Entscheidungen von tobiiieee (Was, wenn?) ================================================================================ Kapitel 11: Bonuskapitel: Thinking Of You II -------------------------------------------- Genesis stöhnte und öffnete die Augen. Er wusste, er hatte eben noch etwas geträumt, aber es war ihm schon entfleucht. Er wusste auch, dass es dunkel war im Zimmer, dennoch konnte er Ramon nicht nur schemenhaft, sondern ganz im Gegenteil sehr deutlich neben sich ausmachen. Er hatte sich neben ihm aufs Bett gesetzt. Genesis rieb sich mit einer Hand übers Gesicht und richtete sich aus seiner liegenden Position unter der Decke etwas auf. „Wie spät ist es?“, fragte er murmelnd. „Ach, das willst du lieber nicht wissen, glaub ich“, sagte Ramon, wobei er ihm nicht direkt in die Augen sah. „Bist du wenigstens fertig?“ „Noch nicht ganz“, sagte Ramon ausweichend. Genesis verstand nicht, warum Ramon ihn geweckt hatte und warum er überhaupt am Bett saß. Sein Blick wanderte umher und fand das Buch, das auf dem Nachttisch lag. „Hab ich dir eigentlich schon gezeigt, was ich gerade lese?“, fragte er etwas verschlafen, griff ungelenk nach dem Buch und drückte es Ramon in die Hand. Es waren antike kurzweilige Gedichte und Satiren, die ihm seit Jahren wiederholt empfohlen worden waren, aber er war der Empfehlung nie nachgekommen – bis jetzt. Ramon warf einen kurzen Blick auf das Buch und legte es dann zurück. Genesis fiel ein, dass Ramon in der Dunkelheit wohl kaum etwas erkennen, geschweige denn etwas lesen konnte. „Ich bin gleich fertig“, sagte Ramon, erhob sich vom Bett und durchquerte das Schlafzimmer. Genesis sah ihm durch die offen gebliebene Tür hinterher. Der Schmerz in seinem Gesicht brachte Ramon förmlich um. Seit einer Viertelstunde wartete er darauf, dass das Schmerzmittel endlich wirkte und dass die Tablette gegen seine angegriffenen Atemwege ihre Arbeit tat. Während er sich stöhnend die Stirn massierte, versuchte er sich auf den Aufsatz vor sich zu konzentrieren. Er stellte die Schreibtischlampe näher an das Buch heran und runzelte die Stirn bei dem Versuch, etwas zu entziffern. Ihm wurde schwindelig und die Buchstaben begannen zu tanzen, als er sich auf seine Lektüre konzentrierte. Es mochte nicht in seiner Natur liegen, aufzugeben, aber es war zwecklos; er konnte gegen Müdigkeit, Durst und Hunger ankämpfen, aber nicht gegen explodierende Kopfschmerzen. Seufzend lehnte sich Ramon in seinem Schreibtischstuhl zurück. Er atmete ein paarmal so tief wie möglich durch und schloss dabei die Augen. So konnte er die Schmerzen deutlicher feststellen; sie zogen sich in etwa von der Stirn zwischen den Augenbrauen über sein Nasenbein zu den Wangen direkt unter den Augen. Wenn er so weitermachte, würden sie sich über die Wangenknochen und die Schläfen über den ganzen Kopf ausbreiten. Es war besser, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen, eine ganze Menge Wasser zu trinken und ins Bett zu gehen. Sicherlich würde ihm Genesis‘ Anwesenheit guttun; er wusste, dass sein Stresslevel die Schmerzen für gewöhnlich verschlimmerte. Mit einem Blick auf die Uhr hinter sich erhob sich Ramon von seinem Schreibtisch. Es war schon fast halb zwei morgens. Er räumte seine Dokumente möglichst ordentlich auf einen Stapel, schloss alle Bücher und fuhr seinen Computer herunter, ehe er den Stuhl an den Schreibtisch heranschob und sein Arbeitszimmer verließ. Er durchquerte das anschließende Wohnzimmer und öffnete leise die Tür zum Schlafzimmer. Lächelnd blieb er stehen. Was Ramon anging, so hatte er im Leben noch keinen schöneren Menschen gesehen als Genesis. Diese helle Haut, immer stilsicher in dunkle Kleidung gehüllt, diese Statur, die blauen Augen, der jederzeit etwas zynische Blick, diese Haarfarbe. Genesis‘ Anblick bannte ihn jedes Mal aufs Neue und so konnte er, obwohl es ihm in der Dunkelheit nicht möglich war, mit den Augen wirklich etwas zu sehen, erahnen, wie sich Genesis‘ Körper unter der Decke gestaltete. Er lag auf der linken Seite und atmete ruhig und unbeschwert, den Kopf auf einem Arm gelegt, der andere hing beinahe über den Bettrand hinaus. Ramon wusste, dass er sich schon vor langer Zeit in Genesis verliebt hatte, auch wenn sie offiziell nicht mehr als eine Affäre unterhielten. Seit Wochen überlegte er, ob er Genesis nicht seine Liebe gestehen sollte. Allerdings war immer etwas dazwischengekommen. Ein Geständnis hätte Genesis nur unter Druck gesetzt und verjagt. Ramon ging auf Genesis zu und setzte sich vorsichtig zu ihm aufs Bett. Keine Reaktion. Er hatte Genesis‘ festen Schlaf schon häufig bewundert. Sanft legte er Genesis eine Hand auf die Seite. Der seufzte und bewegte sich unter der Berührung, allerdings schien er weiterhin zu schlafen. Ramon verstärkte den Druck seiner Hand. Genesis verzog im Schlaf das Gesicht und murmelte etwas. Ramon erstarrte. Genesis öffnete stöhnend die leuchtenden Augen und schaute ihn in der Dunkelheit an. „Wie spät ist es?“, fragte er leise. „Ach, das willst du lieber nicht wissen, glaub ich“, erwiderte Ramon tonlos. Er konnte Genesis nicht ansehen. „Bist du wenigstens fertig?“, fragte Genesis weiter. „Noch nicht ganz.“ Ramon wusste nicht, ob das eine halbe Lüge oder eine halbe Wahrheit war. Er konnte sich noch nicht zu Genesis ins Bett legen. Er brauchte Zeit. „Hab ich dir eigentlich schon gezeigt, was ich gerade lese?“, fragte Genesis nichts ahnend und reichte ihm das Buch, das auf dem Nachttisch lag. Genesis nannte ihm den Namen, der Ramon vage bekannt vorkam, aber mit dem Werk hatte er sich ziemlich sicher noch nie gesondert beschäftigt. Er legte das Buch, mit dem er im Dunkeln sowieso nichts weiter anfangen konnte, auf den Nachttisch zurück. „Ich bin gleich fertig“, sagte er dahin, stand wieder auf und ging zurück in sein Arbeitszimmer, dessen Tür er hinter sich schloss. Nun wieder ein Pochen in der Stirn, setzte er sich in seinen Schreibtischstuhl und versuchte sich zu beruhigen. Gut, er hatte ernsthaft vorgehabt, mit Genesis zu sprechen, auch wenn er wusste, dass der von „Gefühlsduselei“, wie er es sicher nennen würde, überhaupt nichts hielt. Er war bereit gewesen, sich emotional angreifbar zu machen. Vielleicht hatte er sich nur eingebildet, dass Genesis im Schlaf einen Namen murmelte. Und vielleicht trog ihn seine Erinnerung, die sich bei diesem Namen meldete. Sobald er vor Monaten erfahren hatte, dass mit Genesis ein bekanntes Gesicht eines anderen Landes vor ihm stand, hatte er seinen Namen natürlich bei der nächstbesten Gelegenheit in eine Suchmaschine eingegeben. Dabei war er auch auf andere Namen gestoßen. Ramon fasste einen Plan. Er fuhr seinen Computer wieder hoch und suchte erneut im Internet nach Ergebnissen für Genesis‘ Namen. Die Vorstellung, mit jemandem zu schlafen, der über einen eigenen Enzyklopädieartikel in zwei Sprachen verfügte, hatte Ramon damals ziemlich überwältigt, und auch jetzt, da er sich an den Gedanken eigentlich gewöhnt hatte, überkam ihn doch noch einmal dieses Gefühl, als er auf die englische Version des Artikels über Genesis klickte und ihn auf eine bestimmte Person absuchte. Es dauerte Sekundenbruchteile, bis seine Augen, die an solche Suchaufgaben gewöhnt waren, den Namen entdeckt hatten: Sephiroth Crescent. Genesis‘ langjähriger ehemaliger Partner. Ramon klickte auf den Namen. Der verlinkte Artikel war recht lang; Ramon überflog ein Stück der hinteren Partie, von der er ahnte, dass dort die Beziehung mit Genesis auftauchen musste. Er erfuhr, dass die beiden nicht ganz freiwillig geoutet worden waren und eine große Debatte in ihrer Heimat losgetreten hatten. Das war nun über neun Jahre her. Auch wenn Ramon es beeindruckend fand, mehr oder weniger direkt mit solch bedeutenden Personen verbunden zu sein, so hatte er eigentlich nur nach dem Namen gesucht, um das zugehörige Gesicht zu sehen. Dieser Sephiroth passte optisch, das musste er zugeben, sehr gut zu Genesis. In Gaia musste irgendwas im Wasser sein. Doch Genesis hatte sicherlich nicht einen dreisilbigen Namen gemurmelt. Er suchte den Namen mit einem anderen Dienst und lernte, dass sich Genesis‘ Exfreund wohl nie bei seinem vollen Namen, sondern immer nur „Seph“ nennen ließ – leider passte das genau auf das, was Genesis unbewusst von sich gegeben hatte. Ramon wandte den Blick vom Bildschirm ab. Konnte es sein? Während er nächtelang wach lag und überlegte, wann und wie er Genesis endlich seine Gefühle offenbaren sollte und konnte und was dann möglicherweise alles geschah – hing Genesis in dieser Zeit in Wahrheit heimlich noch an seinem Ex? Dachte an ihn? Träumte von ihm? Hielt ihn für ihn? Genesis, kurz angebunden, zynisch, gefühlsabgeneigt – verzehrte sich im Innern nach einem Mann, mit dem er selbst Schluss gemacht hatte? Für Ramon war das zu viel. Er schaltete den Computer wieder aus und ging in die Küche, wo er sich weitere Schmerztabletten einverleibte, weil die erste immer noch nicht zu wirken angefangen hatte. Er trank ein Glas Wasser hinterher, begab sich ins Bad und kehrte dann ins Schlafzimmer zurück. Genesis war wieder eingeschlafen. Ramon legte sich auf die andere Seite des Bettes, möglichst weit entfernt. Zu seiner Verliebtheit, mit der er Genesis noch Minuten zuvor betrachtet hatte, mischte sich Bitterkeit. Er fühlte sich betrogen. Er wusste, er war nie der einzige in Genesis‘ momentanem Leben gewesen. Aber die andern hatten Genesis nichts bedeutet. Er verbrachte eine Nacht mit einem Mann und sah ihn nie wieder. Mit seinem Ex war das anders. Er ließ ihn nicht los. Genesis hatte Gefühle für diesen Mann. Für diesen andern. Und nicht für ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)