerechnet Touko vor ihren Eltern einknickte.

Währenddessen schaute Hisaki sich um. Alle Erwachsenen die zugeschaut hatten, wie Touko von ihrer Mutter eine Ohrfeige bekam hatten sich abgewandt und taten, als wäre das eben gar nicht vorgefallen. Ein paar tuschelten, aber Hisaki konnte nicht genau hören was. Vielleicht tat ihnen Touko leid. Vielleicht hetzten sie über ihre Eltern. Oder aber schoben Touko selbst die Schuld zu. Egal was es war, für Hisaki zählte allein die Tatsache, dass sie nicht geholfen hatten. Sie hatten nur zugesehen, wie ein Mädchen, von dem die Ärzte glaubten, dass sie verwirrt sei und unter Schock stand geohrfeigt wurde.

„Da steckt ihr also!“, hallte eine Frauenstimme auf und diesmal waren es Kana und Soichiro, die aufschreckten. Soichiro aber verlor sofort wieder den Boden unter den Füßen und musste sich an Kana stützen. Die Sanitäter hatten ihn womöglich zu viel Beruhigungsmittel gegeben.

Fast noch eingeschüchterter wie Touko und noch bemitleidenswerter standen die beiden vor ihrer doch sehr jungen Mutter, die in ihren Kleidern fast noch jünger wirkte, wie sie eigentlich war.

„Mama...“, wimmerte Kana, ohne ihre Mutter anzuschauen.

„Unfassbar, meine eigenen Kinder, die ich versuche anständig zu erziehen machen einen solchen Ärger und bringen das ganze Viertel in Aufruhr! Wieso tut ihr das?! Wieso macht ihr mir unser ohnehin nicht einfaches Leben noch schwerer?“

„Das war doch keine Absicht, Mama.“

„Sei ruhig, Kana!“

Kana bibberte und aus Gewohnheit schmiegte sie sich näher an ihren Bruder, der die Berührung durch festes drücken erwiderte, soweit er aufgrund der Nebenwirkungen des Beruhigungsmittels in der Lage war.

„Mama, hör uns doch zu, es war keine Absicht! Wir sind einfach so in die Digiwelt geraten, wir haben damit nicht gerechnet“, versuchte Soichiro zu erklären. Er sprach leise, aber er bemühte sich um Deutlichkeit.

„Hätten wir das geahnt, hätten wir vorher Bescheid gegeben, wirklich!“

„Schluss, jetzt! Alle beide. Ich habe eure Ausreden und Versprechen satt. Ich habe euch erlaubt in der Schulband zu spielen, weil ihr versprochen habt euch zu benehmen und was tut ihr stattdessen?“

Kana bemühte sich um Widerworte, aber sie zitterte zu sehr um ihren Mund aufzumachen. Sie ließ ihre Hand nach hinten wandern, hoffend, da stünde irgendwo Floramon, die ihr die Hand gab, wenn Kana es nicht schaffte das zu sagen, was ihr auf der Zunge brannte. Doch Floramon war da nicht, genauso wenig wie ihr Mut.

Soichiro machte zumindest den Ansatz, dass er etwas sagen wollte, aber sein Mund fühle sich regelrecht fusselig an und er schaffte es daher gehend auch nicht, Worte und Gedanken zu ordnen. Aber seine Mutter erkannte allein die er schaute, dass er etwas trotziges von sich geben wollte und fiel beiden ins Worte, ehe sie die Chance hatten weiter unangenehm aufzufallen.

„Ich will von euren Fantasiewelten nichts mehr hören. Ihr habt Hausarrest!“, schimpfte sie mit den beiden und nahm Soichiro an die Hand. Kana hielt sich automatisch an ihm fest. Wie Touko sah auch sie zu Hisaki und Natsu noch zurück. Sie weinte, folgte aber stumm ihrer Mutter und ihrem Bruder. Hisaki konnte nur ungläubig den Kopf schütteln.

Aus dem Gang, in den die Familie Morikawa ging, kamen ihnen die Familie von Natsu entgegen. Sie machten Kanas und Soichiros Mutter und ihren beiden Kindern gleich auch Platz, als diese wütend vorbei stiefelte.

Natsus Mutter sah ihren Sohn als erste und auch als erste Mutter an dem Tag lief sie freudestrahlend und mit offenen Armen ihrem Sohn entgegen, blieb aber stehen, als sie bemerkte, dass Natsu keine große Wiedersehensfreude empfand. Genau wie Touko zuvor hielt er sich am Stuhl fest, sah aber nicht fort. Er sah eher aus, als wüsste er schlicht nicht, was er denken und machen sollte, als seine Mutter, sein Vater und seine fünf Jahre ältere Schwester vor ihm standen. Natsus Eltern waren nicht streng, doch war diese Elternliebe mehr eine Art Kontrollzwang und Bevormundung, statt Interesse dafür, dass ihr Sohn glücklich war. Dass erkannte man schon, wie abwertend sie die Morikawa Zwillinge und Hisaki anschauten, die sie nicht als Freunde ihres jüngsten Sprosses, sondern als Störfaktoren ansah.

„Natsu, mein Junge, ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist“, sagte seine Mutter wehleidig.

„Wo warst du nur? Wieso bist du nicht zur Musikprobe gegangen?“, fragte auch sein Vater. „Du bist doch immer so gewissenhaft. Haben dich deine Freunde dazu angestiftet?“

„Nein! Das haben sie nicht. Wir...“

Natsu ließ den Kopf hängen. Er versuchte nicht einmal sich zu erklären, geschweige den das Wort Digiwelt auszusprechen. Man hatte ja bei Touko und den Zwillingen gesehen, was es brachte.

„Frau Usui, es war wirklich keine Absicht. Wir sind alle zufällig da rein geraten. Wir wollten niemals jemanden Sorgen bereiten“, erklärte sich Hisaki, anstelle von Natsu. Die Usuis galten zwar allgemein als überaus freundlich, doch als sie Hisaki ansahen, zeigte sich ihre offensichtliche Missgunst. Natsus ältere Schwester schenkte Hisaki gar keine Beachtung. Aus ihrer Sicht war Natsu ein Unschuldslamm und die Welt um ihn herum abscheulich. Zumindest im letzten Punkt würde Hisaki ihnen kaum widersprechen.

„Natsu, komm jetzt bitte“, forderte Natsus Vater schließlich und ignorierte Hisaki nun ebenso.

„Ich will hierbleiben!“, schrie Natsu und klammerte sich noch fester an den Stuhl. „Ich bleibe, bis ich weiß wie es Renta geht! Ich bin doch sein Freund!“

„Renta ist viel zu alt für dich um dein Freund zu sein“, sagte seine Schwester schließlich.

„Na und, Alter spielt in einer Freundschaft keine Rolle, sondern Vertrauen! Ich muss bleiben!“

„Natsu bitte.“

Seine Mutter ging einen Schritt nach vorne und hob ihr Gesicht, damit nicht nur ihr Sohn, sondern jeder sah, wie nah sie den Tränen war und ihre Lippen zitterten.

„Wir haben uns schon genug Gedanken machen müssen. Wir dachten, du bist entführt worden. Wir waren krank vor Sorge und jetzt willst du nicht mehr zu uns kommen? Haben wir etwa so viel falsch gemacht? Hasst du uns etwa, Natsu? Wieso tust du uns das an?“

„Nein, ich hasse euch nicht!“

In dem Moment, als Natsu das Lächeln im Gesicht seiner Mutter sah, wusste er, dass es keine Freude zeigte, sondern Triumph. Sie hatte ihren Sohn da, wo sie ihn wollte und er wusste es. Schulter sackten ein, die Hände ließen den Stuhl los und schweigend steuerte Natsu auf seine Familie zu, wurde aber noch einmal von Hisaki zurückgehalten.

„Natsu, merkst du nicht, dass sie dich mit ihren Gefühlen erpressen?“, flüsterte er im scharfen Ton.

„Das weiß ich doch.“

„Warum gehst du dann?“

„Was soll ich deiner Meinung nach hin? Zu Candlemon? Zu Tante Rhody und Onkel Remus? Sag, wohin?“

Natsus Zittern war so stark, dass dieses auf Hisaki überging.

„Wir sind wieder zu Hause, Hisaki. Und zu Hause sind wir nur Kinder.“

Hisaki sagte nichts mehr. Er sah Natsu nur an, stand da wie ein von Scheinwerfern geblendetes Reh und konnte genauso wenig wie dieses sich kaum rühren. Selbst als er Natsus Hand aus seiner glitt, blieben sie in der Luft, verkrampft und doch zitternd wie Äste im Wind. Die Hand, die noch von Hisaki gehalten worden war, streckte er nun seiner Mutter entgegen, die ihr jüngstes Kind in die Arme nahm, die große Schwester daneben, die erleichtert aufatmete. Natsu drehte sich nicht um, als er fortging. Selbst wenn, hätte er nicht zurückblicken können, da Herr Usui direkt hinter ihm lief, eine Blockade für Natsus Wunsch, wieder zurückgehen zu können. Zu seinen Freunden, die seine Eltern nicht mochten, da sie dachten wegen ihnen würde Natsu zu einem verkommenen Individuum werden.

Hisaki war wütend, enttäuscht, aber Vorwürfe konnte er seinen Freunden nicht machen. Sie konnten nicht viel für, dass sie den Druck, den ihre Eltern auf sie ausübten nicht standhalten konnten. Sie waren eben alle nur Kinder. Anders wie in der Digiwelt.

In der Digiwelt waren sie Digiritter. Soldaten. Und für einen kurzen Moment Helden. Aber nicht in der Realen Welt. Hier waren Kinder nichts wert und die Digiwelt nur eine Traumwelt. Vielleicht, so dachte Hisaki sich, war es das auch. Vielleicht war dies alles wirklich nur ein Traum.

„Hisaki!“

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Hisaki drehte sich nicht um, er wusste, dass es sein Vater war. Er traute sich auch nicht mehr über die Schultern zu schauen, als er das Klackern der Schuhe hörte, das auf dem glatten Kachelboden ertönte, während sein Vater auf ihn zulief. Direkt neben ihm blieb er stehen und nach viel Überwindung schaute Hisaki zu seinem Vater – seinem vermeidlichen Vater – hoch.

Seine Augen mochte Hisaki nicht. Immer, wenn sich die beiden so lange in die Augen sahen, begann Hisaki darin zu sehen, wie er ihm Vorwürfe machte.

„Wir gehen. Und zwar auf der Stelle, hast du gehört?“

„Ja, Vater...“, sagte Hisaki, aber es war mehr ein schweres Seufzen. Er fühlte sich erdrückt unter den Blicken seines Vaters und wahrscheinlicher war, dass es genau diese Blicke waren, die Hisaki dazu brachten sie in Bewegung zu setzen, statt er selbst. Seine Mutter stand vor der Türe, die wieder in den Eingangsbereich führte. Sie schüttelte nur den Kopf, dann folgte sie ihrem Mann und ihrem Sohn.

„Mutter...“

„Sei still jetzt, Hisaki“, zischte sie, während sie hintereinander herliefen. „Wir haben bereits an das Schlimmste gedacht, dabei haben du und deine Freunde einfach geschwänzt und im botanischen Garten gecampt.“

Hisaki widersprach nicht. Weiter darauf zu beharren, dass er in der Digiwelt war kam ihm sinnlos vor. Er war sich auch gar nicht mehr so sicher, ob es die Digiwelt wirklich gegeben hatte. Wenn er darüber nachdachte, kam Hisaki dass alles einfach absolut surreal vor. Eine Welt in einem Computer? Tierähnliche Gestalten, die zu Engeln oder Monstern wurden? Ein Krieg unter Fantasiewesen? Wer, außer ein Kind, dass von der Realität flüchten wollte dachte sich das aus? Oder glaubte daran? Aber -

(Kouta!)

Wo war er dann? Der Polizist hatte sie gefragt, aber niemand kam dazu sich zu äußern. Kouta war nicht hier. Seine Asche war in der Digiwelt. Oder nicht? Wenn es die Digiwelt nicht gab, wo war Kouta? Was war mit seinem Leichnam geschehen? War er überhaupt tot, wenn die Digiwelt doch nicht echt war?

Gedankenverloren blieb Hisaki stehen, seine Mutter aber zögerte nicht und nahm ihren Sohn an die Hand. Keine Spur von Zärtlichkeit, sie packte ihn und zerrte ihn wie einen Hund an der Leine. Allein wäre er nicht fähig gewesen sich zu rühren. Mit jeder Frage und jeder Ungereimtheit tat sein Magen weh, Schmerzen wie spitze Steine im Inneren.

Im Empfangsbereich kamen sie auch an den Leuten vorbei, die auf einem der Stühle saßen, die in langen Reihen nebeneinander platziert warten. Einige lasen Zeitung, manche starrten nervös auf ihre Uhr oder an der an der Wand. Ein Kalender hing daneben, die einzelnen Zahlen und Wochentage waren Kärtchen, die man abhängen und auswechseln konnte. Es war Donnerstag. 2. August 1979.

Hisaki schüttelte ungläubig den Kopf. Niemand sah es.

Hisakis Vater blieb sofort stehen, kaum dass sich die Eingangstür geöffnet hatte, seine Mutter kurz darauf auch. Ein übermüdeter Mann stand vor ihnen, er war außer Atem, Schweißperlen hingen an der Stirn. Als Hisaki ihn sah, wünschte er sich, er könnte sich auflösen.

„Herr Amano“, schnaufte er. „Ist Kouta hier? Ich hörte, man hat die Kinder gefunden, aber die Polizei hat sich bei mir nicht gemeldet.“

„Tut mir Leid, Herr Ichijouji“, sagte Hisakis Vater. „Aber ihren Sohn haben wir nicht gesehen. Es war nur noch Hisaki hier.“

„A-Aber er muss doch da sein. Man hat uns gesagt die Kinder waren zu siebt unterwegs. Kouta war bei ihnen! Wo ist mein Sohn?“

„Wie ich bereits sagte, wir wissen es nicht. Man hat uns nicht über alles aufgeklärt.“

Herr Ichijoujis Gesicht, dass ohnehin schon durch die Nachricht seines verschwundenen Sohnes klamm geworden war, wurde noch farbloser. Im selben Moment entwickelte Hisaki Mitleid. Herr Ichijouji war ein lieber Mensch, der sich so sehr um seine Söhne bemühte. Kouta hatte sich deswegen immer Sorgen um ihn gemacht. Und ausgerechnet er wurde so gestraft.

Hisakis betrübete Miene wurde von Herr Ichijouji bemerkt. Als Hisaki das bewusst wurde, drehte er den Kopf weg, aber es war zu spät.

„Hisaki. Wo ist Kouta? Er war doch bei euch. Du musst doch wissen, wo er ist. Bitte sag es mir! Kouta muss doch nach Hause kommen.“

Hisaki sagte nichts, oder schaute irgendeinen der drei Erwachsenen an, wenn auch seine Eltern darauf warteten, ob er etwas zu sagen hatte. Es wäre viel gewesen, aber unglaubwürdig. Es glaubte ihnen keiner. Und weiter darauf beharren, dass die Digiwelt wirklich existierte? Dass Kouta dort gestorben war, wo Hisaki selbst kaum mehr sicher war, ob die Digimon, die Typus-Apartheid und ihr Kampf wirklich war oder ob er nur geträumt hatte. Vielleicht war sogar diese Situation gerade nur ein Traum.

„Hisaki, bitte, sag mir wo Kouta ist. Gib mir eine Antwort!“

„Es reicht jetzt“, brummte Hisakis Vater und stellte sich dabei vor seine Frau und seinen Sohn. „Ich verstehe Ihren Kummer, aber die Kinder sind erst gefunden worden und man vermutet, dass sie alle noch unter Schock stehen. Hisaki muss nach Hause um sich wieder erholen zu können. Wenn sie ihn weiterhin bedrängen, bringt das Ihren Sohn auch nicht schneller hierher.“

Herr Ichijoujis Widerworte erstickten, ohne dass er überhaupt Luft holen konnte. Nicht die Worte, sondern der Blick seines Vaters entschied diese Diskussion letztendlich für sich. Dann ging er weiter, vorbei an diesen Mann, der geknickt zu Boden starrte und die Welt nicht mehr verstand. Er tat Hisaki nur noch mehr Leid und gerade, als er etwas Mut aufbringen konnte, etwas zu sagen, zerrte seine Mutter wieder an ihm. Sie ging alle drei an Herr Ichijouji vorbei. Auch an dessen Auto, das nicht weit entfernt vom Schauplatz dieser Szene stand. Im Inneren saß Kouta kleiner Bruder, die Augen glasig vor Müdigkeit. Und Trauer. Kurz streifte sein Blick den von Hisaki. Er sah weg, folgte schweigend seinen Eltern, versuchte das Weinen von Herr Ichijouji zu überhören. Und als Hisaki klar wurde was er da tat fühlte er sich noch schlechter.

Aber es würde ihm niemand glauben. Niemand glaubte ihm oder seinen Freunden. Er glaubte es nicht einmal mehr selbst.

Auf dem Parkplatz des Krankenhauses war kaum etwas los und Hisaki war froh darum. Seine Mutter öffnete ihm noch die Hintertür und schnell sprang er hinein, ehe noch mehr Passanten kamen. Diese hörte er noch schimpfen, versuchte aber durch schier endlose Gedankengänge sich abzulenken, nichts sehen zu müssen, nichts hören zu müssen um seinen Verstand nicht noch weiter zu überfordern.

Der Wagen fuhr los, aber er spürte es nicht. Seine Eltern sagten etwas, aber er achtete darauf nicht. Hisaki sah sich nur den hellblauen, fast wolkenlosen Himmel an. Als er

(wann wann wann war das vor einem Tag vor vier Jahren )

mit seinen Freunden aus dem Haus ging, war der Tag genauso gewesen. Die Welt hatte sich hier nicht geändert. Sie war wie stehengeblieben.

Vier Jahre Wunderland waren in der Realen Welt nichts wert. Wenn es kein Traum war. Wenn, und der Zweifel starb in der Sekunde, als Hisaki das Digivice berührte, dass an seiner Hose hing, wegriss und es sich ansah. Dieses Ding, das mal ein Spielzeug war. Aus dem Tsukaimon kam.

Das Wappen. Hisaki fuhr mit seiner Hand über die Brust und spürte das Amulett unter seinem T-Shirt. Es war da. Es war echt. Also war es kein Traum, er und die anderen waren vier Jahre in der Digiwelt, die Digiwelt war echt und sie waren im Krieg und Kouta ist gestorben, genau vor ihnen allen und Tante Rhody und Onkel Remus und die Hohen Digimon und die Dämonenkönige und Apokalymon und und

„Tsukaimon...“

Seine Eltern hatten Hisaki murmeln gehört, aber sagten nichts. Dabei würde sie diesen Namen in den nächsten Tagen noch sehr oft hören. Mit jedem Tag auch, an dem die Polizei kam und versuchte ihn zu verhören oder Reporter von der Presse kamen, wurde es schlimmer und schlimmer. Obgleich Hisaki wusste, dass all das in der Digiwelt wirklich passiert war – niemand würde es glauben. Und es tat auch keiner. Weder Eltern, noch Lehrer, noch Polizisten oder die Psychologen, zu denen er und die Anderen geschleppt wurden.

Von den Tag an zerbrach weit mehr wie der Glaube ans Wunderland. Renta konnte nicht mehr laufen und blieb für den Rest seines Lebens im Rollstuhl. Mit Touko konnte Hisaki kaum reden, sie wurde sogar Monate danach von ihren Eltern überwacht und kontrolliert. Der Kontakt mit Natsu und den Zwillingen schleifte dahin und irgendwann grüßte man sich auch nicht mal mehr, wenn sich ihr Weg traf. Zu groß war die Unsicherheit, die Angst wieder aufzufallen und wie ein Geisteskranker von Arzt zu Therapeut geschleift zu werden. Noch mehr Ärger zu Hause zu bekommen.

Das Orchester, dass die Digiwelt mit ihren Gefühlen in ihrer Musik rettete löste sich auf. Dieser bestimmte Klang in Hisakis Klavierspiel verkümmerte. Es war einfach nur Geklimper.

Was ihm blieb war Tsukaimon. Nur Tsukaimon konnte er nicht vergessen oder aufgeben. In seiner Traumwelt traf er seinen Partner, mal traurig, mal fröhlich, mal zusammen schlafend unter einem Baum liegend. Aber immer bat Tsukaimon ihn darum wiederzukommen. Und nichts wollte Hisaki mehr wie das.

Weg von der Realen Welt, die doch so falsch und unehrlich war.

Zurück ins Wunderland.

Zu Tsukaimon.

Zu seinem besten Freund.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Warp-Digitationen an sich sind alle nicht Canon

- PriestAngemon/MagnaAngemon (Priest Mode) zu Dominimon ist canon (auch Dominimon existiert nur im V-Tamer Manga). Funfact, MagnaAngemon/PriestAngemon zu VenomMyotismon ist auch canon.

- Lilamon zu Ceresmon ist nicht canon. Da Ceresmon und Lilamon aber ähnliche Fähigkeiten haben, Lilamon auf einer Blume basiert und Ceres die Frühlingsgöttin ist (und Kanas Musikstück ist ja auch der Frühling), macht es eigentlich Sinn. Funfact, Lilamon zu Puppetmon ist canon.

- Megadramon zu Goldramon ist canon (auch zu Machinedramon)

- Mystimon zu AncientWisemon ist nicht canon, allerdings sind beide Magier und ich wollte auf dieser Magie-Schiene für Candlemon bleiben (ein Krieger hätte zu Natsu einfach nicht gepasst und Devimon handelt auch eher nach Köpfchen, als mit Stärke). Einmal um auch näher bei dieser Hobbit-Thematik zu bleiben und weil ich mir als Mega-Level für Devimon Murmuxmon vorstelle (wäre über Phelesmon, SkullSatamon oder Mummymon sogar canon. Ich würde Phelesmon bevorzugen). Darum auch die Anspielung mit dem Hexenkönig und Thorins Drachenfieber.

- MegaSeadramon zu Plesiomon ist canon (zu MetalSeadramon natürlich auch)

- Makuramon zu Gankoomon ist nicht Canon. Ein affenähnliches Mega-Digimon gab es nicht. Gankoomon hat aber einen ähnlich rein physischen Kampfstil wie Etemon und hat wie er ebenso ein großzügiges Ego. Und schließlich verkörpert er ja Krabats etwas dümmlichen, aber talentierten und hilfsbereiten Freund. Makuramon zu MetalEtemon ist auch nicht canon. Aber zu Piedmon. Muss ich nicht verstehen.

- Terriermon und Lopmon können über DNA-Digitation zu Cherubimon werden

- Dragomon kann im canon zu zwei Dämonenkönigen digitieren, entweder zu Leviamon oder zu Deemon.

- Shakkoumon ist als einziger nicht auf dem Mega-Level da ja das offizielle Mega-Level von Armadillomon eigentlich Vikemon ist. Das ist aber auch das von Gomamon. Doppelt konnte ich nicht nehmen. Passend, wenn man mich fragt wäre etwas wie ClavisAngemon oder SlashAngemon gewesen, jedoch sind das auch Engel-Digimon auf dem Mega-Level und... na ja, das hatte etwas merkwürdiges, da ja Seraphimon, Ophanimon und Cherubimon als Engel-Digimon auf dem Mega-Level eigentlich einen sehr besonderen Status haben und der wird dadurch, dass sie die Einzigen sind nochmal betont. Die restlichen Optionen, zumindest laut canon waren so.... na ja.

- Alice sagt in ihrem Text im Original als sie ins Kaninchenloch fällt eigentlich "am Mittelpunkt der Erde".

- der Befehl 14F13 ist direkt an Aktion 14f13 angelehnt, der offizielle Befehl der Nazis KZ-Häftlinge, die alt, krank und arbeitsunfähig waren zu töten aka. Häftlings-Euthanasie

- einige Quellen sagen über Apokalymon, dass er aus den negativen Gefühlen von Digimon UND Menschen entstehen kann. Das mit dem Halt and Catch Fire machte auf mich sofern Sinn, dass es über diesen Befehl heißt, dass der Computer rasend schnell rechnet und dann eben "abbrennt". So habe ich mir zumindest diese Zeitverschiebung in der Digiwelt erklärt und warum nach Apokalymons endgültiger Vernichtung Digiwelt und Reale Welt wieder synchron liefen.
Auch hier hat meine alte Bekannte Mondschatten wieder ein paar Gedanken und Infos zu Apokalymon geäußert.

- einige Attacken von Dominimon und Gankoomon hatten keine richtige deutsche Übersetzung, zumindest keine gescheite. Komplett anzeigen

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