Insomnia von mairio ("You can't fix me.") ================================================================================ FORTY-TWO --------- FORTY-TWO   Maron und ihr Vater sprachen mehr oder weniger wieder miteinander. Zumindest kamen sie seit ihrem Gespräch zu einem Art Waffenstillstand. Chiaki’s miese Laune zog sich nach seinem Geburtstag über das Wochenende hin. Maron konnte es an seiner distanzierten Stimme hören. Und wenn sie ihn darum bat, die Kamera anzumachen, konnte sie es auch an seinen Blicken erkennen. Seine Züge hatten was Hartes, Nachdenkliches und dennoch Wütendes. Sie konnte sich vorstellen was in ihm vorging. Und dennoch wollte sie gleichzeitig wissen, was für dunkle Gedanken in seinem Kopf schwirrten. Doch sie verkniff sich die Fragen, wollte ihn nicht bedrängen und noch mehr reizen oder aufregen. Trotzdem machte sie sich Sorgen. Nicht nur um sein Verhalten. Sondern um die Tatsache, dass ihm noch nichts von dem Versprechen erzählt hatte, dass sie ihrem Vater mehr oder weniger unbewusst gab – und wie seine Reaktion darüber sein wird.   Gerade fuhr Maron mit Miyako zur Schule, sprach mit ihr über dieses Dilemma. „Hast du dir nun wirklich Gedanken über eine Therapie gemacht?“, fragte Miyako interessiert. „Nein.“ Seufzend lehnte Maron ihren Kopf nach hinten, rieb sich die Schläfen. „Ich will das nicht… aber ich habe Dad leider Gottes mein Wort gegeben“, murmelte sie augenrollend. „…Ich will dir nichts einreden, aber wieso probierst du es nicht einfach? So machst du deinen Vater glücklich. Und wer weiß-“ Miyako hob eine Schulter auf und ab, während sie sich auf die Straße konzentrierte. „Vielleicht hilft es dir am Ende wirklich.“ Gähnend hielt Maron sich eine Hand vor dem Mund, rollte leicht den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht…“, nuschelte sie, „So und so muss ich mit Chiaki darüber reden.“ „Der wird garantiert ausrasten“, merkte Miyako an und verzog ihren Mund. Maron strich sich schwer seufzend durchs Haar. „Ausrasten wäre die Untertreibung des Jahrhunderts...“ In der Schule angekommen, traf sie Chiaki wie immer auf dem Parkplatz und lief mit ihm zur Klasse. Den Unterricht versuchte sie bestmöglich mitzuverfolgen, aber es war wirklich schwierig gegen die Müdigkeit anzukämpfen, wenn die Lehrer über solche eintönigen Themen redeten. Sie schaute zu ihrer Linken, sah wie Chiaki gedankenverloren Richtung Fenster rausblickte und etwas in seinem Heft kritzelte. Seufzend drehte Maron sich im nächsten Moment wieder zur Tafel um. Die ersten Stunden vergingen und sie begaben sich zusammen in die Mittagspause. Mit einem Arm um ihre Taille, lief Chiaki mit ihr durch die Gänge. Während sie liefen, redeten sie leise miteinander. „Weiß du-“, fing er an zu sagen, „Sobald ich ausgezogen bin-“ „Was?“ Maron schnellte ihren Kopf zu ihm hoch. Diese Worte warfen sie etwas aus der Bahn. Seufzend führte Chiaki sie durch die strömende Menge. „Ich bin jetzt achtzehn. Ich muss mir den Quatsch, wie am Samstag, nicht nochmal antun, wenn ich aus dieser Bude raus bin“, erklärte er. Bestürzt blickte Maron ihn an. „Du brauchst wahrscheinlich nicht so weit gehen“, sagte sie, „Ich habe meinem Vater mehr oder weniger mein Wort gegeben, es mir mit der Therapie zu überlegen und dann werden sie uns schon in Ru-“ Er unterbrach sie, in dem er abrupt stehen blieb. Verwirrt weiteten sich seine Augen. „Was?!“ Als Maron den Mund aufmachte, um sich genauer zu erklären, setzte Chiaki sich plötzlich wieder in Bewegung, führte sie schnellen Schrittes raus in den Schulhof. Dabei liefen sie an Natsuki und Shinji vorbei, die sich gerade aufs Dach begaben und ihnen verdutzt hinterher schauten. Er führte sie in den hintersten Teil des Hofes. Sie erkannte die Stelle wieder. Es war dieselbe Stelle, zu der sie geflüchtet war, nachdem sie Shinji versucht hatte die Hand zu schütteln und einen Zusammenbruch erlitt. Es war eine recht ruhige, ungestörte Stelle auf dem Schulgelände. „Du überlegst eine Therapie zu machen?“, fragte Chiaki entgeistert, stellte sich mit beiden Händen an den Hüften vor ihr auf. Maron blickte ihn an, schüttelte ihren Kopf. „Nein, also-.... ich meine.... Es war die einzige Möglichkeit, damit er am Samstag einwilligte. Aber wenn ich es wirklich durchziehe, dann-...uhm…“ Sie verstummte, als sie seinen fassungslosen Gesichtsausdruck sah. Mit zusammengezogen Augenbrauen sah er sie an, machte den Mund auf und wieder zu. „Nein“, sagte er hart, „Fuck nochmal, Nein!“ Chiaki strich sich mit beiden Händen durch die Haare. „Vergiss es! Genau das wollen sie doch!“ „Uhm... Ja, offensichtlich“, erwiderte Maron leicht perplex. Seufzend lehnte sie sich an die Wand hinter sich an. „Als würden sie denken, dass es mich mit Glitzer und Regenbögen auf magischer Weise heilt und mich zu einem normalen Mädchen macht“, rollte sie sarkastisch mit den Augen. Er murmelte etwas unverständliches in sich hinein, strich sich erneut durch die Haare und sein Blick wurde noch furioser. „Genau und weißt du, was das ganze perfekt machen würde? Wenn die Therapie funktioniert, du dich besserst und dann deinen Horizont erweiterst. Wenn du dann andere Männer berühren kannst und feststellst, dass du mit jemand anderen, der weniger abgefuckt im Kopf ist, besser dran bist.“ Scharf zog Chiaki Luft ein, begann auf der Stelle auf und ab zu tigern. Seine Hand fuhr sich unruhig durch die Haare. „Genau das würde wahrscheinlich passieren“, sagte er so leise, Maron hätte es fast nicht gehört. Sie stieß ein ungläubiges Schnauben aus, konnte es nicht fassen, dass er so etwas Absurdes glaubte. „Was zu Teufel redest du da?“ Sie versuchte nicht einmal ihre Frustration über seine völlig unbegründete Paranoia zu verbergen. Als ob sie einfach zur Therapie hingeht, geheilt wird und urplötzlich jemand „besseren“ findet. Das Szenario allein klang so lächerlich, sie wollte eigentlich darüber lachen. Sie wollte ihm verständlich machen, dass der Kompromiss keine Verschwörung gegen ihre Beziehung war, sondern eher ein Mittel zum Zweck. Als sich ihre Blicke wieder trafen, blieben die Worte ihr für einen Moment jedoch im Hals stecken. Seine Augen hatten diesen verletzlichen Ausdruck bekommen, welchen sie nicht ertragen konnte.    „Denk darüber nach“, seufzte Chiaki, ein Hauch von Bitterkeit schwang in seinem Ton mit. „Ich meine, was bin ich wirklich, Maron? Ich bin sowas wie der letzte Mann auf Erden für dich.“ Er sah weg, sodass sie seine Emotionen in seinen Augen nicht sehen konnte. „Das kann nicht dein Ernst sein!“, brachte Maron ungläubig hervor, starrte ihn irritiert an. Hörte er sich selbst noch reden? Nach allem, was sie zusammen durchgemacht haben... dachte er wirklich so? Und als er immer noch ihren Blick vermied, wusste sie, dass er es tatsächlich ernst meinte - was sie wütend machte. Denn es war einfach nur lächerlich. „Das ist doch wirklich bescheuert und dumm, Chiaki.“ Sein Kopf schnellte entsetzt zu ihr hin. „Genau…es ist bescheuert und dumm“, zischte er ebenfalls wütend und bitter, „Alles ist verfickt nochmal bescheuert und dumm!“ Er zeigte urteilend mit dem Finger auf sie. „Jedes Mal, wenn du dich minderwertig gefühlt hast, musste ich mein Bestes geben, damit du dich besser fühlst.“ Chiaki verengte seine Augen zu Schlitzen. „Aber wenn ich mich mal so fühle, dann bekomme ich nur gesagt, dass es bescheuert und dumm ist! Na, schönen Dank auch!“ Er warf seine Hand hoch und ließ sie neben sich fallen, drehte sich mit einem frustrierten Laut weg. „Wenn das so ist, hätte ich dir auch immer sagen können, dass all deine Sorgen, Ängste und Unsicherheiten bescheuert und dumm sind.“ Maron starrte ihn mit offenem Mund an, fühlte sich einfach nur furchtbar. Denn er hatte Recht. Ihre Unsicherheiten erschienen ihm womöglich genauso lächerlich und dennoch war er nie frustriert mit ihr gewesen. Bleib geduldig, um sie des besseren zu belehren. Auch mit ihrem Wunsch nach Sex blieb er gelassen, obwohl sie diejenige war, die sich Gedanken darüber und ihm wahrscheinlich Druck gemacht hatte. Er tat alles für sie. Und das Einzige was sie bringen konnte, war seine Unsicherheit auf die mieseste Art und Weise einfach abzuwinken. Ihre Schultern sanken und sie starrte mit einem schlechten Gewissen auf seinen Hinterkopf. Seufzend versuchte Maron die Erschöpfung beiseite zu schieben, sich in seine Lage zu versetzen und den besten Weg zu finden, ihm seine Ängste zu nehmen.   Sie drückte sich von der Wand ab, überbrückte mit einem Schritt die Distanz zwischen ihnen. Seine Schultern waren steif vor Anspannung und die Augen geschlossen. Maron nahm sein Gesicht sanft zwischen ihre Hände, drehte seinen Kopf zu sich und berührte seine Lippen mit ihren. Für den ersten Moment zeigte er keinerlei Regung, weshalb sie sich enger an ihn drückte. Sie nahm seine Unterlippe zwischen ihre Lippen, knabberte leicht daran. Mit einem scharfen Atemzug öffnete Chiaki seinen Mund und ihre Zungen berührten sich. Gleichzeitig konnte sie seine Hände auf ihrer Taille fühlen und ihre Körper pressten sich noch mehr aneinander an. Sie stöhnten und keuchten beide auf. Der Kuss war fordernd und nahezu aggressiv. Weit entfernt von süß, liebevoll und sanft. Maron spürte, wie sie sich bewegten und im nächsten Moment stand sie wieder mit dem Rücken an der Wand. Seine Lippen hatten sich keinen Augenblick von ihrem getrennt. Ihre Finger waren in seinen Haaren, krallten sich an ihnen fest. Atemlos stöhnte er in ihren Mund. Sie könnte alle möglichen Emotionen in den Küssen spüren. Lust, Zuneigung, Liebe… am allermeisten jedoch ungezügelte Frustration. Ihre und seine. Stöhnend küsste sie ihn aggressiv zurück, versuchte ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn wollte. Wie sehr sie ihn brauchte. Abrupt löste er seine Lippen plötzlich von ihr, lehnte seine Stirn atemlos an ihrer an. Eine Hand war um ihre Hüfte gelegt, die andere war an der Mauer neben ihren Kopf abgestützt. Sie blickte in seine Augen. Etwas Dunkles war in ihnen, was sie in seinen Augen noch nie gesehen hatte. Sein Blick wanderte zu ihren geschwollenen Lippen herunter. Keinen Augenblick später kollidierten ihre Lippen wieder miteinander. Er küsste sie hart und mit einer Dominanz, welche ihre Beine schwach werden ließ. Sie küsste ihn im selben Maße zurück, verlor sich in den Gefühlen. *** Chiaki konnte nichts anderes fühlen, sehen, hören, schmecken außer Maron. Sie war vollkommen an seinen Körper gepresst. So warm, sanft und zart… alles seins. Sie war sein Mädchen. Auf keinen Fall sollte sich das ändern. Es war seine größte Angst. Dass sie erkannte, dass sie ohne ihn vielleicht besser dran wäre. Dass sie mit jemand Normalen zusammen sein könnte, den sie ohne Probleme mit nach Hause bringen und ihrem Vater vorstellen konnte. Dass sie eventuell erkannte, dass sie so einen Mistkerl, wie ihn, nicht brauchte. Es war etwas, was Shinji in einer gemeinsamen Zock-Nacht mal ganz beiläufig in den Raum geworfen hatte und Chiaki seitdem nicht mehr losließ. „Was würdest du machen, wenn Maron in -sagen wir mal- zehn Jahren endlich dazu fähig ist ändere Männer zu berühren?“ Chiaki brachte darauf ein abwertendes, gleichgültiges Schnauben entgegen. „Als ob das jemals passieren würde“, hatte er gesagt und danach direkt das Thema gewechselt. Wahrscheinlich hatte sein Adoptivbruder es noch nicht mal mitbekommen, wie sehr diese eine Frage, ihn eigentlich erschütterte. Denn tief in seinem Inneren wusste Chiaki, dass diese Möglichkeit bestand. Dass sie eventuell geheilt werden konnte. Und die Vorstellung ließ ihn keine Ruh. Maron stritt es stur ab, war so geblendet von der Tatsache, dass er ihre einzige Option war, dass sie es einfach nicht sah. Er war alles, was sie hatte. Allerdings war sie auch alles, was er hatte. Im Vergleich zu ihr, hatte er Optionen... die er nicht wollte. Er wollte sie. Sie war sein. Allein die Vorstellung, dass irgendein anderer Bastard an ihrer Seite wäre, ließ ihn rotsehen. Unwillkürlich bildeten sich Bilder vor seinem geistigen Auge. Hände, die sie berührten, die nicht seine waren. Lippen, die sie küssten, die nicht seine waren. Ihre mit Liebe gefüllten Augen, die ihm nicht gelten würden. Ein Stöhnen war von Maron zu hören, als Chiaki sich an sie drückte, sie hart küsste und ihre Hände über ihren Kopf hielt. Das Geräusch weckte seine Sinne. Und gerade in dem Moment, fühlte er sich wacher als je sofort. Wacher und fokussierter als die Tabletten und Drogen ihn jemals zuvor werden ließen. Lebendiger. Atemlos löste er für ein paar Momente seine Lippen von ihren, küsste ihre Wange, ihren Hals. Atmete ihren Duft tief ein. Seine Hände umfassten sie an den Seiten und er küsste erneut mit rücksichtsloser Hingabe.   Er verabscheute sich dafür, dass er sie weiterhin so grob und fordernd küsste. Aber er konnte dieses Bedürfnis nicht stoppen. Und sie wollte nicht, dass er aufhörte. Maron schlang ihre Beine um seine Hüfte und legte ihre Arme fest um seinen Nacken. Unterdessen küsste Chiaki hungrig ihre Lippen, wanderte daraufhin keuchend unter Küssen ihre Kieferpartie und ihren Hals hinab. Alles in ihm brannte vor Lust, Frustration, Verzweiflung. Adrenalin schoss ihm durch den Körper. Ihre Lippen fanden sich auf seinem Nacken wieder und er spürte ihre Zähne, die fest zubissen und ihn markierten. Er wollte sie auch markieren. Mit seinen Zähnen in ihren Nacken zubeißen, möglichst sichtbare Spuren hinterlassen, um letztlich das Vergnügen zu haben, dass jeder es dann sehen konnte. Jeder sollte wissen, dass sie bereits jemand gehörte. Sie war sein.   Nach einer Weile rutschten sie beide langsam zusammen zu Boden runter, klammerten sich krampfhaft aneinander. „Geh nicht“, wisperte Maron kaum hörbar in seinen Nacken. Sie wollte nicht, dass er auszog. Dass er von ihr wegzog. Sie wollte, dass er blieb. Und bei dem Klang ihrer bettelnden Stimme, konnte Chiaki ihren Wunsch einfach nicht abschlagen. Er nickte einmal. Erleichtert atmete sie durch die Nase aus, ließ ihn langsam los und lehnte sich keuchend an die Wand hinter ihr an. Atemlos lehnte Chiaki seine Stirn an ihrer an. Ihr Atem kitzelte auf seiner Haut. Nun war er dran. Er hatte kein Recht, sie darum zu bitten es nicht zu tun. Es war selbstsüchtig. Aber es war auch selbstsüchtig von ihr, ihn darum zu bitten zu bleiben. „Keine verfickte Therapie“, sagte er, wenige Millimeter von ihren Lippen entfernt. Maron nickte, ohne zu zögern. Versprach es ihm. Seufzend legte Chiaki seine Hände auf ihre Wangen, strich sanft über ihre Haut. Dann küsste er sie zärtlich. So wie er es vorhin hätte tun sollen. So wie sie es verdient hat. Sachte und langsam küssten seine rot geschwollenen Lippen die ihren. Entschuldigte sich mit der sanften Geste bei ihr. Für die restliche Mittagspause saßen die beiden hinter dem Schulgebäude. Hielten sich in den Armen und machten einander Versprechen, dass sie nicht gehen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)