Entscheidungen von tobiiieee (Was, wenn?) ================================================================================ Kapitel 17: ... Und andere Probleme II -------------------------------------- Entgegen seiner sonstigen Art hatte Sephiroth den Sommer sehr genossen; zwar war er für die wärmeren Temperaturen der Jahresmitte einfach nicht geschaffen, aber in diesem Jahr waren die Sommermonate mit ein paar eher freizügigen Outfits seines neuerdings angetrauten Ehegatten einhergegangen und so war er doch sehr viel mehr bereit, die Existenzberechtigung der warmen Jahreszeit einzusehen. Natt und seine Freunde hatten die lauen Sommernächte noch öfter zum gemeinsamen Feiern genutzt und Sephiroth war so frei gewesen, Cloud auch einzuladen, der ihm ständig amüsierte Blicke zuwarf, die „noch einmal jung sein ...“ zu sagen schienen. Doch im Allgemeinen war Sephiroth froh, als die Temperaturen sich wieder abkühlten und sich der Herbst ankündigte – auch weil das bedeutete, dass sich zum ersten Mal der Tag jährte, an dem er Natt kennengelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Sephiroth zauberte seinem Mann und sich ein recht aufwändiges Abendessen, zu dem sie eine gute Flasche Wein genossen. Natt wirkte glücklich, als er Messer und Gabel beiseitelegte und sein Glas zur Hand nahm. „Es war köstlich, Schatz“, sagte er mit seinem bezaubernden Lächeln. „Freut mich“, sagte Sephiroth erfreut. „Aber an unserem Hochzeitstag gehen wir schon aus, oder?“, fragte Natt. Sephiroth warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Was? Ist ja schön und gut, heute ist nur unser Kennenlerntag, da geht auch was Selbstgekochtes, aber entschuldige bitte, ich möchte ausgeführt werden, wozu bin ich so hübsch?“ Sephiroth grinste seinen Mann liebevoll an. „Nach einem Jahr merke ich jetzt, wie unverschämt du bist“, neckte er Natt. „Ich bin es ja wohl wert, dass du dein Geld für mich ausgibst“, sagte Natt mit einem koketten Augenklimpern. „Jetzt wird er aber ein bisschen wie du“, unterbrach Sephiroth die Erzählung. „Du magst recht haben“, stimmte Genesis stirnrunzelnd. „Ich schätze, mein ‚Kreiere einen bezaubernden Mann‘-Akku ist aufgebraucht. Ich bin nun mal nicht bezaubernd.“ „Ach, da würde ich dir widersprechen“, sagte Sephiroth. Genesis sah ihn entsetzt an. „Wobei, nein, stimmt“, korrigierte sich Sephiroth nach einer Bedenksekunde. „Ich fing gerade an mich zu fragen, wer du bist“, sagte Genesis sarkastisch. „Kannst du tanzen?“, wechselte Natt plötzlich das Thema. „Ähm – nein“, gestand Sephiroth. „Was?“, fragte Natt entsetzt. „Du hast einen Tänzer geheiratet und kannst selbst überhaupt nicht tanzen?“ „Du hast auf Tischen und an Stangen getanzt“, erinnerte ihn Sephiroth. „Getanzt ist getanzt“, beharrte Natt. „Nicht mal irgendeinen Standardtanz?“ „Nein“, sagte Sephiroth noch einmal. „Walzer?“ „Nein, Schatz“, wiederholte Sephiroth. „Oder Cha-Cha-Cha?“ „Wie oft muss ich dir noch antworten, bis du mein Nein akzeptierst?“, fragte Sephiroth ratlos. „Ich könnte dir was beibringen“, sagte Natt. „Oder – ich weiß nicht, ich würd es auch nicht ganz ungerne sehen, wenn du einfach für mich tanzt, weißt du, du allein nur für mich?“ Natt warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Ich steck dir auch ein paar Scheine zu, wenn du dich dann wohler dabei fühlst“, schlug er unschuldig vor. Natts Blick sagte ihm, dass er diese Vorstellung vergessen konnte. Natt erhob sich von seinem Stuhl und streckte Sephiroth eine Hand entgegen. „Komm, ich zeig dir was ganz einfaches“, redete er auf ihn ein. Sephiroth seufzte unwillig; aber wie konnte er Natt einen Wunsch abschlagen? So ließ er sich ins Wohnzimmer ziehen, wo Natt langsame Musik einstellte. „Du bist größer als ich, also ist es einfacher, wenn du führst. Deine linke Hand hier ... deine rechte in meine ...“ Und so bekam Sephiroth die erste Tanzstunde in seinem Leben. Dumm stellte er sich nicht an, aber sein Hobby würde das langsame Tanzen nicht werden; er bevorzugte eindeutig eine andere Art, mit Natt zu tanzen ... Aber wie sie sich nah aneinander zur langsamen Musik wiegten, wurde Natts Gesicht nachdenklich. „Glaubst du, nach einem Jahr kennt man jemanden?“, fragte er ungewohnt ernst. „Was willst du mir damit sagen?“, fragte Sephiroth alarmiert. Natt schien aus seinen tiefen Gedanken zu erwachen. „Nichts“, sagte er dann schnell, „nichts, nichts. Ehrlich.“ Sie ließen einander los und Natt stellte die langsame Hintergrundmusik leiser, auch wenn es Sephiroth lieber gewesen wäre, er hätte sie ganz ausgeschaltet. Sie setzten sich gemeinsam aufs Sofa. „Was?“, fragte Sephiroth. Natt hatte ganz offensichtlich etwas auf dem Herzen. „Ich hab da“, setzte Natt langsam an, „seit längerem einen Gedanken.“ „Ich bin ganz Ohr“, sagte Sephiroth ernst. Natt zögerte noch immer. „Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen soll ... Ich ... hab nachgedacht ...“ „Und du kannst mir sagen, was immer du denkst, also raus mit der Sprache.“ „Na ja, ich dachte ..., da wir ja jetzt verheiratet sind ...“ Sephiroth rutschte ein Eisklumpen in die Magengegend. Er hatte eine Idee, worauf Natt hinauswollte. „Und ich ja jetzt auch keiner Arbeit mehr nachgehe ...“ Sephiroth begann innerlich zu beten, dass Natt ihm nur vorschlagen würde, einen Hund anzuschaffen. Doch als sie sich in die Augen sahen, wusste er, dass Natt etwas anderes sagen würde. „Was, wenn wir’s mit ... du weißt schon ... Adoption probieren würden?“ Sephiroth erstarrte. Natt hatte ausgesprochen, wovor es ihm gegraut hatte. „Du weißt, das wird schwierig“, sagte er steif; er hörte seine eigene mechanische Stimme wie aus weiter Entfernung. „Schon“, räumte Natt ein; er rückte sich auf seinem Platz zurecht. „Aber vielleicht ... mit deinem Namen ... nicht.“ „Ah“, machte Sephiroth darauf nur. Natt mochte der Illusion erlegen sein, dass ein berühmter Name Türen öffnete, doch Sephiroth wusste, dass in vielen Bereichen Türen sofort zugeschlagen wurden, sobald er sich nur vorsichtig näherte. „Na ja, ob es möglich sein wird oder nicht, wird sich ja noch rausstellen“, sagte Natt, plötzlich sehr aufgeräumt. „Aber was sagst du? So ganz prinzipiell?“ Sephiroth wusste nicht sofort, was er antworten sollte. In ihm ging einiges vor. Zunächst einmal hatte er es nicht wirklich mit Kindern. Er konnte nichts mit ihnen anfangen, für ihn waren sie in den meisten Fällen nur laut und unlogisch. Jede Situation mit Kindern bedeutete für ihn Stress; Freunde mit Kindern wussten, dass sie sie ihm nie allein anvertrauen sollten. Allerdings wollte er natürlich Natt nicht unglücklich machen. Nie würde er pauschal Nein zu etwas sagen, was er sich sehnlich wünschte. Er liebte Natt und war bereit, für ihn weiter zu gehen als für irgendjemanden sonst, um ihm zu geben, was er wollte. Jedoch ahnte er, dass es diesmal, egal, wie weit er gehen würde, keinen Weg geben würde, um Natts Wunsch zu erfüllen. Egal, was sie anstellen würden, die Behörden würden ihnen in jedem Fall einen Strich durch die Rechnung machen. Sie hatten zwar heiraten – beziehungsweise sich offiziell „verpartnern“ – dürfen, doch Adoptieren war für sie nicht vorgesehen. Auch Schlupflöcher waren mit Gesetzen geschlossen worden, bevor jemand davon hatte profitieren können. Sephiroth sah keine Möglichkeit ... In seinem Kopf setzte sich ein Bild zusammen. Natt wollte sich um Nachwuchs bemühen. Sephiroth wollte ihn unterstützen, doch er mochte Kinder überhaupt nicht. So oder so war allerdings ohnehin sicher, dass Natts Vorhaben nicht in die Tat umzusetzen war. Was bedeutete, selbst wenn Sephiroth Natt zustimmte, würde er wahrscheinlich nie tatsächlich in die Situation kommen, mit Natt ein Kind zu adoptieren. Was wiederum bedeutete, dass er so tun konnte, als ob er Natt unterstützte, ohne Gefahr zu laufen, die tatsächlichen Konsequenzen am Ende tragen zu müssen. Und immerhin – wie konnte er seinem Mann etwas abschlagen? Sephiroth starrte Genesis mit offenem Mund an. „Hältst du mich für so verschlagen?“, fragte er erschüttert. Genesis zuckte sorglos die Schultern, als sei der Verlauf der Erzählung nicht seine Schuld. „Hast du irgendwie einen Kinderwunsch?“ „Fragst du mich das grad wirklich?“ „Stimmt, blöde Frage.“ Die Frage, ob Genesis, sehr kinderlieb, sich in der Gesellschaft, in der er lebte, wirklich Kinder wünschte, war nur sehr kompliziert zu beantworten. „Das heißt, mein Mann will Kinder, ich kann aber Kinder nicht leiden, und anstatt ihm das zu sagen, tu ich so, als wollte ich auch Kinder, wohl wissend, dass das nicht möglich ist, um ihn nicht zu kränken?“ „So ungefähr“, sagte Genesis langsam nickend. Sephiroth runzelte die Stirn. „Das ist bizarr.“ Und so begannen die Jahre genau so zu vergehen, wie Sephiroth es vorhergesehen hatte. Natt stellte Antrag über Antrag, lief von Stelle zu Stelle, holte Informationen hier und dort ein, reiste durch das ganze Land, um jemanden, irgendjemanden zu finden, der ihm half, seinen Traum zu verwirklichen. Und er wurde wieder und wieder enttäuscht, weggeschickt, abgelehnt. Kaum, dass er eine neue Möglichkeit gefunden hatte, die erfolgsversprechend aussah, kaum, dass er sich wieder Hoffnungen gemacht hatte, kam doch nur wieder eine Absage. Sephiroth versuchte seinen zunehmend verzweifelnden Mann zu trösten, so gut es ging, hielt ihm den Rücken frei und begleitete ihn, wann immer es ihm möglich war. Doch insgeheim sah er jeden negativen Bescheid kommen und er konnte nicht behaupten, sich daran zu stören, wenn da nicht Natts Zustand wäre ... Sephiroth war gerade dabei, frisch gewaschene Wäsche aufzuhängen, als Natt niedergeschlagen heimkehrte und zu ihm ins Wohnzimmer kam; seufzend lehnte er sich in den Türrahmen. „Wieder eine Absage?“, fragte Sephiroth im Versuch, nicht allzu unbeschwert zu klingen. Natt nickte nur mit einem Blick in Richtung Boden. Sephiroth ließ seine Wäsche stehen und nahm seinen Mann in den Arm, wobei er ihm liebevoll und tröstend über den Rücken strich; Natt seufzte an seiner Brust. Als sie sich voneinander gelöst hatten, lehnte sich Sephiroth Natt gegenüber an die andere Seite des Türrahmens. Er musterte seinen Mann genauestens. Seine dunkle Haarfarbe war für seine Verhältnisse ungewöhnlich stark nachgewachsen, ohne dass Natt sich die geringste Mühe zu geben schien, sie nachzublondieren; unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, die denen Sephiroths bereits deutliche Konkurrenz machten; und er sah Natt an, dass er schlichtweg nicht glücklich war. Sephiroth versuchte sich zum ersten Mal seit Natts Vorschlag in Schadensbegrenzung. „Weißt du, wenn es dich so fertig macht ... Vielleicht sollten wir es nach all der Zeit doch einfach aufgeben.“ Natts Blick heftete sich auf ihn; er wirkte streng. „‘Einfach aufgeben‘?“, fragte er ungläubig. „Nach allem, was ich investiert habe?“ „Schatz, du rennst jetzt seit zwei Jahren hierhin und dorthin – glaubst du nicht, dass du mittlerweile alle Möglichkeiten ausgeschöpft hast?“ Natt sah ihn ganz genau an. „Warum willst du mir das plötzlich ausreden?“ „Ich ...“ Sephiroth sah sich dünnes Eis betreten; er musste behutsam vorgehen. „Ich weiß, dass wir uns dafür entschieden haben –“ „Wir?“, unterbrach ihn Natt kalt. „Du wolltest das doch von Anfang an nicht. Jedenfalls nicht wirklich.“ Sephiroth starrte Natt an. Meinte er, was er sagte? Hatte er ihn wirklich von Anfang an durchschaut? „Was soll das heißen?“, fragte er deshalb. „Ich hab dich immer unterstützt – oder etwas nicht?“ „Ich weiß nicht, hast du?“, gab Natt zurück. „Ich merk davon nichts.“ Sephiroth wollte nicht glauben, was er hörte. Kümmerte er sich denn nicht um Natts Versorgung? Um die Wäsche, um die Wohnung? Um alle möglichen Besorgungen, um Natts Leben so angenehm wie möglich zu gestalten? Und das alles neben seiner regulären Arbeit, die beinahe zwei normalen Jobs gleichkam? Doch Sephiroth schluckte runter, was ihm durch den Kopf ging, um keinen ausgewachsenen Streit zu provozieren. Er hatte eine anstrengende Woche hinter sich und wusste, dass auch Natts Nerven blank lagen. Da der ihn aber weiter herausfordernd anschaute, sah er sich dennoch zu einer Antwort gezwungen, also sagte er zwar mit gerunzelter Stirn, aber dennoch ruhig: „Ich denke schon, dass ich dafür, dass ich hier derjenige bin, der immer noch einer geregelten Arbeit nachgeht, doch eine Menge erledige und auch für dich tue.“ Er sah Natt an, dass er das Falsche gesagt hatte. Er fasste Natt sanft an die Seiten und fügte hinzu: „Für uns tue.“ Natt wirkte nicht besänftigt. Er wandte den Blick ab und schob Sephiroths Hände beiseite. „So siehst du das also ...“, murmelte er. „Das schon wieder. Glaubst du, ich sitz die ganze Zeit rum und tue gar nichts und warte nur darauf, dass du nach Hause kommst?“ „Nein, natürlich nicht“, erwiderte Sephiroth; der Gesprächsverlauf gefiel ihm überhaupt nicht. „Das glaube ich nicht und das hab ich auch nicht gesagt.“ „Natürlich nicht“, echote Natt, „das würdest du auch nie sagen. Wann immer ich mit dir rede, hab ich das Gefühl, dass du nur einen Bruchteil von dem sagst, was du denkst.“ Sein Blick heftete sich auf Sephiroth und schien durch ihn durch zu gehen. Sephiroth selbst war erschrocken, geradezu geschockt. Doch während er seinen Mann anstarrte und nicht wusste, was er zur Antwort geben sollte, fiel ihm etwas ein, was Natt vor zwei Jahren gesagt hatte. Ob man jemanden nach einem Jahr kennen könne, hatte er gefragt. „Deswegen ...“, murmelte Sephiroth, ohne seinen Satz zu beenden. Doch Natt wusste anscheinend auch so, was er meinte. „Ja, deswegen“, bestätigte er ihm, nun wütend. „Was ist los mit dir?“, fragte Sephiroth ehrlich besorgt. „Mit mir?“, fragte Natt erzürnt. „Ich weiß nicht, ich schätze, ich befinde mich in einer sehr belastenden Situation und reagiere entsprechend emotional – die Frage ist doch viel eher, was ist los mit dir? Wie kannst du so ruhig bleiben? Und ich kann nur zu dem Schluss kommen, dass du das Ganze von Anfang an nicht wolltest. Und jetzt sieh mir ins Gesicht und sag mir, dass das nicht stimmt.“ Natt reckte herausfordernd das Kinn und nagelte ihn mit seinem Blick fest. Sephiroth wusste nicht, was er sagen sollte. Natt war ganz offensichtlich unglücklich und Sephiroth wollte das ändern; doch wie sollte er seinen Mann anlügen? Natt schien zu erraten, was in ihm vorging und was sein Schweigen bedeutete. Schwer getroffen wandte er erst den Blick ab, in dem Sephiroth Tränen zu erkennen meinte, dann entfernte er sich und verließ schließlich die Wohnung. Sephiroth sah ihm hinterher und wusste nicht, was von dem, das er gesagt und getan hatte, richtig und falsch gewesen war. Ihre erste Auseinandersetzung, das lernte Sephiroth bald, war noch zahm gewesen; immerhin waren kaum böse Worte gefallen und Ton und Lautstärke waren recht zivilisiert geblieben. Da nun aber einmal sozusagen das Eis gebrochen war, war Natt in den folgenden Monaten schnell dabei, an allem ihm die Schuld zu geben und das auch lautstark zu bekunden. Hatte Sephiroth bisher die Abende und Wochenenden mit Natt als Ruhepol empfunden und zum Energieaufladen genutzt, wenn er ausgelaugt von der Arbeit kam, so war diese Zeit nun ebenso kraftraubend wie sein eigentlicher Job. Er ertrug es, sich von seinem Mann beschimpfen zu lassen, da er das Gefühl hatte, dass alles seine eigene Schuld war; wäre er von Anfang an ehrlich zu ihm gewesen, wären sie nun nicht in dieser Situation. Er schlief unglaublich schlecht. So müde, wie er war, hätte er im Grunde einen ganzen Tag durchschlafen können, aber anscheinend wollte ihm sein Körper keinen angenehmen Schlaf gönnen; ständig wachte er nachts auf und blieb Stunde um Stunde mit weit aufgerissenen Augen an die Decke starrend liegen, bis er es zumindest kurz vor dem Weckerklingeln schaffte, ein wenig zu dösen. Häufig wünschte er sich, dass sich sein Leben, wie es sich im Moment darstellte, nur als ein schlechter Traum herausstellte, aus dem er eines Nachts aufwachte, weil Natt, liebevoll, niedlich, sanft, ihm mit einem seiner bezauberndsten Lächeln eine Tasse Tee ans Bett brachte und ihn nach einem herzzerreißenden Abschied gezwungenermaßen zur Arbeit schickte. Aber ein solcher Morgen kam nicht. Natürlich dauerte es nicht lange, bis auch andere etwas merkten. Sephiroth hatte sich in einer Arbeitspause in der Teeküche gerade mit einer Tasse auf einem der Sofas niedergelassen und nur kurz die Augen schließen wollen, nur ein paar Sekunden, als er eine Hand an seiner Schulter spürte. Überrascht von dem gleißenden Licht, das plötzlich zum Fenster hinter ihm hereinfiel, brauchte Sephiroth ein paar Sekunden, um seine Augen öffnen zu können und Cloud vor sich zu erkennen, der ihn, selbst eine Tasse in der Hand, belustigt angrinste. „Na, schon lange hier?“, fragte ihn Cloud unbeschwert. „Nein, nein, gar nicht“, stöhnte Sephiroth und richtete sich mit schmerzendem Rücken auf. Er streckte seine steifen Glieder und setzte sich ordentlich vor seine Tasse Tee, während sich Cloud gegenüber niederließ. Sephiroth nahm seine Tasse zur Hand, nippte am Tee und verzog das Gesicht. „Zu heiß?“, fragte Cloud. „Nein, eiskalt“, erwiderte Sephiroth. Er musste wohl doch länger gedöst haben, als er gedacht hatte. „Ach“, sagte Cloud verständnisvoll, „Tifa und ich haben auch schon die eine oder andere Nacht durchgemacht.“ Er zwinkerte ihm zu. „Ja, so ungefähr ist das bei uns auch“, scherzte Sephiroth mit einem ehrlichen Lachen zurück. Mit einem Blick auf den abgekühlten Tee wurde er jedoch nachdenklich. „Alles ok?“, fragte Cloud. „Ja, ja“, antwortete Sephiroth schnell. Cloud schien das Problem sofort zu riechen. „Seid ihr verstritten?“ „Was, nein“, stritt Sephiroth sofort ab. „Wir streiten nicht.“ „Ah, klar“, machte Cloud nur. „Hör mal, ich hab seit Längerem gar keine Rückmeldung mehr von deinem Mann bekommen, hab ich was falsch gemacht?“ Sephiroth wusste von nichts. „Nein, bestimmt nicht“, sagte er daher, auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, ob das stimmte. „Er hat nur ... Er, ähm ... ist viel beschäftigt.“ „Ach, echt?“, fragte Cloud verwundert. „Womit denn?“ „Na ja ...“, setzte Sephiroth an, ohne seinen Satz zu beenden. Es stimmte. Nun waren schon über zwei Jahre ins Land gegangen und er hatte Cloud noch kein Wort davon gesagt, dass Natt sich verzweifelt Nachwuchs wünschte und alles Menschenmögliche auf sich nahm, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen; dass er Sephiroth aus ständiger Enttäuschung mit Streit überhäufte, den der nicht wollte; dass Sephiroth selbst kaum noch wusste, wie er in dieser Ehe zurechtkommen sollte, die nur noch aus Angespanntheit und Vorwürfen zu bestehen schien. Ihre Ehe hatte doch gerade erst begonnen; wo war die Zeit hin, in der sie ein gemeinsames Leben führten? Sephiroths Gedanken kreisten regelmäßig in solchen und ähnlichen Bahnen. Er war müde. Unheimlich müde. Er schaute in die Tasse vor sich und entschied, dass der Tee immer noch gut war. Auf Clouds fragenden Blick sagte er nur: „Kalt macht er auch noch wach.“ Cloud blinzelte ein paarmal überrascht. Er schien zu überlegen. „Ich weiß, du hattest keine Kindheit und alles, aber kennst du diese Murmelspiele, in die man oben eine Murmel reinschiebt und die löst alle möglichen Mechanismen auf ihrem Weg nach unten aus und unten kommt dann eine ganz andere Murmel raus?“ „Ich denke, ich hab schon mal ein Bild gesehen“, gab Sephiroth trocken zurück. „So ungefähr stell ich mir gerade deine Gedanken vor“, sagte Cloud. Sephiroth versuchte sich einen Reim auf Clouds Worte zu machen, doch er hatte schon nach kurzer Zeit vergessen, worüber sie überhaupt gesprochen hatten. Seine Nerven waren wirklich am Ende. Und doch war nichts anders, als er an diesem Wochenende zu Natt in ihre gemeinsame Wohnung zurückkehrte. Er setzte sich an den Küchentisch, während Natt sich einen Kaffee kochte, und hörte sich die Zusammenfassung einer neuerlichen Woche an, die darauf hinauslief, dass es wieder nicht geklappt hatte – und natürlich darauf, dass alles seine Schuld war. Während Sephiroth versuchte, Natts Tiraden zu lauschen, ruhte sein leerer Blick auf dem Tisch. Er entdeckte einen Fleck, der von seiner Müslischüssel herzurühren schien. Das letzte Mal hatte er an diesem Tisch am Montagmorgen Müsli gegessen. Er musste vergessen haben, den Fleck wegzuwischen, bevor er am Montag zur Arbeit aufgebrochen war. Er erinnerte sich sogar dunkel daran. Er konnte den Tisch jetzt abwischen. Aber dazu musste er aufstehen. Er war sich nicht sicher, ob er noch die Kraft dazu hatte. Er sah auf. Natt stand vor ihm. „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte er mit vorwurfsvoll verschränkten Armen. „Ja“, sagte Sephiroth; zumindest bis vor ein paar Sekunden hatte das gestimmt. „Ach, echt?“, fragte Natt zweifelnd. Sein Blick wurde sanfter. „Ja“, bestätigte ihm Sephiroth. In einer plötzlichen Anwandlung streckte er eine Hand nach Natt aus und nahm dessen Finger zärtlich in seine. Natt ließ es geschehen. „Komm, setz dich doch zu mir“, sagte Sephiroth müde, aber mit einem Lächeln. Langsam, zögerlich setzte Natt sich Sephiroth gegenüber an den Tisch. Schweigend musterte er ihn, während Sephiroth seinen Mann liebevoll anlächelte. Dieser stille, geborgene Moment machte so vieles der letzten Monate wett. Sephiroth hatte das Gefühl, das erste Mal seit langer Zeit wieder richtig Luft zu bekommen; das schwere Gewicht, das sonst auf seinen Magen zu drücken pflegte, war verschwunden, behoben von dieser friedlichen Zweisamkeit zwischen ihnen. Sephiroth streichelte noch für ein paar Momente Natts Finger, ehe er seine eigene Hand hob und sanft über Natts immer dunkler werdendes Haar strich. „Du hast eine schöne Haarfarbe“, sagte er zu dem Braun, das sich über der Blondierung zeigte. „Eigentlich könntest du das auch so lassen.“ Natt schaute ihn irritiert bis wütend an. Sephiroth beeilte sich hinzuzufügen: „Das Blond steht dir natürlich auch toll. Ich meinte nur, falls du vielleicht nicht mehr blondieren möchtest, ... das sieht auch gut aus.“ Natts Blick wandelte sich in blanke Empörung. Wutentbrannt sprang er auf und stürmte aus der Küche, ohne seinen Kaffee auch nur angerührt zu haben. Sephiroth seufzte. Da war er wieder, der Druck auf seinem Magen. Er schaute sich in der Küche um, die auf einmal wieder luftleer schien. Sein Blick fiel wieder auf den Tisch. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als den Fleck wegzuwischen. „Also Streit gegen Harmoniebedürfnis“, fasste Sephiroth Genesis‘ Erzählung zusammen, wobei er beide Hände hob und sie wie Teile einer Waage gegeneinander abwog. „Exakt“, bestätigte ihm Genesis. „Bis es dann in öffentlichem Streit eskaliert“, fügte Sephiroth an. „Genau das.“ „Vier ziemlich miserable Jahre“, gab Sephiroth zu bedenken; Genesis stimmte ihm nickend zu. „Dann könnte es ja jetzt auch wieder besser werden, oder?“ Genesis verdrehte murrend die Augen. „Mal schauen, was mir so einfällt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)