Zum Inhalt der Seite

Insomnia

"You can't fix me."
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

TWELVE

TWELVE

 

Die Tage vergingen und nach knapp zwei Wochen hatten beide sich eine feste Routine in ihrem neuen nächtlichen Arrangement aufgebaut.

So kam Maron früher als sonst in Chiaki’s Zimmer hochgeklettert -um zehn Uhr statt um Mitternacht- und brachte ihm nach wie vor ein kleines Fresspaket mit. Chiaki wusste es sehr zu schätzen, freute sich auch auf das Essen (hatte meist immer noch Hunger, nachdem er schon etwas zu Abend gegessen hatte). Er bedankte sich bei ihr auch immer für ihre Mühe und sagte ihr, wie gut das Essen geschmeckt hat. Ihre Kekstüten sparte er sich meistens für den nächsten Tag auf, um sie in der Mittagspause zu essen.

Maron ließ sich dann wie immer auf ihrem Platz auf dem Sofa nieder, sah ihm beim Essen zu, hörte mit ihm zusammen Musik und unterhielt sich mit ihm über Gott und die Welt. Wenn sie beide nicht allzu müde waren, dann würde die Braunhaarige beispielsweise auch eines seiner Bücher lesen, während er an seinen Zeichnungen arbeitete. Ab und an schauten sie sich sogar einen Film an oder spielten zusammen auf der Konsole.

Wenn einer von beiden beschloss, dass sie zu müde waren, dann würde der andere auch mit dem, was er gerade tat, aufhören und sie würden sich beide bettfertig machen.

Maron würde als erste ins Bad gehen, hatte immer eine Extratasche mit und verschwand dann für einige Minuten. Chiaki selbst würde sich in der Zwischenzeit in seinen Pyjama umziehen, welches aus einem simplen, gemütlichen Baumwollshirt und einer Baumwollhose bestand. Am Anfang war es für ihn noch ein merkwürdiges, ungewohntes Gefühl gewesen Pyjamas zu tragen. Schließlich hatte er das seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht.

Wenn Maron im Bad fertig war (und sich dabei auch in ein langärmliges Schlafshirt und einer langbeinigen Hose umgezogen hatte), würde er sich noch schnell die Zähne putzen und beiden würden sich anschließend ins Bett begeben.

Für die ersten Nächte war die Atmosphäre nach wie vor noch komisch und unbehaglich. Aber dies löste sich auch schnell wieder, sobald Chiaki das Licht ausmachte und beide automatisch näher rückten. Er würde sie in seine Arme nehmen und sie kuschelte sich, ohne zu zögern, gemütlich an ihn ran. Danach würde er ihre zarten Finger in seinen Haaren spüren. Seufzend schloss er die Augen. Es fühlte sich gut an, wie ihre Finger ihm sanft durch die Strähnen streichelten. Er drückte sie daraufhin enger an sich, was sie zu mögen schien. Überhaupt schien Maron sich in seinen Armen wohl zu fühlen.

Nach einiger Zeit würde Chiaki in den meisten Fällen als Erster einschlafen. Er war sich sicher, dass sein Mädchen ihm kurz darauf in den Schlaf folgte. Und sie schliefen tief und fest. Sehr, sehr fest. Man könnte behaupten, dass selbst der schlimmste Sturm sie nicht wecken könnte. Und sie blieben von ihren Albträumen verschont. Sie träumten normale Dinge, die mit dem Aufwachen jedoch sofort wieder in Vergessenheit gerieten.

Am nächsten Morgen würde der Wecker sie um exakt halb sechs wecken. Selbst am Wochenende machten sie da keine Ausnahmen.

Maron hasste den Wecker. Sie würde sich enger an Chiaki herankuscheln, während er sich stöhnend umdrehte und den Wecker abstellte. Widerwillig stand Maron dann auf und verschwand für genau fünfzehn Minuten im Badezimmer, machte dort alles, was Mädels am Morgen so machten. Zähne putzen, sich die Haare kämen, einen Plan für die Rettung der Wale sich ausdenken…er hatte keinen Schimmer. Sie ließ auch nie etwas in sein Badezimmer zurück, packte immer alles sorgfältig wieder ein, was auch immer sie in ihrer Extratasche dabeihatte.

Darauffolgend verabschiedete Maron sich von ihm und begab sich nach draußen. Chiaki würde von seinem Fenster aus immer nachsehen, ob sie auch wirklich sicher unten ankam, bevor er sich selbst seiner Morgenroutine widmete. Ihm gefiel es nach wie vor nicht, dass sie überhaupt die Gefahren auf sich nahm die zwei Stockwerke jeden Tag hoch- und runter zu klettern, weshalb Chiaki auch mal vorschlug, die Sache in ihr Zimmer zu verlegen. Doch das wies Maron sofort wieder ab mit allen möglichen Begründungen, wie dass das Bad weit weg von ihrem Zimmer wäre und man ihn im Flur erwischen könnte (was er persönlich bezweifelte) oder dass ihr Zimmer langweilig oder ihr Bett zu klein wäre. Seufzend akzeptierte er ihre Einwände.

 

Wie jedem Morgen würde Yamato auf ihn warten, doch nun war Chiaki immer ein paar Minuten früher als sonst da, um ihn abzuholen. Dank des erholten Schlafs fühlte er sich sicherer im Verkehr und würde auch etwas schneller fahren als vorher, was ihn auch mehr Spaß machte.

Die Schule hingegen blieb unverändert (abgesehen von dem besseren Auffassungsvermögen im Unterricht). Maron ignorierte er weiterhin noch. Ihr machte es allerdings nichts aus. Sollte es auch nicht. In Anbetracht dessen, dass Chiaki ihr näher war als jeder anderer. Sie kannte ihn sogar mittlerweile besser als Yamato.

Manchmal mussten die beiden im Unterricht an einigen Aufgaben zusammenarbeiten, aber selbst da versuchten sie so wenig wie möglich miteinander zu reden.

Chiaki konnte ihr ansehen, dass sie immer noch angespannt war in der Schule. Versuchte Abstand zu jeden zu halten. Reden tut sie nur mit Miyako und in seltenen Fällen auch mit Natsuki. Glücklicherweise hatte sie keine weiteren Zusammenbrüche mehr gehabt. Und ihrer Aussage nach hatte Shinji den Händeschüttel-Vorfall an dem Montag von vor zwei Wochen auch nie wieder angesprochen.

Nach der Schule würde er Yamato wie sonst auch nach Hause fahren und anschließend sich selbst auf dem Heimweg machen. Zu Hause würde er Hausaufgaben und derartiges erledigen und hinterher darauf warten, dass Kaiki von der Arbeit Heim kam. Eventuell würde Chiaki sich nach unten begeben und sich ein wenig mit ihm unterhalten. Schließlich wäre es nicht schlecht, etwas mehr Zeit mit seinem Vater zu verbringen und eine Art Vater-Sohn-Bindung aufzubauen. Kaiki schien das sehr zu erfreuen. Er würde mit ihm über das Krankenhaus oder die neuste moderne Technik in der Medizin reden. Gespannt und interessiert hörte Chiaki dabei auch zu. An manchen Tagen blieben diese abendlichen Gespräche allerdings auch aus, wenn sein Vater Überstunden oder Nachtschichten machte.

Was Shinji anging, so hatte sich nicht viel verändert. Sie gingen sich zwar nicht mehr so an wie sonst früher, aber groß miteinander reden würden sie auch nicht, sprachen wenn dann nur das Nötigste miteinander. Chiaki empfand auch kein Bedürfnis eine brüderliche oder noch nicht mal freundschaftliche Bindung mit dem Typen aufzubauen.

Gegen zehn wartete er in seinem Zimmer und Maron würde den Balkon wieder hochgeklettert kommen. Daraufhin würde der ganze Ablauf wieder vom neuen Beginnen.

 

Im Großen und Ganzen war diese Routine perfekt. Und nach nur wenigen Tagen könnte Chiaki sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen. Allein weil er nach Jahren endlich wieder ordentlichen Schlaf bekam und nicht von seiner Vergangenheit gepeinigt wurde.

Umso wichtiger war es für ihn, dass das Ganze nicht irgendwie aufflog. Dass er auf seine Regeln noch mehr achten musste als vorher. Die Sache am Montag war eine Ausnahme gewesen. Da konnte er sein Mädchen nicht allein lassen.

Dennoch mussten beide jetzt aufpassen. Andere Menschen, wie Miyako, würden es wahrscheinlich in den falschen Hals bekommen, wenn herauskäme, dass Maron jede Nacht in seinem Bett schlief. Sie wäre dann das Opfer und er wäre das Arsch, der sie dazu manipuliert hätte – das wäre für Außenstehende höchstwahrscheinlich der Eindruck.

Dabei war es nur einfacher, harmloser Schlaf. Mehr nicht. (Aber das würden die Leute nicht verstehen.)

Und es profitierten beide davon. Sowohl Chiaki als auch Maron.

Sie erschien ihm glücklicher und zufriedener als je zuvor, was ihn wiederum auch irgendwie glücklich machte. Gesünder sah sie auch aus. Die Augenringe waren so gut wie weg und er konnte sich vorstellen, dass seine auch verschwunden waren. Es war ein gutes Gefühl, sich einfach wie ein normaler Mensch zu fühlen (statt wie ein Zombie).

Allerdings hatte Chiaki die bedenken, dass sie beide zu abhängig von dieser Routine werden. Dass es nicht auf ewig andauern wird.

Weshalb er beschloss es einfach zu genießen, solange er noch konnte.
 

***

Die letzten zwei Wochen waren für Maron unbeschreiblich. Dieses glückliche Gefühl in ihrer Brust war kaum in Worte zu fassen.

Jede Nacht wartete sie wie auf heißen Kohlen sitzend darauf, dass alle ins Bett gingen und sie am zehn Uhr zur Nachbarsvilla sich hinüberschleichen konnte. Sie hatte Chiaki gesagt, dass sie eher kommen würde, weil sie die extra paar Stunden Schlaf haben wollte. Aber die Wahrheit war einfach, dass sie eher bei ihm sein wollte.

Sein Zimmer war mittlerweile ihr persönlicher Zufluchtsort. Nahezu sowas wie ihre Oase.

Es war der Ort, in der sie sich am sichersten und wohlsten fühlte. Selbst bei sich zu Hause verspürte sie nicht so ein Heimgefühl. (Ihr Zimmer mochte sie sowieso nicht und da wollte sie die Schlafangelegenheit auch nicht dorthin verschieben, als er es mal vorschlug.)

Und die Momente, in der sie beide sich zum Schlafen hinlegten, gehörten zu Maron’s Lieblingsmomenten. Sobald das Licht aus war, zögerte Chiaki keinen Moment und zog sie näher an sich ran, was ihr Herz höherschlagen ließ. Sofort würde Maron näher unter der Decke an ihn heranrutschen und ihren Kopf an seine Brust anlehnen. Sie fühlte sich so sicher und geborgen in seinen Armen, es entspannte sie sichtlich. Nach einigen Momenten würden beide in den albtraumfreien Schlaf wegdriften. Es war wie als würde er sie vor ihren Albträumen beschützen und sie vor seinen.

Was Maron am meisten hasste, waren die Morgen danach. Sie hasste es ihn loslassen zu müssen. Die Geborgenheit und die Wärme loszulassen zu müssen. Zu ihrer Enttäuschung war Chiaki immer derjenige, der sie am Ende losließ, um den Wecker auszuschalten.

Aber das war letztendlich auch okay, denn in siebzehn Stunden würde sie wieder hier sein - in seinen Armen. (Nicht, dass sie die Stunden immer runterzählte.)

Widerwillig rappelte sie sich dann auf, ging ins Bad, wusch sich das Gesicht und kämmte sich die Haare, die waren nach dem Aufstehen immer ein wildes Durcheinander. Nachdem sie sichergestellt hatte, dass sie alles eingepackt hatte, würde sie nach Hause gehen, dort Duschen und sich umziehen, bevor die anderen aufwachten. Dann würde Maron das Frühstück vorbereiten und meistens war es auch fertig angerichtet, wenn Sakura als Erste in die Küche kam. Am Anfang war es noch etwas ungewohnt gewesen, dass ihr Vater nicht da war, aber gleichzeitig fühlte sie sich auch um einiges leichter. Dennoch vermisste sie ihn und freute sich auch etwas, wenn er nächstes Wochenende wieder nach Hause kam.

Am Morgen hatte Maron an sich eigentlich immer gute Laune. Diese schwankte jedoch sobald sie in der Schule war. Es war anstrengender allen aus dem Weg zu gehen, wenn man seine Sinne zu hundert Prozent nutzte und nicht nur zu fünfzig.

Andererseits konnte sie sich wiederrum besser auf den Unterricht konzentrieren. Gelegentlich würde sie Chiaki einen unauffälligen Seitenblick zuwerfen. Gelangweilt würde er den Unterricht mitverfolgen und sie nach wie vor ignorieren. Maron nahm das mit einem Schulterzucken hin. Sie dachte an den Montag zurück, wo er sie nach ihrem Zusammenbruch getröstet und dabei all seine Regeln gebrochen hatte. Dieser Moment war ihr mehr wert als alles andere auf der Welt.

Bezüglich Shinji, so hatte Maron sich zwar am nächsten Tag bei ihm entschuldigt, aber er hielt sich seitdem stark bei ihr zurück, traute sich auch nicht mit ihr zu reden. Demnach verbrachte die Braunhaarige die Mittagspause auch die meiste Zeit wieder mit ihrem Buch, ging nur ab und an auf ein paar Sachen ein, die Miyako oder Natsuki sie fragten.

Manchmal blickte sie unauffällig zu Chiaki’s und Yamato’s Tisch rüber. Die beiden unterhielten sich miteinander und Maron konnte immer sehen, dass Chiaki dabei ihre Kekse vom Vortag aß, was ihr ein unauffälliges, seliges Lächeln auf den Lippen brachte.

Nach der Schule verbrachte Maron auch mehr Zeit mit Miyako in deren Zimmer. Sie hatte die Freundinnenzeit mit ihr vermisst. Und in den Momenten fühlte Maron sich auch wie ein ganz normales Mädchen. Die beiden würden über alle möglichen Themen reden. Schule, Klamotten, Jungs, Leute, die sie nicht leiden können, …worüber Mädels sich nun mal unterhielten.

Nur beim Thema Jungs war es eher Miyako, die stundenlang quatschte und Maron mit einem amüsierten Schmunzeln nur zuhörte. Am liebsten würde sie mit ihrer Freundin im Gegenzug auch über Chiaki reden, doch dieses Bedürfnis unterdrückte sie sofort wieder. Nicht, dass sie ihre Gefühle für Chiaki verleugnen oder ignorieren wollte.

Maron wusste, dass sie mehr für ihn empfand als nur Freundschaft und sie wünschte sich, dass er für sie genauso empfand. Aber sie wusste, dass es für ihn nicht so war.

Und auf keinen Fall würde sie diese Freundschaft und dieses Arrangement zwischen ihnen wegen ihren Gefühlen aufs Spiel setzen. Auf keinen Fall wollte sie die Sache zwischen ihnen verkomplizieren oder sogar ruinieren.

Schlussendlich sollte sie sich nur das nehmen, was sie auch wirklich haben konnte. Wenn Freundschaft und Schlaf das war, was sie bekam, dann sollte sie sich damit zufriedengeben und nicht noch mehr verlangen.

Ein kleiner Teil von ihr hoffte dennoch, dass er eventuell mehr in ihr sah als eine einfache Freundin.

 

Es war Freitag und Maron konnte das Wochenende kaum erwarten. Gerade hatten sie ihre letzte Schulstunde, Sport. Sie mochte Sport. Auch wenn es vorher in der schlaflosen Zeit sehr anstrengend war. Aber sie mochte es sich auszupowern.

Maron war froh, dass die Sportuniform der Schule aus langen Sachen bestanden, selbst im Sommer. So musste sie sich keine Sorgen um ihren vernarbten Körper machen. Zum Umziehen zog sie sich auch immer in eine Kabine zurück, war sich durchaus bewusst, dass dies für Gesprächsstoff unter ihren Klassenkameradinnen sorgte.

Ein weiterer Aspekt worüber sie froh war, war die Tatsache, dass Jungs und Mädels getrennt Sport machten. Während die Mädchen heute in der Halle Basketball spielten, waren die Jungs draußen auf dem Fußballfeld beschäftigt. So bestand auch nicht die Gefahr, dass irgendwelche Klassenkameraden in sie reinrannten.

Eigentlich war Maron über den Tag recht gut gestimmt gewesen. Dies verflog allerdings schnell wieder, als sie mit Yashiro in einem Team zusammengeworfen wurde und kein einziges Basketballspiel gewonnen hatte.

Gerade saß Maron’s Team mit deren gegnerisches Team auf der Tribüne und warteten darauf, dass die letzten beiden Teams mit ihrem Spiel fertig wurden, damit sie alle ins Wochenende gehen konnten.

Maron schaute sich gelangweilt das Spiel ihrer Mitschülerinnen an. Jeweils links und rechts von ihr saßen mit etwas Abstand einige ihrer Team- und Klassenkameraden, die sich über das kommende Wochenende oder über irgendwelche Clubs und Partys austauschten. Zwei Reihen unter der Braunhaarigen saß Yashiro mit ihrer Freundin Misa. Im Moment unterhielten die beiden sich über ihre „Eroberungen“.

Zwei Schlampen, die sich eine Gehirnzelle teilen… Maron verzog angeekelt das Gesicht, versuchte ihnen und deren Gespräch keine Beachtung zu schenken.

Sie wendete und drehte still den Basketball in ihrer Hand, betrachtete dessen gummiartige Oberfläche. Im Hintergrund war das Quietschen von Turnschuhen, das Drippeln der Bälle sowie all die unterschiedlichen Stimmen ihrer Mitschülerinnen zu vernehmen. Immer mal schaute sie auf die Uhr an der Wand und wünschte sich, dass sie endlich gehen konnten. Sie langweilte sich ziemlich.

Plötzlich hörte Maron wie eine nervig hohe Stimme einen bestimmten Namen sagte. Mit einem Mal waren alle anderen Geräusche um sie herum vergessen und ihre Aufmerksamkeit wurde auf das Gespräch zwei Reihen unter ihr gelenkt, ob sie wollte oder nicht.

„Chiaki Nagoya“, hatte Yashiro mit einem Nicken gesagt. Maron wusste nicht, was sie vorhergesagt hatte, aber es gab auch keine Möglichkeit mehr die Türkishaarige zu ignorieren. „Definitiv der Beste von allen. Zweifellos.“ Yashiro grinste.

Sofort sah Maron nur noch rot und das Blut in ihren Adern brodelte. Sie hatte ihre Vermutungen gehabt, dass Chiaki mit Yashiro Sex hatte, aber zum ersten Mal bekam sie eine direkte Bestätigung davon zu hören. Yashiro’s türkiser Schopf war nur Zentimeter von Maron’s Schuh entfernt. Die Versuchung war sehr, sehr groß ihr an den Kopf zu treten.

Misa brach in ein Kichern aus. „Ich hätte mir denken können, dass du Nagoya sagst. Auch wenn es nur ‘ne Nummer auf dessen Rückbank war“, sagte sie, worauf Yashiro gleichgültig mit den Schultern zuckte.

In Maron herrschte ein innerer Konflikt. Ihre Emotionen standen im Zwiespalt.

Zum einen war sie mehr als erleichtert darüber, dass es nicht auf seinem Bett geschah. Dasselbe Bett auf dem sie zusammen schliefen! Sonst wäre sein Zimmer, welches ihre persönliche Oase war, völlig ruiniert.

Zum anderen hatte sie nun mehr Details über die Sache erfahren, als sie jemals in Erfahrung bringen wollte. Ebenso sah sie Bilder vor ihrem geistigen Auge, die sie am liebsten sofort wieder aus ihrem Gehirn löschen wollte.

Die beiden Mädels unter ihr lehnten sich etwas zurück und legten ihre Füße auf die Sitze vor ihnen ab.

„Also, Yashiro…“, begann Misa in einem skandalösen Ton zu sagen und grinste, „Ich will Details über Nagoya hören.“

Maron stockte fast der Atem und sie kämpfte noch mehr damit, die beiden Mädels vor ihr und deren nervigen Stimmen auszublenden. Sie versuchte sich auf die Gespräche ihrer anderen Mitschülerinnen zu konzentrieren.

„Verdammt guter Küsser. Ohne Frage“, kam es von Yashiro, die eine Strähne um ihren Finger zwirbelte.

Maron’s Griff um ihren Basketball verstärkte sich. Gedanklich versuchte sie jeden Schrittfehler bei den Spielerinnen auf dem Feld zu analysieren und zu zählen.

„Und du meine Güte, diese Hände…!“, sagte Yashiro verträumt.

Zähneknirschend versuchte Maron sich allmögliche Matheformeln und Definitionen in Gedanken abzurufen. Wenn x=π, dann erhält man für cos(x)=−1 und für i mal-….

„Richtig scharf der Typ.“ Yashiro’s eingebildetes Kichern unterbrach ihre Gedankengänge. Maron kniff sich angestrengt die Augen zusammen, die Finger so fest in den Basketball gedrückt, dass es schon fast weh tat.

„Oh! Und die Geräusche, die er gemacht hatte, als ich ihm eine gebl-“

BAAM!

Für Maron war der Kragen geplatzt und sie hatte Yashiro den Ball hart an den Kopf geworfen, sodass sie mitten im Satz abbrach und ihr Kopf zur Seite knickte.

„EY, SPINNST DU?!!“, kreischte Yashiro so laut, dass alle in der Halle abrupt innehielten und sich zu ihnen umdrehten. Entrüstet stand sie auf, die Hand am Hinterkopf haltend und drehte sich zu Maron um. „WAS ZUM TEUFEL IST DEIN VERFICKTES PROBLEM, DU FREAK?!!“ Die giftgrünen Augen funkelten Maron zornig an. „ENTSCHULDIGE DICH GEFÄLLIGST!!“

Maron blickte flüchtig durch die Halle, nahm alle verwirrten Gesichter in sich auf. Da sie es mittlerweile gewohnt war wie ein Freak angestarrt zu werden, ließen die Blicke sie auch kalt. Demnach würden keine zehn Pferde sie auch dazu bringen sich bei Yashiro zu entschuldigen.

Gerade als Maron aufstehen und wortlos weggehen wollte, gab die Sportlehrerin mit ihrer Pfeife das Signal, dass die Stunde beendet war und alle sich in die Umkleide begeben sollten. Anschließend ging die Lehrerin nach draußen zu den Jungs.

Maron’s Mitschülerinnen gingen den Anweisungen nach, liefen allmählich aus der Halle raus und warfen der Braunhaarigen immer mal verstohlene Blicke zu, tuschelten hinter hervorgehaltenen Händen.

Yashiro stand noch immer da und blickte Maron mit einem finsteren Gesichtsausdruck wütend an. Maron hielt ihren Blicken stand. Sie entschuldigte sich nicht. Mit verschränkten Armen stand sie auf, war durch die erhöhte Reihe der Tribüne größer als ihr Gegenüber. Daraufhin begab auch sie sich zu den Umkleiden.

 

Es war 22 Uhr.

Über den Rest des Tages hatte Maron extrem schlechte Laune. Und es gab nur eine Person, die es eigentlich besser machen konnte. Doch gerade von dieser Person sah sie Bilder in ihrem Kopf, die sie nicht sehen wollte. Am liebsten würde sie sich Bleichmittel über das Gehirn schütten. Ihr wäre jedes Mittel recht, um die Erinnerungen über all die Dinge, die Yashiro gesagt hatte, auszuradieren.

Doch egal was Maron tat, es wurde nicht besser und das machte sie wahnsinnig.

Eigentlich war es absurd von ihr auf Yashiro eifersüchtig zu sein. Klar - sie hatte Chiaki in einer Art und Weise, die Maron nie haben wird. Allerdings hatte sie Chiaki auf einer Art und Weise, die Yashiro wiederum nie haben wird. Ein kleiner Trost für Maron.

Ihre Wut über die ganze Sache ließ dennoch nicht nach.

Mit stampfenden Schritten ging sie nach draußen, zog sich murrend die Kapuze ihrer Jacke über. Es regnete, doch das kümmerte sie nicht.

Als Maron vor seiner Balkontür stand, klopfte sie schnell und energisch gegen das Glas, wartete ungeduldig und mit verschränkten Armen darauf, dass er ihr auf machte.

Im nächsten Moment ging die Tür auf und Chiaki stand mit einem gelassenen Gesichtsausdruck vor ihr, die Haare fielen ihm teilweise ins Gesicht. Er wirkte nicht wie, als hätte er von dem Eklat in Sport was gehört. Gut, denn Maron hatte kein Bedürfnis gehabt sich zu erklären.

Er trat wie üblich beiseite, um ihr Einlass zu gewähren und sobald er die Tür hinter sich zugemacht hatte, streckte er eine Hand nach Maron aus und schob ihr die Kapuze vom Kopf runter.

Diese Hände…!, echote Yashiro’s widerliche Stimme in ihren Kopf. Maron verzog ihr Gesicht zu einer leichten Grimasse, entfernte sich von ihm und packte ihren Rucksack aus.

„Hier“, kam es von ihr knapp, als sie Chiaki eine Bentobox aufs Bett stellte. Normalerweise würde sie ihn fragen, ob und was er schon gegessen hatte, aber dafür war sie zu miesgelaunt.

Chiaki hingegen aß glücklich seinen Nachtsnack. Viel zu glücklich.

All die Mhmmms, die er beim Essen von sich gab, trugen noch mehr zu ihrem Kopfkino bei.

Und die Geräusche, die er gemacht hatte, hörte sie Yashiro sagen. Ihr Gesicht verzog sich ein weiteres Mal. Sie musste unbedingt diese Bilder aus ihrem Kopf bekommen.

Angespannt saß Maron auf dem Sofa, zupfte unruhig an ihren Lippen.

In Gedanken stellte sie sich auch vor, wie sie Yashiro am liebsten den Hals umdrehen würde.

„Was ist los mit dir?“, fragte Chiaki von seinem Bett aus, als er die leere Bentobox zu machte und beiseitelegte. Seine samtige Stimme ließ Maron etwas überrascht zusammenzucken. Auf seine Frage schüttelte sie nur den Kopf und setzte ein sorgloses Lächeln auf, was ihre Augen jedoch nicht erreichte.

„Nichts ist los“, entgegnete sie unschuldig.

„Red keinen Scheiß“, erwiderte er prompt, blickte sie mit hochgezogener Augenbraue prüfend an.

Ein schwerer Seufzer entrang ihr. Natürlich…

Er konnte es ihr immer ansehen, wenn etwas nicht stimmte. Das hätte sie wissen sollen.

Maron atmete durch die Nase tief durch, während sie sich die Schuhe auszog und die Knie an die Brust anzog. Chiaki beobachtete sie dabei, wartete geduldig darauf, dass sie ihm sagen würde was los war.

Für einen Moment presste sie sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Auf keinen Fall würde sie ihm sagen, was sie beschäftigte. Weshalb sie das tat, was auch er immer tat: die Wahrheit umgehen.

„Ich hatte einfach einen Scheißtag“, sagte sie zerknirscht und zuckte mit den Schultern. Es war nicht gelogen. Geduldig wartete Chiaki einige Augenblicke darauf, dass sie noch was hinzufügen würde, was sie nicht tat.

„Okayy...“, sagte er langsam, beäugte sie eindringlich, „Ist was zu Hause passiert?“

Sie gab ihm auf die Frage keine Antwort und wieder vergingen einige stille Momente.

„Willst du darüber reden?“, fragte er besorgt.

Maron schüttelte ihren Kopf, schloss seufzend ihre Augen.

Es war für einige Augenblicke ruhig im Zimmer, bis Chiaki die Stille durchbrach.

„Hey“, hörte sie ihn sanft sagen. Entnervt öffnete Maron ihre Augen, gab ihm stumm zu verstehen, dass er das Thema fallen lassen soll.

Er sah sie für einen Moment an, ehe er seine Arme hob und ihr wortlos eine Umarmung anbot. Welche sie, ohne zu zögern, annahm.

Sie stand vom Sofa auf, ging auf ihn zu, stieg auf sein Bett und warf sich nahezu in seine Arme, schmiss ihn dabei fast um. Sie schmiegte ihren Kopf in seine Halsbeuge, atmete tief ein und wieder aus. Sog dabei seinen Duft tief in sich ein, was sie auch beruhigte. Unterdessen drückte er sie enger an sich.

Für eine Weile saßen sie eng umschlungen da, sagten kein Wort.

„Wir könnten einen Film zusammen gucken. Das wird dich ablenken“, schlug Chiaki nach einigen Minuten vor.

Maron nickte, ehe sie sich von ihm löste. Er schaltete den Fernseher an und sie suchte sich in seiner Mediathek den Film aus, entschied sich dabei für einen actionreichen Film mit viel Blut und Massaker.

Chiaki musste amüsiert kichern, als er ihre Auswahl sah.

Ohne weiteren Worte sahen sie sich den Film an und zu Maron’s Erstaunen, half es ihr wirklich abzuschalten. Das Bedürfnis Yashiro zu erdrosseln, umzubringen und in den Fluss zu werfen, war zwar immer noch da, aber nicht mehr so ausgeprägt wie vorher.

Nach ungefähr der Hälfte waren beide jedoch zu müde, um weiterzuschauen, weshalb sie den Film aus machten und sich schlafen legten.

Wie sonst auch, nahm Chiaki Maron in seine Arme, nachdem er das Licht ausgemacht hatte. Sanft strich er ihr durch die Haare, fuhr mit seinen Fingern ihren Rücken auf und ab. Sie seufzte leise. Das Gefühl seiner Hände auf ihrem Rücken fühlte sich gut an, ließ sie für den Moment alles vergessen, was Yashiro gesagt hatte.

Ein kleines, selbstgefälliges Lächeln bildete sich auf Maron’s Lippen. Nach allem war sie letztendlich diejenige, die nachts mit ihm im Bett lag.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2019-11-26T10:03:14+00:00 26.11.2019 11:03
Ich konnte nicht mehr, als Maron vor Eifersucht, den Ball geworfen hat 😂. Tolles Kapitel 😊.
Lg🥰
Antwort von:  mairio
26.11.2019 11:10
Kann man nachempfinden 😂

LG bis zum nächsten Mal 😊😊


Zurück