Insomnia von mairio ("You can't fix me.") ================================================================================ TWENTY-FOUR ----------- TWENTY-FOUR   Drei Tage vergingen bis Weihnachten. Jede Nacht, wenn Maron in Chiaki’s Zimmer kam, gab er ihr an der Tür einen Kuss zur Begrüßung. Dies gehörte zu ihren neuen Lieblingsmomenten nachts. Nachdem sie ihre Sachen ausgepackt hatte, würde sie weiterhin sich auf dem Sofa rüber setzen und die neuen Bücher, die er für sie geholt hatte, lesen. Sie versuchte alles weiterhin so normal wie möglich zu halten. Demnach hatte sie sowas „freizügiges“ wie den roten Pullover seit dem Date(?) nicht nochmal getragen. Sie versuchten beide es simple und einfach zwischen ihnen zu halten, umgingen daher Gespräche über ihre Vergangenheiten. Oder ihrer derzeitigen „Beziehung“… Maron hatte immer noch keinen blassen Schimmer, was genau sie waren. Aber das war okay. Sie blieb geduldig. War fürs erste mehr als glücklich über den aktuellen Stand zwischen ihnen. Nach dem Begrüßungskuss verspürte sie allerdings immer mal das Verlangen ihn erneut küssen zu wollen. Wollte am liebsten einfach nochmal rausgehen und zu seinem Balkon nochmal hochklettern, nur um einen weiteren Kuss zu bekommen – was albern war. Aber sie wollte ihn hierbei die Führung lassen. Wenn er sie küssen wollte, dann würde sie jeden einzelnen Kuss auch mit Freude erwidern. Irgendwie gab es auch diese unausgesprochene Kein-Küssen-im-Bett-Regel. Maron war sich nicht sicher, ob es auf das letzte Mal zurückzuführen war, wo sie beide es in gewisser Weise überstürzt hatten, aber sie nahm es achselzuckend hin. Chiaki gab ihr vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen immer einen kleinen Kuss auf den Kopf, was ihr immer ein Lächeln ins Gesicht zauberte und ein schönes, flaues Gefühl im ganzen Körper bereitete. Und jeden Morgen, bevor sie ging, drückte er ihr einen Kuss auf die Wange. Abgesehen von den Küssen, verhielt Chiaki sich ansonsten nicht viel anders – war immer noch derselbe. Maron war froh, dass sie beide sich in gewisser Weise auf eine Art Tempo festgelegt haben, mit welchem er auch zufrieden war.   Tagsüber war Maron meist mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, war mit Miyako zwei Tage vor Weihnachten noch shoppen gewesen (was leider nicht so entspannt für sie verlief, wie mit Chiaki letztens) und hatte nach Geschenken für ihre Familie gesucht. Und sie wollte etwas Besonderes für Chiaki finden. Sie hatten nie über das Thema „Geschenke austauschen“ geredet, aber sie wollte etwas parat haben, für den Fall, dass er ihr etwas besorgt hatte. An dem Nachmittag konnte sie Miyako für eine Weile im Einkaufszentrum abhängen und war allein losgezogen. Während sie durch das überfüllte Gebäude lief, blieb sie immer ganz nah an der Wand und hielt sich ihre Kapuze über den Kopf. Nach einiger Zeit blieb sie vor einem Schaufenster stehen und sie wusste sofort, was sie Chiaki schenken könnte. Ihr Blick blieb auf einem bestimmten Objekt haften. Es war nicht zu teuer, oder ähnliches. Dafür sehr symbolisch. Als Maron damit nach Hause kam, fühlte sie sich mehr als unsicher über ihren Kauf. Die Angst überkam sie, dass es ein schlechtes Geschenk war. Dass es gar keine gute Idee war, ihm sowas zu geben. Dass es eventuell zu früh war, ihm sowas zu geben. Dass er womöglich schlecht darauf reagieren wird. Wahrscheinlich war es auch ein bisschen zu symbolisch. Seit ihrer Reise nach Osaka haderte Maron mit der Vorstellung, dass sie in Chiaki verliebt sei. Sie wusste immer noch nicht, wie die Liebe sich anfühlen sollte oder ob sie fähig war es zu empfinden. Aber sie wusste, dass das, was sie für ihn empfand, diesem bestimmten Gefühl ziemlich nah kam. Und es fühlte sich nicht falsch an, wenn sie diese Empfindung Liebe nannte. Und dennoch hatte sie irgendwie Angst. Angst und Liebe hängen in gewisser Weise eng miteinander zusammen. Die Herzschläge erhöhen sich. Und der Kopf fängt an sich leicht zu fühlen. Man kann keinen rationalen Gedanken fassen… Es war eine beängstigende Vorstellung in jemanden verliebt zu sein. Insbesondere in jemanden wie Chiaki, der möglicherweise sie nicht zurück lieben konnte. Nicht, weil er nicht wollte oder weil sie nicht gut genug für ihn war. Vielmehr, weil er selbst zu geschädigt und gezeichnet war, um sich dieses Gefühl zu erlauben. Nichtsdestotrotz hatte Maron das Geschenk sorgfältig in Geschenkpapier eingepackt und hoffte insgeheim, dass er die Symbolik dahinter nicht kannte. Es war eventuell möglich, dass er es nicht ganz verstand und es für den materiellen Wert einfach so hinnahm.   Ein nervöser Seufzer entkam ihr als sie in der Nacht vor Heiligabend die kleine Box in ihre Tasche einpackte, zusammen mit seinem Essen und eine Tüte Plätzchen, die Maron zusammen mit Sakura und Miyako gebacken hatte. Wahrscheinlich haben sie jetzt ein Vorrat an Plätzchen für die gesamte Nachbarschaft. Es war sehr kalt heute Nacht. Minusgrade. Und es begann zu schneien. Maron zog sich die Kapuze ihrer dicken Winterjacke über den Kopf sowie ein paar Handschuhe und ging zu den Nagoyas rüber. Mit Leichtigkeit kletterte sie das Gitter an der Wand hoch, dachte daran zurück wie besorgt Chiaki um sie war -beziehungsweise immer noch ist-, dass sie sich beim Klettern verletzten könnte. Sie musste fast spöttisch auflachen. Sie könnte das Ding wahrscheinlich sogar im Schlaf und mit einer Hand erklimmen. Oben angekommen, klopfte Maron mit ihrer behandschuhten Hand an der Glasscheibe der Balkontür. Keinen Moment später machte Chiaki ihr auf, hatte mit Sicherheit auf sie gewartet. Sofort bildete sich ein Lächeln auf ihre Lippen, sobald seine hellen, braunen Augen auf ihre trafen. Sie konnte nicht anders als ihn anzulächeln, wenn sie ihm in die Augen blickte. Seine Haare wehten etwas im kalten Wind und er trat beiseite, um sie reinzulassen. Kaum war Maron drinnen, schloss Chiaki hinter sich die Tür und schob ihr die Kapuze vom Kopf runter. Sie wandte ihren Kopf zu ihm um, sah ihn schief grinsen. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, fuhr mit beiden Daumen über ihre Wangenknochen. Sie lächelte zurück, genoss das Gefühl seiner Berührungen und schloss ihre Augen, als er sich zu ihr herunterbeugte und sie küsste. Ihre Beine wurden jedes Mal schwach, sobald seine Lippen ihre berührten. Sofort verlor sie sich in den Kuss, schlang ihre Arme um seinen Nacken und fuhr ihre Finger durch seine Haare. Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken, die sie näher zu ihn heranzogen. Seufzend bewegte sie ihre Lippen auf seine. Nach einer Weile entkam ihm ein raues Stöhnen und Maron wusste sofort, was es bedeutete. Er entfernte sich von ihr, beendete den Kuss. Es war immer dasselbe. Heute Nacht war das nicht anders. Einen letzten, kleinen Kuss drückte er ihr auf den Mund und strich ihr sanft mit einer Hand über die Wange. Sie öffnete ihre Augen und lächelte ihn an, ließ sich die Enttäuschung nicht anmerken. Nichts überstürzen und geduldig bleiben. Chiaki erwiderte ihr Lächeln, ließ sie los und nahm auf seinem Bett Platz, während Maron ihren Rucksack von den Schultern nahm. Sie holte seine Essensbox hervor, legte es vor ihm hin. Er bedankte sich mit einem breiten Grinsen und öffnete enthusiastisch die Box. Kichernd begab sie sich zum Sofa, ließ ihren Rucksack auf dem Boden fallen und zog sich ihre Jacke und Schuhe aus. Anschließend nahm sie ihre Beine aufs Sofa hoch und nahm sich das Buch, welches darauf lag, in die Hand. Es war schon das zweite Buch, welches Maron seit ihrem gemeinsamen Büchereinkauf in Inaba angefangen hatte. Während Chiaki gemütlich aß, las sie einfach. Nach ein paar Seiten konnte sie hören, dass er fertig war und die Box zu machte. Mit einem kleinen Schmunzeln sah Maron zu ihm auf, blickte durch ihre Wimpern zu ihm rüber. Er erwiderte ihren Blick, neigte etwas den Kopf und grinste. „Verdammt lecker“, sagte er nur. Was er immer tat und was sie auch wiederrum freute. Sie nickte dankend und widmete sich wieder ihrem Buch. Im nächsten Moment räusperte Chiaki sich, worauf Maron wieder zu ihm aufsah. „Ich habe ein Geschenk für dich“, sagte er, lehnte sich ans Kopfende zurück, ein Bein unter das andere geklemmt. Perplex blinzelte sie ihn an, klappte ihr Buch zu. „D-Das wäre nicht nötig gewesen“, stammelte sie, „Ich meine, du hättest mir nichts besorgen müssen, Chiaki.“ Sie biss sich auf die Lippe, als sie daran dachte, dass sie nun auch ihr Geschenk ihm geben müsste. Er schnaubte. „So ein Bullshit“, entgegnete er augenrollend. „Über Weihnachtsgeschenke wird nicht gemeckert.“ Chiaki reichte nach einer Schublade von seinem Nachtschrank, öffnete sie und holte eine kleine Box hervor, die in Geschenkpapier eingewickelt war. „Das ist unhöflich“, vollendete er in einem mahnenden Ton und grinste. Er legte die Box auf die Mitte des Bettes ab und klopfte auf die Matratze. „Nun beweg deinen Hintern hierhin und öffne es”, grinste er, „Und keine Sorge. Ich verspreche: es war nicht teuer“, fügte er mit erhobenen Händen hinzu. Seufzend stand Maron auf, die Wangen verlegen rot gefärbt. Ihr Herz klopfte vor Aufregung etwas schneller. Ob sie über sein Geschenk oder über seine Reaktion zu ihrem Geschenk aufgeregt war, wusste sie selbst nicht. Sie ging mit zögernden Schritten auf ihn zu, ließ sein Geschenk erstmal in der Tasche. Sie stieg aufs Bett, setzte sich kniend vor dem Geschenk hin. Er lehnte sich mit einem Grinsen entspannt zurück. Maron nahm das Geschenk in die Hand, hielt es schüttelnd an ihr Ohr und machte es mit einem stillen Seufzer auf. Vorsichtig entfernte sie das Geschenkpapier. Nun hielt sie eine roséfarbene Box in den Händen. Sie warf Chiaki einen kurzen, fragenden Blick zu, der sie gespannt beobachtete. Im nächsten Moment öffnete sie den Deckel und machte ein überraschtes Gesicht, als sie den Inhalt sah. Es war ein Set hübscher Haarnadeln. [x] „Oh...“, brachte Maron mit einem überraschten Lächeln nur heraus. Hatte sowas einfaches und simples gar nicht erwartet. „Damit deine Haare dir nicht immer im Gesicht herumfliegen“, hörte sie Chiaki sagen, konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören. „Ich wusste nicht, ob du sowas besitzt, aber ich ging mal von einem Nein aus.“ Kichernd fuhr sie sich durch die Haare. Sowas wie Haarnadeln besaß sie tatsächlich nicht – zumindest keine solchen Schönen. „Danke“, sagte sie, strahlte ihn aufrichtig an. Freude breitete sich in seinem Gesicht auf und er lehnte sich nach vorne, nahm sich eine Haarnadel raus und klemmte sie ihr seitlich in die welligen Haare. Anschließend drückte er ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Sie kicherte peinlich berührt und gab ihm ebenfalls einen kleinen Kuss auf die Wange. Chiaki lehnte sich mit einem zufriedenen Lächeln zurück. „Ich bin froh, dass es dir gefällt“, sagte er, „Du siehst hübsch aus“, merkte er in einem sanften Ton an. Maron spürte wie ihr Gesicht noch heißer wurde, als es schon war. Sie schloss die Box wieder, nahm es an sich sowie auch das Geschenkpapier. „Uhm...“, setzte sie unsicher an, biss sich innerlich fluchend auf die Lippe. „Ich hab auch etwas für dich“, gestand sie leise. Mit verengten Augen legte Chiaki den Kopf schief. „Es war nicht teuer, oder so“, wendete sie ein. Eine Spur von Erleichterung zeichnete sich in seinen Augen ab. „Und... ehm.…“ Nervös blickte sie auf die Haarnadel-Box herab, zerknüllte das Geschenkpapier in ihrer Faust. „Es ist mehr...symbolisch“, murmelte sie. Sie schaute zu ihm auf und sah, wie er sie mit hochgezogener Augenbraue verdutzt anblickte. Tief atmete Maron durch, stand schließlich auf und ging zum Sofa, schmiss auf dem Weg das Geschenkpapier in den Papierkorb. Sie griff in ihre Tasche, holte ihr Geschenk heraus und legte dabei die Haarnadel-Box behutsam rein. Ein weiteres Mal atmete sie durch und kehrte zu ihm zurück, hoffte innerlich, dass er nicht irgendwie davonrannte, wenn er die Bedeutung hinter dem Geschenk herausfand. Sie stieg wieder aufs Bett und legte die Box auf derselben Stelle ab, wo Chiaki sein Geschenk vorhin abgestellt hatte. Er setzte sich auf, sah neugierig auf die Box herunter. Die Box, die im Grunde genommen alles, was Maron für Chiaki empfand, zusammenfasste. Sie unterdrückte den Drang, es wieder an sich zu reißen und aus dem Balkon zu schmeißen. Langsam nahm Chiaki das Geschenk an sich. Ihr Herz klopfte lautstark in ihrer Brust, es würde sie nicht wundern, wenn er es hören konnte. Das Blut begann in ihren Ohren zu rauschen. Regungslos saß sie da und sah ihm dabei zu, wie er das Geschenkpapier entfernt. Sie hielt sogar den Atem an, als er langsam den Deckel auf machte. Seine Brauen zogen sich neugierig zusammen, als er mit einer Hand den Inhalt rausholte. So klein und doch so groß. Maron presste sich ihre Lippen fest zusammen, sah dem silber-schwarzen Ring dabei zu wie es an der schwarzen Lederkette zwischen ihnen in der Luft hin und her schwang. Chiaki zog seine Augenbrauen zusammen und nahm den Ring mit der anderen Hand, um es genauer zu inspizieren. „Das ist ein Claddagh-Ring“, sprudelte es aus Maron schnell heraus, die Wangen feuerrot. Wollte sich am liebsten selbst in den Arsch treten, dass sie ihm nicht einfach ein neues Skizzenbuch holen konnte. „Du musst es nicht tragen oder so…“, murmelte sie, knetete nervös mit ihren Händen. Für einen Moment starrte Chiaki ausdruckslos auf den Ring. „Was ist die Symbolik dahinter?“, fragte er. Shit! Natürlich musste er das fragen! Seufzend gab Maron sich schließlich geschlagen, atmete tief ein und wieder aus. „Die Hände…“, fing sie langsam an, „Die Hände repräsentieren Freundschaft.“ Chiaki sah zu ihr auf und wieder zum Ring zurück. Es fing mit Freundschaft an. Sie waren Freunde. Er war in ihren Augen ihr bester Freund. „Die Krone…“, setzte Maron fort, „…steht für Loyalität.“ Ihre Stimme begann leiser zu werden, während Chiaki immer noch mit ausdrucklosen Augen den Ring anstarrte. Es dauerte einige lange Sekunden bis sie weitersprach. „Das Herz...“ Sie verstummte, blickte auf ihren Schoß herunter. „Nun… du weißt schon…“ Sie schaute zu Chiaki auf. Er blickte sie mit seiner maskenhaften Miene an, blinzelte nicht, ließ seine Hände langsam sinken. „Das Herz?“ Seine Stimme war leise und sein Gesicht spiegelte keinerlei Emotionen wider. Mit sich selbst fluchend, sah Maron wieder auf ihren Schoß herunter, spielte nervös mit ihren Händen. Ihr Gesicht war so heiß, man konnte bestimmt ein Ei darauf braten. Sie realisierte, dass er definitiv -mit Sicherheit- noch nicht bereit war, die nachfolgenden Worte von ihr zu hören. Doch für einen Rückzieher war es zu spät. Sie räusperte sich. „Das Herz…steht für Liebe“, brachte sie wispernd heraus, die Hände so fest ineinander verschränkt, ihre Knöchel stachen weiß hervor.   Für einige, lange Augenblicke war es still zwischen ihnen. Maron traute sich nicht zu Chiaki aufzuschauen. Sie erwartete nicht, dass er ihre Gefühle erwidern würde. Aber sie hatte sich auf alle möglichen Reaktionen eingestellt, auf die sie sich auch gefasst machte. „Du liebst mich nicht“, sagte er in einem leisen, monotonen Ton. Für einen Moment starrte sie stirnrunzelnd auf die Bettdecke unter ihr, ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. Sie liebte ihn nicht…? Sie liebte ihn nicht?! Die Tatsache, dass er ihre Gefühle verneinte und komplett abwies, ließ etwas in ihrem Inneren Klick machen. Brachte eine Erkenntnis in ihr hervor. Die anfängliche Vorstellung in ihrem Kopf verfestigte sich zur Realität. Nämlich, dass sie in Chiaki verliebt war. Dass sie ihn liebte! Und dass er es wagte über ihre eigenen Gefühle zu urteilen. Maron schnellte ihren Kopf hoch, blickte beleidigt und eingeschnappt in sein regloses Gesicht. „Sag mir nicht, was ich fühle.“ Sie verengte ihre Augen, hasste diese emotionslose Maske, hinter der er sich versteckte. Chiaki saß für einige Sekunden wie versteinert da, bevor er mit dem Kopf schüttelte. Lehnte ihre Gefühle immer noch ab. Was sie noch mehr verärgerte. „Ich liebe dich“, sagte sie mit ruhiger, fester Stimme. Diese drei Worte auszusprechen, fühlte sich so normal und ungezwungen an, es war unglaublich. Sie waren aber wahr. Ohne Vorwarnung blitzte Wut in seinen Augen auf und er presste sich die Kiefer fest zusammen. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er verengte seine Augen zu Schlitzen. „Wag es nicht das nochmal zu sagen.“ Maron wich bei seinem Ton etwas zurück, völlig schockiert darüber, dass er mit so viel Wut reagierte. Sie hatte sich auf jegliche Formen von Abweisungen gefasst gemacht, aber sie hatte nicht erwartet, dass er so aufgebracht sein wird. Seine Körperhaltung war völlig angespannt. Doch sie weigerte sich, sich von seiner irrationalen Wut beirren zu lassen. „Ich liebe dich, Chiaki“, wiederholte sie bestimmt. Seine Augen blickten kalt in ihre. „Du glaubst, du liebst mich, aber eigentlich ist es doch nur die Tatsache, dass ich dich anfassen kann-“ „Nein, ist es nicht!“, fiel sie Chiaki zischend ins Wort, konnte es nicht fassen, dass er sowas behaupten würde. „Ich liebe dich deinetwillen“, sagte sie, sprach jedes Wort einzeln mit Nachdruck aus. „Hör auf.“ Seine Züge verhärteten sich noch mehr. „Hör auf mich zu lieben!“ Diese Worte trafen sie wie ein Messerstich ins Herz. „Ich kann nicht!“ Sein Blick verfinsterte sich noch mehr und er lehnte sich bedrohlich langsam zu ihr nach vorne. Maron wich diesmal nicht zurück. „Du machst einen großen Fehler“, sagte er. „Warum?“ „Ich kann nichts erwidern, was ich nicht empfinden kann.“ Chiaki blickte ihr fest in die Augen. Ihr Blick besänftigte sich etwas. „Das macht nichts.“ Er schnaubte spöttisch auf, schüttelte entschieden den Kopf. „Du kennst mich noch nicht mal“, sagte er, sprach weiterhin in diesem ungewohnt kalten Ton. Irritiert blickte Maron ihn an, die Brauen ungläubig zusammengezogen. „Was redest du da? Natürlich kenne ich dich.“ Ihr gefiel es nicht, wie ihre eigene Stimme zu zittern begann, als sie das sagte. Als wäre sie sich selbst nicht sicher darüber - was in Wahrheit nicht stimmte. Seine Augen verengten sich noch mehr. Plötzlich reichte Chiaki hinter sich, packte sein Shirt und zog es sich über den Kopf. Maron beobachtete ihn dabei, verstand nicht, was er vorhatte. Nachdem er sich sein Shirt ausgezogen hatte, warf er es irgendwo beiseite. Genau in dem Moment wurden ihre Augen riesengroß als sie die Brandnarben sah, die auf seinem Oberkörper und seinen Oberarmen verteilt waren. Leise schnappte sie schockiert nach Luft. Sie sah zu seinem Gesicht hoch und eine Spur von Selbstekel spiegelte sich in seinen Zügen wider. So wie damals zur Party als sie einen kurzen Blick auf seine Narbe erhascht hatte. Was lächerlich war, denn selbst mit dem Narben, die ihn in keiner Weise verunstalten, sah Chiaki umwerfend aus. Sie blickte ihm in die Augen, hob ihr Kinn und richtete sich gerade. Narben würden sie nicht abschrecken. Ihr Körper war schließlich selbst mit Narben gezeichnet. „Abscheulich, nicht? Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich“, sagte er in einem beängstigend ruhigen Ton, seine Hände waren an den Seiten fest zu Fäusten geballt. Es gab so viel, was Maron womöglich hätte darauf erwidern können, aber das einzige was sie tat, war über die Absurdität seiner Worte zu schnauben. Was seine Wut noch mehr steigerte und er lehnte sich weiter zu ihr nach vorne. Auch wenn sie es nicht wollte, so bereitete Chiaki ihr doch allmählich Angst ein. „Willst du den wahren Grund wissen, wieso meine Mutter mich hasst und abgehauen ist, Maron?“, fragte er, brach kein einziges Mal den Blickkontakt ab. Sie zwang sich dazu nicht von ihm weg zu schrecken. Sie wollte irgendwas tun, um ihm diese Wut abzunehmen. Doch das Einzige was sie gerade tun konnte, war wie gelähmt da zu sitzen und ihm in die Augen zu sehen. „Sie hasst mich dafür, weil ich ihren Geliebten umgebracht habe“, sprach Chiaki weiter. Maron zog konfus ihre Brauen zusammen. Denn sein Stiefvater starb in dem Feuer, als Chiaki gerade mal sieben Jahre alt war. Sie schaute ihn an und schüttelte verneinend den Kopf. Er war kein Mörder. Chiaki lachte trocken auf, was ihr einen eiskalten Schauer auf den Rücken bereitete. „Es ist aber wahr. Ich bin ein verdammter Mörder.“ Langsam lehnte er sich etwas zurück, funkelte sie weiterhin an. Erneut schüttelte sie den Kopf, hob mit Überzeugung ihr Kinn. Auf keinem Fall würde sie sich von ihm vergraulen lassen. „So ein Bullshit“, sagte sie. Maron konnte den puren Selbsthass in seinen Augen sehen, was ihr einen Stich in ihrem Inneren verursachte. Es schmerzte sie, ihn so zu sehen. So wütend...auf sich selbst. Sie wünschte sich, dass sie ihm all diese negativen Gefühle irgendwie austreiben konnte. „Ich möge das Feuer zwar nicht gelegt haben, aber ich habe mich nur zurückgelehnt und zugeschaut, wie er im lebendigen Leibe verbrannte. Ich habe nicht mal versucht ihm zu helfen“, höhnte er. „Ich hätte rausrennen und nach Hilfe holen sollen... Es erstaunt mich, dass meine Mutter es drei Jahre mit mir noch ausgehalten hat.“ Für einen Moment hielt er inne. „Du kannst keinen Mörder lieben, Maron. Ich bin es nicht Wert.“ Maron stieß fassungslos Luft aus. Sie wusste, dass Chiaki bestimmte Details über das Feuer ausgelassen hatte. Wollte auch nicht zu neugierig darüber sein und hatte darauf gewartet, dass er ihr den Rest von sich aus erzählte. Aber dass er sich selbst für die ganze Sache verantwortlich machte war einfach nur lächerlich. Herrgott nochmal, er war sieben! „Chiaki, du warst nur ein Kind. Du kannst dafür nicht verantwortlich gemacht werden“, sprach sie gefasst und eindringlich auf ihn ein. Dies überzeugte ihn allerdings nicht. Mit zusammengezogen Brauen senkte er seinen Blick. Er stieß einen frustrierten Laut aus, raufte sich durch die Haare und schnappte sich anschließend ihr Handgelenk, welches ihm am Nächsten war. Erschrocken zuckte Maron zusammen als sich seine Finger fest -viel zu fest- um ihr Handgelenk wickelten. Chiaki lehnte sich wieder zu ihr nach vorne. „Du bist so naiv“, knurrte er, zog ihr Handgelenk ruckartig zu sich hin. Sie verlor ihre Balance und streckte ihren freien Arm noch vorne aus, um nicht auf seinem Schoß zu landen. Ihre Hand traf mit voller Wucht auf seiner vernarbten Brust, was ihn fast umschmiss. Er stieß sie daraufhin von sich, hielt gleichzeitig noch immer ihr Handgelenk fest. Plötzlich packte er ihre Schulter und drückte sie rücklings auf die Matratze, war auf bedrohlicher Art und Weise über sie gebeugt. Dies brachte Maron komplett aus der Fassung. Reflexartig duckte sie sich unter ihm zusammen, hielt sich schützend ihren freien Arm vor das Gesicht. Ein Wimmern entkam ihr. Mit einem Schlag breitete sich völliges Entsetzen auf seinem Gesicht aus. Seine Augen weiteten sich schockiert. Abrupt ließ Chiaki ihr Handgelenk los und entfernte sich schnell von ihr.   Maron setzte sich wieder auf, rieb sich das Handgelenk und blinzelte sich die Tränen in ihren Augen weg, die sich beim Anblick seines Selbsthasses angebahnt hatten. Sie sah, wie Chiaki sich wieder auf seinem Platz fallen ließ und mit schockiert, geweiteten Augen von ihr zurückwich. „Fuck…“, flüsterte er, jegliche Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen. Fassungslos hielt er sich eine Hand vor den Mund, seine Augen begannen glasig zu schimmern. „Oh Gott, Maron… Es tut mir so leid… ich wollte nicht…“, er verstummte zu einem hoffnungslosen Flüstern. Er stützte seine Ellenbögen auf die Knie ab und vergrub seinen Kopf in beide Hände. Wie erstarrt sah Maron ihm dabei zu. „Ich wusste es...“ Ein ironisches, gekränktes Lachen war von ihm zu hören, während er mit gesenktem Kopf sich in die Haare packte. „Ich wusste, dass ich alles kaputt machen werde...“ Ihr Herz zog sich bei dem Schmerz in seiner Stimme und den qualvollen Selbstvorwürfen zusammen. Sie konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, aber ihr entging im schwachen Licht der Nachttischlampe nicht, wie eine einzelne, stumme Träne ihm herunterfiel und einen kleinen, dunklen Fleck auf seiner Jeans hinterließ. Sie fasste sich wieder, ließ ihr Handgelenk los und streckte ihren Arm nach ihm aus, konnte es nicht ertragen Chiaki so leiden zu sehen. Zögernd lehnte Maron sich zu ihm hin und berührte sanft sein Knie, worauf er zurückzuckte. „Geh, Maron... Ich halte dich nicht auf“, wisperte er, ohne zu ihr aufzusehen. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals als sie realisierte, dass er davon ausging, dass sie ihn verlassen würde. Auf keinen Fall würde sie sich von ihm wegstoßen lassen. Nichts von all dem, was er gesagt hatte, änderte etwas über ihre Gefühle für ihn. Außerdem hatte Chiaki ihr immer beigestanden, wenn sie gelitten hat. Maron musste daher auch ihm beistehen. Sie rutschte zu ihm hin, hob ihre Hände und lockerte den Griff seiner Hände in den Haaren. Anschließend packte sie ihn sachte an den Schultern, verleitete ihn dazu sich gerade zu richten. Er sträubte sich davor, versteifte sich komplett. Wollte nicht, dass Maron ihn anfasste, aber das kümmerte sie nicht. Chiaki hatte sie schließlich immer in die Arme genommen, wenn sie weinte. Nach einiger Zeit gab er schließlich nach. Er hielt seine Augen geschlossen, während ihm eine weitere Träne die Wange herunterrannte. Sie näherte sich ihm, ließ sich rittlings auf seinem Schoss nieder und legte ihre Arme um seinen Nacken. Sie vergrub ihr Gesicht in seine Halsbeuge und presste ihren Körper gegen seinen, versuchte ihm mit der Umarmung zu zeigen, dass sie weiterhin für ihn da war. Hoffte gleichzeitig, dass er all die Liebe spüren konnte, die sie für ihn empfand. Er war vollkommen still, bewegte sich für eine lange Weile nicht. Ließ sich wie eine Statue von ihr umarmen. Unterdessen strich Maron ihm sanft durchs Haar, drückte ihm ab und an mal kleine, zarte Küsse auf den Nacken. Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte sie, wie seine Arme sich regten. Langsam schlang er sie um ihren Rücken, während er zögernd seine Stirn auf ihre Schulter ablegte. Vorsichtig, als wäre sie gebrechlich, umarmte Chiaki sie zurück, strich ihr geistesabwesend mit einer Hand über die langen Haare auf dem Rücken. „Ich habe dir weh getan…“, wisperte er mit gebrochener Stimme. Maron schüttelte ihren Kopf. Es hatte kaum wehgetan. Sie hatte mit mehreren Knochenbrüchen und Schnittwunden, die den Großteil ihres Körpers bedeckten, gelebt. Ein einfacher Griff ums Handgelenk war nichts dagegen. Schwer atmete er aus, entfernte seine Arme von ihrem Rücken und drückte sie an den Schultern sachte von sich. Maron wollte ihn nicht loslassen, doch Chiaki war natürlich stärker. Sein Gesicht war feucht von Tränen, die Augen gerötet. Er nahm ihr Handgelenk und sah sie sich genauestens an. Sie war völlig unverletzt, nur ein paar rötliche Male, die die Umrisse von seinen Fingern hatten, waren auf der hellen Haut zu sehen. Ein erstickter Laut entkam ihm als er die Male sah, weshalb Maron ihr Handgelenk zurücknahm. „Es ist nichts. Noch nicht mal eine Quetschung“, sprach sie auf Chiaki beruhigend ein. Seine Augen blickten in ihre, wirkten so gequält und aufgewühlt. „Es tut mir so leid, Maron…“, flüsterte er, lehnte seine Stirn an ihrer an. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und schüttelte wieder den Kopf. „Habe dir schon verziehen“, sagte sie, umarmte ihn und küsste ihm die letzte Träne weg. Schnaubend drehte Chiaki sein Gesicht weg, nahm erneut ihr Handgelenk von seinem Nacken und sah es sich wieder an. Maron versuchte sie ihm wieder zu entziehen, wollte nicht, dass er sich noch mehr damit abquälte. Aber er ließ nicht locker, brachte ihr Handgelenk zu seinen Lippen hoch und verteilte sanfte, federleichte Küsse darauf. Ihre Wangen röteten sich etwas. Mit ihrer freien Hand strich Maron ihm durch über die feuchte Wange, lächelte ihn weiterhin liebevoll an, als er zu ihr aufsah. Ein letztes Mal untersuchte Chiaki ihr Handgelenk nach irgendwelchen Verletzungen, strich behutsam über ihre Haut, ehe er schließlich losließ. Er blickte auf sich herab, verzog beim Anblick seiner nackten, vernarbten Brust angewidert das Gesicht und begann sich in seinem Zimmer nach seinem Shirt umzusehen. Maron blickte ihn mitfühlend an, wollte ihn wie damals zur Party trösten. Und die Art und Weise, wie er mit völligem Selbstekel auf seine vernarbte Gestalt beäugte, ließ all ihre Hemmungen über Bord werfen. Ohne Weiteres griff Maron nach dem Saum ihres Pullovers und zog es sich über den Kopf, während Chiaki immer noch nach seinem Shirt Ausschau hielt. Ein Schauer überkam sie als ihre nackte Haut auf die kühle Zimmerluft traf. Wie er, warf sie ihren Pullover irgendwo beiseite. Es war etwas, was sie immer taten. Sobald einer von ihnen sich wie ein Freak fühlte, würde der andere ihm seine Makel zeigen, um zu signalisieren, dass sie nicht allein waren. Es war daher das Natürlichste auf der Welt für sie, dass sie ihm ihre Narben zeigte. Narben, die sich auf ihrem Oberkörper, Rücken, Armen und Beinen abzeichneten. Gürteln wurden auf sie eingepeitscht, Glasscherben hatten sich tief in ihre Haut reingeschnitten… Aber sie hatte überlebt. Genauso wie er überlebt hatte. Und ihre Narben waren der Beweis dafür. Maron beobachtete, wie Chiaki’s Blick wieder zu ihr schweifte. Mit großen Augen und halboffenem Mund starrte er auf ihre Brust. Sie trug einen BH. Nichts aufreizendes oder ähnliches, sondern schlicht und einfach weiß. Dennoch kam sie sich etwas nackt vor, wurde rot im Gesicht. Stell dir einfach vor, dass er dich in Bikini sieht, argumentierte Maron mit sich selbst. Für einen Moment starrte Chiaki sie sprachlos an, ehe seine Augen wieder zu ihr hoch wanderten. „Das war jetzt so unnötig gewesen“, sagte er in einem missbilligenden Ton. Sie zuckte einfach mit den Schultern und lächelte ihn an. Mag zwar sein, dass es unnötig gewesen war, aber so waren sie halt. Wie du mir, so ich dir. Maron blickte sich um, suchte auf dem Bett nach der Kette, welche seinen Ausbruch verursacht hatte. Als sie Chiaki kurz den Rücken zukehrte, konnte sie hören wie er scharf Luft einzog. Sie seufzte innerlich, war sich bewusst, dass ihr Rücken schlimm aussah. Schließlich hatte er jetzt noch mehr Sicht darauf, als sie ihm damals gezeigt hatte. Sie drehte sich wieder zu ihm um und fand den Ring schließlich. Er folgte ihrem Blick und schaute ausdrucklos auf den Ring herunter. „Entschuldige, es war ein bescheuertes Geschenk“, seufzte Maron reumütig, wünschte sich erneut, dass sie ihm einfach ein Skizzenbuch geholt hätte. Gerade als sie es aufheben wollte, kam Chiaki ihr zuvor und nahm den Ring an sich. Er sah sie an und band sich die Lederkette um den Hals, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. „Es ist nicht bescheuert“, murmelte er, wendete den Ring ein paar Male hin und her und ließ es schließlich gegen seine Brust fallen. Seine braunen Augen blickten mit gewisser Intensität eindringlich in ihre. „Es ist das Beste, was man mir jemals gegeben hat.“ Etwas sagte ihr, dass er nicht von dem Ring selbst sprach, sondern vielmehr über den Fakt, dass sie ihm im Grunde genommen ihr Herz geschenkt hatte. Er lehnte sich zu ihr vor, schlang seine Arme um ihre nackte Taille und zog sie zu sich ran, legte seinen Kopf wieder auf ihre Schulter ab. Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und vergrub ihr Gesicht wieder in seine Halsbeuge, strich ihm sanft mit den Fingern durch die Haare. Maron spürte, wie Chiaki ihr die Haare vom Nacken wegschob, seinen Kopf bewegte und ihr einen sanften Kuss an den Hals drückte. Sie schmiegte sich enger an ihn. Presste ihre Narben aufeinander. „Was ich vorhin gesagt habe…war nicht so gemeint…“, durchbrach Chiaki die Stille zwischen ihnen. Er seufzte schwer. „Ich kann es aber nicht zurück sagen.“ Seine Stimme war ein trauriges Flüstern. Langsam strich er mit seiner warmen Hand ihren Rücken auf und ab, fuhr mit vorsichtigen, federleichten Berührungen die Narben entlang. „Du glaubst gar nicht, wie sehr es mich umbringt, dass ich es nicht kann“, sagte er verbittert. Maron schüttelte ihren Kopf. „Spielt keine Rolle“, erwiderte sie leise. Sie hatte nie erwartet, dass er genauso empfinden würde. Geschweige denn, es auch sagen würde. Und selbst wenn... Ihr war es sowieso lieber, dass er ehrlich mit ihr war und nicht etwas sagte, was er am Ende gar nicht meinte. Chiaki’s Hand wanderte nach oben, seine Finger verfingen sich in ihren Haaren und begannen ihr den Nacken zu kraulen. Er legte seine Wange auf ihre Schulter ab und drückte ihr einen weiteren Kuss an den Hals, direkt unterhalb ihres Ohres. „Du verdienst Besseres“, flüsterte er traurig. Erneut schüttelte sie den Kopf. „Es gibt niemand besseren als dich“, sagte sie, und schlang ihre Arme fest um seinen Nacken, wollte ihn nie wieder loslassen. Es war wahr. Für sie wird es niemand besseres wie ihn geben. Ihr Herz gehörte einzig und allein ihm. Er schüttelte den Kopf, als könnte er ihre Worte nicht glauben, sagte aber nichts mehr dazu. Er strich ihr weiterhin über den Rücken, küsste gelegentlich ihren Nacken und drückte sie eng an sich. Sie konnte sein Herzschlag auf ihrer Brust spüren. Sie passten wie zwei Puzzleteile perfekt zusammen. Wie zwei Hälften eines Ganzen. Chiaki mag das jetzt noch nicht sehen können, aber Maron hoffte, dass er es letzten Endes irgendwie doch konnte. *** In einem sanften Rhythmus strich er ihr den Rücken auf und ab, fuhr mit seinen Fingern über die Wirbelsäule, genoss das Gefühl ihrer Haut auf seiner. Das Gefühl ihres Herzschlages auf seiner Brust. Er hatte nichts davon verdient. Er hatte dieses Mädchen einfach nicht verdient. Besonders ihre Liebe nicht. Und dann hatte Chiaki das getan, wo er nicht gedacht hätte, dass er dazu imstande wäre: Er hatte ihr weh getan. Was ihm nur noch mehr bewies, dass er es nicht wert war geliebt zu werden. Besonders nicht von jemand so Reinem wie ihr. Und dennoch... war sie hier, umarmte ihn und liebte ihn. Hätte dabei so viel Besseres verdient. Es war nicht fair. Es war verflucht nochmal nicht fair ihr gegenüber, dass er nichts von dem, was sie für ihn empfand, zurückgeben konnte. Als Chiaki den Ring sah, wusste er sofort, was es bedeutete. Er wollte sich dessen Symbolik dahinter jedoch nicht eingestehen. Er wusste auch, dass es verschiedene Bedeutungen gab, abhängig davon, wie man den Ring trug. Maron hatte seinen an die Lederkette angelegt. Sie gab ihm die Wahl. Sie waren Freunde. Sie war ihm loyal, vertraute ihm blind. Und als das Herz drankam, betete er darum, dass sie das eine Wort nicht sagen würde. Aber sie tat es. Und irgendwie war in ihm dann die Sicherung durchgebrannt. Er hatte rot gesehen, rastete einfach aus. Wollte ihr Worte nicht wahrhaben. Weshalb er ihr die abscheuliche Wahrheit über sich und seine Vergangenheit zeigte. Doch sie blieb stur, stritt alles ab. Was ihn noch mehr anpisste. Er konnte es nicht fassen, dass sie nach all dem, was er ihr offenbart hatte, ihm nicht mit Abscheu entgegenkam. Woraufhin er ausflippte. Und ihr wehtat. Chiaki konnte das Fünkchen Angst und die Tränen in ihren Augen sehen, was ihn wieder zur Besinnung brachte. Er hatte erwartet, dass sie gehen würde. Er wollte, dass sie ging. Damit er ihr nicht noch mehr wehtun konnte. Das hätte er verdient. Aber sie blieb. Und dann umarmte sie ihn. Als wäre er derjenige der Trost bräuchte. Er verstand es nicht. Konnte es nicht verstehen. Er ging sie wegen ihres Geschenkes an und hatte sie verletzt. Und sie umarmte ihn einfach. Spendete ihm Trost. Es war so lächerlich, er wollte sie dafür auslachen und gleichzeitig sich an ihr ausheulen. Dieses Mädchen war wirklich zu gut, um wahr zu sein. Zu gut für ihn. Und als wäre das Geschenk, ihre Liebe und der Trost nicht schon genug für heute gewesen, um ihn mies fühlen zu lassen, zeigte Maron ihm noch ihre Narben. Noch nie hatte er so viel nackte Haut auf einmal von ihr gesehen, war zunächst erstmal davon schwer überrascht. Dann kam der Schock, als er ihre Narben auf Brust, Bauch und Arme richtig registriert hatte. Ihm war aufgefallen, dass sie sich letztens die auf ihrer Brust mit Make-Up kaschiert haben musste. Dieser Moment hatte nichts Sexuelles oder Obszönes an sich. Es ging einfach und allein um Liebe und Fürsorge. Ihre Narben für seine. Manche waren klein - andere groß, verschwanden teilweise unter ihrem weißen BH und unter der Hose. Und als sie ihren Rücken zu ihm drehte, gefror ihm fast das Blut in den Adern und er musste scharf Luft einziehen. Einen Teil kannte er schon und da empfand er es schon als schlimm. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass es noch schlimmer gehen konnte. Lange Striemen liefen parallel sowie kreuz und quer ihren Rücken entlang. Und die Narben auf ihren Schulterblättern sahen teilweise so aus als hätte man einem Engel die Flügel rausgerissen. Sie war ein Engel. Denn trotz all dieser Narben, war sie immer noch wunderschön. Immer noch zu gut für ihn. Und aus unerfindlichen Gründen, selbst nachdem sie alles erfahren hatte, wollte sie ihn noch immer. Wollte ihn noch immer in ihre zierlichen Arme halten, ihm sanft durch die Haare streichen, für ihn da sein... Noch immer hielt sie ihm ihr Herz entgegen und es zerriss ihn förmlich, dass er ihr seins nicht geben konnte. Sie war so wundervoll und hatte so viel Besseres verdient. Nicht ihn. Wahrscheinlich hoffte Maron darauf, dass er sich mit der Zeit ändern konnte. Aber Chiaki war sich da nicht sicher. Wusste es selbst nicht. Er wünschte sich inständig, dass er es konnte. Er wünschte sich, dass er sie auf die Weise lieben konnte, wie sie es verdient hat. Aber stattdessen war er einfach eine leere Hülle seiner selbst. Hielt sie mit jeder Faser seines Daseins fest und betete zu Gott, dass sie warten würde. Und das, hoffentlich nicht vergebens.   „Ich bin müde, Chiaki“, wisperte Maron gegen seinen Nacken. Er war auch müde. Wollte sie aber keine Sekunde loslassen. Behutsam entfernte Chiaki die Haarnadel auf ihrem Kopf, wollte nicht, dass sie sich im Schlaf noch verletzte oder ein paar Haare rausrupfte. Er legte den Haarschmuck auf dem Nachttisch ab und schaltete die Nachttischlampe aus, ohne den Griff von ihr zu lösen. Langsam ließ er sich mit seinem Mädchen in seinen Armen nach hinten aufs Bett fallen. Ihre Finger hörten nicht auf ihm durch die Haare zu streichen. Er umarmte sie noch fester, drückte ihren warmen Körper an seine Brust. Maron rutschte etwas runter, legte ihren Kopf unter seinem Kinn ab, sodass sein Gesicht wenige Zentimeter von ihren Haaren entfernt war. Doch auf keinen Fall würde er sein Mädchen frieren lassen. Er nahm seine Arme von ihrem nackten Rücken, packte mit seinen Händen von jeder Seite die Bettdecke und wickelte sie beide schützend ein. In ihrem Deckenkokon drehte er sich mit ihr zu Seite, damit sie komfortabel liegen konnte. Chiaki spürte, wie sie mit einer Hand liebevoll über seine Brust entlang strich bis sie den Ring fand und gedankenverloren etwas damit spielte. Leise konnte er Maron summen hören. Er drückte sie enger an sich, blickte auf die Uhr und stellte fest, dass es schon fast eins war. Heilig Abend offiziell. Ein schwerer, bedrückter Seufzer entkam ihm und er drückte ihr einen sanften Kuss auf den Kopf. Seine Lippen verweilten für eine Weile darauf, während er innerlich hoffte, dass er eines Tages mehr für sie sein konnte. Und dass sie auf ihn warten würde. Müde summte sie weiter als er mit geknickter Stimme in der Dunkelheit flüsterte: „Frohe Weihnachten... Maron.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)