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Wintersonett

Which dreamed it?
von

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Konzert XII - ALICE IN WINTERLAND, 1. Satz, Allegro non molto F-Moll [ cold and raw ]


 

𝄞

 

Ende Dezember im Jahre 2002 bestand das Projekt der Odaiba Grundschule, dass in den 90ern ins Leben gerufen wurde um die Kinder für Blinde, Taube und andere Behinderte zu sensibilisieren nur noch aus einer handvoll Schülern. Es entwickelten sich langjährige Freundschaften oder Bekanntschaften und so freute man sich, wenn man sich hin und wieder mal traf. Hikari Yagami war eine dieser Schüler.

Sie und Yuki trafen sich ab und an auch außerhalb des Rahmens des Schulprojektes. Über den Herbst waren beide mit eigenen Dingen beschäftigt, doch nun kurz vor Weihnachten kreuzten sich die Wege wieder. Kari hörte vor längerer Zeit schon, dass Yuki eine Musikschule außerhalb Odaibas besuchte und nun nach langer Übung gut genug war, um auch auf größeren Musikveranstaltungen zu spielen, statt nur auf Schulfesten. Für Silvester stand ein großes Konzert an, gesponsert von der Agentur von Yukis Großvater und sie übte fast die ganze Zeit. Sie versuchte zwar es sich nicht anzumerken, aber Yuki war tierisch nervös. Kari fand, dass sie eigentlich keinen Grund dazu hatte. Auch Gatomon zeigte über Handzeichen, dass Yuki gut spielte.

Das Katzen-Digimon saß draußen im knochigen Geäst einer Buche und beobachtete die beiden Mädchen. Wäre sie mit rein gegangen wäre sie vermutlich negativ aufgefallen. Hinzukam dieser Hund, der zu Yukis Füßen lag.

Dinah gähnte und entblößte ihre Zähne und ihren Rachen, dann döste sie weiter. Mit Hunderassen kannte Kari sich nicht aus und sie konnte nicht sagen, was für ein Hund Dinah war. Sie hatte diese typische braun-schwarze Färbung eines Doberman, für einen Doberman aber war ihre Schnauze zu klein und spitz und die Ohren und das Fell zu lang. Auch Yuki wusste nicht so Recht Dinahs Rasse und auch ihr Vorbesitzer war sich nicht einig, da er nicht sagen konnte wer der Vater war.

Yuki und Dinah trafen sich vor zwei Jahren, als sie nach der Schule mit Freunden noch spazierte und ein Mann gerade mit den drei Welpen seiner Doberman-Dame Gassi ging. Der Mann hatte keine Einwände, dass die Kinder sich die Hunde genau ansahen und das einzige Weibchen unter den Welpen fraß sofort einen Narren an Yuki. Der Welpe begriff schnell, dass das Mädchen blind war, bellte und stieß sie sachte an, um so mit ihr zu spielen. Der kleine Hund war etwas stürmisch, aber zutraulich und kein bisschen ängstlich. Auch Yuki verliebte sich in das Tier und unter ihrer Familie breitete sich diese Nachricht schneller wie ein Buschfeuer aus. Mit dem Wissen, dass Asami ihn köpfen würde suchte Masato Amano den Mann auf, kaufte ihm den Welpen ab und ließ Beziehungen spielen, um einen guten Hundetrainer ausfindig zu machen. Nach fünfeinhalb Monaten Training konnte Masato Yuki den Hund als Geburtstagsgeschenk überreichen, unter dem leichten Entsetzen von Asami, die ihn etwas bissig fragte, wie sie neben einem (blinden) Kind noch einen Hund mitversorgen sollte. Aber Dinah war sehr genügsam und mittlerweile liebte Asami diesen Hund abgöttisch und hatte es Dinah auch zu verdanken, dass sie neue Bekanntschaften knüpfen konnte (unter Asamis Eltern ging das Gerücht um, sie hätte beim Gassi gehen jemanden kennengelernt, aber es war bisher nur ein Gerücht). Yuki sah anfangs wirklich winzig neben Dinah aus, aber Yuki lernte, wie sie mit ihr umgehen musste. Und ähnlich wie ihr Vater vertritt auch ihr Großvater die Ansicht je früher, desto besser.

Yuki stoppte ihr Spiel. Kari beobachtete wie sie mit ihrer Hand zwischen zwei Tasten hin und her pendelte, dann seufzte sie.

„Mist. Ich hab mich vertippt“, sagte sie leicht verärgert.

„Wirklich? Ich habe keinen Unterschied gehört.“

„Doch. Ich habe statt G A gespielt.“

Enttäuscht tippte Yuki weiter auf den beiden Tasten. Sie seufzte erneut und ihre Brust schmerzte vom Herzklopfen. Normalerweise war es gut, wenn der Herzschlag sich von der Musik treiben ließ, nur das in Yukis Fall dieser beschleunigte Rhythmus auf Nervosität beruhte.

„Wenn das so weitergeht wird das nie was bis zum Konzert. Wenn ich mich blamiere...“

„Wirst du schon nicht“, sagte Kari aufmunternd. „Du übst ständig. Vielleicht brauchst du auch eine Pause um einmal auf andere Gedanken kommen.“

„Aber immer wenn ich das versuche, denke ich wieder nur an die Musik. Dinah, was soll ich machen?“

Die Hündin hob die Ohren, als sie ihren Namen hörte, döste aber gemütlich weiter, nachdem sie noch ein lautes Gähnen von sich gab, dass in der Spiegelung des schwarzen Flügels beängstigend und grotesk aussah.

„Du weißt also auch nichts“, seufzte Yuki enttäuscht und ließ den Kopf hängen. Kari überlegte.

„Das Konzert ist doch erst an Silvester. Was machst du über Weihnachten?“, fragte Kari lächelnd und Yuki sprang auch gleich auf die Frage an.

„Wir fahren am 25. für ein paar Tage nach Furano, zusammen mit Großvater.“ „Furano? Das ist in Hokkaido, richtig?“, wiederholte Kari fragend. Sie war noch nirgendwo in Hokkaido gewesen, doch ihr Vater schwärmte oft von der Hauptstadt Hokkaidos.

„Die Familie meines Vaters ist von dort, ihnen gehören sogar ein paar Blumenfelder. In Sapporo ist ja auch Schneefest. Da baut man Eis- und Schneeskulpturen. Ich werde dieses Jahr auch wieder eine bauen.“

„Schaffst du das?“

„Wenn nicht ist es auch nicht schlimm. Hauptsache es sieht witzig aus“, lachte Yuki ausgelassen. Ihren Ärger über ihr Spiel hatte sie vergessen.

„Und du, Kari?“

„Ich feiere mit meinen Freunden am Heiligabend zusammen“, erzählte sie einerseits vorfreudig, andererseits etwas überrumpelt. Die Einladung kam von Ken. Natürlich hatte sie sich über die Einladung gefreut, aber dass der ehemalige Digimonkaiser sie zu sich nach Hause einlud war immer noch ein wenig... dubios.

„Weißt du, du könntest auch vorbei kommen. Die anderen freut es sicher, wenn sie dich auch kennenlernen könnten“, schlug Kari vor, dann fiel ihr ein, dass ja die Digimon auch dabei waren. Bis Kari sich Gedanken machen konnte, wie sie die Digimon am besten vor Yuki verstecken konnte – ob nun blind oder nicht, Kari glaubte fest daran, dass Blinde einen siebten Sinn besaßen – schüttelte Yuki den Kopf.

„Vielen Dank. Aber ich muss passen. Ich hab Morgen Geburtstag und ich geh mit zwei Freundinnen auf die Talent-Show von Fuji-TV.“

„Du hast Geburtstag morgen? Das wusste ich nicht.“

„Macht doch nichts“, kicherte Yuki verlegen. „Gehst du mit deinen Freunden auch dorthin? Vielleicht treffen wir uns dort.“

„Nein, aber mein Bruder. Sein bester Freund tritt dort mit seiner Band auf. Die Band heißt the Teen-Age Wolfs.“

„Die kenne ich. Meine eine Freundin schwärmt für den Sänger“, erzählte Yuki peinlich gerührt, weil genau diese Freundin vorschlug dorthin zugehen. Kari lachte darüber. Davis Schwester schwärmte schließlich auch für Matt und T.K. war dazu verdammt die Liebesbriefe einiger Mitschülerinnen regelmäßig an seinen Bruder weiterzuleiten.

„Und zum Konzert an Silvester bist du wieder hier?“

„Mhmm.“

„Weißt du, wir treffen uns sicher auch nach Silvester. Willst du mit uns an Neujahr zum Schrein?“, schlug Kari vor, sich aber auch hier fragend, wie sie die Digimon am besten kaschierte, aber in der Öffentlichkeit mit der lauten Geräuschkulisse würde das schon gehen. Gatomon und Patamon waren vorsichtig und DemiVeemon, Upamon und Poromon gingen leicht als Plüschtiere durch.

Nachdenklich starrte Yuki in das Klassenzimmer, dass kaum Tisch und Stühle hatte, dafür Instrumente. Ihr Körper war vollkommen entspannt, aber sie zögerte.

„Du meinst, die anderen stört es nicht, dass ich nichts sehe?“, fragte Yuki ungewohnt zurückhaltend.

„Bestimmt nicht. Hast du Zweifel?“

„Na ja, es ist schon etwas merkwürdig, als Außenstehender sich einer Gruppe anzuschließen. Und nicht jeder kommt mit Blinden so gut zurecht.“

Das hatte Yuki im Laufe der letzten Jahre öfter zu spüren bekommen. Es herrschte eben nicht überall der gediegene Ton einer Grundschule für – wie sagten die bösen Nachbarn? – förderungsbedürftige Kinder. Aber sie wäre ja nicht sie, wenn Yuki sich gegen die, die laut ihrem Vater mit der Nase sahen irgendwie durchgesetzt hätte. Zum Ärger jener und zur Freude ihrer Mutter und ihres Großvaters.

„Ich glaube trotzdem nicht, dass es irgend jemanden stört. Ein paar von ihnen sind etwas übereifrig, aber keiner von ihnen hat etwas Böses im Sinn.“

„Oh, das denke ich gar nicht. Aber, okay! Ich versuche es einfach. Ich würde echt gern mit euch gehen.“

„Super“, jubelte Kari und klatschte dabei in die Hände, was im leeren Klassenzimmer hallte, wo außer ihr, Yuki und noch ein paar anderen Zupfinstrumente niemand war.

„Du kannst nach den Ferien auch gerne einmal mit mir, Isuka und Naomi in Juuban shoppen und rumalbern.“

„Rumalbern?“, wiederholte Kari fragend und sah zu, wie Yuki aufstand und ihre Tasche nahm die neben dem Klavier lag. Dinah sprang mit ihrem Frauchen auf, blieb aber brav und hechelnd sitzen, bis Yuki sie am Griff ihres Geschirrs nahm.

„Naomi hat sehr langes Haar und wir erlauben uns manchmal ihr ulkige Frisuren zu verpassen oder albernen Haarschmuck aufzusetzen. Sie sieht auf einem Auge schlecht und hat einen bösen Arm, deswegen kann sie das nicht. Ich muss dafür als Anziehpuppe herhalten. Sie meinen, weil ich etwas europäisch aussehen würde, wäre das viel amüsanter.“

„Nun, da ist schon etwas dran. Also das Aussehen“, sagte Kari und winkte Gatomon zu, um ihr zu signalisieren, dass sie gehen würden. Kari dachte an T.K. und Matt. Ihre Mutter war auch Halbeuropäer und man sah es ihr deutlich an. Ihre Söhne wirkten eher, als hätten sie sich einfach die Haare blond gefärbt und würden blaue Kontaktlinsen tragen. Sie waren ihrem Vater ähnlicher (Matt mehr wie T.K.).

„Hast du denn ausländische Verwandtschaft?“

„Sagen wir – ich bin mir nicht sicher, woher sie kommt“, erläuterte Yuki und Kari hörte auf zu fragen, da sie glaubte ein unangenehmes Thema angesprochen zu haben.

Stattdessen reichte sie Yuki ihren blau-grauen Wintermantel und den rosa Schal, aber statt sich helfen zu lassen, lehnte Yuki die Hilfe mit einem freundlichen Kopfschütteln ab und machte es selbst.

„Yukino?“, rief jemand über den Flur, der gerade die Treppe hochkam, das Klackern der Schuhe deutlich zu hören und Yuki erkannte die Stimme ihres Großvaters.

„Großvater? Du hier? Sonst kommst du doch nur freitags?“, wunderte sich Yuki, während sich Kari darüber wunderte, dass dieser Mann Yukis Großvater sein sollte. Kari kannte Yukis Mutter, ihren Vater nur anhand von Yukis Beschreibung und sie soll ihm wohl fast wie aus dem Gesicht geschnitten sein. Doch diesen großen Mann mit der breiten Statur und den strengen Vollbart konnte sie weder mütterlich, noch väterlicherseits zuordnen.

Yuki spürte, dass Kari sich wohl Fragen stellte.

„Er ist der Vater meines Vaters“, erklärte Yuki breit lächelnd und Kari akzeptierte diese Aussage, wenn sie auch glaubte, dass es Yukis Großvater etwas mulmig war, diese Umschreibung zu hören.

„Ich bin Masato Amano. Du bist eine Freundin von Yukino?“

„Ja. Hikari Yagami, es freut mich“, sagte Kari fast zu ehrfürchtig und verbeugte sich fast zu tief, dass ihre weiße Baskenmütze dabei fast vom Kopf fiel. Sie erschrak etwas an der überaus tiefen Stimme dieses Mannes. Er machte zudem einen sehr strengen Eindruck. Dieser bröckelte aber etwas, als er Dinah die Hand reichte und die Hündin ihre Schnauze daran rieb.

„Yukino, du weißt doch – keine Hunde in der Musikschule.“

„Ja, weil sie sonst den Unterricht stören. Aber es ist kein Unterricht, also stört Dinah auch keinen“, verteidigte Yuki sich. Ihr Großvater blinzelte nur stumm. Nicht wie seine Schwiegertochter, aber nahe dran.

„Aber wieso bist du hier?“

„Deine Mutter sagte mir, dass du wieder am üben bist. Habe ich dir nicht beigebracht, dass du ausreichend Pausen machen sollst?“

„Ich bin nervös.“

„Je öfter du dich aber ans Klavier setzt, umso verkrampfter wirst du und es passieren Fehler. Ein Klavier braucht Feingefühl, keinen Druck.“

„Verstehe. Entschuldige“, seufzte Yuki traurig und im selben Moment bereute er es.

„Nein, nein, Kind. Du sollst dich nicht entschuldigen. Du solltest nur versuchen einen klaren Kopf zu haben und dafür musst du ihn auch mal eine Pause gönnen. Morgen ist dein Geburtstag, freu dich darauf.“

„Ist gut“, seufzte Yuki wieder, aber diesmal erleichtert.

Masato schlug den beiden Mädchen vor sie bis nach Odaiba zu bringen. Er sagte zwar, er müsste zufällig auch nach Odaiba, aber Yuki glaubte das weniger. Sie blinzelte einmal langsam, als ihr Großvater das sagte und anders wie bei ihm sah es bei Yuki haargenau so aus wie bei ihrer Mutter.

Kari schluckte leise, da sie sich um Gatomon Sorgen machte. Doch während Masato seinen Autoschlüssel suchte und Yuki versuchte Dinah auf ihren Schoß zu setzen, nutzte sie den Augenblick und Gatomon huschte schnell mit ins Auto und versteckte sich hinter Karis Beinen. Yukis Großvater bemerkte das Digimon nicht, er konzentrierte sich aufs Fahren und Yuki kümmerte sich um Dinah. Der Hund nahm die halbe Rückbank ein und hechelte Kari entgegen. Sie streichelte Dinah und schenkte ihr ein Lächeln. Gatomon hingegen war weniger erfreut, wenn Dinah sie sah und immer wenn das Tier und das Digimon Augenkontakt aufbauten winselte sie einmal kurz und ihr Schwanz wedelte aufgeregt.

Die Straßen waren für diese Zeit des Jahres seicht befahren und die Fahrt dauerte vielleicht zwanzig Minuten, als Masato die beiden in der Nähe der Daiba Station rausließ. Gatomon sprintete aus dem Auto in einen Busch hinein und sprang auf eine Mauer, froh endlich Abstand von diesem Hund zu gewinnen.

„Ich wünsche euch beiden noch einen schönen Tag.“

„Danke sehr“, sagten die beiden Mädchen.

„Ach und Yukino, ich – Streck mal deine rechte Hand aus.“

Yuki tat dies ohne zu zögern, aber verwundert. Aus dem Autofenster streckte Masato schließlich seinen Arm heraus und drückte Yuki ein kleines Päckchen in die Hand.

„Mach es aber erst nach Mitternacht auf.“

„Willst du Morgen nicht vorbeikommen?“, fragte Yuki traurig.

„Ich spiel doch in Shibuya wieder auf dem Weihnachtsfest mit ein paar anderen von der Agentur und ich werde vermutlich bis zum nächsten Tag dort bleiben müssen.“

„Du kannst morgens kommen. Mama muss auch früh raus und zur Arbeit und meine Freundinnen kommen erst gegen Drei.“

„Ich...“

Kari beobachtete, wie Masato sein Lenkrad umklammerte und sich hinter den Lippen auf die Zähne biss, sein Gesicht aber starr blieb. Yuki konnte es sich nur vorstellen.

„Ich ruf auf jeden Fall morgen früh an.“

„Ich schneide dir ein extra großes Stück vom Kuchen ab“, sagte Yuki, als hätte sie den Satz zuvor nicht gehört und kurz ließ etwas an Masatos Ausstrahlung anmerken, dass er peinlich gerührt war. Dann fuhr er los.

„Ist mit ihm alles gut?“

„Ja. Großvater ist immer so“, erklärte Yuki und lief mit Kari die Straße entlang, die zu ihrem Wohnblock führte. Lautlos folgte Gatomon ihnen. Das hieß, fast lautlos.

„Mein Großvater ist kein Familienmensch. Er ist eigen, weißt du?“

„Ist er einsam?“, fragte Kari vorsichtig. Sie sah zwar, dass Masato einen Ehering trug, aber in seinem Auto deutete nichts darauf hin, dass noch jemand, geschweige denn eine Frau manchmal mit im Auto saß. Yuki nickte.

„Ja, genau das denke ich auch. Aber Großvater kann mit Gefühlen nicht so gut umgehen. Er ist wie mein Papa. Er braucht einfach einen kleinen Schubs. Ich hoffe dennoch, er kommt vorbei. Er ist immer von seiner Arbeit so eingenommen, obwohl er schon sechzig ist.“

„Was arbeitete er denn?“

„Mein Großvater ist Pianist und Komponist. Er war auch schon mit der Tokio Symphonie Orchester aufgetreten. Und er schreibt Musikstücke für Film und Werbung.“

„Und wieso kommt er in die Musikschule?“

„Der Direktor ist ein guter Freund von ihm. Papa war hier auch Lehrer und ist kurz vor seinem Tod öfter wieder aufgetreten.“

„Ich wusste gar nicht, dass du aus so einer musikalischen Familie kommst.“

„Ich bis vor kurzem auch nicht. Die Passion für das Klavier geht bis zu meinem Ururgroßvater zurück. Es liegt irgendwie... in unserem Kopf.“

„Meintest du nicht im Blut?“, harkte Kari nach und als sie auf Yukis Gesicht ein schiefes Lächeln erkannte, merkte sie, dass sie einen Punkt traf, über den sie nicht weiter nachdenken sollte. Das war schon das zweite Mal an diesem Tag und Kari war dies mehr wie peinlich.

„Ach, weißt du, Kari. Blut ist nicht immer dicker als Wasser. Und wohin mich die Musik verschlägt weiß ich auch noch nicht. Ich wäre ja auch gerne Lehrer wie mein Vater. Vielleicht als Therapie.“

„Du machst dir schon Gedanken?“, fragte Kari, teils aufgeregt, teils überrascht.

„Ein bisschen schon. Ich will mich nicht festlegen, aber mit Musik will ich schon etwas machen. Mit Musik fühle ich mich immer als wäre ich mit dem Herzen in einer anderen Welt.“

„Das klingt... schön.“

„Hast du schon eine Idee, Kari?“

Während Yuki sich versuchte einen warmen türkisen Himmel mit silbernen Sternen vorzustellen, den sie ansehen könnte, schaute Kari zu diesem hoch, der jedoch für sie nur verschiedene Graustufen bot. Eine ähnliche Unterhaltung hielt sie erst vor Kurzem mit Tai, nachdem sie ihm von der Begegnung mit Azulongmon erzählte. Nach dem Treffen an der Nudelsuppenquelle suchten sie Azulongmon noch einmal auf, da gerade Kari und T.K. viele Ungereimtheiten nicht losließen, die ihnen Homeostasis damals verschwieg. Und der Souverän des Ostens erzählte alles. Besonders vom Schrecken des Krieges.

Das solche Grausamkeiten in der Digiwelt stattgefunden haben sollen war für sie alle schwer zu glauben. Azulongmon, selbst Soldaten kämpfte in diesen. Auch er war einst das Digimon eines Menschen, doch zu dessen Schutz nannte er keinen Namen. Er sagte, was die Digiwelt damals krank machte war der Gedanke einer absoluten Einheitlichkeit und der daraus resultierten Politik. Die Rassenkriege machten sich die Meister der Dunkelheit zu Nutze. Auf die Drängen der Digiritter offenbarte Azulongmon schließlich noch etwas, was er eigentlich nicht erwähnen wollte, da es nur Vermutungen waren. Geradezu Verschwörungstheorien.

Denn noch schrecklicher als die Rassenkriege war die Apartheid. In ihrer Zeit wurden nicht die meisten, aber längsten Kriege geführt und die Anzahl der Todesopfer unzählbar. Auch das Meer der Dunkelheit resultierte aus dieser Zeit und die fast vollständige Auslöschung der Digiwelt durch das Programm Halt and Catch Fire, dass durch die zunehmenden Dunkelheit und steigende Anzahl von Opfern die Gestalt Apokalymons annahm. Aufgehalten wurde er und der Zerfall von Märchenfiguren. Figuren aus Menschenmärchen und es lag nahe, dass es zwar für die Digiwelt Märchenfiguren waren, obwohl es sich um echte Menschen handelte. Digiritter.

Was aus ihren Digimon nach der Apartheid wurde wusste niemand. Aber Azulongmon hatte das Gefühl, wenn er an seine Ziehmutter zurückdachte und wie geschickt, wie gerissen und wie viel Wissen über Kriegsstrategien die vier Meister der Dunkelheit besaßen glaubte er zu ahnen, was mit seinen älteren Geschwistern geschehen war. Und diesen Gedanken wurde Kari nicht los.

Auch Tai war über diese Informationen aufgewühlt. Er wollte fast nicht glauben, dass ihre einstigen Gegner Partner-Digimon waren. Digimon wie Agumon. Ihn quälte die Vorstellung, dass Agumon nach dem Sieg und der Rettung der Digiwelt vielleicht auch der Dunkelheit hätte verfallen können, weil Tai nicht da war. Und das Frieden nicht ewig hielt bestätigten nicht nur die Rassenkriege nach der Apartheid, sondern auch der Feldzug des Digimonkaisers nach ihrem Triumph. Die Digiwelt war eine Welt der digitalen Fantasien, aber besaß Probleme der Erwachsenen.

Politik. Damit konnte kein Digiritter etwas anfangen. Dafür waren sie alle noch zu jung. Und jene Digimon, die politische Macht besaßen waren von all den Kriegen und Feldzügen misstrauisch geworden, zogen sich zurück und überließen den Großteil der Digiwelt sich selbst, statt etwas wie Verantwortung zu übernehmen.

Seitdem wurde Tai etwas nachdenklicher und sprach öfter ein paar Gedankenfetzen aus. Wie komplex Politik eigentlich war. Wie viele Digimon gab es, die solchen Einfluss haben? Funktionierte sie wie bei den Menschen? Was wenn die Digiwelt sich an den Menschen orientierte? Wenn Menschen und Digimon mehr zusammenarbeiten würden? Wenn sie diskutieren könnten? Wenn sie voneinander lernen könnten? Wenn Mensch und Digimon zusammenarbeiten würden, würde es so etwas wie die Apartheid und die Rassenkriege sicher nicht mehr geben. Dann würde das, was mit den Meister der Dunkelheit geschah nicht mehr passieren.

Kari wusste nicht genau auf was Tai hinaus wollte, aber sie war etwas vorsichtiger mit ihren Schlüssen. Wie grausame Digimon gab es auch grausame Menschen, die sich eventuell gegenseitig bekämpfen würden. Tais Antwort war, dass man genau deswegen etwas politisch regeln müsste (wenn er selbst aber auch keine Ahnung hatte wie). Kari dachte in eine etwas andere, sozialere Richtung. Man müsste den Menschen erst einmal behutsam die Digimon näher bringen, damit eine gewisse Kommunikation auf Augenhöhe überhaupt stattfinden könnte, ansonsten hätte das alles keinen Wert. Am Ende würde vielleicht das, was Myotismon vor drei Jahren anrichtete sich wiederholen oder ein zweiter Digimonkaiser würde auf der Bildfläche erscheinen, nur mit Panzern statt mit Schwarzen Ringen. Die Menschen und Digimon mussten auch lernen aufeinander zuzugehen, damit sie mehr in ihnen sahen wie Monster. Von klein auf schon, damit ein Gefühl von Gemeinsamkeit bei so unterschiedlichen Lebensformen überhaupt aufgebaut werden konnte.

„Ich will Kindergärtnerin werden!“, platzte es spontan aus Kari heraus. Überrascht weiteten sich Yukis Augen.

„Kindergärtnerin? Ich wusste gar nicht, dass du Kinder so gern hast. Aber es passt zu dir.“

„J-Ja, also, das ist mir eben so rausgerutscht“, haspelte Kari nervös lachend. „Das hat nichts mit Kindern zu tun – Also, ich mag kleine Kinder schon irgendwie, aber mir geht es, wie soll ich sagen?“

Kari gestikulierte aufgeregt, längst vergessen, dass Yuki es ja nicht sah. Sie spürte nur leichte Luftzüge, die Karis Hände verursachten.

„Mir geht es darum ihnen gewisse Dinge näher zu bringen, was für unsere Zukunft wichtig wäre.“

„Und was wären das für Dinge?“, harkte Yuki nach.

„Das kann ich nicht so gut erklären, weißt du?“

„Hat es mit der Katze zu tun, die uns schon die ganze Zeit folgt?“

Karis Gesicht entgleiste lautlos. Gatomon blieb abrupt stehen und verharrte in ihrer aktuellen Pose. Weder Mensch noch Digimon traute sich sich zu bewegen, während Yuki nur wartete, dass Kari etwas sagte.

„W-Welche Katze, meinst du genau? Hier im Viertel laufen sehr viele herum“, sagte Kari viel zu angespannt, dass selbst ein Nichtblinder bemerkt hätte, dass sie log. Aber Yuki entschloss es auf sich beruhen zu lassen.

„Ich verstehe schon. Ich rufe dich nochmal an wegen dem Neujahrstreffen, okay?“

„Klar. Wir freuen uns, wenn du mitkommen würdest. Also mach's gut.“

„Ja, bis bald, Kari“, rief Yuki ihr nach und ließ sich von Dinah weiter die Straße hinunterziehen. Kari ging nicht sofort über den Zebrastreifen, um so nach Hause zu kommen, sondern sah Yuki hinterher.

„Wie hat sie mich bemerkt?“, fragte Gatomon aus einer Baumkrone.

„Blinde nehmen oft Dinge wahr, denen Nichtblinde keine Beachtung schenken.“

„Weiß sie dann auch, dass ich ein Digimon bin?“

„Nein. Das glaube ich nicht. Sie wird dich für eine normale Katze gehalten haben.“

„Ich finde das trotzdem gruselig. Sind alle Blinden so?“, fragte Gatomon und verkroch sich in das Blattwerk. Kari lächelte sie aufmunternd an.

„Vermutlich. Aber Yuki war schon immer recht scharfsinnig und hatte Fantasie.“

„Ist das gut?“

„Weiß nicht.“

Yuki war aus Karis Sichtfeld verschwunden. Gatomon sprang zu ihrer Partnerin hinunter und ließ von ihr tragen und in dem Moment, als Kari ihr Digimon im Arm hatte bereute sie es, Yuki eingeladen zu haben. Sie war sich nicht nur nicht mehr sicher, ob sie die Digimon wirklich so leicht als Plüschtiere ausgeben konnte – irgendwie ironisch, dass sie sich bei jemand Blinden mehr Sorgen machte, wie vor den ganzen anderen Leuten auf der Straße – sondern ob es Yuki gegenüber nicht unfair war, etwas vorzumachen. Jedoch hatten sich die Digiritter geschlossen geeinigt nichts zu sagen, zum Schutze der Digimon. Zu niemanden.

Yuki hielt Gatomon tatsächlich für eine relativ normale Katze. Sie hatte gehört, wie Gatomon mit ihren doch großen Tatzen über den Zaun und durch Büsche lief und das immer sehr dicht bei ihnen. Dinah war zwar ein Hund, mochte aber Katzen. Wenn sie lief war sie durch und durch ein aufmerksamer Blindenhund, machte sie aber mal eine Pause und bemerkte eine Katze, hob sich ihr Körper und sie wedelte wild mit dem Schwanz, der an Yukis Bein peitschte.

Vielleicht war's die Grinsekatze, dachte sich Yuki spaßeshalber. Da wäre es verständlich, dass Kari nichts sagte. Eine Grinsekatze sah komisch aus. Ob diese Grinsekatze Kari gehörte?

Dinah blieb an der Ampel einer doch relativ wenig befahrenen Straße stehen und Yuki betätigte den Schalter. Der Wind war kalt. Trotz der doch dicken Strumpfhose fror sie unter dem Rock und sie ärgerte sich noch darüber, bis der Wind anders wurde. Der Wind roch anders. Jemand kam in ihre Richtung gelaufen und Yuki vermutete schlicht irgendeinen Passanten. Doch sie spürte, dass diese Person sie anvisierte und auf sie zulief. Sehr langsam. Fast schwebend. Yuki glaubte, sie hörte etwas. Einen ganz bestimmten Klang.

Neben ihr knurrte Dinah immer lauter und schließlich begann sie auch zu bellen.

„Dinah? Dinah, was hast du denn?“, fragte Yuki, aber die Hündin knurrte weiter die Person an, die sich Yuki näherte. Die Person blieb stehen. Yuki war sich sicher, denjenigen nicht zu kennen. Doch spürte sie etwas, was ihr Unwohlsein bereitete. Und es war irgendwie vertraut.

„Verzeihen Sie bitte. Ich verstehe nicht, was Dinah plötzlich hat. Normalerweise ist sie sehr lieb“, sagte Yuki etwas eingeschüchtert zu dem Fremden und gleichzeitig so beschämt, dass Dinah sich so benahm. Sie knurrte und bellte den Mann an, der ihre Besitzerin ansah. Nur kurz sah er der Hündin stechend in die Augen, dann hörte sie abrupt auf. Nicht nur das, sie ging sogar winselnd und mit zurückgelegten Ohren einen Schritt zurück. Yuki riskierte es dass Geschirr loszulassen und ihrem Hund beruhigend über den Kopf zu kraulen. Mit Dinahs überaus merkwürdigen Verhalten wurde auch Yuki immer ängstlicher.

„Dinah, hm?“

Die Stimme die Yuki hörte und zu der sie sich drehte war die eines Mannes, mehr nahm sie auch kaum von ihm wahr. Er war schon wie ein Geist aus dem Nichts erschienen und auch so fühlte es sich an, als er direkt vor Yuki stand und auf sie herabblickte. Der Mann war unheimlich.

„Ein ungewöhnlicher Name.“

„Es ist eigentlich ein Katzenname“, antwortete Yuki zaghaft. Der Mann vor ihr schwieg, runzelte dabei die Stirn und innerlich schien sie zu wissen, dass er das tat, als er die Erklärung hörte.

„Also, eigentlich weiß ich nicht, ob Katzen Dinah heißen. Ich kenne halt nur eine Dinah und das ist eine Katze.“

„Was ist dein Hund für eine Rasse?“, fragte er weiter und in seiner Aussprache versteckte sich etwas Unheilvolles, dass Yuki erst erfrieren ließ. Dinah knurrte wieder, aber leiser, mit eingeknickten Schwanz.

„Ähm, Dinah ist nicht reinrassig. Sie ist um ein paar Ecken mit einem Doberman verwandt. Sie hat diese lustige Färbung, hat man mir gesagt.“

„Aber du weißt nicht, wie sie aussieht. Du bist also gänzlich blind?“

Er fragte zwar, doch so wie er es sagte klang er nicht, als ob diese Informationen neu für ihn war. Tatsächlich hatte dieser gruslige Mann mit den langen, schwarzen Haaren und der überaus ungesunden Blässe und Augenringen bereits gewusst, dass Yuki blind war, ohne ihre Scherbe zu sehen. Woher er es wusste, wusste er selbst allerdings nicht.

„J-Ja, ich bin blind, seit ich vier bin.“

„Sehr bedauerlich, so jung schon sein Augenlicht zu verlieren. Es gibt sicherlich viel auf der Welt, was du gerne sehen würdest. Aber du scheinst mir jemand zu sein, der mehr von dem angezogen wird, was andere Welten zu bieten haben.“

Er hatte eine komische Art, diese Dinge zu sagen. Yuki wunderte sich warum dieser Mann gerade von anderen Welten sprach. Erwachsene, die nicht wie ihr Vater waren glaubten nicht an ferne Welten. Aber dieser Mann war nicht wie ihr Vater. Eher wie...

„Herr... ähm...“

„Oikawa. Yukio Oikawa.“

„Oh, Sie haben auch einen Schneenamen?“, sagte Yuki und es war ihr kurz peinlich, dass ihr das raus gerutscht war.

„Bitte?“

„Ähm, weil ich auch aus Schnee bin, wissen Sie? Ich heiße nämlich Yukino. Yukino Amano.“

„Ein interessanter Zufall. Vielleicht sollten wir uns treffen.“

Yuki umklammerte Dinahs Geschirr fester. Das Zeichen der Nervosität spürte Dinah und bellte, aber sie traute sich nicht näher an diesen Fremden heran. Das sie so ängstlich war verunsicherte Yuki nur noch mehr. Dieser Mann barg etwas, aber sie konnte nicht sagen, was es war. Seine Präsenz war wie kalte Luft, die sich um einen Punkt sammelte. Alles um sie herum schien vom Nichts verschluckt zu werden. Sie hörte keine anderen Personen, keine Autos, nichts. Auch dies kam ihr bekannt vor.

„Ich suche Gleichgesinnte. Leute, die wie ich glauben, dass die Traumwelt nicht schlicht ein Traum ist. Das es mehr gibt wie diese Realität. Und hat man diese Grenze erst einmal überschritten können Träume wahr werden. Verstehst du das?“

„Ja. Das verstehe ich gut.“

„Und hast du Gleichgesinnte, denen du davon erzählen kannst? Die dich verstehen und den Traum mit dir teilen?“

Yuki überlegte und sie verspürte Scham, weil ihr niemand einfiel, obwohl sie krampfhaft überlegte. Jemand, der ihre Träume mit ihr teilte hatte sie wirklich nicht. Sie lebte damit einen eigenen Kopf zu haben und eigene Ideen. Das sei etwas individuelles, darum dachte sie nie wirklich daran unter Gleichgesinnten zu sein. Sie gab sich ja auch nicht mit anderen Blinden ab. Naomi war wie sie auch gehandicapt, aber lebte nicht in der Welt, in der Yuki lebte. Isuka genauso. Kari machte für Yuki immer den Anschein, als glaubte sie an schwer zu begreifende und unglaubliche Dinge, aber sie verschwieg diese immer. Vielleicht unterdrückte sie diese auch (sie erzählte, sie hätte bei diesem Bombenanschlag von '95 Monster gesehen und die anderen Kinder hätten sie deswegen ausgelacht). An die Erwachsenen glaubte Yuki noch weniger. Ihre Familie tolerierte es, aber Yuki würde nie behaupten, dass sie gleich wären. Zwei gäbe es von denen Yuki behaupten würde, dass ähnliches Gedankengut in ihren Köpfen vor sich hin köchelte. Doch keiner von beiden war mehr da.

Plötzlich fühlte sie sich unverstanden. Und einsam.

„Dir fällt niemand ein, so wie du schaust“, sagte Oikawa und es klang triumphierend wie amüsiert. Beschämt und einerseits auch sauer darüber, dass er sich darüber lustig machte drehte sich Yuki mit Dinah wieder Richtung Straße, allerdings nahm sie die Hündin auf die andere Seite, damit sie nicht noch nach Oikawa schnappte.

„Schämst du dich?“

„Ich möchte gehen. Ich bin spät dran, meine Mutter macht sich sonst Sorgen“, erklärte Yuki kühl, aber sie klang zu bitter.

„Du musst dich nicht grämen, junge Dame. Du stimmst mir sicher zu, wenn ich dir erkläre, dass Träumen nachzujagen vergeudete Mühe ist. In dieser Welt funktioniert das nicht. Aber es gibt andere Wege und andere Welten. Welten, wo die eigenen Wünsche wahr werden. Wo es keine Ausgrenzung mehr gibt. Mit Geliebten vereint und ohne physische Einschränkungen. Vielleicht kannst du ja diese Welten mit eigenen Augen sehen.“

Yuki wurde hellhörig und ihr Herz machte einen kurzen Sprung. Dieser Mann wusste, was er sagen musste und es erfüllte seinen Zweck. Ob er nur riet oder wusste, zu wem sie gehörte war Yuki nicht klar. Doch er verpackte es gut. Es klang verführerisch. Und welcher Blinde wäre nicht gerne wieder sehfähig?

Mit Geliebten vereint. Sie wüsste da einige. Und sie noch einmal sehen können wäre ein Traum.

Jedoch war dies nicht der Traum, den sie träumte. Das geliebte Persönlichkeiten fort waren hatte sie akzeptiert. Dass sie nie mehr sehen würde hatte sie akzeptiert. Das Wunderland hatte Yuki noch nicht gänzlich aufgegeben, doch wenn sie es fand, so war ihr immer klar, es würde ohne ihren Vater und ohne den Schwarzen König sein. Es zu finden war ein Traum, genau wie eine Zukunft mit der Musik aufzubauen, gerade weil sie gehandicapt war. Nun hatte sie so eifrig Klavierspielen gelernt. Und nun hatte sie auch ihren mürrischen Großvater so weit, dass er ein Stück Kuchen mit seiner Enkelin der Arbeit und Einsamkeit vorzog.

Das nun hinwerfen für eine Utopie? Dann wäre ja die Mühe umsonst gewesen. Es fühlte sich so unbefriedigend an. Man arbeitete und lernte doch nicht, nur um dass dann auf den Müll zu werfen. So hatte ihr Vater sie nicht erzogen. Was das ständige Trauern um Träume brachte hatte ihr Vater zu spüren bekommen und er wollte sicherlich nicht, dass Yuki auch so ein hoffnungsloser Fall wie er werden würde.

Und wenn er das hören würde, hätte er Yuki genau diese Worte ebenfalls an den Kopf geworfen.

Yuki war sauer, aber auf sich selbst und ihre Unsicherheit und schüttelte den Kopf um wieder klar zu werden.

„Was Sie sagen klingt sehr nett, Herr Oikawa. Aber ich habe kein Interesse“, erklärte Yuki möglichst höflich und holte tief Luft. Sie war aufgeregt, da sie nicht abschätzen konnte, wie Oikawa ihre Antwort aufnahm.

„Wie bitte?“, fragte er entrüstet. „Willst du behaupten, du möchtest nicht wieder sehen können, wie jeder normale Mensch?“

„Natürlich. Welcher Blinde würde das nicht wollen? Aber ich glaube nicht daran, dass sich das ändern wird. Ich mag meine Träume, aber irgendwann muss man auch aufwachen und in die Realität zurück. Meine Traumwelt mag skurril und bunt sein, aber in der Realität bin ich nun einmal blind und werde es immer sein. Damit muss ich klar kommen. Genauso das Tote nicht mehr zurückkehren.“

„Du willst es dir also unnötig schwer machen? Die Realität – die Welt, in der wir leben ist rücksichtslos und unbarmherzig. Leute wie du und ich werden von ihr in den Dreck geworfen und verlacht. Ich bin schon etwas zu alt, aber du bist noch blutjung. Bei dir lässt sich noch viel ändern, wenn du nur zulässt, dass ich dir die Hand reiche.“

„Nein“, rief Yuki auf und demonstrativ verbarg sie ihre noch frei Hand hinter sich. „Alles was ich tun muss ist aufwachen und aufstehen. Träumen ist okay. Für eine gewisse Zeit zumindest.“

Oikawas Hand, die er Yuki reichen wollte blieb verloren in der Luft schweben. Er war überrascht. Er dachte, dieses Mädchen wäre leicht zu überzeugen. Sie war schließlich blind und was wollte sie mit so einem Leben? Außerdem wäre es ein interessantes Experiment gewesen wie die Saat der Finsternis sich auf so jemanden auswirkte und ob sie nicht nur intelligent und sportlich machte, sondern auch Behinderungen heilen konnte.

Er würde es nicht erfahren. Yuki blieb trotzig und von sich überzeugt. Oikawa war überrascht. Und wütend.

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Oikawa. Ich muss nach Hause und backen. Und noch schöne Weihnachten“, sagte sie weiter möglichst höflich und machte wieder Richtung Straße kehrt. Dinah spürte, dass ihr Frauchen nun nicht mehr wie festgewurzelt auf dem Gehweg stand, sondern das ihre Beine gewillt waren zu gehen und sie führte Yuki mit großer Freude über die Straße, beobachtete von Oikawa, der noch nicht ganz fassen konnte, wie diese Göre mit ihm redete. Dann ging er ihr einen Schritt nach und streckte die Hand aus, um sie zu packen.

„H-Hey, warte mal kurz -!“

(Lass sie!)

Oikawa bekam Yuki nicht mehr zu fassen. Seine Hand erstarrte bei dem Versuch, das Mädchen an der Schulter festzuhalten in seiner Wut darüber, dass sie so frech war. Yuki spürte das, ignorierte es aber und ging weiter.

Oikawa sah Yuki nach. Und er hörte Stimmen in seinem Kopf, die er für sein Gewissen hielt, aber nicht wirklich wie seine Stimme klang.

(Lass sie gehen! Sie ist ungeeignet!)

Er ließ sie gehen. Vermutlich stimmte es. Dieses Mädchen war für seine Pläne nicht geeignet. Dafür war sie zu

( stur zu rechthaberisch zu aufmüpfig zu verträumt drei Jahre und dieses Kind hat nicht geändert)

anders.

Gedankengänge, die nicht seine waren, zogen ihre Runden durch Oikawas Kopf:

Sie war groß geworden. Sie war nicht mehr so blass. Sie war nicht mehr dünn, sondern schlicht schlank. Sie sah gesünder aus. Sie war hübsch. Schade, dass sie nie in einen Spiegel sehen würde. Sie war so alt wie er damals und sah ihm nun noch viel ähnlicher. Und ihr Mundwerk war immer noch gewaltig.

„Dein liebster Zeitvertreib ist es also immer noch mir grundsätzlich zu widersprechen? Drei Jahre und du bist so stur und rechthaberisch wie immer.“

Yuki blieben mitten auf dem Zebrastreifen stehen.

„Onkel-“

Aber sie hörte nichts. Dinah zog an Yuki, damit sie von der Straße runterkamen, aber sie war wie angewurzelt. Ihr Puls pochte so stark, dass ihre Knie weich wurden. Yuki spitzte die Ohren, aber sie hörte nur die typischen Stadtgeräusche und die entfernten Laute von Autos. Auch diesen dubiosen Oikawa hörte sie nicht, noch spürte sie ihn. Er war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Geradezu gespenstisch. Wie -

„Es war seine Stimme. Ganz sicher...“, murmelte Yuki in sich hinein. Dinah hörte ein Auto in ihre Richtung kommen und zog so fest, dass Yuki nicht anders konnte wie mitzugehen. Aber auf dem Bürgersteig blieb sie immer noch stehen, während Dinah nervös winselte. Yuki kraulte sie hinter den Ohren.

Wind kam ihr entgegen. Er roch nach Winter, nach mehr aber auch nicht.

 
 

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Es fing mit Migräne an. Darüber machte sich Yukio Oikawa auch erst keine Sorgen. Im Sommer 1999, nur wenigen Wochen nach dem Tod seines besten Freundes Hiroki Hida ging Oikawa kaum vor die Türe und begann abends mal neben einem noch ein zweites Bier zu trinken (aber nie mehr). Daher schob er die ständigen Kopfschmerzen auf die Trauer, den Alkohol und die starken Wetterschwankungen, die Anfang August ihr Unwesen trieben. Doch die Migräneanfälle hielten sogar über den Herbst, bis in den Winter hinein, ganz besonders an sehr sonnigen Tagen. Da Photophobie ganz klassisch für Migräne war, schob Oikawa es darauf und verkroch sich über den Tag mit Schmerztabletten ins Bett, bis es dunkel wurde.

Obwohl im Winter die Anfälle seltener wurden ging er dennoch zum Arzt, denn neben der Migräne zeigte sich bei ihm ein Gewichtsverlust, obwohl er für seine gewohnten Verhältnisse sehr viel aß, ständige Müdigkeit und allgemeines Unwohlsein. Ein großes Blutbild ergab eine Leukozytose und einen erheblichen Eisenmangel, dass es den Arzt wunderte, dass Oikawa noch laufen konnte. Bei diesen überaus niedrigen Werten wurde Oikawa einmal durch sämtliche Abteilungen verwiesen und wieder zurück. Man vermutete innere Blutungen oder einen Parasiten, auch von Tumoren war einmal die Rede. Er ließ sämtliche Untersuchungen über sich ergehen vom CT bis zum MRT und gab alle möglichen Proben ab – aber ohne Befund, trotz der starken Anämie.

Ihm ging es in der Zeit körperlich sehr schlecht. Er schob es auf den Stress. Er verlor oft das Bewusstsein und sah... Dinge. Sein Körper stabilisierte sich irgendwann, was sich aber kaum einer bei den Werten erklären konnte. Anders jedoch sah es mit Oikawas psychischen Befund aus. Er wurde antriebslos, im nächsten Moment aggressiv. Er hörte fremden Stimmen und sah Bilder. Man gab ihm eine Überweisung mit Verdacht auf Schizophrenie und eine Telefonnummer eines Psychiaters und Psychotherapeuten. Er ging nie hin.

Oikawa isolierte sich von der Welt und oft war das Licht der Computer das einzige Licht, dass er über Tage zu sehen bekam. Er wurde zunehmend gereizter und noch schlimmer – paranoid. Die Welt in der er lebte war verdorben und schlecht. Seine einzige Hoffnung war es in die Digiwelt zu gelangen und etwas in seinem Innersten sagte ihm, dass sie nur auf ihn wartete. Seit Hiroki sich in der Mittelschule mit ihm anfreundete und die beiden regelmäßig vor der Konsole saßen waren sie überzeugt, dass mit so manchen Spielen etwas nicht stimmte. Spiele ohne Titel und ohne einen Vermerk auf den Hersteller gingen herum. Einige zerstörten die Konsolen, andere wenige funktionierten. Und noch weniger offenbarten seltsames. Man hätte es mit Bugs vergleichen können, daher fanden sich diese Spiele schnell im Müll oder in einem Tisch für Sonderangebote wieder. Hiroki und Oikawa glaubten aber an mehr, nicht zuletzt wegen dem ominösen Wunderland-Fall. Oikawa lebte mit seinen Eltern damals in der selben Straße wie die Morikawa-Zwillinge. Die Familie Usui wohnte neben der Familie von Hiroki, bis sie Anfang der Achtziger wegzogen. Der Wunderland-Fall drehte in ihrer Nachbarschaft die Runde und natürlich bekam Oikawa mit, was Kanako und Soichiro Morikawa versuchten den Erwachsenen zu erklären. Sie erzählten ziemlich krudes Zeug von fremden Fantasiewelten. Ähnliches hörte Hiroki auch von dem jüngsten Sprössling der Usuis. Als die ersten Bugs und Fehler über ihre Fernsehbildschirme flimmerten und der Ton verrückt spielte glaubten sie etwas zu erkennen oder vielmehr zu spüren. Etwas, das lebendig war.

Die Bestätigung einer Digiwelt offenbarte sich Oikawa noch zwei weitere Male.Das eine Mal, als sich 1989 der Wunderland-Fall wiederholte (jedoch nicht in dem Ausmaß, entsprechend war er nicht so lange Gesprächsthema) und dann dieser Terroranschlag im Frühjahr 1995. Offiziell war es ein Bombenangriff, aber Zeugen wussten was es war – ein Dinosaurier und ein riesiger Papagei kämpften auf den Straßen von Hikarigaoka, dann verschwanden sie gen Himmel. Mancher hielt es für göttliche Fügung, andere für eine Promo oder dass diese beiden Kreaturen das Resultat von Gen- und Atomtests waren. Aber um Oikawa nur im Ansatz an so etwas glauben zu lassen, sahen diese beiden Wesen, die auf sehr schlechten Fotos noch schlechter bis gar nicht zu kennen waren den Monstern aus seinen Videospielen zu ähnlich. Dazu dieses Licht am Himmel, dass sich auch keiner erklären konnte. Während einige von UFOs sprachen, glaubte Oikawa immer mehr an ein Tor in die digitale Welt, mit der er seit seinem Eintritt in die Oberstufe in Kontakt treten wollte, aber stets scheiterte.

Das Licht offenbarte sich 1999 im August erneut, doch Oikawa konnte nichts tun, wie den Kindern hinterher sehen, die seinen Traum lebten, während sein Hass erwachte. Was hatten sie, was er nicht hatte? Er bemühte sich seit Jahren diese Welt zu sehen und durfte nicht. Er glaubte mit aller Macht an diese Welt, die jeder leugnete. Er liebte diese Welt regelrecht, weil sie so viel einfacher und glücklicher war wie seine. Aber ihm war der Eintritt in die Digiwelt verwehrt. Als ob

(als ob man Alice verbieten würde in das Kaninchenloch zu springen)

Ja. Genau das.

Apropos Alice – Oikawa mochte das Buch nicht. Er wurde im Englisch-Unterricht dazu gezwungen eine Interpretation von Lewis Carrolls Gedicht über den Jabberwock zu schreiben und kam auch nicht drum herum, etwas über Alice im Wunderland zu recherchieren und Oikawa kam zum Schluss, dass wenn Carroll irgendwas zu sich nahm er es eindeutig übertrieben hatte. Oikawa vergaß das Buch und Carroll auch nach dieser Schularbeit, bis im Frühjahr 2000 ihm das Buch auf dem Weg zu einem Arzttermin ins Auge fiel und er es ohne lange zu überlegen kaufte. Er begann es im Wartezimmer zu lesen und hatte bis zum Abend schon mit ALICE HINTER DEN SPIEGELN begonnen. Plötzlich sah Oikawa die Geschichte mit anderen Augen. Vielleicht lag es daran, dass er nun Erwachsen war und mehr verstand, doch plötzlich fing er an mit gewissen Figuren zu sympathisieren (oder manche noch mehr zu hassen). Meist drehte sich aber doch alles um Alice. Das Buch. Auch seine Träume. Er träumte von Alice im Wunderland.

Oikawa bekam in diesem Jahr einen Alice-Film aus den frühen dreißiger Jahren zu fassen und diese lief im Hintergrund und berieselten ihn mit Nonsens-Geplapper und Wörtern, die es nicht gab. Der Film war schwarz-weiß, aber man erkannte, dass die Darstellerin von Alice dunkles Haar besaß. Und das störte ihn. Massiv. Oikawa konnte nicht einmal sagen warum es ihn störte, aber es fühlte sich falsch an. Er sah es und eine Stimme sagte, das ist nicht meine Alice. Alice war hellblond. Alice hatte strahlend blaue Augen. Alice hatte nahezu weiße Haut und rosa Wangen. Alice hatte kurzes Haar. Alice hatte die Finger eines Klavierspielers.

Oikawa war sich nicht sicher, ob das seine Stimme war, die das behauptete. Manchmal klang sie wie seine, manchmal nicht. Aber von der Art wie diese Stimme sprach, klang es wie die Stimme, die ihn immerzu ermahnte weiter zu machen. Er tat es doch schließlich für die Digiwelt.

Oikawa glaubte, dass es sein Gewissen war. Er glaubte fest daran. So fest, dass er sein Gewissen manchmal sogar sah. Sein Gewissen haftete an ihm wie ein Schatten. An Abenden, wo er in seinem komplett dunklen Zimmer an seinem Computer saß und dieser Film lief bekam sein Gewissen eine Gestalt.

Oikawa konnte sich nicht erklären, warum sein Gewissen so aussah, aber es tat es und Oikawa glaubte, es hätte eine Bedeutung. Sein Gewissen war ein großer Mann, vielleicht sogar etwas größer wie Oikawa selbst (ein Zeichen eines verborgenen, großen Egos?). Eine männliche Gestalt, die aber ausländisch wirkte (Fremdgefühl in der eigenen Umwelt?), attraktiv war (verborgenes Wunschdenken?) und zudem sehr dunkel gekleidet (Melancholie?). Und diese Gestalt saß erhaben in Oikawas Sessel und sah sich den Film an. Sein Gewissen sprach kein Wort, aber Oikawa spürte was dieses dachte. Das Weiße Kaninchen nervte ihn, genauso wie der Hutmacher und der Märzhase, ähnliche fühlte sich Oikawa auch manchmal bei Arukenimon und Mummymon. Besonders Erstere war zickig und sturköpfig, Eigenschaften, die Oikawa nicht leiden konnte. Doch ihm stieg die Wut hoch, wenn er die Herzogin und die Grinsekatze sah. Alice' Anblick jedoch besänftigte ihn. Der Teil, der sich um ALICE HINTER DEN SPIEGELN drehte war besser. Die Schachfiguren nervten ihn auch, aber nicht so sehr wie die Karten zuvor. Dideldum und Dideldei sahen in diesem Film und den Masken absolut gruselig aus. Das Walross und der Zimmermann amüsierten ihn etwas (Ja, Arukenimon und Mummymon passten wohl eher zu den beiden). Dann trat die Weiße Königin dazu und Oikawa spürte ein Pochen in seinem Herzen. Ein angenehmes. Er spürte es immer, wenn er den Film bis zu dieser Stelle laufen ließ. Auch wenn sein Gewissen nicht eine Miene verzog, glaubte man doch, sein Gesicht klarte auf. Seltene Abend waren das, wo Oikawas Gewissen das tat, zumindest so auffällig. An solchen Abenden sah Oikawa auch manchmal eine Frau vor sich. Eine Priesterin oder eher ein Mönch, zumindest war sie wie jene gekleidet, die in buddhistischen Tempeln ihren Dienst verrichten. Ihre Haut und Augen waren hell, die Haare lang und goldblond. Nicht gerade Oikawas Typ – generell hatte sich Oikawa nie wirklich für Frauen interessiert – aber trotzdem konnte man zurecht sagen, dass sie eine Schönheit war. Wer sie war wusste er nicht und Oikawa fiel nicht ein, wo er so jemanden mal begegnet sein sollte.

Die Bilder waren verschwommen und oft vollkommen zusammenhangslos. Manchmal aber glaubte er fühlen zu können, wie sie ihn umarmte oder dass sie im Schlaf neben ihm lag. Ihre Worte und Sutras glichen Gesang. Sie waren voller Liebe. Nicht für ihn. Er hatte schon früh bemerkt, dass diese Worte jemand anderem galten. Sie waren allein an sein Gewissen gerichtet, das fast sehnsüchtig die Weiße Königin und Alice auf dem Bildschirm beobachtete. Sein Gewissen, dass ihm so fremd schien. Wie ein anderes Wesen.

Wo war er eigentlich?, hörte Oikawa manchmal sein Gewissen denken, wenn der Film fast zu Ende war, aber die Erkenntnis folgte zugleich. Es ist ja der Traum des Schwarzen Königs. Der Schwarze König schlief und träumte von Alice. Natürlich war er nicht in diesem Film. Natürlich war er nicht bei Alice.

Und diese Stimmen und diese Bilder verfolgten Oikawa bis in den Schlaf und ließen ihn trotz großzügiger Menge Mirtazapin (nachdem das ganze pflanzliche Zeug nicht half) nicht ruhen. Die Bilder waren zu echt und manchmal lag er mit Herzrasen im Bett. Er fand sich auf einem Schlachtfeld wieder. Er sah Kreaturen sterben. Er hielt selbst ein Schwert in der Hand. In der anderen die Hand eines Kindes. Er hörte Kinder schreien. Eines lag tot auf dem Boden. Er sah Engel, die versuchten ihn umzubringen. Einer schoss ihm einen Pfeil in die Brust. Ein Zeichen seiner Sünde? War er das? Ein Sünder? Ein Verbrecher?

Oikawa hatte Dinge vor. Schreckliche Dinge. Aber Dinge, die getan werden mussten. Die Tore zur digitalen Welt mussten sich öffnen und dann würde alles besser werden.

(es gibt Dinge die nötig sind)

Es gibt Dinge, die nötig waren. Der Zweck heiligte die Mittel. Und die Kinder, die er dafür ins Visier genommen hatte würden es ihm eines Tages danken. Sie waren bedauernswerte Geschöpfe, die nur eines wollten.

(eine Welt die zu unsereins passt)

Eine Welt, die zu ihrereins passte. Welche Welt wäre da besser als die Digiwelt? Eine Welt die Oikawa schon seit zwanzig Jahren rief. Ein Nimmerland. Ein Sankt Martinsland. Ein

(Wunderland)

Wunderland. Nur waren die Kinder noch nicht so weit. Ken war ein gutes Testobjekt gewesen und man konnte die Wirkung der dunklen Saat genau studieren. Die Geschichte der Ichijoujis baute auf Tragödien auf. Kouta Ichijouji verschwand in jenem Sommer von '79, Osamu Ichijouji verstarb tragisch und jung im Jahre 2000. Dass Ken der einzige noch lebende Neffe von einem Jungen war, der ebenfalls in den Wunderland-Fall verwickelt war und wie Oikawa die Grausamkeit des Verlustes erdulden musste war der perfekte Kandidat. Warum der Zerstörungswahn des Digimonkaisers jedoch plötzlich versiegte und er sich für die Digiritter entschied verstand Oikawa nicht.

 
 

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Myotismon, oder zumindest der letzte Rest von ihm, zusammengehalten durch Hass und Rachsucht, verstand es ebenso wenig. Über drei Jahre saß er in diesem Körper fest und erst seit zwei war er überhaupt in der Lage Einfluss auf diesen Menschen auszuüben. Dass Oikawa dabei schwach und krank wurde und vielleicht deswegen einen frühzeitigen Tod erfahren müsste kümmerte ihn nicht. Am Ende wären sie ohnehin alle im ewigen Abgrund. Und mit den Digirittern würde er anfangen.

Er hätte längst wieder einen eigenen Körper haben können, wären sie nicht gewesen. Wäre die dunkle Saat erblüht wäre Einiges um vieles leichter gewesen. Die Schwarzen Türme hätten als Verstärker fungiert und die Digiwelt in Dunkelheit getaucht und Myotismon hätte in drei Jahren das geschafft, wofür Piedmon Jahrzehnte brauchte. Das Geschehen vom 03. August 1999 hätte sich wiederholt. Doch wer rechnete damit, dass sie auf die alten Digi-Armor-Eier der Hohen Serums stoßen würden. Und ohne Kens Hass verkümmerten die dunklen Daten, mit denen er sich einst aus Versehen infizierte und die Schwarzen Türme waren wenn überhaupt nur noch als Kanonfutter zu gebrauchen. Aber das konnte ihm Zeit verschaffen. Es gab genug Kinder in dieser Welt, die ohne Träume waren und begriffen, das sich diese nicht lohnten. Wer brauchte Ken, wenn es allein in dieser Stadt genug andere Nährböden gab? Myotismon musste nur Oikawa das alles weiter schmackhaft verkaufen. Aber das war ein Kinderspiel. Alles für seine Rache. Rache. Was anderes gab es nicht mehr.

Myotismons Hass pochte in Oikawas Herz und trieb ihn trotz körperliche Schwäche zu Taten, auf die er nie gekommen wäre. Myotismons Hass war ein Parasit und je mehr Lebenskraft er zu sich nahm, um so mehr wurde dieser Hass zu einem Geschwür, der bald das Licht der Welt erblicken würde. Dieses Geschwür, zu dem Myotismon geworden war kannte keinerlei positiven Gefühle mehr. Die Musik. Hisaki. Sanzomon. Yuki. Alles hatte er verdrängt. Er brauchte das für seine Rache nicht. Oikawa war aber trotz dieses hasserfüllten Nutzniesers in ihm ein sensibler Mensch und seit der das erste Mal von Myotismons Erinnerungen an Alice und an die Weiße Königin träumte, bewahrte er diese in einem Winkel seiner Erinnerungen auf. Sie bestätigten seine leise Ahnung, dass sein Gewissen mehr war. Wenn Oikawa Myotismons Schatten im Sessel sitzen sah – der Teil von ihm, der im Abgrund schlief und von diesem Geschwür nicht mehr gebraucht wurde - wusste er, dass dieses Gewissen ihm ähnlich war. Auch er war jemand, der Geliebte hatte und nun für immer von ihnen getrennt war. Das Mädchen von kürzlich sah Alice ähnlich.

Und weil Oikawa glaubte, dass er und Myotismon etwas wie Seelenverwandte waren, glaubte er auch nie daran, dass sein Gewissen ihm etwas böses wollte. Also machte Oikawa weiter. Ohne Reue. Ohne Skrupel.

Für ihr Wunderland.

 
 

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24.12.2002

 

„Iiiiiiiaaaaah!“

Naomi schrie. Isuka hielt sowohl sie als auch Yuki am Arm fest, weil Naomi sonst weggerannt wäre und Yuki nicht wüsste, wohin sie sollte. Erst sponn die Elektronik, dann bebte die Erde und dann fingen alle an zu schreien. Einzig was Yuki aus der Panik heraushörte war „Monster!“.

Eine Horde Bakemon und Phantomon versperrten den drei Mädchen den Fluchtweg.

„Das sind die selben wie von vor drei Jahren!“

„Was machen die hier?“, schrien Yukis Freundinnen verängstigt beim Anblick der Geist-Digimon, sie selber bekam von deren Anwesenheit nichts mit. Dafür bebte der Boden unter ihr durch das Gestampfe des DarkTyranomon weiter weg.

Die Bakemon fixierten die drei Mädchen, während Phantomon schon etwas komplexer dachte. Die dunkle Macht des schwarzen Turmes hatte sie zurückgeholt, beziehungsweise ihre Daten wieder einigermaßen hergestellt, die vor drei Jahren hier zerstört wurden, entweder bei dem Überfall auf Odaiba oder Daten, die Zwischen den Welten verlorenen gegangen waren, als die Reale Welt und die Digiwelt sich durch die Meister der Dunkelheit annährte. Doch als Geist-Digimon blieben sie Bugs und nun auch nur Kopien wie alle anderen Digimon auch, waren sie schwächer wie einst und nicht mehr oder noch nicht ganz bei Verstand. DarkTyrannomon wusste nur noch, dass er mit einem Feen-Digimon kämpfte und wütend darüber zerstörte es alles. Andere, die Megadramon erinnerten sich nur noch an einen Befehl. Kinder. Digiritter. Auslöschen. Ebenso die Bakemon. Kinder suchen. Sammeln. Wenn nötig töten. Phantomon dachte noch weiter. Aber auch er erinnerte sich an einen Befehl. Ein Kind suchen. Er hatte einen Meister. Aber wo war er? Wo war sein König? Wie kam er in diese Welt? Was war geschehen?

Bis Phantomon sich wieder an Myotismon und die Digiritter erinnerte, sprang Raidramon auf sie lund schlug die Geist-Digimon mit einem blauen Donnerschlag in die Flucht. Die drei Mädchen schrien bei dem grellen Licht und der Spannung, die der Schlag verursachte.

„Bringt euch in Sicherheit!“, forderte Raidramon sie auf und folgte Phantomon, der vorher noch versuchte ihn mit seiner langen Kette einzufangen. Die Mädchen blieben jedoch weiter wie angewurzelt stehen. Isuka und Naomi beobachteten den Kampf mit weit aufgerissenen Augen, während Yuki sich nur auf die Geräusche konzentrierte.

„Worauf wartet ihr?!“, rief ein Mitarbeiter von Fuji TV ihnen zu und winkte die drei zu sich. „Kommt rein, hier seid ihr sicher. Lasst sie das ruhig machen.“

„Los, kommt schon!“, forderte Naomi ihre beiden Freundinnen auf und die drei rannten los, während Yuki weiter ihre Ohren gespitzt hielt. Es gab einen Knall. Etwas war eingestürzt. Hoffentlich kein Gebäude. Sie hörte Namen. Stingmon. Greymon. Birdramon. Ikkakumon. Alle endeten mit -mon. Yuki hörte ein altbekanntes Wort. Digitieren. Waren das etwa Digimon?

Es war Matts und T.K.s Vater, der die Leute ins Gebäude holte, um sie so vor Angriffen zu schützen während seine beiden Söhne mit ihren Partner das Chaos da draußen versuchten in den Griff zu kriegen. Nachdem er den Haupteingang verschloss sprintete er über die Treppe nach oben und durch den Adrenalinschub machte ihn die Anzahl der Treppen auch kaum zu schaffen. Die drei überforderten Mädchen folgten ihm einfach hinauf.

Die Leute, Arbeiter von Fuji TV wie auch Besucher der gesponserten Show standen an den Fensterscheiben und beobachteten den Kampf. Die meisten waren sprachlos, ein paar andere schoben Panik, da sich das Geschehen von vor drei Jahren zu wiederholen schien und sich fragten, ob man sie wieder gefangen nehmen würde. Isuka und Naomi quetschten sich, mit Yuki in der Mitte, die sich an ihnen festhielt durch die Mengen um von ganz vorne den Kampf folgen zu können.

„Das ist wie vor drei Jahren“, nuschelte Isuka mit Entsetzen. Andere Leute um sie herum schauten fassungslos den kämpfenden Monstern zu. Die Kinder, die man im Schutz der Dunkelheit ohnehin kaum erkannte und sich in Ecken verbargen schenkte man weniger Beachtung.

„Isuka, Naomi, was seht ihr?“

„Da haben eben zwei Dinosaurier gekämpft“, erklärte Naomi. „Aber der eine ist eben in einem gleißenden Licht verschwunden.“

„Schaut mal! Ein paar von ihnen verwandeln sich!“, rief Isuka aufgebracht und drückte dabei fast ihre Nase an die Glasscheibe. Naomi rückte ihre Brille mit den zwei unterschiedlich dicken Gläsern zurecht, trotz allem glaubte sie, ihr Augenlicht spiele ihr einen Streich. Yukis Herz begann derweil schnell zu schlagen und ihre Hände schwitzten. Es klang alles danach, dass diese Monster Digimon waren. Yuki war sich sogar absolut sicher. Wenn es aber doch die selben waren wie von vor drei Jahren, müsste dann er auch hier sein?

Sie hatte es sich also nicht eingebildet. Onkelchen war wieder da.

„Hey, Geburtstagskind? Alles in Ordnung?“, fragte Naomi ihre blass gewordene Freundin. Sie erklärte es sich damit, dass Yuki vielleicht einfach Angst hatte bei dem Gedanken, das da draußen riesige Monster waren, die sie nicht mal sehen konnte.

Der Kampf war vorbei. Ein großer Drache und ein Teddybär verschwanden ebenso in einem hellen Schein. Die Monster, die sie bekämpft hatten verschwanden von der einen auf die andere Sekunde. Der Strom war ausgefallen, darum sah man die Kinder, die zu ihnen liefen immer noch nicht.

Yuki schluckte laut und holte anschließend Luft.

„Bei diesen Monster... Ist da auch eines dabei das menschlich aussieht?“

„Da war ein Engel dabei“, erklärte Isuka und weiter auf das Geschehen blickend. Besagter Engel war plötzlich fort und wie Naomi, die es aber auf ihr schlechtes Auge schob, fragte sie sich ob sie wirklich gesehen hatte, wie der Engel mit dem Ankylosaurier verschmolzen war.

„Meinst du das?“

„Nein! Nein, ich meinte eines, dass auch vor drei Jahren hier war. Es sieht fast menschlich - Nein, es sieht wie ein Vampir aus.“

„Wie ein Vampir?“, fragte Naomi ungläubig.

„Ja. Es müsste wie ein junger Mann aussehen, blond und mit langen Eckzähnen. Wie ein Vampir eben.“

„Ich weiß, was du meinst“, sagte Isuka und schaute dabei ernst. Yukis Beschreibung weckte Erinnerungen. Isuka wurde vor drei Jahren ebenfalls von den Monster mit ihrer älteren Schwester gefangen genommen und sie erinnerte sich noch gut an den Anführer dieser Kreaturen. Er hatte sie all zu einer weißen, sprechenden Katze geschleift. Isuka bekam damals Todesangst, jedes Mal wenn dieser Vampir anwesend war.

„Keine Sorge, Yuki. Der ist hier nicht“, erklärte Isuka, in der Überzeugung Yuki beruhigt zu haben und sah weiter zu, wie diese Monster, die sie gerettet hatten wieder kleiner wurden und schließlich aus ihrem Blickwinkel verschwanden. Weder ihr noch Naomi wurde klar, dass diese Aussage bei Yuki auf wenig Begeisterung stieß. Natürlich fragte sie sich, wie dass alles sein konnte. Und wenn es wirklich die gleichen waren – warum war Onkelchen nicht bei ihnen? War er überhaupt hier? Konnte das, nach all der Zeit überhaupt sein? Aber er war doch -

Aber hatte sie ihn nicht erst letzt gehört? Aber wenn er es war, warum besuchte er sie nicht?

Yuki hörte einen Klang. Aber sie konnte ihn nicht einordnen.

 
 

 

26.12.2002

 

Oikawa stank nach Tod und kalten Grab. Das hatte nichts mit einem billigen Deodorant, sondern mit diesem Geschwür in seinem Inneren zu tun und Deemons Hass auf Myotismon war so tiefgreifend, dass er ihn sofort in diesen Menschen erkannte. Deemon wusste nicht, für wen von beiden er mehr Mitleid empfinden sollte, doch er hatte ein wenig Respekt vor Myotismon, dass er so beharrlich bei der Sache blieb. Stur wie eh und je und von einer Fledermaus, der sich bereits in der Apartheid durchsetzte erwartete er nichts anderes. Auch nicht, dass es mal wieder Myotismon war, der ihm in die Quere kam. Langsam war es nicht einmal mehr witzig.

Die Nacht brach an. Trotz des Großstadtlärms hörte Deemon wie LadyDevimon und Silphymon, dass zuvor noch Angewomon war sich im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft zerfetzten. Frauen waren gruselig, auch wenn sie Digimon waren.

Der Musik des Kampfes weiter lauschend genoss Deemon das winterliche Wetter. Er musste Myotismon seinen Dank entgegenbringen, dass er sich dazu entschloss zu dieser Jahreszeit aktiv zu werden. Vielleicht wurde auch er erst aktiver, gerade weil es seine Jahreszeit war. Jammerschade nur, dass es nicht schneite.

Sicherlich war Myotismon und seiner Marionette nicht klar gewesen, dass durch das leichtfertige Öffnen der Tore der Digiwelt auch die Pforten zu der Dunklen Zone frei wurden. Anubimon hoffte wohl, Deemon und seine Genossen für immer dort festhalten zu können, zusammen mit ihm selbst. Aber Apokalymons dramatische Vernichtung hatte interessante Nebeneffekte. Abgesehen davon, dass Deemon sein Haustier verlor, es Chaos in der Digiwelt verursachte und er nun damit beschäftigt war, die Einzelteile wieder einzusammeln. Anubimon, der darüber richtete was mit den Daten getöteter Digimon geschah, Himmel oder Hölle, beziehungsweise Wiedergeburt oder Löschung, hatte auch seine Geheimnisse. Er agierte komplett passiv, mit der Begründung, als er das letzte Mal aktiv war, hätte er fast die Digiwelt abgefackelt. Nun hatte er seine Emotionen abgelegt, um auch neutral richten zu können. Er behandelte Deemon und seinesgleichen vollkommen neutral, schließlich hatten sie bisher nichts gravierendes verbrochen. Ob er wusste, dass Deemon seinen Traum eines dunkle Wunderlandes noch nicht aufgegeben hatte war Deemon nicht so ganz klar.

Jedoch war Anubimon mit anderen Dingen beschäftigt. Er irrte in der Dunklen Zone umher und suchte etwas. Er suchte Daten. Zuerst glaubte Deemon es wären die Reste von Apokalymon, die Anubimon dann vielleicht endgültig vernichten oder versiegeln wollte, um dem Spuk ein Ende zu setzen. Apokalymon hing da auch mit drin, aber Deemon hatte eine Ahnung, was das wirklich für Daten waren. Und es fehlten noch. Das, was fehlte, steckte in diesem bedauernswerten, machtlosen Menschen. Den zu eliminieren wäre leicht.

„Leider habe ich etwas versprochen...“, murmelte Deemon verärgert, dann seufzte er. „Selbst wenn die kleine Alice nicht da ist, macht sie einem Ärger.“

Die Tore öffneten sich in der Nacht von Heiligabend auf den ersten Weihnachtstag und Deemons erster Anhaltspunkt war Yukis zu Hause. Sie und ihre Mutter lebten noch im selben Gebäude, aber in einer der anderen Wohnung, die etwas größer war. Wie damals saß Deemon im Baum von dem man aus in Yukis Zimmer schauen konnte. Sie schlief (es war ja auch drei Uhr morgens) und mit ihr auf dem Bett schlief ihr Hund, der allein von seiner Färbung an ein Dobermon erinnerte.

Reisekoffer standen in einer Ecke des Zimmers, zwei Luftballon (auf einem stand HAPPY BIRTHDAY) schwebte einsam an der Decke. Sie hatte wohl Geburtstag. Wie alt war sie nun? Elf? Nein, sogar zwölf? Sie war nun so alt wie ihr Vater damals und sah ihm nun noch viel ähnlicher.

Ob sie wusste, dass ihr Onkelchen noch lebte und vor allem noch hier in dieser Welt sein Unwesen trieb?

Ob Myotismon sie manchmal aufsuchte? Nicht unbedingt deswegen, weil er die kleine Alice ja doch irgendwie mochte, dass schloss Deemon aus. Deemon spürte zwar Myotismons Präsenz in Oikawas Körper, aber das da war nicht das Myotismon, geschweige denn das Digimon, dass er kannte. Er hatte sich verändert. Zum schlechteren. Das würde eine Menge Ärger mit sich bringen. Deemon könnte es verhindern. Und wie es aussah würde die kleine Alice sogar verreisen. Sie würde nichts mitbekommen.

Leider besaß Deemon etwas, was man Ehrgefühl nannte.

„Zum Teufel noch eins… Aber denk nicht, dass ich dir diese Genugtuung verschaffe. Ich bin nicht wie die alten Viren. Ich stehe zu meinem Wort“, murmelte Deemon in die Nacht. Ein kalter Wind blies ihm direkt ins Gesicht. Der Wind trug einen Schrei mit sich. Er klang nach LadyDevimon. Neben seinen Brüdern SkullSatamon und MarineDevimon war nun auch sie von den Digirittern vernichtet worden. Diese Plagen waren noch schlimmer wie Myotismon und bei weitem nervtötender. Aber auch gefährlicher. Ein Teil der Bande hatte Apokalymon beseitigt. Etwas, was zwei Generationen vor ihnen nicht geschafft haben, obwohl diese damals im Vergleich zu ihnen weit besser gewappnet, erfahrener und stärker waren. Das gab Deemon zu denken. Er musste dies Kinder loswerden. Dann Myotismon. Oder vielleicht hatte er ja Glück und sie machten sich gegenseitig den Gar aus. Für Deemon eine Win-Win-Situation.

Was wollte Myotismon überhaupt mit den Restdaten von Deemons ehemaligen Haustier? Da sie Richtung Nerima fuhren hatte Deemon die leise Ahnung, dass sein Ziel die Digiwelt war. Was die Kinder damit zu tun hatten erschloss sich Deemon nicht, aber gut, wenn er die Daten kopierte, dann würden sie sich schneller vermehren und er könnte sein Haustier vielleicht wieder zusammenbauen. Nur musste er nun die ganzen Kinder dafür einsammeln und schließlich hasste Deemon Kinder. Nicht zu vergessen und das war noch wichtiger, die Originaldaten, die Humpty Dumptys Neffe besaß.

„Der Blutsauger macht einem echt nur Arbeit. Hätte ich nur…“, knurrte Deemon verärgert. Und nun musste er alles auch noch alleine machen. Aber er würde sich holen, was ihm, als Dämonenkönig zustand, auch zu Ehren seiner gefallenen Kameraden. Ob Myotismon ihn noch erkennen würde? Oh, er hoffte es inständig.

 
 

 

27.12.2002

 

Es müsste so ziemlich genau zweieinhalb Jahre her sein, als Ken eine Mail an die beiden Jungen im Internet schickte, um einen wildgewordenen Computervirus zu bekämpfen. Haargenau ein halbes Jahr darauf sprang das Digivice aus dem Computer seines älteren Bruders. Dass Ken sein Digivice früher erhielt wie Davis, Yolei und Cody lag eventuell daran, dass sein Digivice, sein Wappen und sein Digimon schon längst da waren und auf ihn warteten.

Da sich Ken langsam wieder an diesen ekelhaften Schmerz in seinem Nacken erinnerte kehren auch immer mehr Erinnerungen zurück. Wie er Wormmon traf zum Beispiel. Ken fand ihn mitten in einem Wald, nachdem er erst eine Weile ziellos umherirrte. Ken wunderte sich, was das für eine große Raupe war, aber irgendwie war sie ja süß. Und sprechen konnte sie, aber das machte Ken weniger aus. Die Raupe stellte sich als Wormmon vor und dass er schon lange auf ihn wartete. Und irgendwie war Ken Wormmon gleich sympathisch. Vielleicht war es auch einfach der Satz. Auf ihn gewartet. Nicht auf seinen talentierten Bruder, in dessen Schatten er immer stand. Nicht auf das Wunderkind, dass den perfekten Sohn und liebevollen Bruder mimte, aber zu Zornesausbrüchen neigte. Jahre später verstand Ken, dass Sammy – Sammy bürgerte sich in seiner Familie ein, weil Ken als Kleinkind den Namen im Fernsehen aufgriff - einfach überfordert mit den hohen Ansprüchen an sich selbst war. Das entschuldigte es nicht wie er ihn manchmal ausschimpfte, wenn ihre Eltern nicht da waren, aber Ken lernte zu vergeben. Umso mehr bewahrte er die wenigen Erinnerungen an Sammy, von Tagen an denen er noch nicht so unter Erfolgsdruck stand, entspannt war und seinen kleinen Bruder wirklich geliebt zu haben schien.

Nach Sammy rief Ken damals auch oft, nachdem er hohes Fieber bekam und ein paar Tage in der Digiwelt vor sich hin kränkelte. Wormmon versorgte ihn und wich ihm nicht von der Seite. Im Fieberwahn glaubte Ken, er selbst blickte auf sich herab, lächelte und sagte, dass alles gut wird, so wie Wormmon. Irgendwann fragte sich Ken, ob dieser Junge wirklich er war. Er sah ihm zwar ähnlich, aber sie waren nicht identisch. Und warum sagte dieser Junge das selbe wie Wormmon? Mutter-Gans-Reime. Er kannte ein paar aus dem Englisch-Unterricht.

Aber wer war der Junge? Ob er mit Deemon zusammenhing? Oder eher mit Oikawa? Ken erinnerte sich, wie er Machinedramons altes Hauptquartier fand, die Computer umschrieb und daraus seine Festung baute. Auf den Festplatten befanden sich die Daten von Devimon, über die Macht der Dunkelheit und die schwarzen Zahnräder und die ersten Schwarzen Ringe, aus einer Epoche, die sich Apartheid nannte. Das Passwort, mit der Anmerkung, dass die Dunkelheit der Schlüssel sei um die Welt nach seinen Bedürfnissen zu formen, schickte derjenige, der ihm auch einst diese komische E-Mail schrieb. Doch woher kannte Oikawa ein Passwort für einen Computer innerhalb der Digiwelt (dieses lautete DAS_HIMMLICHE_KIND).

Während Ken wie besessen – Nein, nicht wie, er war besessen – an Machinedramons alten Rechnern arbeitete, ignorierte er Wormmons Sorgen, wie auch die Worte dieses Jungen. Wer war das? Ein Feind vielleicht? Im letzten halben Jahr war viel passiert und es machte Ken immer nachdenklicher. Selbst das sein Vater schon um fünf Uhr morgens in der Wohnung herumspazierte machte Ken mehr wie stutzig. Er musste zwar arbeiten, aber das war nicht seine gewohnte Zeit. Vielleicht war es ja ein Fehler ihnen von Wormmon und der Digiwelt zu erzählen. Aber Ken war es Leid seinen Eltern noch mehr zu verheimlichen und seine Mutter weinen zu sehen. Sein Vater blieb stumm und wurde klamm im Gesicht. Während Kens Mutter mit Wormmon bereits erste Annäherungsversuche wagte um ihn so in der Familie willkommen zu heißen, ging sein Vater auf Abstand. Vielleicht war es für ihn zu viel. Das ständige Gedanken in sich hineinfressen hatte Ken schließlich von ihm.

„Über was denkst du nach, Ken?“, fragte Wormmon noch müde. Auch er hatte in der Nacht nicht schlafen können. Ken starrte aber weiter unentwegt seine Zimmertüre von seinem Bett aus an.

„Ich weiß es nicht.“

„Du weißt es nicht?“, harkte Wormmon nach und legte den Kopf schief, dann sah auch er zur Türe. Sie hörten die Stimme von Kens Mutter, die ihren Mann fragte, warum er gerade alle Schubladen ausräumte, aber keine Antwort gab.

„Ist dein Vater immer so?“

„Nein. Wenn Papa etwas beschäftigt, macht er das unter sich aus, ohne das es jemand mitbekommt“, erklärte Ken. Schließlich klopfte es schwach gegen von der anderen Seite der Türe.

„Ken? Bist du wach?“, fragte sie zaghafte Stimme seiner Mutter.

„Ähm, ja, Mama. Komm ruhig herein“, rief er zurück und weiter auf leisen Sohlen machte sie die Tür auf und betrat den noch dunklen Raum.

„Entschuldige, das ich dich so früh wecke, Ken. Das gilt auch für dich, Wormmon.“

„Schon gut. Wir waren schon wach, Mama. Aber was ist los?“

„Das soll dir dein Vater erklären. Er will dir unbedingt etwas zeigen. Kommt ihr?“

Ken und Wormmon sahen erst sich gegenseitig fragend an, zögerten aber nicht schließlich aus dem Bett zu springen. Noch im Schlafanzug und mit seinem Digimon auf dem Arm folgte Ken seiner Mutter ins Wohnzimmer. Sein Vater saß so nervös und steif wie bei einem Bewerbungsgespräch am Tisch. Die Kaffeetasse stand bei ihm und Ken wunderte sich, das sein Vater sich nicht nur noch mehr einschenkte, sondern auch noch schwarz trank. Was Wohnzimmer sah aus wie nach einem mittelstarken Tornado. Die Schubladen waren auf und Schachteln, Papiere und Fotoalben flogen auf dem Boden herum aber weder Ken, noch seine Mutter beachteten das großartig.

„Guten Morgen, Papa“, rief Ken ihm zu. Sein Vater nickte nur. Er sah todmüde aus, als hätte er in der Nacht nicht eine Minute geschlafen. Kens Mutter tauschte mit ihm besorgte Blicke aus, doch Ken setzte sich einfach seinem Vater gegenüber.

„Mama sagt, du wolltest mir etwas zeigen“, sagte Ken erwartungsvoll. Sein Vater antwortete nicht. Er blieb kaltschweißig und die Lippen schmal. Sein Hemd, dass er für die Arbeit trug war falsch geknöpft und er sah niemanden an, sondern starrte nur auf seine Hand, die auf dem Tisch lag. Unter seiner Hand lag etwas, aber Ken war sich nicht sicher, was es war.

„Geht es Ihnen nicht gut? Vielleicht sollten Sie sich noch etwas ausruhen“, meinte Wormmon genauso besorgt wie der Rest der Familie.

„Ja, Liebling. Du hast die ganze Nacht nicht geschlafen.“

Nenzo Ichijouji gab immer noch nichts von sich. Stattdessen aber schob er das Foto, dass die ganze Zeit unter seiner Hand lag zu seinem Sohn hinüber. Ken sah sich das Foto an ohne es dabei in die Hand zu nehmen und erschrak kurz. Es war ein schwarz-weiß Foto mit einer vierköpfigen Familie. Die beiden Erwachsenen waren Kens Großeltern. Zwei Jungen waren abgebildet, einer in Kens Alter, der andere vermutlich noch im Kindergartenalter, höchstens erste Klasse. Das war sein Vater. Aber was machte der ältere Junge darauf? Er sah genauso aus wie Ken, wenn der Pony nicht wäre. Er sah aus wie jener Junge...

„Das ist mein älterer Bruder Kouta. Er ist also dein Onkel“, erklärte Kens Vater gedrückt ruhig.

„Ich wusste gar nicht, dass ich einen Onkel habe. Wieso kenne ich ihn nicht?“

„Dein Onkel ist verschwunden“, fügte Kens Vater hinzu und ließ den Blick gesenkt. Ken fiel auf, das sein Vater zitterte und erkannte an der Mimik seiner Mutter, dass sie auch nichts davon wusste.

„Es geschah im Sommer 1979. Er spielte in der Schulband und ging mit seinen Freunden zur Probe. Sie verschwanden einen ganzen Tag von der Bildfläche. Seine Freunde fand man, nur ihn nicht. Er ist bis heute spurlos verschwunden. Und etwas in mir sagt, dass er nicht mehr unter uns weilt.“

„Du meinst, er ist tot?“

Sein Vater sagte nichts. Er schnappte nach seiner Kaffeetasse und trank sie mit einem hastigen Zug den Rest leer. Der Kaffee war stark und entsetzlich bitter, aber er hatte diesen strengen Geschmack gebraucht, um wieder klar zu werden, damit sein Verstand schlicht die Bilder von damals wieder hervorholte, aber nicht die Emotionen. Die Angst. Die Trauer.

„Aber seine Freunde müssen doch wissen, wo er ist.“

„Sie haben sogar viel erzählt. Aber man glaubte ihnen nicht“, erzählte Kens Vater. „Sie erzählten sehr merkwürdige Dinge. Darum wurde die ganze Geschichte als Wunderland-Fall in unserem Viertel bekannt. Koutas Freunde erzählten, dass sie in einer fremden Welt waren. Mit genauso merkwürdigen, fremden Gestalten aus einem Computer. Niemand glaubte das damals. Ich auch nicht, bis vor drei Jahren.“

„Der Odaiba-Brand?“, harkte Kens Mutter nach. Er selbst wusste, dass dies kein Brand war, sondern ein von Digimon ausgelöstes Chaos. Auch sein Vater schüttelte den Kopf.

„Es war kein Brand. Da waren diese... Monster. Es waren Digimon, oder? Sie kamen aus einer anderen Welt.“

„Ja. Sind sie. Aber was hat das eine nun mit dem anderen zu tun, Papa?“

„Es ist... Wie soll ich dir das nur erklären, Ken? Es ist... Ich... Ich habe das Gefühl...“

„Liebling?“

Sachte berührte Kens Mutter ihren Mann an der Schulter, doch er zückte so heftig zusammen, dass sie regelrecht wegsprang. Man hörte ihn laut schlucken, da sein Hals kratzte, aber trinken wollte Kens Vater auch nichts, da sich sei Magen drehte. Es war zu viel. Die Bilder von einst, die Angst um seinen Bruder, das Warten, dieses unerträgliche Warten, dass er wiederkäme. Aber er kam nie zurück. Irgendwann wurde aus der Trauer Kummer, aus dem Kummer Wut, wieder Trauer, dann Akzeptanz. Doch der Boden der Stufen der Trauer hieß Vergessen.

Aber nun das Vergessene wieder ins Gedächtnis zu rufen war wie einen Toten auszugraben und auch wenn Nenzo Ichijouji nie die Erfahrung einer Exhumierung erleben musste, war er sich ziemlich sicher, dass dies das gleiche Gefühl von Übelkeit auslöste. Die selbe Übelkeit, die ihm immer überkam, wenn Ken einfach verschwand. Er musste sich erinnern, auch für seinen Bruder. Sein älterer Bruder, der sich um ihn kümmerte nachdem Mutter verschwand. Dieser Tag. Sie aßen noch zusammen am Tisch und Nenzo schaute fern. Kouta wuschelte ihm noch durchs Haar und sagte Bis nachher, doch aus nachher wurde niemehr

Was hatten seine Freunde nur damals erzählt? Es war so viel und er war noch zu jung. Sie haben auch von Monstern geredet, Monster wie die im Fernsehen, wie die von vor drei Jahren, wie Wormmon eines war.

„Wormmon...“, fragte Ken Vaters, seine Stimme klang dabei so kratzig wie bei einer Erkältung. Wormmon horchte auf und auch wenn Kens Vater erst wieder nichts sagte, wartete er sehr geduldig.

„Seine Freunde sagten damals, sie hätten meinen Bruder dort in dieser Welt bestattet. Könnte das sein? Diese Digimon kommen auch in unserer Welt. Und wenn Ken auch in die Digiwelt kann... Könnte Kouta das auch sein? Könnte es möglich sein? Wäre so etwas in deiner Welt möglich, dass dort ein Kind seine letzte Ruhe findet? Das es dort ein Grab hat, unter freien Himmel und mit Blumen?“

Wormmon starrte. Ken versuchte Blickkontakt mit seinem Digimon aufzubauen, doch Wormmon schien so vertieft, dass er wenn überhaupt nur durch Ken hindurch sehen würde.

Wormmon erinnerte sich an längst vergessenen Tage, an eine Zeit ohne Ken, als er noch wartete. Und die Zeit vor dem Warten. Mit den Jahren wurden die Bilder zusammenhangsloser und es fühlte sich nicht mehr an, als wären das seine Erinnerungen.

Leafmon wusste nicht, was es damals war. Es war ein Digimon, fühlte sich aber erst nicht wie eines. Da waren, obwohl es nur ein paar Tage alt war schreckliche Bilder im Kopf. Auch den Tod eines Jungen, der Ken ähnlich sah, aber Leafmon wusste nie, ob in diesen Szenarien der Junge oder es selbst starb. Bis ihm klar wurde dass er auf irgendeine Weise dieser Junge war.

Irgendwann wurde es zu Minomon und ab dann begann der Geist des Digimon sich zu spalten. Es sah den Jungen, der Ken so ähnelte öfter, aber fühlte sich immer weniger verbundener. Als Ken schließlich in die Digiwelt kam und Minomon zu Wormmon wurde, spalteten sich diese zwei Geister komplett. Wormmon begann seinen eigenen Charakter und sein eigenes Weltbild zu erschaffen, dass bisher immer nur im Ansatz vorhanden und von den Gedanken dieses Jungen überschattet war.

Nun da Wormmon diese Geschichte hörte kehrten die Erinnerungen an das Gesicht des Jungen zurück. Kouta. Ja richtig, wie konnte er nur vergessen, was ihn mal formte?

Kouta war in der Digiwelt. Kouta starb in der Digiwelt. Kouta wurde verbrannt und beigesetzt. Koutas Geist oder vielmehr seine Daten blieben in der Digiwelt. Und zusammen mit anderen Daten setzte er sich zu einer neuen Lebensform zusammen.

Aber Humpty Dumpty war nun mal nicht zusammenzusetzen. Man hatte aus seinen Splitter lediglich etwas neues geschaffen, dass nicht viel mit ihm gemeinsam hatte. Aber sie waren dennoch verbunden und sei es nur durch Ken und das Wappen der Freundlichkeit.

Doch das konnte Wormmon so nicht erzählen. Abgesehen davon, dass er selbst nicht wirklich die Gegebenheiten seiner Erschaffung begriff, wollte Wormmon keine falschen Hoffnungen schnüren. Es war Koutas Daten zu verdanken, dass er überhaupt geboren wurde und Ken traf. Er war mit Kouta verbunden. Doch Kouta selbst war er schon lange nicht mehr.

„Humpty Dumpty war so munter... Humpty Dumpty fiel die Wand hinunter...“

Wormmon schien nicht zu merken, was er vor sich hinmurmelte. Ken wunderte sich, woher sein Digimon alte englische Kinderreime kannte. Hingegen sein Vater sich fragte, warum Wormmon ausgerechnet einen Mutter-Gans-Ferse kannte, die Kouta einst gern rezitierte und mit deren simplen Melodien er sich Stück für Stück das Gitarre spielen selbst beibrachte.

„Wenn er wirklich dort war, dann bestimmt. Und er hätte sicher seinen Frieden gefunden, wissend, dass sein Bruder eine liebevolle Familie gegründet hat. Auch wenn es Schwierigkeiten gab“, erklärte Wormmon sanft, hoffend, dass dies genügte. Die Bedeutung hinter seinen Worten verstanden weder Ken, noch seiner Mutter, obwohl sie aufmerksam zuhörten und sich über jedes Wort Gedanken machten. Auch Kens Vater verstand nicht alles – aber genug. Das von Fragen geplagte Gesicht nahm entspannte Züge an, bis sich ein trauriges Lächeln auf den Lippen abzeichnete und schließlich auch Tränen in den Augenwinkeln erschienen.

„Papa...“

Ken streckte seine Hand nach seinem Vater aus, wenn auch nicht wusste wo er ihn hätte berühren wollen. Sein Vater schüttelte den Kopf und rieb sich einmal über das Gesicht.

„Ist gut. Ich habe nur all die Zeit meine Gefühle runtergeschluckt. Ich weiß bis heute nicht, wie ich mit Koutas Verschwinden umgehen soll. Es existiert ein Grab, aber dort ist er nicht. Du und Sammy, ihr seid eurem Onkel so ähnlich. Besonders du, Ken. Ich habe immer gehofft, du und Sammy würden so werden, wie ich und Kouta es damals waren. Dabei war ich ziemlich ignorant. Ich wollte eine Bilderbuch-Familie und habe dabei dich und deinen Bruder immensen Stress ausgesetzt. Ich bin genauso geworden wie Mutter. Sie brannte einst mit ihrem Liebhaber durch und ließ meinen überforderten Vater und ihre Söhne zurück“, erklärte Herr Ichijouji fast reumütig. Die Tränen kehrten zurück und diesmal schaffte er es nicht, sie fortzuwischen.

„Aber Koutas Verschwinden brachte sie zurück. Als sie davon erfuhr, merkte auch sie, dass sie Fehler beging, verließ ihre Affäre und versuchte mit Vater an ihrer Ehe zu arbeiten. Auch wenn all ihre Mühen Kouta zu finden nichts brachten, machte es ihr klar, was eine Familie bedeutete. Wie du weißt, sind deine Großeltern immer noch zusammen. Das liegt wohl in unserer Familie. Wir müssen erst etwas Wichtiges verlieren, bis wir merken, dass wir auf dem falschen Pfad wandern.“

Der Stuhl, auf dem Ken saß fiel laut klappernd um, bis sein Vater das aber realisierte, nahm ihn sein Sohn ihn schon in den Arm. Kens Mutter saß überrascht daneben, da erst sie ihren Ehemann in den Arm nehmen wollte, aber sich nun ausgerechnet Ken dazwischen stellte irritierte sie und freute sie zugleich.

„Ist gut, Papa. Es ist gut. Ich verstehe es. Auch ich habe erst lernen müssen, was das Wichtigste überhaupt ist. Meine Freunde haben mir vergeben – und ich habe dir schon lange vergeben.“

Ken löste sich von seinem Vater und blickte zu seinem Digimon. Seine Mutter stellte sich zu ihrem Sohn, der die Hand nach Wormmon ausstreckte und etwas zögerlich mimten Kens Eltern diese Geste nach um wie ihr Sohn Wormmon zu sich in die Runde, als Teil der Familie herzubitten. Wormmon wartete nicht allzu lange und sprang in Kens Arme, um schließlich zwischen den drei Menschen zu stehen. Glück erfüllte sein Herz, als er Ken so sah, bei seiner Familie ohne die Last irgendwelcher dunklen Geheimnisse. So erleichtert. So frei und selbiges strahlte sein Vater aus, nachdem er nun das Gefühle hatte nach über 20 Jahre etwas gefunden zu haben. Keine Antworten, keine Beweise, nur Andeutungen, die aber befriedigend waren.

Wormmon war zufrieden. Erinnerungen, die mal vor langer, langer Zeit seine waren, sich aber nun allmählich von ihm lösten durchfluteten seinen Verstand. Er hörte eine Jungenstimme rufen:

(Danke Wormmon dass ich noch einmal meine Familie sehen durfte)

 
 

X

 

Er hielt ein Schwert in der Hand. Es schwang es hin und her.

(Eins zwo und so und so)

Er lief schweren Schrittes durch Sand und Stein. Sein Angriff zerteilte Digimon in ihre Einzelteile, dann lösten sie sich auf. Ihre Daten zogen an ihm vorbei. Metallischer, erstickender Gestank.

Ein Digimon – welches, das wusste er nicht – schoss auf ihn. Der Helm, der sonst ein Teil seines Gesichtes verhüllte brach. Er geriet ins straucheln, wagte es aber nicht zu fallen. Sobald er einmal am Boden läge, war es vorbei. Das konnte er sich nicht erlauben.

Man konnte eines seiner Augen sehen. Blaue Augen. Kalte Augen. Dass Digimon, dass auf ihn schoss, doch dessen Name ihm nicht einfiel, erstarrte. Dem Angriff konnte es nicht ausweichen und wurde schließlich

(schnacke-schnick)

vernichtet.

Er ging weiter. Noch mehr feindliche Digimon. Auch die vernichtete er. Waren es Viren? Dateien? Serums? Egal, sie mussten alle

(schnacke-schnick ab den Kopf!)

Er hielt eine Hand. Aber gleich der Sage von Orpheus, der seine geliebte Eurydike durch den Hades führte durfte er nicht zurückschauen. Sonst musste er der Wahrheit und der Leere ins Auge sehen. Das es nichts mehr gab, für das es sich lohnte weiterzumachen, außer ein paar verblassten Erinnerungen. Er durfte nur nach vorne sehen, dort, wo das Chaos war. Es musste beseitigt werden. Eliminiert werden! Sterben! Alle sollten sterben! Jeder, der in seinem Weg stand sollte sterben!

(eins zwo! Schnacke-schnick)

Sein Schwert, dass er schon lange nicht mehr hielt war unbrauchbar. Aber er war auch so stark genug. Fledermäuse färbten den Kopf schwarz. Alles war schwarz. Alles gleich. Alles ohne Bedeutung. Sein einziger Antrieb war der Hass, der ihn daran erinnerte, für was er nicht aufgab.

… … Warum...

… warum ließ er dann nicht 01000001 01101100 01101001 01100011 01100101' Hand los, wenn doch alles ohne Bedeutung war?

… im Abgrund … lag noch...

… … i r g e n d e t w a s . . .

 
 

lx.

 

„Wie verfahren wir heute, Meister 01001101 01111001 01101111 01110100ismon?“

„Wir teilen die Soldaten in drei Gruppen. Eine bleibt hier, eine sichert den Wald Richtung Süden, mit der dritten werde ich den Nordpass absichern. Es sind vermehrt Hyugamon gesichtet worden, die sich die Schneestürme zu nutze machen. Laut meinen Informationen sind sie Banditen, die andere Digimon grundlos angreifen und haben bereits mehrere Dörfer nördlich von Server überfallen. Wenn sie die Dokugomon oder die Grizzlymon bei ihrer Winterruhe stören gibt das ein riesiges Chaos. Bekämpft sie, sobald ihr auch nur einen von ihnen seht. Und vernichtet sie. Wenn sie rumerzählen, dass hier Geist-Digimon auf Grey Mountain hausen, riskieren wir von den Meister der Dunkelheit entdeckt zu werden.“

„Was ist mit den Moosemon?“

„Mit ihrem Anführer habe ich bereits ein Gespräch geplant, allerdings gegen Morgen. Aber ich muss mich vorher um Raremon kümmern. Diese plötzliche Eiseskälte um diese Jahreszeit bekam ihm nicht sehr gut.“

„Das kann auch ich übernehmen, Meister.“ „Nein. Ich will, dass du mit den anderen weiter die unterirdischen Gänge absuchst.“

„Meister...“

Er blieb stehen. Phantomon folgte ihm nicht mehr. Eigentlich hatte er es eilig und dass Phantomon ihn nun ausbremste störte ihn. Er war schon spät dran, weil er ziemlich lange geschlafen hatte. Aber es war der erste erholsame Schlaf seit langem.

„Was?“, fragte er leicht gereizt, aber Phantomon brachte erst nichts heraus. „Sprich. Du weißt, ich kann das nicht leiden.“

„Es ist nicht wichtig.“

„Ist es immer noch wegen Sanzomon? Wieso hast du sie gestern zu mir geschickt?“

„Sie wollte selbst, ich habe ihr nur einen Schubs gegeben, weil sie unsicher war. Und wenn Ihr lieber etwas mehr Zeit mit ihr verbringen wollt, stört es mich nicht. Die anderen Soldaten auch nicht.“

„Was ich mit meiner Zeit anstelle hat keinen von euch zu interessieren. Du wiederholst dich. Führe weiter Befehle aus, ich kümmere mich um den Plan.“

„Was von dem allen ist denn noch Teil des Planes und was nur persönliches Vergnügen?“

Sein Ton war recht neutral, die Art aber wie Phantomon es sagte war ihm bekannt und es war eine gezielte, provokant Art.

„Unterstellst du mir, ich würde für irgendwelche Liebeleien meine Position vernachlässigen?“

„Nein, sicher nicht. Ich habe mir nur Gedanken gemacht. Wir Geist-Digimon mögen nachtragend und auch rachsüchtig sein, aber wir sind auch bescheiden. Ich habe meine Bruder schon lange nicht mehr so ausgelassen gesehen. Und ich habe lange unter verschiedenen Führern gearbeitet, um die guten unter ihnen zu erkennen. Es ist nicht perfekt hier, aber wir werden akzeptiert und haben sinnvolle Tätigkeiten. Den meisten Digimon, die so geächtet sind wie wir reicht das aus.“

„Wir haben gestern schon darüber geredet und du kennst die Antwort. Die Sache ist damit geklärt.“

„Meister 01001101 01111001 01101111 01110100 01101001 01110011 01101101 01101111 01101110...“

„Die Sache ist geklärt!“

Phantomon hielt den Mund, unter dem Schatten seiner Kapuze verzog sich die Mimik. Er selbst entschloss sich dazu einfach weiter zu gehen. Weiter. Der Korridor war verdächtig dunkel und leer. Türen wiederholten sich. Es kamen keine Treppen. Er erinnerte sich nicht, dass es so einen Korridor im Schloss je gegeben hätte. Er erinnerte sich aber generell nicht, wie das Schloss aussah und wie die Gänge verliefen. Es war unnötig zu wissen.

Irgendwann kam Licht. Er war draußen. Etwas sagte ihm, dass es Frühling war und die Luft mild. Aber es lag noch Schnee auf dem Boden. Zwei Digimon, die sich ähnlich sahen und noch eines, dass etwas von einem Schwein hatte saßen um ein paar seiner Soldaten. Die Namen der drei Digimon? Interessierte ihn nicht.

Einige Soulmon hüllten sich in dicke Ponchos. Die drei anderen Digimon hatten ihre Laken, die die Geist-Digimon normalerweise über ihren Körper trugen auf ihrem Schoß und nähten.

„So fertig. Jetzt fliegen eure Hüte nicht mehr weg“, riefen sie begeistert auf und gaben die Laken ihren Besitzern wieder. Unter den Ponchos zogen sich die Soulmon ihre Laken wieder über, dann erst kamen sie sichtlich zufrieden zum Vorschein.

„Was macht ihr da?“, fragte er und ging auf die Gruppe Digimon zu. Die drei Digimon sahen auf, die Soulmon verbeugten sich ehrfürchtig.

„Guten Abend, Meister My 01101111 01110100 01101001 01110011 01101101 01101111 01101110.“

„Guten Morgen. Na, ausgeschlafen?“, fragte das Schweine-Digimon, er sprang aber nicht darauf an.

„Wir haben Euren Soulmon die Hüte an ihre Laken genäht“, erklärte das schwarze der beiden Nonnen-Digimon.

„Es geht ein starker Wind und so wie die Reppamon berichteten, bleibt das wohl auch eine Weile so“, erklärte das weiße Digimon. Die Soulmon, in ständiger Angst ihren Spitzhut zu verlieren, prüften ob sie wirklich fest waren. Sie waren sichtlich erfreut und bedankten sich für ihre Verhältnisse doch sehr warmherzig.

„Wenn Ihr unseren Meister sucht, sie ist unten bei den Wasserstellen und sammelt ihre Seerosensetzlinge wieder ein, ehe sie erfrieren.“

„Ich sagte ihr doch, es ist zu früh...“, murmelte er sich hinein und ging weiter. Eigentlich ging das Gespräch mit den drei Digimon noch länger, doch der Verlauf und das Gespräch selbst interessierte ihn nicht. Unbedeutende Erinnerungen. Erinnerungen, die nicht gebraucht wurden. Auch die Erinnerungen an sie wurden nicht gebraucht. Er brauchte das nicht, genauso wenig wie die Erinnerungen an seinen eigenen Namen. Er war nur noch ein Krebsgeschwür in einem fremden Körper mit einem geteilten Geist. Der eine wollte Rache und brachte das Geschwülst zum wachsen. Der andere schlief und ließ ihn träumen und vergessen, bis er sogar seine eigene Existenz vergessen würde und was blieb war der Hass. Bis auf zwei Dinge, hatte er schon alles vergessen. 01000001 01101100 01101001 01100011 01100101 war eines davon.

Dann war da noch dieses Digimon. Er sah sie in seinem Traum. Sie stand fast bis zu der Hüfte im Wasser und versuchte ihre Seerosen-Setzlinge aus dem kalten Wasser zu holen. Und obwohl nur noch sein Hass auf die Welten weiterlebte und es sinnlos war, wollte er ihren Namen sagen. Weil er sie, auch wenn sie ihn manchmal in den Wahnsinn trieb niemals hassen könnte. Im Gegenteil.

„01010011 01100001 01101110 01111010 01101111 01101101 01101111 01101110...“

Sie hörte ihn. Sie sah auf. Sie lächelte unter ihrem roten Tuch. Sie strahlte. Und ihre Beine waren so gut wie taub. Er half ihr heraus. Sie erzählte ihm etwas, aber er erinnerte sich nicht mehr was das Thema dieser Konversation war, nur noch wie er ihr seinen Umhang anbot, da sie so zitterte. Sie nahm es dankend an und obgleich ihm körperliche Nähe unangenehm war und sie dazu nass und kalt, ließ er es zu.

Er erinnerte sich nicht mehr an ihren Geruch. Er erinnerte sich nicht mehr an ihre Stimme. Er erinnerte sich nicht mehr, wie ihr Körper sich anfühlte. Aber er erinnerte sich daran, was er empfand oder zumindest glaubte etwas zu empfinden.

Die Szene wechselte. Aber er hielt sie noch im Arm. Ihr nackter Körper lag neben seinem. Ihr rascher Atem wurde leiser und langsamer. Für ein paar Minuten schlief sie neben ihm ein, zitterte aber trotzdem im Schlaf, das aber nachließ, als er sie näher zu sich und die Decke weiter hochzog. In diesem Moment gehörte sie ihm. Ihm alleine. Wie auch die Welten bald sein sein würden. Was soll's, wenn er sich nicht mehr an Namen und Stimmen erinnerte? In seiner Welt war so etwas irrelevant. Unbedeutend. Nicht nötig.

Alles war irrelevant. Wer er war. Was er glaubte zu fühlten. Träume. Erinnerungen. Irrelevant.

Der Glaube an Gerechtigkeit war ein vergeudeter Traum. Auf lange Sicht war die einzige Hoffnung das Feuer des Hasses. Der Herr Dirigent war nicht mehr. Also war dies nun sein Opus. Und Asche wäre was von allem bleibt. Alles war gleich. Alles war

 
 

 

30.12.2002

 

„Irrelevant.“

Arukenimon und Mummymon sahen zu ihrem Boss auf, aber Oikawa starrte für eine Weile noch leer in den Raum. Sein Essen hatte er nicht angerührt, das Fruchtfleisch seines Obstsaftes sammelte sich am Rand des Glases, selbst seine Tabletten gegen seine unerklärliche Anämie lagen noch vor ihm, aber um die war es nicht schade, da Oikawa nicht glaubte, dass sie halfen.

„Was die Digiritter tun ist irrelevant für uns. Sie können nicht verhindern, dass die Saat wächst. Sobald wir die Kinder in die Digiwelt gebracht haben ist unser Plan geglückt. Das, was getan werden muss, können sie nicht verhindern“, sagte Oikawa, ohne wirklich zu wissen, ob das Gesagte überhaupt zu dem passte, was die beiden diskutierten. Arukenimon und Mummymon beschäftigten sich ohnehin mit so vielen, was für Oikawa irrelevant war. Die Unterhaltung drehte sich auch ursprünglich um die Digiritter, dieses driftete aber immer wieder in andere Richtungen ab. Das die beiden sich nicht einmal zwei Minuten auf etwas konzentrieren konnten. Kein Wunder, dass sie ständig versagten.

„Ähm... Boss?“, fragte begann Mummymon vorsichtig. Offensichtlich hatte Oikawas Äußerung überhaupt nicht zu der aktuellen Diskussion gepasst. Das Digimon schaute auf die Tabletten auf den Tisch. Mummymon wusste nicht, für was Eisentabletten und Vitamin B12-Kapseln gut sein sollten, aber er war der Meinung, dass sein Boss sie regelmäßiger zu sich nehmen sollte. Das immer grauer werdende Gesicht und die Augenringe wurden immer ungesünder.

„Was?“, fragte Oikawa übellaunig.

„Boss, geht’s Euch gut?“

„Natürlich, warum sollte es nicht?“

„Ihr wirkt ein bisschen abwesend.“

„Gibt es etwas, worüber wir uns Sorgen machen müssen?“, fragte Arukenimon.

„Redet keinen Unsinn. Alles läuft nach Plan!“

Das bezweifelten die beiden Digimon keineswegs. Jedoch machte ihnen nicht der Plan oder sein eventuelles Scheitern Sorgen und weil Oikawa das zu spüren schien, schluckte er demonstrativ die Tabletten vor ihren Augen. Sie runter zu bekommen kostete Überwindung. Er schluckte in letzter Zeit ohnehin zu viel Zeug, nicht zuletzt die Schlaftabletten, aber anders hätte er nie ein Auge zu bekommen. Es schmerzte in seiner Brust. Es war der Schmerz in seinem Herzen, ausgelöst durch den bloßen Anblick und die Erkenntnis, dass einer dieser Digiritter, die seine ganze Arbeit zu nichte machen wollten Hirokis Sohn war. Der Junge sah seinem Vater nicht sehr ähnlich, aber er hatte Hirokis Augen und die gleiche Art über Aufgaben und Pflichten im Leben zu reden. Und auf einmal bekam Oikawa Zweifel. Keine starken, er blieb bei dem was er tat und tun musste, aber dieses Gefühlschaos hielt ihn wach. Und dann waren da diese Träumereien, diese, man wollte sagen, Erinnerungen seines Alter Egos. Sie und Oikawas vermischten sich und machten das emotionale Durcheinander komplett, aber er fand sich in diesem Labyrinth aus Bildern und Geräuschen irgendwann zurecht. Ein blonder Junge, vielleicht elf oder zwölf, dann wurde er erwachsen. Dann wieder ein Kind, dann wieder erwachsen. Er lachte, manchmal war er selbst traurig und suchte Trost. Ein langjähriger Freund, der ihm nicht von der Seite wich. Ja, dass musste ein verzerrtes Bild von Hiroki sein.

Dann noch ein Kind. Ein Mädchen. Auch blond. Sie erinnerte Oikawa an die kleine Alice im Wunderland. Sie sah dem Mann ähnlich. Musste sein Kind sein. Genau, das Kind des Freundes. Dann war das Hirokis Sohn und Oikawa hatte einfach zu oft ALICE IM WUNDERLAND geschaut. Das machte so manches dubiose Bild erklärbar.

Außer dieser Frau. Sie konnte Oikawa nirgendwo einordnen. Andere Freunde hatte Oikawa nicht und das Verhältnis mit seinen Verwandten war kein gutes. Hiroki war der einzige Mensch in Oikawas Leben gewesen, den er als so wichtig empfand, dass man von Liebe hätte reden können.

Wer war dann sie also? War das überhaupt ein Mensch?

„Aber ich hätte da eine klitzekleine Frage“, sagte Oikawa. Die beiden horchten auf, aber er sagte erst nichts. Er ging zu einem der Regale (mehr wie das, der Tisch und eine Couch standen hier in Oikawas geheimer Mietwohnung am Rande Tokios nicht) und holte aus einer Schublade einen Schreibblock. Einen Stift trug Oikawa in seinem Mantel. Dann setzte er sich wieder an seinen Platz und begann etwas auf das Papier zu zeichnen. Arukenimon und Mummymon beugten sich nach vorne, um zu sehen was ihr Boss da machte, aber sie konnten nicht mal wirklich erraten, was Oikawa da hinkritzelte. Er brauchte ein, zwei Minuten, dann legte er den Kugelschreiber zur Seite und betrachtete sein Gemälde. Gut war es nicht, aber man erkannte die wesentlichen Züge – eine humanoide Gestalt, das Mönch-Gewand, die buddhistische Krone und die langen Haare. Schließlich schob er die Zeichnung zu ihnen herüber. Arukenimon runzelte die Stirn, Mummymon nahm die Zeichnung interessiert in die Hand.

„Kennt ihr ein Digimon, das so aussieht?“, fragte Oikawa die beiden. „Es müsste weiblich aussehen und die Haare blond sein.“

„So ein Digimon habe ich noch nie gesehen. Du, Mummymon?“, fragte Arukenimon. Angestrengt grübelnd sah sich Mummymon die Zeichnung an, doch auch er verneinte.

„Nein.“

„Sicher?“

„Absolut sicher. So ein Digimon wäre mir aufgefallen. Ich habe ein Auge für Ästhetik“, verkündete er stolz. Und wie als ob Mummymon spüren würde, wie skeptisch Arukenimon hinter ihrer getönten Sonnenbrille die Augenbraunen hob schrak er auf, im Glauben seine Herzdame sei eifersüchtig.

„D-d-das sollte nicht heißen, dass ich anderen Digimon hinterher schauen würde, Arukenimon! Du bist schließlich der Inbegriff von Ästhetik! Bitte sei nicht wütend auf mich.“

„Ich bin kein bisschen wütend“, antwortete Arukenimon. Mummymons bleiches Gesicht strahlte vor Freude und Oikawa dachte er hörte schlecht, bis Arukenimon nach einem Schluck Tee hinzufügte:

„Dass du anderen Digimon hinterher schaust weckt in mir die Hoffnung, dass du mich irgendwann in Ruhe lässt und ein anderes Digimon sich mit dir rumschlagen muss. Und ich habe schon befürchtet, bei dir wäre Hopfen und Malz längst verloren. Du hast mich positiv überrascht.“

Mummymon war wie erfroren und sein Verstand überfordert. Sollte er sich freuen, weil Arukenimon etwas Nettes gesagt hatte oder traurig, weil sie ihm einen doch schmerzhaften Korb gab? Diese verbale Art war fast noch schmerzlicher wie ihre Schläge und giftiger wie ihr Spinnenfaden. Das Herz war ein Abgrund, dessen Boden man nie sehen und seine Tiefe nie abschätzen konnte, hatte Oikawa mal gehört. Bei Männern unterschrieb er das gerne. Das Herz einer Frau jedoch (da gab ihm die Stimme seines Gewissens sogar Recht) war eine Wiese mit sehr hohen Gras, wo man sich nie ganz sicher sein konnte in was man hineintrat. Auch wenn der einzige weibliche Kontakt, den Oikawa hatte Arukenimon und dieses fremde Digimon in seinen Träumen war.

Irgendwas war bei der Programmierung von Arukenimon und Mummymon gewaltig schief gelaufen.

„Was interessiert Euch so ein Digimon? Ist es für uns gefährlich?“, fragte Arukenimon. „Gehört es zu Deemon? Oder zu Azulongmon und den Digirittern?“

„Fragt nicht so viel!“, keifte Oikawa beide an. „Macht euch gefälligst an die Arbeit. Ich habe den Kindern bereits per Mail geschrieben, wo und wann der Treffpunkt ist. Morgen werden ich und die Kinder die Digiwelt betreten! Bei der kleinen Noriko ist die Saat jedoch schon fast ausgereift. Sorgt ihr einfach dafür, dass die Digiritter sich nicht einmischen. Den Rest mache ich.“

„Ähm, klar. Verstanden“, antwortete Arukenimon, weiterhin leicht verwirrt aber sie vergeudete keinen weiteren Augenblick und ging. Mummymon hielt zog sie grob mit sich.

„Der Boss benimmt sich seit gestern sehr seltsam, findest du nicht?“, murmelte noch Mummymon. Arukenimons Antwort hörte Oikawa nicht mehr, sie waren bereits draußen und die Türe knallte ins Schloss. Oikawa wartete noch, bis er den Motor hörte und die Geräusche, die er erzeugte von der Ferne verschlungen wurden. Erst dann stand er auf, lief zum Fernseher, mit dem Videorekorder darunter liegend. Die Kassette, die Oikawa brauchte steckte noch drin, er spulte sie ein Stück zurück, erst dann drückte er auf PLAY und schaltete den Fernseher ein. Die Bilder des farblosen ALICE HINTER DEN SPIEGELN-Films trafen seine Netzhaut und Oikawa saß so dicht von dem Bildschirm, dass er jeden einzelnen Pixel erkennen konnte und die leichten Spuren von rot, grün und blauen Licht. Er saß sogar so dicht davor, dass er nicht einmal irgendwas anderes in dem Raum sah. Nur den Bildschirm. Nur den Film. Nur Alice. Eine andere Alice, wie die aus seinem Kopf, aber sie wurde ihr immer ähnlicher. Sie wurde farbiger, blond, und manchmal war sich Oikawa nicht sicher ob Junge oder Mädchen. Der Film entwickelte sich immer mehr nur zu einer Fotocollage aus abstrakten und verzerrten Bildern. Manche Figuren erkannte er nicht mehr, obwohl er den Film fast schon mit synchronisieren konnte. Die Flut von Stimmen und Tönen, die so auch nicht in dem Film vorkamen überrannten Oikawas Verstand. Sie lösten Kopfschmerzen aus, aber er wagte nicht wegzusehen.

Oikawa hörte einen Klang. Es war der klang einer Klaviertaste. Er war ziemlich tief. Tief wie der Abgrund, in dem er saß. Das einzige Licht kam von weit oben, wo der Ausgang war. Schnee rieselte zu ihm hinunter. Der Boden war ein weißer, weicher Teppich und schnell stellte Oikawa fest, dass er nicht alleine hier unten war. Nicht weit weg, fast direkt vor ihm lagen zwei Personen, ein Kind und ein Erwachsener. Das Kind drehte ihm den Rücken zu und Oikawa konnte wieder nicht sagen ob männlich oder weiblich, aber das Kind war in blau und weiß gekleidet, hatte helle Haut und blonde Haare. Das war definitiv Alice. Und neben Alice lag diese Frau. Sie schien zu schlafen und der Schnee hatte beide fast vollständig begraben. Als Oikawa aufstehen wollte um sich die beiden genauer anzusehen hielt ihn eine Kraft zurück. Er sah auf seiner Schulter nichts, aber es fühlte sich an, als wäre genau dort wo er nichts sah eine Hand, die ihn packte und davon anhielt nur einen Schritt weiterzugehen.

„Ich verabscheue es wenn andere sich in meine Angelegenheiten einmischen. Wer glaubst du zu sein, dass du dir es herausnimmst meine Welt zu betreten?“

Es war die Stimme die Oikawa oft in seinem Herzen hörte.

„Ich... ich wollte nur begreifen, was diese Bilder zu bedeuten haben, die ich ständig sehe. Ich wollte nur Klarheit. Ich habe Erinnerungen, von denen ich nicht weiß woher sie kommen. Es müssen deine sein, aber wer bist du?“

„Fragen wir doch anders – was glaubst du bin ich?“, fragte die Stimme deutlich erbost. Der Schnee ging Oikawa nun schon bis zu den Knien.

„Ich dachte, dass du ich bist – oder vielmehr so, wie ich gerne gewesen wäre. Eine Wunschvorstellung. Die Manifestation eines anderen Ichs. Mein Gewissen vielleicht. Nur begreife ich nicht, wieso du Erinnerungen haben sollst, die mir aber nicht gehören.“

„Es ist irrelevant“, sagte die Stimme drohend. Die Stimme sprach schon wie Oikawa, also musste dieses Etwas wirklich ein Teil von ihm sein. Oder vielleicht umgekehrt?

„Wer sind sie?“, fragte Oikawa weiter hartnäckig und deutete auf die Frau und das Kind im Schnee, doch wieder antwortete die Stimme erbost:

„Unwichtig. Lass sie liegen. Sie sollen vergessen werden.“

„Warum willst du sie vergessen, wenn sie wichtig genug sind, dass ich sie sehe?“

„Stell nicht so viele Fragen!“

Der eisige Wind blies Oikawa entgegen und war so stark wie Faustschläge. Er ging in die Knie. Der Schnee fiel so stark, dass er selbst fast unter der weißen, schweren Decke begraben wurde. Von den anderen beiden sah man kaum mehr etwas. Aber obwohl sie sich im Gegensatz zu Oikawa nicht bewegten, schaffte der Schnee es nicht sie vollständig zu begraben. Weil der Sturm so stark war und die Schneeflocken immer dichter fielen, glaubte Oikawa für einen Moment, dass dort Hiroki und sein Sohn lagen. Langsam schaute Oikawa sich um und bemerkte, dass die Fläche nicht ebben war. Es hätte zufällig so sein können, aber da Oikawa genauso wenig an Zufälle glaubte wie Myotismon, kam er auf die Idee, dass unter dem Schnee noch mehr lag, dass aber bereits vollständig begraben und damit vergessen war. Nur diese zwei nicht.

„Ich scheine zu begreifen...“, murmelte Oikawa, aber machte sich die Mühe zumindest so laut zu sein, dass sein Alter Ego ihn hörte. „Alles hier ist reine Symbolik, bestickt mit Metaphern. Wie in Alice im Wunderland. Und Alice und die Weiße Königin sind durchaus noch die sympathischsten Figuren. Und der Schwarze König ist kein Teil davon. Sie sind Teil seines Traumes, aber er ist kein Teil von ihnen. Wie bemitleidenswert und traurig.“

„So wie du?“, fragte das, was Oikawa für sein Gewissen hielt erneut, aber er überhörte die Bitterkeit in der Frage. „Dein Freund führte ein glückliches Leben mit seiner Familie. Es war nicht die Digiwelt, aber er lebte in seiner eigenen erbauten Welt. Der Beweis ist sein eigenes Kind, dass ungefragt die Ideale des Vaters übernimmt. Dein Freund hat sich an dir vorbeigelebt. Du hast ihn vor seinem Tod ohnehin kaum zu Gesicht bekommen. Wäre er dein Freund, wäre sein Kind nicht dein Feind. Wäre Hiroki noch der, der er einst war, würde sein Sohn nicht genauso denken wie er damals? Genauso wie du? Er wäre nicht dein Feind, sondern hätte sich dir angeschlossen, weil er wüsste, dass dies hier der richtige Weg ist. Stattdessen kennt er dich nicht einmal.“

So sehr es Oikawa schmerzte, es war wahr. Nachdem Hiroki Vater wurde, sahen er und Oikawa sich nicht so oft. Das lag einerseits natürlich auch an ihrer Arbeit, die von Oikawa oft auch verlangte durch das ganze Land zu reisen, aber war dies allein schon der Grund? Hirokis Vater legte ihnen einst schon Steine in den Weg, weil er nichts von einer digitalen Wunderwelt hören wollte. Hirokis Frau Fumiko war nett, aber warm wurde Oikawa nie mit ihr. Die Welt des Erwachsenenwerdens, die Welt der peniblen Ordnung, starren Regeln und der sterilen Fantasie hatte ihm seinen Freund weggenommen. Und schließlich auch getötet.

„Jene wie du werden in deiner Welt als abnorm, als Sonderlinge beschimpft und zu Außenseitern degradiert, dabei merkt der Pöbel nicht, dass er zwar die Mehrheit bildet, aber die Mehrheit immer aus Verrückten besteht. Die Irren wissen nie, dass sie irren, darum haben sie nur zwei mögliche Optionen – sie horchen oder fallen. Bist du auch einer von ihnen?“

„Nein... Ich bin nicht irre. Ich bin nicht schwach.“

„Dann vergiss endlich! Löse dich endlich davon!“

Noch einmal kam ein starker Wind auf, doch diesmal hielt Oikawa ihm stand und ging nicht in die Knie. Sein Blick wich trotz allem nicht von den beiden fast vollständig verschneiten Personen. Er musste das vergessen. Es waren nur Sinnbilder für etwas, nachdem er sich sehnte. Er musste das endgültig loswerden, so wie sein Gewissen es ihm sagte. Nur Bilder. Es waren nur Bilder. Aber -

„Jedoch begreife ich nicht, wieso ich dieses blinde Mädchen nicht mitgenommen habe“, begann Oikawa und zum Entsetzen von dem, was von dem Myotismon übrig war, der einst genauso um seinen Partner trauerte, drehte sich Oikawa zu ihm um. „Kanntest du sie?“

„Sei still!“

Oikawa erinnerte sich nur nach an eine emotionslosen Blick, dann wurde seine Welt weiß. Er fiel um, fiel aber nicht in den Schnee, sondern auf den harten Holzboden des Apartments und beinah auch noch gegen einen Stuhl. Oikawa entwich ein schmerzlichen Ächzen, wobei die Kopfschmerzen bei weiten schlimmer waren wie der dumpfe Schlag gegen seinen Rücken. Und seine Hände...

Oikawa starrte sie an. Sie glühten und waren taub. Zudem waren sie kalt, als hätte er Schnee in ihnen gehalten.

„Wie kann das sein...?“

Dreimal ballte Oikawa seine Finger langsam zu einer Faust, löste sie und schloss sie dann wieder, dies das Taubheitsgefühl gänzlich verschwand.

Der Film war vorbei. Auf dem Bildschirm verliefen weiße und schwarze Punkte ineinander und gab ein Pfeifen von sich, dass in Oikawas Ohr kein Pfeifen war.

Oikawa hörte einen Klang. Es klang wie ein Schneesturm.

 
 

 

31.12.2002

 

„Halb neun schon. Nicht einmal mehr eine halbe Stunde“, sagte Katsuya Konoka, als er auf seine Armbanduhr sah und anschließend in die Menschenmengen von Einzelpersonen und Grüppchen auf Familie und Verwandtschaft, die sich um ihre Sprösslinge scharten. Die Kinder, alles zwischen elf und vierzehn rangen mit Angst und Schweißausbrüchen und kompensierten ihre Angst damit indem sie in einer Minuten fünfmal kontrollierten, ob die ihre Abendkleidung angemessen saß und die Frisur nicht verrutscht war.

Yuki machte es genauso. Sie spielte mit dem Rock ihres schlichten, lavendelblauen Kleides. Ein dünner Schal in gleicher Farbe wickelte sich um ihren Hals und ständig zog sie ihn enger, da er ihr zu lasch vorkam, nur um ihn dann gleich wieder stramm zu ziehen, da sie das Gefühl hatte sie erstickte. Nun hatte auch noch irgendeiner ihrer Mitspieler das Gerücht verbreitet, dass Nobuo Uematsu hier wäre und die Kinder und Jugendlichen gerieten in so eine Panik, dass es wunderlich war, dass noch keiner in Ohnmacht fiel. Das Auftreten von Yukis Großvater hatte schon für Aufsehen gesorgt, aber da Masato ein Meister darin war sich unbemerkt durch die Mengen zu schleichen erregte er zu seiner Erleichterung wenig Aufsehen.

„Yuki... Alles gut?“

„Ich glaube schon, Mama.“

„Du siehst aus, als müsstest du dich setzen“, sagte Asami weiter, aber Yuki schüttelte den Kopf. Sie hatte berechtigte Sorge, wenn sie erst einmal sitzen würde, käme sie nie wieder auf die Beine. Yukis Lampenfieber übertrug sich auf die gesamte Familie. Ihre Oma Saeko wollte ihr den altbekannten Tipp geben, sich das Publikum nackt vorzustellen, allerdings glaubte sie nicht, dass dieser Trick bei einem Blinden funktionierte. Die Einzige, die entspannt war war Dinah, die von Asami gehalten wurde und hin und wieder gähnte der Hund.

„Großvater, hast du keinen Tipp für mich? Von Klavierspieler zu Klavierspieler?“

„Vor was hast du denn Angst, Yukino? Du hast geübt und für viele hier ist es das erste Konzert. Man wird von euch kein Meisterkonzert abverlangen“, sagte Masato und erntete prompt böse Blicke von Asami und ihren Eltern. „Wieso schaut ihr so?“

„Manchmal ist deine nüchterne Art nicht von Vorteil“, sagte Saeko, aber traf bei Masato nur auf Unverständnis. Yukis Oma konnte nicht mehr mitansehen, wie Yuki ihren Schal verdrehte und wie lose er da hing und wollte ihr helfen ihn wieder zu richten, als sie merkte, dass dazwischen etwas klemmte.

„Yukino, was hast du da? Hast du dir eine Brosche angesteckt?“

„N-Nein, Opa. Das ist nur...“

Yuki löste ihren Schal komplett und hielt mit dem dünnen Seidenstoff nun das Digivice ihres Vaters in der Hand. Da der Schal fort war, sah man auch, dass Yuki was Amulett trug. Der Ausschnitt war nicht tief und gerade, darum erkannte man es auch kaum, dass Yuki ihn unter dem Kleid und dem Schal versteckte.

„Es ist verboten worden Schmuck zu tragen. Aber ich wollte, dass Papa bei mir ist, wenn ich das erste Mal spiele. Aber ich bekomme es nicht richtig hin“, erzählte Yuki enttäuscht. „Könnt ihr mir vielleicht helfen?“

„Nichts leichter als das“, sagte Yukis Oma selbstbewusst und mit einem gezielten Griff in ihre Handtasche hielt sie eine Packung Haarklammern in der Hand. Asami schlich sich derweil zu einigen Empfangstischen und bediente sich an den Blumengestecken, ohne dabei ertappt zu werden. Mit einer weißen Seerosendahlie und etwas Schleierkraut kam Asami schnell wieder zurück, gerade als ihre Mutter mit den Haarklammern Yukis Schal so präparierte, dass man das Digivice unter dem Stoff kaum sah. In einer Stofffalte befestigte sie schließlich noch das Blumengesteck.

„So, das hätten wir“, antwortete Yukis Oma zufrieden. „Das dürfte bis zum Ende des Abends halten, wenn du nicht zu sehr tobst.“

„Danke, Oma“, freute sich Yuki. Stolz überkam Asami, als sie sich ihre Tochter ansah, die die letzten drei Jahre lebhaft geblieben, aber irgendwie auch ruhiger und damenhafter geworden war. Vielleicht machte das auch die Pubertät. Sie wünschte sich, Hisaki könnte sie sehen.

Dinah riss Asami schließlich aus den Gedanken. Die Ohren der Hündin lagen an. Sie schien unruhig und winselte laut.

„Dinah? Was hast du denn?“, sagte Yuki zu ihr und legte ihre Hände um Dinahs Schnauze. Am anderen Endes des Raumes rief ein Veranstalter die Musiker zu sich, um in die Räume hinter der Bühne zu bringen.

„Yukino, du wurdest gerufen“, ermahnte ihr Großvater. „Du musst mit.“

„Aber etwas stimmt mit Dinah nicht.“

„Yuki, Dinah wird vermutlich Angst haben, weil hier so viele Menschen auf engen Raum sind“, erklärte ihr Opa.

„Nein, ich weiß, dass es das nicht ist. Dinah winselt nie so. Sie spürt etwa-“

Yuki hörte einen Klang. Dann wurde alles schwarz. Der Reihe nach fielen Menschen um und blieben regungslos liegen, selbst Dinah sackte vor Yuki zusammen. Der Raum, vor wenigen Sekunden noch mit Tratsch und Gelächter gefüllt war nicht nur dunkel, sondern still.

Minuten vergingen, ohne das sich jemand rührte. Man hörte nichts. Bis auf Yukis Stöhnen während ihrer Ohnmacht. Ihr Bewusstsein war noch nicht ganz entschwunden, aber ihr Kopf schwamm regelrecht und ihre Gedanken trieben davon. Sie träumte.

(Wach auf kleine Alice trödel nicht du kommst noch zu spät)

Unter all den Menschen die auf den Boden lagen, war Yuki die Einzige unter ihnen, die zumindest ihre Kopf unruhig hin und her bewegte und Laute von sich gab. Die Stimme die sie rief kannte sie aber, sie kam nur nicht sofort darauf.

(Komm schon kleine Alice Wach auf sonst wird das nichts mit der Teeparty)

Kleine Alice. Das kam ihr bekannt vor. Wer nannte sie noch so? Sie wusste die Antwort, aber sie wollte ihr nicht einfallen. Etwas benebelte ihren Verstand und versuchte sie in diesem Schlaf festzuhalten. Ihre Gedanken trieben weiter davon. Die Stimme, die sie rief entfernte sich von ihr, obwohl sie noch aufgebrachter rief. Yuki war wieder davor in Tiefschlaf zu fallen, bis sie etwas spürte. Und hörte. Noch eine Stimme rief nach ihr, die sie sofort erkannte.

(Wach auf Häschen du musst aufstehen und nachdenken denk nach Yuki)

„Pa -!“

Yuki schreckte auf. Sie schnaufte schnell vor Aufregung und Euphorie, bis ihr klar war, dass das ja gar nicht sein konnte. Das Nächste was ihr auffiel war ein schrecklicher verdorbener Geruch, der auch noch direkt von ihr kam. Sie rief sich an ihren Hals und nach den Blumen, die ihr ihre Mutter und ihre Oma angesteckt hatten. Sie waren verfault. Und das Digivice, dass sie verbergen sollten war warm. Yuki konnte noch spüren, dass es leuchtete, dann erlosch das Licht.

„Du warst es wirklich, Papa...“

Yuki versuchte sie aufzurichten und stieß dabei gegen jemanden, der neben ihr lag. Sie tastete die Person vorsichtig ab und erkannte ihre Mutter. Ihre restliche Familie und Dinah lagen um sie herum und da es so totenstill war, befürchtete Yuki, dass es so wie ihrer Familie allen Gästen ergangen war.

Über den gesamten Boden lagen schlafenden Menschen, die sich nicht rührten und Yuki mitten unter ihnen.

(Du bist endlich wach? Wurde auch Zeit Du verpasst das Beste noch)

„H-Herr Deemon?“, rief Yuki auf. Ihr Ruf hallte.

„Herr Deemon? Was macht du hier? Wo bist du?“

(Oh ich bin nicht in deiner Welt Ich mach es mir etwas in der Dunkelheit gemütlich und genieße die Show)

„Du bist nicht hier?“, fragte sie verwirrt. „Aber ich höre dich doch.“

(Reine Kopfsache Das du mich hört liegt vielleicht daran dass deine Sinne etwas sensibler sind und da sich die Welten nun wieder so nah stehen)

„Nah stehen? Was meinst du damit?“

(Spürst du die Dunkelheit denn nicht?)

Nun da er es erwähnte, spürte Yuki die Dunkelheit wirklich. Es war auch diese, die ihre Blumen so schnell verfaulen ließ. War Dinah deswegen so nervös gewesen? Schliefen deswegen alle?

Vorsichtig stand Yuki wieder auf und lief los, wenn sie auch nicht wusste wohin, aber nach draußen zu kommen war vielleicht keine schlechte Idee. Vielleicht fand sie da jemanden. Sie kam jedoch nur langsam vorwärts. Überall lagen Personen und sie musste sich durch die Menge tasten. Überall bewusstlose Leute und kalte Körper. Nicht so kalt wie die eines toten Körpers, aber es war unheimlich.

„Herr Deemon, kannst du mir nicht sagen, was vor sich geht?“

(Dinge wiederholen sich ganz einfach Das ist typisch Digiwelt)

„Du klingst wie die Leute aus den Nachrichten. Die sagen auch nur ständig, dass sich die Dinge von vor drei Jahren wiederholen, aber halten sich dabei so vage wie möglich. Ich hasse das.“

Yuki blieb mit dem Fuß am Bein einander anderen Person hängen und fiel fast, konnte sich aber an einer anderen Person noch abstützen. Obwohl diese natürlich weiterhin bewusstlos blieb, entschuldigte Yuki sich. Die Person (Yuki tippte auf eine Frau) murmelte aber etwas, doch sie war schrecklich leise. Yuki hielt ihr Ohr entgegen, um das Gemurmelte besser zu hören. Sie murmelte „erhabener Meister Myotismon...“

Und nicht nur sie. Auch einige Personen um sie herum fing selbiges an zu murmeln.

(Am Anfang war der Himmel mit Fledermäusen bedeckt und die Menschen riefen nach ihrer erhabenen Majestät Ich sagte doch Dinge wiederholen sich)

„Dann... Dann hatte ich Recht. Ich hatte Recht! Onkelchen ist wirklich h-“

Vor Aufregung stolperte Yuki wieder. Statt sich an einem der Tische festzuhalten, verlor sie das Gleichgewicht wieder und riss Tischdecke und Dekoration mit sich. Gläser zerbrachen, die Blumen streuten sich auf dem Boden. Auch sie rochen verfault.

(Ja ist er und er hat seine verrückten Pläne immer noch nicht über den Haufen geworfen Ich bin mir nicht sicher ob ich so viel Beharrlichkeit bewundern oder als befindlich empfinden soll)

„Und warum stellst du dich ihm nicht, so wie damals?“

(Erstens ist er in eine Ebene gelangt die für mich unerreichbar ist Und zweitens habe ich ein Versprechen gegeben Im Grunde kann er ja machen was er will Was er tut kommt mir gelegen Nur zu was er geworden ist nun das gefällt mir nicht)

„Was heißt das?“, fragte Yuki. Sie hatte es aus der Menschenmenge geschafft und die Tür erreicht. Der Saal vor dem Eingang war leer und ihre Schritte hallten wie ihre Worte. Ihren rechten Arm hielt sie ausgestreckt und wedelte damit umher, um nicht gegen etwas zu laufen.

(Sagen wir als ich sah zu was er wurde hätte ich ihn nicht wiedererkannt Nicht wunderlich Er ist vor drei Jahren bereits gestorben Es wurden bereits zu viele Daten von ihm gelöscht oder beschädigt Ständig wieder von den Toten aufzuerstehen hat seinen Preis Ich glaube wenn du es nicht wüsstest würdest du dein Onkelchen nicht wiedererkennen Nicht mal Alice würde es)

„Hat er etwas... Schreckliches vor?“, fragte Yuki und sie schluckte schwer dabei. Sie tastete sich eine Wand entlang.

(Schrecklich wäre eine Untertreibung)

„So kenne ich ihn aber gar nicht.“

(Ich sagte ja er hat sich sehr verändert Dein Onkelchen existiert nicht mehr Das ist alles weg kleine Alice Nur sein Hass ist übrig geblieben)

„Nein, das glaube ich nicht. Etwas muss noch da sein“, beteuerte Yuk eisern. Die hatte die schwere Eingangstür erreicht. Als sie diese öffnete, wunderte sie sich, dass das Wetter anders wurde. Eigentlich müssten Minusgrade herrschen. Kalt war es, aber Yuki hielt es auch ohne ihren Mantel aus. Die Luft war so stickig und schwer. Und doch wirkte um sie herum alles irgendwie leer und tot, obwohl um diese Zeit die Hölle auf den Straßen Odaibas los war. Fühlte sich so Dunkelheit an?

(Was macht dich so sicher kleine Alice?)

„Ich habe ihn getroffen“, antwortete sie energisch. „Das glaube ich zumindest. Ich habe ihn gehört. Er hatte etwas vor, aber er hat mich wieder gehen lassen. Vor drei Jahren habe ich nicht verstanden wieso er mich erst in diesen Abgrund ziehen wollte, aber mich dann doch gehen ließ. Aber ich denke, ich habe es nun verstanden. Wäre nichts mehr von seiner Persönlichkeit da, hätte er mich einfach mit ins Verderben gezogen, egal ob ich wollte oder nicht.“

(Und was denkst du zu tun? Er ist in der Digiwelt und diese und deine Welt kommen sich immer näher und werden von der Dunkelheit verschlungen Was willst du von hier aus machen?)

Sie wusste es nicht. Gerade weil Yuki nicht wusste was sie tun sollte, obwohl sie handeln wollte begann sie zu verzweifeln. Die Stille der Stadt machte ihr Angst, aber sie konnte das Meer tosen hören, obwohl sie doch weit von der Küste entfernt war und Gebäude und Straßen dieses Echo normalerweise verschlangen.

Die Erde unter ihren Füßen bebte. Yuki hörte etwas. Und es kam näher, direkt auf sie zu.

Sie hob reflexartig die Arme vor sich, auch wenn sie nicht wusste, was da auf sie zukam. Ihr Digivice, dass noch an ihrem Schal hing begann zu leuchten, ohne dass sie es erst merkte und blockte den Schwall Dunkelheit ab. Alles was Yuki hörte war ein Ton. Ein sehr tiefer Ton, wenn eben nicht sogar ein A, der tiefste mögliche Ton. Und die Melodie ihrer Spieluhr. Anschließend nahm Yuki das Digivice von ihrem Schal und hielt es in der Hand.

„Hier kann ich nichts machen. Aber... Aber wenn ich.“

Yuki legte beide Hände um ihr Digivice, drückte es fest an sich und hoffte. Lange. Sie hörte die Stille, die hörte das Meer, die hörte den Wolkenbruch ganz in der Nähe, sie glaubte sogar, das undefinierbare Chaos selbst zu hören. Ihr Digivice leuchtete schwach – doch mehr tat es nicht.

(Das wird so nichts hier ist nicht einmal ein Tor in der Nähe und das nächste ist versiegelt du müsstest wenn schon die Stadt verlassen)

„Ich muss es nur weiter versuchen!“, brüllte Yuki weiter entschlossen. „Hier kann nichts machen. Im Wunderland vielleicht schon, also lass mich es weiter versuchen!“

(Es wird nicht funktionieren egal wie fest du daran glaubst)

„Woher willst du das wissen?!“

(Weil es nicht dein Digivice ist Du bist kein Digiritter und du bist nicht sein Partner Auch wenn du Alice' Tochter bist gibt dir das nicht automatisch einen Freischein für die Digiwelt und selbst wenn würde er nicht auf dich hören Er ist zweimal von den Toten auferstanden von seinen ursprünglichen Daten wird kaum mehr etwas übrig sein Der Schwarze König ist nun der Jabberwock der er schon immer war kleine Alice)

„Nein... Das kann nicht...“

Ihre Beine versagten. Yuki ging erst auf die Knie, schließlich setzte sie sich auf eine der Stufen vor dem Eingang der Stadthalle. Sie weinte leise und schwach. Langsam begann sie doch zu frieren, wäre das Licht ihres Digivice nicht. Es leuchtete immer noch, aber Yuki konnte sich nicht erklären für was. Sie war mit ihrem Latein am Ende, während der Donner, der mehr nach einem überaus tiefen und düsteren Klavierspiel klang über die Stadt und die ganze Welt zog.

„Gibst du auf?“, fragte die Stimme Deemons, die aber nicht mehr so fern klang, wie die ganze Zeit. Es klang für Yuki sogar, als stünde er hinter ihr. Trotzig wie Yuki aber war schüttelte sie den Kopf. Ihre andere Hand wanderte zu ihrem Amulett, dessen Anhänger unter dem Kleid verborgen war.

„Papa hat mir gesagt, der Schwarze König sei furchteinflößend, stark, aber gerecht und hätte die Fähigkeit seine Gestalt zu verändern. Egal zu welcher strahlenden oder unheilbringenden Kreatur er wird, er sei immer er selbst. Ich möchte glauben, dass es so ist. Auch wenn er in tausendstel Teile zerfallen ist, etwas von ihm muss noch da sein.“

„Typisches Kindergerede, mal wieder“, schnaufte Deemon verächtlich. „Und verrückt wie der Vater.“

„Scheinbar nicht verrückt genug um eine Lösung zu finden.“

„Nun, bedauerlich, dass von ihm nichts mehr hier ist. Alice erschuf den Schwarzen König in gewisser Weise und der Schwarze König ist dazu verdammt, ewig von Alice zu träumen, selbst wenn er alles andere um sich vergisst. Selbst seine Träume bestehen nur aus Alice, wer also sollte ihn daher noch erreichen?“

Deemon schnalzte und Yuki wusste im ersten Moment nicht warum. Sie dachte über die Worte nach, an die Geschichte und stellte sich eine Frage, die sie schon als kleines Kind hatte – würde Alice wirklich verschwinden, wenn der Schwarze König erwacht? Alice war ja kein Traum. Außerdem existierte noch etwas von ihrem Vater, wenn auch nicht auf diese Art.

„Warum hilfst du mir, Herr Deemon?“, fragte Yuki leicht skeptisch.

„Ich denke nur laut. Das Meer ist so laut, dass ich meine eigenen Gedanken sonst nicht höre.“

„Und warum dann so, dass ich es sogar höre? Sag nicht, ich tue dir Leid.“

„Ganz sicher nicht. Im Moment ärgert sich dein Onkelchen noch mit den Digirittern rum. Eine verträumte, unnütze Bande Kinder. Sie haben zwar Dinge geschafft, die ich ihnen nie zugetraut hätte, aber ich habe wenig für sie übrig. Sie sind nun einmal nicht so wie dein Vater und seine Freunde. Du bist den aktuellen Digirittern in ihrer Besinnung ähnlich, aber ein Teil von Alice lebt in dir weiter. Und mich würde es sehr interessieren, wie viel von Alice in dir steckt. Ob du etwas erreichst oder scheiterst ist mir egal. Gleich wie der Tag heute endet, es ist in jederlei Hinsicht zu meinem Vorteil.“

Trotz dass Deemons Worte harsch und direkt waren, konnte Yuki sich zu einem Lächeln aufbringen. Vorsichtig erhob sich Yuki wieder und mit ihrer noch freien Hand zog sie nun auch das Wappen heraus. Es strahlte hellblau in der zunehmenden Dunkelheit.

Vielleicht brachte es nichts. Vielleicht konnte sie nichts tun, aber sie durfte es nicht unversucht lassen und streckte ihre Digivice hoch.

„Komm schon... Wenn du wirklich so ein Wundergerät bist, mach bitte irgendetwas dagegen!“, sagte Yuki zu dem Digivice, als wäre es eine fühlende Kreatur. Es leuchtete zwar, aber es war im Vergleich eher ein schwacher Schimmer und Yuki spürte es. Deemon, dass alles aus sicherer Distanz beobachtend schüttelte zwar den Kopf, gab die Kleine aber noch nicht ganz auf.

„Bitte mach was! Ich bin nicht dein richtiger Besitzer, aber wenn du mich in der Vergangenheit schon beschützt hast, kannst du jetzt auch etwas hiergegen unternehmen! Jetzt komm schon!“

Nur schwaches Schimmern, mehr nicht. Verzweifelt und auch wütend, aber nicht einmal darüber nachdenkend aufzugeben streckte Yuki das Digivice so weit in die Höhe, wie sie konnte. Sie sah es nicht, doch dafür Deemon, wie das Schimmern zu einem Glühen und dann zu einem Leuchten wurde, als sie schrie:

„Verdammt, Papa, er ist dein Freund, egal was er ist! Wenn ich es nicht kann, dann unternimm du etwas, bevor das Wunderland unter geht! Wenn deine Worte auch nur im Ansatz ernst gemeint waren, dann halt dich daran und mach etwas! Bitte!“

Der Sturm, der aufkam verstummte. Yuki hörte einen Klang.

Sie hörte den Klang von Vivaldis Winter.


Nachwort zu diesem Kapitel:
- Dinah ist der Name der Katze von Alice, die in Hinter den Spiegeln auch zwei Kätzchen hat, nämlich Snowball und Kitty.

- Die ganze Sache mit Ken ist überaus mysteriös. Ich bekam raus, dass er sein Digivice im Dezember 2000 bekam. Der Kampf mit Diaboromon war im Sommer des selben Jahres. Es ist nicht abwegig, dass Ken so zum Digiritter wurde, wie es auch bei Ryou war, den man ja auch im Film sieht. Unklar ist nur wie lange Ken damals in der Digiwelt war. Suggeriert wird, dass er länger dort war, in der gleichen Zeit aber in der Realen Welt nur ein paar Minuten vergingen. Aber 2000 war die Zeitverschiebung doch aufgehoben... ... Hä?

- Das mit der Begründung warum Myotismon überhaupt Schwarze Türme anfangs wollte hab ich mir aus den Fingern gezogen, weil Staffel Zwei einfach keinen Sinn macht. Staffel eins auch, aber hier ist es echt schlimm.

- Noriko heißt im deutschen Dub Nadine.

- Nobou Uematsu ist der Komponist der Final Fantasy Soundtracks I - XI und XIV (eigentlich wollte ich Keiichi Okabe hier erwähnen, der Komponist der Soundtracks der Drakengard und NieR Reihe, aber der gute Mann war 2002 noch nicht so bekannt, obwohl er da schon Soundtracks für Tekken machte.) Komplett anzeigen

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