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Insomnia

"You can't fix me."
von

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FIFTEEN

FIFTEEN

 

„Oh Gott, wie dumm von mir. Die Kekse könnten schon etwas trocken sein. Warte – ich hole dir schnell was zu trinken“, hörte man Miyako nervös sagen, die aufstand und so schnell wie der Wind zur Theke lief. Doch die Jungs beachteten sie kaum.

Unterdessen hatte Yamato es geschafft seinen Keks runter zu bekommen, ohne zu ersticken und gaffte Chiaki fassungslos an. Die Augen so riesig, sie poppten ihm fast raus.

Der Blauhaarige starrte für einen Moment regungslos zurück. Aus den Gründen hatte Chiaki ihm auch nichts sagen wollen – um diesen Blick zu umgehen. Aber da er seinen besten Freund gut kannte, wusste er, dass Yamato Miyako zunächst nichts verraten wird.

Dennoch konnte Chiaki nicht länger sitzen bleiben, weshalb er aufstand und eilig aus der Cafeteria davonlief. Yamato ließ er mit Miyako, die soeben mit einer Flasche Wasser zurückkehrte, am Tisch zurück. Chiaki betete, dass sie seinen Freund so lange ablenken konnte, dass er sich auf das kommende Gespräch innerlich vorbereiten konnte.

 

Den gesamten Unterricht über war Chiaki mit den Gedanken beschäftigt, ob er Maron eventuell berichten soll, was gerade los war. Schließlich ging es sie auch etwas an. Dennoch war er sich unschlüssig darüber, blickte unsicher auf dem leeren Textfeld in ihrem SMS-Chat. Am Ende packte er sein Handy seufzend wieder weg und ließ sie einfach gehen, als die letzte Unterrichtsstunde vorbei war. Womöglich würde er ihr am besten heute Nacht die ganze Story erzählen, wenn sie beide allein waren.

Als Chiaki aus dem Klassenzimmer kam, stand schon Yamato wartend im Korridor mit dem Rücken an der Wand angelehnt und die Hände in den Hosentaschen vergraben. Er konnte ihm ansehen, dass er förmlich vor Neugier platzte. Diese Neugier bereitete Chiaki ein Unbehagen im Magen. Notgedrungen ging er auf ihn zu, behielt seine ruhige, gelassene Miene bei.

Yamato zog eine Braue hoch. „Ich denke es schadet nicht, wenn wir heute später nach Hause kommen“, sagte er einfach, sprach in einem Ton, wie als würde er keine Einwände zulassen und blickte Chiaki an, als wäre er ihm etwas schuldig.

Chiaki seufzte schwer.

Er konnte ihn irgendwie verstehen. Sie wussten gewöhnlich alles voneinander. Geheimnisse gab es so gut wie gar nicht - eigentlich. Chiaki hatte Geheimnisse, die er seinem besten Freund vorenthielt und er wusste, wenn die Rollen vertauscht gewesen wäre, dann hätte Yamato ihm alles längst gebeichtet. Diese Tatsache ließ ihn irgendwie schlecht fühlen. Er war durchaus ein schlechter Freund gewesen.

Weshalb er dieses Gespräch wohl oder übel hinter sich bringen musste.

Besser jetzt als nie. (Er wüsste sowieso nicht, wie er sich aus dem Ganzen rausreden sollte.)

„Okay“, nickte Chiaki und ging schnellen Schrittes Richtung Schulparkplatz raus, während Yamato ihm folgte, teilweise etwas sprinten musste, um mitzuhalten.

Kaum waren beide im Auto, war die Stille zwischen ihnen mehr als erdrückend, Chiaki aber keinen Bedarf hatte sie zu brechen. Weshalb er ohne Weiteres den Motor startete und losfuhr.

Die ganze Fahrt über konnte er deutlich spüren, wie Yamato Löcher in seinem Kopf starrte. Jedoch nichts sagte. Chiaki verstand nicht worauf er wartete. Schließlich war er nicht Miyako, bei der er bis heute nicht den Mund aufbekommen hatte.

Schweigend fuhren beide zum Strand, hatten dort ihre eigene ruhige Ecke, an der sie früher immer abhingen und chillten. Als Chiaki ausstieg, wünschte er sich innerlich, dass es schon zehn wäre und er zu Hause in seinem Zimmer mit seinem Mädchen war.

Mit einem Plumps ließ er sich auf eine Betonbank nieder. Yamato stand für einen Moment noch da, starrte ihn wortlos an, ehe er sich neben ihn hinsetzte. Das Schweigen zog sich noch eine Weile in die Länge. Während Yamato seinen Blick keinen Augenblick von Chiaki abwandte, starrte dieser stur aufs Meer hinaus. Eine salzige, kalte Brise kam ihnen entgegen. Einerseits hatte er nichts dagegen zu schweigen, andererseits wollte er, dass der Braunhaarige endlich was sagte und ihn nicht auf die Folter spannte. Das Schweigen machte ihn mehr fertig als das Verhör, den er sich die letzten 60 Minuten im Kopf ausgemalt hatte.

Allmählich wurde er unruhig. Chiaki holte aus seiner Jackentasche seine Zigarettenpackung und nahm sich eine Kippe raus. Aus seinem Augenwinkel bemerkte er, wie Yamato nach der Packung in seiner Hand reichte und sich selbst eine Zigarette rausholte.

Anschließend zündeten beide sich wortlos ihre Zigaretten an und nahmen einen tiefen Zug. Es war eine Weile her, seit Chiaki das letzte Mal geraucht hatte. Um genau zu sein, seit Maron jede Nacht in seinem Zimmer verbrachte, hatte er keine Zigarette mehr angerührt.

„Okay…“, durchbrach Yamato endlich das Schweigen und blickte mit verengten Augen zu Chiaki hinüber. „Was zum Teufel hat es mit dir und der Verrückten auf sich?“

Chiaki warf ihm einen scharfen Blick zu. „Sie. Ist. Nicht. Verrückt“, knurrte er, war sichtlich angepisst. „Ihr Name ist Maron.“

Yamato wich etwas zurück und machte verblüfft große Augen. Überrascht darüber, dass er Maron in Schutz nahm.

Nach einigen Sekunden fasste Yamato sich wieder und nahm einen kurzen Zug seiner Zigarette. „Okay. Nicht verrückt. Schon verstanden“, sagte er, blickte fast entschuldigend drein. Yamato kannte Chiaki gut genug, um zu wissen, dass er sehr selten Leute in Schutz nahm. Und wenn er es tat, dass hieß es auch etwas.

„Also, was hat es mit dir und Maron auf sich?“, fragte er erneut, betonte ihren Namen augenrollend.

Chiaki schnaubte. „Ist ‘ne verdammt lange Story“, sagte er ausweichend.

„Ich habe Zeit“, entgegnete Yamato trocken, zog erwartungsvoll eine Braue hoch.

Erneute schnaubte Chiaki auf, sah keinen anderen Ausweg als zu reden.

„Erinnerst du dich an die dämliche Party, die du sausen ließt?“ Kurz dachte der Braunhaarige nach und nickte bejahend. „Nun…Sie war da, kam mit Miyako“, setzte Chiaki fort. Yamato krauste überrascht die Stirn. „Und Shikaidou wollte sich an sie ran machen, wodurch sie die Treppen hochging, um sich vor ihm zu verstecken. Und irgendwie war sie am Ende in mein Zimmer reingerannt.“

Yamato machte ein nachdenkliches Gesicht und nickte dann, gab Chiaki zu verstehen, dass er weiterreden soll. Tief atmete er aus, lehnte sich an der schmalen Lehne der Bank zurück. Und dann begann er ihm alles zu erzählen.

Er erzählte ihm von deren erstes Aufeinandertreffen und sprach über die Tatsache, dass sie nicht schlief und er nicht schlief. Bestimmte Dinge ließ er aus, wie ihre Vergangenheiten. Dies waren sensible Themen, die nur zwischen ihm und Maron blieben. Das Thema Albträume hatte er an sich nur flüchtig angesprochen, ging aber aus den Gründen nicht auf Details ein. Dies sagte er Yamato auch.

Er nickte soweit verstehend, hörte aufmerksam zu.

Chiaki erzählte ihm von deren nächtlichen Treffen bei den Picknickbänken und von den leckeren Keksen und Snacks, die Maron ihm immer mitbrachte. Er erzählte ihm auch davon wie er und sie miteinander über ihre Probleme redeten und wie es einfach Klick gemacht hatte. Er erzählte ihm von seiner Erkältung, wie sein Mädchen sich um ihn gesorgt hatte sowie auch vom Dinner. Und schließlich auch über die Nacht an diesem Abend.

„Moment.“ Yamato hob stoppend eine Hand als Chiaki zu dem Part kam, dass Maron ihn berühren konnte. „Also, sie kann dich berühren… aber sonst niemand?“, fragte er ungläubig.

Chiaki seufzte entnervt auf. „Ja, verdammt. Nun halt die Klappe. Und spar dir die Fragen bis zum Ende auf.“ Er konnte Yamato ansehen, dass er schon viel zu viel hineininterpretierte.

Er erzählte ihm von Maron’s Versuch Shinji die Hand zu schütteln, was bedauernder Weise kläglich nach hinten los ging. „Oh“, entkam es Yamato daraufhin nur.

Anschließend erzählte er ihm auch davon, wie sie jede Nacht zusammen schliefen. Wie erwartet, fiel Yamato ab da die Kinnlade zu Boden runter, verstand alles komplett falsch. Dennoch sprach Chiaki ungehindert weiter.

Er erzählte ihm von ihrer Routine, dass Maron jede Nacht zu ihm kam und Essen mitbrachte und wie sie zusammen ins Bett gingen und einander brauchten, um ruhig schlafen zu können. Chiaki versuchte dabei alles so sachlich wie möglich zu beschreiben, damit es weniger intim klang als es eigentlich war.

Als er zum Ende der ganzen Story kam, waren beide ihre Zigaretten schon verglüht und ausgedrückt. Yamato saß für einige Momente da und gaffte seinen Freund mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen sprachlos an. Chiaki wartete darauf, dass er alles Erzählte im Kopf verarbeitet hatte.

Nach einigen Minuten räusperte Yamato sich. „Also…“, setzte er an, stand auf und lief einige Schritte auf und ab. „Mal schauen, ob ich das richtig verstanden habe…“ Er blieb vor dem Blauhaarigen stehen, zog ungläubig die Brauen zusammen und neigte den Kopf zur Seite. „Du und Maron schlaft zusammen“, sagte er und hob nacheinander beide Zeigefinger hoch.

Chiaki nickte wahrheitsgetreu.

„Aber…ihr schlaft nicht… miteinander?“ Yamato führte beide Finger zusammen und machte ein verwirrtes Gesicht, wie als würde er eine komplizierte Matheaufgabe nicht verstehen.

Leise stöhnend schlug Chiaki sich die Handfläche auf die Stirn. Aus den Gründen wollte er, dass niemand etwas davon erfuhr. Er hatte es kommen sehen. „Weißt du, Yamato… Gegen den allgemeinen Glauben: es ist möglich eine Frau in deinem Bett zu haben, ohne sie zu vögeln.“

Yamato beäugte ihn für eine Weile skeptisch, bis er schließlich nickte und die Sache eventuell für das hinnahm was es war. Nämlich einfachen, harmlosen Schlaf.

Natürlich hatte Chiaki ihm nichts von dem Kuss erzählt. Kein Grund noch Öl ins Feuer zu werfen.

„Oh shit, man.“ Yamato rieb sich mit der Hand über das Kinn. „Miyako wird dich töten. Maron’s Vater wahrscheinlich auch.“

„Ach ne, echt“, rollte Chiaki sarkastisch mit den Augen. „Weshalb du auch den Mund halten wirst.“ Mit hochgezogener Augenbraue blickte er Yamato an. Er wusste, dass sein bester Freund nichts sagen wird, aber dennoch wollte er eine Art Bestätigung haben.

Yamato nickte ein paar Mal versichernd und ließ sich wieder auf die kalte Bank fallen.

 

Für eine Weile war es wieder ruhig zwischen ihnen.

„Darf ich sie kennenlernen?“, fragte Yamato plötzlich. Chiaki schnellte seinen Kopf in seine Richtung, sah ihn an und machte ein leicht säuerliches Gesicht.

„Nein, auf keinen Fall“, antwortete er, die Augen argwöhnisch verengt.

Yamato krauste die Stirn. „Warum nicht?“

Weil sie mein Mädchen ist, ging es Chiaki durch den Kopf. Er seufzte und lehnte sich zurück. „Wie ich dir schon sagte: sie mag Männer nicht.“ Enttäuscht verzog Yamato den Mund.

Wiedermals wurde es still bis dem Blauhaarigen was Wichtiges einfiel.

„Was ist jetzt eigentlich mit Miyako?“, fragte er neugierig. Chiaki hoffte, dass aus den beiden endlich was geworden ist, nachdem er abgehauen war.

Auf Yamato’s Gesicht bildete sich dieses breite, alberne Grinsen. „Sie kommt zur Party“, lächelte er kichernd. Chiaki verdrehte seine Augen. Natürlich kommt sie zur Party! Den Part hatte er schließlich auch noch mitbekommen.

Er hoffte für seinen Freund, dass sie die Stunde nach der Mittagspause geschwänzt und im Abstellraum des Hausmeisters miteinander rumgemacht haben, oder ähnliches. Miyako erschien ihm auch nicht wie der schüchterne Typ Mädchen. Dem schien aber wohl nicht passiert gewesen zu sein. Spätestens zur Party wird es wohl so weit sein, dachte er sich.

„Sie hatte gesagt, dass Maron auch kommen wird“, merkte Yamato an, legte den Kopf leicht schief und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

Chiaki prustete. „Sie wird sich höchstwahrscheinlich die ganze Nacht lang in meinem Zimmer verstecken“, grinste er kopfschüttelnd. Sein Mädchen war nicht der Party-Typ. Dass er so beiläufig darüber sprach, dass sein Mädchen in seinem Zimmer auf ihn warten wird, überraschte Yamato sichtlich.

Wieder musste Chiaki bei dessen Gesichtsausdruck mit den Augen rollen. Genervt darüber, dass er nicht verstand, dass da nichts war.

Wird womöglich auch niemand verstehen.

Klar, er und Maron hatten einen tollen -erstklassigen- Kuss gehabt. Und er hatte nicht gelogen als er ihr sagte, dass sie besser als Yashiro war. Oder sogar besser als die anderen Mädels vorher.

Er mochte den Kuss mit ihr. Womöglich mehr als er sollte.

Nein - definitiv mehr als er sollte.

Weshalb es für ihn umso wichtiger war, dass dies eine einmalige Sache blieb und er sich am Riemen riss. Denn es wäre am Ende sonst zu einfach, alles zu vermasseln.

Maron hatte in den letzten Monaten mehr scheiße durchgemacht als jeder anderer es sich vorstellen mag. Sie war empfindlich, verletzlich. Zerbrechlich. In vielerlei Hinsicht war sein Mädchen unschuldig, schwach und sensibel.

Und Chiaki konnte es nicht riskieren sie zu verletzen, in der er sie auf dieselbe Art und Weise wollte wie Mistkerle, wie Hijiri, es taten. Er konnte es nicht ertragen so ein Mistkerl in ihren Augen zu werden.

Dabei war es so einfach diesen Grat zu überschreiten und jegliche Selbstkontrolle abzuwerfen, wenn jede Nacht ihr warmer, zierlicher Körper an seinen gedrückt war. Beim Kuss wäre es schließlich fast passiert gewesen, hätte er sich nicht noch gestoppt.

Er hätte am Ende gegen all seine Prinzipien verstoßen. Dass er sie vor solchen Mistkerlen beschützte - sich selbst damit einbezogen.

Ironischerweise fühlte sie sich sicher und beschützt bei ihm, sah in ihm einen Freund, den sie blind vertrauen würde. Vor diesem Hintergrund durfte er auf keinen Fall zulassen, dass sie diesen Komfort verliert.

Weshalb er die Kontrolle behalten muss, um nicht wie ein hormoneller Teenager zu handeln und am Ende alles noch zu verlieren.

Und er konnte den Schlaf und die Routine nicht verlieren.

Er konnte sein Mädchen nicht verlieren.
 

***

Maron saß in Miyako’s Zimmer barrikadiert und musste sich anhören, wie diese jedes einzelne Detail ihrer Interaktion mit Yamato in der Mittagspause analysierte und im Anschluss darüber schwärmte. Sie musste amüsiert lächeln. Schließlich hatte Yamato es endlich geschafft Miyako anzusprechen.

„Die Haare...!“, schmachtete die Kurzhaarige, die auf dem Boden saß und sich mit dem Rücken ans Bett zurückfallen ließ. Seit der Mittagspause trug sie einen siegreichen Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Es war wie...“, setzte sie mit einem breiten Lächeln an und schüttelte dann wieder den Kopf. „Nein. Einfach nur unbeschreiblich seine Haare“, kicherte sie.

Maron konnte nicht anders als mitkichern, während sie auf dem Bett lag und zu ihrer Freundin runterschaute. Sie wusste genau, wie sie sich fühlte.

„Oh!“ Miyako klatschte die Hände zusammen. „Und er sagte, er liebte deine Kekse“, grinste sie augenzwinkernd und rieb sich die Hände zusammen. „Sie waren sowas wie meine Geheimwaffe.“ Wieder musste sie kichern.

Und Maron musste belustigt schmunzeln, denn ihre Kekse waren auch ihre Geheimwaffe.

Miyako stieß einen verträumten Seufzer aus, lehnte ihren Kopf an der Bettkante an und schloss ihre Augen, grinste dabei wie ein verliebter Idiot.

„Noch zwei Tage.“ Sie hob zwei Finger in die Höhe und sah mit einem entschlossenen Ausdruck zu Maron hoch. „Noch zwei Tage... und dann ist Yamato Minazuki mein“, deklarierte sie mit einem Grinsen.

Ist er das nicht schon?, dachte Maron sich, sagte jedoch nichts und kicherte einfach nur.

 

Gedankenverloren packte Maron ihre Sachen in ihre Taschen ein als zehn allmählich näher rückte.

Den ganzen Tag über war sie etwas besorgt um Chiaki und seinen gestrigen Traum gewesen. Es war das erste Mal, dass einer von ihnen einen Albtraum hatte während sie zusammen schliefen.

Und wenn sie ehrlich mit sich war, machte ihr das eine Heidenangst. Denn wenn seine Albträume zurückkehrten, dann wäre sie vollkommen nutzlos für ihn. Maron konnte zwar immer noch zu ihm kommen, ihm Essen bringen und mit ihm reden, gleichzeitig die ganze Nacht mit ihm wach bleiben und ihm Gesellschaft leisten, so wie sie es vorher immer gemacht hatten. Aber sie wollte nicht das verlieren, was sie anderen Menschen in seiner Nähe voraushatte. Nämlich die Fähigkeit ihm die Träume fernzuhalten und ihn zum Schlafen zu bringen.

Maron war sich daher nicht sicher, ob sie die letzte Nacht ansprechen sollte, oder nicht. Eher tendierte sie zu Nein.

Chiaki wirkte anders -nachdenklicher- als er ihr die Balkontür öffnete. Ebenso konnte sie den Geruch von Zigaretten an ihm riechen. Dabei sie hatte ihn in den letzten zweieinhalb Wochen nicht mehr Rauchen erlebt (zumindest nicht in ihrer Gegenwart). Sie wusste, dass er es meist aus Nervosität und zur Beruhigung der Nerven tat. Maron bekam es mit der Angst zu tun, dass der Traum wohl schlimmer war als sie dachte.

Aber das was er sagte, nachdem er die Tür hinter sich schloss, hatte sie so gar nicht erwartet und warf sie merklich aus der Bahn.

„Yamato weiß über alles Bescheid“, murmelte er, setzte sich plumpsend auf sein Bett und erzählte ihr von seinem Nachmittag.

Geschockt stand Maron mitten in seinem Zimmer. Einerseits war sie irgendwie froh darüber, dass jemand anderes von ihnen wusste und andererseits war sie auch besorgt darüber, weil Chiaki alles andere als glücklich aussah. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck einfach nicht deuten.

Maron riss sich aus ihrer Starre, entpackte ihren Rucksack und warf ihm dabei vorsichtige Blicke zu. Sie fragte sich, ob das irgendwas ändern wird, betete gleichzeitig, dass es nicht tat.

„Keine Sorge, Yamato wird schon nichts verraten. Niemand anderes wird hiervon erfahren“, sagte Chiaki achselzuckend als Maron sich auf dem Sofa hinsetzte.

Sie blickte ihn an und legte ihre Stirn in Falten. Ein Teil von ihr hatte irgendwie gehofft, dass das alles wohl endlich rauskommen würde und sie beide sich nicht mehr verstecken müssten. Wäre es wirklich das Schlimmste überhaupt?

Maron verzog resigniert das Gesicht und senkte den Kopf. Chiaki seufzte schwer, fuhr sich eine Hand durch die Haare.

„Nun schau mich nicht so an, Maron“, sagte er mit einem weiteren Seufzer und sah auf, um ihr in die Augen zu sehen als sie ihren Kopf hob. „Ich schäme mich nicht für dich, falls du das denkst. Ich will nur nicht, dass alle den falschen Eindruck bekommen.“

Ein paar Male stocherte er mit seiner Gabel in seiner Box rum, nahm einen Bissen, kaute und sah sie immer noch an.

Maron wusste nicht, wie sie aus seiner Ansicht nach aussah. Vielleicht ein wenig verletzt? Möglicherweise auch etwas skeptisch.

Chiaki rollte seine Augen. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was Miyako oder dein Vater mir antun würden, wenn sie es eines Tages über das hier-“, er deutete mit dem Kopf aufs Bett, auf dem er saß, „-Wind bekommen?“

Maron schauderte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie Miyako und insbesondere ihr Vater reagieren würden, wenn herauskäme, dass sie jede Nacht in Chiaki Nagoya’s Bett schlief.

Er kicherte leicht. „Siehst du?“, sagte er, aß sein Essen grinsend weiter. „Miyako würde mir die Eier abschneiden und dein Vater würde mich gar nicht erst leben lassen.“

Wieder musste Maron schaudern, denn weit gefehlt war es wahrscheinlich nicht, bezüglich dessen wie sie reagieren würden. Ihr Vater war sowieso sehr beschützend ihr gegenüber was Jungs anging. Und dass Chiaki sie nicht in irgendeiner miesen Art und Weise ausnutzte, würde Miyako ihr nie glauben.

Maron nickte verstehend und sah ihm schweigend beim Essen zu, während sie sein Handy an die Lautsprecher ansteckte und Musik anmachte. Als Chiaki fertig war, legte er die leere Box beiseite und sagte ihr wie lecker das Essen war, was ihr automatisch ein Lächeln aufs Gesicht brachte.

Dann schnappte er sich sein Skizzenbuch unter dem Bett und begann zu zeichnen. Maron stand auf und holte sich ein Buch aus seinem Regal raus, welches sie schon seit einiger Zeit las. Sie entspannte sich auf dem Sofa und es wurde für eine Weile ruhig zwischen ihnen, nur die Klänge der Musik war im Zimmer zu vernehmen. Stillschweigend genossen die beiden die Gesellschaft des jeweils anderen, so wie sie es immer taten.

„Ach, fuck“, hörte Maron Chiaki auf einmal leise fluchen und sie zuckte erschrocken hoch. „Bevor ich es vergesse“, murmelte er, reichte nach der Schublade des Nachttisches und wühlte etwas darin, während er sein Skizzenbuch mit Bleistift darauf auf dem Schoss balancierte.

„Hier.“ Er holte etwas raus, wandte zu ihr um und streckte seine Hand aus.

Maron zog verwundert die Brauen zusammen, schloss ihr Buch und stand vom Sofa auf. Sie näherte sich dem Bett und blickte auf den Inhalt seiner Handfläche.

Ein Schlüssel.

Fragend runzelte Maron die Stirn.

„Für mein Zimmer“, sagte Chiaki, als wäre es das offensichtlichste auf der Welt, streckte seinen Arm noch weiter nach ihr aus. Langsam hob Maron ihre Hand, entnahm ihm den Schlüssel und beäugte es ungläubig.

Er gab ihr den Schlüssel für sein Zimmer? Sie freute sich zwar, verstand dennoch nicht wieso sie ihn bräuchte.

Chiaki verdrehte schmunzelnd die Augen. „Ich vermute doch mal, dass Miyako dich zur Party am Freitag mitschleppen wird.“

Sie nickte, verzog bei den Gedanken leicht das Gesicht. „Und ich vermute, dass du nicht mit all den betrunkenen Idioten da unten abhängen willst“, sprach er weiter.

Wieder nickte sie. Maron’s Plan war es gewesen, auf Chiaki’s Zimmer hochzugehen und dort die Zeit mit ihm totzuschlagen. Wie bei der letzten Party.

„Nun, ich werde das Zimmer abschließen und mit Yamato abhängen, solange er hier ist“, sagte er, zeichnete nebenbei weiter.

Maron blickte ihn stutzig an.

„Du wirst auf der Party unten sein?“, fragte sie, stand weiterhin noch vor seinem Bett und hielt seinen Schlüssel in ihrer Hand.

Er sah von seinem Buch auf und nickte mit einem verhaltenen Gesichtsausdruck.

Maron biss sich auf die Lippe und sah auf den Schlüssel runter. Ein wenig enttäuscht war sie schon darüber, dass Chiaki nicht bei ihr sein wird. Aber nachdem sie für einen Moment auf den Schlüssel gestarrt hatte, realisierte sie, dass sie auf ihn warten konnte bis Yamato ging.

Und sie konnte es ihm nicht verübeln, dass er etwas Zeit mit seinem besten Freund verbringen wollte.

Maron schloss ihre Hand zur Faust und steckte den Schlüssel in ihre Hosentasche, sah zu Chiaki auf und gab ihm mit einem aufrichtigen Lächeln zu verstehen, dass es okay war.

Er erwiderte das Lächeln mit einem kleinen, schiefen Grinsen und setzte seine Zeichnung fort. Sie begab sich zum Sofa zurück und las ihr Buch weiter.

Es dauerte nicht lange bis beide sich fürs Bett fertig machten. Putzten sich die Zähne, zogen sich in ihren Pyjamas um und rutschten gemütlich unter die Decke.

Sobald das Licht aus war, drehte Chiaki sich zu Maron um und legte mit einem Seufzen schützend sowie behutsam seine Arme um sie. Sie tat es ihm nach, lehnte ihren Kopf an seine Brust und strich ihm wie immer sanft durch die Haare. Innerlich hoffte sie, dass er heute Nacht keinen weiteren Albtraum bekam, als sein Griff um sie sich etwas verstärkte.

 

Es war der erste Morgen, in der Maron vom Wecker geweckt wurde und ihn ausnahmsweise nicht hasste. Sie war erleichtert darüber nicht mitten in der Nacht von Chiaki geweckt worden zu sein, wie letztens. Er hatte also keinen Albtraum gehabt. Sie lächelte gegen seine Brust und drückte ihn wie üblich kurz an sich. Gestern hatte er sie zurückgedrückt, aber heute entzog er sich ihr wie sonst auch mit einem müden Stöhnen.

Maron seufzte tief aus und rollte sich aus dem Bett, während Chiaki verschlafen mit der Hand nach seinem Handy tastete.

Etwas schläfrig steuerte sie zuerst aufs Sofa zu, um ihre Tasche von dort zu holen und ging anschließend ins Bad. Dort schaltete sie das Licht an und blinzelte mit einem ächzenden Laut gegen die Helligkeit. Sie stellte sich vor dem Waschbecken, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel, die Augen noch leicht zugekniffen. Ihre Haare sahen furchtbar aus.

Maron entledigte sich aus ihrem Pyjama, welches am Morgen immer nach Chiaki roch. Ordentlich faltete sie die Sachen zusammen, packte sie in die Tasche ein und holte ihre Alltagsklamotten raus, zog sich die um. Danach stand sie wieder vor dem Spiegel, wusch sie sich das Gesicht und kämmte sich die Haare glatt.

Anschließend packte sie Kamm und jegliche Cremes wieder ein. Bei ihrer offenen Zahnbürstenbox, in der ihre rote Zahnbürste lag, hielt sie für einen Moment inne. Sie blickte hinüber zu Chiaki’s Zahnbürstenhalter an der seine blaue Zahnbürste hing. Ganz allein hing sie dort.

Maron sah ein paar Male zu ihrer eigenen Zahnbürste und wieder zurück zum Zahnbürstenhalter. Zögernd nahm sie ihre Zahnbürste aus der Box und hing sie neben Chiaki seine auf. Mit schiefgelegtem Kopf betrachtete sie beide Zahnbürsten.

Es war eigentlich nur praktisch. Abends putzte sie sich immer bei ihm die Zähne, da könnte sie ihre Bürste auch zukünftig hierlassen, was auch ein bisschen Platz in ihrer Tasche verschaffte. Für zu Hause konnte sie sich eine Ersatzzahnbürste aus ihrem Badezimmerschränkchen holen, da sie sich morgens nach dem Frühstück immer die Zähne putzte.

Maron ignorierte die kleine Stimme in ihren Kopf, welche sich über die Tatsache beklagte, dass sie etwas von ihr in seinem Zimmer zurückließ. Denn normalerweise achtete sie gründlich darauf keine Spuren zu hinterlassen, packte immer alles sorgfältig weg.

Aber jetzt wollte sie ihre Zahnbürste dalassen. Sie passte optisch zu seiner.

Rot und blau.

Mit einem entschiedenen Nicken und einem Lächeln kehrte Maron ins Zimmer zurück und packte all ihre restlichen Sachen zusammen. Chiaki lag noch im Bett, eingewickelt in seiner Decke und strich sich träge mit einer Hand durch die Haare, die Augen halbgeschlossen.

Maron zog sich schmunzelnd ihre Jacke an, nahm ihren Rucksack auf den Rücken und verabschiedete sich schließlich mit einem kleinen Winken.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2019-12-16T08:56:25+00:00 16.12.2019 09:56
Schönes Kapitel😊. Ich freue mich schon aufs nächste.
LG 🥰
Antwort von:  mairio
16.12.2019 10:37
Danke 💛
wünsche dir eine schöne Woche 🙂😊


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