Entscheidungen von tobiiieee (Was, wenn?) ================================================================================ Kapitel 12: Natt ---------------- Da war er. Einfach da, mit seinen großen dunkelbraunen Augen. Zwischen all den Leuten in ihren teuren Anzügen und prächtigen Abendkleidern, zwischen all den Brillanten, dem Gold und dem Silber. Er stand einfach da, nicht weit entfernt, und fing zufällig seinen Blick auf. Überrascht schaute er zuerst kurz weg, um nicht zu starren, doch dann wandte er seinen Blick wieder zurück und sah ihn irgendwie schüchtern und irgendwie kokett an und brachte ihn in Sekundenbruchteilen um den Verstand. Ihm stockte der Atem, ja er vergaß völlig zu atmen, sein Mund war trocken, und doch, noch ehe er wusste, was er tat, bewegte er sich wie magnetisch angezogen herüber, beachtete nicht, ob er gerade noch in einem Gespräch gewesen war, ging hinüber zu diesem Wesen mit dem fesselnden Blick, stellte er sich eigentlich vor? Er musste ein Stück nach unten schauen, wurde mit einem Augenaufschlag von unten her angesehen, überwältigt, eingenommen, übernommen, besiegt, ohne einen Kampf angefangen zu haben ... Sie blieben nicht mehr lange, schwärmten durch die Nacht, er wusste nicht, wohin er geführt wurde, erkannte die Straßen seiner eigenen Stadt nicht mehr wieder, weil er dafür keine Augen hatte, was interessierte es ihn, wo er war, bei ihm, das war wichtig, wo es auch immer sein mochte, was es auch kosten mochte, Hauptsache bei ihm, mit ihm, in ihm ... Er wusste nicht, wo er sich hineinstürzte, als er schon in kürzester Zeit so vieles erfuhr, den Namen seines Angebeteten, dass diese Goldfarbe in seinen Haaren nur getönt war, dass er Kaffee trank, ein Nachtmensch war, wie er sich einrichtete, seine Lieblingsserien, seine Kindheitshelden, wie himmlisch seine Lippen schmeckten, wie lang seine Wimpern waren, wie der Schweiß auf seiner Haut schmeckte, wenn er ihn süß triezte, wie seine Schenkel ihn umschlossen, als er sich in ihm versenkte, wie seine Hände sich in seinen Haaren vergruben, und über allem diese liebliche Melodie der Nacht* ... „Guten Morgen ...“ Als Sephiroth den Blick zur Tür wandte, blieb ihm das Herz stehen. Natt lehnte im Türrahmen seiner eigenen Küche, in nichts gekleidet als eine Unterhose und ein von Sephiroth geliehenes Hemd, dessen Knöpfe er offen gelassen hatte. Sein goldblondes Haar, das ihm nicht ganz bis zu den Schultern reichte, hatte er anscheinend nur mit den Fingern etwas gebändigt, aber noch nicht ordentlich gekämmt. Sephiroths Blick schoss von einem Stück Haut, das Natt zeigte, zum nächsten. Ihm wurde warm, wie er seinen Geliebten in einer so lasziven Pose vor sich sah. Souverän sah Natt sich in seiner Küche um, in der ein halb fertiges Frühstück zu erkennen war. „Ich war so frei, mich ein wenig zu bedienen“, erklärte sich Sephiroth. Gelassen stieß sich Natt vom Türrahmen ab und kam langsam auf ihn zu. Dabei ließ er ihn nicht aus den verrucht dreinschauenden Augen. „Ich bitte darum“, schnurrte er, als er vor Sephiroth zum Stehen kam und mit einer Hand über seine Brust fuhr. „Nicht, dass du mir vom Fleisch fällst. Nach der letzten Nacht wäre das tragisch. Das muss unbedingt wiederholt werden ...“ Sephiroth schluckte schwer. Sein Gehirn versagte ihm den Dienst. Er konnte nur noch auf Natt vor sich starren, der ihn von unten verführerisch anblickte und ihm anscheinend zu sagen versuchte, dass sie das Frühstück wohl doch noch einmal kurz verschoben ... „Interessant. Ich hätte gedacht, so eine ... Wohnung ... wäre größer.“ Natt stand mitten in Sephiroths Wohneinheit im Shin-Ra-Hauptgebäude und schaute sich staunend in dem kleinen Wohnzimmer um, das nicht für viel mehr Platz bot als für den runden Küchentisch, die Küchenzeile daneben und einen Sessel nebst Bücherregal, die beide noch aus Genesis‘ Zeiten herrührten und seitdem wenig genutzt worden waren. Sephiroth trat von hinten an Natt heran und nahm ihn liebevoll in den Arm, wobei er seinen Kopf auf Natts Schulter herabsinken ließ. Natt wandte sich nach ihm um und sah ihm verliebt in die Augen, ehe er ihm eine Hand an die eine Wange legte und ihm einen sanften Kuss auf die andere gab, den sich Sephiroth zu erwidern beeilte. Sie waren schnell erneut im Schlafzimmer gelandet; dort erlebten sie ungeahnte Wonnen, die Sephiroth nun schon so lange entgangen waren. Sie schmiegten sich danach Arm in Arm dicht aneinander. „Und das ist auch schon die größte Wohneinheit“, sagte Sephiroth nach einer Weile wie aus dem Nichts. „Hm?“, machte Natt, den er offensichtlich aus seinen Tagträumen gerissen hatte. „Ach so. Ja, das passt ja auch zu dir.“ „Es war ursprünglich nicht mal meine“, verriet ihm Sephiroth. „Was, nicht? Oha.“ „Tja, ich schätze, sie wussten, dass Genesis ein bisschen mehr Luxus braucht, bei der Familie, aus der er stammt ...“ Es schien ihm keine gute Idee, schon so früh von seinem Ex anzufangen. „Wie spät ist es überhaupt?“ Er hatte jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren. „Es ist schon wieder seit Ewigkeiten dunkel.“ „Ich schätze, so ...“, sagte Natt nachdenklich, „halb neun.“ „Was?!“ Sephiroth wollte das nicht glauben. Zugegeben, sie hatten sich auf einer spätabendlichen Veranstaltung kennengelernt und es hatte ein wenig Zeit in Anspruch genommen, ehe sie zu so etwas wie Schlaf gekommen waren, aber sie waren doch gefühlt eben erst aufgestanden. Wie konnte es schon wieder so spät am Abend sein? „Doch, doch, ich denke schon“, bestätigte ihm Natt. „Ich schau mal nach.“ Und er machte Anstalten, aus dem Bett aufzustehen, aber Sephiroth schlang ihm sanft einen Arm um die Taille. „Gar nichts machst du“, raunte er Natt belustigt zu. „Du bleibst schön hier bei mir.“ Natt ließ sich zwar zurückziehen und schmiegte sich an seine Brust, schaute ihn aber auch an, als wäre da noch etwas. „Das wird etwas schwierig, denk ich“, rückte er schließlich mit der Sprache heraus. „Ich muss auch irgendwann zur Arbeit.“ „Um die Uhrzeit?“, wunderte sich Sephiroth etwas bestürzt. Natt grinste ihn verlegen an. Für Sephiroth fühlte sich die Situation unglaublich surreal an. Er hatte sich noch nie in einem solchen Etablissement aufgehalten, nicht einmal, als er Single gewesen war. Ja, er hatte sich schon einmal gegen seine sonstige Art in eine Bar begeben, nur mit dem Ziel, jemanden abzuschleppen – über seinen Erfolg hatte sich die Regenbogenpresse lang und breit ausgelassen –, aber eine normale, unverfängliche Bar war etwas anderes als das hier. Die Fenster waren verdunkelt oder abgeklebt – da es ohnehin finster war, konnte Sephiroth dieses Detail nicht genau ausmachen – und auch das Licht im Raum war gedimmt, in die Ecken, in denen sich schemenhafte Gestalten wälzten, drang kaum etwas davon. Die Farbe Rot dominierte den Raum, doch kein gedecktes, dunkles Rot wie bei einem guten Wein, sondern ein Rot so hell wie Blut, als Farbe der Leidenschaft. Und Sephiroth saß am einen Ende des Raums an der Bar gegenüber einem hübschen Barkeeper, dessen Augen ein dichter Kranz aus langen Wimpern umgab, und versuchte angestrengt, nicht daran zu denken, wo er sich aufhielt. Er wandte einer Szene den Rücken zu, die sich hinter ihm auf einem Tisch abspielte. Gäste hatten dafür bezahlt, dass sein Freund für sie tanzte. Er durfte nicht zu viel darüber nachdenken, dass Fremde seinen Freund anglotzten und sich an ihm aufgeilten. Wenn er diese Beziehung wollte, musste er auch Natts Job akzeptieren. Sein inneres Überkochen musste sich auch auf seinem Gesicht gezeigt haben, denn der Barkeeper stellte ihm ein kleines Glas mit eindeutigem Inhalt hin. „Geht aufs Haus“, sagte er sorglos. Sephiroth zögerte. „Alkohol ist eigentlich nicht meine Art“, sagte er, während er das Glas zwischen die Finger nahm und es nachdenklich schwenkte. Der Barkeeper schaute ihn skeptisch an. Sephiroth stürzte den starken Alkohol in einem Schluck hinunter. „Danke“, murmelte er. „Ich hab auch Limonaden, wenn dir Alkohol nicht zusagt“, bot er an, wenn er dabei auch etwas genervt wirkte. Sephiroth warf ihm einen nicht überzeugten Blick zu. Wenn er ehrlich war, hätte er am liebsten ein Glas kühles Wasser gehabt, um sein Gemüt herunterzufahren, aber so ganz konnte er sich nicht überwinden, nach so etwas Banalem wie Wasser zu fragen. Und wenn er die Wahl zwischen süßen Getränken und Alkohol hatte, war ihm doch eher nach Alkohol. „Hast du auch einen Weißwein?“, fragte er zaghaft. „Klar.“ Er goss ein großzügiges Glas ein. „Der Name ist übrigens Armağan.“ „Freut mich“, sagte Sephiroth mit einem ehrlichen Lächeln und nahm das Glas entgegen. Er hatte nicht das Gefühl, sich noch großartig vorstellen zu müssen. „Das ist nicht grad deine Art von Laden, oder?“, fragte Armağan sehr direkt. Sephiroth verneinte. „Ich bin hetero, also passen wir eigentlich beide nicht hierher“, sagte er verständnisvoll. „Aber das ist unwichtig, man gewöhnt sich dran, wenn man einen Grund hat, hier zu sein.“ Sephiroth nickte nur stumm. Diese fortgeschrittene Stunde war auch nicht gerade seine Art von Uhrzeit. Während er an seinem Weißwein nippte, gab ihm Applaus irgendwo im Raum hinter ihm darüber Auskunft, dass Natt den Tisch erfolgreich verlassen hatte. Armağan sah an Sephiroth vorbei in den Raum hinein. „Ehrlich gesagt ist er nicht der beste Table Dancer, den die Welt je gesehen hat“, sagte er ungefragt. „Aber an der Stange macht ihm so schnell keiner was vor, das ist mal sicher.“ „Glaub ich dir aufs Wort“, sagte Sephiroth tonlos. Vorstellen wollte er es sich nicht. Als sein Glas ein deutliches Stück geleert war, stieß Natt zu ihnen, nun wieder angezogen, wenn man es so nennen wollte. Sephiroth fand diese gewollt aufreizende Art unheimlich unerotisch im Vergleich dazu, wie Natt vorher in seiner Küche aufgetaucht war. Natt schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, als er sich zu ihm setzte, und küsste ihn flüchtig zur Begrüßung. Sephiroth erwiderte das Lächeln etwas weniger strahlend; er war wirklich müde. „Spendierst du mir einen Champagner?“, fragte ihn Natt neckend. „Was?“, fragte Sephiroth planlos. Natt gab ein belustigtes Geräusch von sich und wandte sich Armağan zu. „Einmal Champagner“, sagte er gut gelaunt. „Kommt sofort“, erwiderte Armağan routiniert. Natt nippte einmal kurz an dem Champagnerglas, das ihm Armağan hinstellte, und drehte sich dann wieder zu Sephiroth um, dem er zärtlich mit den Fingerspitzen einer ausgestreckten Hand über die Wange streichelte. Sephiroth nahm Natts Finger sanft in seine eigenen und hauchte einen Kuss darauf. Als wären sie die einzigen beiden Menschen im Raum oder vielleicht auf der ganzen Welt, schauten sie sich verliebt in die Augen – bis Armağan sie unterbrach. „Der Chef sieht das bestimmt nicht gerne“, bemerkte er an Natt gewandt. „Pah“, machte Natt in seiner jugendlichen Überschwänglichkeit, „soll er mich doch rausschmeißen, wenn’s ihm nicht passt, dass ich nicht nur für den Job hier lebe.“ Armağan warf ihm einen etwas verbissenen Blick zu. „Du musst wissen, du bist nicht halb so unersetzbar, wie du glaubst.“ Sephiroth war damit nicht einverstanden. „Doch“, widersprach er zu Armağans Missfallen; er nahm Natt mit einem gewinnenden Blick wieder für sich ein, „doch, ich glaube schon.“ Sephiroth saß Genesis immer noch wie vom Donner gerührt auf dem Sofa gegenüber. „Ich verliebe mich also Hals über Kopf in ...“ „Einen Tänzer“, ergänzte ihn Genesis. Sephiroth schüttelte den Kopf. „Darüber komm ich nicht hinweg.“ „Vielleicht mit Alkohol?“ Genesis sah ihn fragend an. „Ist es dafür nicht etwas früh?“, fragte Sephiroth stirnrunzelnd. Genesis zuckte die Schultern. „Wem gegenüber willst du dich rechtfertigen? Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Sephiroth warf ihm noch lange einen nachdenklichen Blick zu, ehe er sagte: „Na gut, aber dann nur einen leichten Weißwein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)