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Wintersonett

Which dreamed it?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
[UPDATE 11.11.19] Ein Abschnitt, ♭ bis 𝅘𝅥𝅯 ist neu.
(Der Abschnitt sollte eigentlich im letzten Kapitel stehen, dass ich am 16. hochladen will, wirkte aber nun im Nachhinein so deplatziert. Fragt mich nicht was ich mir bei dem Placing gedacht habe. Vermutlich nichts. Und da die Stelle für Hisakis Charakter eigentlich schon wichtig ist, wollte ich das nicht später einfügen, wenn ich noch ein paar Zusatzinhalte hochlade, sondern mach's jetzt.) Komplett anzeigen

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Konzert X - LOOKING GLASSES, 2. Satz, Moderato molto fortepiano Hes-Moll


 

𝄢
 

Hisaki saß nicht das erste Mal auf einer Polizeistation, allerdings das erste Mal seit seinem vierzehnten Geburtstag. Sonst war er ja immer gut darin sich nicht schnappen zu lassen. Bei seinem ersten Mal verweigerte er jede Aussage (er hatte was mitgehen lassen), wurde ausfallend und anschließend brachte man ihn nach Hause, wo er Hausarrest bekam. Nun aber versuchte er den Beamten lang und breit zu erklären, was genau geschehen war und dass er gewiss nichts klauen wollte. Irgendwas an ihm erschien glaubwürdig genug und man unterstellte ihm zumindest keinen Diebstahl, jedoch blieb es Hausfriedensbruch. Nach seinen Freunden fragte man ihn. Doch Hisaki wollte Touko, Natsu, Kana und Renta da nicht mit reinziehen. Auch seine Kumpanen verpfiff er nicht, dass verstieß nun einmal gegen seinen eigenen Codex. Er blieb dabei, dass er nur die alte Musikklasse besuchen wollte, weil sein Freund, der mit ihm in dieser Gruppe war verstorben war, erwähnte Soichiro auch dabei. Da Hisaki zwar aktenbekannt, sich aber wesentlich kooperativer zeigte wie beim letzten Mal und es keinen Schaden gab, blieb es bei einer Verwarnung.

Diesmal wurde er auch nicht nach Hause gefahren, sondern sein Vater holte ihn ab. Darauf bestanden die Polizisten, weil er nun mal minderjährig war. Hisaki war nicht erfreut, aber um weiteren Ärger zu vermeiden wartete er brav, bis er wie ein kleines Kind abgeholt wurde. Es dauerte eine Dreiviertelstunde, bis sein Vater kam um ihn mitzunehmen und schon als er die Polizeistation betrat, breitete sich seine drückende Aura aus. Den anwesenden Beamten wurde selbst mulmig bei dem Anblick von Masato Amano, einem großen Mann mit breiten Schultern, allerdings einer stabileren Statur als sein Sohn, dunklen Haaren und einem ebenso dunklen, dichten Vollbart. Sein Blick machte Angst, nur Hisaki schenkte ihm keine Beachtung. Sein Vater sprach noch mit den Beamten, er glaubte auch gesehen zu haben, dass er ein Formular ausfüllen musste, dann befahl er mit einem Kopfnicken, dass Hisaki mitkommen sollte. Sie sagten nichts, die ganze Autofahrt über nicht, auch zu Hause nicht. Seine Mutter war noch wach und erwartete sie im Morgenmantel vor der Türe, aber mehr wie eine nüchterne Begrüßung bekam sie von ihrem Sohn nicht.

„Geh auf dein Zimmer. Und Morgen bringe ich dich zur Schule und hole dich wieder ab. Verstanden?“, rief sein Vater ihm noch hinterher, Hisaki winkte nur ab. Wenn er meinte...

Das Haus der Amanos war zwar groß und lag in einem ruhigen Teil von Shinagawa, dafür wirkte es seiner Meinung nach immer sehr steril und hätte seine Mutter keine Vorliebe für Sukkulenten und Schnickschnack aus dem Ausland, wäre es noch kühler (Vater war früher oft mit verschiedenen Orchestergruppen im Ausland und er brachte immer etwas mit, meist handgearbeitete Figuren oder Teeservice aus Porzellan oder Holz). Sein Vater hingegen mochte klassische Kunst. Das Bild der Garten der Lüste war nicht zu übersehen, wenn man das Haus betrat. Das Bild der musikalischen Hölle bereitete Hisaki jedes Mal wieder Bauchschmerzen.

Hisaki war so selten zu Hause, dass ihm sein eigenes Zimmer fremd vorkam. Auf einem kleinen Röhrfernseher, an dem sein NES angeschlossen war sammelte sich Staub und sein Regal war voll mit Büchern, aber er konnte nicht mehr sagen, welche Werke er in seiner Sammlung aufbewahrte. Sein Bett und sein Schreibtisch waren auch nur ordentlich, weil kaum jemand daran arbeitete oder in diesem schlief.

Schnaufend ließ Hisaki sich auf besagtes Bett fallen, mit dem Rücken zur Tür gekehrt und den Blick auf die Wand gerichtet, an der ein Gemälde von James Ensor hing, das zeigte wie groteske Tiere Musikinstrumente spielten. Auf einer Ecke saß eine Gummifledermaus, die Hisaki mal auf der Straße fand.

Vor ihm hing eine Pinnwand mit zwei Fotos. Eines war mit ihm und Kouta, das andere mit allen sieben Kindern ihres kleinen Orchesters, gemacht wenige Tage vor dem 1. August '79. Ein paar Notenblätter fingen dort ebenfalls (eines trug die Überschrift A. VIVALDI „VIER JAHRESZEITEN – WINTER“, 1. SATZ, ALLEGRO NON MOLTO) und zwischen einer Postkarte von seinen Großeltern, die in Hokkaido lebten und einem Flyer des Philharmonieorchester Tokio (sein Vater hatte schon mit Orchestergruppen auf verschiedenen Konzerten gespielt, ob mit dieser Gruppe aber wusste Hisaki nicht) hing sein Amulett mit dem Wappen an einem Pin. Anders wie sein Digivice, dass Hisaki immer bei sich trug. Die Farbe seines Wappens schien mit jedem verstrichenem Jahr blasser zu werden. Könnte aber auch eine Täuschung sein. Und wenn schon?

„Gerechtigkeit... So viel dazu“, murmelte Hisaki in sich hinein. Während er sein Wappen ansah, schlief Hisaki zwar ein, sein Schlaf war jedoch kurz und nicht sehr tief. Die Schritte seines Vaters von unten weckten ihn. Ehe sein Vater an seiner Tür klopfte, um zu prüfen ob Hisaki wach sei, saß dieser schon in seiner Schuluniform an seinem Schreibtisch und drehte gelangweilt den Globus auf dem Schreibtisch.

Sein Vater machte seine Drohung tatsächlich wahr. Er fuhr Hisaki schnurstracks zur Schule und würde ihn auch wieder abholen und er sollte nicht auf die Idee kommen abzuhauen. Er hatte es nicht vor. Er hatte bereits genug Ärger und mit Vaters Drohung war nicht zu spaßen. Bereits zu Beginn der letzten Stunde des Tages (Mathematik) sah Hisaki den Wagen auf dem Parkplatz stehen und fast fühlte er sich geehrt, dass sein Vater vermutlich wichtige Termine verschob, nur um ein Auge auf seinen pubertären Sohn zu werfen. Seine Mitschüler tuschelten, als sie sahen wie er brav zu seinem Vater ins Auto stieg. Sein Vater versuchte sich an Smalltalk. Hisaki sprang nicht darauf an, was seinen Vater nicht sehr störte. Schließlich war er auch nicht der Typ, der gern plauschte.

Fast noch überraschender, dass sein Vater sich hat freinehmen lassen war, dass auch seine Mutter zu Hause war. Sie stand, wie am Abend davor sehnsüchtig vor der Türe. Hisaki erwiderte diese Sehnsucht aber genauso wenig wie die Male davor schon. Es blieb bei einem schlichten Hallo und er versuchte an seiner Mutter vorbei wieder in sein Zimmer zu stürmen, doch diesmal hielt ihn sein Vater zurück.

„Du bleibst hier. Das gestern war nur eine Schonfrist, aber denke nicht, dass du uns einfach so davon kommst. Du bist uns ein paar Erklärungen schuldig.“

Die Hand seines Vaters fühlte sich schwer auf seinen Schultern an. Man hörte Hisaki leise knurren, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Besser er brachte es hinter sich, als die Standpauke weiter hinauszuzögern.

Seine Eltern setzten sich an den Esstisch und seine Mutter deutete auf den Stuhl neben ihr, damit Hisaki sich auch zu ihnen setzte, doch er sprang nicht darauf an, sondern blieb stehen. Von der Unhöflichkeit gekränkt räusperte sich seine Mutter, aber Hisaki ignorierte es.

„Lass ihn, Mio“, brummte sein Vater. „Wenn er glaubt weiter so stur sein zu müssen und ständig Schwierigkeiten zu machen.“

„Wenn das eine Anspielung auf gestern war, dann verzeih es mir, Vater. Ich bin normalerweise besser darin, mich nicht schnappen zu lassen.“

„Wieso bist du in der Schule eingebrochen?“

„Wir sind nicht eingebrochen – nicht in dem Sinne.“

Wir?“, wiederholte seine Mutter und runzelte dabei die Stirn, was sie immer älter aussehen ließ, wie sie war. Dabei wirkte sie, gerade durch den schwarzen, glatten Bopp-Schnitt, den langen Wimpern und den hellroten Lippen auf andere immer recht jung.

„Ich und... Touko. Natsu und Renta. Kana hat ihren Bruder verloren, wir konnten sie doch nicht alleine lassen.“

„Sind das nicht deine Freunde von... damals?“

„Ist das so wichtig?“

„Sehr wichtig“, mischte sich wieder sein Vater ein. „Wenn ihr auf einen Fleck seit bereitet ihr stets nur Schwierigkeiten. Ich war froh, als du den Kontakt zu ihnen abgebrochen hast.“

„Als ob wir das freiwillig hätten.“

„Wie bitte?“

Sein Vater beugte sich etwas nach vorn und verengte die Augen. Seine Stimme klang zwar freundlich, aber Masato Amano selbst zeigte keine Spur von Freundlichkeit. Auch Hisaki stand gelassen da, aber auch er begann innerlich, wie sein Vater bereits zu kochen. Biologisch mochten sie wirklich nicht Vater und Sohn sein, doch in so vielen Dingen waren sie sich ähnlicher wie ihnen lieb war.

„Würdest du das noch einmal wiederholen?“

„Ich sagte, dass es nun mal nicht so einfach ist befreundet zu bleiben, wenn man nicht nur umziehen muss, sondern auch ständig zwischen Polizisten und Psychologen pendelt.“

„Sei froh, dass ich das in die Wege geleitet habe. Denkst du, für mich und deine Mutter war es leicht ständig von Reportern abgefangen und belästigt zu werden?“

„Also gibst du mir wieder die Schuld?“

Diesmal ließ sich sein Vater dazu provozieren aufzustehen und einen Schritt auf Hisaki zuzugehen. Die beiden hochgewachsenen Männer standen sich fast Brust an Brust, wobei Hisakis Vater die deutlich bedrohlichere Gestalt abgab.

„Rede nicht wieder solch Unsinn daher, Junge. Ich gebe dir nicht immer die Schuld, doch meist bist du eben derjenige, der Ärger bereitet.“

„Wann war ich denn in deiner Welt nicht die Ursache aller Probleme? Ist eben leichter einem Kind alles aufzubürden. Ansonsten müsste man sich ja mit sich selbst beschäftigen.“

„Hisaki, bitte!“, rief nun seine Mutter und stand auch auf, um sich zwischen die beiden zu stellen. „Nicht hier und nicht jetzt. Ich weiß, auf was du hinaus willst und ich bin es Leid mich ständig um dieses Thema zu drehen. Kannst du es nicht endlich ruhen lassen?“

„Sag es ihm“, baffte Hisaki und warf seinem Vater wieder scharfe und feindselige Blicke zu. „Er macht mir doch Vorwürfe.“

„Ja, für dein Benehmen. Du bist nicht so unschuldig, die du dich immer präsentierst, Hisaki. Dein ständiger Trotz hat es uns nie leicht mit dir gemacht und seit du diese Freunde hattest, bis du noch dickköpfiger geworden. Alles dreht sich nur um deine kleine Welt, deswegen hast du dich auch nie irgendwo integrieren können.“

„Was beschwerst du dich, du hast es doch begrüßt.“

Hisakis Mutter drängt sich weiter zwischen sie, als Hisaki die Stimme hob. Diesmal schob sie ihren Sohn sogar zurück.

„Dich interessieren andere genauso wenig und du klammerst nicht nur dich aus, sondern ziehst uns mit rein. Ich bin mir nur nicht sicher, ob du es tust, weil du Angst hast oder weil du dich für uns schämst.“

„Oh, glaub mir Junge, wenn es wirklich Scham wäre, würde ich anders handeln.“

„Also gibst du zu Angst zu haben? Das Mutter wieder zu einem anderen Kerl rennt und sich von ihm schwängern lässt?“

„Hisaki, hör jetzt auf!“, schrie seine Mutter diesmal und packte Hisaki dabei an den Schultern. „Es mag so sein, aber dein Vater und ich haben dich großgezogen. Es ist doch egal, wer dein biologischer Vater ist, wir drei sind doch eine Familie.“

„Das hier nennst du Familie? Wir waren nie eine Familie, Mutter. Weder biologisch, noch auf sonst irgendeine Weise.“

„Du hast dich auch nie bemüht, ein guter Sohn zu sein!“

„Masato, hör du auch auf! Du bist mir keine Hilfe!“

Überrascht von seiner Ehefrau so angefahren zu werden, schwang Hisakis Vater zwischen Unglauben und lautstark dagegen zu gehen. Stattdessen schwieg er erzürnt und beließ es seiner Frau Mio, weiter auf ihren Sohn einzureden.

„Hisaki, versuch doch auch einmal uns zu verstehen. Wir haben versucht das Beste daraus zu machen. Die Leute haben getuschelt, aber egal was sie gesagt haben, du warst immer unser Kind. Denkst du etwa, ich wollte, dass wir uns so anfeinden? Du benimmst dich mir gegenüber auch nicht fair. Ich war damals jung und wurde auf Drängen meiner Eltern verheiratet, ohne gefragt worden zu sein. Ich war nach meiner Heirat frei... aber auch dumm und leichtsinnig und du stellst mich hin, als hätte ich das alles mit Absicht getan, nur um dich und deinen Vater zu quälen!“

„Wenn es so schrecklich für dich ist, warum hast du mich dann überhaupt in die Welt gesetzt?! Ich habe dich nicht darum gebeten, geboren zu werden!

Hisaki sah nur noch, wie die Tränen in die Augen seiner Mutter schossen, dann traf ihn die Hand seines Vaters ins Gesicht. Sein Kopf drehte sich zur Seite und Hisaki verlor beinahe den Halt, konnte sich aber noch an einer Wand abstützen. Für einen Moment fühlte sich seine Wange taub, dann heiß an.

„Mich kannst du beschimpfen und anschreien, so viel du willst. Aber wage es nie wieder so mit deiner Mutter zu reden“, sagte sein Vater drohend und mit knirschenden Zähnen. Hisakis Mutter stand hinter ihm, die Hände vor dem Mund, mit weit aufgerissenen Augen und nicht glauben wollend, was sie eben noch zu hören und zu sehen bekam. Hisaki nahm wieder eine gerade Körperhaltung an. Die dunklen Augen seines vermeidlichen Vaters sahen in seine hellblauen, beide Blicke voller Feindseligkeit. Blicke, die sie sich die letzten siebzehn Jahre immer wieder zuwarfen und sich seit dem Wunderland-Fall häuften.

„Nimm deine Sachen und geh. Wenn wir für dich keine Familie sind, brauchst du ja auch nicht hier zubleiben“, schnaubte seine Vater. Emotionslos stand Hisaki da, dann jedoch drehte er sich um und ging in sein Zimmer. In Windeseile zog er eine große Sporttasche aus seinem Schrank und warf mehr oder minder willkürlich Sachen hinein. Er wusste nicht, ob er das, was er einpackte wirklich brauchte und wusste letzten Endes nicht einmal, was ein eingepackt hatte. Nur dass er sein Wappen in den Mantel zu seinem Digivice steckte, nachdem er sich diesen überzog.

Und so schnell wie er in sein Zimmer gestürmt war, ging Hisaki an seinen Eltern vorbei. Masato Amano wirkte weiter emotionslos, war aber zu einem geringen Maß überrascht, dass Hisaki wirklich gehen wollte. Doch er würden ihn nicht aufhalten. Sollte dieser störrische Junge.

Mio Amano hingegen wollte ihren Sohn nicht einfach so gehen lassen. Ihre Rufe klangen mehr nach einem Wimmern, die aber Hisaki genauso ignorierte. Ohne zurück zusehen zog er seine Schuhe an und verließ das Haus. Wie seine Mutter zu weinen anfing sah er nicht, auch nicht, wie sein Vater sie zurückhielt und etwas tat, was wirklich selten war – er nahm seine Ehefrau tröstend in die Arme.

Der Wind war stark und alles sah nach Regen aus. Mit seiner Tasche lief Hisaki die Straßen hinab, ohne zu wissen wohin er gehen sollte. Er wollte nur weg. Weg von zu Hause, weg von irgendwelchen Menschen von denen er nichts wissen wollte. Die interessierten ihn nicht. Ihn interessierte die ganze verfluchte Stadt, ach was, diese ganze verdammte Welt nicht und gab auch nichts darauf, dass einige Passanten auf der Straße oder Personen, die mit ihm im Bus standen argwöhnisch beäugten. Hisaki spürte es, würdigte aber niemanden eines Blickes. Sein Kopf blieb gesenkt und seine Gedanken einzig dabei zu gehen und zu gehen zu gehen weg gehen einfach weg weg weg weg -

Irgendwann wurde die Leute um ihn herum weniger. Der Pfad, auf dem er entlang lief lag neben einem Fluss und war verlassen. Hisaki registrierte einen Holzsteg, über den er lief, hoffend irgendwo anzukommen, wo niemand ihn fand. Doch seine Flucht vor der Realität endete plötzlich. Er stand in einem Pavillon an einem Fluss, um ihn herum nur Wasser und Bäume. Im dunklen Wasser sah er grob sein Spiegelbild, wenn auch von sachten Wellen des Wassers verzerrt. Und in Anbetracht seiner Reflexion sank sein Adrenalinspiegel wieder und erst dann wurde ihm klar, dass man ihn zu Hause rausgeworfen hatte. Er hatte kein zu Hause. Er konnte nicht Heim.

Und wenn schon, nach Hause wollte er ja auch nicht. Der einzige Ort, wo er hin wollte war für ihn unerreichbar.

Von der Erkenntnis übermannt beugte sich Hisaki etwas, dann begann er zu lachen, im Glauben, nun komplett durchgedreht zu sein. Er war verrückt. Verrückt, das haben schon die Digimon zu ihm gesagt, die ihn und Tsukaimon schikanierten und nur Verachtung übrig hatten. Selbst als Tsukaimon es anders wie sie auf das Ultra-Level schaffte, schenkten sie ihm und seinem Partner nur so viel Respekt wie nötig und schimpften sie heimlich verrückt. Dabei waren sie es. Alle anderen waren verrückt, nicht sie. Wie die reale Welt, auch sie ließ Hisaki denken, dass er irre sei, dabei waren es die anderen.

Die ganze Welt war verrückt. Und er konnte dieser Welt nicht entfliehen und sie auch nicht ändern.

Hisakis Lachen wurde lauter, dann entstanden Pausen, bis die Lacher keine Lacher mehr waren, sondern das Schnappen nach Luft, als sich der Kloß im Hals bildete. Über das warme Gesicht lief Nässe. Hisaki sank in die Knie.

„Tsukaimon.... I-Ich kann nicht mehr... ich halte das hier nicht mehr aus...“

Irgendwann schlief Hisaki ein. Ein kurzer Traum. Da war so ein großes Tor. War er Alice? Alles war so hellblau. Nein, er war nicht Alice, aber er war im Wunderland. Doch die Tür hatte kein Schlüsselloch, aber er wusste, hinter dieser Tür war Tsukaimon und wie das weißen Kaninchen rannte er ihm davon. Kein Schlüsselloch. Kein Schlüssel. Er kam nicht weg. Niemals.

 
 

x𝄀
 

(Sieh den Eifer all der Digimon und Gänse wie sie stehn)

(Bei den Tore schon versammelt - willst du dich im Schne'e dreh'n?)

(Willst du magst du willst du magst du dich im Schne'e dreh'n?)

(du kannst wirklich nicht ermessen wie entzückend das hier sein kann)

(Wenn sie uns mit all den Fledermäusen werfen in den Abgrund sodann)

(Willst du magst du willst du magst willst du magst du willst du magst du willst du magst du willst du magst du willst du magst du willst du)
 


 

Als Hisaki die Haustüre behutsam öffnete war es gerade 23 Uhr. Das letzte Licht bei den Nachbarn erlosch, doch hier zu Hause brannte das schwache Licht eines Kerzenständers und einer Tischlampe aus dem Wohnzimmer. Es war Sommer, es war heiß, trotz dass es dunkel war, doch im Haus war es angenehm kühl und als Hisaki über die Türschwelle schritt war der plötzliche Temperaturwechsel vergleichbar mit einem Schritt in eine andere Welt. Das Bild der Garten der Lüste begrüßte Hisaki am Eingang und durch das Licht wurden die Rottöne im dem Drittel, dass die musikalische Hölle abbildete besonders hervorgehoben und das Flackern erzeugte den Irrglauben, die Dämonen, die die Menschen folterten bewegten sich. Himmel, wie sehr er dieses Bild hasste.

Mit hängenden Schultern ging Hisaki durch die Diele ins Wohnzimmer um die Standpauke, die er kassieren würde gleich hinter sich zu bringen. Er erwartete seine Mutter, die nicht schlafen könnte da ihr dreizehnjähriger Sohn nicht nach Hause kam und war sich sicher, bei ihrem Anblick Mitgefühl und Scham zu empfinden, auch wenn er und seine Mutter nicht immer klar kamen, stattdessen saß sein Vater in einem grauen Yutaka auf der Coach und er hätte es eigentlich wissen müssen. Sein Vater las am liebsten bei Kerzenlicht. Das Buch war eines von vielen ausländischen Exemplaren, dass er sich einst an einem Flughafen kaufte, weil es dort mal wieder länger dauerte und dass es englisch war störte seinen Vater nie, so konnte er seine Kenntnisse immerhin verbessern. DIFFERENT SEASONS stand mit weißer Schrift auf dem schwarzen Einband, der Kreis, der die vier Jahreszeiten umschloss war für Hisaki aus der Entfernung nicht erkennbar.

„Vater?“, rief Hisaki vorsichtig und ging weiter in den Raum hinein. „Du bist noch wach?“

„Gezwungenermaßen.“

Masato schlug das Buch kräftig zu, dass Hisaki sich sogar kurz erschrak. Auch wenn man es seinem Vater selbst nicht anmerkte, da er geübt darin war nicht das zu zeigen was er fühlte, spürte Hisaki dennoch dass er wütend war.

„Deine Mutter wollte unbedingt auf dich warten, da sie aber eine Tagung ab Morgen hat, habe ich sie zu Bett geschickt und versprochen zu warten.“

„Oh. Verstehe“, murmelte Hisaki weiter und versuchte seinen Vater nicht anzusehen, obwohl dieser nicht einmal den Blick hob. Zuvor hatte er sich keinen Kopf gemacht, was seine Eltern denken würden, wenn er als Minderjähriger so plötzlich ohne vorher Bescheid zu sagen so spät Heim kam, aber nun zu hören, dass seine Mutter doch besorgt war stimmte Hisaki traurig.

Er war nach dem Unterricht mit seinen Klassenkameraden gegangen, die regelmäßig mit Yankees und anderen komischen Gestalten rumhingen. In den paar Stunden hatte Hisaki auf einem Bike gesessen, hatte Bier getrunken (schmeckte scheußlich, bekam man aber runter) und geraucht (noch scheußlicher wie das Bier) und er hatte sich wirklich amüsiert. Die Typen waren überwiegend große Kerle mit noch größerer Klappe und alle waren älter als er, aber doch hatten sie Hisaki überschwänglich aufgenommen. Anfangs war er unsicher, taute aber schnell auf. Ein Spargel, der sich als Eri vorstellte war sogar recht freundlich, obwohl Freundlichkeit irrelevant in dieser Runde war. Diese Typen waren harsch, vulgär, rücksichtslos und teilweise auch gewalttätig. Aber Hisaki war das egal gewesen, während er im Kreis mit ein paar dieser Gestalten saß, die ihn in ihrer Runde akzeptierten, als wäre er schon immer ein Teil gewesen. Er bekam sich mit einigen von ihnen in die Haare, weil sie ihn als aufgehübschten Schnösel bezeichneten (das war die höfliche Variante), da sich aber Hisaki so etwas nie gefallen ließ und sich verbal wehrte, geriet er schnell ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese Typen mochten seine große Klappe und sein unterkühltes Auftreten, dass ihn einerseits auch arrogant wirken ließ. Sie sagten, sie hätten Stress mit so einer Knilch-Gruppe in Ota und sie würden ihn mitnehmen, dann würde er lernen wie es richtig auf der Straße ab ginge. In dem Moment stimmte Hisaki dem zu und hielt das sogar für eine gute Idee. Auf dem Heimweg aber entpuppte sich diese Idee als absolut dämlich und er hoffte bei allen Göttern und Dämonen, die am Fuji lebten, dass seine Mutter den Zigarettenqualm und den Alkohol nicht roch.

„Geh ins Bett“, forderte sein Vater schließlich und erhob sich von der Couch, um die Kerzen, die auf dem gegenüberliegenden Tisch standen auszupusten. Augenblicklich roch es verbrannt im Raum und der Geruch erzeugte in Hisakis Kopf Bilder aus vergangenen Tagen, die irgendwie passiert waren und irgendwie doch nicht. Wie ein Traum. In dem Fall ein Albtraum.

„Und Morgenfrüh entschuldigst du dich bei deiner Mutter. Sie hat sich Sorgen gemacht.“

„Werde ich, Vater“, antwortete Hisaki leicht trotzig und verärgert. Er hätte es auch getan, wenn sein Vater es nicht verlangt hätte. Nun schien es wieder, als täte er es nur, weil man es ihm befahl.

Konzentriert und müde legte Masato das Buch wieder ins Regal, machte das Licht der Lampe neben dem Couch aus und lief an Hisaki vorbei, um so zur Treppe zu kommen, die hoch in den ersten Stock führte, wo alle ihre Schlafzimmer hatten.

„Ist das alles?“, fragte Hisaki und schaute seinem Vater hinterher, der auf der Treppe zwar stehen blieb, aber nicht zu Hisaki zurückschaute. Trotz fehlenden Lampenlicht war es hell im inneren, die Nacht war schließlich klar und dank dem Vollmond sah man genug.

„Was willst du? Hisaki, es ist spät. Du musst Morgen zur Schule und deine Mutter und ich zur Arbeit.“

„Na ja, ich meine nur – meine Klassenkameraden bekommen zu Hause riesigen Ärger, wenn sie sich nur eine Stunde verspäten. Ich hätte erwartet eine Predigt zu bekommen, sobald ich einen Fuß ins Haus setze.“

Hisaki hörte nur, wie sein Vater genervt und auch müde schnaufte. In der Dunkelheit erkannte man schemenhaft, wie er dabei noch mit seinen Fingern vom Nasenrücken über das rechte Auge fuhr, ehe er seinen Sommerkimono wieder zurecht auf die Schultern legte, als dieser abrutschten.

„Andere Jungen in deinem Alter wären froh, wenn sie nicht wegen jeder Kleinigkeit zu Hause eine Gardinenpredigt bekommen würden. Ich verstehe dich manchmal nicht.“

„Ist bis spät abends weg zu bleiben, ohne sich zu melden denn wirklich eine Kleinigkeit?“

„Es ist nicht das erste Mal, dass du unangemeldet nicht nach Hause kommst“, schimpfte Masato und er klang gereizt, bemühte sich aber leise zu bleiben, um seine Frau nicht zu wecken.

„Es ist dir also egal, was ich tue?“

„Willst du jetzt, um diese Uhrzeit wirklich diskutieren, ob du genug Strafen für dein unzumutbares Verhalten bekommst?“

„Du sagst mir doch nicht einmal, was so unzumutbar ist und warum es falsch sein soll. Ich will es wirklich verstehen. Was mache ich denn falsch?“

„Es ist elf Uhr abends, Hisaki, das hast du bereits festgestellt, also weißt du was daran falsch ist.“

„Das meine ich nicht. Du hast schon verstanden, was ich meine.“

„Hisaki...“

Obwohl immer noch leise und mit gedämmter Stimme, erkannte Hisaki an dem Ton, dass sein Vater an der Grenze seiner Geduld angekommen war. Verständlich, wenn man so müde war. Und doch raste Hisakis Herz in seiner Brust. Noch einmal, dieses Mal aber lauter hörte Hisaki seinen Vater schnaufen.

„Du hörst doch ohnehin nie auf das, was ich dir sage, geschweige denn andere. Deine Mutter und ich zerbrechen uns schon oft genug den Kopf darüber, wo du deine Gedanken hast. Eine Predigt wäre verschwendete Zeit. Du lernst es ohnehin nicht, weder mit noch ohne Predigt. Jetzt tue uns beiden einen Gefallen und belasse es heute Abend damit.“

„Ja, Vater...“

Man hörte Hisaki deutlich schlucken, als er den Kloß in seinen Hals herunterwürgte. Die Dunkelheit verbarg aber nicht nur wie er fest die Zähne zusammenbiss und die Fäuste ballte, sondern auch seinen Blick, den er seinem Vater zuwarf, der die Treppe hochging und sich auf den Weg in sein Bett machte. Hisaki folgte der Aufforderung jedoch nicht gleich, auch nicht als er hörte wie die Tür zum Schlafzimmer seiner Eltern aufging und sich wieder schloss. Er blieb noch am Fuße der Treppe stehen mitsamt verkrampften Fäusten und biss sich auf die Lippen um gegen einen zweiten Kloß anzukämpfen. Er würde nicht noch eine Träne vergießen. Nicht wegen so etwas. Nicht wegen seinem Vater, der ja, wie in diesem Moment wieder einfiel gar nicht sein Vater war.

Und ja, er hätte sich lieber eine Predigt oder Hausarrest gewünscht, als wie so oft schlicht wie einen Nebensächlichkeit abgespeist zu werden. Sein Vater hatte ihn nicht einmal in die Augen gesehen. Wie immer.

Er hatte ihn so weit er konnte ignoriert. Wie immer.

Es war schließlich die Nachwirkungen des Alkohols, die Hisaki müde werden ließ und ihn dazu zwang doch in sein Bett zu kriechen, nachdem er sich eher mühselig in sein eigenes Zimmer schleppte und sich genauso aus seiner Schuluniform pellte wie eine Schlange aus ihrer alten Haut. Es war ohnehin zu warm. Das Konzert, dass die Grillen draußen veranstalteten war ungewöhnlich laut in seinem Kopf. In etwa so musste es sein, wenn man einen Tinnitus hatte, dabei war er lautes Grillengezirpe im Sommer gewohnt, schließlich lebten seine Großeltern ländlich. Und in der Digiwelt war alles, wie alles was eher exotisch und weit entfernt war, größer und lauter. Er hatte sein ersten Mal mit dem Alkohol wirklich nicht gut verkraftet.

In der Digiwelt wäre das hier nicht so passiert. Rosemon hätte die ganze Villa zusammen gebrüllt, bis Wisemon käme um sie zu beruhigen. Dann hätte sie weiter gemosert, warum sie diesen undankbaren Job überhaupt angekommen hatte. Jedoch, gerade weil Rosemon viel über ihr unachtsames Verhalten und Handeln schimpfte und nicht selten harte Strafen in der Hausarbeit verteilte – Wisemon sagte alle Digimon aus der Beta-Ära wären stark auf Disziplin getrimmt, egal welcher Typus – wussten die Kinder, dass dies einfach nur ihre Sorge war. Sie schimpfte, aber brüllte nie. Sie nahm ihnen nichts weg. Sie redet ihnen nichts ein, was sie nicht wollten. Sie schlug sie nicht. Sie behandelte sie nicht wie Luft.

Vielleicht hätte er zur Strafe die Eingangshalle putzen und polieren müssen und Kouta hätte ihn, sich selbst fragend ob er über Hisaki lachen oder Mitleid haben sollte beobachtet, vielleicht auch versucht etwas von seinem Optimismus auf Hisaki zu übertragen, wie immer wenn Hisaki deprimiert war oder sich über etwas ärgerte, wie sich selbst. Und Tsukaimon wäre über ihn hinweggeflogen und hätte gesagt, dass er es verdient hätte und was ihn nicht umbringt macht ihn stärker.

Kouta. Tsukaimon...

Ob irgendwas von Kouta noch in der Digiwelt was? War er immer noch ein Geist? Konnte er bei Dracmon sein? Ob die anderen auch daran dachten? Ob sie die Zeit auch so vermissten wie er? Mit ihnen reden konnte er nicht. Er war wie Natsu und Renta in einen anderen Stadtteil gezogen und jeder Versuch Kontakt aufzubauen wurde unterbunden. Soichiros und Kanas Mutter schnauzte ihn mal so am Telefon an, dass er den Hörer von seinem Ohr weghalten musste. Andererseits jedoch, selbst wenn er irgendeinen von ihn mal erwischt hätte, hätte er nicht gewusst, was er sagen sollte. Über die Digiwelt reden? Riskieren, dass jemand das mitbekam und sie wieder Lügner nannte? Oder irre? Nicht aufzufallen war das Einzige, was ihnen blieb, das bescherte ihnen die wenigstens Schwierigkeiten in dieser Welt. Sie saßen hier nun einmal fest und dies wohl unwiderruflich. Vielleicht wollten Touko, Soichiro, Kana, Natsu und Renta auch nicht mehr darüber nachdenken und schauten ihren Freunden deswegen nicht mehr ins Gesicht. Man wollte vergessen. Aber Hisaki konnte nicht aufhören daran zu denken, während er von seinem Bett aus in den Sternenhimmel schaute, wenn auch die Lichter der Großstadt die meisten Sterne verschlang. Vielleicht könnte er ja eher vergessen, wenn er noch einmal zu diesen Typen ginge. Sie machten einen ruppigen Eindruck, waren aber ehrlich. Vielleicht brauchte er wirklich andere Gesellschaft, um das alles besser verarbeiten zu können. Und wenn er irgendwann statt um elf um zwei Uhr nachts heimkehrte oder statt mit der nach Bier riechenden Schuluniform mit einem Mantel war ja egal. Es war seinem Vater ja egal. Und ob die Sorge seiner Mutter wirklich dem Wohl ihres Sohnes galt oder der, was die Nachbarn nur denken könnten war sich Hisaki nicht so sicher, aber er vermutete letzteres. Es ging immer nur um Status und Ansehen, nicht um das Individuum. Und wenn er ohnehin doch nur negatives Karma mit sich zog, konnte er auch aufhören versuchen zu wollen das zu unterbinden. Es war ja egal. Alles war egal.

(Willst du magst du willst du magst willst du magst du willst du magst du willst du magst du willst du magst du willst du magst du willst du)

 
 

𝅘𝅥𝅯

 

Hisaki kam im Kumin Garden wieder zu sich. Er hatte keine klaren Erinnerungen daran, wie er hierher gekommen war. Er erinnerte sich mit dem Bus gefahren, ein Stück gelaufen und dann gerannt zu sein, ehe er einem Nervenzusammenbruch erlag und an Ort und Stelle in sich zusammensackte. Er saß im Pavillon am Fluss. Die Stadt war noch immer im Zustand der Dämmerung gefangen, lang schien er also nicht gedöst zu haben. Das Pfeifen von Fledermäusen erschreckte ihn kurz. Ob eine davon vielleicht Tsukaimon war? War er es vielleicht leid zu warten und hatte die Sache selbst in Hand genommen? Hisaki würde es ihm zutrauen, dass er dies schaffen könnte.

Warum war er eigentlich hier? Selten verirrte sich Hisaki in den Kumin Park. Zu viele Kinder. Zu viele Erinnerungen an seine Kindheit. Seine Mutter mochte Tennis und der Park besaß einen Platz zum Spielen. Hisaki ist zwischen den Wasserstellen hin und her gesprungen und oft ausgerutscht und ins Wasser gefallen, aber er hatte nie geweint. Wer hatte mit ihm dort gespielt? Seine Eltern? Er wusste es nicht mehr. Vielleicht weil er solche Erinnerungen auch nie besaß. Hisaki glaubte aber Kouta war in den Sommerferien oft mit ihm hier. Irgendwann kam auch Touko dazu, aber die interessierte sich mehr für das Aquarium in der Nähe. Sie hatte schon immer einen Faible für Meerestiere.

Mühselig rappelte sich Hisaki wieder auf. Es war noch etwas hell, dennoch gingen die Laternen am Wegrand an. Er nahm seine Tasche in die Hand, die ihm plötzlich zehn Kilo schwerer vorkam. Vielleicht fehlte ihm auch einfach die Kraft.

Im ersten Moment schien es, als sei Hisaki alleine hier. Im Herbst, wo es abends kalt und früh dunkel wurde war um die Zeit auch nie etwas los. Um so besser für ihn. Er wollte niemanden sehen.

Das Holz knarzte, als er über den Steg lief. Er ging, ohne hinzusehen nach links und lief gedankenverloren den Pfad entlang. Er grinste zwar, aber empfand keine Freude. Rausgeschmissen von den Eltern. So weit hatte er es also gebracht.

Am Ufer entlang reihten sich Stufen und im Sommer floss über diese Wasser, wo Kinder rumplanschten oder um die Steine herumrannten. Nun im Oktober war die Wasseranlage abgestellt, das Wasser ruhig und das Ufer trocken und zu Hisakis Überraschung saß jemand da. Die roten Haare und die Schuluniform kamen ihm bekannt vor, aber er sagte sich erst, dass er sich das einbildete, eine Verwechslung vorlag und die Haare im schwachen Dämmerlicht rötlich wirkten. Er wollte an dieser Person, die ihn nicht zu bemerken schien einfach vorbeigehen, doch je näher Hisaki kam, so stellte er fest, dass dieses Mädchen, was dort saß Asami Konoka war.

„Das gibt es doch nicht. Was macht die hier?“, mumelte Hisaki wütend in sich hinein. Nicht wieder die Kamikaze-Sisters. Was machten die überhaupt in Shinagawa, sie entfernten sich doch nie so weit von ihrem Bezirk. Vor allem – das stellte Hisaki erst nach ein paar Sekunden fest – wieso war sie alleine? Lief sie ihm immer noch nach? War er letztes Mal so undeutlich gewesen?

„Habe ich dir nicht gesagt, dass du dich von mir fernhalten sollst?“, rief er Asami zu, die sofort aufschreckte. Da sah Hisaki auch, dass ihr Gesicht aufgelöst schien, als hätte sie geweint. Asami sah erschrocken Hisaki an, dann würde sie aber auch schnell wieder aufbrausend, rümpfte die Nase und verzog ihre roten Lippen.

„Ich bin nicht wegen dir hier! Es dreht sich nicht immer nur alles um dich!“, maulte Asami und dann legte sie ihren Kopf wieder auf ihre angezogenen Knie. „Ich bin hier, weil keine von den anderen hierher kommt, weil sie keinen Bock auf dich haben. Jetzt lass mich einfach in Ruhe.“

Hisaki sagte nichts dazu. Sollte sie doch beleidigt sein. Himmel, von allen Menschen, die Hisaki nicht sehen wollte war sie die Zweitschlimmste.

Und doch tat Hisaki wieder etwas, was er auf Hormone schieben würde, denn verstehen tat er sich selbst nicht. Vielleicht war ihm auch einfach egal. Er hatte nur der Drang sich zu setzen, scheißegal ob einer oder zehn Leute um ihn standen, und das tat er auch. Wieder erschrak Asami.

„Ich habe gesagt, du sollst gehen!“

„Ich sitze hier nicht wegen dir. Die Welt dreht sich nicht nur um dich.“

„Musst du immer alles nachplappern? Bist du ein Papagei oder so?“, baffte sie und kräuselte ihre Lippen nun. Als sie damit Hisaki ansah, unterdrückte er ein kurzes Lachen. Sie sah albern mit dieser Mimik aus.

„Außerdem bist du doch Schuld, dass ich hier sitze!“

„Ich? Wieso schiebst du jetzt deine Inkompetenz auf mich? Ich habe dich sicher nicht gezwungen hierher zu kommen!“

„Weil... Weil...“

Asami gestikulierte wild und nichtssagend mit den Händen umher, dabei wurde sie rot im Gesicht.

„Weil eben!“, keifte sie und drehte den Kopf zur Seite, nicht weit genug aber, dass Hisaki sich ihr Gesicht nicht ansehen konnte. Sie war nicht nur etwas dezenter geschminkt, sondern ihm fiel auf, dass nicht ihr Plastikschläger neben ihr lag, sondern ihre Schultasche.

„Sag bloß, du warst in der Schule.“

„Was kümmert es dich denn, was ich mache?“

„Wieso gehst du noch auf die Oberschule?“, fragte Hisaki, Asamis Knurren ignorierend. Irritiert blinzelte sie ihn an, wenn sie auch immer noch nicht über seine Anwesenheit erfreut schien.

„Die Meisten aus deiner Clique haben die Oberschule geschmissen oder haben nach der Mittelschule nie mehr eine Schulbank gedrückt. Warum bist du eine der wenigen? Lachen dich die anderen nicht aus?“

„Mama zwingt mich“, antwortete sie knapp. „Sie sagt, wenn ich nicht auf die Oberschule gehe, kann ich das mit dem Ikebana vergessen. Die nehmen keine Schulabgänger.“

„Das ist kein Zwingen. Sie hat nun einmal Recht.“

Asami knurrte noch lauter, ihre Arme schlagen sich enger um ihre Knie.

„Du willst Ikebana lernen, also beschwere dich nicht, wenn du dafür auch etwas leisten musst.“

„Du findest das doch bestimmt lustig und zerreißt dir mit deiner Schar treudoofer Hunde das Maul über mich!“

„So etwas mache ich nicht. Ich habe Respekt vor Leute, die ihren Träumen nachjagen.“

Durch die überraschende Äußerung wurden Asamis Augen groß. Eindringlich betrachteten sich die beiden, bis Asami den Blickkontakt schließlich beendete. Es war ihr peinlich Hisaki so lange anzusehen. Sie hatte Angst, er würde merken, dass sie ihn wie ein kleines Kind anschmachtete.

„Wir haben ohnehin zu wenig Geld. Die Studienplätze sind unsagbar teuer, dass kann ich mir nicht leisten.“

„Reicht dir kein kleiner Kurs? Oder willst du ein Meister werden?“

„Ich weiß es noch nicht“, erzählte sie, ihr Ton wurde ruhiger. „Wenn ich so nachdenke, ein Meister muss ich nicht werden. Aber die Grundausbildung wäre nicht schlecht. Mir reicht es, wenn ich mitden Blumen und Gestecken etwas spielen kann, Leute meine Werke schätzen und sie eventuell kaufen. Klingt das mickrig?“

„Es reicht manchmal auch in kleineren Dimensionen zu denken. Falsch zumindest ist es nicht“, meinte Hisaki und versuchte weiter Asamis Gesicht zu sehen. Sie schaute zwar kurz in seine Richtung, drehte sich aber dann wieder fort.

„Ich habe als kleines Mädchen schon damit angefangen. Meine Eltern haben mich für meinen Eifer gelobt. Sie haben sich schon ausgemalt, wie meine Zukunft aussehen könnte. Eigentlich war das nie ein Problem. Doch als ich in die Mittelschule ging, habe ich Zweifel bekommen.“

„Warum?“

„Wegen den anderen Mädchen. Die interessierten sich weniger für ihre Zukunft. Sie lasen Zeitschriften, probierten Make Up aus und das hat mich verunsichert. Ich wusste mit dem Jetzt irgendwie nichts anzufangen. Als dann eine Freundin von mir den Kamikaze-Sisters beitrat, bin ich einfach mit. Ich fand diesen lockeren Umgang ganz cool. Nicht ständig an Übermorgen zu denken – oder was andere denken könnten. Und ehe du dich versiehst, steckst du drin.“

Asami veränderte ihre Sitzposition und schaute dabei, ob Hisaki sie weiter genauso aufmerksam ansah. Tat er und es brachte ihr Herz zum flattern. Hisaki wäre zwar hübsch für einen Jungen, das gaben auch die anderen Kamikaze-Sister zu, doch sagten sie auch, er hätte einen arroganten und ekelhaften Charakter. Asami aber konnte ihre Meinung nicht ganz teilen.

„Aber langsam befürchte ich, dass dies auch nicht so das Wahre ist. Diese ständige in den Tag hineinleben und nicht an Konsequenzen zu denken. Wenn du das ausblendest fühlt sich stark, bis man irgendwann mal richtig auf die Schnauze kriegt. Da merkt man, wie kindisch das eigentlich ist.“

„Wann hast du denn auf die Schnauze gekriegt?“, lachte Hisaki und erwartete, wieder von ihr angemault zu werden. Doch Asami schwieg verlegen, aber auch irgendwie vorwurfsvoll und Hisaki beschlich der Verdacht, dass sie mit auf die Schnauze kriegen eigentlich vom Schwarm erst geküsst und dann einen Korb kriegen gemeinte.

„Wieso gehst du noch zur Oberschule?“, fragte Asami schließlich. „Ein Snob wie du kann sich doch sicher einen Studienplatz erkaufen.“

„Du hast ja eine ganz schön kindische Vorstellung von Reichtum. Außerdem ist mein Vater nur Pianist, kein Multimillionär mit dicken Villen und einer Jacht. Und ich gehe zur Schule, weil ich da spielen kann.“

„Habt ihr zu Hause denn kein Klavier?“

„Sagen wir, ich bin selten zu Hause.“

Hisaki lehnte sich zurück und stützte sich dabei mit beiden Armen ab. Die Wolken über ihnen wurden dicker und dunkler und verschlang das Pastell des Abendhimmels. Den Mond sah man dennoch. Er grinste auf sie herab. Ob er sie auslachte?

„Selbst wenn, wäre ich nicht ungestört. In der Schule habe ich zumindest eine gewisse Zeit für mich alleine, die ich der Musik widmen kann. Es klingt sülzig, aber ist man erst einmal im Bann der Musik, kommt man nicht mehr davon los. Du spürst die Klänge im ganzen Körper. Der Puls und der Takt werden vollkommen synchron. Dieses Gefühl kann einen süchtig machen. Oft wusste ich nicht, ob ich das Klavier oder das Klavier mich spielt.“

„Das klingt fast gruselig“, sagte Asami, wenn auch fasziniert von diesen Worten und ihrem Klang. Hisaki erzählte das mit so viel Gefühl, dass seine doch distanzierte Art überhaupt nicht preisgab. Dieser Klang gefiel ihr.

„Willst du das? Also auch Klavier spielen und Pianist werden, so wie dein Vater?“

„Nicht wirklich. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

„Und deine Mutter?“

„Meine Mutter ist Zahnärztin. Das wäre noch weniger etwas für mich.“

„Also hast du keinen Traum oder eine Idee?“

„Ich hatte. Und ich habe für sie bis zum Ende gekämpft. Nur ist das Erwachen von solchen Träumen nicht sehr schön.“

So bitter wie seine Worte, so ähnlich dachte Asami in dem Augenblick. Hisaki starrte aufs Wasser. Auf der Oberfläche sah man, wenn auch etwas undeutlich die Mondsichel.

„Ich würde dich gerne mal spielen hören“, warf Asami ein und bemühte sich enthusiastisch zu klingen, was bei Hisaki aber nur Verwirrung erzeugte.

„Du hast mich noch nicht in der Schule dabei heimlich bespitzelt? Du bist ja eine richtig miese Stalkerin.“

„Ich bin keine Stalkerin!“

„Wieso bist du mir dann nach? Warum diese ständigen Provokationen, wenn es doch angeblich nicht so ist, wie ich denke?“

Nun war es Asami, die in Richtung des Wassers schaute. Sie beobachtete aber nicht das Spiegelbild des Mondes, sondern dachte nur nach. Derweil war es um sie herum noch ein Stück dunkler geworden. Die Luft wurde kalt und Asami rieb sich die Arme und Schultern.

„Ich... ich habe dich einmal gesehen, da standest du im Regen bei deiner Gang. Ich weiß nicht mal über was ihr geredet habt. Ich habe euch mit ein paar Mädels beobachtet. Die haben gesagt, dass du ein widerlicher, großkotziger Angeber wärst. Als ich dich dann gesehen habe fand ich dich irgendwie -“, Asami stockte, ihre Augen wichen Hisakis aus, „- ganz okay.“

Okay?“, wiederholte Hisaki und zog eine Augenbraue so weit hoch wie es ging. Er wartete, ob Asami wieder den Kopf hob, als sie dies aber nicht tat, beugte er sich weit hinunter, dann drehte sie aber ihr Gesicht in die andere Richtung.

„Und weil ich dich okay fand, wollte ich mehr über dich wissen. Und öfter sehen, weil ich... ich glaube, dass ich mich etwas... na ja... i-in dich verliebt habe.“

Ihr Geständnis kam in dem Moment über die Lippen, als Hisaki es schließlich doch schaffte, in ihr Gesicht sehen zu können. Sie war puderrot und legte ihre Fingerspitzen auf ihre Lippen, damit Hisaki nicht sah, wie sie nervös auf ihnen kaute. Sie hatte es gesagt, endlich, aber sie fühlte sich nicht erleichtert. Für Hisaki sah es sogar aus, als schämte sie sich in Grund und Boden, wobei er nicht nachvollziehen konnte, warum sie sich für ein Gefühl schämte (vielleicht so ein Frauending?).

Das aber zu hören war seltsam. Verliebt. Liebe...

„Also hast du mich erst angegafft und dann angefangen mich zu stalken?“

„Ich habe dich nicht gestalkt, wie oft denn noch?!“, paffte sie so energisch, wie Hisaki sie kannte und wie sie ihm eigentlich auch besser gefiel. Er lächelte sogar darüber und Asami war hin und weg davon, wie freundlich, wie ehrlich dieses Lächeln war und dass Hisaki mit diesem Lächeln und der Ausstrahlung so galant wirkte. Nun wusste sie auch wieder, was ihr an diesem Großkotz eigentlich so gefiel.

Das Lächeln verging ihr selbst aber, als Hisaki seine Tasche nahm und sich zum gehen aufmachte.

„Amano!“, rief Asami ihm nach. Er blieb stehen, ohne sich umzudrehen.

„Mama und Papa haben gesagt, dass du jederzeit zum Abendessen kommen kannst. Ich werde dich auch nicht mehr am Tisch so anpöbeln wie neulich. Ich mein das ernst. Alles was ich gesagt habe.“

Hisaki rührte sich immer noch nicht, einzig sein Mantel und einzelne Strähnen bewegte sich im Wind.

„Du solltest dir überlegen, was du von dir gibst und wem du solche Gefühle entgegen bringst. Ich bin nicht so, wie ich mich präsentiere. Da draußen muss man aalglatt sein. Jemanden sein Herz zu schenken, dessen Abgründe man nicht einmal kennt ist mehr wie nur naiv.“

„Ich weiß. Aber ich kann nicht anders. Ich will es nicht unversucht lassen. Ich habe keine Angst vor Abgründen. Und von dir schon gar nicht, Angeber!“

Der Wind drehte sich, dann verstummte er.

„... Ich denke drüber nach“, rief Hisaki zurück und das reichte Asami fürs erste. Sie lächelte, nahm ihre Schultasche und winkte Hisaki zu, ehe sie sich aufmachte. Ihr Rock flatterte, ihr rötliches Haar mit.

„Verliebt... So was kindisches“, sagte Hisaki zu sich und lachte in sich hinein. Sein Herz pochte.

Er würde die Nacht bei Eri verbringen. Er selbst war nicht da, aber Hisaki wusste ja, wo der Ersatzschlüssel lag. Er seufzte, als er sich auf die Couch fallen ließ. Er war aber nicht so erschöpft, wie er vermutete. Eigentlich, wenn er so nachdachte ging es ihm sogar ganz gut. Hisaki lächelte, ehe er einschlief. Er träumte nicht von der Digiwelt, sondern dass er immer noch in der Grundschule saß und mit seinen noch übrigen Freunden musizierte. Asami klatschte Beifall. Ein schöner Traum, der Schönste seit langem.

Als Hisaki aufwachte, pochte sein Herz immer noch angenehm.

 
 

𝅝

 

Etsuji Omori, genannt Eri, traf sich mit seiner Freundin Kanako Morikawa im Einkaufsviertel in Juuban, weit weg von dort, wo sich die Soldiers rumtrieben. Stets locker und guter Laune grinste er immer breit, wenn er seine drei Jahre jüngere Freundin traf, doch an diesem Nachmittag war ihm nicht nach guter Laune. Sein Senpai, der schon zwei Wochen bei ihm wohnte, nachdem seine Eltern ihn rauswarfen bereitete ihm Sorge. Eri mochte Hisaki, obwohl er griesgrämig war und auf unnahbar tat, dabei war er doch recht sensibel. Seit Hisaki mit dreizehn den Soldiers beigetreten war hatte er ein Auge auf ihn und die beiden standen sich auf einer gewissen Ebene nah, nicht nur weil Eri als Shoi (Leutnant) dem Hauptmann direkt unterstellt war. Man konnte sagen, sie waren Kumpel.

Kana erwartete ihn bereits vor Haupteingang des Einkaufzentrums und obwohl sie sich freute Eri zu sehen und ihm in die Arme lief, wirkte ihre Freude gedämmt und sehnsüchtig presste sie sich an ihn. Den Tod ihres Bruders hatte sie immer noch nicht verarbeitet.

„Ich habe gekündigt“, verkündete Kana nach einiger Zeit, während sie sich an seinem Arm hing und sie durchs Viertel liefen. „Diese blöde Dating-Sache hat mir nur Ärger bereitet.“

„Ich find's nicht schade. Wenigstens gräbt dich keiner mehr an“, kommentierte Eri. Kana hatte ihm von dem Typen erzählt, die sie belästigt hatten, jedoch nicht wer sie waren.

„Was machst du wegen der Bude?“

„Ich bin vorläufig wieder zu meiner Mutter und zu meinem Stiefvater. Ohne Soichiro halte ich es in der Wohnung nicht aus“, seufzte sie. Das sie schlechte träumte sagte sie nicht. Von Soichiro. Und von Floramon. Wie gern hätte sie ihr Herz bei ihrem Digimon ausgeschüttet, so wie früher.  

„Du hättest auch zu mir ziehen können, Babe.“

„Ich wollte dich nicht bedrängen. Du arbeitest doch und deine Wohnung ist nicht groß genug für zwei.“ 

„Hey, wenn mein Kumpel einfach bei mir einzieht, werde ich meiner Freundin doch nicht die Tür vor der Nase zuknallen. Dann hätte ich halt in der Badewanne gepennt. Nicht das erste Mal und wenn man es richtig macht, ist's ganz bequem. Hättest ja dazu kommen können.“

„Du bist ein Trottel... Aber süß von dir.“

Kana stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. Eri erwiderte ihn zwar, aber sie spürte, dass er in Gedanken war. Eri machte sich Sorgen um seinen Senpai und dachte an die Gang. Eigentlich war ein großes Treffen in Iidabashi angesagt, aber er wollte nicht hin. Würde Ärger geben. Aber Eri war neunzehn, ging auf die zwanzig zu und nach sechs Jahren zwischen Bikes und Schlägereien spürte er, dass es nicht mehr so weiter ging. So mancher, der die Gruppe in der Vergangenheit verlassen hatte sagte, irgendwann kam der Zeitpunkt, da hörte man auf die Dinge so verbissen zu sehen und wächst aus dem Ganzen heraus. Eri schien diese Phase nun erreicht zu haben. Und seit er mit Kana zusammen war, spürte er es deutlicher.

„Stimmt etwas nicht?“

„Es... schon gut. Vergiss es. Glaub nicht, dass du in deiner Lage, dir meinen Kram anzuhören.“

„Es interessiert mich aber“, sagte sie ernst und verschränkte die Arme. „Behandel mich nicht wie ein rohes Ei, weil ich meinen Bruder verloren habe. Natürlich trauere ich immer noch, aber -“, Kana hielt kurz inne, um sich eine Träne wegzuwischen, „- aber ich kann deswegen nicht alles andere ausblenden. Soichiro wäre böse auf mich, wenn ich mich wieder so krankhaft an ihn klammere, wie damals, als wir klein waren. Das hätte er nicht gewollt. Also erzähl, Eri.“

Erst rieb Eri sich nachdenklich den Nacken. Gefühlsdusseliger Kram lag ihm nicht und er hatte kein Talent darin mit Wort umzugehen. Und sollte er ihr das echt erzählen?

Aber vielleicht verstand Kana es eher. Sie hatte ihre ernsten und sehr reifen Züge, obwohl sie äußerlich nicht so wirkte. Manchmal glaubte Eri, Kana sei für ihren Körper geistig zu alt. Genau das hatte ihn an Kana so fasziniert, als er sie in dem Club, indem er arbeitete kennen lernte, weil sie jung, hübsch, aber nicht wie die anderen Mädels war. Sie war manchmal sogar Hisaki recht ähnlich, der wirkte auch viel reifer.

„Mein Senpai macht mir Kummer. Er ist in letzter Zeit sehr nachdenklich und redet kaum. Und er macht so Andeutungen.“

„Was für Andeutung?“

„Er sagt es nicht direkt. Senpai hat so 'n Talent, die Dinge etwas zu umgehen. Aber es klingt danach, als spiele er mit dem Gedanken, die Gang zu verlassen. Sagt Zeug wie ob mir auch auffällt, dass kaum wer von uns älter wie zwanzig ist und was macht einer, der nicht in einer Gang ist? Und es gefällt mir nicht, wie er das sagt.“

„Wäre das schlimm für dich?“, fragte Kana vorsichtig und wieder rieb sich Eri den Nacken.

„Vor 'n paar Monaten vielleicht. Aber ich hab selbst schon gemerkt, dass ich mich immer mehr von der Gang distanziere. Und ganz ehrlich – ich hab auch schon dran gedacht auszusteigen.“

„Bitte tu es!“, rief Kana plötzlich und klammerte sich an Eris Jacke, auf der auch die Soldier Stickerei war (LEUTNANT 039). Eri erschrak über Kanas Gefühlsausbruch und nach einigen Sekunden kam ihr dieser plötzlich unangemessen vor, dann ließ sie ihn los.

„T-Tut mir Leid, ich wollte das nicht sagen, Eri.“

„Du willst, dass ich die Soldiers verlasse?“, fragte Eri etwas verständnislos. Kana stand geschockt da und dann fing sie laut an zu weinen. Passanten schauten zu ihnen hinüber und dachten bereits Böses von Eri, bis Kana sich ihn in die Arme warf.

„Babe, was -“

„Es tut mir Leid, Eri! Ich wollte es dir eher sagen, aber ich wollte dich nicht bedrängen.“

„Was sagen?“

„D-Die Typen, die mich belästigt haben, d-das waren Typen aus deiner Gääääng“, heulte sie laut los und Kanas Tränen verteilten sich auf Eris Hemd.

„Was? Wieso hast du nichts gesagt?“

„I-I-Ich wollte nicht, dass du dich zwischen mir und deiner Gang entscheiden musst. Soichiro sagte, wir kriegen das hin. Aber Soichiro ist tot und i-ich bin Schuld, weil ich diesen dummen Job angenommen habe! Und nun hat Hisaki Ärger mit denen und ich kann ihn nicht finden! Wieso mach ich allen immer nur Ärger?!“

„Du machst niemanden Ärger. Du hast doch nicht ahnen können, dass das passiert“, beruhigte Eri Kana und legte die Arme um sie. Er wusste, es wäre besser gewesen nichts zu sagen. Andererseits war es gut. Er musste wohl ein ernsthaftes Wörtchen mit seinen Kumpanen zu reden. Am besten er erzählte Senpai -

Moment mal.

„Babe... Wer ist Hisaki?“, fragte Eri vorsichtig, dabei streckte er den Namen seines Senpai etwas in die Länge.

„E-Er ist ein alter Freund von mir. Er hat den Typen gedroht. Er muss ihr Boss oder so sein“, erklärte sie mit Tränen im Gesicht. Dann hielt Kana inne und schaute Eri lange an.

„Ja... er gehört auch zu denen. Er sei Hauptmann. Du müsstest Hisaki kennen“, schlussfolgerte Kana und Eri klappte die Kinnlade nach unten.

„D... du kennst Senpai?“

Auch Kana öffnete ihren Mund, brachte aber nichts raus. Stattdessen beschlich sie ein eigenartiges Gefühl. Diese Art subtil etwas anzudeuten, um zu wissen wie andere darauf reagieren war etwas, was Hisaki schon früher tat, statt dass zu sagen, was er wirklich im Kopf hatte. Kouta durchschaute das immer und nach der Zeit entwickelten die anderen ein Gespür dafür, wenn Hisaki irgendetwas in seinem Kopf ausbrütete, dass Schwierigkeiten vorprogrammierte.

Selbst nachdem sie lange getrennt waren schien Kana zu spüren, wenn Hisaki diese Gedanken in eine meist waghalsige Tat umsetzten wollte.

Dies war so ein Moment.

 
 

 

„Senpai, quatsch keinen Mist.“

„Ja, lass den Scheiß'! Komm wieder runter!“

Aber Hisaki meinte diesen Scheiß ziemlich ernst und war sich aller Folgen bewusst.

Als er mit dreizehn den Soldiers betrat und wurde ihm eine Regel immer wieder eingetrichtert, neben der, dass man die Finger von fremden Bikes lässt – einmal drin, bist du deinen Kameraden treu. Ein wahrer Soldat verlässt weder Truppe noch Kampffeld und diese Mentalität verstand Hisaki zu gut. Er fuhr selten ein Bike und kleidete sich nicht so pompös wie die anderen, er mochte es nicht aufzufallen oder im Mittelpunkt zu stehen. Körperlich war er auch nicht der stärkste von ihnen, doch Hisaki hatte gelernt durch schlichte Worte zu manipulieren. Er lernte schnell, wie und was er sagen musste, um sein Gegenüber zu verwirren und hatte ein anderen Bosozuko-Gangs schon Streit untereinander angezettelt. Und wie oft schaffte er es die Polizei abzuhängen, wenn sie Jagd auf sie machten, weil sie zu schnell fuhren oder Fahnen beim fahren schwenkten, weil er sich die Mühe machte die Straßen genau zu studieren. Als er fünfzehn wurde nannten ihn sogar die weit älteren Senpai, mit sechzehn wurde er Hauptmann. Hisaki erntete viel Respekt, nicht zuletzt, da er die Regeln, die bereits vor ihm Teil der Gang waren respektierte. Auch diese, die er gerade brach. Er wüsste, was es hieß, wenn jemand ausstieg. Er selbst hatte Aussteiger schon die körperliche Abreibung verpasst, die sie verdienten. Nun belegte er selbst diese Rolle. Aber er musste durch.

„Ich bin unten und ihr wisst, dass ich nicht einfach irgendwas daher sage. Ich meine alles ernst. Solltet ihr nicht langsam wissen, dass ich keine hohle Phrasen von mir gebe?“

„Du drohst uns, Senpai!“, beschwerte sie jemand aus den hinteren Reihen. „Du kannst uns nicht verlassen. Das ist gegen den Eid.“

„Das ist mir bewusst“, schnaufte Hisaki. Er glaubte immer noch nicht, dass er das tat. Doch seit der Sache in der Grundschule ging es nicht mehr. Kaum saß er nach so vielen Jahren wieder bei seinen Freunden, fühlte er sich wieder wie damals. So ausgelassen und zufrieden und sie füllten in diesen paar Minuten der Sorglosigkeit seine innere Leere. Diese Fülle spürte er hier nicht und hatte es nie. Er vergaß sie nur. Und vergessen war der größte Fehler, den man in Hisakis Augen begehen konnte.

Außerdem wollte er nicht in einer Gruppe bleiben, die Kana und Soichiros Erpresser den Rücken stärkten. Von besagten Erpressern war nur Kato anwesend, der ihn an die Obrigkeiten verpfiffen hatte. Die Soldiers existierten schon seit den späten Fünfzigern und über die Jahre wechselten die Generationen und ihre Gemeinde wurde größer. Einige der alten Hasen waren nun Oberst oder General und sollen Kontakte mit der Yakuza haben. Hisaki glaubte das weniger, wenn er diesen Gestalten auch durchaus zutraute Verbindungen mit dem Untergrund zu haben. Er selbst hatte an diesen Positionen kein Interesse, aber zumindest bis zum Mayor hätte er es gerne geschafft (da hätte er auch dann gewusst, ob dass mit der Yakuza stimmte), ehe er volljährig wurde und bis dato standen seinen Chance gut, dass er die Ehre bekam und wäre als jüngster Mayor der Gang-Historie eingegangen, mit Narrenfreiheiten und dem Irrglauben, ein starker Mensch zu sein, der besser war, wie die Schweine in teuren Anzügen. Das konnte er sich wohl nun abschminken.

Kato und Hisaki funkelten sich böse an, ehe er von einem anderen Leutnant eine Faust ins Gesicht bekam. Jene Männer, die Hisaki einen Kameraden nannten, lobten dass er es in dem Alter schon so weit geschafft hätte und meinte, aus ihm könnte 'ne ganz große Nummer werden, brachten ihm nun reine Verachtung entgegen. Männer, die ihn mit dreizehn in diese Gruppe zogen. Er hatte Streit mit einem Lehrer angefangen und vor versammelter Klasse verbal eingeschüchtert. Klassenkameraden hatten Angst vor Hisaki und er genoss diese Art von Respekt. Furcht garantierte Respekt und Gehorsamkeit und er wäre der, der die Kontrolle behielt. Die Serums waren von Kontrolle besessen. Sie war das Wichtigste, das hatte er im Krieg gelernt. Und was im Krieg funktionierte, würde auch im Alltag klappen. Er hatte durch seinen Ruf tatsächlich etwas wie Macht. Doch es reichte ihm nicht. Das früher oder später ihn jemand ansprach, auf ein frisiertes Bike setzte und in die Welt von Schatten und Neonlichter zog war nur eine Frage der Zeit und für niemanden eine Überraschung.

„Wieso, Senpai? Wieso tust du das? Antworte!“, forderte ihn jemand aus den vorderen Reihen auf.

„Ist es wegen dieser Tussi, Senpai?“, schrie Kato ihn an. „Ist es das?“

„Diese Tussi ist ein guter Freund. Und ich will nichts mit Typen am Hut haben, die meine Freunde bedrohen. Ihr werdet Kana in Ruhe lassen, oder ich werde der Polizei ein paar Dinge darüber erzählen, was hier noch getrieben wird.“

„Er blufft!“, grölte jemand aus einer dunklen Ecke. „Dem glauben die Bullen doch nie im Leben.“

„Ich bin immer noch der Sohn eines angesehenen Musikers. Und selbst wenn, habe ich Freunde, die fast noch mehr Ansehen und Geld haben und denen würde man sicher glauben.“

„Der Typ im Rollstuhl...“, nuschelte Kato und erinnerte sich an Renta. Er wusste, er hatte den Burschen schon einmal gesehen. Er war der jüngste Sprössling des großen Technik-Unternehmers Gozuma, der mehr Geld wie Reis besaß.

„Auf so was folgt normalerweise ja ein Rauswurf, aber da ich ohnehin gehen will, habe ich nichts zu verlieren. Also?“ „Du bist selbst in ein paar krumme Dinger verwickelt, Senpai. Das hätte auch Konsequenzen für dich." 

„Dann - so sei es. Ich bin selbst schuld. Hauptsache Kana muss nichts fürchten und ich bin euch los." 

Schweigen unter den Soldiers. Hisaki schaute sich um, aber nur um zu sehen, ob er Eri irgendwo sah, doch er schien, wie so oft in letzter Zeit nicht anwesend. Einerseits schade, denn von allen hatte Hisaki Eri wirklich gemocht, nur deswegen hatte er, während er bei Eri die letzten Tage verbrachte subtile Andeutung von sich gegeben bezüglich eines Ausstiegs, um zu sehen, wie er auffassen würde.

Andererseits war es vielleicht gut, dass dieser nichts von dem mitbekam.

„Kato, sag was.“

„Ja, okay. Ich lass diese Tusse in Ruhe. Zufrieden?“

„Mehr als das“, sagte Hisaki stolz. Auch wenn er nicht glaubte, dass Soichiro in der Digiwelt war, hoffte er, er würde dies hier mitbekommen. Nun konnte er in Frieden ruhen.

Das Grinsen, dass sich auf Hisaki Lippen legte animierte einen seiner nun bald ehemaligen Kameraden ihn mit einem Rohr in den Bauch zu hauen und er sank hustend auf die Knie.

„Deine Abreibung bekommst du trotzdem. Das hast du von deinem Verrat, Senpai!“

„Du bist so dämlich. Glaubst du wirklich, du könntest das einfach an den Nagel hängen und ganz normal in dieser Welt weiterleben?“

„Glaubst du wirklich, du kannst einfach von vorne anfangen?“

„Denkst du echt, irgendjemand schert sich drum?“

Hisaki bekam einen Schlag ins Gesicht ab und einen Tritt in die Seite. Sie befanden sich in einer ruhigen Ecke, an einem Abstellplatz für Fahrräder, nicht weit vom Bahnhof Iidabashi, zwischen ein paar Bäumen versteckt. Die Leute, die um die Zeit noch vorbeifuhren oder in der Nähe wohnten ignorierten diese Jugendbanden aus Angst. Niemand würde Hilfe holen. Es würde eine lange Nacht werden. Aber er musste es durchstehen. Nicht jammern. Nicht betteln. Und nicht ausrasten. Genau das wollten sie. Er musste es mit Stolz ertragen. Es war schließlich nicht seine erste Schlägerei, allerdings die erste, wo er zahlenmäßig so deutlich unterlegen war.

„Guck nicht so! Fang an zu jammern!“

„Na los, bettel schon!“

„Hättet ihr wohl gern...“, schnaufte Hisaki. Er spürte den Tritt immer noch und bekam darauf noch einen ab, dass ihm das Gefühl hochkam, es zerrisse ihm den Magen. Aber er würde keinen Laut von sich geben. Egal wie fest sie ihn schließlich im Genick packten, egal wie fest die Schläge wurden - nicht ein Laut. Nicht einen einzigen Laut.

Und während warmes Blut von einer Schläfe in sein Gesicht lief und er nach einem Schlag gegen einige Fahrräder fiel, wurde ihm kurz schwarz vor Augen, bis Blitze erschienen.

„Schweigsam wie immer.“

„Hält sich wohl immer noch für was Besseres.“

„Dabei ist er nicht mehr wert wie jeder andere.“

„Er wird sehen, was er davon hat, Verräter.“

Für diesen Moment glaubte Hisaki, wieder vor den Serumischen Truppen zu stehen und wie sie ihn und Tsukaimon lächerlich machten. Sollen sie. Er kann das, auch wenn er allein war. Er konnte das, er -

Seeeeeeeenpaaaaaaaaaaai!“, kreischte Eri über die Straße und kam mit seinem Bike angefahren. Er machte einen Vollbremsung, die Unmengen an Staub aufwirbelte. Zwischen Hisaki und den anderen Soldiers kam er zum stehen.

„Eri? Was machst du hier?“

„Ich helf dir, Mann! Oder stehst du so sehr auf Schläge?“

„Verpiss dich, Omori!“, fauchten ihn einige der anderen Soldiers an. „Wir sind mit dem Verräter noch lang nicht fertig.“

„Ihr werdet Senpai in Ruhe lassen!“, forderte Eri und stieg von seinem Bike. „Ihr müsst schon an mir vorbei! Denn ich gehe mit Senpai!“

„Also willst du auch gehen? Gut. Dann bekommt ihr beide eine Ab-“

Kato wurde unterbrochen, als ein Stein ihn am Kopf traf. Wenig trafen weitere Steine einige der Jungen am Körper. Hisaki sah nach rechts und dort auf der Straße standen Natsu, Touko, Kana und Renta mit ihren alten Zwillen in der Hand. Sie hatten die Steine abgefeuert.

„Feuer!“, rief Natsu und die vier schleuderten wieder ihre Munition auf die Gruppe Jugendlichen. Doch diesmal waren es keine Steine, sondern Knallfrösche, die einen dicken, weißen Qualm von sich gaben. Der Rauch aber legte sich schnell wieder und als er verschwunden war, standen Touko, Natsu, Renta und Kana um Eri und Hisaki.

„Lasst sie in Ruhe!“

„Und zieht Leine!“, schimpften die beiden Mädchen und zogen wieder Steine mit den Zwillen auf.

„Vor euch haben wir keine Angst! Wir nehmen es mit euch allen auf!“

„Dann rufen wir die Polizei!“, drohte Natsu zusätzlich, aber aufgrund seiner eher ängstlichen Erscheinung erntete er dafür nur Lacher.

„Macht doch. Bis die hier wären, haben wir euch längst platt gemacht.“

„Hier auf der Straße sind wir das Gesetz.“

„Und ihr seid nur bedeutungslose Versager.“

„Vielleicht. Aber mit Geld“, sagte Renta kühl. Er griff unter den Blazer, der seine Schuluniform war und warf den Soldiers einen Bündel Geldscheine vor die Füße. Ungläubig blickten sie auf die großzügige Menge an 5000 Yen Scheinen.

„Ich schätze, dass wird das, was ihr für Kana hattet blechen müsst wieder gutmachen. Inklusive einem Bonus, wenn ihr euch von Hisaki und Omori fern haltet. Dann werden wir das mit der Polizei vielleicht auch überdenken. Was glaubt ihr, wie schnell und einsatzfreudig sie sind, wenn ich sie anrufe“, erklärte Renta freundlich, allerdings verbarg sich hinter dieser Großzügigkeit eine subtile Drohung. Renta machte ihnen schon Sorgen – schließlich war er der Spross von so einem reichen Schnössel -, noch mehr aber Hisaki, der von Dingen und Schandtaten wusste, die man sonst nur aus Filmen kannte.

„Gilt das auch für ihn?“, fragte einer der Soldiers und deutete dabei auf den angeschlagenen Hisaki.

„Ich hab doch gesagt, wenn ihr euch an euren Teil haltet, halte ich meine Klappe. Das war der Deal.“

„... Dann gut. Das war aber das erste und einzige Mal, dass wir euch verschonen. Männer. Wir gehen.“

Einer der jüngeren Mitglieder, ebenfalls mit dem Wort GEFREITER am Ärmel, griff nach dem Geldbündel, dann ging er der Gruppe nach. Sie stiegen auf ihre Bikes, die sie achtlos in eine Ecke gepfeffert hatten und nach einem langen Blickaustausch zwischen ihnen, Hisaki und Eri fuhren sie mit übertrieben lauten Motorgeräuschen Richtung Innenstadt. Man hörte einige auch lachen. Für die musste der Abend wirklich unterhaltend gewesen sein.

Sich fragend, ob er das einfach nur geträumte, während man noch auf ihn einschlug, schaute Hisaki seine Freunde an, schließlich wissend, dass es kein Traum war. Sie waren wirklich hier. Touko und Natsu atmeten erleichtert auf, während Kana ihren angespannten Nerven unterlag.

„Sag mal, Renta, bist du noch ganz dicht? Das war ein Vermögen!“

„Schick mir das Wechselgeld per Post“, sagte Renta zu Kana. „Freundschaft kennt keinen Betrag.“

„War trotzdem cool von dir. Kana und ich schulden dir was“, sagte Eri ins einer Dankbarkeit. Ehe Hisaki fragte, warum Eri gerade Kana so betonte umarmte sie ihn und küsste ihn auf die Wange. Vor Erstaunen bekam Hisaki nicht den Mund zu.

„Kana ist deine Freundin?!“, fragte er empört.

„Jep. Seit sieben Monaten. Aber ich wusste erst seit heute Mittag, dass die anderen sie bedrängt haben.“

„Kana hat uns dann angerufen und um Hilfe gebeten“, erklärte Touko weiter. „Die beiden meinten, du hättest was Dummes vor. Und wie es scheint hatten sie Recht.“

„Mach so etwas nie wieder“, sagte Renta besorgt, aber auch erleichtert. „Wäre Eri nicht, hätten wir dich nicht gefunden.“

„Ja, Mann, sei froh, dass ich da war. So 'n Ausstieg macht man nicht einfach mal so.“

Eri ging vor Hisaki in die Hocke und klopfte ihm auf den Rücken. Es schmerzte.

„Wieso hast du mir überhaupt helfen wollen?“

„Weil ich dich versteh, Senpai. So 'n Leben als Überflieger ist echt lässig, aber wenn man älter wird merkt man, wie dumm das eigentlich ist und so 'n Dasein keine Zukunft hat. Bist du nicht zum selben Entschluss gekommen?“

Schweigend schaute Hisaki erst Eri, dann seine Freunde an, die im Halbkreis um ihn standen. Er hätte erwartet, dass sie wütend oder ihm Vorwürfe machen würden und das er nun sieht, was er von dem allen hat. Verdient hätte er es. Stattdessen aber -

„Es tut uns Leid, das wir nicht eher kamen“, entschuldigte sich Kana voller Scham. „Ich hab das alles ins rollen gebracht.“

„Und danke. Für das in der Schule“, fügte Natsu an. „Wir wollen uns eher bedanken. Aber zu Hause warst du nicht und deine Eltern haben uns keine Auskunft gegeben. Wir dachten, du wärst sauer auf uns, weil du erwischt wurdest und wir dich haben hängen lassen. Mal wieder.“

„Natsu... Ich...“

Natsu hob den Kopf, als Hisaki seinen Namen aussprach, mit dem heiseren Unterton von Trauer. Natsu stellte fest, dass Hisaki begann zu weinen und er, wie auch der Rest dachte erst, es wäre, weil er verletzt sei. Doch sie merkten, dass es von Herzen kam.

„Ich... ich bin einfach nur dumm. Ich hab gedacht, hier auf den Straßen wäre alles besser. Ich wollte vergessen. Ich wollte alles vergessen. Aber ich kann nicht. Ich kann es einfach nicht...“

Hisakis Augen brannten. Seine Freunde sagten nichts. Mit Ausnahme von Eri verstanden sie genau, was er mit alles meinte.

„Aber an diesem Abend in der Grundschule, als wir alle so zusammensaßen... Es war wie früher. Und das ist alles, was ich wollte. Das es wieder so wie früher wird, aber das tut es nicht, es tut es nicht, die Welt, diese ganze beschissene Welt hält einfach nicht still!

Wütend schlug Hisaki gegen eines der umgefallenen Fahrräder. Er kratzte sich dabei die Hand auf.

„Was Kouta nur sagen würde, wenn er mich so sehen könnte... Was würde er nur denken...“

„Wir verstehen dich, Hisaki“, sagte Natsu und als Hisaki zu ihm hoch sah, sah er die nassen Augen hinter den Brillengläsern. „Wir fühlen genauso und wir fühlen uns schlecht damit. Aber irgendwann haben wir akzeptieren müssen, dass wir nichts machen können.“

„Es ist gut jetzt“, sagte Touko erleichtert und ging vor Hisaki in die Knie, dann boxte sie ihn leicht gegen die Schulter. „Aber besser jetzt als gar nicht. Du warst schon immer ein Spätzünder.“

„Jetzt komm hoch, Senpai. Auf'm Boden ist's unbequem“, forderte Eri ihn auf und reichte die Hand um Hisaki beim Aufstehen zu helfen. Doch Hisaki konnte nicht stehen. Ihm tat alles weh und er kippte um, doch Eri fing ihn auf.

„Scheint als müssten wir 'nen Zwischenstopp beim Doc machen“, meinte er und packte Hisaki auf den Rücken.

„Sollen wir nicht einen Krankenwagen oder so rufen?“, meinte Natsu.

„Das Krankenhaus ist 'n Katzensprung von hier entfernt. Das Fliegengewicht hier schaff ich locker dorthin“, meinte Eri und verlagerte Hisakis Gewicht etwas, ehe er loslief. Der Rest folgte ihm, Kana schob dabei Renta im Rollstuhl. Müdigkeit überkam Hisaki, während Eri ihn huckepack trug und die Sicht verschwamm. Touko, die direkt neben Eri herlief erkannte er aber noch. Sie trug ihre Schuluniform. Er kannte diese dunkelblaue Matrosen-Uniform. Das Licht der Neonlampen und Straßenlaternen ließen Toukos Haare rot leuchten.

„Asami...“, füsterte Hisaki sehr leise, Touko aber hörte es.

„Wer?“, fragte Touko ihn, aber Hisaki nahm ihre Frage nicht wahr. Sein Bewusstsein schwand, während er an diese Kratzbürste dachte. Bestimmt würde sie enttäuscht sein, wenn sie hiervon erfuhr. So cool war er eben doch nicht, nur ziemlich dämlich. Zu bedauerlich. Dabei hätte er gerne noch einmal mit ihr und mit ihren Eltern zu Abend gegessen. Und versucht, dieses Gefühl von Liebe aufrichtig zu erwidern...

 
 

 

Asami hörte Getuschel. Sie hörte keine genauen Worte, aber sie wusste, es ging um sie. Die Mädchen in ihrer Klasse sahen sie an, mit einer Mischung aus Besorgnis und Unsicherheit, trauten sich aber nicht zu ihr hin. Sie hatte eine Woche gefehlt und war nun den ersten Tag wieder im Unterricht, mit Bandagen um Arme und Beine, an wenigen Stellen sah man noch die grünlichen Reste von Hämatomen. Alles Abschiedsgeschenke von den anderen Kamikaze-Sisters. Nicht zu vergessen die Kratzer.

Man hatte sie gewarnt, dass man nicht glimpflich davon kam, sollte man aussteigen wollen. Aber sie hatte es durchgezogen. Die Mädels hatten wenig Erbarmen mit ihr, waren aber noch so großzügig gewesen, nicht mit den Schlägern auf sie einzudreschen. Ihr Senpai hielt nichts von Schlägen – sie verkratzte das Gesicht des anderen mit ihren langen Fingernägeln. Sie schaffte es aber nur Asami nach einer Tracht Prügel drei Kratzer von ihrer Schläfe zum Ohr zu verpassen und verhöhnte sie, ob sie mit einem vernarbten Gesicht noch Ikebana lernen könnte. Der Spott über ihren Traum gab ihr den Mut, nach ihren Senpai auszuholen und ihr die Nägel zu brechen, was ihr zwar diese Prozedur ersparte, aber aus Ausgleich mehr Schläge und Tritte brachte.

Dennoch musste man sagen, dass sie Glück hatte, dass an dem Abend Polizisten in der Gegend Streife fuhren und einen Krankenwagen riefen. Ihre Eltern haben sie im Krankenhaus regelrecht überfallen, ihr Vater war ganz klamm, ihre Mutter weinte und nahm sie in den Arm und nach langer Zeit erwiderte Asami diese Geste. Als ihre Eltern hörten, dass sie ausgestiegen sei waren sie zwar froh, fragten sich aber doch, wie sie zu dem Entschluss kam. Sie hatte keine Antwort. Es ging einfach nicht mehr. Sie hatte sich einfach um zu viel Gedanken gemacht, begonnen zu viel zu hinterfragen und sich letztlich zu schämen. Wegen Amano. Hätte er die Kugel nicht ins rollen gebracht...

Ihre Mutter half die Stickereien aus der Uniform zu entfernen. Die in ihrer Jacke ließ sie jedoch. Sie hätten etwas, hatte ihre Mutter gesagt. Die Haare sollte sie auch so lassen. Das Rot würde ihr gut stehen und hatte sie stolz angelächelt. Nicht unbedingt weil Asami von diesen Yankees weg war, eher weil ihre Mutter empfand, dass Asami plötzlich so reif geworden war. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, trotz dass ihr die Konsequenzen bewusst waren. Und sich entschuldigt.

Nur wieder in den Schulalltag rein finden würde schwierig werden. Sie hatte viel verpasst, dass sie nun nachholen müsste und unzählige Hausaufgaben schleifen lassen. Es würde ein langer Herbst werden und kaum jemand würde ihr helfen, so argwöhnisch sie drein schauten.

Der Unterricht war vorbei und Asami verrichtete ihren Putzdienst mit zwei anderen Mädchen, die aber unter sich blieben. Sie trauten sich nicht Asami anzusprechen, weil sie nicht wussten, was sie sagen sollten. Wenn einer von Asamis Mitschülern sie ansprach, hatte sie ihn ja sonst auch immer ignoriert oder angeschrien. Sie war selbst daran Schuld.

„Konoka!“, rief es von draußen, dann öffnete sich die Türe ihres Klassenzimmers. Eine der Klassensprecherinnen aus der zwölften Klasse steckte ihren Kopf in den Raum und winkte Asami zu sich her. Obwohl Asami mit denen aus der zwölften nichts zu tun hatte, rechnete sie damit, eine Standpauke zu kassieren oder eine weitere Strafarbeit, die sie noch abzusetzen hatte.

„Komm mal mit.“

„Ja, Nakatani“, sagte Asami reumütig. Sie hatte mit Touko Nakatani nie geredet, aber sie war Klassenbeste ihre Jahrgangs und als Klassensprecherin würde sie sicher über Asami genau Bescheid wissen, also hinterfragte Asami es auch nicht, als sie die Treppen hinunter gingen. Vielleicht würde sie die Sporthalle putzen müssen. Sie würde bis zum Winter nicht fertig werden.

Zwar gingen sie zum Sportplatz, aber nicht Richtung Turnhalle. Stattdessen liefen sie an den Abstellplätzen der Fahrräder vorbei zur Tribüne vor dem Sportplatz, wo gerade der Leichtathletik-Club seine Aufwärmrunde lief, beobachtet von Natsu, Kana, Renta, Eri und Hisaki. Letzterer bemerkte die beiden Mädchen zuerst und ächzte, als er Asami sah.

„D-Du hast sie hergebracht? Du sagtest, du wolltest was Wichtiges holen, Touko!“

„Das hier ist wichtig. Das ist doch die Asami Konoka, von der du erzählt hast? Ich habe nie gesagt, dass ich eine Sache hole“, konterte sie, während Asami sich wunderte, dass Hisaki und Touko sich kannten. Wütend sprang Hisaki von der Tribüne runter und blieb vor Asami stehen. Er wusste gleich, was die Verletzungen zu bedeuten hatten. Schließlich trug auch er welche. Am auffälligsten war sein teils abgeheiltes Veilchen, dass Kana so gut es ging kaschiert hatte.

„Du bist ausgestiegen?“, fragte Hisaki sie nach einigen Sekunden der Stille, worauf sie nur nickte.

„Du auch, wie ich sehe?“

„Mhmm... Ich habe eingesehen, dass dieses Leben nicht das ist, was ich wollte. Ich dachte, dass sei zumindest besser, als alleine zu sein. Dabei war ich es die ganze Zeit.“

Etwas gerührt sah Asami Hisaki an, dann die große Tasche, die er mit sich rum trug.

„Aber zu spät. Ich kann nicht zu meiner Familie. Ich glaube aber, daran sind nicht nur die Soldiers Schuld.“

„Was machst nun, Amano?“

„Mir fällt was ein. Mir fällt immer etwas ein“, sagte er schelmisch grinsend. „Ich habe noch etwas Zeit. Eri sagt, ich kann in seiner Wohnung bleiben.“

„Kana und ich ziehen nach Osaka. Neues Leben und so“, erzählte Eri und schlang stolz seinen Arm um Kana.

„Es war Soichiros und mein Traum irgendwann Tokio und alles, was hier geschehen ist hinter uns zu lassen. Für meinen Freund nehme ich es nun in die Hand.“

„Und dein Abschluss, Kana?“

„Ach, wird schon“, meinte Kana zu Touko, die jedoch nicht dieser Zustimmung war.

„Aber du schreibst uns, Kana?“, fragte Natsu.

„Natürlich. Und dann zeigst du mir auch Fotos von dir und deiner Freundin?“

„Wir helfen nur beide zufällig im selben Laden aus!“, moserte Natsu verlegen und die Intensität der Schamesröte verriet, dass an den Gerüchten doch was dran war. Hisaki lachte ihn leise aus. Touko stubste Asami auf die Schulter.

„Du musst wissen, Hisaki ist eigentlich sehr schüchtern“, erzählte sie, was von Hisaki nicht unbemerkt blieb, aber schüchtern wie er doch tatsächlich war, sagte er nichts. „Deswegen habe ich dich geholt. Von alleine wäre Hisaki nämlich nicht gekommen.“

„Wofür?“

„Ja, wofür. Sag schon, Hisaki“, forderte Touko ihn auf. Doch er genierte sich weiter, selbst als Kana, Natsu und Eri ihm einen Schubs gaben. Hisaki stand nun so dicht an Asami, dass sich ihre Fußspitzen fast berührten.

„Komm. Sag, was du uns gesagt hast“, drängt nun auch Renta. Gespannt legte Asami den Kopf etwas schief und sie spürte ebenso die Hitze der Verlegenheit in ihren Wangen.

„Deine Einladung von neulich“, begann er schließlich, wenn Hisaki sich auch schwer tat die Worte über seine Lippen zu bekommen. „Ich... würde sie gerne annehmen. Es würde mich sehr freuen, wenn ich bei euch Abendessen dürfte.“

„Du möchtest wirklich?“, fragte Asami ungläubig. Dabei hatte sie dass mehr im Scherz von sich gegeben und im Glauben, dass er ohnehin nur ablehnen würde. Aber sie freute sich, diese Worte ihres heimlichen Schwarms zu hören. Hisaki nickte.

„Ja und... Ich würde gern öfter bei euch sein. Ich weiß, deine Eltern sind dir oft lästig und sie verstehen dich nicht immer, aber man merkt, dass ihr euch liebt. Und wenn ich ein kleiner Teil davon sein könnte, würde mich das freuen. I-Ich -“, Hisaki schluckte, sah verlegen Asami an und dann zu Boden, „ - würde gerne mehr Zeit mit dir verbringen, Asami.“

Augenblicklich warf sich Asami in Hisakis Arme. Er ließ er seine eigenen hängen, aber dann und etwas zurückhaltend umarmte er dieses Mädchen, dass ihr Gesicht gegen seine Brust quetschte um nicht zu zeigen, wie froh sie war. Fast so froh, wie Hisakis Freunde, die sich sicher waren, dass sich Hisaki in guten Händen befand. Sie würden nie mehr die Freunde sein, die sie früher mal waren, dass war ihnen allen klar, aber so konnten sich weiter unterstützen. Vielleicht würden sie irgendwann doch ihres Lebens froh werden.

Asamis Eltern waren überrascht ihre Tochter zusammen mit Hisaki an der Hand zu sehen. Hisaki war höflich, aber verlegen und etwas von Scham erfüllt. Er erzählte beim Abendessen wenig. Er sah fertig aus, seine Verletzungen waren noch nicht ganz abgeheilt und Frau Konoka könne es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, wenn er sich in dem Zustand allein versorgen müsse und irgendwann platzte es aus ihr heraus.

„Sagen deine Eltern nichts, dass du hier bist?“, fragte Frau Konoka zurückhaltend.

„Ich glaube nicht. Mein Vater und ich verstehen uns nicht so gut. Es ist besser, wenn ich etwas Abstand halte.“

„Das ist schade zu hören. Aber Familie ist nie ganz harmonisch. Stimmt's, Liebes?“

„Ja, Mama“, sagte Asami peinlich gerührte.

„Und deine Mutter sagt auch nichts?“

„Ich glaube, sie hat andere Probleme. Außerdem hat mein Vater zu Hause das Sagen.“

„Ist deine Mutter zufällig Zahnarzt?“ fragte Herr Konoka plötzlich.

„Ähm, ja, ist sie.“

„Ah, wusste ich es. Ich hatte den Verdacht schon, als ich deinen Nachnamen hörte. Frau Amano ist meine Zahnärztin, schon seit Jahren. Jetzt weiß ich auch, wieso du mir so bekannt vorkommst. Sie hat in ihrem Büro viele Fotos von dir und deinem Vater aufgestellt. Eine sehr freundliche Dame.“

„Ruf sie doch an und sag ihr, dass du bei uns bist, Hisaki“, sagte Frau Konoka euphorisch. Hisaki konnte nichts mehr sagen, da schleppte Frau Konoka ihn schon zum Telefon und drückte ihm den Hörer in die Hand. Er wollte nicht, aber er konnte nicht ablehnen. Sie wussten schon zu viel von seinem verkorksten Familienleben. Als Hisaki die Nummer wählte, hoffte er nur, dass nicht sein Vater abnahm. Er hatte Glück.

„Ja?“

„Mutter, ich bin's“, hauchte er vorsichtig in den Hörer. Erst kam nichts, seine Mutter schien zu glauben, sich verhört zu haben. Hisaki hörte sie atmen, dann nach Luft holen.

„Hisaki? Hisaki, wo bist du? Komm nach Hause, Junge! Dein Vater meinte nicht, dass du für immer weg von zu Hause bleiben sollst. Bitte, ich will nicht, dass du bei diesen Yankees Tag und Nacht rumhängst.“

„Ich komm nicht Heim, Mutter. Ich bin aber auch nicht bei der Gang. I-Ich..“, - Hisaki warf einen Blick auf Asami, die mit ihren Eltern zu nah bei ihm standen, um nicht mithören zu können, „- bleib bei meiner... meiner Freundin in Nerima.“

„Deine Freundin?“

„Ihr Vater ist ein Patient von dir. Der Name ist Konoka. Sagt dir etwas?“

Hisakis Mutter überlegte, aber sicherlich nicht wegen den Namen, sondern ob sie sich diesmal wirklich verhört hatte. Er hatte Freundin gesagt und es war peinlich. Wieder schaute er zu Asami rüber. Sie hatte es natürlich gehört und wurde rot. Ihr Vater wunderte sich, ihre Mutter grinste.

„Ja... Herr Konoka ist schon lange Patient bei mir.“

„Sie sagen, es macht ihnen nichts aus, wenn ich etwas bleibe. Ich habe die Gang verlassen. Und ich brauche etwas Zeit um mich zu ordnen. Viel Zeit.“ „Das verstehe ich. Ist es okay, wenn ich deinem Vater sage wo du bist?" „Mach nur", seufzte Hisaki, dann wurde sein Mund trocken. Es war eigentlich ein guter Moment, dass wohl wichtigste zu sagen, aber er tat sich schwer. Stumm schimpfte er sich aus und drängt sich dazu, sich selbst einen Ruck zu geben. Das war wichtig.

„Mutter. Es... Es tut mir Leid. Du weißt, wegen - Ich hätte das nicht sagen dürfen. Das macht es nicht gut. Aber ich wollte, dass du weißt, dass es mir Leid tut."

„Ich... bin sehr glücklich darüber, das zu hören“, schluchzte sie, zumindest glaubte Hisaki, dass sie es tat. Weinte sie etwa?

„Ich mach Schluss, Mutter. Es war ein langer Tag.“

„Hisaki, bevor du auflegst...“, hauchte sie und wieder hörte Hisaki dieses Schluchzen und ein tiefes Einatmen. Sie sagte lange nichts, aber Hisaki wartete geduldig, bis seine Mutter wieder am Hörer war.

„... Sag Herr Konoka bitte, dass er seinen Kontrolltermin nächsten Donnerstag nicht vergessen soll. Er vergisst seine Termine ständig.“

„Werde ich.“

„Gut... Und Gute Nacht. Ich hab dich lieb.“

Sie legte schnell auf, während Hisaki den Hörer nur langsam wieder zurücklegte. Ich hab dich lieb, sagte sie. Wie lange war das denn her, dass sie so etwas über die Lippen brachte? Tief in Gedanken versunken (und in Verwunderung) merkte Hisaki nicht, wie Asami allein durch die Blicke ihrer Eltern angestachelt wurde, diese aber sich verzogen, bei der Frage, wo Hisaki über Nacht blieb. Er bot an auf der Couch zu schlafen, dass wollten seine Gastgeber aber nicht. Asami war es, die vorschlug, dass Hisaki bei ihr im Zimmer blieb, ignorierte aber den stummen Widerwillen ihrer Eltern. Ihr Vater war etwas schockiert, ihre Mutter misstrauisch. Abbringen konnte sie aber niemand, nicht mal Hisaki.

„Du musst das nicht machen“, sagte er und klang, als sei ihm dass alles mehr wie unangenehm. Er saß auf dem Boden und sah Asami zu, wie sie einen weiteren Futon auf dem Boden ausbreitete.

„Ist doch das Mindeste. Du bist zu Gast.“

„Und ist es dir nicht unangenehm, mit einem Mann alleine in einem Zimmer zu sein?“

Hisaki grinste, auch noch nachdem Asami ihm ein Kissen direkt ins Gesicht warf.

„Vor einem Spargel wie dir habe ich keine Angst. Ich hab schon mit Jungen das Zimmer geteilt, die wesentlich mehr auf den Rippen hatten als du“, schimpfte sie, lachte aber anschließend. Während Asami die Decke glattstrich, senkten sich ihre Mundwinkel wieder. Sie schien nachdenklich.

„Du hast am Telefon gesagt ich wäre deine Freundin?“

Hisaki antwortete erst nicht, sonder musste sich erst selbst wieder daran erinnern. Ja, hatte er. Nur warum?

„War das unangemessen?“

„Es kam nur so plötzlich und unerwartet.“

„Hilft es dir, wenn ich gestehe, dass es für mich genauso war?“, sagte Hisaki und lachte gezwungen. Dann seufzte er, was aber Asami angenehmer war. Dieses Seufzen war ehrlicher. So ehrlich wie Hisaki sie in diesem Moment betrachtete.

„Ich wollte nie viel mit anderen Menschen zu tun haben. Ich habe daher nie etwas wie Verbundenheit verspürt. Vielleicht bin ich arrogant. Vielleicht auch nur unsicher. Aber als wir letztens so zusammensaßen und geredet haben, war ich gar nicht unsicher. Es war ganz okay.“

„Hast du nie das Gefühl gehabt, zu jemanden zu gehören?“

„Doch. Einmal. Und dieser jemand hat mir alles bedeutet. Ich habe ganz vergessen, wie sich das anfühlt. Und irgendwie hast du mich wieder an dieses Gefühl erinnert.“

Hisaki schnaufte wieder. Auf seiner Brust lag ein schwerer Druck, doch nachdem er die Worte aus seinem Mund bekam, verschwand diese imaginäre Last. Aber er verspürte eine gewisse Kraftlosigkeit. Er sah aus dem Fenster. Der Mond grinste. Nein, griente. Griente wie die Grinsekatze. Ob Tsukaimon stolz auf ihn wäre? Was würde sein bester Freund nur von ihm denken? Wäre Kouta froh gewesen?

Asami beugte sich nach vorne und legte dabei beide Hände auf den Futon ab, um Hisaki mit gerunzelter Stirn anzuschauen. Da sie nichts sagte, mimte Hisaki ihre Pose nach. Ihre Gesichter waren sich nah. Es berührten sich gerade so ihre Fingerspitzen.

„Weißt du, wenn du nicht gerade wie so ein Großkotz klingst, redest du wie ein Streber.“

„Sagt das Mädchen, das behauptet hat sich in mich verliebt zu haben.“

„Du wolltet doch mehr Zeit mit mir verbringen. Also musst du dich daran gewöhnen. Ich sag nämlich immer, was ich denke.“

„Dieses Risiko ist mir bewusst. Kratzbürste.“

„Angeber.“

Sie lächelten sich an. Hisaki spürte, wie Asamis Finger nun nicht nur mehr seine berührten, sondern sich auch auf seine legten. Ihre Gesichter kamen sich näher.

„Danke übrigens, Asami.“

„Gern... Hisaki.“

Es war wie ihm Film, und ähnlich fühlte sich Hisaki auch. Er glaubte im ersten Augenblick nicht wirklich, dass er Asamis Gesicht immer näher kam, beide den Kopf zur Seite neigten und sich küssten. Darauf schlangen sie die Arme um sich und fielen auf den Gästefuton. Auf einmal ging alles ziemlich schnell. Sein Hemd wurde geöffnet und Hisakis Hände streiften unter die Bluse. Er hielt ihre Brüste in den Händen und als Hisaki das zu begreifen begann, stoppte er.

„Entschuldige. Ich wollte nicht...“, stotterte er – er stotterte, er! - und nahm die Hände wieder weg. „Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen.“

„Ich bin keine Jungfrau mehr, Amano. Ich weiß, was ich tue.“

Hisaki blinzelte. Asami auch, doch war in ihren Augen wesentlich mehr Entschlossenheit. Ihr Finger krallten sich fester an ihn. Sie wollte ihn nicht gehen lassen und irgendwie amüsierte es Hisaki etwas.

„Ach, tust du das?“, sagte Hisaki mit einem leisen, herausfordernden Lachen. „Dann beweise es.“

Sie hatte nicht einen Moment gezögert. Sie küsste ihn, lange. Dann wieder ein Kuss. Noch einer, bis auch Hisaki sie mit Küssen überhäufte, auf die Lippen, auf die Nasenspitze, ihr Kinn, ihren Hals.

Es stimmte, was Asami gesagt hatte. Sie wusste, was sie tat. Wusste, wie sie Hisaki aus den Kleidern half, wo sie ihn berühren und wie sie sich mit ihm bewegen musste, um die anfängliche Unsicherheit zu lösen.

Es war nicht perfekt. Seine Hände zitterten. Es war sein erstes Mal und so viel Nähe war er nicht gewohnt. Dazu die Bedenken, ob man ihn stöhnen hörte. Er wollte es unterdrücken, aber er konnte nicht.

„Entspann dich. Denk nicht nach“, flüsterte Asami ihn zu und während ein Teil von Hisakis Verstand versuchte, diesen Worten Bedeutung zu schenken, dachte ein anderer Teil nur daran, dass sie mit den wirren Haaren und den rosa gewordenen Gesicht unfassbar süß aussah.

„Wenn deine Eltern uns aber hören...?“

„Und wenn schon. Genieße es einfach. Es ist alles gut...“

Asamis Worte beruhigten ihn ein wenig. Perfekt war es nicht, aber es war gut. Er ließ sich mit den Bewegungen tragen, bis der Rhythmus seinen ganzen Körper beherrschte. Einen fremden Körper, geschweige den einen fremden Geruch einzuatmen war erst komisch, dann betörend. Und die Arme, die ihn festhielten, lieber Himmel, wie lange war es her, dass ihn jemand aufrichtig umarmte? Es war so schön warm. So warm...

Eng umschlugen schliefen sie nebeneinander ein. Hisaki erwachte mitten in der Nacht, es war dunkel und Asami lag neben ihm. Er sah auf den kleinen Wecker, der neben dem Futon lag, mitsamt einigen Kleidungsstücken. Kurz vor vier.

Er war noch benommen vom träumen. In diesem Traum war er Alice gewesen (Hisaki glaubte sogar, er hätte ein blaues Spitzenkleid getragen) und er hatte auf einer Wiese gesessen, aber statt grün war sie weiß. Vielleicht von den vielen Gänseblümchen, vielleicht auch vom Schnee. Aber da waren so viele komische Schnecken und Untertassen, aber keine Tassen, geschweige denn gefüllte (wie unhöflich). Und statt der älteren Schwester oder dem Haustier hatten Kouta und Tsukaimon neben ihm unter dem Baum gelegen. Gespürt hatte Hisaki es zwar nicht, aber glaubte zu wissen, wie weich sein violettes Fell war, wie ledrig dafür aber die Flügel. Er hatte den Atem und den Druck gespürt. Es war fast zu echt.

„Träumst du auch noch, Tsukaimon?“, fragte Hisaki in die Nacht, wissend dass er keine Antwort bekommen würde. Er müsste sie wenn selbst finden. Das war es, was Shakamon damals zu ihnen sagte. Lohnte sich aber die Suche? Er hörte Kouta sagen Natürlich tut es das!.

Sein Blick fiel auf die schlafende Asami.

Bedacht Asami nicht zu wecken, griff Hisaki nach seinem Mantel, der neben ihm auf dem Boden lag. Gerade so konnte er in die Taschen fassen und fand auch recht schnell genau das, was er finden wollte. Er fühlte sich wieder wie ein Elfjähriger, kurz nachdem er ins Kaninchenloch fiel. So viele Fragen, aber gleichzeitig so viel Elan, sie beantworten zu wollen.

Asami wachte ein paar Stunden später auf, als es schon hell wurde. Hisaki war wieder eingeschlafen, mit dem Digivice in der Hand und dem Wappen um den Hals.

Hisaki blieb noch ein paar Tage, bis er all sein Hab und Gut in Eris Wohnung gebracht hatte. Was die Miete betraf war er überrascht zu hören, dass seine Eltern ihm aushelfen wollten – zumindest solange er noch zur Schule ging. Er ging. Er machte seinen Abschluss. Für die Uni hatte er eine zu lange Geschichte und wenig Interesse. Er jobbte, um sein Leben zu finanzieren, gab Nachhilfe im Klavierspielen und um für eine wichtige Sache Geld auf die hohe Kante zu legen.

Hisaki war zur Zeit im Büro von Asamis Vater tätig, als sein eigener auf einmal von sich hören ließe. Die Musikschule im Nachbarviertel suchte Lehrer. Der Direktor der Schule sei ein Freund und schulde ihm noch einen Gefallen. Zwar wollte er einen Lehrer mit abgeschlossenem Studium und einem Stipendium an einer Musikhochschule, aber für seinen alten Freund, der zudem ein bekannter Klavierspieler und Komponist war würde er eine Ausnahme machen. Hisaki rang mit der Entscheidung lange. Er wollte nicht den Eindruck hinterlassen, er würde sich an der Bekanntheit seines Vaters hochziehen. Die Entscheidung nahm ihm dafür sein Glas ab - beschriftet mit ASAMI und er hatte sich dazu verleiten lassen eine Achtelnote hinzuzeichnen, deren Kreis wie ein Herz aussah -, in dem er immer wieder Geld rein warf. Und natürlich Asami selbst, die noch vor den Abschlussprüfungen Ikebana-Kurse besuchte, nach ihrem Abschluss aber erst nur als normale Floristin arbeiten würde. Hisaki nahm das Angebot an und wurde als Referendar an der Musikschule eingestellt. Der Direktor warf trotz des guten Verhältnisses zu seinem Vater ein strenges Auge auf ihn. Einzig strenger war Hisaki zu seinen Schülern. Er war fair und gut darin das Gefühl für die Musik jemanden näherzubringen, ließ er sich sagen, aber forderte Fleiß und Beharrlichkeit. Er wusste, wie er mit den Schülern reden musste, die entweder schnell die Lust verloren oder glaubten, sich von einem Referendar müssten sie sich nichts sagen lassen. Wenn er auch kein Chef einer Bosozoku-Gang mehr war, diese leicht subtile Art jemanden Angst zu machen, aber auch gerade dadurch denjenigen zu motivieren hatte er drauf.

Kurz bevor Asami ihren Abschluss machte hatte Hisaki das Geld zusammen, dass er benötigte um ihr endlich einen Verlobungsring zu kaufen. Einen Tag nach ihrem Abschluss bat er sie, seine Frau zu werden. Und sie sagte Ja. Sie zogen kurz darauf in eine etwas größere Wohnung. Über ein Jahr später, am 15. September, knapp eine Woche vor Asamis Geburtstag, heirateten sie.

 
 

𝅝

 

An einem Diensttag wurde Rosemon nach langer Zeit zu Ophanimon gerufen, die ihre Schwester darum bitten wollte, ihr zu helfen die Myotismon in der Nähe der Grenze loszuwerden, ehe sie zur Bedrohung werden würden. An einem Diensttag ging Rosemon zu Ophanimon, um eine angemessene Belohnung auszuhandeln und entschied sich, den im Verlies sitzenden Wisemon mitzunehmen. An einem Diensttag erschien Homeostasis vor ihr, weil es sie auserwählt hätte, für was auch immer. An einem Diensttag waren ihre Gänslein und Gänschen vollzählig. An einem Diensttag heiratete sie Wisemon. An einem Diensttag sagte sie zu den Digimon, die ihr Gegenstück verloren hatten und denen außer Erinnerung und ihrem Tantchen und Onkelchen nichts mehr blieb das letzte Mal Gute Nacht.

Als Rosemon am Mittwoch erwachte waren die Betten kalt und sie fand nichts außer einen Brief, den zwar Floramon geschrieben, aber alle unterschrieben hatten. Sie rannte aus der Villa hinaus und suchte alles im Wald und darüber hinaus ab. Sie schrie „Gänslein, Gänslein, wo seid ihr?!“, so laut, dass man es vermutlich bis über die Wolken hören konnte. Wisemons Versuche sie zu beruhigen scheiterten. Sie kämen wieder, hätten sie Dracmon gefunden und einen neuen Sinn im Leben. Sie waren im Krieg gewesen, sie hatten Schlimmes überstanden und sich zu helfen gewusst. Rosemon entgegnete nur, dass das nicht zu vergleichen sei. Schließlich waren sie im Krieg nicht alleine gewesen.

Rosemon suchte die ganze Gegend ab. Das ganze Land und jeder Tag ohne eine Spur warf sie weiter in die Verzweiflung. Sie fragte jedes Digimon, dass sie traf. Manche wussten nichts, manche meinten sich vage an diese Truppe zu erinnern, seien sich aber unsicher und wüssten nicht, wo sie nun waren. Sie suchte weiter. Sie wollte erst aufhören, wenn sie den gesamten Kontinent abgesucht hatte, alle Meere und was darüber hinausging. Bis sie ihre Gänslein gefunden hätte.

Wisemon und sie stritten oft deswegen, dass war vielleicht auch das einzige Mal während ihrer gesamten Ehe, dass Wisemon versuchte sich über sie zu stellen, was Rosemons Ego nicht zuließ.

Sie würde sich schaden, sie sei hysterisch.

Er sei so schrecklich leichtgläubig und es war unverständlich, warum er auf einmal so kalt war.

Die Digimon brauchen Zeit für sich, sie waren alt genug, Rosemon hätte sie regelrecht eingesperrt.

Die Digimon kannten nur Krieg, trauern über den Verlust und digitieren konnten sie nicht, wer weiß was dort draußen sei.

Die Apartheid war vorüber.

Deswegen war die Digiwelt doch nicht ungefährlich.

Das müssten sie selbst lernen, wenn sie reifen wollen.

Aber doch nicht Hals über Kopf.

Fast jeden Tag gingen diese Diskussionen und obwohl Wisemon meist der war der nachgab, blieb ein gewisser Groll. Er unterstellte Rosemon ihre Gefühle nicht im Griff zu haben. Sie sagte zu ihm, wenn es ihn auf einmal so störte, dass sie versuchte mit dem Herz zu denken, sollte er gehen. Dies tat Wisemon jedoch nie, wenn die Worte ihn auch hart trafen.

Stattdessen ging eines Tages Rosemon, doch Wisemon konnte sich denken wohin. Denn es gab nur ein Digimon, dass ihr bei dieser aussichtslosen Suche wirklich helfen könnte, nämlich Ophanimon, die sich jedoch seit dem Fall der Apartheid immer mehr in ihr Domizil in den Resten von Atzilut zurückzog, die Seraphimon auf seinem Vernichtungsmarsch übrig gelassen hatte. Selbst ihr Personal und die wenigen Schüler, die bei ihr geblieben waren hatten sie kaum bis gar nicht gesehen, wie Rosemon beim Eintreffen erfuhr.

Die Depression ihrer Herrin schlug auf alles in ihrer Umgebung. Der Kristall, aus dem ihre Gemächer bestanden war glanzlos, die Pflanzen verwelkt, Fenster mit langen Leinen abgedeckt, damit Ophanimon die Welt dort draußen, geschweige denn ihr Spiegelbild nicht sehen musste, wenn sie mal den großen Besprechungssaal verließ. Ein großer, runder Raum, die Wände überfüllte Bücherregale, auf die Wisemon neidisch werden könnte. Rosemon erinnerte sich, dass hier sonst Unmengen Zeug rumstand, ein großer Globus, Teleskope, Tische auf denen noch mehr Kram lag. Doch außer einem leeren Tisch und einem Stuhl in diesem abgedunkelten Raum war er leer. Auf besagten Stuhl saß Ophanimon und zu Rosemons Überraschung waren nicht nur ihre ehemaligen drei Generäle anwesend, sondern auch QueenChessmon. Sie hoben überrascht die Köpfe, als sie Rosemons Eintreten bemerkten, dann starrten sich die drei Schwestern an, ohne dass eine Begrüßung fiel.

„Du sitzt da wie ein Häufchen Elend, Schwesterherz.“

„Lady Ophanimon ist nur etwas erschöpft“, verteidigte sie das ehemalige Imperialdramon, das nun wieder Veemon war. Genauso war Valkyrimon wieder zu Hawkmon und Shakoomon wieder zu Armadillomon digitiert.

„Sie hat in den letzten Tagen viele Dinge im Alleingang umstrukturieren müssen.“

„Und viele Gesetze neu überarbeitet“, fügte Hawkmon zu.

„Und versucht wieder Ordnung in die Städte zu bringen“, erklärte auch Armadillomon.

„Bedingt ist ihr das auch ganz gut gelungen. Für eineinziges Digimon ist das viel Arbeit. Oder ist das eine Ausrede, um keinen Fuß hinauszusetzen?“

„Also, man darf doch bitten!“, schimpfte Veemon. QueenChessmon räusperte sich und schüttelte den Kopf.

„Du bist wegen deinen Gänslein hier, oder?“, fragte Ophanimon und tat so als hätte sie die unterschwellige Beleidigung nicht mitbekommen. „Ich hab gehört, dass sie verschwunden sind.“

„Sie sind entlaufen und suchen nach Dracmon. Wenn sie ihn gefunden haben, kommen sie wieder, aber ich kann nicht die ganze Digiwelt alleine nach einem Digimon absuchen, geschweige denn nach sieben. Und dafür, dass du mir in den Rücken gefallen bist, kann ich auch etwas Hilfe von dir verlangen, dann sind wir auch quitt.“

„Sie sind nicht hier“, entgegnete Ophanimon. „Denkst du, ich habe nicht auch gesucht, als ich davon hörte? Aber ich spüre, dass sie nicht hier sind.“

„Das kann nicht sein! Sie müssen hier irgendwo in dieser Welt sein!“

„Ich sage dir nur, was ich weiß.“

„So ein Blödsinn, du -!“

„Rosemon!“, ermahnte QueenChessmon weiter und hielt sie zurück. „Wir verstehen dich. Aber du bist dir Ophanimons Fähigkeiten genauso bewusst wie ich. Vielleicht sind sie wirklich nicht hier, sondern woanders. Vielleicht sind sie -“

„Niemals! Sie sind hier irgendwo und wir können sie finden, wenn ihr endlich einmal anfangen würdet mir zu helfen, anstatt solche Behauptungen aufzustellen!“, brüllte Rosemon, bis ihre Lungen brannten. QueenChessmon verzog mitleidig das Gesicht und dieses Mitleid kotzte Rosemon immer mehr an. Man behandelte sie wie eine Verrückte. Ihre Gänslein waren irgendwo und sie waren am Leben. Sie wusste das. Sie war nicht verrückt.

„Ich kann dir nicht helfen, Schwester“, sagte Ophanimon und ließ den Kopf hängen umkreist von ihren Generälen. „Ich habe die Akademie aufgelöst. Die Digi-Armor-Eier, die den Soldaten die Armor-Digitation erlaubt habe ich hier versteckt. Ich will keine Truppe mehr. Ich will keinen Krieg mehr.“ „Schade, dass du auf diese Erkenntnis erst jetzt kommst“, maulte Rosemon. QueenChessmon brummte sie an, als Zeichen, dass sie es lassen sollte zu stacheln.

„Wenn du nur für bissige Kommentare gekommen bist, spar dir das für ein anderes Mal auf“, flüsterte QueenChessmon und knirschte mit ihren Zähnen.

„Ich bin eigentlich nur gekommen um eine Nachricht zu überbringen. Von Seraphimon. Er sagte, bevor er vernichtet wurde, dass es ihm Leid tut, dich zum weinen gebracht zu haben, Ophanimon. Ich kann die Bitte eines Toten nun einmal nicht abschlagen.“

„Ich danke dir. Es rührt mich, das zu hören.“

Trotz der positiven Äußerung, blieb Ophanimon in dieser armseligen Haltung. Rosemon wurde stutzig.

„Lief da etwas zwischen dir und Seraphimon?“

„Wir -“, Ophanimon pausierte und schien wegzuschauen, bis sie die richtigen Worte gefunden hatte, „- verstanden uns gut. Wir sind humanoide Digimon, anders wie Cherubimon und Huanglongmon, natürlich verstehen wir beide uns besser.“

„Wie viel besser?“

„Ich weiß, was du andeuten willst, Rosemon. Aber als Vertreter des Volkes haben wir uns einvernehmlich entschieden, das jedes Verhalten, dass über unsere Position hinausgeht kontraproduktiv ist. Alles, was keiner klaren Linie folgt und nicht rational erklärbar ist, ist schädlich für die Ordnung und das System. Also haben wir nicht mehr darüber gesprochen.“

„Hättest du dich mal lieber... mal lieber darauf eingelassen“, schnaufte Rosemon letztlich, anstatt direkt das zu sagen, was ihr als erstes in den Sinn kam. Das wäre jedoch nicht nur sehr direkt, sondern auch obszön und anstößig gewesen.

„Hättest du eher darüber nachgedacht, hättest du bemerkt, dass die Kinder nichts Schädliches waren und das, was sie sagten nicht kontraproduktiv!“

„Wohin hat es die Digiwelt denn geführt? Hier versinkt alles im Chaos!“

„Es hätte funktioniert, wenn ihr sie nicht hintergangen hättet!“

„Es wäre besser gewesen, sie wären niemals erschienen! Menschen haben in der Digiwelt nichts verloren!“

Schluss!

QueenChessmon sprang zwischen die beiden. Sie drückte Rosemon fort. Ophanimon wurde von Veemon und Hawkmon festgehalten. Sie hielt ihre Lanze bereits in der Hand, doch ihre einstigen Generäle rüttelten sie wieder wach. Nun wechselte sie ihren Blick zwischen ihrer Waffe und ihrer Schwester und wollte kaum glauben, dass sie sie wirklich attackieren wollte.

„R-Rosemon, versteh das nicht falsch. Ich wollte das nicht. Wirklich.“

„Wie oft habe ich das die letzten Jahre schon von dir gehört?“, schnaufte sie. Rosemon machte auf dem Absatz kehrt und ging.

„Rosemon! Jetzt bleib hier, bitte!“, flehte QueenChessmon sie an und hielt sie dabei am Arm fest, doch Rosemon riss sich los. „Bitte, Rosemon. Bleib hier. Ich habe dir nie etwas böses gewollt! Wir sind doch Schwestern. Siehst du nicht, dass du mir und QueenChessmon auch das Herz brichst? Ich will nicht noch jemanden verlieren.“

„Für meine Gänslein hattest du auch keine Rücksicht übrig“, entgegnete Rosemon schnippisch. Als Rosemon ging, lief QueenChessmon ihr einige Schritte nach, kehrte aber schnell wieder um, als sie Ophanimon weinen hörte. Rosemon schaute nicht zurück.

Es war das letzte Mal, dass sie Ophanimon sah. QueenChessmon besuchte sie noch lange in ihrer Villa. Sie versuchte auf Rosemon einzureden, sich mit Ophanimon zu versöhnen. Es müsse sich keiner entschuldigen. Aber die Trauer um ihre Gänslein nahm sie komplett ein und so schaute sie an manchen Tagen nur aus dem Fenster und beobachtete, wie die Jahreszeiten und Generationen an ihr vorbeizogen.

Die Generation, die noch während oder kurz nach der Apartheid geboren wurden waren ruhig, etwas unorganisiert und verloren ohne Infrastrukturen. Erst zwei oder drei Generationen später, als die Erzählungen über die Typus-Apartheid mehr einer Sage längst vergangener Zeiten glichen, entwickelten sich die Digimon weiter. Sie gelangen auf höhere Level und entwickelten eigene politische Gefüge. Monarchie. Republiken. Diktatur. Überzeugt, das Regime dass sie führten sei das einzig Wahre. Unter den verschiedenen Landsherren gab es Streit. Unter der Bevölkerung, die oft der Willkür der Obrigkeit ausgeliefert waren erblühten Aufstände. Unterschiedliche Bedürfnisse unter verschiedenen Rassen sorgte für Feindseligkeiten und statt sich zu organisieren und Kompromisse zu schaffen, bekämpfte man sich. Die Bürgerkriege trugen je nach Region andere Namen. Rassenkriege. Typuskriege. Grenzaufstände. Weiß der Geier. Eins konnte man der Apartheid lassen, sie war wesentlich übersichtlicher.

Mit im Chaos erschienen auch eines Tages die Meister er Dunkelheit auf der Bildfläche und kümmerten sich um das Problem insofern, dass sie einfach Truppen für sich gewannen und gewissen Digimon zur Verfügung stellten, nachdem sie sich zu Treue verpflichteten. Wer sich wehrte, wurde ausradiert.

Ophanimon war eine ihrer ersten Opfer. QueenChessmon war es, die sie darüber informierte und sie auch um Hilfe bat. Machinedramon würde die anderen Maschinen-Digimon gegen sie aufhetzen, weil sie (wie Ophanimon) Reste der Apartheid wären. Aber Rosemon hatte keine Kraft, zum kämpfen nicht, nicht einmal zum aufstehen. Die Trauer hielt sie an ihren Stuhl gefesselt. Mit jedem Tag wurde Rosemon regelrecht farbloser und die Falten tiefer. Und wie Noomi nach dem Verlust ihrer Söhne zu Mara wurde, so verlor Rosemon ihren Glanz. Rosemon wurde fast lautlos und unbemerkt zu Babamon. Was interessierte sie die Digiwelt? Sie hatte mal wieder keine andere Lösung außer Krieg parat. Und dafür hatte sie ihre Gänse verloren. Das war es nicht wert. Wenn die Digiwelt diesmal in Rauch aufging, was soll's also?

Wisemon verkroch sich. Sie ging davon aus, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, nun da sie ihre Schönheit verloren hatte. Außerdem hatte sie ihn schlecht behandelt und vernachlässigt. Warum er aber dann nicht einfach ging verstand sie nicht. Auch als er sich für drei Tage nicht bei ihr blicken ließ, war ihr doch als schlürfte er durch die Gänge.

Nach diesen drei Tagen erschien er wieder in ihrem Zimmer.

„Ich wollte, dass du es von mir hörst. QueenChessmon, sie -“

„Ich weiß es bereits. Ich habe es gespürt“, sagte Babamon nur, aus dem Fenster schauend und sah dem Schnee zu. Zwar merkte sie, dass Wisemons Stimme plötzlich so rau klang, dachte sich aber nichts weiter. Seine Hand legte sich auf ihre und erst dann merkte Babamon, dass etwas anders war.

Die Hand auf ihrer war viel kleiner und klobiger. Sie war auch nicht mehr schwarz, dafür behaart. Seit langer Zeit hob Babamon wieder ihren Kopf und sah Wisemon an, oder eher das Digimon, zu was er digitiert war.

„Was soll dieser Blödsinn?“

„Ich bin auf das Mega-Level digitiert.“

„Das sehe ich!“, schimpfte Babamon, obwohl sich nicht einmal hätte sagen können, was sie so wütend machte. „Warum machst du so etwas Dummes? Hast du dich deswegen drei Tage nicht bei mir blicken lassen, weil du dazu digitieren wolltest?“

„Es war das Einzige, was ich als Gatte noch tun konnte. In guten wie in schlechten Zeiten. Das schwört man sich in einer Ehe, hörte ich.“

„Du bist nur ein Idiot“, schimpfte Babamon Jijimon, ihr männliches Pendant weiter aus.

„Mag sein. Aber ein Idiot, der liebt. Wir gehören zueinander, egal in welcher Form. Ich bleibe bei dir und das für immer, meine Rote Königin.“

„Tse. Liebe. Gefühle. Was zählt das in solch einer Welt?“

Trotz der scharfen Worte hielt Jijimon weiter Babamons Hand. Sie erwiderte es nicht, sie hatte auch keine Kraft mehr und wie so oft in den letzten Jahren fragte Babamon sich, warum sie noch einmal digitiert war, statt einfach gelöscht zu werden?

Die Antwort klopfte wild an der Türe und bat um Einlass. Jijimon machte sich sofort auf den späten Besuch die Tür zu öffnen. Babamon gab nur einen zischenden Laut von sich, aber Jijimon ging trotzdem. Erbost ließ sie sich in ihren Schaukelstuhl zurückfallen. Weiterdigitiert, aber kein bisschen klüger.

Babamon hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Jemand stolperte regelrecht herein. Sie hörte zwei männliche Stimmen, die ihre Gatten und die des Fremden. Und Geplärre. Baby-Digimon? Verdammt, man hörte nur Wortfetzen, zudem übertönte das Geheule alles. Es waren Baby-Digimon. Mehrere. Könnte...

Die beinah verkümmerten Mutterinstinkte gab Babamon die Kraft wieder aus ihrem Stuhl aufzustehen und etwas zu tun, was sie lange nicht mehr getan hatte, nämlich ihr Zimmer zu verlassen. Sie schlich die Wände entlang, bis sie an der Treppe ankam und hinunter in die dunkle Halle sah. Bei Jijimon war eine humanoide Gestalt. Babamon kannte diese Person nicht, aber die Kleidung, die diese trug. In ihr kam die Wut hoch.

„Was macht einer wie du hier?“, rief Babamon hinunter. Jijimon war überrascht, aber auch irgendwo erfreut, seine Gattin außerhalb ihres Zimmers zu sehen, während der Besuch nur überrascht war.

„Seid Ihr Rosemon?“, fragte der Junge – schätzungsweise zwischen sechzehn und achtzehn - in der weißen Kutte vorsichtig. „Ich bin -“

„Ich weiß wer und was du bist“, unterbrach Babamon ihn. „Ich kenn die kleinen Boten und Helfer, die Homeostasis für sich programmiert. Ich hatte euch allerdings weit jünger in Erinnerung.“

„Das Programm wird regelmäßig überarbeitet und verbessert. Entsprechend verändert sich auch unsere Gestalt“, erklärt der Junge freundlich. „Aber bitte, nennt mich Gennai.“

„Mir egal, wie du heißt. Ich will euch nicht mehr hier sehen. Ihr habt mir genug Ärger gebracht. Homeostasis soll sich andere Idioten suchen und nicht seine Helfer schicken.“

„Ich wurde nicht geschickt. Ich hörte von euren Taten während der Apartheid und suchte euch aus eigenem Antrieb.“

„Weshalb?“

„Ich denke, das beantwortet deine Frage“, mischte sich Jijimon ein. Mit seinem Stock hob er Gennais Kutte an und offenbarte den Grund für seine Flucht. Unter der Kutte zusammengekauert waren fünf Baby-Digimon. Sie hatte also Recht. Es waren ein Zerimon, ein Botamon, ein Puffmon, ein Torikaramon und ein Ketomon.

„Unser Versteck wurde von den Truppen der Meister der Dunkelheit aufgespürt. Ich konnte mit den Kleinen noch fliehen.“

„Man hat euch angegriffen? Weswegen?“, fragte Jijimon weiter. Gennai versuchte sich zu erklären, aber er fand die richtigen Worte nicht. Stattdessen steckte er seine Hand in eine der vielen Taschen in seiner Kutte. Als er sie herausnahm lag ein Digivice in seiner Hand. Es sah genauso aus wie das, dass die Digiritter einst besaßen. Dann dämmerte es Babamon.

„Das- das ist nicht euer Ernst? Sind diese fünf Digimon die Digimon von Menschen?“

„Noch nicht“, sagte Gennai. „Aber Homeostasis hat bereits Kinder auserwählt, die alle Voraussetzungen erfüllen. Ihren Daten entsprechend haben wir passende Digimon für sie erschaffen. Bis die Kinder aber herkommen, müssen wir diese Digimon beschützen.“

„Und was ist mit meinen Gänschen?!“, schrie Babamon wutentbrannt. „Sie sind die Digiritter! Sie haben die Apartheid und das HCF-Programm gestoppt! Warum sucht man neue Kinder, statt sie zurückzuholen?“

„Das haben wir versucht, aber wir können kein Signal von ihnen ausfindig machen. Es ist, als hätten sie sich verschlossen“, erklärte Gennai weiter, aber Babamon wollte das nicht glauben. „Was bringen uns aber diese Digiritter, wenn ihre Digimon nicht hier sind?“

„Dann sucht sie! Ich habe sie jahrelang gesucht, ganz alleine und niemand half mir. Ich warte jeden Tag, dass sie wiederkehren. Wieso lässt man sie einfach so fallen? Wie viel Undankbarkeit will Homeostasis ihnen noch entgegenbringen?!“

„Babamon. Bitte“, flüsterte Jijimon zu ihr und neigte seinen Kopf in die Richtung der Baby-Digimon. Sie verstanden kein Wort, aber Babamons Wutausbruch machte ihnen Angst.

„Homeostasis hat die gesamte Digiwelt gescannt. Immer und immer wieder“, berichtete Gennai weiter. „Doch wir fanden nie ein Zeichen von ihnen. Wir wissen nicht wo sie sind, was geschehen ist oder ob sie überhaupt am Leben sind. Doch wir können nicht warten, bis wir eine Spur haben. Wir müssen etwas gegen die Meister der Dunkelheit unternehmen. Die Macht die sie besitzen ist geradezu abnorm. Es besteht die Gefahr, dass sie nun das Programm Halt and Catch Fire wieder aktivieren.“

„Und wenn schon. Man sieht doch, dass die Digiwelt sich seit der Apartheid nicht geändert hat. Es ist kein großer Verlust.“

„Babamon, hörst du dir überhaupt selbst zu?“, schimpfte Jijimon, wenn man das bei ihm schimpfen nennen konnte. Selbst wenn er versuchte streng zu wirken, klang er viel zu weich.

„Es stimmt, dass sich die Digiwelt wenig verändert hat, aber wenn man sich all die versteckten Ecken anschaut, ist sie gar nicht mehr wie einst. So viele Digimon erzählen sich Geschichten. Sie singen und machen Musik. Auch wenn es nicht gut klingt, sie haben Freude. Digimon weinen und lieben sich, ohne sich zu schämen oder es in Frage zu stellen. Das wollten wir doch, oder?“

„... Ja“, gab Babamon ungern zu.

„Und haben unsere Gänschen nicht genau dafür gekämpft?“

„Sie haben für Frieden gekämpft.“

„Und das müssen wir auch weiter machen. Sie wollen sicher nicht, dass irgendwelche Digimon das, was sie erreicht haben einfach wieder auf Null setzen. Und haben es unsere Gänslein nicht verdient, eine friedliche Welt vorzufinden, wenn sie zurückkommen? Sollten wir als Zieheltern nicht alles tun, was wir können?“

Babamon antwortete nicht. Man sah ihre Augen zwar nicht, aber Jijimon ahnte, dass sie ihre Aufmerksamkeit den Baby-Digimon vor ihr schenkte.

„Sie sind nicht unsere Gänslein. Aber sie brauchen uns mindestens genauso. Sie sind die nächste Generation. Wenn wir ihnen keine Liebe beibringen, wer dann?“

Ketomon war das Erste, dass die Sicherheit von Gennais Kutte verließ und sich schleichend zu Babamon und Jijimon heranschlich. Die großen gelben Augen wanderten hin und her. Als Jijimon die Hand nach ihm ausstreckte, heulte es kurz auf. Das Tätscheln war fremd. Gennai und seinesgleichen hatten es nicht so mit Zärtlichkeit und Zuwendung. Die Erfahrung war neu. Die Augen des Baby-Digimon wurden noch größer.

Fasziniert von dem Phänomen des Körperkontaktes krochen auch die anderen vier hervor um besser zuschauen zu können und natürlich hoffend, auch etwas von dieser Zuneigung abzubekommen.

Babamon wusste nicht, wie lange sie diese Digimon nur anstarrte. Aber irgendwann, unter den aufmerksamen Blicken Gennais und Jijimons ging sie mit ausgebreiteten Armen in die Knie. Die fünf Baby-Digimon waren erstaunt und rätselten. Erst Botamon machte einen Sprung in Babamons Arme und hielt sich (mit was und wie auch immer) an ihr fest. Es schmiegte sein Gesicht in den Stoff von Babamons Kleid. Dann folgte mit viel Anlauf Zerimon, dann die anderen drei. Sie gaben unterschiedliche Laute von sich, blubberten und gurgelten. Schwer zu sagen was sie von sich gaben, aber am Ton selbst bemerkte man, dass sie glücklich darüber waren.

„Ich möchte diese fünf in eure Obhut geben. Ich kann ihnen keinen Schutz garantieren“, erklärte Gennai. „Ich denke, ihr werdet euch gut um sie kümmern, bis die Digiritter hier eintreffen und dass ihr ihnen alles beibringt, was sie wissen müssen.“

„Natürlich werden wir das“, antwortete Jijimon und war überrascht, von Babamon keine Schimpfe zu bekommen. Sie beobachtete nur weiter und recht ausdruckslos diese Digimon die sie im Arm hielt, aber nicht ihre Gänslein waren. Sie sagte auch nichts mehr, auch nicht als Jijimon Gennai bat, noch etwas zu bleiben. Babamon kümmerte sich um ihn nicht, nur um diese Baby-Digimon. Und wenn auch ihr Gesicht weiter keine Mine verzog, legte sie die fünf Digimon in einem Korb und summte die Melodien alter Mutter-Gans-Lieder herunter, die vor langer, langer Zeit ihre Gänschen trällerten. Babamon leugnete es zwar, aber Jijimon wusste, sie hatte sich bereits in der ersten Sekunde in diese Baby-Digimon verliebt. Es waren nicht ihre Gänslein, aber Digimon, die wie ihre Gänslein ein zu Hause brauchten. Wärme. Jemand, der ihnen die Hand reichte.

In der Villa blieben sie nicht lange, es sei laut Gennai zu gefährlich. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verließen sie ihre Villa auf File Island und zogen nach Server. Im nördlichen Zentrum des Kontinents gab es Berge, die ständig von grauen Wolken umhüllt waren, weswegen man diese auch Grey Mountain nannte.

Dort versteckte sich ein Tor. Jenes Tor, durch dass das Orchester schon in diese Welt kam. Gennai und Seinesgleichen hatten noch während der Apartheid ein Schloss um dieses gebaut, um es vor Feinden zu verstecken. Früher war ihr alles verschneit und IceDevimon trieben hier ihr Unwesen. Durch digitale Veränderungen und Updates aber veränderte sich die Gegend.

Im Untergrund betrieben Gennai und die anderen Agenten ihre Forschungen an den Digivice. An den Wappen scheiterten sie jedoch. Sich an das Konzert von einst erinnernd und an Shakamon, übernahm Babamon dies schließlich, noch nicht wissend, wie viel Kraft und psychische Gesundheit sie opfern müsse.

Im Schloss selbst lebten Jijimon und Babamon mit ihren Mündeln. Sie lernten ordentlich zu sein, nachzudenken, zu schreiben und zu rechnen, wie man sich um einen Acker kümmern musste. Freundlich sein. Zu glauben. Zu vertrauen. Entschlossen sein. Weise. Großzügig. Gerecht.

„Was hältst du eigentlich davon, noch mehr aufzunehmen? Das Schloss ist groß genug“, schlug Jijimon eines Tages vor, als er im Wald Holz holte und dabei ein verletztes Nyokimon fand. Babamon war nicht begeistert. Sie duldete das Baby-Digimon, da es verletzt war, aber ehe sie sich versah hatte es sich nicht nur mit den fünf zukünftigen Souveränen angefreundet, sondern wollte auch etwas von dieser Zuwendung haben. Als Babamon sich erweichte dies zuzulassen, schleppte Jijimon zweite weitere Baby-Digimon an.

Sie würde keine hier aufnehmen, sie sei kein Kindergarten, schimpfte sie und Jijimon sagte, dass diese nur eine Ausnahme sei und Ausnahmen bestätigen die Regeln. Babamon würde ihn für diesen Satz hassen.

Die fünf zukünftigen Souveränen freuten sich über die Spielkameraden und den Zusammenhalt unter allen. Schnell waren sie zehn kleine Seelen, die sich von Babamon in den Schlaf wiegen ließen. Dann zwanzig. Irgendwann mehr wie vierzig.

Über ihre vermissten Gänslein dachte Babamon mit der Zeit immer weniger nach. Vermutlich lag es am geistigen Verfall, der sie und Jijimon irgendwann dahinraffen würde. Aber tief in ihrem Inneren sang Babamon auch für sie, wenn sie wieder einmal ein Digimon in sein Bettchen brachte.

 
 

𝅝♯

 

 

Der Tag war schwarz. Man schmeckte es. Man roch es. Man hörte es und schließlich sah man es. Es war Rauch, der Qualm vergangener Schlachten. Reste von Bränden, die immer noch nicht erloschen waren.

„Welch ein traumhafter Anblick...“

Hier auf File Island war die Aussicht atemberaubend. Da lag es noch näher an Server und man hatte vom Berg der Unendlichkeit aus einen fabelhaften Ausblick. Die gesamte Küste stand in Flammen. Nicht die Folge des HCF-Befehls, nein, nein, dieses Programm ruhte. Deswegen standen die Kriege auch nie still. Immer, wenn irgendwo ein Kampf ausbrach, steckten sich Nachbarsiedlungen mit dem plötzlich Wahn an. Erst ging es um die politischen Positionen, für die sich jahrzehntelang keiner interessierte. Dann ging es darum die Ländereien, die man verloren hatte wieder zurückzuerobern. Aber wenn Piedmon schätzen müsste, würde er behaupten die Mehrheit wusste gar nicht, was sie tat. Selig seien die geistig armen Trottel.

„Tante Rhody... Oh, Tante Rhody...“

Piedmon hatte es sich lange genug angeschaut. Er, MetalSeadramon, Puppetmon und Machinedramon mischten sich selten in irgendeinen Kampf ein, sondenr gaben nur Befehle weiter. Wenn aber, gingen sie immer als Sieger hervor. Große Kämpfer, die sich im Laufe der Kriege einen Namen machten wurden von ihnen eliminiert und die Meister der Dunkelheit wurden über Nacht (wenn auch etwas unfreiwillig) zu den neuen Herrschern der Digiwelt ernannt. Es schlossen sich immer mehr Digimon ihren Truppen an, die sie führen und lenken konnten wie einst, als sie selbst Hauptmänner (oder Hampelmänner) der Serumischen Truppen waren. Nur das man ihnen diesmal etwas mehr Respekt zollte.

Seit dem Fall der Apartheid und ihren eigenen in den ewigen Abgrund war entsetzlich viel Zeit vergangen. Sie waren nicht mehr die Sonderlinge. Keine verrückten Digimon, die man korrigieren müsste. Die keine Daseinsberechtigung hatten. Sie waren mächtig geworden, nachdem sie als Einzige dem Abgrund als Mega-Level entstiegen waren. Piedmon lächelte äußerlich, innerlich lachte er hysterisch.

(seht ihr großen Hoheiten der Apartheid seht was aus den Volksverrätern geworden ist wir bestimmen nun über das Schicksal der Digiwelt!)

Die Digiwelt hatte sich sehr verändert. Die Digimon hatten sich verändert. Sie wirkte im Vergleich zur Apartheid primitiv und einfach gestrickt. Aber das konnte man korrigieren, wenn das auch mit viel Arbeit verbunden sein würde.

„Oh Tante Rhody... Geh, und sage ihr...“

Die dunklen Wolken wurden dichter. Ein Sturm zog auf. Geschah auch öfter, seit Ophanimon nicht mehr war. Verkrochen hatte sie sich und bildete heimlich Digimon für die Kunst der Armor-Digitation aus, als die Aufstände mit dem Erscheinen der Meister der Dunkelheit ihren Höhepunkt erreichten. Sie erkannte Piedmon sofort, als er ihre heiligen Hallen ausfindig machte und eines Tages vor ihr stand. Sie wehrte sich auch nicht, als er sie angriff. Vielleicht hatte sie gehofft, dass Piedmon käme und sie tötete. Eine merkwürdige Art der Buße. Sie lächelte, als er ihre Brust durchbohrte.

„Ich wusste, du kommst irgendwann wieder... Und sie wusste es. Sie wusste, ihr lebt noch.“

Selbst, als sie sich auflöste, lächelte sie weiter. Er hätte sie doch foltern sollen. Aber sie tot zu wissen war ihm lieber und sie hatte sich, so wie Piedmon erfuhr, mit ihrer eigenen Paranoia selbst ausreichend bestraft. Hat sich eingesperrt und seit dem Fall der Apartheid nicht einmal mehr einen Sonnenstrahl gesehen.

Da Ophanimon vernichtet war, konnte es auch keine neuen Armor-Digimon mehr geben (wenn er auch gern gewusst hätte, wohin die Digi-Armor-Eier verschwunden waren).

Nun gab es nur noch ein Digimon, das die Wahrheit über die Meister der Dunkelheit kannte. Vielleicht sogar zwei. Rosemon und Wisemon waren noch am Leben. Wie, dass konnte Piedmon sich kaum erklären.Vermutlich in einer anderen Form.

Was ihm aber gewiss war, war dass sie immer noch für den Troubadour arbeiteten. Und der sichere Beweis dafür war, dass Digiritter hier ihr Unwesen trieben. Und diese Digiritter waren nicht ihre Kapellmeister.

„Ein Sturm kommt...“, knurrte MetalSeadramon. Er kam aus den Wäldern und den Berg hoch und kreiste nun um Piedmon.

„Ich hasse es, wenn es so windig ist.“

„Wenn wir Glück haben kommt der Regen ja hierher. Ist ja mehr nach deinem Geschmack.“

Zufrieden starrten beide in die Ferne. Ja, es regnete. Die Dunkelheit regnete auf diese verpestete Welt hinab, schwer und dick wie Tinte. Herrlich. Einfach herrlich.

Puppetmon und Machinedramon begeisterten sich dafür weniger. Die Digiritter hatten sie verstimmt. Sie haben Puppetmons Truppen aus den Wäldern verjagt und Machinedramons Computer lahmgelegt. MetalSeadramon hatte ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen, denn ihre letzte Begegnung endete in einem Unentschieden. Einzig Piedmon hatte mit ihnen noch nicht das Vergnügen.

„Wo die Macht unseres Dirigenten sich zeigt, lassen diese Digiritter nicht auf sich warten. Früher oder später tauchen sie hier auf“, schlussfolgerte Machinedramon.

„Na, hoffentlich. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, mich ihnen vorzustellen.“

„Du verpasst nichts“, sagte Puppetmon schnippisch. „Das die sich überhaupt Digiritter nennen dürfen. Und ihre Digimon taugen auch nichts. Haben höchstens Holzwolle in der Birne. Die sind nicht wie wir.“

„Nicht anders zu erwarten“, meinte MetalSeadramon verächtlich. „Sie sahen nicht, was wir sahen. Taten nicht, was wir tun mussten. Sie haben doch keine Ahnung von der Welt.“

„Schade, dass wir nicht vollzählig sind“, seufzte Machinedramon, seine Stimme klang ungewohnt sanft, dafür dass er eine Maschine war. MetalSeadramon und Puppetmon seufzten, allerdings in verschiedenen Lautstärken.

„Ich versteh immer noch nicht, warum Candlemon, Koemon und Tsukaimon nicht wieder hier sind.“

„Du hast sie auch nicht gefunden?“, harkte MetalSeadramon nach, Puppetmon schüttelte traurig den Kopf.

„Ich habe alles abgesucht. Nichts, keine Spur.“

„Ich habe mit meinem Computer so viel durch gescannt wie es ging, ehe diese nervtötenden Kinder ihn geschrottet haben. Aber nichts“, berichtete Machinedramon. „Piedmon, könnten sie vielleicht noch du-weißt-wo sein?“

„Der Herr Dirigent hatte mir versichert, dass sie nicht bei ihm sind. Sie scheinen wie abhanden gekommen.“

„Sie sind aber nicht tot, oder?“, fragte Puppetmon zittrig.

„Ich weiß es nicht.“

Piedmon wusste es wirklich nicht. Irgendetwas war bei den dreien schief gegangen, als der Herr Dirigent versuchte die Daten ihrer Kapellmeister und denen, was Homeostasis ihnen eingepflanzte zu überschreiben. Die der Kapellmeister konnte er nie gänzlich löschen, dafür aber hatte er die Daten von Piedmon, MetalSeadramon, Machinedramon und Puppetmon so weit umändern können, dass sie ohne heilige Macht digitieren konnten, wenn auch in eine andere Richtung. Die Macht aus der Dunklen Zone schadete ihnen auch nicht mehr, vielmehr war sie nun ein Verbündeter.

Nur bei diesen dreien wollte es nicht ganz funktionieren, aber eine rationale Erklärung gab es nicht. Auch wenn Piedmon diese drei ein paar Monate später in den Abgrund warf, waren sie alle zusammen Jahrzehnte dort unten. Ob sie sich zu sehr wehrten? Floramon, Dokumon und Betamon waren anfangs auch nicht begeistert davon auf einmal für den Feind zu kämpfen, aber zumindest hatte Piedmon damals ein wenig auf sie einreden können. Koemon, Candlemon und schließlich auch Tsukaimon hatte er zu ihrem Glück zwingen müssen.

Tsukaimon. Den einzigen, den er im vollen Bewusstsein in den Abgrund warf. Piedmon hatte gehofft, wenn sie irgendwann alle zusammen diesem Abgrund entsteigen, würden gerade sie beide wie Brüder sein können. Piedmon konnte sich nicht selbst in einen Schlüsselanhänger verwandeln und auch er spürte das gesamte Ausmaß des ständigen Löschens und Wiederherstellens. Es konnte einen wahnsinnig machen. Er hoffte, dieser gemeinsame Schmerz würde ihrer Freundschaft gut tut. Sie waren unterschiedlich und doch so gleich. Aber ausgerechnet Tsukaimon war nicht mit ihm auf diese Bühne getreten.

Der Grund könnte sein, dass der Herr Dirigent es aufgab sie überschreiben zu wollen. Piedmon erinnerte sich den Herr Dirigenten in der Dunkelheit fluchen zu hören, warum diese drei nicht aufgaben. Irgendwann erschien es, dass durch das ständige Löschen zu viele Daten beschädigt waren und im Glauben, sie würden ohnehin schnell sterben, verlor er das Interesse an ihnen. Vier Musiker reichten ihm auch.

Aber Tsukaimon lebte, das spürte nicht nur Piedmon, sondern sie alle. Alle drei lebten noch, die Frage war nur wo sie waren.

MetalSeadramon erhob sich, sein schlangengleicher Körper war fast komplett ausgestreckt. Die anderen drei schauten mit ihm hinunter und siehe da, dort kamen sie schon. Fünf Kinder, drei Jungen und zwei Mädchen und fünf Digimon. Monodramon, Muchomon, Kudamon, Bearmon und Tapirmon. Ahnungslos kamen sie der Mitte dieses Sturmes näher.

„Guckt euch die an. Die glauben ernsthaft, die könnten gewinnen“, spottete Puppetmon.

„Ich bemitleide sie ja beinahe“, sagte MetalSeadramon. „Sie merken nicht, dass der Troubadour sie nur benutzt. Selbst wenn sie irgendetwas erreichen, wird man sie danach nicht mehr brauchen, wegwerfen und schnell ersetzen.“

„Sie sind von Tante Rhody aufgezogen worden. Stimmt doch, oder Piedmon?“, fragte Machinedramon ungewohnt vorsichtig.

„Vermutlich. Wir waren ihr wohl nicht artig genug. Also hat sie sich neue Gänse zugelegt.“

„Hey, dann sind sie ja so etwas wie unsere Geschwister? Sollten wir dann nicht als vorbildliche, ältere Geschwister ihnen beibringen, wie es hier in der Digiwelt läuft?“

Puppetmon lachte kindlich und ließ seinen Hammer in der Hand kreisen. Die anderen drei lachten mit.

„Ja, eine gute Idee. Und anschließend erlösen wir sie von ihrem Dasein.“

„Nur das Beste für unsere kleinen Brüder und Schwestern.“

Während nun auch MetalSeadramon und Machinedramon in leidenschaftliches Gelächter verfielen, beobachteten sie, wie die Digiritter näher kamen und schließlich merkten, dass das Böse auf der Spitze des Berges thronte. Ihre Digimon digitierten, erst zu Champions, dann zu Ultra-Leveln.

„Sie meinen es wirklich ernst“, stellte Piedmon amüsiert und grinsend fest. „Wir sollten allmählich mit der Ouvertüre beginnen. Werte Mitmusiker, macht euch bereit. Ich nenne dieses Stück Ode an Tante Rhody, all ihre Gänschen werden sehr bald nicht mehr sein, im Presto natürlich. Und bitte in Dur, dass soll doch ein feierlicher Anlass sein.“

Der Sturm erreichte die Insel. Die Natur spielte verrückt, Dunkelheit fiel auf die Erde und färbte alles schwarz. Die Wälder. Die Meere. Die Städte. Die Berge. Die Digiwelt war komplett schwarz. Jeder Fleck war absolut in gleicher Dunkelheit getaucht.

Ein wahrhaftige atemberaubender, wenn nicht gar erstickender Anblick.

Homeostasis, jene Existenz, die kaum spürbar und noch weniger greifbar war, war überzeugt, diese Digiritter hätten das Licht, dass sie Welt aus dem Ungleichgewicht dieser erzwungenen Gleichheit retteten würde. Sie hatten viel gelernt. Viel erreicht. Hatten sich Freunde in der Digiwelt gemacht, wo die Digimon Menschen gegenüber doch immer noch so misstrauisch waren. Doch warum sie gegen die Meister der Dunkelheit regelrecht chancenlos waren, konnte sie sich nicht erklären.

Homeostasis hatte schon länger ein Auge auf die vier Meister der Dunkelheit geworfen. Merkwürdige Digimon. Seltsame Digimon. Wo kamen sie her? Woher diese Kampferfahrung? Woher das Wissen über Kriegsstrategie und Politik? Woher diese Kenntnis über Musik?

Für Rosemon hatte Homeostasis oft genug die Digiwelt komplett gescannt, alle Daten durchsucht, doch ihre ersten Gänslein, dieses kleine, digitale Orchester blieb verschollen. Nun aber, nach all den Jahren, während dieses Kampfes schien das ewige Suchen ein Ende, als Homeostatsis die Daten dieser vier Digimon aufs gründlichste untersuchte.

Denn vier von ihnen waren zurückkehrt. Doch statt für den Troubadour, mit und für ihre Kapellmeister zu musizieren, stand nun ein Dirigent hinter ihnen und zwang sie, das Orchester der ewigen Dunkelheit zu spielen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
- Der Fers ist das Lied der Hummer-Quadrille, allerdings sind ein paar Worte natürlich umgeändert worden

- 039 ist die Nummer der Debüt-Karte von Phantomon

- Ich will nicht sagen, dass die Baby-Level der Souveränen canon sind. Wir kennen von den meisten nur die Ultra-Level und dahin zudigitieren gibt es sehr viele Optionen (außerdem hat sich nicht mal tri an den canon gehalten). Was ich sagen kann ist, dass Botamon über Wanyamon zu Bearmon digitieren kann im canon und Zerimon über Gummymon (Standard-Digitation von Terriermon) zu Tapirmon werden kann.
Muchomon habe ich mir als Potenzielles Rookie für Zuquiaomon erdacht, über Cockatorimon kann es canonmäßig zu Hippogriffonmon werden.
Monodramon habe ich als potenzielles Rookie für Azulongmon erdacht, über Monochromon kann es canonmäßig zu Triceramon
Meine Digitationslinie von Kudamon zu Ebonwumon ist absolut herbeigezogen, aber mir würde es über Quetzalmon zu Orochimon durchaus gefallen. Deren dazugehörigen Baby-Level sind wiederum aber wieder canon. Komplett anzeigen

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