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Lügner!

von

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Alles auf Sieg

Schuldig zog sich das Band aus den Haaren, dass die rote Flut zu einem züchtigen Pferdeschwanz zusammen gehalten hatte, und löste den Knoten seiner Krawatte. Zum Schluss öffnete er noch den obersten Hemdknopf und hatte seit Stunden das erste Mal wieder das Gefühl, einigermaßen frei atmen zu können. Nicht, dass das in dem fensterlosen Kabuff, in dem er mit Nagi hockte, wirklich der Fall gewesen wäre, aber die Illusion genügte ihm fürs Erste. Dieser Tag hatte wirklich einen Eintrag im Guinnessbuch für die schlimmsten Tage in seinem Leben verdient.

 

Angefangen hatte es damit, dass Farfarello ihn geweckt hatte. Nun, geweckt war nicht wirklich der richtige Ausdruck dafür. Wachgestarrt traf es wohl eher. Er hatte sich redlich bemüht, dem irren Iren aus dem Weg zu gehen, so gut es ging, aber dieser war so penetrant in seiner Nähe geblieben, dass er sich gezwungen gesehen hatte, bereits Stunden vor seinem geplanten Arbeitsbeginn die Wohnung zu verlassen. Er hatte Crawford angerufen, aber nur die Mailbox dranbekommen. Also hatte er eine ziemlich angepisste Nachricht hinterlassen, dass das Orakel ihm gefälligst eine Voraussage bezüglich seiner Rückkehr in den aktiven Dienst zukommen lassen sollte, und dann war er auch schon in Takatoris Büro zitiert worden, weil die Schnepfe am Empfang ihn verpetzt hatte. Diesem Debakel war eine Odyssee an gesellschaftlichem Affentheater gefolgt, an das Schuldig sich weigerte, auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden. Er war Takatori brav hinterher gedackelt, hatte ihm unangenehme Reporter vom Hals gehalten, unendliche Tiraden an belanglosem Geschwafel und den sicher schwülsten Tag seit Jahrzehnten ertragen und dabei noch versucht, Fotos oder Kameraaufnahmen möglichst aus dem Weg zu gehen. Warum er das getan hatte, war ihm selbst schleierhaft. Es zögerte das Unvermeidliche nur hinaus.

'Wenn das überhaupt möglich ist. Nicht nur, das Ran wild entschlossen ist, mich nicht mehr wiederzusehen, da ist auch noch Farfarello. Er wird Ran umbringen, wenn ich nichts unternehme. Und wenn ich Ran die Wahrheit sage, wird er mich umbringen. Um das zu verhindern, würde es schon ein Wunder erfordern.'

Er schloss die Augen und lehnte die Stirn an die Wand. Der kühle Stein scheuerte auf seiner Haut und brachte wenig Linderung für seine sich ankündigenden Kopfschmerzen. Er hätte dringend eine Pause gebraucht, aber die würde er wohl so bald nicht bekommen. Zunächst galt es noch, die nächste Spielrunde über die Bühne zu bringen. Takatori hatte ihn persönlich das Publikum dafür auswählen lassen. Die Abgründe und Perversitäten, durch die er sich dafür hatte wühlen müssen, hatten einen schalen Geschmack hinterlassen, aber am Ende hatte er drei geeignete Kandidaten herausgefiltert. Männer, die diesen besonderen Spaß zu schätzen wussten und gleichzeitig Takatori mit Geld oder Einfluss unterstützen konnten. Einer von ihnen hatte regelrecht mentalen Schluckauf vor lauter Aufregung und seine auf und ab hüpfenden Gedanken ließen den Telepathen mit der Hand in Richtung seiner Waffe zucken. Er hasste den Kerl schon jetzt. Ein affektiertes, schmales Männlein, das ihn an einen überdrehten Zirkusaffen erinnerte, aber Vorsitzender irgendeiner Firmenkette war, die Takatori seinem Imperium einzuverleiben gedachte. Er stand darauf, Frauen mit Abfall zu bewerfen und auf dem Boden herumkriechen zu lassen wie Tiere.

„Wie schade, dass Sie keine Frauen unter den Spielern haben“, quäkte seine unerträgliche Stimme gerade durch die einen Spalt offenstehende Tür. „Das Spektakel wäre sicherlich nicht zu verachten. Und wer weiß, was die Jäger wohl mit ihr anstellen würden, bevor sie sie erlegen.“

Nach diesem derben Scherz fielen auch die anderen Anwesenden in dröhnendes Gelächter ein.

 

Schuldig erhob sich und schloss mit einer entschiedenen Geste die Tür. Sein Blick fiel auf Nagi.

„Können wir bald anfangen? Ansonsten sind die ersten Toten die Knilche da drüben.“

Der Junge hob den Blick nicht von seinem Laptop. „Fast fertig. Ich checke eben noch die Kammern, dann kann es losgehen. Hast du Farfarello gebrieft?“

„Wenn du meinst, ob ich ihm gesagt habe, dass er die anderen Jäger in Ruhe lassen und nicht alle Opfer alleine killen soll, dann ja. Ich kann dir aber nicht versprechen, dass er sich daran hält. Du weißt ja, wie er manchmal ist. Wenn er einmal Blut geleckt hat ...“

Nagi murmelte etwas, das sich verdächtig nach Elektrohalsband anhörte und malträtierte weiter die Tasten.

 

Schuldig kehrte wieder zu seiner Wand zurück und starrte die roten Steine an. Vielleicht verbarg sich ja irgendwo in dem durchbrochnen Muster eine Antwort auf die Frage, die ihn beschäftigte. Immerhin hieß es ja auch, dass man, wenn man 1000 Affen eine Schreibmaschine gab, irgendwann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen Shakespeare erhalte. Warum also sollte sich die Antwort auf ein unlösbares Rätsel nicht in einem Haufen Ziegelsteine verbergen? Irgendwo in seinem Kopf war die Lösung zum Greifen nahe, aber immer, wenn er dachte, dass er gleich darauf kommen würde, entschlüpfte ihm der Gedanke wieder, wurde übertönt von dem dröhnenden Nichtigkeiten, die den Leuten um ihn herum durch den Kopf gingen.

 

'Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.' Er schloss die Augen. 'Mit jedem Sandkorn, das verrinnt, steigt die Chance, das Ran die Wahrheit erfährt. Ich hätte ihn doch aufhalten sollen.'

Stattdessen hatte er ihn gehen lassen. Er hatte sich auf das Bett fallen lassen, das noch die Wärme ihrer vereinten Körper erahnen ließ, und hatte die Tür angestarrt, die sich hinter Ran geschlossen hatte. Unfähig sich zu rühren, hatte er fast eine Stunde auf dem Bett gehockt, bis er endlich die Kraft gefunden hatte, sich wieder zu erheben. Als er sich hatte anziehen wollen, war sein Blick auf die Schranktür gefallen, die Ran nicht ganz geschlossen hatte. Sich an seine scherzhafte Drohung erinnernd, war er hinzugetreten und hatte die Tür langsam aufgeschoben. Sein Blick war über den Inhalt des Schranks geglitten und schließlich an einem länglichen Paket hängengeblieben, das an der Rückseite des Schranks gelehnt hatte. Er hatte es herausgenommen und kurz darauf Rans Katana in Händen gehalten. Er erinnerte sich noch an den Anblick seines Spiegelbilds in der schimmernden Klinge.

'Ob es so wohl enden wird?Wird er irgendwann mit hasserfülltem Blick und gezogener Waffe vor mir stehen? Und werde ich ihn aufhalten können? Werde ich das wollen?'

Er schüttelte den Kopf, wenn er daran dachte, was er anschließend getan hatte. Er hatte das Schwert wieder sorgfältig verpackt, hatte die Wohnung verlassen und war zu dem Krankenhaus gefahren, in dem Rans Schwester lag. Die Adresse hatte er ohne Probleme schon vorher aus Rans Gedanken herausgelesen. Er erinnerte sich nicht mehr genau daran, warum er das getan und was er im Krankenhaus gewollt hatte, aber das war vermutlich ebenfalls die Folge dieses höllischen Tags, der einfach kein Ende nehmen wollte.
 

Hinter ihm öffnete sich die Tür und das Stimmengewirr aus dem nächsten Raum wurde wieder lauter. Als er sich umdrehte, sah er Takatoris Assistentin, deren Stirn einige senkrechte Falten zierten. Ihren Gedanken nach hatte sie sich einige anzügliche Bemerkungen gefallen lassen und hegte jetzt den Wunsch, einige der Männer im Raum nebenan mithilfe scharfer Gegenstände von ihren Reproduktionsorganen zu trennen. Schuldig hätte beinahe über ihre Wortwahl gelacht.

Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als er sie angrinste, und beugte sich dann zu Nagi hinab, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Der Junge nickte und sie richtete sich wieder auf, nur um nach einem weiteren, dieses Mal undeutbaren Blick auf Schuldig, wieder aus dem Zimmer zu stolzieren. Als sie den Nebenraum betrat, wurden die Stimmen der Männer wieder lauter, aber dankbarerweise schloss sie die Tür hinter sich.

Schuldigs Aufmerksamkeit heftete sich an Nagi. „Alles klar bei euch?“

Nagi hob die Augen nicht vom Bildschirm. „Es läuft alles nach Plan. Das Spiel kann anfangen.“

Er gab einen entsprechenden Befehl an die Wachen und konzentrierte sich dann völlig auf das, was auf dem Bildschirmen vor ihm vor sich ging. Durch die Tür konnte man Hirofumi noch einmal die Regeln erklären hören.

 

Schuldig seufzte innerlich, erhob sich aber, um kurz einen Blick auf die heutigen Kandidaten zu werfen. Einige davon waren relativ vielversprechend, wenn man es mit normalen Maßstäben betrachtete. Allerdings hatten auch die Jäger wieder Zuwachs bekommen. Neben dem Mann mit der doppelläufigen Flinte und dem Lanzenträger stand noch ein Mann, auf dessen Rücken eine Art Rucksack saß. In der Hand hielt er eine Vorrichtung, die ebenfalls an ein Gewehr erinnerte, jedoch durch einen Schlauch mit dem Tank auf seinem Rücken verbunden war. Ein Flammenwerfer. Passend dazu zeigte seine Maske das Gesicht eines Drachen.

„Ich möchte mal wissen, wo Hirofumi den aufgetrieben hat“, schnaubte Schuldig und ließ sich auf den Stuhl neben Nagi fallen. Vielleicht war es das Beste, wenn er sich etwas ablenkte. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, so was wie Ablehnung von Nagi aufzufangen, aber das Gefühl war so schnell wieder vorbei, wie es gekommen war. Er kniff die Augen zusammen und rieb sich über die brennenden Lider. Vermutlich war er wirklich überarbeitet.

„Hast du Farfarello irgendwo auf dem Schirm? Ich will sehen, ob er sich an die Anweisung wegen der Maske gehalten hat. Nochmal kann ich uns bei Takatori bestimmt nicht rausreden.“

Nagi kniff die Lippen zusammen und drückte einige Knöpfe. Auf dem Bildschirm erschien die Übertragung einer anderen Kamera. Sie zeigte den Innenhof, den die Kandidaten des heutigen Spiels gerade betraten, aus einem anderen Blickwinkel. Im Hintergrund konnte man eine Gestalt erkennen, die gegen die Wand gelehnt dastand und anscheinend nicht viel mit der Szenerie, die sich vor ihr ausbreitete, zu tun hatte. Nagi visierte die Person an und erhöhte den Zoom. Im nächsten Augenblick konnte man Farfarello erkennen, der sich von der Wand abstieß und langsam zu den anderen Jägern herüberschlenderte. Vor seinem Gesicht saß eine schmucklose, weiße Maske, an deren Stirn kleine Hörner saßen. Eigenartigerweise sah er dadurch weniger bedrohlich aus als sonst.

„Na wenigstens das hat geklappt“, sagte Schuldig und lehnte sich etwas zurück. „Vielleicht kriegen wir das Ganze ja mal glatt über die Bühne.“

Nagi antwortete immer noch nicht. Wenn er dazu aufgelegt gewesen wäre, hätte Schuldig vielleicht versucht herauszufinden, was dem Jungen durch den Kopf ging, aber er spürte wenig Verlangen danach, sich durch die Mauer aus Berechnungen und Informationen über die Arena zu wühlen, die Nagi um seine Gedanken errichtet hatte. Wenn der Kleine seine Gedanken heute für sich behalten wollte, sollte er das in Schuldigs Namen tun. Einer weniger, der ihm auf den Sack ging.

„Am besten behältst du ihn ein bisschen im Auge“, bemerkte er noch, bevor er den Kopf in den Nacken legte und erneut die Augen schloss. „Nicht, dass doch noch etwas schiefgeht.“

„Das wird es nicht“, gab Nagi zurück. „Das wird es ganz bestimmt nicht. Ich habe alles genaustens geplant.“

 

 

 

 

Vor ihnen lag ein Areal aus unübersichtlichen Gassen und halb hohen Gebäuden, über dem sich ein Gewirr aus unterarmdicken Leitungen spannte. Am Horizont konnte Aya die Masten der Umspannungsstation erkennen. Ein Stück weiter zur Rechten wurde ein Teil des ehemaligen Elektrizitätswerks von großen Scheinwerfern hell erleuchtet. Irgendwo in diesem Teil der Anlage mussten sich ihre Zielpersonen befinden. Es handelte sich um drei durchaus bekannte Untergrundgrößen, die anscheinend alle ihre Finger in der zur Belustigung zahlender Kunden veranstalteten Menschenjagd hatten. An sie heranzukommen würde allerdings aufgrund der großen Anzahl an Wachpersonal und Zivilisten nicht ganz einfach sein. Und dann waren da auch noch die Jäger.

„Also nochmal: Unser Plan ist es, ungesehen auf die andere Seite zu kommen und dort die drei Ziele zu eliminieren.“

Ken rollte mit den Augen. „Das hast du uns jetzt schon x-mal erklärt, Omi. Ich verstehe trotzdem nicht, warum ich ausgerechnet mit Yoji zusammen durch dieses Labyrinth eiern muss. Der hält mich nur auf.:

„Hey, pass auf, was du sagst.“ Yoji schnippte seine Zigarettenkippe in Kens Richtung.

Ken wich dem Geschoss auf und machte eine unanständige Geste. „Sorry, Yoji, aber du bist lahm.“

„Nur weil ich nicht durch die Gegend haste wie ein angestochenes Schwein, bin ich noch lange nicht lahm. Ich habe immerhin viel längere Beine als du.“

„Jungs, das ist jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt. Ich habe jeweils einen Nah- und einen Fernkämpfer in die Teams gepackt. Außerdem einen großen und äh … einen kleinen.“

Omis Nase zeigte einen verdächtigen Rotschimmer, der sich noch verdunkelte, als Ken ihm einen finsteren Blick zuwarf.

„Also schön, dann setz dich in Bewegung, alter Mann“, knurrte er, drehte sich um und verfiel sofort in einen leichten Dauerlauf.

„Alt?“ Yojis Stimme war einige Tonlagen nach oben geklettert. „Wen nennst du hier alt? Ich werde dir gleich zeigen, wer hier … hey, Ken, warte. Warte!“

 

Als die beiden im Dunkeln verschwunden waren, atmete Omi hörbar auf. Er drehte sich zu Aya herum und sah ihn aus großen, blauen Augen an.

Aya packte sein Katana fester. „Wollen wir?“

Omi holte tief Luft und öffnete den Mund. „Da ist noch etwas, das wir beide vorher klären müssen.“

Aya runzelte die Stirn. Er hatte Kens ganzes Getue um die Teameinteilung nicht verstanden, aber plötzlich dämmerten ihm zwei Dinge. Erstens war diese Aufteilung offensichtlich tatsächlich ungewöhnlich. Und zweitens hatte Omi sie nicht aus den Gründen gewählt, die er ihnen genannt hatte.

„Worum geht es?“ Er sah Omi fest in die Augen. In seinem Missionsoutfit und mit der Armbrust in der Hand, wirkte der Teenager ein wenig älter als sonst. Trotzdem konnte Aya nicht umhin zu bemerken, wie unheimlich jung Omi doch noch war. Er war im Grunde noch ein halbes Kind, wenngleich auch der Ausdruck, den sein Gesicht jetzt annahm, diesen Eindruck eindeutig schmälerte.

„Es gibt da etwas, das ich allein mit dir besprechen wollte.“

„Du hast Details zur Mission zurückgehalten?“

Omi hatte sie alle genaustens über die örtlichen Gegebenheiten und ihre Zielpersonen in Kenntnis gesetzt. Was also konnte es noch geben? Aya begann, ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend zu bekommen.

„Bei dieser Mission geht es um mehr als nur das Ausschalten der Zielpersonen. Ich bin ebenfalls hier, um die Verbindung von Masafumi Takatori, sowie seinem Bruder Hirofumi Takatori und ihrem Vater Reiji Takatori mit diesen Verbrechern nachzuweisen. Sollte mir das gelingen, könnte eine der nächsten Missionen diese drei als Ziel haben.“

Aya merkte, dass er die Luft angehalten hatte, als der Name Takatori fiel. Jetzt atmete er langsam wieder aus. Takatori war also auch hier? Vielleicht konnte er …

„Ich weiß, was du jetzt denkst, Aya-kun. Du denkst, du könntest den Mörder deiner Eltern schon heute Abend ausschalten. Aber so einfach ist das nicht. Wenn du Takatori ohne Befehl von Perser tötest, bist du nichts weiter als ein gesetzloser Mörder. Das werde ich nicht erlauben.“

„Wer hat gesagt, dass ich dich um Erlaubnis bitten werde?“ Er war erstaunt, wie ruhig seine Stimme noch klang angesichts der Wut, die er in seinem Inneren brodeln fühlte.

„Weil ich dein Teamführer bin. Alles, was du tust, wird auch auf mich zurückfallen. Wenn du versagst, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder löse ich das Problem selbst oder ich werde mich mit den Konsequenzen meiner Fehleinschätzung konfrontiert sehen.“

„Anders ausgedrückt: Entweder tötest du mich oder wir sterben beide.“ Aya lachte bitter auf.

Omi nickte nur. „Genau so ist es.“

Aya presste die Kiefer aufeinander und dachte nach. Schließlich wandte er sich wieder Omi zu. „Was also schlägst du vor?“

„Ich lasse dir die Wahl, ob du dich bei dieser Mission im Hintergrund hältst und uns die Arbeit überlässt oder ob du denkst, dass du dich zusammenreißen kannst und nichts Dummes anstellst. Es ist deine Entscheidung. Ken und Yoji werden nichts davon erfahren. Das ist eine Sache zwischen dir und mir.“

Ayas Gedanken rasten. Er dachte an die Aufstellung an Sicherheitsvorkehrungen und Wachen, die Omi ihnen aufgezählt hatte. Bei diesem Auftrag kam es auf jeden Handschlag an. „Aber wenn die Mission scheitert ...“

„Weil du uns nicht geholfen hast? Nun, ich denke, in diesem Fall wissen wir beide, was passiert.“ Omis Tonfall hatte sich nicht geändert, obwohl er gerade davon sprach, das gesamte Team in den Tod zu schicken … weil er Aya die Wahl ließ. Wollte er sein persönliches Ziel verfolgen oder würde er sich entschließen, den Befehlen zu folgen und seine Rache noch weiter auf einen unbekannten Zeitpunkt zu verschieben? Wenn es nur ihn betroffen hätte, hätte er gewusst, wie er sich entscheiden sollte. Aber nun hatte Omi nicht nur sein Leben sondern auch noch das des gesamten Teams in Ayas Hände gelegt. Und was würde geschehen, wenn Aya scheiterte und Omi oder wer auch immer ihm den Garaus machte? Wer würde sich dann um seine Schwester kümmern? Die Schwester eines Verräters.

Er gab sich einen Ruck.

„Also gut, ich werde keine Hand an Takatori legen. Aber sollte sich herausstellen, dass er hieran beteiligt ist, erwarte ich, dass die nächste Mission ihn zum Ziel hat.“

Omi begann zu lächeln. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Er schulterte die Armbrust und grinste Aya an. „Aber bis dahin versuchen wir erst mal, Watanabe und die anderen zu erwischen. Lass uns unser Bestes geben.“

Aya fühlte ein kleines Zucken in seinem Mundwinkel. „Gut, geben wir unser Bestes.“

 

 

 

Nagi öffnete einen Kanal, der seine Stimme auf das Spielfeld übertrug. Die Lautsprecher auf dem Innenhof erwachten zu knisterndem Leben.

„Das Spiel beginnt in drei … zwei … eins. Go!“

Die Wachen öffneten die Tore, die den Hof verschlossen hatten und trieben die Kandidaten mit anfeuernden Rufen und Luftschüssen in das Gewirr der Häuserschluchten. Auf dem leeren Hof nahmen die Jäger Aufstellung.

„Waidmansheil!“, rief der Schütze und ließ sein Gewehr mit einer lässigen Handbewegung durchladen. Mit langen Schritten strebte er dem Ausgang zu.

Der mit der Lanze legte zwei Finger an die Stirn, bevor er ebenfalls durch das Tor eilte. Zurück blieben der Flammenteufel und Farfarello.

„Komm mir ja nicht in die Quere, sonst röste ich dir den Arsch.“ Mit dieser Warnung drehte sich auch der Jäger mit der Drachenmaske herum und verschwand in den Schatten. Farfarello legte den Kopf schief. Er drehte den Kopf zu einer der Kameras, hob die Hand und zeigte drei Finger.

 

Im Inneren des Vorführraums sahen sich die Zuschauer an.

„Was meint er?“

„Wer ist der Kerl?“

Takatori nahm ärgerlich einen Schluck aus seinem Glas. Der Whiskey brannte in seiner Kehle. Was hatte ihn nur geritten, zu erlauben, dass einer seiner Leibwächter als Jäger eingesetzt wurde? Dieser rothaarige Teufel hatte ihm das eingeflüstert. Er hatte gewusst, dass man ihm nicht trauen konnte. Wenn Crawford hier wäre …

Die Tür hinter ihm öffnete sich und besagter Rotschopf betrat den Raum. Sein Gesicht zierte ein joviales Lächeln.

„Ich glaube, hier ist eine kleine Erklärung angebracht. Farfarello hat sich erlaubt, eine Ansage zu machen. Die ersten drei Toten werden auf seine Rechnung gehen.“

Die anwesenden Männer begannen zu lachen.

„Wie soll das gehen?“, krähte das Affenmännlein. „Er steht ja immer noch im Hof herum.“

Schuldigs Lächeln wurde breiter. „Ach tut er das? Nun, da würde ich noch einmal genau hinsehen.“

Das Männlein drehte sich herum und schaute mit offenem Mund auf den vollkommen verwaisten Hof.

„Wo ist er?“, kreischte es im nächsten Moment und deutete auf die Bildschirme. „Der Junge soll es uns zeigen. Ich will sehen, wo der Freak jetzt ist.“

Schuldig fing einen Blick von dem Bodyguard auf, der neben der Tür stand. Natürlich hatte Watanabe es sich nicht nehmen lassen, den Kotzbrocken ebenfalls mitzubringen. Aber während er cool neben der Tür stehen und ein Monument aus Muskeln und dunklem Anzug bilden konnte, musste Schuldig den Animateur mimen. Er beschloss, dem Gorilla später noch Kopfschmerzen zu verpassen. Für den Augenblick beschränkte er sich darauf, die Wünsche des Publikums an Nagi weiterzureichen.

 

Die Anzeige auf den Bildschirmen änderte sich und als nächstes sah man Farfarello, der ein Messer aus dem Herzen seines ersten Opfers zog. Er sah zu der Kamera empor, die sich auf ihn gerichtet hatte, als wüsste er genau, dass man ihn beobachtete. Der Mann, den er getötet hatte, sank langsam zu Boden, wo er in einer größer werdenden Blutlache liegenblieb.

Ein Raunen ging durch den Beobachtungsraum.

„Er hat es tatsächlich geschafft. Die anderen Jäger haben noch niemanden erwischt.“ Ein weiterer Mann, dessen Name Schuldig entfallen war, deutete auf die kleineren Bildschirme an der Seite, wo man die übrigem drei Jäger dabei beobachten konnte, wie sie durch die Gassen schlichen.

Das Affenmännlein sprang auf. „Also schön, ich lasse mir das nicht bieten. Dieser Jäger macht sich über uns lustig. Ich möchte einem der Kandidaten eine Waffe kaufen.“

Hirofumi, der bis dahin still neben den Bildschirmen gestanden hatte, rückte seinen Brille zurecht und verbeugte sich pflichtschuldig. „Natürlich. Ich lasse ihnen die Auswahl zukommen.“

Er schnipste mit den Fingern und bekam von einer Wache ein Computerpad gereicht, das er an den begierigen Käufer weitergab. Der ließ seine Fingerchen über den Bildschirm gleiten.

„Mhm, Verbandszeug, Brandsalbe, Seil, Nachtsichtbrille, Klappmesser … das ist ja alles nur Kleinkram. Wo sind die richtigen Waffen. Ah hier. Ein Revolver. Sehr schön, da wollen wir doch mal sehen, ob dieser lächerliche Teufel kugelsicher ist.“

„Und welchem Spieler möchten Sie die Waffe zukommen lassen?“ Hirofumis Ton war geschäftsmäßig, das Funkeln in seinen Augen jedoch verriet ihn ein wenig. Das Äffchen hatte eines der teuersten Geschenke ausgewählt, das die Kandidaten bekommen konnten.

„Keine Ahnung, mir egal. Der, der am nächsten an diesem Freak dran ist.“

Mit einem entschlossenen Daumenabdruck besiegelte das Äffchen den Kauf.

 

Auf dem Bildschirm sah man jetzt einen der Kandidaten, der mit gehetztem Blick durch die Nacht hastete. Er schrak zusammen, als sich in der Wand, an der er gerade vorbeilief, eine Klappe öffnete und inmitten eines grünen Lichts eine kleine Handfeuerwaffe sichtbar wurde. Ohne lange zu zögern griff er zu und drückte den Revolver an sich. Er sah sich nach allen Seiten um und gefror in der Bewegung. Augenscheinlich hatte er etwas gehört. Mit weit aufgerissenen Augen drückte er sich an die Wand und hielt die Waffe vor sich. Aus der Dunkelheit vor ihm war ein Geräusch zu hören, das an ein leises Lachen erinnerte. Die Haare des Kandidaten hatten sich in seinem Nacken noch nicht komplett aufgerichtet, als ein silberner Blitz durch die Luft sauste und sich neben ihm in die Wand bohrte. Er schrie und hätte beinahe die Waffe fallen lassen, als er der zitternden Klinge gewahr wurde, die nur Millimeter neben seinem Ohr in der Wand steckte. Er fuhr herum, wollte die Waffe wieder heben, aber da war schon eine Gestalt leichtfüßig aus den Schatten auf ihn zugesprungen. Hände legten sich an seinen Kopf, es knackte und der Mann fiel mit gebrochenem Genick zu Boden. Mit einer nachlässigen Geste klaubte Farfarello sein Messer wieder aus der Wand. Er nickte kurz in Richtung Kamera, bevor er wieder in der Dunkelheit verschwand.

„Das war unglaublich.“ Der unbekannte Mann klatschte in die Hände und auch die meisten anderen ließen sich zu einem gefälligen Kopfnicken hinreißen. „Takatori-san, diese Überraschung ist ihnen wirklich gelungen.“

Das Äffchen hingegen stürzte ärgerlich ein Glas von Takatoris teurem Alkohol hinunter. „Ich verlange eine Wiedergutmachung. Der Kerl hat die Waffe ja nicht mal benutzt.“

Hirofumi zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Auf die Kampffähigkeiten der Spieler habe ich leider keinen Einfluss. Aber wenn Sie möchten, kann ich Ihnen gerne einen geeigneteren Kandidaten vorführen. Mit ihm sollten Ihre Chancen auf einen Sieg sehr viel höher sein.“

Das Äffchen nickte begierig und Schuldig beschloss, dass seine Aufgabe damit erfüllt war. Die Zuschauer waren begeistert, die Kasse klingelte und sogar Takatori schien vorerst zufrieden. Es lief tatsächlich alles nach Plan.

 

Mit einem mühsam unterdrückten Seufzen gesellte er sich wieder zu Nagi, der seinen Blick immer noch auf den Bildschirm seines Laptops gerichtet hatte. Schuldig wollte gerade fragen, ob er auch etwas zu trinken wollte, als ihm die Worte im Hals stecken blieben. Der Bildschirm des Laptops zeigte ein vollkommen anderes Areal der Spielarena als das, was auf den großen Bildschirmen zu sehen war. Hier sah man zwei Gestalten nebeneinander durch die dunklen Gassen laufen. Eine von ihnen war ziemlich klein und blond und die andere … die andere war Ran!

„Was zum …?“ Schuldig starrte auf den Laptop und konnte es nicht glauben.

„Da ist … Weiß! Was zum Geier macht Weiß hier?“

Er sah Nagi verdattert an, der sich mit kühlen Gesichtsausdruck zu ihm umdrehte. In seinen Augen stand jedoch heißer Triumph.

„Es könnte sein, dass ihnen jemand eine Einladung geschickt hat. Eine Einladung, die sie nicht ablehnen konnten.“

Schuldig spürte, wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Ihm war, als würde ihm gerade buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen.

„Nagi, du kleiner ...“

Nagis unbeteiligtes Gesicht verzog sich zu einem schmalen Lächeln. „Masafumi war sehr interessiert, als ich ihm von Fujimiyas speziellen Fähigkeiten erzählt habe. Farfarello hat den Auftrag, ihn lebend zu fangen. Oder sagen wir mal, in einem einigermaßen lebensfähigem Zustand. Wir werden sehen, wie er diese Anweisung auslegen wird. Du weißt ja, wie er manchmal ist.“

 

Schuldig wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Oder Nagi erwürgen. Er entschied sich dafür, nichts von all dem zu tun. Stattdessen wirbelte er auf dem Absatz herum und stob aus der Tür. Nagi sah ihm nach und lächelte immer noch. Die Stunde der Rache war gekommen.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Soundtrack:
„Nothings breaks lika a heart“ - Mark Ronson feat. Miley Cyrus
„Freaks“ - Timmy Trumpet & Savage


Uff ... ja ähm, also eigentlich sollte die Geschichte am Ende dieses Kapitels schon ein bisschen weiter sein, aber die Herrschaften haben sich Zeit gelassen und die Details sind mir so zugeflogen. Daher an dieser Stelle ein kleiner Cliff und dann beim nächsten Mal das große Finale. Oder so ähnlich. Ihr dürfte aber gerne daran herumnörgeln. *pfeif* Komplett anzeigen

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