Wintersonett von Rakushina (Which dreamed it?) ================================================================================ Konzert XI - WHICH DREAMED IT?, 2. Satz, Presto doppio movimento ---------------------------------------------------------------- 𝄢   Schnee fiel sanftmütig hinab. Die Flocken dick und federgleich. Sie waren weich, aber der Reiz, den sie auflösten war nicht angenehm. Kalt, spitz und dann brannte es. Poyomon bibberte. Hisaki bemerkte dies, stopfte es in seine Jacke und zog den Reißverschluss hoch genug, dass Poyomon vom Wind gestützt, aber noch sehen konnte. „Besser, Poyomon?“, fragte Hisaki das Baby-Digimon. Es konnte nicht sprechen, aber lächeln und das tat es auch. Auch Hisaki fühlte sich damit wohler. Weit und breit nur Schnee und er trug Sommerkleidung. Zum Glück stürmte es nicht. Es waren nicht mal Wolken am Himmel (wo kam dann der Schnee her?). Er hatte eine gute Sicht auf die Gegend. Es gab eine Lichtstraße, die hinunter in die Wälder führte. Vielleicht traf er dort jemanden, der ihn sagen konnte, wo er war und wie er hierher gekommen war. Und was dieses Ding war, dass Hisaki gefunden hatte. Er war sich nicht einmal sicher ob Poyomon sein Name war, aber da es sonst keinen anderen Laut von sich gab, glaubte er es einfach. Eis, das an Poyomon hingen lösten das Gefühl von Kälte aus und kurz zitterte es, da wischte er den Rest von dem kleinen Wesen weg. Sie standen hier, so bizarr es klang in einem Blumenfeld. Hisaki glaubte erst, sie wären aus Eis, aber als er sie berührte stellte er fest, dass sie wirklich so weiß-blau waren und sich Eiskristalle um die Blüten bildeten. Ein klein wenig erinnerten sie ja schon an die Eisblumen, die sich im Winter an den Fensterscheiben bildeten. Aber so was hatte Hisaki noch nie gesehen. Diese starkgefüllten Blumen aus Eis besaßen sogar einen dezenten, süßen Geruch. Was war das für ein Ort? Hisaki schaute die Lichtstraße hinunter. Wenn er sich nicht irrte, glaubte er Rauch aufsteigen zu sehen. „Sieht so aus, als wäre dort unten etwas“, sagte Hisaki zu Poyomon, ohne zu wissen ob es dem folgen konnte oder verstand. „Scheint aber ein ganz schönes Stück weit weg zu sein. Aber besser wie nichts. Vielleicht kann mir endlich einmal jemand erklären, wo ich hier -“ Zwischen den Eisblumen verborgen, sah Hisaki die Eisflächen nicht und rutschte schließlich aus. Er versuchte sich noch festzuhalten, doch er fiel hin und rutschte weiter über die glatte Fläche, die sich als eine kurze, aber etwas holprige Rutschpartie herausstellte. Sie endete nach wenigen Sekunden, in denen Hisaki schrie und aufhörte, als er hart auf den Boden landete. Er krümmte sich etwas von dem Schmerz des Aufpralls, aber er hatte keine ernsthaften Verletzungen. „Hast du dir wehgetan?“, fragte er Poyomon, aber es schüttelte sich nur. Hisakis Worte hallten und er stellte fest, dass sie innerhalb einer Schlucht waren. Sie war nicht tief oder sehr dunkel, man sah den Himmel noch. Vor Hisaki erstreckte sich ein Weg, der entweder weiter in den Berg hineinführte oder – das war das absolut merkwürdigste, zu etwas, dass Hisaki als Altar bezeichnet hätte. Umringt von den Klippen und Schnee war da eine große Fläche, in deren Mitte ein kleiner Steintisch stand und davor ein großes Tor. „Was ist das denn?“, fragte er sich. Poyomon sprang aufgeregt aus Hisakis Weste heraus und zum Steintisch. Aus dem, was darauf eingemeißelt war wurde Hisaki nicht schlau und er konnte sich auch keinen Reim drauf machen, was die Anzahl der Sterne mit den Abbildungen darüber zu tun hatten. Das Tor fand Hisaki interessanter. Der Boden dieses Raumes war leicht verschneit, doch vor den Tor war ein dunkler Halbkreis, auf dem kaum eine Schneeflocke lag. Das Tor war vor kurzem geöffnet worden. Doch er sah keine Griffe oder ein Schlüsselloch, mit dem man es hätte öffnen können. Vielleicht taten Maschinen das, aber nichts hier deutete drauf hin, dass es solch eine Apparatur gab, die das ermöglichen könnte. Aber merkwürdig. Überaus merkerwürdig. Dieses Tor kam Hisaki bekannt vor. Er hatte einen Traum, ehe er im Schnee zu sich kam und ein hellblaues, gestreiftes Ei vor ihm auftauchte, aus dem schließlich Poyomon kam. Er war mit seinen Freunden doch auf den Weg zur Musikprobe. Sie haben mit diesen Spielzeugen gespielt, die sie im neueröffneten Lawson geschenkt bekamen. Dann wurde alles ganz komisch. Die Welt verschwamm. Eine Welle stieg empor und sie wurden von ihr erfasst. Hisaki erinnerte sich an ein gleißendes Licht und dann ging eine große Tür auf. Dann war er hier. „Bin ich so hierhergekommen?“, fragte Hisaki sich selbst und auf das Tor starrend, dann auf Poyomon. Poyomon, dass genau wie das Wesen aus dem Spielzeug aussah. Hisaki war sogar überzeugt, schon in dem Moment, als er Poyomon das erste Mal sah, dass es genauso das gleiche war. Das Ei, aus dem Poyomon schlüpfte hatte sogar den selben Blauton wie Hisakis Spielzeug. Sein Spielzeug selbst sah nicht mehr aus wie zuvor. Hisaki hätte es mit einer Stoppuhr verglichen. „Das klingt verrückt, aber... Bin ich jetzt in deiner Welt, Poyomon?“, fragte Hisaki es, aber Poyomon verstand den Sinn der Frage nicht. Doch es wirkte plötzlich nervös und nach einem kurzen Moment wusste Hisaki auch warum. Sie hörten Schritte und vor Schreck griff Hisaki nach Poyomon und rannte zu ein paar Steinen an der Seite, hinter denen er sich verkroch. Vorsichtig schaute Hisaki um die Ecke, um zu sehen, wer oder was da kam. Er hätte nicht sagen können ob es menschlichen Gestalten waren oder nicht, er sah nur, dass sie in weiße Kutten gehüllt und nicht größer wie Kindergartenkinder waren. Hisaki zählte zehn von diesen Gestalten, die sich vor dem Tor sammelten. „Das Tor war auf. Sie sind bereits hier.“ „Das ist zu früh. Waren unsere Berechnungen etwa falsch?“ „Die Zeit. Sie muss sich noch mehr verschoben haben.“ „Unsere Zeit läuft immer schneller. Das ist nicht gut.“ „Das Programm der Einäschung läuft auf Hochtouren.“ „Wenn das so weiter geht, wird die Digiwelt diesmal komplett abbrennen.“ „Aber wo sind die Auserwählten? Sie müssen ihre Musik spielen.“ „Musik für die Digiwelt. Musik als Schlüssel zur Seele.“ „Wir brauchen die Herzen dieser Menschen.“ „Die Digiwelt braucht Herzen.“ „Auserwählt...?“, wiederholte Hisaki in seinem Staunen, während er diese Gestalten beobachtete, deren Stimmen auch auf Kinder schlossen, wenn sie auch nicht wie Kinder redeten. Diese Gestalten waren unheimlich und Hisaki nicht wirklich geheuer. Auch Poyomon schien Angst vor ihnen zu haben. Und wie sie von Seelen und Herz sprachen klang es für Hisaki nach einem religiösen Menschenopfer. In manchen Teilen der Welt bei irgendwelchen Urvölkern gab es doch so etwas noch. Und als Hisaki sah, wie einer dieser Gestalten die Fußspuren im Schnee sah, die direkt zu ihm und Poyomon führten, bekam er Panik. Ihm war egal, ob man ihn sah oder nicht, aber Hisaki stopfte wieder Poyomon in seine Weste und kletterte die Steine hoch. Ein paar Mal rutschte Hisaki fast ab, doch zu seinem Glück war der Weg nach oben nicht weit. Was die Gestalten ihm nachriefen hörte er nicht. Als Hisaki den Abhang hochgekletterte, fand er sich wieder auf einer Eisfläche wieder, die den Berg runter führte. Um ihn herum lagen Eisschollen, vermutlich waren sie von den Felswänden abgefallen. Eine war groß genug, dass Hisaki sich auf sie legen konnte und sprang mit viel Anlauf auf diese und rutschte damit den steilen, eisigen Pfad hinab. Es gab auf den Weg runter zwei Kurven, die eine bekam er noch, doch die zweite war zu knapp und die Hisaki und Poyomon krachten regelrecht in einen Schneehaufen. Der Aufprall war schmerzlich. Nun verstand Hisaki auch, wie sich die Leute bei Lawinen die Knochen brachen, wenn Schnee doch so sanft war. Mit schmerzverzerrten Gesicht lag Hisaki auf der Seite und drehte sich schließlich auf den Rücken. „Bist du okay, Poyomon?“, fragte er. Poyomon wimmerte etwas und steckte seinen Kopf aus der blauen Weste, dann sah es wie Hisaki auch den Berg hoch. Sie hatten ein ganz schönes Stück zurückgelegt. So schnell würden diese Kinder, oder was immer das waren, sie nicht einholen. Doch abgesehen von der Bergspitze war sonst nichts hier. „So was dummes. Wir sind die falsche Seite vom Berg runter“, stellte Hisaki fest. Er drehte sich nach links und rechts und erkannte, dass der Wald nun viel weiter weg war. Die Lichtstraße sah er gar nicht mehr. „Aber was soll's, wir finden schon zurück. Vielleicht gibt’s auf der Seite auch etwas Tolles zu sehen.“ Regenbogenfarben erschienen über ihnen. Die Farben waren so satt und das Licht so hell, dass selbst der reinweiße Schnee bunt glitzerte. Hisaki hatte Polarlicht bisher nur bei seinen Großeltern gesehen, die ganz im Norden von Hokkaido wohnten, aber nicht in solch einer Größe und Intensität. „Hi... sa... ki...“ Die Stimme war so hoch, aber auch leise, dass Hisaki einen Schreck bekam. Er erkannte zwar schnell, dass dies Poyomons Stimme war, doch hätte er nie damit gerechnet, dass dieses Wesen seinen Namen rufen würde. Poyomon starrte zu dem Polarlicht hoch, dessen buntes Licht in den schwarzen Knopfaugen zu sehen war. Doch weil Poyomon nicht wusste was das war bekam es Angst. „Hi...saki...“ „Du brauchst keine Angst zu haben, Poyomon“, sagte er zu ihm und hob ihn auf. „Das ist Polarlicht. Polarlicht ist etwas wunderschönes. Das hat was mit der Luft zu tun, deswegen sieht man das nicht überall. Ich habe es noch nie von so nah gesehen.“ „Polar... licht?“ Poyomon versuchte seinen Kopf, wo immer der anfing zurück zu legen, um besser sehen zu können. Daraufhin setzte Hisaki es auf seinen Kopf. „Gut festhalten, ja?“, sagte er zu Poyomon. „Ich lauf los und du schaust dir weiter das an. Wir kommen schon von hier runter. Verlass dich drauf, Poyomon.“ Poyomon lachte. Auf seinem laufenden Thron sitzend sah er sich das Farbenspiel an, während Hisaki jauchzend loslief. Er sang dem kleinen, weißen Wesen Mutter-Gans-Lieder vor, an die sich Poyomon später kaum mehr erinnern würde. Sie liefen weiter ins Weiße hinein, nicht wissend, was auf sie zukam. Gennai, damals in der Gestalt eines Fünfjährigen sah sie nur als immer kleiner werdenden Punkt in er weißen Ferne.   𝄅x   Tag drei. Es war bitterkalt. An mehr würden sich Hisaki und Poyomon kaum mehr von diesem Tag erinnern. Übermütig waren sie in die schneebedeckte Wildnis gewandert. Nun hatte sie sich verirrt und der Sturm der ihnen um die Ohren fegte hinderte sie daran sich zu orientieren. Hisakis Beine waren taub. Zuvor kam er mit der Kälte noch zu Recht, trotz dass er unter der kurzen Weste nur ein T-Shirt trug und die Hose auch nur bis zu den Knien ging. Nun aber war es unerträglich. Er fror. Er war müde. Doch Poyomon hielt seine Sinne wach. Hisaki hörte es husten. Bestimmt hatte es sich erkältet. Er musste hier weg und raus aus dem Wind. „Halt noch etwas durch, ja? Wir kommen schon hier weg. Versprochen. Wir schaffen das...“ An diesen Abend würden sich weder Hisaki noch Poyomon erinnern, dafür waren die Lücken, die Müdigkeit und Schwäche verursachten zu groß. Doch irgendwann, während Hisaki durch den Schnee lief verlor er die Kraft in den Beinen. Sie waren taub. Sie schmerzten. Um sie herum nur Dunkelheit und der Schneesturm. Sie hatten sich verirrt. Alles sah gleich aus. Poyomon zitterte und hustete wieder. Hisaki drückte es an sich. „Wir schaffen das, Poyomon. Dir wird nichts passieren. Ich bring dich hier weg. Dann wirst du wieder gesund... Ich lass dich nicht los, ja?“ Seiner Beine nicht mehr mächtig, da sie fast nur noch Eisklötze an seinen Schenkeln waren, kroch Hisaki durch den Schnee. Er schaffte knapp fünf Meter, als auch seine Arme ihren Dienst verweigerten. Hisaki brach zusammen und Poyomon fiel dabei aus der Weste. „Hisaki! Hisaki!“, rief Poyomon aufgebracht. Hisaki stöhnte und sich die Ellenbogen abstützend, versuchte er wieder hochzukommen. Seine Finger und Lippen waren blau. „Hab keine Angst. Ich bin okay. Wir schaffen das. Wir schaffen das. Dir passiert nichts...“ Hisaki versucht sich durch den Schnee zu ziehen, trotz des Schmerzes bei jeder noch so kleinen Bewegung. Allein aber diese Bewegung raubte ihm die Kraft und er fiel endgültig in die weiße, kalte Decke, die die gesamte Welt um sie herum einschloss. Er war müde. So schrecklich müde. „Hisaki!“, rief Poyomon weiter. Aufgebracht wie es war wurde sein Husten schlimmer. Doch es hielt Hisaki wach. Was immer Poyomon war, es gehörte zu ihm. Er durfte nicht zulassen, dass es hier erfror. „Poyomon.. Sieh mich an, Poyomon“, forderte Hisaki es auf und es horchte. Poyomon weinte. „Hisaki! Wir schaffen... das! Dir… passiert nichts!“, bibberte Poyomon weiter und so laut es konnte. Es versuchte Hisaki an den Kleidern hinterherzuziehen, doch es war zu klein. „Poyomon... Du musst nicht weinen. Ich... lass dich nicht alleine...“ Hisaki versuchte nach ihm zu greifen und gerade als seine Fingerspitzen Poyomon berührten, erlosch sein letzter Funke Energie. Nicht einmal mehr die Augen konnte er aufhalten. Aber er durfte nicht... Durfte nicht. Nicht alleine lassen... „Hisaki! Hisaaaaaki!“, schrie Poyomon in die Nacht, während dieses Baby-Digimon sich an den Jungen schmiegte, in der Hoffnung es könne ihn so vor dem Frosttod bewahren und schrie weiter. Das Digivice reagierte schließlich nicht nur durch Hisakis Willen bei Poyomon zu bleiben, sondern auch durch dessen Wunsch Hisaki helfen zu wollen. Das Licht hielt die beiden für einen Moment warm und erhellte die Welt. Zwei Frigimon, die gerade mit einem Schlitten durch den Sturm fuhren, sahen jenes Licht und hörten das Weinen aus dieser Richtung. Sie steuerten direkt darauf zu.   x   Knapp drei Jahre nach diesem Vorfall saßen Hisaki und sein Digimon wieder unfreiwillig in der Kälte, wenn auch nicht so tödlich wie die Eiswüste um das zukünftige Grey Mountain. Die Nacht war an der Front eingekehrt, mehrerer Kilometer von dort entfernt, wo offiziell die Grenze zu den sicheren Zonen lag. „Was liest du da?“, fragte PriestAngemon ihn, während dieser einmal den Kopf so weit drehte, bis er das Gefühl hatte einmal alles genau analysiert zu haben. Die Nacht in Gehenna war pechschwarz und feindliche Digimon nutzen sie, um die Lager und Lazarette zu überfallen. Aber es schien ruhig. Nur ein einsamer, heller Schimmer war am Horizont, doch dieser würde bald verblassen. „Ein Brief von Kana und Natsu“, antwortete Hisaki, als er gerade die letzten Zeilen las. Kana berichtete stolz, dass Floramon es nun auch geschafft hatte zum Ultra-Level zu digitieren. Sie beschrieb Lilamon als Ebenbild einer Märchenfeen und freute sich, nun etwas wie eine große Schwester zu haben. „Ich frag mich ja, ob die anderen auch immer die Dreckarbeit machen müssen. Das ist diesen Monat schon das zwölfte Mal, dass wir Nachtschicht schieben müssen“, brummte Hisaki und warf einen Scheit in ihr Lagerfeuer. Vor zirka zehn Monaten war noch Soichiro bei ihm, aber nachdem Dorumon es schaffte zu Megadramon zu digitieren versetzte man ihn zur Luftflotte. So waren Hisaki und Tsukaimon alleine und damit den Schikanen der anderen Digimon ausgesetzt. Die Truppe, in die Hisaki eingeteilt wurde bestand ausschließlich aus heiligen Digimon und obwohl PriestAngemon ebenfalls eines war behandelten sie ihn wie Dreck. Sie nannten ihn unrein, weil er ursprünglich ein Virus-Digimon war. PriestAngemon grinste, während er den Flammen beim tanzen zusah. „Es ist nur ein Zeichen ihres gekränkten Stolzes. Sie sind neidisch, da ein doch minderwertigeres Digimon sie so spielend überflügelt und sie sonst keine andere Bestätigung in ihrem jämmerlichen Dasein finden. Sie geben indirekt zu, dass wir stärker und klüger sind als sie. Ist doch schmeichelhaft.“ „Du bist ja auch nicht gerade nett und protzt mit deinen Erfolg, du Angeber.“ „Der Oberst ist zufrieden mit mir, alles andere interessiert mich nicht. Ich habe die Chance Hauptmann zu werden.“ „Ist schon gut. Ich bewundere dich, dass du so einen starken Willen hast.“ Hisaki packte den Brief weg und setzte sich näher an sein Digimon. Der Stoff seiner weißen Priestertracht war weich, die Flügel lagen wie ein Mantel an ihm an. „Warum willst du eigentlich Hauptmann werden?“, fragte Hisaki vorsichtig. Er hatte die Frage schon öfter gestellt, aber nie eine wirkliche Antwort bekommen. Seit Soichiro fort war, haben PriestAngemon und er trainiert und gepaukt um nicht nur stärker und schlauer wie der Feind, sondern auch wie die eigenen Kameraden zu sein. Und auch wenn die heiligen Digimon eitel waren, erkannten sie gute Leistung an, so stieg Tsukaimon schnell zu höheren Rängen auf. Nun hatte er bei ihrem Oberst den Wunsch geäußert weiter zum Hauptmann aufzusteigen. „Ist die Antwort wichtig für dich, Hisaki?“, fragte PriestAngemon irritiert. Hisaki selbst war nur überrascht seinen Namen zu hören. Er hatte sich so sehr an seinen Decknamen gewöhnt. „Ich würde schon gerne wissen, was du vor hast. Willst du echt Karriere beim Militär machen?“ „Ich möchte etwas in der Digiwelt verändern“, begann er. „Doch das kann man nur mit Macht. Je höher ich aufsteige, umso mehr Macht und umso mehr Einfluss habe ich. So kann ich direkter und effektiver etwas an der Digiwelt verändern. Dann kann sie so werden, wie wir alle sie uns gerne wünschen. Dann wird die Digiwelt vielleicht wirklich lernen, was Gerechtigkeit ist. Als Engel-Digimon habe ich schließlich gute Chancen. Wer ist in dieser Gesellschaft denn noch vergleichsweise so angesehen?“ „Klingt, als wolltest du unbedingt ein Engel-Digimon werden.“ „Wolltest du es nicht, damit ich es leichter in dieser Welt habe und du keine Angst mehr hast, dass mich jemand von der Serumischen Armee doch löscht?“ Zwischen den beiden herrschte Schweigen, nur das Lagerfeuer gab gelegentlich ein Knistern von sich. „Mir ist egal zu was du wirst, solange du mein Partner bist“, sagte Hisaki nur und änderte seine Sitzposition. „Du möchtest also in keinem Orchester spielen?“ „Nicht wirklich. Aber für dich würde ich immer spielen. Du bist schließlich mein Partner.“ „Wir sind Freunde“, korrigierte Hisaki ihn. Die kleine, blasse Kinderhand griff nach der des Engel-Digimons. „Und wenn du das machen willst, helfe ich dir dabei. Du wirst sicher ein guter Hauptmann.“ „Vielleicht werde ich sogar irgendwann General. Was sagst du?“ „So stur wie du immer bist, könntest du das spielend.“ „Selbstdiszipliniert heißt das“, knurrte PriestAngemon beleidigt, Hisaki lachte. Doch trotz des Helmes sah Hisaki in PriestAngemons Augen und wusste, er genoss dessen vollstes Vertrauen. „Am Ende nimmst du nicht nur Valkyriemon, sondern auch noch Seraphimon den Posten weg“, scherzte Hisaki ohne zu ahnen, dass es für sein Digimon ganz und gar kein Scherz war. Hisaki gähnte und legte seinen Kopf auf den Schoss seines Digimon ab. PriestAngemon beschwerte sich nicht einmal, sondern legte behutsam seine Hand auf den Blondschopf, während er in die Dunkelheit Gehennas blickte. Dunkel und Schwarz wie die Hoffnungslosigkeit. Eine Welt ohne Musik. Ohne Lieder. Ohne Träume. „Ich vermisse das Klavier.“ „Ich auch. Und die Abende bei Tante Rhody und Onkel Remus. Ich hoffe, es geht ihnen gut“, seufzte Hisaki. Seine Finger zuckten. Lang und angewinkelt. Sein Digimon hatte ähnliche, anders wie seine Artgenossen. Aber die konnte auch nicht spielen. Hisaki griff nach seinem Digivice und legte es vor sich auf den Boden. Klaviermusik ertönte. Vivaldis Winter. „Alice... Kannst du mir eine Geschichte erzählen?“ „Möchtest du das hören, was ich denke, Herr König?“, witzelte Hisaki. PriestAngemon aber wirkte nachdenklich, doch statt zu frage kam Hisaki seiner Bitte nach. „Ich versuch es mal so authentisch wie möglich – Alice hielt ziemlich erschrocken inne, als sie aus dem Wald etwas hörte, das wie das Fauchen einer Dampfwalze klang und Alice glaubte, es sei ein wildes Tier. Das ist nur der Schwarze König, der da schnarcht, sprach Dideldei...“ Noch ehe Hisaki an die Stelle kam, wo Alice sich fragte was der Schwarze König nur da vor sich träumte, schlief er ein. PriestAngemon streichelte seinen Kopf weiter, fast die ganze Nacht und wartete nur darauf, dass ein feindliches Digimon es wagte hier in eines der Hauptquartiere der Serumischen Armee einzudringen, um Soldaten im Schlaf zu lynchen. Und wenn schon. PriestAngemon interessierte seine Kameraden und Artgenossen genauso wenig wie die Feinde. Alles hinterhältiges Gesocks, dass ihn triezte, verlachte und verabscheute. Egal ob Serum oder Virus. Die Digiwelt war ihm egal. Doch sie war auch das Wunderland, dass sich Hisaki so sehr wünschte. Hisaki, der ihn von Geburt an beschützte. Nun musste er dieses Kind mit Leib und Leben beschützen. Hisaki war das Einzige in dieser verrückten Welt, dass ihn an Gerechtigkeit glauben ließ und dass der Wahnsinn dieser Welt geheilt werden konnte. Er würde dafür sorgen, dass Hisaki - seine Alice - das Wunderland bekam, von dem sie hofften, es könnte Wirklichkeit werden, statt unterzugehen, wie sie es verdient hätte.   𝅝.   Myotismon kam zu sich und das Gefühl ähnelte dem Auftauchen aus dem Wasser, nachdem man fast ertrank oder wenn man nach einem Herzstillstand wieder zu Bewusstsein kam. Im Augenblick des Erwachens zog Erinnerungen in Bruchteilen von Sekunden an ihm vorbei und er erinnerte sich wieder an alles. Daher wunderte er sich auch nicht, dass er im Esssaal an dem langen Tisch saß, wo normalerweise Sanzomon mit ihren Schülern und Mündeln speiste oder mit ihm alleine. Nun saß er jedoch mit Puppetmon, Etemon und Piedmon an einen Tisch, letzterer genau am anderen Ende, Myotismon gegenüber. Und Piedmon schien absolut nicht erfreut. Wen wunderte das? Dieser hatte Sanzomon lieber tot gewusst. Nun war sie verschwunden. Das dieser Fluchtplan überhaupt funktionierte wunderte Myotismon schon fast ein wenig. Nach dem falschen Biss hatte er die bewusstlosen Sanzomon auf ihr Zimmer gebracht, alles unter Piedmons strenger Beobachtung. Selbst als Piedmon zufrieden schien, im Glauben Sanzomon würde nun für den Rest ihres Daseins eine gehorsame Marionette sein, die nur noch das dachte und aussprach, was ihr Meister auch hören wollte, glaubte Myotismon von ihm beobachtet zu werden. Auch in den unterirdischen Tunnel, obwohl er wusste, dass Piedmon diese Geheimgänge nicht kennen konnte. Wenn er schon die Agenten trotz der Karte, die Sanzomon ihm gab nicht ausfindig machen konnte, dann doch ihr Gefolge. Nun war sie in Sicherheit. Hoffentlich hatten Gokuwmon und der Rest sich ein gutes Versteck gesucht, denn ein zweites Mal würde Myotismon so etwas Waghalsiges nicht gelingen. Wie lange hatte es dauert, bis Piedmon merkte, dass dieses Sanzomon im Bett und das Myotismon, dass bei ihr war nur ein verwandeltes Bakemon und ein Soulmon waren? Dem Gesicht des Clown-Digimon nach doch recht schnell, aber nicht schnell genug. Wenige Sekunden nach Myotismon kam auch Devimon zu sich und auch er erinnerte sich. Die Truppen waren geschwächt, nur er und Myotismon kämpften noch. Ein großes, weißes Tuch war das Letzte, an dass sie sich bewusst erinnern konnten. Piedmon hatte sie in Schlüsselanhänger verwandelt, aber Myotismon und Devimon waren stark genug (nicht zuletzt Dank der vielen dunklen Energie) um nicht ewig in dieser Gestalt zu verharren und verwandelten sich nach geraumer Zeit von selbst wieder zurück. „Ich hätte euch vierundzwanzig Sekunden eher erwartet“, schnaubte Piedmon und klappte eine Taschenuhr zu, die auch gleich wieder in seinem Anzug verschwand. „Wieso hast du mich auch verwandelt?“ „Anders hätte man euch Streithähne ja nicht auseinander bekommen“, schimpfte Puppetmon wütend über Devimons Ärger. Piedmon schwieg und stierte mit dem Rest vom Tischende zu Myotismon. „Und was dich betrifft – hast du uns nicht etwas zu erklären?“, sagte Piedmon ungeduldig. Myotismon schwieg aber. Er saß nur kerzengerade am Tisch und die anderen vier hielten dies für ein Zeichen seiner Arroganz. Eigentlich aber tat Myotismon nur der Rücken weh. Nicht nur weil Devimon ihn fast aufgespießt hätte (sogar die Löcher sah man noch in Myotismons Umhang), er sah zudem unter dem Anzug immer noch aus, als hätten Mikemon ihn als Kratzbaum missbraucht. Sanzomon war wirklich nicht zimperlich. Selbst er war bei seinen Bissen zaghafter vorgegangen. „Hey, Herr Pianist. Was los? Zunge verschluckt?“, rief Etemon, aber Myotismon antwortete immer noch nicht. Er fragte sich nur wo MetalSeadramon und Machinedramon waren. Vielleicht legten sie sich noch mit den Souveränen an. Sie waren ohnehin zu groß um überhaupt durch das Tor zu kommen, geschweige denn in diesen Raum. „Wir hören.“ „Ich konnte es nicht“, antwortete Myotismon monoton. Er sah in die Richtung seiner Mitmusiker, doch sah keinen von ihnen wirklich an. Sie runzelten die Stirn, ehe Piedmon anfing zu lachen. „Habt ihr das gehört? Er konnte es nicht!“, brüllte er lachend los. Innerhalb einer überaus ausschweifenden Gestik griff Piedmon nach einem seiner Schwerter und warf es Myotismon entgegen. Und wie gern hätte er damit direkt in sein Gesicht gezielt, doch ein Stromstoß zwang Piedmon dazu nicht so weit auszuholen und das Schwert eher loszulassen, damit Myotismon auf jeden Fall ausweichen konnte. Statt ihn also zu treffen, blieb die Klinge in der Rückenlehne des Throns stecken. „Willst du mich eigentlich komplett verarschen? Was für ein Spiel spielst du hier eigentlich? Raus mit der Sprache, was hast du vor?“ „Nichts. Ich konnte ihr das nur nicht zumuten.“ „Soll das ein Witz sein?“, brummte Devimon von der Seite. „Du bist doch der gewesen, der sich über ihr Denken und Handeln beschwert hat.“ „Weiß ich.“ „Und trotzdem wolltest du sie behalten, damit der König eine Königin hat. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?“, fragte Piedmon und schlug ein Bein über das andere. „Nein. Es war so.“ „Und wir haben uns drauf geeinigt, wenn du es schaffst, den ganzen Humbug aus ihren Kopf zu holen, kannst du mit ihr machen was du willst.“ „Ja. So war es. Aber ich konnte nicht. Sie wäre nicht mehr sie selbst gewesen.“ „Das war doch der Punkt!“, brüllte Piedmon los und schlug dabei auf den Tisch. „Digimon wie sie, die uns auch noch im Weg stehen können wir nicht gebrauchen! Wir wollen Gleichheit! Was also kümmert es dich, ob dein Betthäschen so etwas wie eine Persönlichkeit hat?“ „Mir ist sie aber mit Persönlichkeit lieber“, zischte Myotismon zurück. „Ich bevorzuge es unter Digimon zu sein, die selbstständig denken können. Von mir aus hätte sie mich weiter mit ihren Träumen, Ideen und Dogmen nerven können. Aber besser so, als eine folgsame, hirnloses Puppe die nur meine Wort nachplappert, im Wissen, dass sie das nicht wollte. Wenn sie mit ihren Idealismus und ihrem Kinderchor glücklicher ist – so sei es eben. Die Welt wird ohnehin in Dunkelheit untergehen. Ob ich ihr ihr Wunderland also noch ein wenig lasse oder nicht macht keinen Unterschied.“ Wütend tippte Piedmon mit den Finger auf den Holztisch. Das Tippen wurde stetig schneller, bis er die Hand ballte und einmal kräftig auf den Tisch schlug. Wüsste Piedmon nicht, dass es sinnlos wäre, würde er noch ein zweites Schwert nach Myotismon werfen. Etemon gab Piedmon einem Stups mit den Ellenbogen. „Hey, jetzt lass den mal weiter schmollen, in der Zeit könn'n wir überleg'n, wie's weiter geht.“ „Die Gegend gehört schon einmal komplett uns“, berichtete Puppetmon stolz. „Alle Digimon sind geflohen und alle Agenten, die wir ausfindig machen konnten haben wir eliminiert.“ „Einer ist entkommen“, korrigierte Devimon sofort und dämmte damit Puppetmons gute Laune. „Und er hatte die Digieier dabei.“ „Macht nichts. Ich habe ihm einen Peilsender in den Rücken gerammt“, erzählte Piedmon. „Den finden wir. Und mit ihm die Digieier und das Versteck der Souveränen. Und um das hier müssen wir uns auch kümmern.“ Mit einem Griff unter den roten Blazer zog Piedmon die acht Amulette hervor und breitete sie auf dem Tisch aus. „Wo sind die Wappen?“ „Weg. Alles Sanzomons Schuld“, antwortete das Clown-Digimon Devimon knapp und verzog dabei angewidert das Gesicht. „Keinen Schimmer, was sie mit ihnen gemacht hat.“ „Und was mach'n wir mit den Amuletten?“ „Zerstören natürlich!“, sagte Puppetmon zu Etemon und empfand die Vorstellung als überaus spaßig, aber wieder nahm Piedmon ihm den Wind aus den Segeln. „Das habe ich schon versucht, aber keine Chance. Das ist Digizoid. Und wer weiß, was sie noch hinzugemischt haben. Jedenfalls sind die Amulette unzerstörbar.“ „Was machen wir also damit?“, fragte sich Etemon, aber Piedmon ging nicht darauf ein. Stattdessen nahm er wieder alle acht Amulette an sich und zog aus dem Bund eines heraus. Die restlichen sieben warf er Devimon zu. „Eins behalte ich zu Forschungszwecken.Vielleicht nützen uns die Amulette doch etwas. Den Rest versteckst du, Devimon. Und möglichst gut. Verstanden?“ „Verstanden.“ „Und vielleicht kann man mit dem Dunklen Netzwerk herausbekommen, wo die Wappen hin sind. Scannt alles nach irgendwelchen Abweichung oder Anomalien ab. Also such gründlich, Etemon, und schau ob dein Netzwerk bereits Signale vom Peilsender empfängt. Und du gibst den Befehl an die Truppen weiter, Puppetmon.“ „Verstanden“, nickten Etemon und Puppetmon ab, dann richtete sich die Aufmerksamkeit der vier Digimon wieder auf Myotismon. „Jetzt bleibt nur die Frage, was wir mit dir machen.“ „Ihr könntet mir meine Soldaten wiedergeben.“ „Gerne“, brummte Puppetmon. Die Sache am Friedhof hatte Phantomon nicht vergessen. Er griff Puppetmon zwar mit den anderen Bakemon und Soulmon nicht an, dafür streikten sie, solange sie nicht zu ihrem Meister durften. „Und dann könnt ihr mir ja das Schloss übergeben.“ „Warum sollte ich das?“, fragte Piedmon und wusste nicht, ob er über Myotismons Dreistigkeit lachen oder schreien sollte. „Was willst du damit?“ „Dir auf jeden Fall nicht das Tor überlassen.“ „Wisst ihr denn etwas damit anzufangen?“, fragte Myotismon und wirkte nun etwas entspannter, wenn sein Rücken auch immer noch brannte. „Im Gegensatz zu euch kann ich die Schriften lesen.“ „Wir sind der alten Sprache auch mächtig.“ „Aber könnt ihr auch Babamons wirre Schrift entziffern? Ich habe sie lange genug erlebt um zu begreifen, was sich hinter ihren Worten versteckt. Und glaubt mir, ich habe Partituren und fünflinige Notalien gesehen, die haben mehr Sinn ergeben wie das, was Jijimon und Babamon zu Papier gebracht haben.“ Devimon, Etemon und Puppetmon tauschten missmutige Blicke aus und sahen dann geschlossen zu Piedmon. Er schmollte nur, biss sich aber hinter seinen zusammengepressten Lippen auf die Zähne. „Außerdem bin ich der Einzige von uns, der über die komplexe Magiekunst unterrichtet wurde. Entsprechend bin auch nur ich in der Lage, dieses Tor richtig zu benutzen.“ „Wer sagt, dass du es nicht für etwas Dummes benutzt? Du neigtest in letzter Zeit leider zu sehr vielen Dummheiten“, bemerkte Devimon abfällig. „Unterstellst du mir etwa, ich würde etwas tun, dass nicht im Sinne des Herr Dirigenten liegt? Das wäre doch gegen die Orchester-Regeln.“ Devimon blieb argwöhnisch, würde aber an den Worten nicht zweifeln. Der Herr Dirigent war allgegenwärtig und gegen seine Regeln konnte man sich nicht wehren. Piedmon hingegen hatte diese unterschwellige Botschaft durchaus verstanden. Als ob Myotismon in eine Hundepfeife pfiff, die nur Piedmon hörte und Bauchschmerzen auslöste. „Und wenn die Digiritter durch dieses Tor kommen, bin ich der, der sie sofort eliminiert. Ich bin immer noch Mitglied unseres Orchesters und die Souveränen und die Digiritter sind unser aller Feinde. Gleichheit, das ist unser gemeinsames Ziel. Das sagtest du doch, oder, Herr Gitarrist?“ Myotismon grinste zu Piedmon hinüber, aber vermutlich weil er wusste, dass Piedmon genau zwischen den Zeilen las und ihm gedanklich sämtliche Beschimpfungen an den Kopf warf. Verräter, brüllte Piedmon in Gedanken zu ihm hinüber und er hoffte, Myotismon konnte wie die Vampire in den Büchern der Realen Welt diese hören. (Mieser dreckiger hinterhältiger verlogener Volksverräter vögelnder Verräter) „Das ist alles, was du machen willst?“, fragte Etemon empört. „Natürlich werde ich mich weiter mit Nachforschungen beschäftigen und meine Truppen zu Verfügung stellen. Sanzomon hat einige Bücher übersetzt, die Interessantesten hielt sie versteckt. Es wird dauern, bis ich etwas finde, aber ich bin sicher irgendetwas zu finden, dass uns helfen kann die Souveränen loszuwerden. Dann haben wir ein freies Feld.“ „Kann ich mich auf dein Wort verlassen?“, fragte Piedmon schnippisch. „Ich sagte doch, wir haben alle das gleiche Ziel. Warum sollte ich Verbündeten Steine in den Weg legen?“ Ja, warum sollte der Verräter das, dachte Piedmon weiter und er hoffte immer noch, Myotismon hörte es. „Also gut. Dann zieh mit deinen Soldaten hier ein. Ich will regelmäßige Berichte über deine Fortschritte. Und wehe dem ich merke, dass du trödelst oder etwas verheimlichst.“ „Nicht einmal im Traum würde mir das einfallen.“ Und wenn diese Aussage nicht ehrlich und verlogen zugleich geklungen hätte, hätte Piedmon es geglaubt. „Dann tretet ab“, befahl er und die Digimon um den Tisch erhoben sich aus ihren Stühlen. Doch als Myotismon wieder aufstand, räusperte sich Piedmon. „Du bleibst noch hier. Wir zwei sind noch nicht fertig. Der Rest kann gehen.“ „Dürfen wir nicht zusehen?“, protestierte Puppetmon, der als einziger noch nicht den Saal verlassen hatte, während Devimon und Etemon im Türrahmen standen. „Das geht nur uns beide etwas an. Also geht. Und wagt es zu lauschen!“ Puppetmon wollte noch protestieren, da pfiff Devimon ihn nach draußen, woraufhin er sich in Bewegung setzte. Myotismon dachte sich, wie dubios es war. Früher, als Puppetmon noch Floramon und Devimon noch Candlemon war, wäre die Situation umgekehrt gewesen. Kaum dass die große Tür geschlossen wurde und Myotismon alleine mit Piedmon hier war, erhob sich dieser aus seinen Stuhl und ging mit langsamen Schritten auf ihn zu. Dann, als nur noch ein, vielleicht auch zwei Meter sie trennten blieb Piedmon stehen. Myotismon vermutete, dass das ein Sicherheitsabstand war. „Sag, was du sagen willst“, sagte Myotismon genervt, nachdem Piedmon ihn nur stumm einige Sekunden anstarrte. „Ich überlege, wo ich anfangen soll und was mich am meisten enttäuscht. Dass du absichtlich den Dummen spielst? Dass du im vollen Bewusstsein ein Flittchen deinem Orchester vorziehst?“ „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du Sanzomon nicht so nennen sollst!“ Die Flammen auf den Kerzen neigten sich stark zur Seite und fast erloschen sie, obwohl kein Wind da war. Mehr Kerzen würden nicht schaden. Die Nebelwand hatte sich vollständig aufgelöst und seit Jahrzehnten konnte man wieder auf den klaren Nachthimmel blicken. Doch obwohl die Sicht frei war und der Mond sogar schien wirkte das Schloss dunkler denn je. „Ich nenne sie, wie ich es für angemessen halte“, fragte Piedmon mit einem kurzen, strengen Blick auf die Kerzen. „Sie scheint dir ja wichtiger wie deine alten Freunde zu sein. Wann hattest du eigentlich vor uns einzuweihen?“ „Das fragst ausgerechnet du? Wann wolltest du uns aufklären, dass die Kapellmeister tot sind?“ „Ich habe das getan, was ich für das Beste hielt.“ „Du hast doch nur Angst, dass wir die ganze Sache hinschmeißen, wenn wir keine Motivation mehr haben. Und dann spielst du noch den guten, verständnisvollen Freund, der ja nur helfen will das alles zu vergessen“, zischte Myotismon angewidert. „Denkst du ich merke nicht, dass es dir Spaß macht auf uns herumtrampeln? Du hast uns damals schon Vorwürfe gemacht, weil nur dein Kapellmeister starb. Deswegen bist du doch zum Maestro gegangen und hast dich ausgeheult. Sag, hasst du Sanzomon, weil ich mit ihr etwas aufbauen wollte oder weil sie es im Gegensatz zu dir geschafft hat trotz unglücklicher Umstände weiterzumachen?“ Provoziert von den Worten packte Piedmon Myotismon am Kragen und zog ihn so nah zu sich, bis nur noch wenige Millimeter zwischen den Nasenspitzen lagen. „Weißt du, was Menschen mit ihren aufmüpfigen Hunden machen?“ „Versuch es doch. Aber wundere dich nicht, wenn der Hund beißt“, grinste Myotismon Piedmon an, der zwar weiter mit den Zähnen knirschte, aber nicht um seine Wut, sondern die Angst zu unterdrücken. Und Myotismon wusste, dass er Angst hatte. „Nein. Ich lasse es. Ich finde, du wurdest heute genug gestraft“, meinte Piedmon schließlich und ließ Myotismon los, nicht aber ohne ihn noch mit aller Kraft in den Stuhl und gegen die Rückenlehne zu drücken. Myotismon zuckte, als sein Rücken wieder brannte. „Für den Verlust deines Kapellmeisters hast du mein Beileid. Der Verlust der Königin war ein nötiges Übel. Du bist träge geworden und hast dich mit unnötigen Kram beschäftigt. Du wirst es mir danken, dass du Sanzomon los bist. Jetzt kannst du dich wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Bist du dass Alice nicht schuldig? Und wie du sagtest, wenn ohnehin die Welt nur noch ein schwarzer Fleck im Nichts ist – was kümmert dich dann ein einzelnes Digimon?“ Piedmon nahm seine Hand, die noch auf Myotismons Schulter ruhte wieder zurück und blickte verachtungswürdig auf seinen einstigen besten Freund herab. Myotismon selbst würdige ihm keines Blicks, er schien auch gar nichts anzusehen, sondern in Gedanken zu sein. Ob bei Alice oder Sanzomon war Piedmon ziemlich gleich. Er machte sich schon auf zu gehen, hoffend der Pianist ihrer Runde versank in Gewissensbissen und Schuldgefühlen, wenn sein Narzissmus das noch zuließ, doch ein Räuspern hielt Piedmon davon ab. Und er stellte schnell fest, dass Myotismon lachte. „Was ist so witzig?“, knurrte Piedmon, aber Myotismon antwortete ihm nicht, sondern kicherte weiter. Lauter, bis er mit schallenden Gelächter in seinen Thron versank. Piedmon verlor schnell die Geduld – Myotismon hatte diese an dem Abend schon genug strapaziert – und wollte ihn an den Schultern packen und schütteln, dass er zumindest aufhörte zu lachen. Doch Piedmons in weißen Samthandschuhen verpackte Hand berührte Myotismon nicht einmal, da warf er den Kopf in den Nacken, um zu Piedmon zu blicken. Digimon besaßen keinen komplexen Organismus wie die Menschen oder Tiere in der Realen Welt. Sie hatten Daten, die sich in ihrem Inneren bewegten und verschiedene Tätigkeiten des Stoffwechsels erfüllten. Digimon besaßen Lungen, Magen und Herz, wenn es auch nicht wirklich greifbare, sichtbare Organe waren. Blut und Speichel waren Daten, sich ständig bewegende Kleinteile und sobald sie an der Luft waren lösten sie sich auf, statt auszutrocknen. Die Körper der Digimon waren warm, weil ein Teil der Daten nicht fest irgendwo eingespeichert war, sondern sich in einer eingespeicherten Bahn bewegten, nicht das Blut an sich. Ausnahmen gab es bei Maschinen-Digimon, bei denen es Strom war oder bei Untoten-Digimon, deren Stoffwechsel sprichwörtlich auf der niedrigsten Flamme kochte, darum waren sie ja auch kalt. Und als Piedmon Myotismon in die Augen sah, erstarrte jeder einzelne Teil, aus dem sich seine Gestalt zusammensetzte. Wäre er ein realer Clown wäre sein Blut in den Adern gefroren. Myotismon blaue Lippen formten ein Lächeln, die Zahnreihen lugten leicht heraus und die langen Eckzähne schienen für einen Moment bedrohlich aufzublitzen. Sein Blick bohrte sich ins Piedmons Inneres. Da war Eis in den Augen. Sie waren genauso starr. Und kalt. Man hörte den Schneesturm regelrecht und Piedmon fror. Seine Finger zitterten, obwohl er sich Mühe gab, sich zusammenzureißen, damit es aufhörte, doch das tat es nicht. „Weißt du, du hast Recht, alter Freund“, hauchte Myotismon und man hörte in seiner Stimme, dass er immer noch lachte. „Was kümmert mich ein einzelnes Digimon? Was kümmert mich überhaupt irgendein Digimon? Was kümmert mich mein Kapellmeister? Ich habe die meiste Zeit meines Lebens ohne Alice verbringen müssen. Du musst mich nicht bemitleiden. Ich habe schon vor langer, langer Zeit aufgehört zu hoffen, dass Alice zu mir zurückkehrt.“ Myotismon stand auf und Piedmon merkte dass im ersten Moment nicht, da er immer noch wie zur Salzsäule erstarrt dastand. Erst als Myotismon auf ihn zuging kam er wieder zu Besinnung und ging einige Schritte zurück, bis er fast gegen die Wand lief. Ehe er sie aber berührte, packte Myotismon ihn und drückte Piedmon dagegen, das Gesicht immer noch steif, mit diesem manischen Ausdruck. (Er ist komplett wahnsinnig) „Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Zu wissen, dass Alice tot ist war ein Schock. Doch allmählich muss ich feststellen, dass es gar nicht so schlecht ist. Ich fühle mich frei. Und nun ist es sogar offiziell.“ „Was? Ich dachte, Alice sei alles für dich?“, schrie Piedmon schockiert auf. „Oh, natürlich war Alice das. Alice war mein Ein und Alles. Immer wenn es schneite dachte ich an Alice. Was tut Alice? Vermisst Alice mich? Was würde Alice über das, was ich tue denken? Würde Alice mich verstehen? Oder würde Alice wütend darüber sein? Ich habe aufgehört zu suchen, aber ich konnte nie vergessen. Ich konnte nur daran denken, dass Alice mich alleine in einer chaotischen Nachkriegswelt zurückgelassen hat, ohne zu wissen wohin. Ist das nicht grausam?“ Piedmon konnte nicht antworten. Er war weiter wie erstarrt und es gelang ihm nicht Worte zu formen. Seine Gedanken waren nur eine Sirene. (wahnsinnig wahnsinnig wahnsinnig wahnsinnig wahnsinnig er ist wahnsinnig) „Ich habe Alice dafür gehasst, dass ich nie vergessen konnte und mein Herz sich an unsere Träume klammerte, wissend, dass sie so, wie wir es uns erhofften nie wahr werden würden. Ich wusste es und konnte nicht. Ich plane und ich weiß, was ich will. Ich folge stets Zielen. Auch wenn diese Ziele nicht mit Alice' Vorstellungen von Moral kompatibel sind. Lästig so ein Gewissen und dieser... erzogene Anstand. Du weißt nicht, was ich im Krieg sah.“ „Idiot, wir waren beide im Krieg! Wir waren beide in den Wiederherstellungskliniken! Wir waren beide am Dunklen Meer und an der Front!“, brüllte Piedmon ihn an und versuchte sich gegen Myotismons Kraft zu wehren, doch dieser drückte ihn sofort wieder gegen die Wand. „Du warst nicht dort, wo ich war. Du hattest Glück, dass deinesgleichen damals schon ausgestorben war. Meinesgleichen regierte die Apartheid. Sie waren allesamt Abschaum, die es nicht ertrugen, dass ein unreiner Sonderling und Schoßtier wie ich Hauptmann wurde. Sie erlaubten sich zu bestimmen, welche Daten gut und schlecht waren und machten nicht einmal vor ihresgleichen Halt. Du kannst dir nicht ausdenken, was ich gerne mit ihnen gemacht hätte. Ich hätte sie auf dem Schlachtfeld verrecken lassen sollen, zusammen mit den widerlichen und jämmerlichen Viren von einst. Das wäre wahre Gerechtigkeit gewesen! Die Erkenntnis, dass im Tod Rang und Ordnung absolut obsolet sind - Das wäre wahre Gleichheit!“ Der Ausbruch von Zorn gab Myotismon noch einen Kraftschub, um mit diese drückte er Piedmon nicht nur weiter gegen den grauen Stein, sondern hob ihn auch noch hoch. Sie waren auf Augenhöhe, aber im Gegensatz zu dem untoten Digimon berührte Piedmon den Boden nicht mehr. „Doch Alice zuliebe war ich freundlich und gnädig. Ich wollte Alice Worten Glauben schenken, dass man unterschiedlich und gleich auf einmal sein kann. Ich habe nur getötet um Leid zu ersparen, egal ob Serum, Datei oder Virus, auch wenn es am Ende umsonst war. Und ich glaubte, nein, ich träumte, wenn Alice wieder zurückkehrt gäbe es eine Chance es noch einmal auf diesen Wege zu versuchen. Wie dumm von mir...“ Für einen kleinen Augenblick erweckte Myotismon den Eindruck, Trauer und Reue würden durch die Erinnerungen an seinen Kapellmeister in ihm aufkommen und Piedmon überlegte sich schon, wie er daran anknüpfen konnte, um die Situation zu entschärfen. Doch als ob Myotismon wirklich Gedanken lesen könnte krampften seine Finger stärker. „Es schmerzt mich zu wissen, dass mein Traum ausgeträumt ist. Aber wenn man so darüber nachdenkt, ist es eigentlich sehr beruhigend. Geradezu erleichternd... Ich bin wach. Der Schwarze König ist wach...“ Myotismons Gesichtszüge waren entspannten, dass war aber auch das einzige an ihm, ansonsten war sein Stand fest und er hielt Piedmon immer noch am Kragen. Piedmon war etwas kleiner wie Myotismon, aber genauso schlaksig und doch kam seine physische Kraft nicht annähernd an das, was dieses Digimon aufbringen konnte. Und selbst wenn er auf seine Taschenspielertricks zurückgreifen könnte – er war wie gelähmt. Piedmon hatte wirklich Angst, dass Myotismon ihn an Ort und Stelle umbringt, würde er versuchen zu fliehen. Sein Freund, den er schon so lange kannte und mit dem er vor langer, langer Zeit noch zusammen spielte wollte ihn tatsächlich umbringen. „Du bist nicht das Digimon, da sich kenne. Tsukaimon war so nicht. Hat dich der Herr Dirigent so verändert? Hat es damit zu tun, zu was du digitiert bist? Wann zur Hölle bist du so geworden?“ Schweigen. Dann grinste Myotismon ihn an. Er grinste nur und Piedmon kannte dieses Grinsen. Damals, am jüngsten Tag, als Humpty Dumpty starb und die Trauer der Kapellmeister sich in Dunkelheit verwandelte. Tsukaimon lag fast direkt neben Dracmon als es geschah. Und als Alice dunkle Gedanken und Gefühle über Tsukaimon herfielen grinste er genauso. Dracmon glaubte, weil er selbige Manie auch bei den anderen erkannte, dass dies einfach nur die Dunkelheit war die sich in Tsukaimons Gesicht abzeichnete. Aber Tsukaimon grinste damals schon anders wie die anderen. Er war anders. „Der Schwarze König träumt, aber wovon fragten sie Alice. Aber nicht einmal Alice wusste es. Alice wusste eben nie alles über den Schwarzen König, egal wie nah sie sich standen. Woher nimmst du dir also die Frechheit heraus zu behaupten, du wüsstest mich zu kennen? Oder zu behaupten, wir wären gleich?“, fragte Myotismon mir rauer Stimme, aber so ruhig, dass Piedmon noch mehr Angst bekam. „Wir sind nicht gleich. Wir selbst sind der beste Beweis dafür. Wären wir es, wären wir nicht so zerstritten und spielen nur aus Höflichkeit und Gewohnheit unsere Konzerte.“ Myotismons Griff wurde fester, dafür erlaubte er Piedmon wieder den Boden berühren zu können. „Aber ich muss dir danken. Nun da ich weiß, dass Alice nicht mehr ist, muss ich mich nicht mit lästigen Dingen quälen oder mich rechtfertigen. Du hast es gut gemeint uns dabei zu helfen zu vergessen. Dabei vergessen wir schon lange. Merkst du nicht, dass unser Spiel immer hohler klingt? Wir spielen nicht mit Herz. Wir spielen abgespeicherte Notenreihen, ohne jede Emotion. Merkst du es wirklich nicht?“ Doch. Piedmon spürte es schon lange. Wenn er versuchte für Leafmon ein neues Stück zu spielen stellte sich dies als problematisch und schwierig heraus. Es klang nicht so schön und erhaben und Piedmon brauchte lange um einen Ton zu treffen, der dem gerecht wurde. Leafmon verzieh es ihm jedoch. Und mit der Zeit wurde ihm auch bewusst, dass sie alle nur in einer musikalischen Endlosschleife steckten. Ihre Lieder aus Kindertagen waren eine Symphonie des Hasses. Vivaldi erinnerte sie nur noch daran, was sie einst verloren. Jeder Kinderreim erinnerte sie an ihre eigene Naivität. Hass war die einzige Emotion, zu der sie wenn überhaupt noch fähig waren. Doch verließen sie den bereits existierenden Pfad und versuchten einen anderen einzuschlagen scheiterte es. Und je mehr Zeit Piedmon mit Leafmon verbrachte, um so mehr bemerkte er es. Wurde es Myotismon auch bewusst wie leer sie eigentlich alle waren, nachdem er diese Liaison mit Sanzomon einging? Und die anderen? Nein, sie hatten keinerlei starke, sozialen Bindungen zu irgendeinem Digimon. Wobei Machinedramon sich doch ausgefallen fürsorglich um seine Maschinen kümmerte und sich fast zu gut mit Devimon verstand (dabei taten sich Candlemon und Dorumon damals so schwer). Und MetalSeadramon mit seinen väterlichen Gefühlen für die AncientMermaidmon? Spürten sie es bereits, dass sie in ihrem Inneren längst hohl waren? Das das wichtigste in ihrer Existenz bereit dahingeschieden war und eigentlich keinen Grund mehr gab, der sie zusammenhielt oder sie dazu bewegte, endlich etwas in der Digiwelt zu ändern? Dachten sie auch daran, wie Myotismon das Orchester zu hintergehen? „Ich bin da ganz bei dir. Vergessen ist wirklich viel erträglicher. Wer weiß, vielleicht spüren die anderen längst, dass an der Sache etwas faul ist. Und weil sie nicht mehr fühlen, werden sie nicht ausrasten, sondern es wird ihnen egal sein. Und am Ende werden wir uns alle selbst zerfetzen.“ Nun ließ Myotismon Piedmon los, doch das Clown-Digimon musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu Boden zu rutschen. Sein Körper war wie erstarrt und Piedmon brauchte etwas, bis er wieder ein Gefühl in den Gliedern hatte. Er versuchte noch böse zu schauen. Myotismon sah ihm an, dass die Angst der Wut oblag und Piedmon musste sich eingestehen, dass er ein Problem hatte. Ein gewaltiges Problem. Myotismon dazu zu nötigen Sanzomon aufzugeben war ein Fehler. Nun hatte er kein Druckmittel mehr und Piedmon stand mit leeren Hände da. Er hatte nichts, dass Myotismon vielleicht hätte ausbremsen können. Keine Alice und keine Weiße Königin. Nicht einmal die vom Herr Dirigent erdachten Asimov-Gesetze konnten das. Sein Freund war ein Psychopath, den nichts aufhalten konnte. Absolut nichts auf der Welt. Piedmon hatte sich seinen schlimmsten Feind selbst erschaffen. „Strebst du das an, was ich denke?“, fragte Piedmon Man hörte noch ein leichtes Kratzen in der Stimme. „Was denkst du denn?“ „Das ein alter Träumer wie du an Fabeln glaubt.“ „An Fabeln scheint aber etwas Wahres zu sein, wenn selbst die Hohen Serums Angst hatten.“ „Also gibst du es zu?“, fragte Piedmon weiter erbost, was aber daran lag dass Myotismon immer noch aufhörte ihn anzugrinsen. „Du glaubst wirklich, du wärst dieses Digimon, dass die Welt regiert und ins Chaos stürzen wird?“ „Hast du etwas, was diese These widerlegen könnte?“ Myotismons Grinsen verlor an Intensität, doch der Wahn verschwand nicht aus seinem Gesicht. „Es gibt kein anderes vergleichbares Digimon, dass in Frage käme. Ich bin seit Jahrzehnten das erste Myotismon überhaupt. Und selbst wenn, könnten meine Artgenossen schwer mit mir mithalten. Ich war schon an der Front meinen Artgenossen überlegen, deswegen genoss ich auch einen hohen Rang.“ „Dafür müsstest du diese Welt verlassen.“ „Kinderspiel. Das Tor ist hier. Ich habe gesehen, wie Jijimon – Pardon, unser alter Onkel Remus die Karten anfertigte. Er brachte mir früh die Grundthese und Lehren der Magie bei, damit ich auf höheren Leveln ihrer mächtig sein kann. Und du weißt genauso gut wie ich, dass ich diese fragile Gestalt schon einmal ablegen konnte.“ Piedmon wünschte sich, er wüsste es nicht. Sein Gesicht wurde klamm, regelrecht farblos trotz der kräftigen Schminke. Dass Myotismon schließlich aufhörte zu grinsen und ihn emotionslos anstarrte half dabei wenig. Ihm war schlecht. „Wirst du mich an den Herr Dirigent verpfeifen?“, fragte Myotismon und Piedmon konnte nicht sagen, ob er wirklich Sorgen hatte, dass er das tun würde oder sich lustig machte, im Glauben Piedmon hätte zu viel Angst vor ihm um überhaupt dran zu denken. Er lehnte sie mit verschränkten Armen gegen die Wand und beobachtete seinen ehemaligen besten Freund. Myotismon stand mit hinter den Rücken gekreuzten Armen da und wartete fast brav auf eine Antwort. Eigentlich müsste er es. Eigentlich sollte Piedmon es auch, dass schrieben die Orchester-Regeln vor. Vielleicht wusste ihr Dirigent es auch schon. Schließlich waren sie mit ihm verbunden und würden irgendwann zu ihm zurückkehren. Das würde auch ihr jüngster Tag sein. Aber dann wären sie gleich und für immer vereint. Dann wären er und sein einstiger Freund vielleicht auch wieder gleich. Andererseits... „Das schaffst du doch nicht.“ „Was macht dich so sicher?“, harkte Myotismon nach und nun war es Piedmon der lachte, wenn es auch gezwungen war. „Es haben schon so viele andere Myotismon versucht. Ich wüsste keinen Grund, warum ausgerechnet du das ändern solltest.“ „Weil ich nun einmal nicht wie die anderen Myotismon bin.“ „Für deine Verhältnisse ist das ein sehr schwaches Argument.“ Piedmon verließ die sichere Stütze der Wand und wagte es einen Schritt näher an Myotismon heranzugehen. Die Aura des Wahnsinns hatte sich gelegt, lag aber immer noch wie schwüle Luft nach einem Sturm im Raum. Er ging noch einen Schritt auf Myotismon zu. Sie standen beinah nebeneinander. „Hat dir die Lektion vorhin nicht gereicht?“ „Ich gebe Sanzomon die Schuld für deinen kleinen Gefühlsausbruch, nicht deiner Sturheit. Aber wenn du glaubst es zu schaffen – mach doch.“ „Dir ist bewusst, was du sagst?“, fragte Myotismon und er klang, als konnte er nicht ganz das glauben, was er von Piedmon hörte. Es könnte wieder ein Trick sein. Aber er könnte es auch ernst meinen. „Wenn ich es schaffe und ich wieder zurückkehre, wird Apokalymon der Erste sein, den ich in der Luft zerreiße. Und euch werde ich mit mir nehmen.“ „Mir kann egal sein, wie die Welt untergeht. Ich sympathisiere nur nicht mit deiner Vorstellung einer Welt der Gleichheit. Allein weil ich den Winter nicht mag. Ich mag's lieber warm und gemütlich. Daher, solltest du es wirklich schaffen, tu deinem alten Freund einen Gefallen und mach es schnell. Ja?“ Myotismon sagte nichts, doch ein Aufblitzen in seinen blauen Augen zeigte Zustimmung. Natürlich würde er das. Das war er seinen einstigen Freunden schuldig und so sadistisch war er auch wieder nicht. „Ich will aber etwas dafür.“ „Du hast schon das Schloss“, sagte Piedmon ruppig. „Das reicht nicht. Ich möchte einen Vertrauensvorschuss.“ „Du willst, dass ich dir vertraue?“ „Vielmehr sollte ich dir vertrauen. Alles was hier besprochen wurde bleibt unter uns. Ich vertraue dir, dass du mich nicht verpfeifst, ich vertraue dir, dass du mir nicht in die Quere kommst und ich vertraue dir, dass du Sanzomon und ihren Kinderchor in Frieden lässt. Nicht dass ich noch einmal einem solchen Gefühlsausbruch verfalle, wie du es nanntest.“ „Und was willst du?“, fragte Piedmon weiter erbost und doch eingeschüchtert. In einer überschwänglichen, aber grazilen Bewegung streckte er seinen Arm Piedmon entgegen, wie auch die offene Hand. „Das Amulett erscheint mir angemessen.“ „Was willst du damit?“ „Sagen wir, als kleines Andenken an Sanzomon für mich.“ Dass das alles sein sollte glaubte Piedmon nicht einmal im Ansatz, aber Myotismon gab sich auch keine besondere Mühe zu vergeben, dass er Hintergedanken hegte, während er wartete. Piedmon hielt den Anhänger hoch und das Material glänzte, während es sich langsam um die eigene Achse drehte. Nur seine Augen bewegten sich und wechselten rasch hin und her. Es wunderte Myotismon beinah, dass Piedmon so schnell und ohne zusätzlichen Nachdruck das Amulett in Myotismons Hand legte und es schließlich unter seinem Umhang verschwand. Als Piedmon sich wieder in Bewegung setzte und dabei genau an Myotismon vorbeilief, kam ihm der Geruch von Blumen entgegen. Etwas von Sanzomon hing immer noch an ihm und wütend darüber, wieder an sie erinnert worden zu sein packte er Myotismon an seinem Halstuch und zwang ihn Piedmon in die Augen zu starren. „Du stinkst nach Sex, nur damit du es weißt!“ „Und du nach Angst.“ „Sorg lieber dafür, dass du diesen Gestank bis zu unserem nächsten Treffen los wirst!“, fauchte Piedmon und stieß Myotismon von sich weg, dann vergrößerte sich der Abstand zwischen ihnen wieder. „Verzeih übrigens, dass ich dir das Schneefeld nicht mehr zeigen kann. Und das von dem Polarlicht hier nichts mehr übrig ist, Dracmon.“ „Spar es dir, noch einmal auf Freund zu machen. Tsukaimon.“ Mit einem letzten angewiderten und erbosten Blick schnipste Piedmon mit den Fingern, dann lösten sich nach und nach bunten Tücher von ihm bis Piedmon selbst nur noch ein zusammengeknoteter Haufen Tücher war, die wie eine bunte Schlange aus dem Fenster schwebte und verschwand. „Was ist mit meinen Truppen?“, rief Myotismon hinterher, bekam aber keine Antwort. Er wartete zwar noch, sich aber dann sicher, dass Piedmon nicht zurückkehren würde beließ er es dabei. Die grauen Wolken war nicht mehr tiefgrau, sondern begangen langsam mit zunehmender Helligkeit eher steingrau zu werden. Der Tag brach an, doch die Finsternis in den Gemäuern blieb erhalten. Lag vermutlich daran, dass die Wolkenfront, die Myotismon heraufbeschwor um ihn vor dem Licht zu schützen wesentlich dicker war wie die Nebelwand. Vielleicht aber auch hatte die Weiße Königin bei ihrer Flucht mit ihren anderen Schachfiguren und ihrem Kinderchor auch alles mit sich genommen, dass das Schloss selbst in der tiefsten Nacht hatte erstrahlen lassen. Piedmon kehrte nicht nochmal zurück oder ließ auch nur irgendetwas von sich hören, so blieb es an Myotismon selbst, seine Truppen zusammenzusuchen, ehe er sich in seinen Sarg verkroch. Es war eine lange Nacht gewesen und die immensen Kräfte, die er verbrauchte als er auf Piedmon einschlug, trotz das die Stimme seine Dirigenten so laut in seinem Kopf schrie, dass er fast explodierte mussten wieder aufgetankt werden. Sein Rücken kratzte. Er brauchte Ruhe und vor allem brauchte er Blut, ansonsten würde das nie heilen. Puppetmons Verstimmung über Myotismon Truppen war nicht unbegründet. Umzingelt von Devimon und Etemon (Puppetmon hatte seine Arbeit wohl aus Lustlosigkeit auf sie abgewälzt) moserten sie, schimpften und verweigerten jede Form des Gehorsams, Phantomon ganz vorne mit dabei. Die Devidramon standen mit ihnen im Hof und zeigten sich ebenso von ihrer trotzigsten Seite. Sie bemerkten ihren Meister zuerst und mit eingeknickten Köpfen machten sie Platz. „Na, fertig mit der Gardinenpredigt?“, sagte Etemon und spielte mit dem Spitzhut eines Soulmon. Da Etemon aber nun abgelenkt war schnappte sich das Geist-Digimon den Hut wieder und setzte ihn sich auf. „Verschwindet“, brummte Myotismon, Etemons Grinsen beachtete er nicht. „Das Schloss gehört mir. Ich kann unhöfliche und unwillkommene Gäste nicht ausstehen. Also geht.“ „Was hast du mit Piedmon denn so lange besprochen?“ „Das geht nicht nichts an! Geht jetzt!“ „Wir meinten es gut“, mischte sich Devimon ein, aber auch ihn funkelte Myotismon böse an. „Das von dem Digimon, dass mich aufspießen wollte?“ „Du willst Piedmon doch genauso hintergehen, richtig?“, fragte Devimon weiter. Myotismon zögerte. „Ihr?“, fragte er dann doch, abwechselnd zu Devimon und Etemon schauend. „Spielt doch eh schon jeder sein eigenes Solo. Aber mit Piedmon an der Spitze sind wir ewig gezwungen zusammen zu spiel'n“, erklärte Etemon für seine Verhältnisse recht ernst. „Puppetmon und MetalSeadramon haben nur ihre eigenen Interessen im Kopf. Aber ich und Machinedramon stehen im guten Verhältnissen“, erzählte Devimon weiter. „Und mit der richtigen Maschinerie und der Macht der Dunkelheit eröffnen sich interessante Möglichkeit. Klingt doch nach etwas, was deinem Geschmack entspricht.“ Zu Devimons Bedauern aber sagte Myotismon drauf nichts. Er fühlte sich nur bestätigt. Ihnen war das Orchester und alles, was einst war egal. Natürlich, wer hatte schon die Geduld ewig unerfüllbaren Träumen hinterherzujagen? Mit welchen Sinn auch, wenn es keine Kapellmeister mehr gab? Ahnten sie es? Spürten sie auch, dass etwas an der ganzen Behauptung, die Kapellmeister hätten sie aus Angst verstoßen gewaltig faul war? Und wollten sie der Wahrheit genauso wenig ins Gesicht sehen? Vermutlich wollten sie wie Myotismon auch einfach vergessen, irgendwie weitermachen und die Leere mit irgendwas füllen, wenn es auch nur Dunkelheit gab. „Ihr wollt mich in eure Pläne mit hineinziehen?“ „Wir wollen als erstes nur Piedmon von der Spitze stoßen. Wie gesagt, Puppetmon und MetalSeadramon interessiert's nich' die Bohne“, sagte Etemon. „Die sin' glaub ich sogar froh, dass Piedmon alles regelt, dann haben sie mehr Zeit für ihre Untergebenen. Aber wir als Nicht-Megas muss'n doch zusamm' halten, oder? Und wenn Machinedramon wirklich so kooperativ is', haben wir gute Karten wirklich frei zu sein. Frei auch von ihm.“ „An dem Tag, wo ich mit euch zusammen arbeite wird der sein, an dem du einen schrecklichen Süd-Server-Slang endlich ablegst“, knurrte Myotismon das Puppen-Digimon an und sofort ging Etemon einige Schritte zurück. Devimon ließ sich weniger beirren, ging einen Schritt auf Myotismon zu und legte dabei seine Hand auf seiner Schulter ab, ehe sich Devimons Gesicht seinem immer näher kam. „Ich habe die Pläne von QueenChessmon gefunden“, flüsterte Devimon, leise genug, dass nur Myotismon es hörte. „Die Viren benutzten Kopien Heiliger Ringe, tauchten sie in Dunkelheit und kontrollierten damit serumischen Soldaten. Ich habe keine Heiligen Ringe um diese zu kopieren, aber die Maschinen, die sie herstellen sind noch intakt. Die Kabel und Zahnräder sind mit dunkler Energie getränkt und haben den gleichen Effekt. In den Trümmern des Puppenlandes findet sich viel über die Macht der Dunkelheit und ich habe sie alle in meinem Besitz. Damit könnten wir es schaffen nicht mehr von Piedmon oder dem Herr Dirigenten abhängig zu sein.“ Myotismon bemühte sich nichts in seiner Mimik zu zeigen, dass verräterisch sein könnte. Ahnte Devimon, dass Myotismons Amnesie nur ein Gerücht war? Candlemon war schon immer scharfsinniger wie er vermuten ließ, genauso wie sein Kapellmeister Bilbo. Als Rookie eben bemerkte man dies kaum, aber wenn er digitierte zeigte sich sein Intellekt. Die beiden Digimon sahen sich an, dann aber stieß Myotismon Devimons Hand von sich. „Ich bin König der untoten Digimon, als dieser handle ich nach den Bedürfnissen meines Gefolges. Und wir Untoten sind lieber unter uns“, erklärte Myotismon mit einem ausschweifenden Blick auf die Bakemon und Soulmon hinter ihm. Er blieb bei Phantomon hängen, der aber demütig den Kopf senkte. Die Sache mit Sanzomons Schülern hatte sein Meister ihm noch nicht verziehen. „Du kochst also auch lieber dein eigenes Süppchen?“ „Ich möchte einfach so wenig wie möglich mit euch zu tun haben“, erklärte Myotismon Devimon und für einem Moment zog sich ein unangenehmer Schmerz durch seinen Bauchraum. Es könnte Hunger sein. Es könnte aber auch sein, dass er sich gerade klar wurde, dass er immer noch mit alten Freunden sprach. Was wäre nur gewesen, hätten sie sich damals auf der Suche nach Dracmon nicht getrennt? „Ich höre schon... Das Klavier will ein Solo bleiben“, murmelte Devimon und drehte sich mit einem letzten strengen Blick – er ahnte es wirklich, dachte sich Myotismon dabei – zu Etemon um. „Wir gehen, Etemon. Ich habe noch was zu erledigen.“ „Aber...“, protestierte er. Das Puppen-Digimon schien enttäuscht, doch er gestand sich ein, dass er nichts brachte. „Gut. Ich komm' 'n anderes Mal zu dir, Herr Pianist. Ich hab' auch 'ne Menge Arbeit.“ „Wage es einen Fuß in mein Schloss zu setzen!“, drohte Myotismon. Etemon hob zwar die Hand und wedelte damit herum, während er sich dabei aus dem Staub machte und Myotismon ahnte bereits, dass er diese Drohung ignorieren würde. Devimon bereitete seine Schwingen aus und flog davon. Er war schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu sehen, zu dunkel waren die Wolken. „Meister. Was sollen wir nun tun?“, fragte ein Bakemon mit tief gesenkten Kopf. „Räumt das Schloss auf“, sagte er, ohne einem seiner Untergebenen eines Blicks zu würdigen. „Schmeißt alles raus, was Sanzomons Kinderchor gehört! Bis Heute Abend will ich das alles bis auf die letzte Handpuppe fort ist! Und du Phantomon -“ Phantomon fuhr zusammen, als er nun von Myotismon ins Visier genommen wurde. „Du bist mir noch eine Erklärung schuldig.“ „Ich wollte nur, dass Ihr die Sache noch einmal überdenkt. Es ist doch alles gut gelaufen, so wie es war.“ „Also hast du meine Pläne absichtlich sabotiert?!“, brüllte Myotismon ihn an. „Hast du die Prophezeiung vergessen?“ „Man hätte einen Mittelweg finden können.“ „Es gibt keinen und du weißt das! Und hättest du meine Befehl nicht missachtet, wäre mir dieser Ärger erspart gewesen und Sanzomon wäre -“ Myotismon holte zu einem Schlag aus, doch nur die Bakemon und Soulmon zogen die Köpfe ein. Phantomon kniff nur die Augen zusammen, machte aber keine Anstalten sich zu wehren oder zu schützen. Er hatte die Strafe verdient. Um so mehr wunderte er sich dann doch, warum sein Meister nicht angriff, obwohl er so wütend war. Hätte Phantomon gehorcht, wäre es ruhiger abgelaufen. Den Kinderchor wäre er los und Sanzomon wäre noch hier. Sie wäre bei ihm gewesen, aber unglücklich für den Rest ihres Daseins, wenn ihr eingeschränkter Geist das überhaupt wahrgenommen hätte. „Meister...?“, fragte Phantomon, ohne die Augen zu öffnen. Nach ein paar Sekunden der Stille und weil immer noch nichts geschah, öffnete er erst eins, dann beide Augen. Myotismon sah nicht so wütend aus, wie Phantomon erst annahm. Vielmehr nachdenklich. Zwiegespalten. Und verwirrt. „Meister... Meine Strafe...?“ „Vertage ich auf einen anderen Zeitpunkt. Sorge dafür, dass hier endlich Ordnung im Schloss herrscht!“ Der schwere Umhang wirbelte auf, als Myotismon seinem Gefolge den Rücken kehrte. Er lief zurück ins Schloss, ohne auch nur ein einziges Bakemon dabei anzusehen. Zwar lief er erhobenen Hauptes fort, aber der Rest seines Körper war angespannt und steif. Untypisch für ihn. „Meister...?“ „Was?“, fragte Myotismon übellaunig. Phantomon schwebte ruhig weiter, nicht wissend, was er machen sollte, als einfach zu horchen. Das war vermutlich auch das Beste. „Nichts. Es war nicht wichtig.“ „Dann steh nicht herum. Mach dich ans Werk!“, befahl Myotismon, ohne das sein Ton sich änderte. „Und holt etwas zu Essen. Meine Blutvorräte gehen zu neige.“ „Jawohl, Meister“, sagte Phantomon noch ehrfürchtig und nicht sicher, ob er erleichtert oder besorgt sein sollte, weil sein Meister ihn nicht sofort und an Ort und Stelle bestrafte. Es wäre Phantomon aber ehrlich gesagt lieber gewesen, hätte Myotismon dies gleich getan, dann hätte er es hinter sich. Aber wie es schien brauchte sein Meister noch Zeit. Solange würde Phantomon und die anderen Geist-Digimon einfach tun, was er wollte. Würden merkwürdige Nächte werden. So still. Keine kleinen Digimon, die unbedingt vor der Schlafenszeit noch spielen wollten. Die Verbindung mit Gokuwmon und Sagomon, die Phantomon gerade aufbaute konnte er nun auch nicht mehr weiterführen. War die ganze Mühe also umsonst. Und er hatte gerade begonnen sich an Cho-Hakkaimons Generve zu gewöhnen. Ein Jammer. Wirklich ein Jammer. Dieser Kindergarten fehlte Phantomon schon, aber er war optimistisch, dass er sich und auch die anderen Geist-Digimon schnell an diese Ruhe gewöhnen würden. Vielleicht. Was Myotismon betraf war sich Phantomon nicht so sicher. Er sah seinem Meister nach, der durch die Tore hindurch in die Verworrenheit des Schlosses verschwand. Dennoch war Phantomon, als sei was anders und er fragte sich, was sein Meister dachte. Die Antwort war – nichts oder zumindest nichts allzu komplexes. Seine Beine trugen ihn von selbst durch die Gänge und Myotismon ging einfach davon aus, dass sie ihn zu seinen Sarg tragen würden. Die Sonne würde schließlich bald hinter dieser Decke aus Wolken aufgehen, dass zumindest sagte ihm seine innere Uhr. Also besser wieder in Sarg, Kräfte sammeln und diese Nacht vergessen. Einfach vergessen. Die erste Tür, die Myotismon wieder wahrnahm öffnete er auch gleich und stürmte hinein, im Glauben es wäre sein Zimmer. Die Türe fiel mit einem lauten Knall hinter ihm zu und Myotismon lehnte sich noch dagegen, damit niemand anderes mehr den Raum betrat. Dann stellte er fest, dass es nicht sein Zimmer war, sondern dass er in die Bibliothek gelaufen war. Der Tisch war unaufgeräumt. Bücher standen aufgeschlagen darauf und mehrere Papierstapel. Sanzomon musste hier noch mit ihren Schülern unterrichtet haben und hatte alles für den Nachmittagsunterricht stehen und liegen lassen. Alles sah aus wie immer. Wenn Myotismon es nicht so genau wüsste, könnte man glauben, Sanzomon sei noch da, irgendwo in einem Winkel stehend, der nicht in seiner Sicht war und ein Buch suchend. Oder zusammengekauert auf dem Boden und in einen Text vertieft. Sogar der Blumengeruch war noch in dem Raum, als wäre sie hier und würde so wie immer irgendwann feststellen, dass sie nicht mehr alleine war. (Oh du bist aufgewacht?) Myotismon sah langsam nach rechts, dann nach links. Sie war nicht hier. Natürlich nicht, er hatte sie weggebracht. Der ganze Ärger, der Kraftaufwand und die ewig langen Diskussion mit Piedmon nur um sie letzten Endes wieder ihren Schülern zu übergeben. Dafür hatte er also so viel riskiert, nur um am Ende der Nacht wieder alleine dazustehen, nur damit sie zufrieden sein konnte. Sie hatte ihn irre gemacht. Sanzomon war Schuld. Ihr verträumtes Gerede und ihre naiven Werte. Ihre Art zu denken, wie sie ihn damit vollkommen wahnsinnig machte. Sie hat ihn wahnsinnig gemacht. Sie war es und nun war sie genau wie Alice fort und er musste sich alleine mit seinem Wahnsinn rumschlagen, alles ihre Schuld, sie und ihre weichen Hände und der Geruch, sie war es - (Wer ist sie? Sprach das Raupentier) Sie - Der Black Out war nicht mehr wie eine kurze, kaum merkliche Momentaufnahme. Geschätzt wäre Myotismon von vielleicht zwei Sekunden ausgegangen, dem Chaos nach jedoch deutlich länger. Das oder Myotismon hatte doch noch mehr Kraft übrig, wie er zu glauben vermachte. Den Tisch hatte es zur Seite geschlagen, Bücher lagen auf dem Boden. Blätter und Schriften lagen umher und der Luftzug, der durch das Fenster kam oder sich durch den Stein zwängte ließen sie geisterhaft durch den Raum gleiten. Ein absolutes Chaos. Warum aber wurde er den Geruch nicht los? Myotismon war doch nicht mehr so stark, wie er glaubte. Er ließ sich, dabei weiter an der Türe gelehnt zu Boden sinken und sah vor sich den Grund für den Seerosenduft liegen. Sie mussten von Sanzomons Mündel stammen. Das Gefäß, in dem sie waren lag zersplittert in einer Ecke und die Blumen verteilt in der Bibliothek. Eine war genau vor Myotismon gelandet. Für einen Moment sah er sich die Pflanze an und seien Fledermäuse, die seine Wut und seine Abscheu spürten, sammelten sich um das Gewächs und begannen sie aufzufressen. „Ich bin wirklich viel zu großzügig. Und das alles nur, damit du noch ein bisschen träumen kannst. Du kannst einen wirklich in den Wahnsinn treiben“, schnaubte Myotismon und sah weiter den Fledermäusen zu, wie sich die nun auch über die restlichen Seerosen und deren Einzelteile herfielen, ehe sie sich in die dunklen Ecken verzogen. Mit den Blumen war aber der Geruch nicht verschwunden. Es stimmte, was Piedmon sagte, Sanzomons Geruch hing sogar in seinen Kleidern. Den los zu bekommen würde ewig dauern und mit dem Geruch das täuschend echte Gefühl, sie säße neben ihm, friedlich und zufrieden, ihr Kopf auf seiner Brust und ihre Arme um seinen Körper. „Du darfst träumen und auf mich wartet noch so viel Arbeit. Aber das wird schon, Sanzomon. Wenn Alice mein Wunderland nicht zu Gesicht bekommen kann, dann sollst du es zumindest. So viel bist du mir wert. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.“ Der letzte Rest des Mondlichts schien durchs Fenster. Seine Kleidung wirkte für einen Moment weiß, so weiß wie Sanzomons Gewänder. Und er ließ zu, dass das Mondlicht ihm vorgaukelte, Sanzomon sei noch da. Sie saß bei ihm, die Arme um ihn verschlungen und war vor Übermüdung mal wieder mitten im Gespräch eingenickt. Die Fata Morgana löste das Verlangen aus, ihr Haar zu berühren oder ihre zarte Hand und machte sich als Zucken in Myotismon Finger bemerkbar, bis ihm eben einfiel, dass er sich es nur einbildete. Also unterdrückte Myotismon dieses Verlangen, um noch ein wenig den Glauben an ihre Anwesenheit aufrecht erhalten zu können, ihr Bild keine Einbildung und der Blumenduft von ihr käme, nicht weil dieser immer noch in seinen Kleidern steckte. „Träume süß, Sanzomon. Ich werde alles Weitere in die Wege leiten. An dem Tag, wenn ich die Welt unter meiner Kontrolle habe, hol ich dich wieder zurück in meine Arme. Vielleicht wirst du mich nicht mehr erkennen, aber das macht nichts. Ich bin immer noch ich. Und ich werde dich mit der gesamten Welt verschlingen und alles was von uns allen übrig sein wird werden weiße Knochen und weiße Asche sein. Ein von Weiß bedeckter Friedhof. Wie unterschiedlich wir auch sind, am Ende werden wir alle Asche sein, die sich kaum von Schnee unterscheidet. Wir sind dann gleich, Sanzomon. Alles ist gleich. Es gibt keine Außenseiter mehr. Keine Abweichung und keine Abnormalitäten. Wer braucht schon Träume in solch einer wundervollen Welt der Gleichheit? Das willst du doch auch, oder nicht, Sanzomon? Dann bist du auch nicht mehr einsam und ich habe alles unter Kontrolle, Sanzomon. Wundervoll... eine wundervolle, finstere Welt...“ Leise lachend lehnte sich Myotismon zurück und sah zu, wie dunkle Wolken den Himmel noch mehr bedeckten, damit sein Schloss nie mehr das Sonnenlicht zu sehen bekam. Selbst als es schon Tag wurde, die dicken Wolken dämmten die Sonnenstrahlen und Myotismon saß immer noch da und dachte über den nächsten Schritt nach. Die Schriften entziffern. Karten herstellen. Das musste er. Und mehr Truppen. Er brauchte mehr Digimon, mit den paar Digimon konnte er nicht in die Reale Welt. Musste sich vorbereiten. Sein Plan durfte nicht schief gehen. Er musste alles in Betracht ziehen. Alles genau planen. Sein Plan und seine Bestimmung war alles, was noch Bedeutung besaß. Sonst nichts in seinem Dasein. Er hatte Alice nicht mehr. Er hatte Sanzomon nicht mehr. Seine einstigen Freunde und Kameraden waren Marionetten und kein Buch der Welt wusste, ob selbst der Tod sie von ihren Fesseln befreien könnte, solange ihr Dirigent die Fäden im Hintergrund zog. Myotismon hatte nichts mehr. Und es war ihm egal.   𝅘𝅥#   Wisemon erzählt seinen Gänslein einst, dass er wie ihre Kapellmeister auch aus einer Fabelwelt entstammte. Er ging durch eine Tür und landete hier. Jijimon behielt diese Information für sich, da er wie Babamon ahnte, dass Tsukaimon ein verlorenes Gänslein war. Wenn es so war, erschloss sich Myotismon jedoch nicht, warum Jijimon dann zuließ, dass Tsukaimon zusah wie man den Schlüssel für das Tor herstellte. Hatte er es drauf angelegt? Kannte er die Prophezeiung? Oder war er einfach nur debil? Myotismon war sich nicht sicher, aber er schuldete Jijimon etwas dafür und verfluchte ihn gleichzeitig, dass er ihm damals nicht davor warnte, wie mühselig es war allein das Material für diese Karten zu finden. Die von Jijimon angefertigten Karten waren nicht im Schloss. Entweder hatte er sie benutzt oder jemand vom Widerstand hatte sie an sich gerissen. Myotismon musste es also selbst in die Hand nehmen. Die Karten mussten aus einem speziellen Material sein, der vier Monate für die Herstellung benötigte. Die Stifte, ebenfalls aus ganz besonderen Digizoid besaß er zwar, waren aber besonders empfindlich. Dazu benötigte es ein hohes Maß an Konzentration und ein Fingerspitzengefühl, als wollte man seinen Namen in ein Reiskorn eingravieren, ansonsten würde am Ende die Maße nicht nur nicht stimmen, sondern es würde auch keine Magie in diese Karten fließen und damit wären sie unbrauchbar und Myotismon hätte seine Kräfte umsonst verschwendet, die er schwer wieder auffüllen konnte. Über die Zeit wurde bekannt, dass ein Blutsauger auf Grey Mountain hauste und die Digimon machten einen Bogen um den Ewigen Wald. Somit war es für Myotismon schwer an Blutreserven zu gelangen. Dass Piedmon ihn ab und an was zukommen ließ war ja nicht schlecht, da dass Clown-Digimon ihm aber jedes Mal wieder irgendwelche Sanzomon zukommen ließ, war klar, dass es sich bei dieser Geste nur um Psychoterror handelte. Aber was sollte man machen? Myotismon konnte es sich nicht leisten wählerisch zu sein. Devimon berichtete bei ihrer letzten Orchesterprobe, dass die Digiritter in der Digiwelt waren. Oder besser gesagt, sieben von ihnen. Eines war nicht hier und Myotismon hatte eine leise Ahnung, welches es war – nämlich genau jenes, dass ihm gefährlich werden könnte. Das hieß, es war noch in der Realen Welt. Ohne Digimon und auch ohne Wappen. Das Wappen des Lichts fand Myotismon schon vor längerer Zeit. Dank dem Amulett konnte er nach langer, langer Suche es ausfindig machen, in einer Höhle hinter einem Wasserfall, die auf keiner Karte verzeichnet war. Hinter einem Vorhang aus Efeu lag das Tifaret-Symbol verborgen und zierte den Stein, auf dem es abgebildet war, wartend, dass der, dem es gehörte es holte. Myotismon war nicht dieser, konnte es das aber Dank seiner Magie und Sanzomons Daten, die er einst aufnahm glauben lassen. Die Wappen waren nicht besonders komplex, in ihnen lag weder ein aufwendiges Programm, noch ein eine seltene, umfangreiche Datei. Sie waren schlicht magisch. Zur gleichen Zeit schaffte es auch Datamon, der immer noch in einer Pyramide von Etemon gefangen gehalten wurde, da jeder Rettungsversuch des Widerstands scheiterte an das Wappen der Liebe heranzukommen. Der einstige Hutmacher, der nach vielen, vielen Stunden der Folter und der Zwangsarbeit mittlerweile wirklich so verrückt war wie nach einer Quecksilbervergiftung entdeckte bei einem Scann-Prozess das Chesed-Symbol auf einer Steinplatte, tief im Inneren der Pyramide. Es scannte die Platte mehrmals und hackte sich in die Daten der Pyramide, um es aus seinem Versteck zu holen, was ihn nach tagelanger Arbeit gelang. Jedoch würde Datamon Etemon davon nichts erzählen. Es hatte andere Pläne. Myotismons erster Gedanke war, dass Wappen einfach zu zerstören, doch wie die Amulette konnte man das Wappen nicht vernichten. Er konnte auch nicht nachvollziehen, aus welchen Material sie waren. Weder die ausgesaugten Daten von Sanzomon, noch ihre kaum lesbaren Notizen halfen ihm. Sie hatte Babamons Rosenkranz als Medium benutzt – aber das konnte nicht alles sein. Ich habe mein Herz dafür benutzt, sagte etwas in Myotismons Kopf, dass wie Sanzomon klang, doch dies hielt er für Humbug. Also fing er an, an dem Wappen herumzuexperimentieren. Wenn er die genauen Bestandteile und ihr Verhältnis zueinander ausrechnete, vielleicht ergab sich dann etwas. Vielleicht um es dann doch vernichten zu können. Oder etwas anderes. Nicht selten waren dabei Gatomon oder DemiDevimon in der Nähe, die sich mit Büchern und Lernen beschäftigten, hoffend ihr Meister würde das anerkennen. Gatomon entwickelte eine Neigung zu den Geschichtsbüchern, aber Myotismon war immer, als suche sie etwas anderes. Nämlich die Bücher von Sanzomon. Myotismon hatte sie schon erwischt, doch Gatomon leugnete stets sich dafür zu interessieren, was sie wohl nur sagte, weil Myotismon offensichtlich nichts von den Schriften hielt (und musste sich anschließend fragen, warum ihr Meister Bücher besaß die er nicht mochte). Wo DemiDevimon sich hinentwickelte stand noch in den Sternen. Doch die Bücher über Gifte und Pflanzen verschlang er um so mehr, als DemiDevimon bemerkte, dass die Schrift in diesen Büchern eins zu eins der Handschrift seines Meisters glich. Obwohl Myotismon es ja schätzte wenn Digimon motiviert waren sich Wissen anzueignen, wäre es ihm lieber, dieses Digimon würde etwas gegen seine körperliche Schwäche unternehmen. Nach einigen Erziehungsmaßnahmen war er sich nicht nur seines Ranges bewusst, sondern hielt auch mehr aus, doch schwach blieb schwach. Selbst Salamon war wesentlich kräftiger gewesen und - „Wo ist sie überhaupt?“, fragte Myotismon sich selbst und weil das ohne jeden Zusammenhang geschah, wusste DemiDevimon auch nicht, was sein Meister eigentlich wollte. „Wovon sprecht Ihr, Meister?“ „Gatomon. Wo ist sie? Ist sie immer noch nicht von ihrer Mission zurück?“ „Gatomon kam heute Mittag mit einer handvoll Rekruten zurück“, berichtete DemiDevimon. „Seitdem hab ich sie nicht mehr gesehen.“ DemiDevimon brummte leicht vor Eifersucht. Er und Gatomon standen in ewiger Konkurrenz um die Gunst ihres Meisters und es störte DemiDevimon massiv, dass Gatomon die augenscheinlich wichtigen Aufgaben zuteil wurden, während er fast bedeutungslosen Kleinkram erledigte. Dieser Kleinkrieg wurde von Myotismon selbst ignoriert, solange sie ihn nicht in seiner Anwesenheit austrugen und ihn damit bei seiner Arbeit störten. Neue Rekruten hieß aber auch, dass Myotismon seine aktuelle Arbeit pausieren musste um zu kontrollieren was Gatomon da aufgesammelt hatte. Einerseits tat es aber gut, wenn er mal von seinem Schreibtisch wegkam, dass geschah in letzter Zeit, besonders nach Devimons Vernichtung viel zu selten. In manchen Nächten sah er nichts anderes wie eben diesen Arbeitstisch und die Utensilien die ordentlich und aneinandergereiht darauf lagen und dass waren dann auch die Nächte, in denen Myotismon glaubte, dass Sanzomon ihm bei der Arbeit beobachtete, philosophierte was er warum da machte und ihm dabei über den Rücken strich oder den Nacken massierte. Er war sich nur nicht sicher ob er sie sah, weil immer noch Daten von ihr in ihm waren, die er regelmäßig nutzte um Experimente an dem Wappen durchzuführen, sentimentale wie auch körperliche Sehnsüchte hegte oder ob er einfach nur irrer geworden war. „Soll ich Gatomon zu Euch rufen, Meister?“ „Nein. Ich erledige das selbst. Für dich habe ich eine andere Aufgabe“, erklärte Myotismon streng, aber trotzdem horchte DemiDevimon aufgeregt auf. Ohne Blickkontakt zu DemiDevimon aufzubauen, erklärte Myotismon weiter: „Ein Digiritter ist verschwunden und die übrigen lösen sich nach und nach von der Gruppe, somit sind sie verwundbar. Mach mit ihnen was du willst -“, Myotismon warf dabei ein Blick auf das Buch, dass vor DemiDevimon lag, „-, vergifte sie, sperr sie ein, bring sie um, es ist mir egal. Nur sorge dafür, dass ihre Wappen niemals leuchten werden, dass ist wichtiger als alles andere!“ „Zu Befehl, erhabener Meister! Mit wem soll ich anfangen?“ Myotismon ging kurz in sich und dachte wieder an Devimon und wer ihm den Gar ausgemacht hatte. Der Jüngste von ihnen, mit einem Digimon dass mit Myotismon reintheoretisch artverwandt war. Und sein Partner trug das Nezach-Symbol als Wappen, dass schon Seraphimon zierte. Warum hatte sich Sanzomon auch von den Sefirot und den Digi-Armor-Eiern inspirieren lassen? „Knöpf dir zuerst das Wappen der Hoffnung vor. Sein Digimon wurde wiedergeboren und ist aktuell zu schwach um eine Bedrohung zu sein. Das wirst du ja noch hinkriegen.“ „Natürlich, großer Meister! Ihr könnt Euch auf mich verlassen!“ Euphorisch, man wollte fast sagen verzückt salutierte DemiDevimon und flog schnurstracks aus dem Fenster und davon in die Nacht. Für einen Augenblick genoss Myotismon die Ruhe, dann verließ auch er nach vielen Stunden zum ersten Mal wieder seinen Arbeitsplatz. Seit Sanzomons Verschwinden aus diesen Gemäuern schien das Schloss rund um die Uhr in tiefer Schwärze zu stecken. Es könnte an den dicken Wolken am Himmel liegen oder dass die Seele des Schlossherren genauso dunkel war. Den Geist-Digimon machte diese Dunkelheit wenig aus, doch außerhalb seine Domizil waren die Bakemon unbrauchbar. Also legte sich Myotismon in den Jahren immer mehr nicht-untote Digimon zu, die Tagwache hielten oder Nahrungsmittel besorgten – oder ihm als Lockvogel bei der Jagd halfen. Salamon war so eines, eines der ersten nicht-untoten Digimon sogar, das Myotismon zu sich holte. Da sie nichts hatte außer Hunger und Obdachlosigkeit ging sie, trotz der Angst freiwillig mit. Salamon war schwach, doch die richtige Erziehung half, dass ihre Schüchternheit und Ängstlichkeit durch Selbstbewusstsein und Sarkasmus ausgetauscht wurden, bis sie schließlich zu Gatomon und damit brauchbarer wurde. Und trotz bedingungsloser Loyalität, gestärkt durch ihre Angst beschlich ihn das Gefühl Gatomon wünschte sich nichts sehnlicher wie seinen grausamen Tod. Ihr Hass war vielleicht sogar stärker wie ihre Angst. Das gefiel Myotismon nicht. Überhaupt nicht. Digimon, die hassten bargen ungeahnte Kraftreserven und Motivation. Hass gab ihnen einen Antrieb. Hass half, Rührseligkeiten zu vergessen. Hass war das psychische Adrenalin. Myotismon wusste das selbst am Besten. Doch zu Hass gab es immer einen Antagonisten und Gatomon holte diesen in Form von Wizardmon zu sich. Myotismon mochte dieses Digimon nicht. Er war schrullig (musste eine Eigenart der Digimon sein, die aus Witchely stammten) und schwach, aber Gatomon wollte um jeden Preis, dass er hier blieb. Deswegen fragte sie auch nur Phantomon, ihren nächsten Vorgesetzten um Erlaubnis, statt wie sonst direkt Myotismon darum zu bitten. Vermutlich dachte sie, er würde Wizardmon im hohen Bogen rauswerfen, würde er merken wie gut sich diese zwei Digimon verstanden. Gatomons Glück war, dass Phantomon neunzig Prozent von dem, was um ihn geschah nicht interessierte und Myotismon nun mal Soldaten brauchte und seien sie noch so unnütz (wie dieses Pumkinmon und Gotsumon, die nicht wirklich am Kampf interessiert waren sondern, wie sie sagten, mal richtig die Sau rauslassen wollten). Dennoch verbannte Myotismon Wizardmon vorerst in die Küche, wo er ihn nicht zu Gesicht bekam. Doch anstatt in dieser zu sein, stand er ahnungslos mit Gatomon mitten in den Fluren. Sie unterhielten sich und Myotismon wusste nicht über was, aber er wollte es auch nicht wissen. Es störte ihn schon allein das sie sich unterhielten. Dass Wizardmon praktisch in der Küche wohnte hatte schließlich auch den Sinn, dass er und Gatomon sich nicht so oft sahen. Wenn sie sich trafen, so wie in dem Moment als Myotismon sie beobachtete fing Gatomon an leichtsinnig zu werden. Da vergaß sie, wo sie war und wie sie zu stehen und gehen, selbst wie sie zu atmen hatte. Sie schmunzelte über alberne Dinge und er erkannte etwas in ihren Augen, dass Myotismon unangenehm an Sanzomon erinnerte. Vielleicht nicht nur an sie. Salamon hatte schon immer die Augen eines Träumers besessen. Myotismon hatte ja gehofft, dass würde sich ändern, würde sie endlich digitieren, aber das Gegenteil traf ein. Dieses Digimon machte ihn wahnsinnig und ungehalten wütend. Und nun, da sie auch noch Wizardmon um sie herum spazierte schien der Funke, den Myotismon fast erstickt hatte wieder aufzuleuchten. Wizardmon bemerkte die Albtraumkralle als Erstes und er schubste Gatomon fort, dann wurde er erwischt und knallten auf den Boden. „Was wird das, wenn es fertig ist?“, fragte Myotismon Gatomon, die in seinem Schatten regelrecht unter ging, während sie neben Wizardmon kniete. „Wir haben nur geredet, Meister. Wir haben besprochen, wo wir noch brauchbare Rekruten für den großen Feldzug für uns gewinnen können.“ „Für solche Besprechung wirkst du mir jedoch etwas sehr euphorisch, Gatomon. Wieso habe ich das Gefühl, dass du mich anlügst? Du weißt, was ich von Lügen halte.“ Sie wusste es und sie wusste, dass sie log und darum traute sie sich nicht Myotismon in die Augen zu sehen. Wäre sie Babamons Mündel, hätte sie ihr mit dem Besen eine übergezogen. Eine lachhafte Rüge, nicht mehr wie ein schwacher Klaps. Myotismon verzichtete auf so eine Methode. Entweder man machte es richtig oder ließ es. Und letztlich war Gatomon auch nur ein Tier-Digimon, dass einzig die Sprache des Stärkeren verstand. „Meister, seid gnädig mit Gatomon. Ich habe sie abgelenkt“, mischte sich Wizardmon, aber auch er ließ seinen Kopf gesenkt. „Ich habe etwas nicht gefunden und um Hilfe gebeten.“ Genau wie Gatomon war allerdings auch Wizardmon ein schlechter Lügner. Aber nicht einmal das ärgerte Myotismon besonders, vielmehr dass Wizardmon den aufopfernden Freund und Held gab. Nur Trottel handelten selbstlos und mehr war dieses Digimon auch nicht. Statt also auf Gatomon einzuschlagen, attackierte Myotismon Wizardmon noch ein weiteres Mal mit der Albtraumkralle. Nicht so kräftig wie beim ersten Mal, doch das Digimon ging in die Knie. „Nur Idioten halten ihren Kopf für andere hin. Merk dir das für die Zukunft.“ Ächzend kam Wizardmon wieder hoch und sammelte seinen Hut auf, denn er bei seinem Sturz verloren hatte. Er sagte nichts mehr, er wagte nur noch einen flüchtigen Blick in das Gesicht seines Herrn. Wizardmon bemerkte schon beim ersten Mal, als er Myotismon zu sehen bekam, dass an ihm etwas nicht normal war. Ein so unheimliches Digimon, dass es schaffte durch seine Anwesenheit andere regelrecht erfrieren zu lassen hatte er noch nie gesehen. Gatomon war ganz anders und um so weniger verstand Wizardmon, warum sie nicht längst floh. Doch er hatte eine Ahnung. Auch Gatomon war irgendwie anders wie andere Digimon, so anders wie Myotismon anders war, aber in die andere Richtung. Wizardmon beschlich immer mehr die Ahnung, dass er da in eine ziemlich große Sache hineingeschlittert war, die diese beiden Digimon involvierte. Größer wie ihm lieb war. Und noch lieber wäre es ihm, könnte er Gatomon von Myotismon fortbringen. Myotismon schien zu merken was er dachte, also entschied Wizardmon sich leicht zu verbeugen und um seiner besten Freundin Ärger zu ersparen wieder in die Küche zu gehen, wo er seinen Dienst zu verrichten hatte. Er schenkte nur Gatomon noch einen flüchtigen Blick, den sie selbst aber mied, solange ihr Meister noch vor ihr stand. „Und von dir erwarte ich etwas mehr Diskretion, wenn du deinen hart erarbeiteten Rang nicht verlieren willst“, sagte Myotismon schließlich erbost, als Wizardmon in den Korridoren verschwand. Gatomon kniete weiter auf dem Boden und ihre Ohren hingen ab. „Hast du noch etwas zu deiner Verteidigung zu sagen?“ „Vergibt mir, erhabener Meister. Es kommt nicht mehr vor, dass ich meine Zeit verplempere und meine Arbeit vernachlässige.“ Gatomon zuckte und kniff die Augen fester zusammen, als sie hörte wie Myotismon einen Schritt näher kam. Unsanft packte er sie im Genick und zwang sie damit ihn anzusehen. Myotismon hasste dieses Digimon. Gatomons Augen waren blau und unergründlich wie die seines Kapellmeisters, aber leuchtend wie Sanzomons. Gatomon verkörperte alles, was er am liebsten vergessen würde. Dazu umgab sie etwas, dass die Galle in ihm hochjagte. Es könnte daran liegen, dass sie ein Heiliges Digimon war. Oder dass sie einfach etwas an sich hatte. Etwas schrecklich vertrautes. Etwas schrecklich verträumtes vor allem. Er ließ los und ihr zitternder Körper klatschte auf dem Steinboden. Vor Angst unterdrückte es Gatomon sogar laut zu ächzen, nicht einmal sich zu bewegen. Selbst, als sie seine Hand auf ihrem Kopf spürte, wusste sie nicht, was sie machen sollte. „Sehr gut. Und da du den Ernst deiner Aufgabe zu begreifen scheinst, solltest du zusehen, noch mehr Digimon hierher zubringen. Ich brauche mehr Soldaten. Je mehr und je fähiger, um so besser. Verstanden?“ „Ja, erhabener Meister“, wimmerte Gatomon aus Angst und vor allem vor Scham, sich für einen Moment über diese Berührung gefreut zu haben. In dem Moment, als Myotismon die Hand von ihr abließ rannte sie los. Myotismon amüsierte sich etwas, dass sie, obwohl längst ein Champion doch so leicht zu überzeugen war. Ihre Einsamkeit trieb sie ja erst schließlich zu ihm und sie hätte für so eine Geste alles getan. Der Wunsch zu jemanden zu gehören machte schwach und anfällig. (wie bei Alice schon) (so wie bei dir Sanzomon) Und Myotismon wusste, dass es nicht nur bei ihnen so war. DemiDevimon war fort, Gatomon war fort. An dem Abend schaffte Myotismon es auch die letzte Karte anzufertigen, nämlich die von ShogunGekomon. Jijimons Pinsel fiel ihm dabei fast aus der Hand. Nicht er selbst zeichnete (dafür hatte Myotismon kein Talent), sondern Magie lenkte Finger und Handgelenk, aber sobald Myotismon aufhörte die magischen Worte runter zuzitieren wurden seine Gelenke taub und steif. Er büßte dafür mit der Musik. Er konnte kämpfen und schreiben, aber wenn er das alte, kleine Piano aus einer dunklen, versteckten Ecke holte und spielen wollte, hielt er es vor Schmerz kaum aus mehr wie nur fünf Takte zu spielen. Er konnte kaum mehr spielen. Vielleicht war selbst kaum zu optimistisch. Und wenn schon. In seiner Welt brauchte er keine Musik mehr. Je näher er seinem Ziel kam, umso schwärzer wurde das, was Alice oder auch Sanzomon als Seele bezeichnet hätten und wie sagte Alice einst? - Musik war der Schlüssel zur Seele. Ohne Seele und Herz konnte man nicht spielen. Aber die hatten weder er, noch die Meister der Dunkelheit, wenn sie denn als digitale Wesen je welche besaßen. Die Kerzen auf seinem Arbeitstisch waren erloschen, aber der Kamin warf noch Licht. Auf dem Tisch lag zudem das Alice-Buch. Wie es dahin kam wusste Myotismon nicht. Vielleicht hatte Gatomon es dort hingelegt, nachdem sie es mal wieder geklaut hatte und hoffte, wenn sie es dort abstellte würde Myotismon denken, er wäre es in einem Zustand geistiger Umnachtung selbst gewesen. Er nahm das Buch an sich und schlug es auf und wie der Zufall es wollte, den es laut Myotismon ja nicht gab öffnete sich das Buch genau an der Stelle von ALICE HINTER DEN SPIEGELN, als Alice den Schwarzen König entdeckte. „Der Schwarze König träumt... Doch wovon? Was denkst du, Alice? Hast du es geahnt oder nicht?“ Myotismon musste nicht weit ausholen oder gut zielen. Das Buch landete direkt im Feuer und nur wenige Sekunden später wurden die Seiten erst schwarz wie Kohle, dann aschweiß. Die Flammen lösten den Buchdeckel auf. Alice' Bild verbrannte vor seinen Augen und verschwand unwiderruflich. Myotismon hatte das Buch schon lange nicht mehr angerührt, genauso wenig wie das Klavier. Alice war nur ein Traum, der sich nicht mehr lohnte zu träumen. Er würde bald in der Realen Welt sein. Wenn Alice nicht ins Wunderland kam, dann musste der Schwarze König in Alice' Welt, wenn es dort auch niemanden gab, der auf ihn wartete und mit sehnsüchtigen Armen empfangen würde. Es dauerte nicht mehr lange. Die Sterne standen fast in der richtigen Konstellation. Bald wäre alles vorbei. Die Welt würde in ewiger Dunkelheit verenden. Und alles was übrig bleiben würde war Asche.   𝅗𝅥#   Asami riss sich ein weiteres Mal aus den Fängen ihrer immer hysterisch werdenden Mutter und rannte über die Straße, um in die nächste Bahn springen zu können. Sie torkelte noch, angeschlagen und schwach vom Blutverlust (trotz zwei Infusionen), doch ihr Adrenalin zwang sie weiter zum gehen. Sie musste zu Yuki, egal wie und wenn es sie umbringen würde! „Kind, bitte, bleib hier! Wir gehen Yukino suchen, aber bleib zur Beobachtung bitte noch hier“, forderte ihr Vater sie auf, aber Asami ignorierte ihn. Katsuya Konoka ergriff die Bluse seiner Tochter, die sie in der Hand hielt, besudelt mit getrocknetem Blut, um sie am weitergehen zu hindern. Die drei standen fast mitten auf dem Zebrastreifen und die Autos fuhren vorbei, nachdem sie zuvor noch wütend hupten. „Nein, ich muss dahin und dann reiße ich diesen Kerl in Stücke!“ „Was für ein Kerl?“ „Der, der mir das angetan hat! Er hat Yuki mitgenommen, ich weiß es!“, schrie Asami ihren Vater an und deutete auf ihren Verband am Hals. „Dieser Kerl war ein Vampir und hat mich gebissen!“ „Asami, du hast sicher halluziniert. Du hast viel Blut verloren.“ „Ich habe nicht halluziniert, Papa!“, schrie Asami laut, dass man es fast die ganze Straße runter hören konnte. „Dieser widerliche Mistkerl hat sich als Hisaki ausgegeben und hat mich dann gebissen um mein Blut zu trinken! Und jetzt hat er Yuki!“ „Das weißt du doch nicht und jetzt hör auf hier rumzuschreien, das bringt nichts“, schimpfte Asamis Mutter und in dem Augenblick sah man ihrem Ehemann an, dass er sie gerne noch daran erinnern würde, wer zuvor noch das ganze Krankenhaus zusammenbrüllte, unterließ es aber. „Ich weiß es aber! Ich weiß, dass er sie hat! Wenn er sie auch beißt? Wenn er sie umbringt?! Und Yuki ist bestimmt noch freiwillig mit! Ich hätte ihr doch verbieten sollen diese Vampir-Geschichten zu lesen!“ „Asami, jetzt hör doch auf von Vampiren zu reden, die gibt es nicht“, ermahnte sie ihre Mutter weiter. „Ach ja, so wie diese Monster, von denen sie in den Nachrichten erzählen gibt’s auch nur in Märchen, oder was? Bestimmt ist das einer von denen! Und wenn ihr mir nicht helfen wollt Yuki zu finden, suche ich eben alleine ganz Tokio ab wenn's sein muss!“ „Asami!“ Ihr Vater stützte sie noch, ehe Asami einknickte und hinfiel. Ihr war schwarz vor Augen geworden, ihr rasender Puls und das Hämmern in ihrer Brust bewahrte Asami vor der Ohnmacht. Und die Sorge um ihre Tochter. Sie musste sie finden, einen anderen Gedanken ließ ihr Kopf nicht zu. Ein dunkler Wagen blieb neben Asami und ihren Eltern stehen. Ihr Vater rief noch bevor der Fahrer ausstieg zu, dass alles in Ordnung sei und er keinen Notarzt rufen müsse. Ein großer Mann mit strengen Blick und Vollbart stieg aus und das erste Mal seit vier Jahren sah Asami ihren Schwiegervater wieder. „Masato...?“, hauchte Asami überrascht, hingegen Masato Amano das weniger schien. Er schwieg, während er sich Asamis Verbände an Hals und Hand ansah, wie auch Hämatome am Oberarm. „Müsstest du nicht im Krankenhaus sein, Asami?“, rief er ihnen recht kühl zu. Asami fragte sich nicht, woher er wusste, dass sie dort war, sie dachte nur an ihrer Tochter und diesem verfluchten Vampir-Typ. „Ich hab keine Zeit! Ich muss Yuki suchen, sie -“ „Sie ist in Odaiba“, unterbrach Masato sie. „Ich komme gerade von dort. Man sagte mir, sie sei im Mizuno Hiroba Park.“ „Was? Sie ist ganz alleine zurück nach Odaiba? Und so weit von zu Hause weg?“, fragte Saeko Konoka besorgt und sich fragend, was ihre Enkelin dazu trieb alleine durch die Großstadt zu sehen. „Das weiß ich nicht. Aber sie ist nicht alleine gesehen worden. Ein großer, schlanker Mann in Mantel und Hut sei bei ihr gewesen.“ „Das ist er! Das ist das Monster!“, schrie Asami los und schaute abwechselnd ihre Mutter und ihren Vater an. „Das war so ein Lulatsch mit Trenchcoat und Hut, der mich gebissen hat! Ich wusste es, dieser Vampir hat meine Tochter! Ich habe es euch gesagt!“ Asamis Eltern waren sprachlos, wie auch Masato, der nicht ganz nachvollziehen konnte wie seine Schwiegertochter darauf kann, dass dieser Fremde ein Vampir sei. Saeko und Katsuya Konoka kamen weder dazu irgendwas darauf zu sagen, noch konnte Masato genauer nachhaken, was dies hier alles bedeutete, denn binnen weniger Augenblicke saß Asami in seinem Auto. „Steig ein, los! Wir müssen zu Yuki!“, befahl Asami und stierte Masato so intensiv an, dass es ihm tatsächlich kurz Angst und Bange wurde. Dass er so schnell wieder einstieg und losfuhr, statt auf Asami einzureden und sie eventuell wieder im Krankenhaus abzuliefern, da sie immer noch extrem blass um die Nase war lag auch eher daran, dass er berechtigte Sorge hatte, sie würde mit seinem Auto türmen und noch einen Unfall verursachen. Asamis Eltern sahen dem Wagen lange hinterher, bis sie zurück zum Parkplatz des Krankenhauses gingen, um selbst nach Odaiba zu fahren, allerdings zum Haus ihrer Tochter, in der Hoffnung Yuki wäre – wenn sie sich wirklich alleine aufgemacht hatte – längst dort und wäre auf der Couch eingenickt. Derweil befand sich Asami immer noch in einem Zustand absoluter Hysterie, mütterlicher Sorge und dem Bedürfnis, diesem Vampir-Typ zu fesseln und ihn dann direkt in die Sonne zu werfen. Im Auto ihres Schwiegervaters hielt sie keinen Moment still. Masato beobachtete schief, wie Asami ins Handschuhfach schaute und sich im Auto umsah, aber keinen Hinweis gab, was sie suchte. Ihm war, als würde er es bereuen, wenn er fragen würde, aber lieber nun, als irgendwann später auf der Hauptstraße von Polizisten angehalten zu werden, weil sie fürchten Asami hätte etwas eingeworfen. „Was machst du da, Asami?“ „Silber! Ich brauche Silber, verdammt! Vampire mögen kein Silber!“ „Waren das nicht Werwölfe?“ „Hast du Silber oder nicht?“ „Wir sitzen in einem Auto!“ Asami ignorierte ihn daraufhin und drehte sich auf ihrem Sitz, damit sie auf die Rückbank schauen konnte. Dort lagen auch die Knabbereien, die Masato zuvor im Lawson gekauft hatte. „Ha, Knoblauch, das ist perfekt!“, jauchzte Asami auf und riss die Tüte mit den Knoblauch-Crackern an sich. „Ähm... Die wollte ich eigentlich heute und eventuell auch Morgen noch essen.“ „Kauf dir neue! Hier geht es um Yuki! Ich muss gut vorbereitet sein, wenn ich dem Typ gegenübertrete und meine Tochter von diesem Monster befreie!“ „Vielleicht sollten wir erst einmal zu dir nach Hause fahren, um zu prüfen -“ „Ich werde sie von diesem Monster befreien!“, zischte Asami dazwischen und ihr Schwiegervater verstummte, dann starrte er wieder mit Unbehagen auf die Straße. In der Ferne sammelten sich Autos und es zeigte sich der Beginn eines Staus. Das hatte ihm noch gefehlt. „Glaub mir oder nicht, ich weiß, was ich gesehen habe“, motzte Asami weiter. Mürrisch schaute sie noch einmal ins Handschuhfach und fand einen Kugelschreiber und einen Bleistift zwischen anderen Kram liegen, den man immer wieder gebrauchen konnte. Sofort holte Asami die zwei Stifte heraus und riss aus ihrer ohnehin ruinierten Bluse einen Knopf heraus, um so an den Faden zu kommen. Mit etwas Fingerspitzengefühl könnte sie ja die Stifte zusammenbinden. Hoffentlich hatte dieser Vampir so viel Fantasie wie sie und sah das als Kruzifix an. Zur Not würde sie es ihm ins Herz rammen. Masato beobachtete sie von der Seite, während er dabei zusah wie der Stau länger wurde. „Asami, ich glaube nicht, dass das gegen einen verrückten Perversen hilft.“ „Das war nicht einfach ein Verrückter! Er hat seine Zähne in meinen Hals gerammt! Ich habe sie gespürt und sie waren lang, spitz und kalt! Und das Geräusch, als er mein Blut getrunken hat... Mein Gott, ich kriege Gänsehaut.“ Den Teil mit den Kuss davor und der Tatsache, dass das und der erste Moment des Schmerzes, als man sie biss irgendwie erregend war übersprang Asami bewusst. „Es gibt verrückte Leute da draußen. Außerdem war ich mit einer Zahnärztin verheiratet. Du weißt gar nicht was die Zahnchirurgie für Wunder vollbringen kann.“ „Es war ein Vampir! Er hat sich als Hisaki ausgegeben um mich zu ködern!“ „Vermisst du ihn noch immer so sehr?“ Asamis Finger zuckten. Nachdenklich starrte sie auf ihr improvisiertes Kruzifix, während Masato weiter auf die Straße schaute. Nun waren sie mitten im Stau und würden so schnell nicht vorwärts kommen. Zumindest waren sie schon auf der Rainbow Brigde. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden, aber ein heller Streifen lag zwischen Himmel und Meer. „Dumme Frage. Natürlich tue ich das. Ich habe ihn geliebt.“ „Ich hätte es verstanden, wenn du dich nach einer neuen Beziehung umsiehst.“ „Es war bisher niemand dabei, der Hisaki das Wasser reichen konnte“, sagte Asami und schaute aus dem Fenster an ihrer Seite heraus, wo sie am Himmel ein paar wenige Sterne sah. „Und du?“ „Ich?“ „Deine Frau ist auch letztes Jahr verstorben.“ „Ich bin zu alt für etwas Neues“, meinte Masato und schnaufte. „Es war übrigens sehr freundlich, dass du zu ihrer Beerdigung gekommen bist.“ „Sie war meine Schwiegermutter und sie war immer gut zu mir und Yuki, auch nachdem Hisaki tot war. Ich wäre auch gekommen, wenn du gestorben wärst, Schwiegervater.“ „Ich glaube, da hätte Hisaki Einwände gehabt. Und sag nicht Schwiegervater zu mir.“ „Du bist der Vater meines Mannes, also nenne ich dich, wie ich es für angemessen halte!“ Masato schwieg. Asamis schien dafür nun ruhiger und hatte diesen ganzen Unfug mit einem Vampir vergessen. Eigentlich um so besser. Nur dass das Gespräch zu Hisaki überging gefiel Masato nicht. Er hatte damit gerechnet, dass Hisaki irgendwann zur Sprache kommen würde, wenn er Asami mitnahm, er hatte aber zumindest gehofft es etwas länger hinauszögern zu können. „Asami, Hisaki wird dir doch gesagt haben, wie die Dinge sind.“ „Natürlich hat er.“ „Also lass es bitte. Ich glaube, das wäre auch in Hisakis Willen.“ „Denkst du wirklich ich lass mir von Hisaki sagen, was ich zu tun und zu lassen habe?“, sagte Asami in einem sehr provozierenden Ton. Masato runzelte nur die Stirn. „...Langsam verstehe ich, wieso er dich geheiratet hat.“ „Das hättest du eher zu ihm sagen sollen.“ Masato hörte, dass Asami mit ihrem Satz etwas andeuten wollte, verstand es aber erst nicht. Statt einfach nur von der Seite zu ihr zu schauen, drehte er sein Gesicht in ihre Richtung. Sie wirkte verstimmt. „Das du ihn verstehst, meine ich.“ „Meinst du, das hätte ihn abgehalten, sich wie ein Kleinkrimineller aufzuführen?“ „Ich rede von der Wunderland-Geschichte!“, baffte Asami laut. „Diese Sache hat ihn fertig gemacht!“ „Davon hat er dir also auch erzählt?“, harkte Masato nach, er klang aber nicht überrascht, sondern vielmehr genervt. „Glaubst du das? Dass er vier Jahre in einer Fantasiewelt war und mit Monstern gegen andere Monster kämpfte und eines davon sogar sein bester Freund war?“ „Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Aber als Hisaki mir das erzählte – ich wusste, er dachte sich das nicht aus. Ja, ich habe ihm geglaubt. Alles. Und hätte ihm jemand zugehört, anstatt zu sagen dass er verrückt sei wäre er vielleicht...“ Asami hörte auf, in dem Moment als sie glaubte, sie würde zu weinen anfangen. Sie hatte sich von ihrem Schwiegervater abgewandt, doch in der Spiegelung der Fensterscheibe erkannte Masato, wie sehr Asami versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Er sah auf ihre Hand. Sie trug ihren Ehering immer noch. Warum, das wagte Masato nicht zu fragen. Er trug seinen schließlich auch noch, genauso wie er immer noch ein Foto von Hisaki mit sich trug, obwohl alles, was sie verband nicht mehr war und er bei dem Anblick dieses Jungen nur unangenehme Erinnerungen ins Gedächtnis rief. Wenn da nicht... „Ich habe Hisaki geglaubt.“ Asami glaubte zuerst sich verhört zu haben. Doch dem ernsten Gesicht ihres Schwiegervaters nach, hatte sie nicht nur richtig zugehört, sondern er erwartete auch, dass sie dem Aufmerksamkeit gab. „Du glaubtest das?“, harkte Asami nochmal nach. Ihre Stimme klang, als wäre sie heiser. Masato beobachtete weiter den Stau durch die Windschutzscheibe. Das würde ein langer Abend werden. „Hisaki hatte Albträume, nachdem er nach Hause kam. Er rief nach Namen, die ich noch nie gehört habe. Jeder Psychologe, zu dem ich ihn schickte sagte, er dachte sich das aus, als Folge eines Schocks. Aber ich konnte das niemals glauben.“ Masato starrte auf den Rücksitz, wo noch sein Getränk und sein Handy lagen und sah Hisaki sitzen. Als sie ihn damals abholten, begann er während der Fahrt auf einmal zu weinen. Mio setzte sich zu ihm und ging davon aus er weinte aufgrund des schlechten Gewissens. Dann ließ er alles raus und weinte lauter. Mio schenkte seiner Erzählung wenig Glauben, sagte es aber nicht vor ihrem Sohn. Masato hingegen wusste da schon, während Hisaki vor ihnen weinte, was er nie zuvor getan hatte, dass das mehr war wie nur ein Märchen oder Fantasie. Es musste wahr sein, sonst hätte Hisaki nicht so vor allen Leute geweint, sondern wie so oft sich aus Trotz verkrochen. Er hätte nicht wochenlang Albträume gehabt. Aber weder Masato noch Mio wussten damals, was sie machen oder wie sie damit umgehen sollten. „Etwas in mir sagte, dass diese Fantasiewelt, in die sich Hisaki flüchtete kein Hirngespinst war. Ich weiß nicht wieso, aber ich war überzeugt, dass alles, was Hisaki behauptete die reine Wahrheit war. Und dass Tsukaimon wirklich existierte.“ „Wieso hast du ihm nie gesagt, dass du ihm glaubst?“, fragte Asami und auch wenn sie nicht wütend klang, hörte es sich wie ein Vorwurf an. „Ich bin ein anerkannter Mann und die Kinder waren über Wochen im Visier der Presse. Unter dem ständigen Stress konnte kein Kind sich normal entwickeln, egal wie gut der Psychologe war. Ständig waren Polizisten am Telefon oder die Ichijious, um zu wissen ob Hisaki endlich etwas über deren verschwundenen Sohn gesagt hätte. Wie soll da ein Kind wieder richtig im Kopf werden?“ „Hisaki hat keine Spezialisten gebraucht, sondern eine Familie, die ihm helfen sollte wieder auf die Beine zu kommen! Und einen Vater, der ihm sagte, dass er ihm glaubt.“ „Du weißt genau, dass ich nicht sein leiblicher Vater bin.“ „Und das soll die Entschuldigung sein? Du warst trotzdem sein Vater!“ „Du hast leicht reden!“ Masato schlug mit der geballten Faust auf die Hupe, die sofort einen ohrenbetäubenden Lärm von sich gab. Die beiden waren in ihrer Position erstarrt und das Hupen zog sich, bis der Reiz in seinem Gehör seinen Zorn dominierte, dann nahm er die Faust weg. Asami saß eingeschüchtert in ihrem Sitz. „Was wissen Frauen denn schon? Denkt ihr, nur weil wir nicht die Kinder austragen, empfinden wir nichts? Keine Freude, wenn man uns die Bilder des Ultraschalls zeigt? Keinen Schock, wenn wir das Baby, auf dass man sich so freute in den Armen hält und bereits vom Mond aus sieht, dass es nicht sein eigen Fleisch und Blut ist, obwohl man sich Hoffnung machte? Haltet ihr Frauen uns Männer etwa für so kalt? Denkt ihr es ist keine Schande für uns, ein Kuckuckskind im eigenem Haus zu haben? “ Innerlich fing Masato wieder an zu kochen, doch ein tiefes Schnaufen dämmte die Wut, während Asami immer tiefer in ihren Sitz rückte. Sie bemühte sich, seine emotionale Lage nachzuvollziehen, auch wenn sie das als Frau vermutlich wirklich nicht konnte. Doch ihr Mitgefühl hielt sich bei den Erinnerungen an ihren Ehemann begrenzt. Den Schock, als sie Hisaki unterkühlt auffand vergaß sie niemals. An seinen Depressionen war Masato nicht alleine Schuld, aber er hatte seinen Teil dazu beigetragen. Es wäre alles vermeidbar gewesen. „Vielleicht hast du Recht. Aber Hisaki konnte nichts dafür. Er hat sich doch nicht ausgesucht, wer seine biologischen Eltern sein sollen. Er wollte nicht mehr wie eine Person, die ihn als Persönlichkeit wahrnimmt. Er hat viele Fehler gemacht. Manchmal hätte ich ihn bis zur Bewusstlosigkeit schütteln können. Er hat mich mit seinen Depressionen und seinem Misstrauen in die Welt manchmal wahnsinnig gemacht. Wir hatten Probleme. Aber...“ Schwer schluckend fuhren Asamis Finger über ihren Ehering. Und wie immer wenn sie das tat, glaubte sie, Hisaki hielte ihre Hand. Dabei würde er dicht neben ihr sitzen, sich an sie drücken und in ihren Haarschopf murmeln, dass er sie liebte. Dass er so froh, sie zu haben. Dass sie der Beweis für ihn sei, dass selbst für jemanden wie ihn Träume noch Wirklichkeit werden könnten. Er war froh. So unendlich froh... Und sie zu dritt zu sehen, als Familie und wie der einst verbitterte Junge seine Tochter wie einen kostbaren Schatz auf den Armen trug war der schönste Anblick, den sich Asami vorstellen konnte. Für den siebzehnjährigen Hisaki, der sich durch die Gangs schlug, die Nacht durchmachte und allein durch sein Auftreten jemanden Angst zu machen empfand sie Schwärmerei, doch sie hätte sich keine Zukunft mit ihm vorstellen können. Der Mann jedoch, der sensibel war, besonnen und ein klein wenig zynisch war und langsam lernte seine Gefühle zu begreifen war der Hisaki, den sie heiraten wollte. „Er war der Mann, den ich geliebt habe. Als störrischer Teenager fand ich es cool, dass er so kaltschnäuzig war... Aber als wir älter wurden merkte ich, dass er einfach nicht wirklich fühlen konnte und verlernte hatte zu träumen. Doch er wollte, dass mein Traum wahr wird. Er nahm drei Jobs an, damit ich auf die Ikebana-Schule gehen konnte. Er wurde Lehrer, damit er mir und unserem Kind eine sichere Zukunft geben konnte. Er ging zu Therapie, damit ich nicht mehr weinte. Ja, er machte viele Fehler. Hisaki war nicht immer unschuldig. Er hasste die Welt, aber er hat mich und Yuki abgöttisch geliebt. Und auch wenn alle nie mehr in ihn sahen als das verrückt gewordene Kuckuckskind, Hisaki war ein guter und aufrichtiger Mensch.“ Wieder drehte Asami Masato den Rücken zu und ebenso bekam sie wieder Tränen in die Augen. Es war komplett finster, die Lichter der Rainbow Brigde schalteten sich ein. Odaiba war bereits eine Ansammlung Lichter mitten auf dem Meer. Irgendwo dort war Yuki, bei diesem Monster, dass Hisaki so ähnlich war, aber Asami konnte nicht sagen wieso sie das dachte. „Das gleiche sagte Mio auch...“, murmelte Masato. Asami sah nicht auf, aber ein Instinkt sagte ihm, dass sie ihm dennoch zuhören würde. „Der Krebs gelang von der Bauchspeicheldrüse über das Blut in ihrem Kopf. Entweder war sie somnolent oder sie schrie die ganze Zeit unter dem Einfluss ihres Wahns. Ich besuchte sie jeden Tag. Sie beschimpfte mich und warf Gegenstände nach mir. Ich nahm es ihr nicht übel oder persönlich, dem Krankenhauspersonal gegenüber verhielt sie sich kaum anders. Außerdem habe ich sie nicht gut behandelt. Unsere Heirat war arrangiert und mehr als meine Ehefrau in ihr zu sehen habe mich nicht bemüht. Meine Arbeit nahm mich zu sehr ein, als dass ich ihre Bedürfnisse auch noch berücksichtigte. Dass sie fremd ging nahm ich ihr weniger übel, wie sie dachte.“ „Hisaki erzählte, ihr hattet Probleme und deswegen sei seine Mutter für einige Zeit ausgezogen. Was waren das für Probleme?“ Nur durch die Spiegelung der Windschutzscheibe erkannte Asami, wie Masato kurz zu ihr sah und sich dann wieder auf die Straße konzentrierte, obwohl es immer noch keinen Schritt vorwärts ging. „Ich habe Mio aus zwei Gründen geheiratet. Der eine war, das unsere Eltern uns dazu drängten. Ihre Eltern haben sie stets herumkommandiert. Während ihre Brüder alles durften, wurden sie und ihre Schwestern wie Puppen behandelt. Sie hatte nie Freunde, aber wir kamen gut aus. Mio erhoffte sich durch eine Heirat aus den Fängen ihrer Elternhauses zu entkommen. Und weil sie mir Leid tat, habe ich nie Einwände erhoben.“ „Klingt nicht, als sei das ein guter Grundstein für eine Ehe.“ „War es auch nicht. Aber so war das früher.“ Masato rückte auch etwas tiefer in seinen Sitz, dennoch wirkte er immer noch steif. Hisaki saß manchmal auch so kerzengerade da und Asami fragte sich oft, wie er das aushielt. Die beiden waren sich wirklich ähnlicher, wie so mancher Vater und sein leiblicher Sohn, aber waren all die Jahre zu stur das zu bemerken. „Mio wurde nach unserer Hochzeit schwanger. Mit meinem Kind“, begann Masato wieder und bei der Nachricht entschied Asami nun doch sich wieder ihrem Schwiegervater zuzuwenden. „Doch sie erlitt eine Fehlgeburt. Mich traf es nicht besonders. Eigentlich wollten Mio und ich nie Kinder. Aber es passierte und kaum, dass wir dies verdaut hatten, war es wieder vorbei. Ich dachte nicht mehr daran, aber Mio war wie verwandelt. Auf einmal wollte sie doch Kinder und auf einmal wollte sie, die ich damals kaum nach Tokio schleppen konnte hinaus in die Welt und machte mir Vorwürfe, da ich so oft weg sei. Sie traf sich mit Freunden und Kollegen und kam spät nach Hause. Ich sagte nichts und trotzdem war sie wütend auf mich. Sie blieb immer länger bei Kolleginnen und auch da sagte ich nichts. Was sollte ich sie zu Hause festhalten, wenn sie dort unglücklich war? Dann blieb sie über drei Wochen weg und kam unter Tränen wieder. Und zwei Monate später erfuhren wir, dass sie schwanger war. Und wir wussten beide, dass die Rechnung nicht aufging.“ Asami versuchte, sich dieses Szenario vorzustellen, aber es fiel ihr etwas schwer. Ihre Schwiegermutter hatte sie und Yuki auch nach Hisakis Tod besucht. Sie verstanden sich gut und auch ihre eigene Mutter mochte Mio sehr. Aber Mio war das krasse Gegenteil von Asamis doch eher impulsiven Mutter. Sich vorzustellen, sie war mit Freunden bis in die Puppen feiern und hätte als solch schüchterne, zudem verheiratete Frau mit fremden Kerlen rumgemacht schien so surreal. Vielleicht waren es die Hormone, die nach der Fehlgeburt verrückt spielten. Oder eben unterdrückte Wünsche und Bedürfnisse. „Der Krebs wurde schlimmer und mit ihm ihr Geisteszustand. Sie war so abgemagert... Sie rief ständig nach Hisaki. Rief die ganze Zeit, dass es ihr Leid tat. Sie hätte sich zu sehr geschämt“, erzählte Masato weiter und kurz glaubte Asami zu sehen, dass er nasse Augen bekam. „Kurz bevor sie starb, fing sie auch an nach mir zu rufen. Sie hielt meine Hand. Ihr knochiges Gesicht und die trüben Augen sahen mich unentwegt an. Sie sagte Masato, Masato, ich danke dir. Trotz der Schande, trotz das ein fremdes Kind in meinem Haus war, war ich geblieben. Ich habe ihr vergeben. Ich habe sie vor den Nachbarn und ihren Eltern beschützt, auch wenn ich genauso beschimpft wurde. Mio sagte, auf meine Art, sei ich ein guter Mensch.“ „Gut und Böse sind relativ“, warf Asami ein. Es war ihr peinlich, dies laut gesagt zu haben, denn eigentlich hatte sie es nur gedacht. Die pseudophilosophischen Worte stimmten Masato nicht gut, aber er schien zumindest für Asami nicht mehr so niedergeschlagen. „Ich habe mir nach ihrem Tod unsere Fotos angeschaut. Sie wirkten immer kalt und steif. Ich dachte mir nichts. Wir waren keine Familie mit einer engen Bindung. Die Leute haben getuschelt. Mein Sohn war für mich ein Fremder und dass es auf den Fotos wirkte, als stünde ich neben einen Fremden war selbstverständlich. Aber seit Mios Tod - vielleicht auch schon seit Hisakis Tod sehe ich diese Bilder an und frage mich, wie sie wären, hätte...“ Masato rieb sich über das Gesicht. Er war müde. Seit er Witwer war, schlief er nicht gut und aß auch nicht anständig. Asami fiel auch jetzt durch die Straßenlichter auf, dass ihr Schwiegervater etwas eingefallen aussah und sie begann sich zu fragen, was er das ganze letzte Jahr ohne seine Frau tat. Er arbeitete noch, aber sonst? „... Hätte ich gesagt, dass ich von der Existenz Tsukaimons überzeugt bin. So wie ich überzeugt bin, dass Hisaki sich nicht umgebracht hat. Niemals hätte er euch beide zurückgelassen. Eher hätte er dich und Yukino mit in den Tod genommen, als dass er sich alleine vor die Gleise wirft.“ „Das weiß ich.“ „Woher?“ „Weil ich es weiß... Ich wusste es die ganze Zeit.“ Masato unterdrückte ein Schnaufen. Er sah wieder Tränen in Asamis Gesicht. „Kollegen haben gesagt, er hat seinen Chef schon den Tag davor gefragt, ob er eines der alten Kinder-Pianos haben kann. Ob es Tasten und Notenblätter mit Brailell-Schrift gibt. Er brauchte es für seine Tochter. Hisaki wollte, dass Yuki spielen lernt. Mio sagte, er hätte von einer Telefonzelle aus angerufen und dich sprechen wollen, doch du warst nicht da, also wollte er sich nochmal melden, wenn die Konferenz vorbei ist. Hisaki wollte etwas ändern... Er wollte weitermachen... “ Asami legte ihr Gesicht in ihre Hand. Masato ließ die Worte auf sich wirken, aber unterließ es sich äußerlich anmerken zu lassen, was er darüber dachte. Mit den Augen weiter auf die Straße gerichtet nahm er seine Hand kurz vom Lenkrad, legte sie aufmunternd auf Asamis Schulter und nahm sie anschließend wieder zurück. Sie lächelte zurückhaltend. Der Stau ging nur langsam vorwärts. Sie hatten nicht einmal die Hälfte der Brücke hinter sich. Er hätte doch nachsehen sollen, nachdem er im Lawson war. Bestimmt ist Yuki zu Hause und vor dem Fernseher eingenickt und Asami würde feststellen, dass ihre ganze Hysterie für nichts war. Aber wenn nicht? Wenn sie nicht zu Hause war, sondern wirklich immer noch im Park? Mit einem dubiosen Fremden, der im Sommer mit Mantel rumlief. Wer trug überhaupt im Sommer Mantel und Hut? Ein Vampir, sagte eine Stimme in seinem Kopf und Masato sagte innerlich zu sich selbst, dass das Blödsinn sei. Es gab keine Vampire. Und die Monster?, fragte er sich anschließend selbst. Monster, wie sie aus Hisakis Kopf hätten entspringen können? Masato sah zwar keinen Zusammenhang zwischen Hisakis Erzählungen und dem, was er in den Nachrichten mitbekam, aber bei dem Gedanken an Yuki dachte er nur, wie schrecklich ähnlich sie Hisaki war. Äußerlich und nachdem was Mio so nach ihren Besuchen erzählte auch vom Charakter und vermutlich hatte er sogar sein Talent in Schwierigkeiten zu geraten auf sie übertragen. Zumindest vermutete er das. (wieso kommst du nicht einmal mit dann kannst du selbst sehen wie Yukino ist) Tat er aber nie. Weil er sich sagte, dass er nicht Yukis Großvater war. Es war nicht seine Pflicht. Er hatte in ihrem Leben und in ihrer Entwicklung nichts zu suchen. Sie waren nicht blutsverwandt. Er gehörte nicht dazu. Das war nicht seine Familie. Er... „Asami.“ Masatos Stimme rüttelte sie wieder wach. Die Lage in ihrem Sitz hatte ein nun halbwegs bequemes Level erreicht und sie war nun selbst kurz davor einzunicken. „Glaubst du, Hisaki wäre einverstanden, dass ich Yukino hin und wieder sehen kann?“ „Du willst...?“, fragte Asami vorsichtig, sprach den Satz aber nicht aus. Nun war es Masato, dem das hier alles peinlich schien. Sogar unangenehm diese Blöße zugelassen zu haben und nicht wissend, wie er weiter agieren sollte. Ungläubig runzelte Asami die Stirn. „Entschuldige. Mir kam diese Idee nur eben in den Sinn. Ich bin schon älter, arbeite etwas weniger und habe mehr Zeit. Ich wohne auch nicht mehr in Shinagawa, sondern bin nach Minato gezogen, in eine etwas kleinere Wohnung. Das Haus für mich allein war zu groß. Und wenn ich schon näher wohne...“, erklärte er und bemühte sich zu einem etwas nüchternen Ton. Wenn Asami dieses Verhalten nicht von Hisaki so gut kennen würde, würde sie nicht auf die Idee kommen, dass ihr Schwiegervater wohl auch ein oder zwei unterdrückte Wünsche hegte. Einer davon vermutlich der, einfach eine Familie zu haben. „Wenn ich mit ihm fertig gewesen wäre bestimmt“, sagte Asami auf eine lockere Art und schubste Masato mit dem Ellenbogen. „Hisaki hat sich mit so einigen Dingen schwer getan. Aber wenn Yuki es gewollt hätte, hätte er ein Auge zugedrückt. Für sein Häschen hätte er alles gemacht.“ „Würde sie es denn wollen? Ich habe sie zuletzt auf Hisakis Beerdigung gesehen und ich kann mich nicht entsinnen, mit ihr ein Wort gewechselt zu haben. Ich wüsste nicht einmal, wie ich mit ihr umgehen müsste. Sie ist schließlich blind.“ „Unterschätze sie nicht. Anders wie Hisaki hat Yuki keine Angst. Und vor ihrem Großvater schon gar nicht.“ „Sag nicht Großvater zu mir. Das lässt mich alt klingen.“ „Schon gut. Ich hör auf damit... Vater.“ Masato kommentierte dies nicht. Asami beobachtete ihn eine Weile, um zu sehen ob er noch eine Reaktion oder Gestik zeigte, sie sie erahnen lassen könnte, was er denn dachte, aber er umklammerte nur fester das Lenkrad und starrte geradeaus. Der Stau löste sich auf und Masato drückte aufs Gas. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)