Insomnia von mairio ("You can't fix me.") ================================================================================ ONE --- ONE   „Gute Nacht.“ Maron sah von ihren Hausaufgaben auf und blickte zu Sakura Toudaiji rüber, die an der Tür zum Schlafzimmer stand. „Euch auch gute Nacht“, winkte Maron, als ihr Vater, Takumi Kusakabe, dazu kam und Sakura einen Arm auf den Rücken legte. Sie konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn es nicht ihre Mutter an seiner Seite war, so war sie doch froh, dass er sein Glück nach der Scheidung gefunden hatte. Sie war sieben als sich ihre Eltern scheiden ließen und Maron mit Korron in Osaka lebte. Mittels gelegentlichen Telefonaten, Briefen und jährlichen Besuchen zu Geburtstagen und Weihnachten hatte sie an sich mäßigen Kontakt zu ihrem Vater gehalten. Ihre Mutter hingegen wollte nichts mehr mit ihrem Ex-Ehemann zu tun haben. Bei den Gedanken ihrer Mutter brannten Maron’s Augen und sie rieb sich die anbahnenden Tränen schnell weg. Zum Glück interpretierte ihr Vater das als ein Zeichen von Müdigkeit. „Bleib nicht zu lange auf“, sagte Takumi gefolgt von einem Gähnen, „Wieso machst du eigentlich nicht in deinem Zimmer die Hausaufgaben?“ Maron blickte zum ihren Unterlagen auf dem Küchentresen herunter und dachte an ihr Zimmer im oberen Stockwerk. Ihre Lippen pressten sich unmerklich zu einem harten Strich zusammen. Sie zuckte mit den Schultern und setzte ein Lächeln auf. „Ich sitze gerne hier“, sagte sie, was auch der Wahrheit entsprach. Takumi nahm das mit einem müden Nicken zur Kenntnis und kratzte sich den Hinterkopf. „Wie gesagt, bleib nicht zu lange auf.“ Anschließend verschwand er ins Schlafzimmer. „Schlaf gut“, sagte Sakura, ehe sie ihm folgte. Dann war es still im Haus. Maron konnte das Ticken der Küchenuhr hören. Schlaf gut...?, dachte sie sich, Pff... als ob. Anschließend wandte sie sich wieder ihren Hausaufgaben zu. Die Stunden vergingen und Maron hatte all ihre Schularbeiten fertig. Sie nahm ihre Hefte in die Hand, ging leise die Treppen hoch und steuerte zögernd auf ihr Zimmer zu. Dabei passierte sie Miyako’s Zimmer. Mit heftigem Herzklopfen stand sie vor ihrer Tür. Kalter Angstschweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Sie schluckte. Mit zitternder Hand öffnete Maron die Tür so weit auf, dass sie mit dem Arm nach ihrem Rucksack greifen konnte und es an sich nahm. Lautlos packte sie ihre Schulsachen ein und legte den Rucksack wieder auf dem Boden neben der Tür ab. Tief atmete Maron durch, nachdem sie die Zimmertür hinter sich schloss und die Treppen wieder runterging. Mit jeden Schritt nach unten beruhigte sich ihr Herz allmählich wieder. Sie setzte sich auf ihren Hocker am Tresen hin und schaltete ihr Laptop an.   Maron konnte nicht anders. Sie hasste dieses Zimmer mit jeder Faser ihres Körpers. Manche würden bestimmt behaupten, sie wäre melodramatisch und übertriebe. Aber es war ein simpler Fakt. In den hellen Tagesstunden war der Raum ansatzweise ertragbar. Doch sobald die Nacht anbrach, war das Gegenteil der Fall. Dunkel, einsam und erdrückend. Maron konnte spüren, wie sich die vertraute Angst und die Panik allein beim Öffnen der Tür in ihrer Brust ausbreitete. Sie blickte kurz nach draußen. Die riesige, weißleuchtende Villa der Nagoyas war vor dem Fenster zu sehen und sie konnte den Mond über den pechscharzen Himmel entdecken. Es war eine wolkenfreie Vollmondnacht, doch selbst dieser brachte ihr keinen Komfort. Sakura und Miyako hatten sich so viele Mühe gegeben, für sie das Zimmer zu gestalten und zu dekorieren. Maron konnte jedesmal spüren, wie das schlechte Gewissen an ihr nagte, wenn sie in ihr Zimmer nur soweit reingreifen konnte, um ihre Tasche rein- und rauszuholen und sich anschließend in die Küche flüchtete. Eine Küche war warm und offen. Immer hell erleuchtet und mit guten Erinnerungen geprägt. Nichts Furchtbares war ihr je in einer Küche passiert. Dort verbrachte Maron ihre Nächte, seit sie vor einer Woche nach Momokuri zu ihrem Vater gezogen war. Und seit sie angekommen war, kümmerte sie sich um alle Koch- und Küchenangelegenheiten. Sakura war zunächst etwas verärgert darüber, dass ein 17-jähriges Mädchen ihre Küche einnehmen wollte, doch nach kurzer Zeit gab sie nach, als sie sah, wie viel Spaß Maron beim Kochen und Backen hatten. Und es war eine Seltenheit, dass Maron überhaupt Spaß in etwas fand. Insbesondere angesichts bestimmter Tatsachen. Mit Bedacht erstellte sie sich jede Nacht eine Routine auf, in der sie die langen Stunden überbrückte: Hausaufgaben machen, Sauber machen, Backen, Kochen, online nach Rezepten suchen … Alles Mögliche, was ihre Hände und ihren Kopf beschäftigt hielt und sie davon abbrachte in dem elenden, dunklen Zimmer oben zu schlafen. Heute hatte sie schon ihre fünfte Tasse Kaffee hinter sich und dabei hasste sie den bitteren Geschmack von Kaffee. Aber der Effekt, welches das Koffein auf ihren Körper hatte, war es ihr Wert. Jeder in Osaka nannte das Insomnie beziehungsweise Schlaflosigkeit. Maron hatte genug Lektüren darüber von Ärzten gehört, die nur „das Beste“ für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden wollten. Sie bekam Schlaftabletten und eine Vielzahl von Medikamenten, die ihr mindestens acht Stunden Schlaf garantieren sollten. Doch diese Leute verstanden das eigentliche Problem nicht. Natürlich nicht. Es war nicht so, dass Maron nicht schlafen konnte - wohl eher, weil sie nicht wollte. Wenn höchstens schaffte sie es für eine Stunde am Tag zu schlafen, auch wenn sie dies zu vermeiden versuchte. Es war schwierig und Maron verbrachte ihre übermüdeten Tage in einem trägen Zustand, doch dies war immer noch besser als ihre Träume. Träume gefüllt mit Schreien, Schlägen, Verstecken, Tränen, Schrammen und Prellungen – sowie einem Monster, welcher sich in ihrem Ankleidezimmer versteckte, sich nach ihr vergriff und dessen schwitzigen Hände sie an ihrem ganzen Körper noch spüren konnte. Allerdings, wenn Maron ehrlich mit sich war, waren dies noch die harmlosesten Träume. Am schlimmsten waren die von ihrer Mutter. Ihr Körper lag kalt und schlaff auf der Couch, welche sich mit ihrem Blut vollsog. Und ihre Augen-   Kopfschüttelnd riss Maron sich von den Erinnerungen los und konzentrierte sich zwanghaft auf ein neues Keksrezept, auf welches sie gestoßen war. Sie erhob sich von ihrem Hocker und machte sich auf der Arbeitsplatte direkt ans Werk. Maron mochte es neue Rezepte zu probieren und anschließend mit ihnen zu experimentieren. So wie sie es einschätzen konnte, liebten Takumi, Sakura und Miyako ihre Kreationen - seien sie süß oder herzhaft. Zum Glück sind ihnen ihre nächtlichen Angewohnheiten noch nicht aufgefallen. Überhaupt waren sie einfach glücklich darüber, dass Maron zustimmte zu ihnen zu ziehen. Andere Verwandte hatte sie neben Takumi auch nicht. Und an sich war Maron froh drum, dass keiner von ihnen sie mit Fragen bedrängte, die sie so und so nicht beantworten wöllte. Ebenso war sie froh drum, dass Sakura und Miyako sie herzlich aufnahmen und dass sie sich gut mit ihnen verstand. Doch das hatte sich seit dem ersten Kennenlernen vor ein paar Jahren auch nicht geändert. Was ihr Vater anging... So tat er ihr leid. Bei Takumi saß der Schock tief, als er sie bei ihrer Ankunft umarmen wollte, Maron jedoch verängstigt einige Meter zurückwich, bevor er sie noch berühren konnte. Sein herzzerbrechenden Ausdruck im Gesicht tat ihr abgrundtief in der Seele weh, weshalb sie ihm sofort beschwichtigte, dass dies irgendwann vorbei gehen würden. Doch in Wahrheit bezweifelte sie es. Sie mochte Jungs nicht und verabscheute Männer. Seit diesem -Monster- hatte Maron Angst vor ihnen. Natürlich war es ziemlich irrational, denn sie kannte ihren Vater und es waren schließlich nicht alle männlichen Wesen wie dieses Monster. Doch selbst wenn sie es wollte, sie konnte diese körperlichen und seelischen Reaktionen einfach nicht kontrollieren. Es war wie ein Kobold in ihrem Kopf. Ihr alter Psychologe erwähnte etwas von einem Abwehrmechanismus oder Angstattacke in Verbindung mit Androphobie, oder ähnliches. Maron war es egal, was es war oder wie man es nannte – sie hasste es. Seit ihrer Ankunft war das Verhältnis zwischen ihr und Takumi nicht mehr so, wie es früher einmal war. Sie liebte ihren Vater und er liebte sie, doch diese Kluft zwischen ihnen war einfach nicht mehr zu überwinden. Er wagte es auch nicht ihr weniger als fünf Schritte zu näher. Wollte ihr den Abstand lassen, den sie seiner Ansicht nach bräuchte. Nichtsdestotrotz versuchte Takumi ein normales Leben für seine Tochter im Momokuri aufzubauen, weshalb sie auch darauf bestand in eine normale, gemischte Schule zu gehen. Mehr wollte Maron nicht. Ein normales, glückliches Leben führen. Doch sie wusste, tief in ihrem Inneren, dass normal und Glück bei ihr schon längst hinfällig war. Ganz gleich wo und mit wem sie lebte. Dafür hatte sie zu viel erlebt und gesehen. *** Zum womöglich dritten Mal durchquerte Chiaki sein Zimmer und suchte wie verrückt nach seinem Feuerzeug. Er suchte alle Oberflächen und Ecken ab, fand es aber nirgends. Frustriert fuhr Chiaki sich durch die Haare. Er war gerade von einem zwanzigminütigen Schlaf aufgewacht, hatte einen extrem verstörenden -in seinen Worten abgefuckten- Traum gehabt und jetzt brauchte er dringend eine Zigarette. Was nützt auch eine volle Packung, wenn man nichts zum Anzünden hat? Denk nach…!, überlegte Chiaki, Das letzte Mal hattest du es… In dem Augenblick fiel es ihm ein. Er ging zu seinem Balkon, schwang die Tür auf und entdeckte das Objekt seiner Begierde auf dem Geländer liegen. Hab ich dich, grinste er. Chiaki zündete sich seine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug davon. Sofort spürte er, wie das Nikotin auf ihn wirkt. Beruhigend atmete er aus. Eine Weile stand Chiaki auf dem Balkon und rauchte seine Zigarette. Welch Ironie…, dachte er sich. Dass er jetzt unbedingt die eine Sache brauchte, die ihm unter anderem in seinen Träumen den Schlaf raubte: Feuer. Zehn Jahre ist es seit jenem fatalen Tag nun her, welches Auslöser für sein abgefucktes Leben war. Obwohl – so abgefuckt war sein Leben auch nicht. Seit sieben Jahren wohnte er in Momokuri bei seinem Vater und eigentlich konnte er sich nicht beschweren. Sie kriegten sich so gut wie nie in den Haaren, in Anbetracht dessen, dass Kaiki sowieso selten zu Hause war – wie es sich für den Direktor eines angesehenen Krankenhauses gehörte. Chiaki störte das auch nicht. Sein Vater bot ihm Essen, Klamotten sowie ein Dach über den Kopf an. Und am allerwichtigsten, er stellte keine unnötigen Fragen. Das einzige worüber sich Chiaki eventuell beschweren könnte war Shinji. Einer von Kaiki’s Adoptivsöhnen, die er vor fünfzehn Jahren bei sich aufnahm. Der andere war Kagura, Shinji’s zehn Jahre älterer Bruder. Sein Vater war ihnen in einem Waisenhaus begegnet, welches er mit Kollegen mal besuchte. Kagura war mittlerweile schon lange ausgezogen und arbeitet in Kaiki’s Krankenhaus als Sekretär. Mit ihm kam Chiaki mehr oder weniger auch zurecht, wenn er mal zu Besuch kam. Shinji hingegen ging ihm mächtig auf den Keks. Als Chiaki damals einzog, hatte der Dunkelhaarige ihm dauernd unter die Nase gehalten, dass er ein Jahr älter war und schon länger hier lebte. Als ob es ihn interessierte. Sie kamen gar nicht miteinander klar. Überhaupt nicht. Nachdem die beiden sich für das erste Jahr nur gestritten hatten und dafür permanent Ärger von Kaiki bekamen, machten sie sich die wortlose Vereinbarung einfach voneinander fern zu bleiben und nur das nötigste miteinander zu reden. In einem Jahr würde Shinji sowieso ausziehen und dann hätte Chiaki seine Ruhe vor ihm. Nichtsdestotrotz, wäre dies für andere 17-jährige Jungs wahrscheinlich die ideale Lebenssituation. Womöglich war Chiaki hier dem Glück auch näher dran, als jemals zuvor in den letzten Jahren. Seine Eltern waren schon geschieden, da war er noch ein Baby. Sie hatten seitdem auch keinen Kontakt zueinander gehabt. Er wuchs bei seiner Mutter, Kyoko, und seinem Stiefvater, Arata, in Yokohama auf. Ihre Ehe war perfekt und Arata behandelte Chiaki wie sein eigener Sohn. Für ihn gab es auch keinen anderen Vater und er liebte seine Mutter innig. Was Kaiki anging, so kannte Chiaki ihn nur aus alten Fotos, die Kyoko nicht weggeschmissen hatte. Die einzige Verbindung, die er zu ihm auch nur hatte, war die Genetik und den Familiennamen. Sein biologischer Vater hatte ihn auch nie interessiert, schließlich hatte er schon den perfekten Vater gehabt. Alles war perfekt gewesen. Er hatte ein glückliches Familienleben gehabt. Bis Chiaki sieben wurde und dieses perfekte, glückliche Leben mit einem Schlag vorbei war.   Ein kühler Luftzug wehte vorbei. Chiaki blickte herunter zu ihrem dunklen Hinterhof, wieder hoch zum schwarzen Nachthimmel und nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Er hasste die Nacht. Verabscheute diese Zeit. Sie war wie ein schlechtes, uraltes Geschichtsbuch: elends lang und verdammt langweilig. Natürlich hatte Chiaki seine Hobbies, um sich beschäftigt zu halten. Er könnte neun Stunden um Stück damit verbringen zu zeichnen und Musik zu hören. Aber wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann gab es nur eine Sache auf der Welt, die er am allerliebsten tun würde. Schlafen. Das letzte Mal, dass er einen guten, durchgehend festen Schlaf hatte, war so viele Jahre her – Chiaki konnte sich kaum daran erinnern, wie es sich anfühlte. Er wusste, dass Kaiki besorgt um ihn war -oder immer noch ist- doch es gab nichts, was sein Vater tun konnte. Seit Jahren lebte Chiaki schon damit. Jede einzelne Nacht, ohne eine Sekunde Schlaf. Es gab natürlich Nächte, in der sein Körper nachgab, auch wenn er dies zu vermeiden versuchte. Es waren seine verdammten Träume, die ihm jeglichen Versuch auf einen halbwegs gesunden Schlaf verwehrten. Chiaki warf seine Zigarette weg und begab sich in sein Zimmer zurück, als er merkte, dass es anfing zu regnen und die ersten Regentropfen schon runterkamen. Im Warmen ließ er sich auf sein Bett nieder und setzte die Skizze fort, die er vor dem Einschlafen noch angefangen hatte. Das Zeichnen hielt ihn wach, genauso wie Kaiki’s geheimer Vorrat an Amphetaminen, welches allmählich mal wieder zur Neige ging. Aus offensichtlichen Gründen versuchte Chiaki seinen Gebrauch an Medikamenten und Drogen so gering wie möglich zu halten. Gelegentlich würde er mit seinem besten Freund Yamato losziehen und sich die Müdigkeit wegtrinken, aber nicht oft. Seit dem ersten Tag der Mittelstufe waren er und Yamato Minazuki die besten Freunde. So unscheinbar Yamato auf dem ersten Blick auch wirkte, in Wahrheit hatte er es faustdick hinter den Ohren. Chiaki erinnerte sich, wie er bei der Eröffnungszeremonie die Rede des Rektors lautstark als „Verdammt langweilig“ kommentiert hatte und Yamato der einzige war, der lauthals loslachte und sich nicht mehr einkriegte. Er war der einzige Freund, den Chiaki hatte und brauchte in Momokuri. Mittlerweile waren beide so eingespielt, dass ihre Freundschaft ohne Worte auskam. Sie konnten problemlos die Blicke und Körpersprachen des jeweils anderen lesen. Es war ziemlich unkompliziert die Freundschaft. Auch wenn er sich immer auf Yamato verlassen konnte und sein Freund ihm bei all seinen abgefuckten Problemen zuhörte – so fühlte sich Chiaki dennoch einsam und allein. Er konnte es sich nicht helfen. Yamato versuchte ihn zu verstehen, aber wie könnte er? Als er ihn fragte, wieso er immer müde war, hatte Chiaki ihm mehr oder weniger die Wahrheit gesagt. „Lieber laufe ich wie ein Zombie durch die Gegend rum, als von meinen Träumen heimgesucht zu werden“, hatte er ihm damals geantwortet. Wie erwartet, verstand Yamato ihn nicht und dachte er sei verrückt, weshalb Chiaki die Sache auch nie wieder ansprach. Er seufzte. Vielleicht war er irgendwo auch verrückt.   TWO --- TWO   Nach einiger Zeit hatte Chiaki seine Zeichnung fertig, unterzeichnete es noch mit seinem Namen sowie dem heutigen Datum. Er schloss seufzend sein Skizzenbuch. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch drei Stunden totzuschlagen hatte. Mit den Fingern trommelte er einige Male auf der Lederoberfläche seines Buches und überlegte. Dann sah er auf seinen Schreibtisch, wo seine Schulsachen lagen. Augenrollend stöhnte er auf. Heute würde er wieder zur Schule zurückkehren. Auch wenn es in seinen Augen keinen Sinn machte, dass er an einem Freitag wiederkommen sollte. Für die gesamte letzte Woche war er suspendiert gewesen, wegen eines „kleinen“ Vorfalls: Rauchen innerhalb des Schulgeländes. Nicht das ihn die paar Tage Freiheit gestört hätten - wäre diese elende Langeweile nicht gewesen. An sich war Chiaki recht gut in der Schule, bekam immer gute Noten. Angesichts dessen, dass er den meisten Stoff des Schuljahres schon früh genug paukte und alles auch ohne Probleme wiedergeben könnte, selbst im halbwachen Zustand. Schließlich hatte er neun Stunden in einer Nacht Zeit, um zu lernen und alles vorzuarbeiten. Er stand vom Bett auf, setzte sich an den Schreibtisch und arbeitete an einige Matheaufgaben. Doch schnell stellte er fest, dass seine Konzentration am Limit war. Schlafemangel machte alles schwieriger. Die meisten Menschen realisieren wahrscheinlich nicht, wie wichtig Schlaf für die Gesundheit war, geistig sowie körperlich. Niemand wusste das besser als er. Bis vor dem Vorfall vor zehn Jahren, hatte er einen gesunden Schlaf für selbstverständlich genommen. Seine Mutter hatte ihn früher immer in den Schlaf gesungen und ihn anschließend ordentlich zugedeckt. Das war noch bevor sie anfing ihn zu hassen. In Laufe der folgenden drei Jahre, bekam Chiaki sichtlich zu spüren, wie die Liebe zu ihm verblasste und letztlich endgültig verschwand. Nachdem was passiert war, konnte sie ihm weder in die Augen blicken noch sich im selben Raum mit ihm aufhalten. Eines Tages kam er schließlich von der Schule in eine leere Wohnung nach Hause. Keine Spur von ihr. Stundenlang hatte er auf sie gewartet. Mit der Hoffnung, dass sie nur spät nach Hause kommen würde, was ab und an vorkam. Doch als Chiaki merkte, dass er selbst am nächsten Tag allein war, wusste er, dass sie ihn verlassen hat. Ohne jeglichen Abschied. Durch Behörden kam er schließlich bei Kaiki unter, da er keine weiteren Verwandten hatte. Ermüdet fuhr Chiaki sich durch die Haare. Er wünschte, er könnte seine Mutter dafür hassen. Doch er konnte nicht. Schließlich war alles seine Schuld gewesen. Er hatte ihr die Person genommen, die sie mehr als alles andere liebte. Offensichtlich wohl auch mehr als ihn. Selbst nach über zehn Jahren konnte Chiaki die Flammen klar und deutlich vor sich sehen. Er konnte die Hitze spüren und den Geruch des Rauches in seiner Nase wahrnehmen. Wenn er tief genug schlief, konnte er Arata brennend auf dem Boden liegen sehen und hören, wie sein Stiefvater verzweifelt nach Hilfe schrie, die niemals kam. Kopfschüttelnd zwang Chiaki sich dazu, diese Erinnerungen nicht mehr weiter voranzutreiben. Draußen ging die Sonne allmählich auf. Er schloss seine Textbücher und machte sich für die Schule fertig. *** Frisch geduscht und fertig umgezogen stand Maron vor dem Spiegel des Gästebads. Sie war womöglich die Einzige, die es benutzte, während die anderen das große Hauptbadezimmer nutzten. Sie kämmte ihre langen, offenen Haare, richtete ein letztes Mal ihre grün-gelbe Schuluniform und kontrollierte, ob alles so saß wie es sollte. Die langen Ärmel wurden sorgsam am Gelenk zugeknöpft und die kleine Schleife am Kragen ordentlich in Position gehabt. Bei dem kurzen Rock verzog Maron eine Grimasse. Sie vermisste die fast bodenlangen Röcke ihrer alten Uniform in Osaka. Mit denen hätte sie sorglos die Narben an ihren Beinen verdecken können. Wenigstens konnte sie Strumpfhosen tragen und die kniehohen Strümpfe boten einen zusätzlichen Schutz an. Dennoch fühlte sie sich zu entblößt mit der Uniform. Es war sechs Uhr und bis jetzt war noch keiner von den anderen aufgestanden, was sich jedoch in den nächsten Minuten ändern würde, weshalb Maron in die Küche ging und das Frühstück vorbereitete. Die Kekse, die sie in der Nacht gebacken hatte, lagen schon für jeden in Reißverschlusstüten auf den Tresen. Keine zehn Minuten später kam schon ihr Vater. „Morgen“, begrüßte er sie, während er sich hastig sein Jacket überzog, die Krawatte locker um den Kragen hängend. Maron musste etwas schmunzeln. Anscheinend war er wiedermal spät dran. Takumi schnappte sich eine Kekstüte und verabschiedete sich auch schon von ihr. Alles innerhalb eines guten Sicherheitsabstands zu seiner Tochter natürlich. Paar Minuten später kam Sakura, die Maron lächelnd begrüßte, in Ruhe frühstückte und dann ebenfalls zu Arbeit losfuhr. Zu guter Letzt kam Miyako perfekt ausgeschlafen und voller Energie runter. „Guten Morgen“, kam es gutgelaunt von ihr. Ugh... Bei so viel Positivität, die die Kurzhaarige ausstrahlte, könnte Maron kotzen. Nicht nur waren sie beide äußerlich unterschiedliche Typen, auch innerlich. Miyako war recht beliebt in der Schule und jemand, die leicht auf andere zuging. Sie war laut und nahm nie ein Blatt vor dem Mund. Das komplette Gegenteil von Maron selbst. „Was gibt’s heute zum Frühstück? Ooooh! Waffeln mit Himbeeren! Wow, riechen die gut!“ Miyako nahm am Tresen Platz, Maron ihr gegenüber und gemeinsam aßen die beiden ihr Frühstück. „Ich schwöre, Maron, seit du bei uns bist habe ich garantiert zehn Kilo zugenommen”, sagte Miyako mit vollem Mund. Augenrollend musste die Braunhaarige kichern. Beide waren nur wenige Monate auseinander und Maron mochte Miyako wie eine Schwester. Schon seit dem ersten Tag, als Takumi ihr vor vier Jahren die Toudaijis vorstellte, waren sie Freundinnen. Auch als Maron noch in Osaka wohnte hielten sie Kontakt miteinander. Miyako schien ihren Vater auch gut zu mögen. Oft hatten die beiden Mädchen darüber gescherzt, wann ihre Eltern wohl endlich heiraten würden. Was Miyako’s Vater anging, so war er anscheinend Polizist gewesen und bei einem Einsatz verstorben. Doch Miyako selbst war damals so jung gewesen, dass sie sich kaum an ihn erinnern konnte. Und solange ihre Mutter jetzt glücklich war, kümmerte es sie auch nicht. Während Maron ihre Waffel aß, bekam sie vage mit, wie Miyako sie besorgt anschaute. „Du siehst furchtbar aus. Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?“ Maron verzog das Gesicht. Ich sehe furchtbar aus? … Danke auch, das fördert mein Selbstbild, Miyako…, ging es ihr sarkastisch durch den Kopf. Als Antwort zuckte sie nur mit den Schultern, was sie immer tat, wenn Miyako sie so etwas fragte. Diese seufzte, nickte akzeptierend und ließ das Thema fallen. Wenn es um Maron ging, so war Miyako zwar besorgt, aber auch achtsam. Maron wusste, dass ihre Freundin darauf wartete, dass sie sich ihr öffnete. Doch sie bezweifelte, dass Miyako sie verstehen würde, weshalb sie ihre Probleme für sich behielt.   Nach dem Frühstück fuhren beide zur Schule. Die ganze Fahrt über sprach Miyako über nichts anderes, als diese Party heute Abend in der Nachbarsvilla. Maron war schon sichtlich genervt darüber. „Es wird garantiert lustig dort werden, Maron! Shinji’s Parties sind legendär! Du musst kommen! Jeder wird da sein!“, sprach Miyako auf sie ein. Und da lag schon das Problem, weshalb Maron nicht kommen wollte. Der Gedanke daran, sich in einem Haus aufzuhalten, welches überfüllt mit betrunkenen Kerlen war, ließ sie erschaudern. „Miyako…“ Maron drehte ihren Kopf zu ihr um. „Bitte, bring mich nicht dazu da hinzugehen. Mir ist ziemlich unwohl dabei.“ Den wahren Grund, weshalb sie nicht gehen wollte, wollte Maron nicht verraten. Miyako und Sakura waren nämlich nicht da gewesen, als sie ihren fast-Panikanfall bei ihrem Vater hatte. Und anscheinend hatte er ihnen auch nichts darüber gesagt, worüber Maron auch froh war. Womöglich war ihnen zu Hause auch noch nichts aufgefallen. Doch Miyako war schlau und es kursierten bereits genug Gerüchte über sie herum, was ihre Aufmerksamkeit noch mehr auf Maron’s Verhalten lenkte. Wahrscheinlich konnte sie irgendwo eins und eins zusammenzählen. Für einen Moment war es still zwischen den beiden und Maron hatte die Hoffnung gehabt, diese Argumentation für sich gewonnen zu haben. Sie hatte falsch gehofft, denn Miyako sah sie mit großen, bettelnden Hundeaugen an. Innerlich stöhnte Maron auf. Niemand konnte diesen Blick standhalten. Und wenn Maron ehrlich mit sich selbst war, so wollte sie Miyako auch beweisen, dass sie für ein oder zwei Stunden ein normales Teenagerleben, in der auch Parties dazugehörten, führen konnte – mit der Hoffnung, dass dies ihre Sorgen um sie für eine Weile unterdrücken würde. „Ugh… Okay, fein! Ich werde mit dir dorthin gehen, dort für fünf Minuten mit Natsuki quatschen und dann gehe ich wieder Heim“, sagte Maron genervt. Miyako freute sich und grinste bis über beide Ohren. „Du wirst schon sehen, Maron, es wird ein Spaß!“ Als ob…, dachte sie sich augenrollend, stieg aus dem Wagen aus und begab sich Richtung Schulgebäude. Maron konnte sofort die Blicke ihrer Mitschüler auf sich spüren. Von jeder Seite waren flüsternde Stimmen, Getuschel und Gelächter zu hören. Sie konnte zwar nicht hören, was sie sagten, weil sie alles direkt ausblendete, aber sie konnte es sich denken. Am liebsten würde Maron sich unsichtbar machen wollen. Mit jedem Moment fühlte sie sich erschöpfter, als würde diese penedrate Aufmerksamkeit ihre Kräfte rauben. Zwei Anfälle hatte Maron soweit gehabt, in der männliche Mitschüler sie angefasst hatten. Wahrscheinlich war sie bereits die Lachnummer der gesamten Momokuri High. Wie als würde Miyako ihre Gedanken lesen können, flüsterte sie: „Keine Sorge, ich werde dafür sorgen, dass niemand dich belästigt.“ Maron erwiderte darauf nichts, lief ihren Weg schweigend und mit gesenktem Kopf weiter. Im Schulgebäude trennten sich schließlich ihre Wege, denn Miyako ging in ihre Parallelklasse. Im Klassenzimmer angekommen, ließ sie sich auf ihrem Platz nieder und atmete für einen Moment tief durch. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass der Unterricht in zwanzig Minuten anfangen wurden. Mit Miyako zur Schule zur fahren hatte den Vorteil, dass sie mehr als überpünktlich ankam und bis jetzt waren auch nur eine Handvoll Schüler da. Maron’s Lider wurden schwer, worauf sie beschloss für zehn Minuten kurz die Augen zu schließen. Es war sicherer in der Schule einzuschlafen, wo die laute Schulglock sie anschließend wecken würde. Damit konnte sie es auch vermeiden, so tief zu schlafen, dass sie träumte. Maron verschränkte ihre Arme auf dem Tisch und legte ihre Stirn darauf nieder. Immer wieder hörte sie Stimmen, Schritte und das ständige öffnen der Tür. Langsam schloss sie ihre Augen und driftete in die Bewusstlosigkeit ab. *** Nachdem Chiaki sich fertig umgezogen hatte, schnappte er sich seine Tasche und ging zu seinem Auto runter. Dabei konnte er ein Aufeinandertreffen mit Shinji erfolgreich vermeiden. Draußen blickte er zum Nachbarsgrundstück rüber und bemerken, dass Miyako Toudaiji’s Wagen wie immer schon weg war. Schulterzuckend stieg Chiaki in sein Auto ein und fuhr zu den Minazuki’s, um Yamato abzuholen. Dieser stand auch wartend draußen und unterhielt sich mit ein paar Mitschülern aus dem älteren Jahrgang. „Wurde auch verdammt nochmal Zeit, Mann“, begrüßte der Braunhaarige ihn, als er in die Beifahrerseite einstieg und sich anschnallte. „Die Typen haben mir eben das Ohr abgekaut, wegen der Party, die du heute Abend schmeißt.“ Chiaki zog eine Braue hoch. „Die Party, die ich schmeiße? Das ist auf Shinji’s Mist gewachsen. Ich hatte von Anfang an keinen Bock darauf gehabt und wollte ihn eigentlich deswegen verpfeifen. Aber der Arsch hat damit gedroht Kaiki von meiner Suspendierung zu erzählen. Da flehe ich Kagura an, es niemanden zu sagen, als die Schulleitung im Krankenhaus anrief und dann erzählt er es trotzdem seinem kleinen Arschloch-Bruder“, stöhnte er genervt. Er lehnte seinen Kopf in die Lehne zurück. „Kommst du?“ Chiaki warf seinem Beifahrer einen fragenden Seitenblick zu. Eigentlich war ihm die Party egal, er würde sich sowieso in sein Zimmer verschanzen. Und solange keine hormonellen Teenagers in sein Zimmer reingeplatzt kamen, um miteinander rumzumachen, konnte ihm alles recht sein. Yamato schnaubte. „Ja, klar. Ich gehe zu einer Party, umgeben von betrunkenen Teenagern, deren kombinierter IQ noch nicht mal den meines Hundes erreicht.“ Chiaki lachte amüsiert auf. „Also bitte, Yamato. Du beleidigst damit auch die Intelligenz deine zukünftige Ehefrau. Ich glaube nicht, dass du Toudaiji damit rumkriegen kannst.“ Yamato’s Kopf schnellte zu ihm rüber. „Miyako wird da sein?!“, fragte er, klangt dabei sichtlich enttäuscht. Chiaki nickte und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, im Sinne von „Klar, wird sie da sein“. „Ach, fuck! Ich habe meiner Mum schon versprochen, dass ich zu Hause bleibe und ihr aushelfe.“ Niedergeschlagen ließ Yamato sich auf seinem Sitz tiefer reinsinken. Chiaki verdrehte seine Augen. Dass sein bester Freund heimlich für seine Nachbarin schwärmte, war ihm vom ersten Tag an bekannt. Er fragte sich, wann er wohl endlich den Mut aufbringen würde sie anzusprechen und mit ihr zu reden. Wie schwer kann es den schließlich sein? Jedes Mal, wenn Miyako irgendwo in der Nähe war, konnte Yamato nicht aufhören sie wie ein Gockel anzustarren. Und jedes mal musste Chiaki diesen Drang unterdrücken, sie zu rufen und diesen peinlichen Quatsch ein Ende zu versetzen. „Hey Toudaiji, das ist mein Freund Yamato. Kannst du mir den Gefallen tun und mit ihm in die Kiste steigen, damit er endlich aufhört dich wie ein verlorener Hund anzuschmachten?“ Bei den Gedanken musste Chiaki sich ein Kichern verkneifen. Im Schulgelände angekommen, parkte er direkt neben Miyako’s Wagen. Das war das mindeste was er für seinen armen Freund tun konnte. Bedauernderweise war ihr Wagen schon leer. „Ach ja!“, kam es von Yamato plötzlich. Er setzte sich auf und wandte sich mit einem Grinsen an Chiaki. „Du hast ja die ganze Aufregung über die Neue nicht mitgekriegt.“ „Welche Neue?“, fragte Chiaki gelangweilt und schloss kurz seine Augen. „Du hast mir von keiner Neuen geschrieben.“ Eigentlich interessierte es ihn nicht. Er konnte förmlich hören, wie Yamato über seine Gleichgültigkeit die Augen rollte. „Ich wollte dir von der erzählen, sobald du wieder da bist. Die ganze Schule reißt sich das Maul über die auf. Die soll ziemlich abgedreht sein. Sie ist die Tochter von Takumi Kusakabe, Miyako’s zukünftiger Stiefvater. Vor einer Woche ist sie zu ihnen gezogen.“ Chiaki runzelte die Stirn. Er hatte eine neue Nachbarin und hatte es noch nicht mal mitbekommen. Korrektur: er hatte eine verrückte, neue Nachbarin und hatte es noch nicht mal mitbekommen. Auf einmal war er interessiert. Chiaki gab Yamato ein Zeichen, dass er weiterreden soll, öffnete seine Augen und sah mit einem Seitenblick zu ihm rüber. Zufrieden lehnte dieser sich zurück und begann zu erzählen: „Am Mittwoch hatte Shikaidou versucht seinen ‚Charm‘ bei ihr einzusetzen und sie soll voll ausgerastet sein.“ Ich würde auch ausrasten, wenn der Kerl mich anfassen würde, kommentierte Chiaki im Stillen. Dann ist die also in meine Klasse... „Hatte irgendeinen schrägen, emotionalen Zusammenbruch, oder so ein Scheiß“, sprach Yamato weiter. „Sie fing an zu heulen und rannte aus der Klasse raus. War ein ziemliches Ereignis. Für gewöhnlich hätte ich gedacht, dass Hijiri endlich mal eine anständige Reaktion für sein Arsch-Gegrabschte bekommen hätte. ABER-“ Yamato hob zur Betonung seinen Finger, „-als Hibiki ihr gestern aufhelfen wollte, nachdem sie irgendwie gestolpert war, soll dasselbe passiert sein. Komischer, emotionaler Zusammenbruch und rannte heulend weg.“ Chiaki ließ sich das Erzählte durch den Kopf gehen. Es war offensichtlich, dass die Neue irgendwo mental instabil war. Gerade als er Yamato weitere Fragen über sie stellen wollte, klingelte die Schulglocke. Genervt stieg er aus dem Wagen aus und beide begaben sich in ihre Klassen.   Ernsthaft? Ausgerechnet dieser Tisch? Chiaki blickte zu dem schlafenden Mädchen neben ihn rüber. Ihm war sofort klar, dass es sich um die „verrückte Neue“ handelte. Sie schien tief und fest zu schlafen, denn weder bei der Schulglocke noch beim geräuschvollen Reinkommen des Lehrers wachte sie auf. Zu seinem Bedauern musste er für die Stunde mit ihr nun auch noch an einer Geschichtsaufgabe zusammenarbeiten. Er sah, wie sich in einem sanften Rhythmus die Schultern auf und ab hoben. Ihr Gesicht war in ihren Armen eingebettet, weshalb er nur ein Haufen langer, brauner Haare von ihr sah. Muss toll sein ungestört schlafen zu können..., ging es Chiaki verbittert durch den Kopf und fing an die Aufgaben zu bearbeiten. Er sollte sie aufwecken. Er sollte sich bei Herr Sato beschweren. Doch er tat es nicht. Es war für ihn nahezu wie ein Sakrileg, so etwas friedvolles und unerreichbares wie Schlaf zu stören. Weshalb er seinen Neid und Ärger sich wegschluckte und sich auf die Aufgabe konzentrierte. Volle Punktzahl bekommen, ohne eine Gehirnzelle zu verschwenden... was für ein Luxus..., dachte er sich sarkastisch. Noch nicht mal die Hälfte der Unterrichtszeit war vergangen, als Chiaki fertig war. Sofort bereute er es, dass er alles so schnell erledigt hatte. Er konnte nämlich kaum die Augen noch offen halten und es gab nichts, womit er sich beschäftigt halten konnte. Mindestens fünf mal fielen ihm seine Augen zu und zuckten abrupt wieder auf. Innerlich fluchend fuhr Chiaki sich die Hände über das Gesicht und warf der schlafenden Gestalt zu seiner Rechten einen grimmigen Blick zu. Dämliches Dornröschen…!, fluchte er, als er sie ruhig atmen hörte und sogar ein leises, sanftes Schnarchen vernahm. Das Geräusch hatte was beruhigendes an sich und erinnerte Chiaki an ein Schlaflied. Und es machte ihn noch müder, als er es schon war. Alle anderen schienen es nicht zu hören, waren in ihrer Partnerarbeit vertieft und Herr Sato saß hochkonzentriert vor ein paar Unterlagen am Lehrerpult. Ein weiterer Blick auf die Uhr: noch dreißig Minuten bis der Unterricht vorbei war. Chiaki hielt es nicht mehr aus. Er hob seine Hand und räusperte sich, um sich die Aufmerksamkeit des Lehrers zu holen. „Ja, Mr. Nagoya?“, fragte Herr Sato ohne aufzuschauen. „Entschuldige, aber darf ich eher in die Pause reingehen?“ Chiaki versuchte so höflich wie möglich zu klingen, trotz seines erschwerten Zustands. Er hoffte, man hörte nicht, wie undeutlich seine Worte ein bisschen waren. „Ich habe so früh am Morgen schließlich jetzt für zwei gearbeitet“, fügte Chiaki hinzu und nickte seinen Kopf auf die schlafende Neue. Herr Sato sah kurz auf, seufzte und gab ihm nickend die Genehmigung. Etwas stutzig war Chiaki schon darüber, dass dies jetzt ohne große Diskussionen klappte und dass sein Lehrer dieses ungehobelte Verhalten seiner Tischnachbarin überhaupt erlaubte. Jeder andere hätte sie von der ersten Minute an schon geweckt. Mit einem triumphierenden Lächeln packte er seine Sachen zusammen. In dem Moment als er sich von seinem Sitz erheben wollte, hörte er das leise Wimmern aus dem Nachbarstisch. Chiaki blickte zur Seite und bemerkte, dass das Mädchen im Schlaf leicht zu zittern begann. Für einen Moment starrte er ihre bebende Gestalt vor sich an, zog es eventuell doch in Erwägung sie zu wecken. Offensichtlich hatte sie einen Albtraum. Doch Chiaki entschied sich dagegen. Hast du verdient, dachte er sich gehässig. Er erhob sich von seinem Stuhl und verließ schnellen Schrittes die Klasse, schloss hinter sich die Tür. Auch wenn es gegen seine guten Vorsätze verstieß, so beschloss er den Rest des Tages zu schwänzen und in das Wochenende zu gehen. Er bezweifelte, dass er bis heute Mittag, ohne einzuschlafen, überstehen würde. Während Chiaki die Korridore entlang ging und sich nach draußen begab, schenkte er dem lauten, erstickenden Schrei aus seinem Klassenzimmer keinerlei Beachtung. THREE ----- THREE   Es war derselbe Albtraum, den sie schon vor ein paar Tagen schon mal hatte. Darin versteckte Maron sich in ihrem Ankleidezimmer vor dem Monster. Er fand sie dennoch, egal wie sehr sie versuchte keinen Mucks von sich zu geben. Abrupt wachte sie auf, fiel von ihrem Stuhl und landete auf dem harten, kalten Boden. Sie hörte einen entsetzlichen Schrei und hielt sich instinktiv die Ohren zu, um sich vor dem schrillen Gekreische zu schützen. Es brauchte einen Moment bis Maron realisierte, dass der Schrei von ihr kam. Sofort hielt sie sich ihre Hände vor den Mund. Ebenso realisierte sie, dass sie sich im Klassenzimmer befand – und nicht in dem dunklen Ankleidezimmer. Sie schaute sich um und sah, dass jeder im Raum sie schockiert anstarrte. Noch immer saß sie auf dem Boden. Es war mucksmäuschenstill. Das einzige Geräusch, was die Stille durchbrach war Maron’s atemloses Keuchen. Zitternd saß sie für einen Moment da, nicht wissend was sie tun sollte. Raus rennen? Sich entschuldigen lassen? Gab es überhaupt eine Möglichkeit mit ein bisschen Würde aus so einer Situation rauszukommen? Die Antwort war definitiv ein Nein. Langsam erhob sich Maron vom Boden und hob ihren Stuhl auf, den sie in ihrem panischen Zustand umgeschmissen hatte. Hijiri Shikaidou saß ein paar Reihen vor ihr und starrte sie mit offenem Mund geschockt an. Sie sah Yashiro Sazanka und alle anderen Klassenkameraden, die es ihm nachtaten. Maron fühlte sich genötigt etwas sagen zu sollen. Irgendwas. Doch sie stand völlig eingefroren da, ihre Hände hielten sich an der Stuhllehne krampfhaft fest. Inzwischen war sie sich auch sicher, dass ihr Gesicht flammenrot vor Erniedrigung war. Alles was sie tun konnte, war ihre Augen durch die Klasse wandern zu lassen und jeden einzelnen Blick ihrer Klassenkameraden aufzunehmen. Schließlich räusperte sich ihr Lehrer. Erschrocken blicke Maron zu Herrn Sato nach vorne, flehte ihn mit ihren Augen stumm an, dass er sie in irgendeiner Weise erlösen sollte. Er öffnete seinen Mund, wie als wollte er was sagen und schloss ihn wieder. Er tat das mindestens vier mal. Auch ihm war die Perplexität ins Gesicht geschrieben. „Ehm... Möchten Sie entschuldigt werden, Miss Kusakabe?“, fragte Herr Sato schließlich. Maron traute sich nicht was zu sagen, aus Angst, dass ihre Stimme versagen würde, weshalb sie heftig nickte. Mit zitternden Händen ließ sie von ihrem Stuhl los, schnappte sich ihren Rucksack und ging, den Blick beschämt auf den Boden fixiert. Sobald sie aus dem Schulgebäude raus war, brach Maron auf dem Gras im Hof zusammen, versteckte sich hinter einem Baum und nahm einige tiefe Atemzüge. Für eine gefühlte Ewigkeit spielte sich das Geschehene immer und immer wieder in ihrem Kopf ab. Sie hatte die minimale Hoffnung gehabt, dass ihre anfänglichen Anfälle eventuell in Vergessenheit geraten würden, doch dies konnte sie sich definitiv abschminken nach der Aktion vorhin. Es war unmöglich für Maron den restlichen Schultag noch weiter durchzuziehen, weshalb sie die nächsten Stunden sich in der hintersten Ecke der Schulbibliothek versteckte. Zum Glück hatten sie und Miyako am Freitag nur einen kurzen Unterrichtstag, weshalb Maron nur bis in die Mittagsstunden ausharren musste. Wartend stand sie anschließend vor dem Mercedes ihrer Freundin. Als Miyako den Schulparkplatz betrat, unterhielt sie sich gutgelaunt mit ihrer besten Freundin Natsuki, Shinji’s Freundin. Das Trio schien unzertrennliche Freunde seit Grundschultagen zu sein. Maron hatte gehört, dass die drei zu den beliebtesten Schülern der Momokuri High gehörten. Sie konnte auch sehen wieso: alle drei sahen gut aus - Shinji war der Star der Basketballmannschatf; Miyako ist ziemlich aufgeschlossen, kannte jeden und verstand sich mit jedem sehr gut, und Natsuki war ungeschlagene Nummer Eins des regionalen Kendo-Vereins. In den Mittagspausen saß Maron immer mit den Dreien am Tisch zusammen. Mit Shinji hatte sie noch kein wirkliches Wort gewechselt und mit Natsuki hatte sie sich in einem gewissen Maße angefreundet. Meistens sagte sie auch nur flüchtig „Hallo“ und holte sich anschließend ein Buch aus ihrer Tasche raus, welches sie in der Bibliothek auslieh. Maron war sich nicht sicher, ob Miyako was von dem Vorfall von heute Morgen mitbekommen hatte. Denn falls Ja, dann ließ die Kurzhaarige es sich nicht anmerken, als sie lächelnd auf Maron zuging und beide zusammen nach Hause fuhren. Darüber war die Braunhaarige ihr dankbar. Die ganze Fahrt über sprach Miyako über nichts anderes als diesen Typen, den sie in ihrer Klasse mag – Yamato. Gerade war sie dabei die Bedeutung seiner Blicke zu analysieren mit der großen Frage, ob er sie mag oder sie nur anstarrte, weil sie etwas im Gesicht hatte. „Vielleicht hatte ich noch von heute Morgen Himbeerreste am Mund kleben gehabt! Ich hätte nochmal in den Spiegel gucken sollen! Versprich mir, dass du mir nach dem Essen immer sagst, ob ich noch was an mir hängen hab, okay?“, sprudelte es aus Miyako, wie ein Wasserfall, heraus. Maron hatte keine Chance zu antworten, denn ihre Fahrerin redete schon weiter: „Oder habe ich mich im Unterricht ausversehen angemalt?! Oh Gott. Bestimmt denkt er, ich bin eine totale Idiotin!“, stöhnte sie auf. Seufzend verdrehte Maron ihre Augen. Gott… Bitte tu was und erlöse mich…!, betete sie. „Ich bin mir sicher, er denkt das nicht über dich. Du machst dich gerade lächerlich“, sagte sie mit monotoner Stimme. Jeden Tag lief die Heimfahrt so ab. Entweder ging Miyako davon aus, dass dieser Typ Hals über Kopf in sie verliebt sei oder völlig abgeneigt von ihr war. In den meisten Fällen ging sie vom Letzterem aus. Miyako verzog skeptisch das Gesicht. „Vielleicht hast du recht. Ich hoffe dennoch, dass er zu Shinji’s Party heute Abend kommt. Dann werde ich mich von meiner allerbesten Seite zeigen! Ich habe mir letztens dieses orangene Kleid gekauft. Damit werde ich ihn von den Socken hauen.“ Maron stöhnte innerlich auf, bei den Gedanken, dass sie der Party zugestimmt hatte. Der Tag kann nicht noch schlimmer werden…, ging es ihr durch den Kopf. *** Atemringend schreckte Chiaki von seinem Bett hoch. Die blauen Haare klebten ihm schweißgetränkt auf der Stirn, sein Brustkorb hob sich stark auf und ab, sein Herz raste. Mit zitternden Händen griff er nach seiner Zigarettenpackung, stand auf und ging auf den Balkon. Er zündete sich seine Zigarette an und nahm einen kräftigen Zug. Es dauerte einige Momente bis alles in ihm sich beruhigt hatte. Fluchend strich Chiaki sich durch die Haare. Als er von der Schule nach Hause kam, wollte er sich eigentlich nur für dreizig Minuten hinlegen. Daraus wurden zwei Stunden. Ich Idiot… Genervt stellte Chiaki fest, dass er vergessen hatte den Wecker auf seinem Handy zu stellen. Ebenso sah er ein paar Nachrichten von Yamato, der ihn fragte, wo er steckte. Kurz antwortete Chiaki ihm zurück, dass er eher nach Hause gefahren sei, worauf sein bester Freund sich beschwerte, dass er zu Fuß nach Hause gehen musste. Augenrollend steckte der Blauhaarige sein Handy weg, rauchte seine Zigarette fertig und begab sich anschließend wieder in ins Warme.   Stunden später stand er abends mit Shinji im Flur und sah seinem Vater dabei zu, wie er im Wohnzimmer verzweifelt nach seinen Autoschlüsseln suchte. Kaiki würde über das Wochenende auf einer Medizinkonferenz sein, weshalb seine Söhne sich anständig von ihm verabschieden wollten (sollten). „Bitte, tut mir den Gefallen und bringt euch nicht um, während ich weg bin. Ansonsten rufe ich Kagura, damit er ein Auge auf euch wirft“, sagte Kaiki, betastete geistesabwesend seine Hosen- und Jackentaschen und suchte ein drittes Mal das ganze Zimmer ab. Selbst nach sieben Jahren Zusammenleben war Chiaki immer noch erstaunt darüber, wie ähnlich sie sich waren. „Ach was, Kagura hat bestimmt besseres zu tun, als uns babyzusitten. Außerdem verstehen mein Buddy und ich uns doch blenden, stimmts?“ Shinji legte Chiaki grinsend einen Arm um die Schultern, worauf dieser das Gesicht verzog. „Gottverdammt, Shinji, du stinkst. Geh verdammt nochmal duschen, bevor ich Kaiki darauf ansetzte dir ‘ne Lektüre über die Vorteile von Deodorant zu halten“, murrte er, während er angeekelt den Arm von seiner Schulter wegschlug. Shinji stank immer, wenn er vom Training nach Hause kam und Chiaki konnte es kaum erwarten selbst duschen zu gehen, um sich von diesem Gestank zu befreien. Kaiki schüttelte seufzend seinen Kopf. „Was mache ich nur mit euch beiden?“, murmelte er und setzte seine Suche fort. Schließlich fand er seine Schlüssel auf der Couch und nahm sie mit einem triumphierenden Lächeln an sich. Chiaki musste leicht schmunzeln. Gerade, als Kaiki seinen Koffer in die Hand nahm, in Richtung Tür steuerte und an den Jungs dabei vorbeiging, blieb er kurz stehen und drehte sich zu Shinji um, die Nase gerümpft. Innerlich hoffte Chiaki, dass sein Vater ihm die Deodoranten-Lektüre gab. Zu seiner Enttäuschung wandte Kaiki sich plötzlich zu ihm um, die Brauen zusammengezogen. „Chiaki, wann hast du das letzte Mal geschlafen?“, fragte er in einem besorgten Ton. Der Angesprochene verkniff es sich laut aufzustöhnen. „Letzte Nacht. Und gerade eben für ein kleines Nickerchen. Ich hatte heute einen langen Tag“, log er teilweise. Kaiki schaute zunächst skeptisch, akzeptierte das Gesagte im nächsten Moment jedoch mit einem Nicken. „Geh in dem Fall früh schlafen. Du siehst erschöpft aus“, sagte er und drehte sich zur Tür, um als er kurz stoppte. „Shinji. Deodorant. Du weißt wieso. Mehr habe ich nicht zu sagen.“ Chiaki kicherte leise, als sein Vater das Haus verließ. Kaum war Kaiki weg, bereitete Shinji alles für die Party vor. Unterdessen lief Chiaki die Treppen zu seinem Zimmer hoch und bereitete sich innerlich auf die lange Nacht vor, die ihm bevorstand. *** Zu Hause angekommen suchte Miyako nach ihrem orangenen Kleid, während Maron zur selben Zeit das Abendessen vorbereitete. Ihre Eltern waren heute Nacht ausgegangen, weshalb die Mädels alleine in der Küche aßen. Miyako konnte nicht aufhören, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihre Haare machen oder was für Accessoirs sie zu dem Kleid tragen sollte. Innerlich fragte sich Maron, wie amüsant es wohl wäre, wenn dieser Yamato nicht zu Shinji’s Party auftauchen würde. „Was wirst du eigentlich tragen?“, hörte sie Miyako auf einmal fragen. Maron sah auf ihren übergroßen, schwarzen Kapuzenpullover und blaue Jeans herab. „Das was ich anhabe. Und nein-“ Sie hob stoppend einen Finger vor Miyako’s Gesicht. „Ich werde mich nicht umziehen. Sei froh darüber, dass ich überhaupt komme.“ Den letzten Satz murmelte Maron eher zu sich selbst, aber ihr Gegenüber hatte sie trotzdem gehört. Sie hatte von Miyako irgendwelche Einwendungen erwartet, doch stattdessen wechselte diese unbeschwert das Thema. Der Rest der Mahlzeit wurde mit umgänglichen Konversationen gefüllt. Dabei redete Miyako die meiste Zeit und Maron hörte so gut es ging zu. Als die Uhr schließlich zehn anzeigte, hatte Miyako sich perfekt in ihrem orangenen Kleid aufgestylet (ihr Outfit sah allerdings mehr danach aus, als würde es zum Pariser Laufsteg gehören, als auf einer Highschool Party). Maron hingegen war immer noch in Pullover und Jeans gekleidet. Kein Make-up, die Haare ungemacht. Hauptsache so unscheinbar, wie möglich und nicht auffallen. Geistesabwesend spielte sie mit den Bändchen an ihrer Kapuze rum. Womöglich könnte sie die Kapuze gut gebrauchen. Die beiden verließen das Haus und machten sich auf dem Weg zur Villa neben an. Maron wusste nicht viel über die Nagoya’s, abgesehen von dem was Miyako ihr bisher erzählt hatte. Kaiki Nagoya war ein angesehener Arzt, Shinji’s Adoptivvater und anscheinend auch ein guter Bekannter ihres Vaters. Er hatte noch einen leiblichen Sohn, den Maron vorher noch nie in der Schule gesehen hatte. Sie versuchte sich an dessen Namen zu erinnern. Shiki,… oder Chiaki? Ach, egal…! Miyako hatte nicht viel über den erzählt, da er Yamato’s bester Freund war und die Konversation direkt wieder in andere Richtungen ging sobald Yamato’s Name fiel. Miyako war auch unfähig dessen Namen zu sagen, ohne ins Schwärmen zu geraten. Teilweise wünschte Maron sich diesen Yamato aufzusuchen und ihm um Gnade anzuflehen. „Würde es dich umbringen mit diesem armen Mädchen zu reden und mit ihr auszugehen?!“ Laute Musik, welche aus dem großen, weißen Haus ertönte, riss sie aus ihren Gedanken. Neben ihr war Miyako so aufgeregt, dass sie direkt durch die offene Eingangstür verschwand und Maron auf dem Gehweg alleine stehen ließ. Ein tiefes Seufzen entkam ihr. Es waren nicht viele Leute draußen, weshalb Maron einen Moment dafür nutzte, sich selbst ein paar aufbauende Worte zu sagen, ehe sie sich die große Kapuze über den Kopf zog und ebenfalls reinging.   Soweit Maron es erkennen konnte, war die Villa sehr schön eingerichtet. Es waren zwar viele Leute da, aber nicht so viele, wie sie es sich vorgestellt hatte. Überall erkannte sie vereinzelt Mitschüler und Klassenkameraden wieder. Wie erwartet war Miyako nirgends mehr zu finden. Maron schlängelte sich vorsichtig durch die Menge, schaute sich überall um, auf der Suche nach Natsuki. Im Wohnzimmer konnte sie Shinji schreien hören, dass jemand sich nicht auf den Teppich übergeben sollte. Maron drehte ihren Kopf in Richtung seiner Stimme, mit der Vermutung, dass Natsuki in der Nähe sein müsste. Plötzlich hörte sie jemand ihren Namen rufen. „MARON!“ Hijiri stand mit einer kleinen Gruppen von Leuten am anderen Ende des Raumes und winkte ihr mit einem Arm zu. Fluchend sah Maron weg, mit der Hoffnung er würde denken, sie hätte ihn durch die Musik nicht gehört. Wie konnte er sie mit Kapuze über dem Gesicht so schnell erkennen?! Zu ihrer bitteren Enttäuschung steuerte er plötzlich auf sie zu, stieß dabei ein paar umstehende Gäste mit seinen Schultern an und sorgte unter anderem dafür, dass ein Mädchen ihr Drink verschüttete. Kaum war Hijiri nur noch zehn Schritte von ihr entfernt war, überkam Maron die Panik und fing an nach einem Ausgang zu suchen. Sie ging davon aus, dass er getrunken hatte und daher noch aufdringlicher war als sonst. Maron wollte zur Tür gehen, von der sie reinkam, als sie zu ihrer Frustration bemerkte, dass eine große Gruppe von Leuten ihr den Weg versperrte und es für sie unmöglich wäre da durch zu kommen. Sie schaute zu ihrer Rechten und sah eine große Treppe, die zum ersten Obergeschoss führte und frei von Partygästen zu sein schien. Ohne zweimal darüber nachzudenken, lief Maron die Stufen hoch. Hinter sich konnte sie immer noch Hijiri ihren Namen rufen hören, was sie dazu antrieb weiter zu rennen. Im oberen Stockwerk lief sie bis Ende des Ganges, versuchte die letzte Tür zu öffnen, nur um festzustellen, dass sie abgeschlossen war. Dann fielen ihr weitere Treppen auf, die wahrscheinlich zum obersten Stockwerk führten. Maron rannte ihren Weg nach oben und bog in den Korridor ab. „HEY MARON? WO BIST DU?“, rief Hijiri vom Treppenansatz. Er lallte ziemlich stark, was ihre Vermutung zum Trinken bestätigte. Panisch über seine näherkommende Stimme, steuerte sie auf die erste Tür in ihrem Blickfeld zu. Sie war nicht abgeschlossen. Hastig öffnete Maron die Tür, schlüpfte rein und schloss sie so leise, wie sie in ihrem alarmierten Zustand konnte. Völlig außer Atem lehnte sie ihre Stirn daran. Sie bebte am ganzen Körper. Für einen Moment schloss sie ihre Augen und versuchte ihren Atemrhythmus zu beruhigen. Gleichzeitig lauschte sie nach draußen, um zu prüfen, ob Hijiri sich in der Nähe befand. Ihre zitternde Hand befand sich immer noch auf der Türklinke, weshalb sie im nächsten Augenblick auch abschloss. Anschließend wich sie ein bisschen von der Tür zurück. Da sie auf der anderen Seite nichts hörte, seufzte Maron erleichtert aus und schloss erneut ihre Augen. Genau in diesem Moment, räusperte sich jemand hinter ihr. Sie schreckte auf, drehte sich um und presste ihren Rücken gegen die Tür, ließ dabei ein überraschten Laut aus und hielt sich instinktiv den Mund zu. Ein Junge, ungefähr ihres Alters, saß im Schneidersitz auf einem riesigen, modernen Futonbett, welches die Mitte des Raumes dominierte. Er starrte sie sowohl entgeistert als auch genervt zugleich an. Seine blauen Haare waren in alle Richtungen zerstreut und seine braunen Augen waren wie ihre mit dunklen Ringen gezeichnet und blutunterlaufen. Er sah genauso müde aus, wie Maron sich fühlte. Und dennoch sah er unmenschlich gut aus. Wow…, dachte Maron sich fasziniert, die Wangen leicht gerötet. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. In solchen Augenblicken wünschte sie sich, dass sie fähig war sich dem anderen Geschlecht nähern zu können. Der Junge trug eine dunkelgraue Hose und langärmles blaues Shirt. Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue erwartungsvoll an. Für einen Moment war Maron perplex sprachlos bis sie realisierte, dass dies sein Zimmer sein musste und sie einfach so reingeplatzt war. „Oh… Ehm... S-Sorry… T-Tut mir fruchtbar leid… I-I-Ich wusste nicht-… I-Ich meine, ich wollte nur-… eh…“, stammelte sie, versuchte ihm vergebens ihre Anwesenheit zu erklären. Verlegen blickte Maron zu Boden, mied seinen Blickkontakt. „Oh nein, kein Problem“, sagte er in einem sarkastischen Ton, „Es ist völlig normal, dass Mädels in mein Zimmer reinplatzen, um sich schräge, emotionale Zusammenbrüche zu erlauben.“ Schräge, emotionale Zusammenbrüche?!, dachte sie sich verbittert. Du hast keine Ahnung… Sie setzte eine entschuldigende Miene auf und wagte einen weiteren Versuch sich zu erklären. Ihr Herz raste immer noch, wie nach einem Marathon und ihr Körper zitterte ein wenig vor Überraschung diesen Fremden hier vorzufinden. Dennoch versuchte Maron sich zusammenzureißen. „Ich war dabei von diesen Typen wegzukommen, der mich verfolgte, bin daraufhin die Treppen hochgestiegen. Eine Tür, die ich probierte habe, war abgeschlossen, weshalb ich die weiteren Treppen hochlief. Er war mir schon dicht auf den Fersen, weshalb ich jetzt hier bin“, sprudelte es aus ihr verunsichert heraus. Sie stoppte sich, als sie seinen amüsierten Ausdruck im Gesicht sah. Maron nahm beruhigend tief Luft. „Ich entschuldige mich vielmals für die Störung“, sagte sie in einem aufrichtigen Ton. Ohne darauf zu warten, dass er was sagte, drehte Maron sich um, war darauf bedacht zu gehen, als eine Stimme auf der anderen Seite der Tür sie erstarren ließ. „MARON!“, hörte sie Hijiri aus dem Korridor rufen. Wie gelähmt stand Maron für einige Augenblicke da, hörte wie er wiederholend ihren Namen rief, bevor sie sich langsam zu dem Jungen auf dem Bett umdrehte, der genervt und belustigt zugleich zur Tür blickte. „Du versteckst dich also vor Shikaidou“, sagte er. Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Ihre müden, braunen Augen trafen auf seine und sie nickte zaghaft. Er kicherte. Das sanfte Geräusch seines Lachens lenkte Maron für einen Moment von dieser unangenehmen Situation ab. Sie fühlte sich mehr unwohl dabei sich im Zimmer eines fremden Jungen aufzuhalten, allerdings konnte sie unter keinen Umständen raus gehen, wo Hijiri schon auf sie lauerte. Gedanklich wog sie ihre Optionen ab: gehen und sich einem betrunkenen Hijiri Shikaidou gegenüberstellen oder bleiben und sich mit diesem Fremden auseinandersetzen. Angesichts dieser beiden Alternativen traf sie ihre Entscheidung. „Uhmm...“, setzte sie an, flehte ihn mit ihren Augen an, „Würde es dir was ausmachen..., wenn ich hier solange warte bis Hijiri weg ist?“, fragte sie schüchtern, biss sich unbeholfen auf die Lippe. Er blickte mit zusammengezogenen Brauen von ihr zu der Tür und wieder zurück. Nach einem Moment der Unentschlossenheit, ließ er einen schweren Seufzer aus. „Ja, fein“, gab er sich geschlagen, „Mach nur nichts kaputt, oder so“, fügte er in einem harschen Ton hinzu. Maron nickte einige Male bejahend und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Skizzenbuch oder Tagebuch (sie konnte es nicht erkennen) auf seinem Schoß zu. Unterdessen nutzte Maron den Moment, um sich diesen riesigen Raum, welches sein Zimmer war, richtig anzusehen. Ein großer Schreibtisch, ein mittelgroßer Regal sowie ein kleines, schwarzes Sofa standen an der Wand zu ihrer Linken. An einer anderen waren deckenhohe Bücherregale zu sehen. Bei dem Anblick des Bücherregals schlug ihr Herz ein bisschen höher. Neben den Bett stand jeweils ein Nachtschrank. Zwei Türen waren zu sehen, wo sie ein Bad und ein Ankleidezimmer vermutete. Auf der anderen Seite des Raumes sah sie große Fenster sowie eine gläserne Tür, die zu einem Balkon rausführte. Es war ein ziemlich ordentliches Zimmer, frei von rumliegender Wäsche oder Postern an den Wänden. Nur auf dem Schreibtisch lagen Textbücher und Hefte wild neben dem Computer verteilt. „Also, wie ist dein Name?“ Seine samtige Stimme riss Maron aus ihrer visuellen Erkundungstour. Sie drehte ihren Kopf und sah zu ihn rüber. Sein Blick war weiterhin auf sein Buch gerichtet, die Augenbrauen leicht konzentriert zusammengezogen, der Stift in seiner Hand wurde in sorgsamen Bewegungen über das Papier auf und ab geführt. „Maron. Maron Kusakabe“, antwortete sie ihm leise. Er nickte, ohne von seinem Buch aufzusehen. Maron wartete darauf, dass er ihr seinen Namen sagen würde, was er nicht tat. Nervös spielte sie mit dem Band ihrer Kapuze. „Wie lautet deiner?“, fragte sie schließlich. Nach einem kurzen, abgelenkten Moment antwortete er ihr: „Chiaki Nagoya.“ FOUR ---- FOUR   Chiaki sah von seinem Skizzenbuch auf. Maron stand noch immer da, inmitten seines Zimmers und sah sich unbeholfen um. Er musterte sie. Anstatt der Schuluniform trug sie diesmal Jeans und einen großen Kapuzenpullover. Die ihm bereits bekannten, langen braunen Haare waren unter der Kapuze verdeckt, die ihr teilweise über das Gesicht gezogen war. Als wollte sie es verstecken. Doch er konnte es offensichtlich sehen. Sie war hübsch, musste er zugeben. Zu mindestens ihr Gesicht. Hübscher, als die meisten Mädels ohne Make-up. Chiaki konnte seinen Blick nicht von ihren Augen abwenden. Sie hatten dunkle Ringe unter ihnen und sie wirkten leer, glanzlos, traurig... müde. Sie sah beinah so müde aus, wie er sich fühlte, was seiner Ansicht nach unmöglich war. Obwohl...! Augenblicklich erinnerte er sich an ihr Schläfchen in der Schule zurück. „Du kannst dich hinsetzen, weißt du“, sagte Chiaki mit hochgezogenen Augenbrauen und nickte mit dem Kopf auf das Sofa. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und zögernd ging Maron darauf zu. Sie setzte sich hin, nahm ihre Knie hoch und legte ihre Arme um sie. Seine Augen verengten sich, als er ihre Schuhe auf dem Leder sah. „Wenn du dich schon so hinsetzen willst, dann habe wenigstens den Anstand dir deine Schuhe auszuziehen, sonst ruinierst du mein 50.000 Yen teures Sofa“, murrte Chiaki. Ihre Augen weiteten sich kurz bevor sie vom Sofa aufsprang und hektisch über die Stelle strich, wo ihre Schuhe den Stoff berührt hatten. „Du meine Güte, tut mir furchtbar leid! Ich habe nicht nachgedacht! Entschuldige.“ Maron hörte nicht auf sich zu entschuldigen. Fast bereute Chiaki es, dass er überhaupt was gesagt hatte. „Ist schon gut. Wirklich. Mach dir keinen Kopf drum“, seufzte er, versuchte nicht genervt zu klingen. Sie stoppte sich, richtete sich aufrecht und inspizierte das Sofa grundlich. Nachdem sie sicher war, dass das Leder in keinster Weise beschädigt war, setzte Maron sich wieder hin, diesmal mit ihren Füßen auf dem Boden. Chiaki wandte sich den nächsten Minuten wieder seiner Zeichnung zu. Als er aufsah, bemerkte er, wie Maron nervös mit ein paar Strähnen, die rauslugten, spielte und den Blick interessiert auf seine Bücherregale fixiert. Mag sie zu lesen?, wunderte er sich. „Magst du Bücher?“, fragte er laut. Ihr Kopf drehte sich in seine Richtung, die Wangen verlegen rot gefärbt. Schüchtern nickte sie. Innerlich musste er kichern. „Du darfst gucken, wenn du willst. Tu dir keinen Zwang an“, sagte Chiaki mit einer einladenden Geste zu seinen Bücherregalen. Sofort leuchteten ihre braunen Augen etwas auf. Maron erhob sich, ging zu den Regalen und scannte mit ihren Augen die Titel. Chiaki war stolz auf die Sammlung, die er sich seit seinem Einzug hier erworben hat. Maron’s Hand streckte sich nach einem Buch aus, sie hielt jedoch inne und wandte ihren Kopf zu ihn um. „Darf ich?“, fragte sie und deutete mit dem Finger auf das Exemplar. Mit einer kurzen Handbewegung gab er ihr wortlos zu verstehen, dass sie darf. Mit einem kleinen Lächeln nahm sie das Buch aus dem Regal, öffnete es und blätterte ehrfürchtig darin durch. Definitiv eine Bücherliebhaberin, dachte Chiaki sich leicht schmunzelnd. Maron ging zu ihrem Platz auf dem Sofa zurück und begann zu lesen. Er konnte nicht sehen, welches Buch es war, aber sie schien ziemlich versunken darin zu sein, weshalb er sich wieder dem Zeichnen zuwandte. Für eine lange Weile herrschte eine angenehme Stille. Das einzige was man hörte, war die Party unter ihnen, Chiaki’s Stift auf dem Papier und das gelegentliche Blättern von Maron’s Buch. In der Zeit, in der sie las, sah Maron nicht mehr von ihrem Buch auf und Chiaki war so vertieft in seiner Zeichnung gewesen, dass er am Ende, als er fertig war feststellte, dass zwei Stunden vergangen waren. Er sah zu Maron rüber. Sie wirkte so friedlich beim Lesen. Das komplette Gegenteil von dem, als sie in sein Zimmer reingestürmt war. Ebenso sah sie sehr müde aus. „Weißt du…“, durchbrach Chiaki das Schweigen zwischen ihnen. Als Maron zu ihm rüber sah, sprach er weiter: „Ich wette, Shikaidou liegt irgendwo ohnmächtig in seiner eigenen Kotze rum.“ Er grinste verschmitzt. „Oh…“, sagte sie etwas abgelenkt, dann weiteten sich ihre Augen, „OH! Oh mein Gott!“ Sie klappte ihr Buch zu und stand auf. „Tut mir furchtbar leid! Ich habe die Zeit vollkommen vergessen. Entschuldige, ich wollte nicht so unhöflich sein. Ganz ehrlich…“ Während Maron zum Bücherregal ging, versuchte Chiaki sie zu besänftigen. „Nein, mir macht das nichts aus, es ist nur...“ Er war leicht erstaunt über sich selbst, dass es ihn wirklich nichts ausmachte, dass sie so lange hier war. Im Normalfall wäre er schon sichtlich genervt gewesen. „Es ist nur, uhm, du siehst so müde aus. Du solltest nach Hause gehen und schlafen“, sagte er in einem aufrichtigen Ton und meinte es auch ernst. Maron warf ihm einen flüchtigen Blick zu, nachdem sie das Buch ins Regal zurückgelegt hatte und kicherte trocken. „Ja…Ich sollte nach Hause gehen und schlafen.“, wiederholte sie mit Sarkasmus in ihrer Stimme. Chiaki blickte sie fragend mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Maron bemerkte dies, verzog eine Grimasse und schüttelte den Kopf. „Ich, nun ja… schlafe nicht wirklich“, offenbarte sie. Bei seinem offensichtlich geschockten Gesichtsausdruck fügte sie hinzu: „Ich meine… Ich versuche nicht zu schlafen. Albträume“, zuckte sie mit den Schultern. Natürlich. Jetzt machte für ihn auch alles Sinn. Der müde, erschöpfte Ausdruck in ihrem Gesicht; der Fakt, dass sie in der Schule schlief; der Albtraum, den sie bekam. Sie war wie er. „Du schläfst auch nicht? Du versuchst auch wach zu bleiben?“, fragte Chiaki erstaunt. Maron’s Augen schnellten zu ihm und ihr Gesicht verlor etwas an Farbe. Dann zog sie verwirrt ihre Brauen zusammen. „Auch?“, wiederholte sie überrascht, „Du schläfst nicht?“ Sie schaute ihn eindringlich an. Ihre Blicke trafen sich. Er presste sich zögernd die Lippen zusammen. Er hatte noch nie mit jemanden über seine Schlafprobleme geredet. Aber dieses Mädchen schien dieselben Probleme zu haben. Langsam nickte er bestätigend seinen Kopf. „Auch Albträume?“, fragte sie. „Mhmm.“ Er mochte das Wort nicht. Klang so harmlos. „Man könnte sie so nennen...“ Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, schien sie zu verstehen, was er meinte. „Wie machst du das? Wach zu bleiben?“, fragte er mit ehrlicher Neugier. „Kaffee, Kochen, Hausaufgaben, Lernen, Sauber machen...“, zählte Maron achselzuckend auf. „Ich versuche immer ein bisschen Schlaf in der Schule zu finden...“, sie hielt kurz inne und schüttelte mit einem bitteren Lächeln den Kopf, „Nun ja, bis heute zu mindestens. Ich werde das womöglich nie wieder tun.“ Sie senkte ihren Blick beschämt zu Boden. Chiaki vermutete, dass sie von ihrem Schläfchen heute Morgen sprach. Auf einmal fühlte er sich schuldig dafür, dass er sie schlafen ließ. Wenn ihre Albträume genauso schlimm waren wie seine, dann konnte er sich nur zu gut vorstellen, dass sie in vollkommener Panik aufgewacht war. Ihrem Schrei nach zu urteilen, war dem wohl auch so. Ihre Stimme riss ihn aus den Gedanken. „Wie machst du das?“, fragte Maron, den Kopf leicht fragend geneigt. Chiaki lehnte sich in seine Kissen zurück. „Mein Vater, Kaiki, ist Arzt. Ich erbeute mir manchmal ein paar Sachen von ihm. Aufputschmittel, verstehst du?“ Sie wirkte etwas überrascht über seine sorglose Haltung gegenüber Drogen. Er zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Abgesehen davon halte ich mich mit Zeichnen und sonstigem wach... Konzentration und so, weißt du“, fügte er hinzu, nichtwollend das Maron ihn für drogensüchtig hielt. „Ich meine, Kaffee? Wirklich?“, lächelte Chiaki schnaubend auf. Wie konnte sie nur mit Kaffee überleben? Und auf die Idee kommen, in der Schule zu schlafen? Diesen Fehler würde er nie machen. „Ich habe Tabletten daheim, aber die haben eher den gegenteiligen Effekt als die, die du nimmst. Ich benutzte die auch nie“, zuckte Maron mit den Schultern. Chiaki nickte verstehend. Er vermutete, dass sie Medikamente gegen ihre Angstausbrüche oder ähnliches hat. Sie blickte unschlüssig zur Tür und wieder zu ihm zurück. „Uhm... ich sollte wahrscheinlich gehen. Ich möchte nicht, dass Miyako sich Sorgen um mich macht... Aber danke, dass ich mich hier vor Hijiri verstecken durfte.“ Ihre Mundwinkel zogen sich etwas hoch und der Ansatz eines schiefen Lächelns war auf ihren hübschen Gesicht zu sehen. Chiaki lächelte nickend zurück. Diese Maron schien doch nicht so schräg zu sein, wie die Gerüchte sie darstellten. Er sah, wie sie auf die Tür zusteuerte, als ihm etwas einfiel. „Warte!“ Mit einem fragenden Blick drehte sie sich zu ihm um. „Kennst du diese kleine Parkanlage mit den Picknickbänken hinten? Die am Fluss?“, fragte er, bezog sich dabei auf ein paar Picknickbänke, die ein paar wenige Meter entfernt von beide Hinterhöfen waren. Maron nickte bejahend. „Manchmal verbringe ich meine Nächte dort. Die Kälte hilft einen wach zu halten.“ Chiaki hielt kurz inne und überlegte, wie er seine Frage am besten formulieren sollte. „Vielleicht sehe ich dich dort mal“, vollendete er in einem legeren Ton. Bei der Erwähnung ihn wieder sehen zu können, leuchteten Maron’s große Augen ein wenig auf. Sie nickte lächelnd, bevor sie die Tür aufmachte und aus seinem Zimmer ging. Chiaki sah ihr für eine Weile nach. Er würde morgen Nacht auf jeden Fall zu den besagten Bänken gehen. Die Vorstellung, jemanden nachts zum Reden zu haben, war Grund genug für ihn zu gehen. Jemanden, der ihn auch verstehen würde. Gleichzeitig war er interessiert darin, Maron näher kennenzulernen. Es war nett - sich ausnahmsweise mal nicht allein zu fühlen. *** Maron lief durch die Gänge des ersten Obergeschosses und blieb vor einer Tür überrascht stehen. Augenblick musste sie schadenfroh lachen. Wow, Chiaki hatte Recht..., dachte sie sich. Hijiri lag ohnmächtig in einem Badezimmer in seinem eigenen Erbrochenem. Beim genaueren Hinsehen fiel ihr auch eine blutende Nase auf. Wahrscheinlich hatte er sie sich am Waschbecken aufgeschlagen, als er das Bewusstsein verlor. Mit einem Dauergrinsen auf ihrem Gesicht lief Maron die restlichen Treppen runter, mied alle restlichen Gäste, die noch bei Bewusstsein waren und begab sich nach draußen. Die Nachtluft war erfrischend kühl. Maron nahm einen tiefen Atemzug. Zu ihrem Erstaunen endete die Nacht mit einer guten Wendung, was sie in keinster Weise erwartet hätte. Chiaki war zwar merkwürdig an manchen Moment, aber sie war interessiert darin mehr über ihn und seiner Person zu erfahren. Zu Hause fand sie Miyako schon schlafend in ihrem Bett vor, noch immer das orange Kleid tragend. Maron schmunzelte, sie hoffte, dass ihre Freundin Yamato heute Nacht gefunden hatte. Leise begab sie sich zu ihrem Zimmer, um sich umziehen. Zögernd hielt sie eine Hand über die Türklinke. Innerlich verfluchte sie sich dafür keine Wechselklamotten im Bad bereitgelegt zu haben. Maron nach tief Luft, sammelte all ihren Mut zusammen, öffnete die Tür und rannte so schnell wie möglich zu ihrer Kommode. Sie griff rein, schnappte sich die ersten Sachen, die sie in die Hand bekam und rannte aus dem Zimmer aus, ohne zurückzuschauen. Keuchend ging sie ins Gästebad, wartete für einen Moment bis die Angst verebbte. Nach dem Duschen dachte sie an Chiaki zurück. Sie beschloss morgen Nacht zu der Parkanlage mit den Picknickbänken zu gehen und sie hoffte aufs tiefste, dass er da sein wird.     Am nächsten Tag hatte Maron Schwierigkeiten sich von der Müdigkeit abzulenken. Es was Samstag, was bedeutete, dass es auch keine Schule gab, weshalb sie zu viel Zeit hatte und damit kämpfen musste, sich irgendwo Beschäftigungen zu suchen. Sie hatte schon gebackt, gekocht und ein paar Hausaufgaben gemacht, aber damit war gerade mal der Vormittag um. Derzeit saß sie auf dem Bett in Miyako’s Zimmer und scrollte ein wenig durch die Social Medias auf ihrem Handy rum. Schnell bereute sie es wieder, als sie die glücklichen Gesichter ihrer alten Freunde sah. Vermissen tun die mich nicht…, dachte sie sich bitter und schloss die Apps. Eigentlich wollte sie ihre ganzen Profile schon seit langem löschen, tat es allerdings noch nicht. Maron schnappte sich eine Modezeitschrift neben dem Bett und blätterte gelangweilt die Seiten durch. Währenddessen lief Miyako die ganze Zeit temperamentvoll auf und ab, quatschte ihr das Ohr über die Party zu. Maron war froh darüber, denn Miyako’s laute Stimme hinderte sie vor dem Einschlafen. „Ich meine-“ Miyako schnaufte dramatisch auf. „Jeder aus unserer Schule war auf Shinji's Party gestern gewesen, Maron! Warum zum Teufel war er nicht da gewesen?! Glaubst du es lag an mir?? Nein… nein, das kann nicht sein… vielleicht mag er Shinji nicht? Aber Chiaki war dort – und der ist sein bester Freund! Man würde doch zu der Party seines besten Freundes gehen, oder?! Überhaupt sowas freiwillig verpassen zu wollen!“, nörgelte sie. Bei der Erwähnung von Chiaki's Namen wurde Maron hellhörig. „Sag mal…“, setzte sie an, ohne von der Zeitschrift aufzublicken und stoppte sich. Wie könnte sie Miyako am besten fragen, ohne dass diese Verdacht schöpfte? Miyako stoppte ihren Redefluss und sah Maron erwartungsvoll an. „Dieser Chiaki-Typ von dem du redest… was ist das überhaupt für einer?“, fragte sie so gelangweilt wie möglich. Aus Angst darüber, das Miyako Verdacht schöpfen könnte und sie über ihre Beweggründe ausfragte, fügte Maron schnell hinzu: „Ich meine, wenn er Yamato’s bester Freund ist, dann bräuchte ich mehr Informationen über diejenigen mit denen Yamato sich umgibt, damit ich dir bei deinem Dilemma helfen kann.“ Seltsamerweise verzog Miyako ihr Gesicht zu einer Grimasse und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun… Chiaki ist…“ Nachdenklich neigte sie ihren Kopf zu Seite, auf der Suche nach den richtigen Worten, um ihn zu beschreiben. Ist interessant? Ist furchtbar gut aussehend? Lebt förmlich in einer Bibliothek und ist stolzer Besitzer eines 50.000 Yen teuren Ledersofas?, vollendete Maron in ihren Gedanken. „Er bedeutet Ärger“, sagte Miyako mit entschiedenem Kopfnicken. Nun blickte Maron verwirrt von ihrer Zeitschrift auf. „Ärger?“ Miyako nickte ein weiteres Mal und sprach weiter: „Ja, halte dich fern von dem Kerl.“ „Wieso?“ „Sagen wir es mal so, er ist nicht unbedingt jemand, der mit seinen Mitmenschen gut klarkommt.“ Maron seufzte innerlich genervt auf. Da wollte sie einmal von Miyako’s Klatsch- und Tratschleidenschaft profitieren und ausgerechnet jetzt behandelte sie das Thema auf einmal wie ein rohes Ei. „Könntest du dich bitte etwas deutlicher ausdrücken, Miyako?“ Sonst redete sie wie ein Wasserfall. Wo war das Problem? Miyako verdrehte ihre Augen. „Er hat Probleme, okay? Und ist jemand, der Probleme stiftet. Bis auf Yamato, ist er gemein zu jeden und ziemlich unverschämt, er mag es nicht mit anderen Menschen zu reden, er wurde schon mal verhaftet, er hasst Shinji, er hat ein recht loses Mundwerk und letztes Jahr hatte er mal mein Auto ‚ausversehen‘ demoliert! Und sich nicht dafür entschuldigt! Den Lack zu fixen hat ein Haufen Geld gekostet! Wie kann so jemand mit Dr. Nagoya, die netteste Person auf Erden, verwandt sein?!“ Mit jedem Fakt mehr, den Miyako auszählte wurde ihr Ton immer schroffer. Maron war etwas erstaunt darüber und in welchem Licht sie Chiaki darstellte. So schlecht schien er ihr letzte Nacht nicht gewesen zu sein. Natürlich konnte sich Schlafmangel auf die Stimmung und Gemütslage auswirken, wo drüber sie selbst hinwegsehen konnte. Miyako kannte diese Hintergründe offensichtlich nicht. Die Leute, die nur das Geringste über dich wissen, haben das Meiste zu sagen. Maron kannte das nur zu gut. Sie verspürte das starke Bedürfnis Chiaki verteidigen zu wollen, verkniff es sich jedoch und setzte ihr gespieltes Interesse für das Yamato-Dilemma fort. „Hmm…Ist Yamaro denn auch so? Gemein zu Menschen, mein ich?“, fragte sie mit eigentlichem Desinteresse. Sofort schüttelte Miyako wild den Kopf. „Nein! Nein, Yamato ist da ganz anders. Er feiert zwar ab und an, aber nicht viel mehr als Shinji. Der ist nicht so wild. Einmal habe ich ihn beim Shoppen mit seiner Mum in der Stadt gesehen und er war so lieb zu ihr! Einen Gentleman hat die Frau aufgezogen…“ Maron hörte schon nicht mehr zu. Schulterzuckend blätterte sie durch ihre Zeitschrift, während Miyako wiedermal über Yamato schwärmte. Ohne sich auf Miyako’s Unterstellungen festzusetzen, beschloss sie sich einen besseren Eindruck von Chiaki heute Nacht zu machen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er die Gerüchte über sie in der Schule bereits mitbekommen und Maron konnte sich vorstellen, dass er sie für völlig verrückt hielt. Vielleicht denkt er das wirklich von mir…, ging es ihr niedergeschlagen durch den Kopf. Aus ihr unerfindlichen Gründen wollte sie, dass Chiaki sie mag. Zu mindestens soweit dass er sich höflich mit ihr unterhalten wollen würde, was Miyako nach zu urteilen wohl eine Rarität bei ihm war. Plötzlich hörte sie, wie Sakura und Takumi vom Einkaufen nach Hause kamen. Sofort ging Maron runter und kümmerte sich ums Mittagessen. Anschließend verbrachte sie den restlichen Tag damit, das Haus sauber zu machen, trotz einer Einwände von den Erwachsenen. Während die Stunden vergingen, stieg ihre Aufregung für das heutige Treffen mit Chiaki – im positiven sowie im negativen Sinne.   Als die Nacht anbrach und alle anderen im Haus schon friedlich in ihren Betten schliefen, saß Maron unterdessen auf ihrem Platz am Tresen und schaute immer wieder nervös auf die Uhr. Vor ihr lag eine Tasse Kaffee sowie eine ihrer Kekstüten, die sie noch gemacht hatte mit dem Gedanken, dass dies als nette Geste gut ankommen sollte. Sie war aufgeregt und nervös. Gleichzeitig wunderte Maron sich, ob er überhaupt kommen würde. Da würde sie sich dumm und idiotisch vorkommen. Hör auf! Miyako’s Paranoia färbt schon auf dir ab, ermahnte sie sich selbst. Sie nahm ihren Kaffee und nippte daran. Allmählich wurden ihre Lider wieder schwer. Sie fragte sich, wann Chiaki wohl da sein würde und beschloss für sich selbst um Mitternacht zu gehen. Kein Grund übereifrig zu sein, dachte Maron sich, zwang sich zur Geduld. Sobald die Uhr zwölf anzeigte, sprang sie vom Hocker auf und lief geräuschlos zur Hintertür, die in den Hinterhof führte.   Draußen nieselt es etwas. In den letzten Tagen war es öfters feucht draußen, dadurch dass es November war. Maron zog sich die Kapuze ihrer Jacke über und versuchte ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Schließlich steuerte sie in Richtung der besagten Parkanlage mit den Picknickbänken zu. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie riesig die Grundstücke waren. Maron blickte zu der Villa nebenan rüber und konnte ein Fenster erkennen, in der das Licht noch brannte. Chiaki’s Zimmer. Sie nahm tief Luft und ging weiter bis sie die Bänke erreicht hatte. Mit jedem Schritt hörte sie das Rauschen des Flusses immer näherkommen. Da angekommen, legte sie ihre Tüte auf dem Tisch ab und setzte sich auf eine Bank hin, womit sie den Häusern den Rücken zukehrte und zu dem kleinen Fluss nach vorne schaute. Ihre Augen hatten sich mittlerweile so an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie die schwache Reflektion des Mondes hinter den Wolken im Wasser erkennen konnte. Es war ein ruhiger Ort. Und sehr friedlich. Chiaki hatte teilweise Recht. Die eisige Kälte der Nacht hielt sie zwar wach, aber das sanfte Plätschern des Wassers war wie ein Schlaflied in ihren Ohren. Maron rieb sich gähnend die Augen, blinzelte einige Male und aß einen Keks. Für eine Weile saß sie da und beobachtete den Fluss bis sie Schritte hinter sich hörte. Zunächst bekam Maron Angst, doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie auf jemand wartete. Langsam schaute sie über ihre Schulter und sah Chiaki auf sie zukommen. Er trug eine schwarze Lederjacke mit Kapuze und dunkle Jeans. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht lesen, aber sie würde nicht behaupten, dass es nach Miyako’s Worten „gemein“ wirkte. Er nahm wortlos am anderen Ende der Bank auf der Maron saß Platz und blickte zum Fluss hinaus. Maron erlaubte es sich für einen Moment einen inneren Freudetanz über den Fakt zu machen, dass er gekommen war. Schweigend saß er da, die Arme auf den Tisch abgestützt und starrte auf den Fluss. Er wirkte wie in Gedanken versunken. Eine leichte Brise wehte vorbei, spielte mit losen Strähnen seiner Haare. Maron konnte den vagen Geruch von Zigaretten aus seiner Richtung wahrnehmen, gemischt mit dem minzigen Duft von Shampoo und Seife. Sekunden, Minuten vergingen. Allmählich wurde ihr die Stille unangenehm. „Keks?“, fragte sie und schob ihm die Tüte entgegen. Kekse waren ihrer Erfahrung nach immer gute Eisbrecher. Chiaki beäugte die Tüte, die Brauen argwöhnisch zusammengezogen. Zögernd griff er in die Tüte rein, nahm er sich einen Keks heraus und inspizierte es, als hätte man ihm Hundekot angeboten. Genervt rollte Maron mit den Augen, reichte nach ihrer Tüte und holte sich selbst einen Keks raus. Demonstrativ biss sie rein, um ihm zu zeigen, dass er keine Lebensmittelvergiftung erleiden würde, sah ihm dabei direkt in die Augen. Chiaki zog eine Braue in ihre Richtung hoch, sah auf dem Keks in seiner Hand herab und nahm schließlich einen Bissen. Augenblicklich leuchteten seine Augen beim Geschmack des Gebäcks auf, was Maron zu einem weiteren inneren Freudetanz verleitete. Sie wusste, dass er sie mögen würde. Bisher gab es niemanden, der ihre Kreationen widerstehen konnte. „Die sind wirklich gut. Hast du sie gemacht?“, fragte er mit leichter Faszination in der Stimme. Maron nickte grinsend. Lächelnd holte Chiaki sich einen weiteren Keks heraus. „Meinen Respekt. Beim nächsten Mal mach mir bitte ein LKW-Ladung von denen“, sagte er und zwinkerte ihr zu. Maron konnte spüren, wie ihre Wangen erröteten und hoffte, dass es dunkel genug war, damit er es nicht sehen konnte. „Du hattest übrigens deine Wette gewonnen“, merkte sie an. Etwas verwundert blickte er sie an, ehe sie hinzufügte: „Wegen Hijiri. Er lag bewusstlos in seinem eigenem Erbrochenen. Wie du vorausgesagt hast.“ Daraufhin musste er belustigt auflachen. „Zum Glück musst ich den nicht aufwischen.“ „Nicht?“ Chiaki schüttelte den Kopf. „Da Shinji die Party veranstaltet hat, muss er die auch aufräumen.“ Sie schmunzelte. „Ach so.“ Für einige Minuten war es wieder still zwischen ihnen, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Beide schauten in den Fluss hinaus, während der Niesel um sie herum allmählich aufhörte. Maron war immer noch erstaunt darüber, dass sie sich in Chiaki’s Gegenwart wohl fühlte. Kein Zittern oder sonstige Panikanfälle. Bei jedem anderen Kerl hätte sie schon längst den nächsten Fluchtweg gesucht. Selbst bei ihrem Vater fühlte sie sich noch lange nicht so entspannt, wie bei ihm. Chiaki’s Stimme riss sie plötzlich aus den Gedanken. „Worüber handeln deine Albträume?“, hörte sie ihn mit einem Hauch von Neugier fragen. Sie drehte ihren Kopf zu ihm. Seine Augen waren auf seine Hände fixiert. Maron verzog grimmig das Gesicht. Sie hatte nicht unbedingt das Bedürfnis ihm von ihrer elenden Vergangenheit zu erzählen. Als für einige Sekunden keine Antwort von ihr kam, fügte Chiaki sanft hinzu: „Du musst es mir nicht sagen. Zwingt dich auch keiner dazu. Ich war nur neugierig, mehr nicht.“ Mit einem aufrichtigen Ausdruck im Gesicht sah er ihr in die Augen. „Nein, das ist es nicht“, erwiderte Maron schnell, „Ist schon okay, denke ich...“ Sie biss sich auf die Lippe. „Es ist nur... ich rede für gewöhnlich mit niemand darüber.“ Ihre Augen wanderten von ihm zu ihren Händen auf dem Tisch herunter. „Ich wette, du hälst mich schon für verrückt genug, bei all den Gerüchten, die über mich kursieren. Man muss nicht noch mehr Öl ins Feuer legen“, merkte sie bitter an. Er schnaubte, erwiderte nichts, um ihre Anschuldigungen zu widerlegen. Maron warf ihm einen scharfen Seitenblick zu, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Für einen Moment saß Chiaki da, die Augen blickten distanziert in die Ferne. Nach ein paar Minuten drehte er sich mit einem bestimmten, entschlossenen Gesichtsausdruck zu ihr um. „Ich erzähle dir von meinen, wenn du mir von deinen erzählst.“ FIVE ---- FIVE   Chiaki sah, wie Maron mit einem völlig sprachlosen Ausdruck in ihrem Gesicht dasaß, ihn entgeistert anstarrte und ab und an blinzelte. Er hatte genauso wenig das Bedürfnis zu plaudern, wie sie, aber die Neugier über dieses Mädchen überwiegte. Er wollte unbedingt wissen, was mit ihr los war. Vor einigen Stunden hatte er sogar Shinji nach ihr gefragt, was schon ungewöhnlich für ihn war. Zu seinem Glück war Shinji noch zu fertig und verkatert von der Party, um sich mit ihm zu streiten, als er ihn in der Küche antraf (nachdem der Dunkelhaarige das Haus von jeglichen ohnmächtigen Teenagern freigeräumt hatte). Kaum hatte Chiaki die Worte „Maron Kusakabe“ ausgesprochen, bekam er von seinem Adoptivbruder einen merkwürdigen Blick zugeworfen. „Alter, du kannst Maron nicht f*cken“, krächzte er mit verengten Augen, bemühte sich energisch zu klingen, ohne Erfolg. Innerlich schlug Chiaki sich die Hand auf die Stirn. Sichtlich genervt rollte er mit den Augen. „Mach es nicht so unnötig kompliziert und sag mir einfach, was du über sie weiß, du Arsch“, murrte er laut genug, dass Shinji zusammenzuckte und sich den Kopf hielt. „Alter. Schrei doch nicht so…!“ Chiaki grinste schadenfroh. „... Sie ist einfach komisch, okay“, stöhnte Shinji, die Hände über die Ohren gehalten, um sich vor jeglichen Geräuschen zu schützen, „Hatte irgendein traumatisches Erlebnis, bevor sie hierhergezogen ist und mag es nicht angefasst zu werden. Von Männern erst recht nicht. Miyako redet nie darüber und wir dürfen keine Fragen stellen.“ Danach war er aus der Küche verschwunden, um sich zu übergeben, ließ Chiaki mit noch mehr Fragen im Kopf zurück. Er konnte nicht aufhören, sich über sie zu wundern. Was war Maron, bevor sie hierher kam, passiert? Was war so schlimm, damit sie nicht mehr schlafen oder angefasst werden konnte? Ihm schauderte es bei all den Möglichkeiten, die ihm durch den Kopf gingen. Nachdem er den ganzen Tag und den ganzen Abend damit verbracht hatte sich den Kopf über alle möglichen Worst-Case-Scenarios zu zerbrechen, schwor er sich es heute Nacht herauszufinden.   Nun hatte Chiaki ihr das angeboten, was er ihr zurückgeben konnte und hoffte, dass Maron einigermaßen genauso neugierig über seine Vergangenheit war, wie er über ihre. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was Miyako ihr für ein Mist über ihn erzählt haben musste. Wahrscheinlich ritt sie noch immer auf den dämlichen Unfall rum, was letztlich auch nur ein minimaler Kratzer war. Und dabei war es noch nicht mal seine Schuld gewesen. Damals sollte Yamato seinen Wagen aus dem Schulparkplatz rausfahren und Chiaki hatte am Ende die Schuld auf sich genommen, nachdem sein Freund Panik bekam und sich vor Miyako versteckte. Er würde seinen Freund nie wieder an sein Steuer lassen. „Du zuerst.“ Maron’s Stimme riss ihn in die Gegenwart zurück. Überrascht blickte er in ihre großen Augen. Sie ging auf den Deal ein! Gleichzeitig brauchte Chiaki einen Moment, um ihre Worte zu registrieren. Er zuerst. Shit..., dachte er sich und schluckte schwer. Für einen Moment war er froh, dass sie seinem Vorschlag zustimmte, doch nun überwiegte seine innere Nervösität. Er strich sich schwerseufzend sowie frustriert durch die Haare, den Blick auf den Holztisch gesenkt. Er überlegte, wieviel er im Gegenzug zu ihrer Story preisgeben wollte. Würde sie wollen, dass er ihr alles erzählte? Oder reicht nur das Nötigste? Chiaki griff in seine Jackentaschen und holte seine Zigarettenpackung und Feuerzeug raus. Er nahm eine Zigarette in seinen Mund und zündete sie sich an, starrte dabei für einen Moment länger auf die Flame als sonst. Nachdem die Flamme aus war und beide wieder im Dunkeln eingehüllt waren, hatte Chiaki seine Entscheidung getroffen. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und atmete den Rauch wieder aus. „Als ich sieben war, war ich in einem Hausbrand und ich habe meinen Stiefvater zu Tode brennen sehen“, sprudelte es aus ihm schnell heraus, die Stimme angespannt. Chiaki beschloss die Details über den Auslöser des Feuers in diesem Geständnis wegzulassen. Ohne nach ihrer Reaktion zu sehen, sprach er weiter. „Ich lebte drei Jahre lang mit meiner Mutter zusammen, aber sie hatte mich dann eines Tages ohne ein Wort verlassen“, sagte er in einem bitteren Ton, kratzte mit der freien Hand geistesabwesend auf dem Holztisch rum. „Darüber handeln meine Albträume. An manchen Nächten ist es das Feuer, an anderen Nächten sind sie über meine Mutter und wie sie mich verlässt. Ziemlich abgefuckt oftmals“, beendete er mit einem achselzuckend und nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Es war still zwischen den beiden. Chiaki sah schließlich auf, um Maron’s Reaktion zu sehen. Ihre großen, braunen Augen waren gezeichnet mit Schock, Sorge und... Mitleid. Er hasste diesen Blick. Er hasste es abgrundtief, wenn Leute ihn mitleidig ansahen. Weshalb Chiaki seinen Blick abwandte und verbittert zum Fluss hinausschaute. „Tut mir leid...“, flüsterte Maron mit einem gequälten Ausdruck im Gesicht. Er stieß ein humorloses Lachen aus. Sie entschuldigte sich wirklich zu viel. Schulterzuckend winkte er mit seiner freien Hand ab und kratzte anschließend weiter auf dem Tisch rum. Nun war sie dran. Chiaki rauchte an seiner Zigarette weiter, wartete geduldig darauf, dass sie ihren Mut dafür zusammenträgt. Nach einigen Minuten war die Zigarette fertig verglüht und er warf den Stummel auf dem feuchten Boden weg. Schließlich räusperte Maron sich und das Geräusch brachte seine Aufmerksamkeit wieder zu ihr zurück. Sie starrte auf ihre Hände auf dem Tisch herab, ihr Gesicht nervös und erschöpft zugleich. „Vor drei Monaten, wurde bei mir und meiner Mutter eingebrochen“, begann sie in einem flüsternden Ton zu erzählen, war dabei so leise, dass Chiaki sie kaum verstehen konnte. „Der Mann... Noyn Claude... war einer von Mums Ex-Freunden. Er brach ein und hielt uns für zwei Monate in unserem eigenen Haus gefangen.“ Sie stoppte, ihre Augen blickten suchend durch die Dunkelheit, als würde sie erwarten, dass jemand ganz plötzlich auftauchen würde. Chiaki sah sie mit geweiteten Augen schockiert an. Er hatte sich alles vorgestellt, wirklich alles. Aber ein derartiges Szenario hatte er nicht erwartet. Geduldig wartete er darauf, dass sie weitersprach. Zitternd schloss sie ihre Augen, die Finger ineinander verkrampft. „Er hatte uns gefoltert und... furchtbare Dinge getan-“ Ihre Stimme brach ab. Chiaki wollte eine Hand nach ihr ausstrecken und ihr in irgendeiner Weise Trost spenden, aber er wusste, dass er nicht konnte. Shinji hatte ihm gesagt, dass sie es nicht mag berührt zu werden und die Geschehnisse, die Yamato ihm erzählt hatte, bestätigten es. Mit geballten Händen saß er da und hoffte, dass seine Anwesenheit allein sie irgendwie ein bisschen tröstete. „Er hatte sie vor meinen Augen getötet“, fügte Maron mit hinzu, die Stimme emotionslos, den Blick starr auf den Fluss gerichtet. Sekunden, Minuten vergingen - sie verschränkte ihre Arme auf dem Tisch und legte ihren Kopf auf ihnen, das Gesicht zu ihm gewandt. „Darüber handeln meine Albträume. Ziemlich abgefuckt...“, wiederholte sie seine Worte, ihre Stimme nahm einen müden Ton an. Dann schloss sie ihre Augen. Chiaki wusste instinktiv, dass sie ihm nicht alles erzählt hatte. Doch angesichts der Tatsache, dass er dasselbe getan hatte, sah er auch darüber hinweg. Er hatte eine allgemeine Vorstellung von dem, was passiert gewesen war. Es war furchtbar sich vorzustellen, dass Maron gefoltert und gepeinigt wurde. Chiaki wollte fragen, was aus Noyn geworden ist, aber als sie ihre Augen öffnete, gab sie ihm stumm zu verstehen, dass das Gespräch hiermit beendet war. Er wollte die Sache auch nicht überspannen, weshalb er verstehend nickte und ihr ein kleines Lächeln schenkte. Du bist nicht verrückt, wollte er ihr damit sagen. Maron versuchte das Lächeln zu erwidern, war allerdings zu müde dafür. Chiaki sah wieder nach vorne und begann ihre Story zu verarbeiten. Da der Vorfall vor nicht allzu langer Zeit passierte, beschloss er sich im Internet mal darüber zu informieren.   „Also...“, durchbrach Maron in einem nuschelnden Ton plötzlich die Stille zwischen ihnen. Ihr Kopf ruhte noch auf ihren Armen. „Hast du irgendwelche Lieblingskekse? Oder bestimmte Snacks, die du magst?“, fragte sie mit einem leichten Lächeln, versuchte offensichtlich das Thema zu wechseln. Chiaki erwiderte ihr Lächeln grinsend und legte seinen Kopf ebenfalls auf seinen Armen ab, das Gesicht zu ihr gewandt. „Vorher waren es jetzt Schokokekse. Aber jetzt sind es definitiv die hier“, sagte er und deutete grinsend auf die fast leere Tüte zwischen ihnen. Ihre Kekse waren bisher das Beste, was er jemals gegessen hatte. Was bei ihm zu Hause Essen anging, da war jeder auf sich selbst gestellt und keiner von ihnen besaß ansatzweise gute Kochkünste. Meistens verließ man sich auf Fertigprodukte oder Lieferdienste. Maron’s Gesicht hellte sich bei seinem Kompliment auf und sie kicherte leicht. „Ich kenne um die fünf Schokokeksrezepte. Du wirst sie mögen“, entgegnete sie. „Vielleicht...“, sie hielt inne und biss sich auf die Lippe, ihr Blick traf seinen, „Vielleicht bringe ich dir morgen welche mit.“ Der Satz klang fast wie eine Frage. Chiaki verdrehte bei ihrem nicht so subtilen Versuch ihn zu fragen, ob er wiederkommen würde, die Augen. „Ich bin morgen wieder hier. Wer würde bitte auf so einen leckeren Snack freiwillig verzichten wollen?“, scherzte er. Nun grinste sie bis über beide Ohren und Chiaki konnte gerade so im Mondlicht erkennen, dass ihr Wangen rosa gerötet waren. Süß..., ging es ihm durch den Kopf. „Kommst du eigentlich aus Momokuri?“, fragte Maron. Chiaki schürzte die Lippen. „Geboren ja. Aufgewachsen in Yokohama. Bevor ich zu Kaiki zog.“ „Ah…“  „Ich würde mal behaupten, hier ist es langweiliger als drüben.“ „Wirklich? Keine angesagten Clubs, in der die Kids sich alle versammeln?“ „Doch schon…“ Er zuckte mit den Schultern. „Gewöhnlich hänge ich mit Yamato ab, um an Wochenenden die Zeit totzuschlagen.“ Er schnaubte kurz auf. „Wenn er mal nicht Hals über Kopf besessen von deiner bitchigen fast-Stiefschwester ist.“ Maron richtete sich abrupt auf und blickte ihn wütend an. „Damit das klar ist: Miyako ist weder bitchig noch eine Bitch!“ Er setzte sich ebenfalls auf und hob defensiv beide Hände in die Höhe. Dann zog sie irritiert beide Brauen zusammen. „Moment- … Was meinst du mit besessen?“ Frustriert seufzte Chiaki auf, schwang ein Bein über die Bank, sodass er rittlings darauf saß und legte einen Ellenbogen auf den Tisch ab, den Kopf in seine Hand gestützt. „Seit ich ihn kenne, ist Yamato verliebt in Miyako. Ist schon förmlich verrückt nach ihr. Jeden verfickten Tag muss ich von ihr hören. Meine Ohren bluten schon, sobald ich ihren Namen aus seinem Mund höre.“ Maron war für einen Augenblick erstarrt, bis sie zu seiner Verwunderung prustend loslachte. Es war das sanfteste Lachen, was er jemals gehört hatte. Irgendwie war es auch schön, sie so herzhaft lachen zu hören. Sie schien seinen teils amüsierten, teils verwirrten Gesichtsausdruck zu bemerken und versuchte sich zu beruhigen. „Entschuldige...Es ist nur-“, sie rieb sich eine kleine Lachträne weg und kicherte. Chiaki warf ihr einen frustrierten Blick zu. Er wollte in ihren Witz eingeweiht sein. Maron blickte ihn entschuldigend an. „Seit ich dem ersten Tag, in der ich hierhergezogen bin, höre ich von Miyako nichts anderes als Yamato dies – Yamato das.“ Sie kicherte ein weiteres Mal. „Oh mein Gott, Maron! Ist Yamato nicht traumhaft?Oh mein Gott, glaubst du, er starrt mich an, weil er mich mag oder weil ich was im Gesicht hab? Haaach!“, äffte sie mit verstellter Stimme Miyako nach. Daraufhin kriegte sich Chiaki nicht mehr vor Lachen ein. „Nicht dein Ernst“, lachte er, „Weder er noch sie haben wohl die Eier einander anzusprechen und auszufragen.“ „Scheint wohl so.“ Nachdem ihr Lachen nach einer Weile verebte, blickte Chiaki mit gespielter Ernsthaftigkeit an. „Ich bin der Meinung, wir sollten für eine Weile noch unsere Klappe halten. Geschieht ihnen recht uns beide so leiden so lassen“, grinste er verschwörerisch. Maron grinste amüsiert und stimmte ihm nickend.   Beide saßen wieder mit dem Köpfen auf ihren Armen eingebettet da, schwiegen einander an, lauschten dem Fluss und genossen einfach die Präsenz des jeweils anderen. Chiaki hatte seine Augen geschlossen, genoss die kalte Luft auf seinem Gesicht. Er war immer noch müde. Aber Maron bei sich zu haben, machte es ihm einfacher wach zu bleiben. Für einen Moment war er auch froh darüber, dass sie ihn danach gefragt hatte, ob er wiederkommen würde. Dies hatte ihm die Peinlichkeit erspart, sie dasselbe zu fragen - denn er genoss ihre Gesellschaft sichtlich. Was nicht oft vorkam. Chiaki mochte Menschen nicht. Will ihnen auch nicht zu nahekommen. Am Ende wird man nur noch verraten und verlassen. „Miyako sagt, du wurdest mal verhaftet.“ Maron klang leicht anklagend. Er öffnete seine Augen und sah, dass ihre geschlossen blieben. „Pfff. Ja... Miyako muss es schließlich wissen. Sie hatte mich angezeigt“, sagte er verächtlich und schloss die Augen wieder. „Wirklich?“, hörte er Maron kichern und gähnen, „Erzählst du mir wieso?“ Er seufzte. „Da war zuerst dieses Drama um ihr Auto im ersten Jahr der Oberstufe. Am Ende hatte sie keine Anklage erhoben, womöglich weil sie Mitleid mit Yamato bekam, oder so. Aber seitdem hat sie mich auf dem Kieker und erwischte mich mit etwas... nicht so Legalem.“ Er gähnte lange und hoffte, dass sie nicht weiter nachfragen würde. „Nun...Was war es denn?“, kam es von ihr, nachdem er für eine Weile nichts mehr gesagt hatte. Chiaki öffnete seine Augen, seine Blicke trafen die ihre. Seufzend strich er sich durch die Haare. Er war nicht stolz auf seinem Vorstrafenregister, war etwas genervt über ihre Hartnäckigkeit, wollte aber auch ehrlich zu ihr sein. „Besitz von Rauschgift“, gestand er zaghaft. Erleichtert beobachte Chiaki, wie Maron unbekümmert mit den Schultern zuckte und ihre Augen wieder schloss, als wäre es keine große Sache. „Nimm es Miyako nicht übel. Sie hat die Tendenz ziemlich nachtragend zu sein und zu überdramatisieren.“ „Merk ich.“ Er war froh, dass sie ihn nicht für abgefuckt hielt. Danach verbrachten beide wieder einige Zeit in Schweigen, nur das Plätschern des Wassers und das sanfte Geräusch ihres Atems war zu hören. Eventuell wurde die Stille durch ein sanftes Schnarchen durchbrochen, welche Chiaki sofort wiedererkannte. Er öffnete seine Augen, sah Maron’s friedliches Gesicht und realisierte, dass sie eingeschlafen war. Fuck...wie wecke ich sie am besten?, überlegte er. Schließlich durfte er sie nicht anfassen. Er sah sich kurz um und entdeckte einen kleinen Stock auf dem Tisch. Chiaki schnappte sich den Stock und pikste einige Male damit ihren Arm. Erschrocken schnappten ihre Lider wieder auf und sie schoss von der Bank hoch. Irritiert rieb sie sich ihre Augen. „Amateur“, murmelte er kichernd. „Tschuldige...Danke“, nuschelte Maron. Genervt rollte Chiaki mit den Augen. „Warum tust du das?“ „Warum tu ich was?“, fragte sie verwirrt. „Dich entschuldigen. Du entschuldigst dich viel zu viel“, sagte er. Maron blickte Chiaki unbeholfen an, war darauf bedacht sich fürs Entschuldigen sich zu entschuldigen, aber ein warnender Blick von ihm ließ sie Inne halten. Dann lächelte sie verlegen, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich weiß auch nicht, wieso ich das mache. Ist einfach eine höfliche Angewohnheit.“ „Nun, bei mir brauchst du dich nicht ständig zu entschuldigen. Ich komme mir dann immer vor, als hätte ich dir irgendwas böses angetan“, entgegnete er. Er machte es sich wieder gemütlich, legte seinen Kopf auf dem Tisch ab und lauschte den ruhigen Geräuschen der Natur. Plötzlich spürte er ein Piksen in seinen Arm und seine Augen schossen auf. Maron grinste ihn belustigt an, den Stock in ihrer Hand haltend. „Du bist eingeschlafen“, sagte sie verspielt. Er konnte sich selbst ein verlegenes Grinsen nicht verkneifen. Dann fiel ihm auf, dass die Umgebung um sie herum sich erhellt. „Die Sonne geht langsam auf“, murmelte er träge. Anschließend stand er von der Bank auf und streckte sich. Maron tat es ihm nach und schnappte sich ihre leere Kekstüte. „Ich schätze mal, wir sehen uns morgen“, sagte sie schüchtern. Sie sah ihn fragend an, die Wangen rosa angelaufen und biss sich verlegen auf die Lippe. Süß..., schmunzelte Chiaki in Gedanken.  „Wir sehen uns morgen“, nickte er grinsend. Damit begaben beide sich auf dem Rückweg nach Hause, siegreich darüber eine weitere Nacht einigermaßen überstanden zu haben. Diesmal jedoch gemeinsam.   SIX --- Kleine Anmerkung, die ich beim letzten Kapitel vergessen habe: Hijiri und Noyn sind zwei unterschiedliche Personen in dieser Story. ^^ Nicht das es irgendwie zu Verwirrungen kommt…   Viel Spaß beim Lesen! ------------------------------------------------- SIX Zu Hause verbrachte Chiaki den Sonntag verbarrikadiert in seinem Zimmer. Normalerweise würde er seine Zeit auch im Wohnzimmer verbringen und an der Playstation, die er sich mit Shinji widerwillig teilte, spielen, aber dieser hatte heute seine Freundin zu Besuch und Chiaki wollte jeglichen Kontakt mit Natsuki vermeiden. Ein Aufeinandertreffen würde sofort in eine Konfrontation ausarten, die er wahrscheinlich nicht überleben würde. Chiaki wagte es auch nicht Natsuki’s Kendo-Fähigkeiten zu unterschätzen. (Insgeheim fragte er sich, wie Shinji einen Beziehungsstreit mit ihr überlebte… Womöglich gar nicht.) Natsuki verabscheute ihn aus Gründen, die ihm unbekannt waren. Vielleicht, weil er ihren Freund (aka. seinen Adoptivbruder) nicht ausstehen konnte -und kein Geheimnis daraus machte- und genauso wenig ihre beste Freundin (aka. seine Nachbarin Toudaiji) leiden konnte. Vielleicht war es auch einfach natürlich veranlagt. Man musste schließlich nicht jeden mögen und Natsuki war jetzt nicht unbedingt jemand, die Chiaki als beste Freundin haben wollte. Dem Gelächter zufolge befand sich das Paar derzeit in Shinji’s Zimmer, welches sich schräg gegenüber von seinem befand. Dass Chiaki die beiden trotz der dicken Wände hören konnte, nervte ihn, weshalb er seine Kopfhörer rausholte und lautstark Musik anschaltete, um nicht noch andere Geräusche von ihnen zu vernehmen. Sucht euch ein verficktes Hotel...!, fluchte er in Gedanken. Tage an der Natsuki zu Besuch war, nervte ihn. Oft fehlte es ihn dann an Abwechslung in seinen Beschäftigungen. Eventuell zog er es in Erwägung sich in den nächsten Tagen einen eigenen Fernseher und Konsole zu kaufen und die in seinen Zimmer anzubringen. Zum Glück hatte Kaiki ihm und Shinji jeweils eine Kreditkarte für solche individuellen Bedürfnisse bereitgestellt, die beide unbegrenzt nutzen konnten. Seufzend strich er sich durch die Haare. Letztendlich störte es Chiaki auch nicht den ganzen Tag in seinem Zimmer zu verbringen. Diese vier Wände waren sein Heiligtum. Selbst wenn dieses Zimmer ihm nicht den ersehnten Schlaf brachte, den er sich wünschte, so verschaffte es ihm dennoch die nötige Privatsphäre, die er wollte. Demnach durfte auch niemand in sein Zimmer. Selbst Yamato ließ er nicht oft rein. In Anbetracht dessen war die Situation am Freitag auch sehr gravierend für ihn, als Maron nach seiner Erlaubnis fragte in seinem Zimmer bleiben zu dürfen. Er bezweifelte, dass sie es vollauf zu schätzen wusste. Doch wie sollte sie auch. Sie kannte ihn nicht. Genauso wenig, wie er sie kannte.   Gegen Nachmittag, als auf seiner Playlist „Female Robbery“ von The Neighbourhood gerade lief, fiel ihm ein, dass er online ein paar Recherchen bezüglich Maron’s Vergangenheit machen wollte. Sowas derart Dramatisches müsste bestimmt in den lokalen Nachrichten ihrer alten Heimat geschafft haben. Chiaki stand von seinem Bett auf, ging zu seinem Schreibtisch, räumte da seine Schulsachen beiseite und schaltete den Computer an. Anschließend ließ er sich auf dem Schreibtischstuhl fallen. Während das Gerät leise hochfuhr, fuhr er sich ein paar Male über das Gesicht, um munterer zu werden. Ebenso überlegte er für einen Moment, ob es richtig war Maron so zu hintergehen und hinter ihrem Rücken zu schnüffeln. Ein bisschen überkam ihn sogar das schlechte Gewissen, doch das Gefühl war nur von kurzer Dauer. Die Neugier überwiegte Als Erstes suchte Chiaki nach Maron’s Namen. Sofort kamen als allererstes ein paar wenige Links, die zu ihren Social Media-Accounts zurückführten. Er klickte sie alle an und sah, dass die letzten Aktualisierungen mindestens drei Monate zurücklagen. Verständlich. Flüchtig scrollte Chiaki durch ihre Profile durch. Es gab nicht viele Fotos, die sie gepostet hatte, eventuell nur eine Handvoll. Meist war sie mit ihrer Mutter zu sehen, die sie sehr ähnlich sah und ein paar alten Freunden. Er konnte erkennen, was für ein glückliches, selbstbewusstes Mädchen Maron einst mal gewesen ist. Dieses damalige Leuchten in ihren Augen und dieses sorglose Lächeln existierte heute gar nicht mehr. Beziehungsweise war hinter dieser traurigen, ausdruckslosen Maske versteckt. Nur ganz kurz hatte er letzte Nacht eventuell ein Fünkchen davon erhaschen können. Da er keine Nachrichtenartikel fand, vermutete er, dass ihr Name anonymisiert wurde. Damit ging er wieder zur Suchmaschine zurück und gab die Stichworte „Mutter Tochter zwei Monate zu Hause gefangen“ ein, worauf direkt ein aktueller Artikel aus Osaka erschien. Mit einem Klick las er ihn.   /Zwei Monate Hölle - Mutter und Tochter wochenlang gefangen gehalten/ OSAKA – Für zwei Monate hielt ein 40-jähriger Mann seine ehemalige Lebensgefährtin (37 Jahre) und ihre Tochter (17 Jahre) in deren eigenen zu Hause gefangen, nachdem er bei ihnen einbrach. Dort wurden sie auf täglicher Basis gefoltert und sexuell missbraucht. Ein Nachbar, der begann Verdacht zu schöpfen, hatte schließlich die Polizei alarmiert. Diese nahmen den Mann fest, fanden die Mutter ermordet im Wohnzimmer sowie das junge Mädchen gefesselt und geknebelt im Ankleidezimmer eingesperrt vor. Sie stand unter Schock, war vollkommen abgemagert, erlitt zahlreiche Knochenbrüche und Risswunden und wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht. Angeblich soll der mutmaßliche Täter psychisch krank sein, laut seines Verteidigers. Eine psychiatrische Beurteilung steht vor dem Gerichtsverfahren bevor-…   Chiaki hörte auf zu lesen und schaltete den Computer wieder aus. Die Geschichte passte zur Maron’s groben Geständnis von letzter Nacht. Keine Zweifel. Zum einen war er enttäuscht darüber, dass er nicht mehr Infos über den Vorfall fand, als er erhofft hatte. Zum anderen war er erleichtert zu erfahren, dass der Täter sich in Haft befand. Sonst wäre ich persönlich nach Osaka geflogen, hätte diese Mistgeburt aufgesucht, eigenhändig kastriert und umgebracht. Psychisch krank… am Arsch…!, dachte er sich bissig. Letztendlich konnte wohl nur Maron seine Neugier stillen. Schwer seufzend stand Chiaki auf und wollte zu seinem Balkon raus gehen, um zu rauchen, als ihn plötzlich ein schwindelndes Gefühl überkam. Abrupt blieb er mitten im Raum stehen, schwankte sogar etwas. Verdammt! Der Schlafentzug erreichte allmählich seine kritische Phase. Aus Erfahrung wusste Chiaki, wenn er jetzt nicht sofort ein bisschen Schlaf bekam, würden die Symptome sich verschlimmern. Da er keinen Bedarf verspürte anzufangen zu halluzinieren, holte er sein Handy und stellte den Wecker auf zwei Stunden ein. Er konnte sich nicht mal erinnern sich hingelegt zu haben, denn nach zwei Stunden riss der laute Klingelton seines Weckers ihn aus dem Albtraum, den er hatte. Schweißgebadet und schwer atmend schoss er hoch, saß senkrecht auf dem Bett. Mit zitternden Händen schaltete Chiaki den Wecker aus. Es dauerte eine Weile bis er sich einigermaßen beruhigt hatte. Dennoch rührte er keinen Muskel, saß zitternd im Bett. Tränen rannten ihm unkontrolliert das Gesicht herunter. Er hasste es. Und er hasste sich.   Am späten Abend kam Kaiki von seiner Konferenz nach Hause. Da das Haus auffällig sauber war, würde er auch keinen Verdacht von der Party schöpfen. (Zumindest konnte Shinji nur hoffen, dass er nicht irgendwelche Kondome in Mülleimern vergessen oder übersehen hatte.) Chiaki winkte Kaiki flüchtig zur Begrüßung zu, als er ihm auf dem Weg zur Küche entgegenlief. Dort machte er sich ein Sandwich und aß es allein in sein Zimmer. Nach dem Essen sah er mit einem nachdenklich Blick auf die Uhr. Er würde wie gestern um Mitternacht losgehen. Allerdings müsste er sich womöglich aus dem Balkon rausschleichen, damit Kaiki nichts mitbekam, denn dessen Büro und Schlafzimmer befand sich im Stockwerk unter ihm und oftmals waren die Türen offen. Ebenso hatte Chiaki darüber nachgedacht sein Skizzenbuch oder für Maron ein Buch zum Lesen mitzubringen, aber da es dafür zu dunkel sein wird, ließ er es sein. Punkt zwölf Uhr ging er aus dem Balkon, schwang sich über das Geländer und manövrierte sich zum riesigen Pflanzengitter an der Wand. Von da kletterte er vorsichtig herunter und sprang nahezu geräuschlos auf dem weichen Gras ab. Erstaunt darüber, dass er diesen Stunt soeben in seinem trägen Zustand problemlos gemeistert hatte, lief Chiaki zufrieden grinsend zu den Picknickbänken. Wie letzte Nacht saß Maron wartend auf der Bank. Anders als die anderen Male trug sie keine Kapuze über den Kopf, weshalb ihre langen, braunen Haare offen zum Vorschein kamen. Sie drehte sich zu ihn um, als sie merkte, dass er näherkam. Ein kleines Lächeln war auf ihrem Gesicht, welches er erwiderte. „Das war sehr waghalsig von dir. Und kriminell“, sagte Maron schmunzelnd, als Chiaki an seinem Ende der Bank Platz nahm. Er brauchte einen Augenblick, um zu verstehen was sie meinte. „Oh“, kam es von ihm überrascht, „Das hast du vorhin gesehen?“, fragte er grinsend. Sie nickte, worauf er unbekümmert abwinkte. „Ist mein Haus aus der ich mich hinausschleiche. Da ist nichts kriminell.“ Augenrollend legte Maron eine Kekstüte auf dem Tisch ab. Chiaki’s Grinsen wurde breiter. Anders als letzte Nacht, zögerte er nicht, griff rein und holte sich ein Keks heraus. Er nahm einen Bissen und erkannte sofort, dass es Schokokekse waren. Die besten Schokokekse, die er in seinen siebzehn Jahren hatte. „Habe ich dir zu viel versprochen?“, hörte er Maron in einem selbstgefälligen Ton sagen. „Mhmm“, kam es von ihm zufrieden. Leicht grinsend nahm sie sich selbst ein Keks heraus und aß ihn. „Es ist ein älteres Rezept, was ich besitze“, merkte sie an, „Gehört aber zu meinen Besten.“ Er nickte kauend. Für einige Minuten saßen beide schweigend da und aßen ihre Kekse. Es regnete zwar nicht, dennoch war die Luft neblig feucht und eisig kalt. Was allerdings eine gute Sache war. Eine leichte Brise wehte vorbei und Chiaki konnte den blumigen, zitronenartigen Duft von Maron wahrnehmen, gemischt mit dem angenehmen Keksgeruch. Sehr feminin. Nach einer langen Weile durchbrach Maron’s sanfte Stimme die Stille zwischen ihnen: „Ich bin heute eingeschlafen.“ Sie klang niedergeschlagen, als sie das sagte. Du also auch?, dachte Chiaki sich. Er drehte sich zu ihr und sah, dass Maron den Kopf gesenkt hatte, ihre glatten Haare verdeckten, wie ein Vorhang, ihr Gesicht. Er konnte sehen, wie ihre Hände sich krampfhaft an der Bank festhielten. „Ja…Ich auch“, erwiderte Chiaki tonlos. „Für wie lange?“ Wie gestern positionierte er sich rittlings auf der Bank, den rechten Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt. Interessiert und teilweise besorgt blickte er Maron an. Sie zuckte mit den Schultern. „Drei Stunden vielleicht. Ich war alleine zu Hause, saß auf der Couch und bin vor dem Fernseher eingeschlafen“, erklärte sie und seufzte reuemütig. „Dabei hätte ich besser wissen sollen…“ Kurz nahm sie tief Luft. „Ich wachte von diesem Traum auf...“ Ihre Stimme wurde leiser und gab nach. Sie drehte ihren Kopf zu ihm um. Chiaki konnte sehen, dass ihre Augen nicht so müde aussah wie gestern, auch wenn die dunklen Schatten unter ihnen immer noch deutlich zu erkennen waren. Maron presste sich die Lippen zusammen, blickte sich überall um, bevor ihre Blicke auf seine trafen. Sie lehnte sich etwas zu ihm rüber und sprach flüsternd weiter. „Ich war wieder in meinem Zimmer…“ Chiaki lehnte sich etwas zu ihr nach vorne, um sie besser hören zu können. „In meinem alten Haus.“ Wieder schaute Maron sich wie paranoid überall um. Eine nervöse Angewohnheit, wie er feststellte. Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass dieser Noyn nicht kommen würde, dass sie hier sicher war. Zumindest in der Realität.  „Es war eines der ersten Nächte, in der alles anfing…“, sprach sie weiter, „Er wartete in meinem Ankleidezimmer… versteckte sich dort, als ich zu Bett ging.“ Sie hielt inne, ein widerwilliger Ausdruck war auf ihrem Gesicht. Chiaki wusste, dass er ihr sagen sollte, dass sie ihm nicht alles erzählen musste, doch stattdessen ermutigte er sie mit einem Nicken dazu weiterzureden. Es war selbstsüchtig von ihm, das war ihm bewusst, aber er war viel zu neugierig. Er wollte mehr wissen. Maron drehte sich vollständig zu ihm um, setzte ihre Füße auf der Bank ab und legte ihre Arme um ihre Beine, zog ihre Knie zu ihrer Brust an. „Er kam raus, als er davon ausging, dass ich am Schlafen war… war ich aber nicht. Ich sah die Tür einen Spalt offen… aber irgendwie... war ich zu erstarrt… Ich konnte nicht schreien oder irgendwas tun. Alles was ich tun konnte, war es geschehen zu lassen.“ Sie blinzelte einige Male stark, die Knöchel ihrer Hände wurden weißer. „Er... hatte mich angefasst, mich angegriffen, während ich noch im Bett lag … und das nächste was ich wusste war, dass ich blutete und im Ankleidezimmer gefesselt war.“ Automatisch dachte Chiaki an den Artikel zurück. Maron legte ihr Kinn auf den Knien ab, wirkte in Gedanken versunken. „Es sind die kleinen Dinge, die sich für immer in dein Gedächtnis einbrennen, nicht? Wie die Art und Weise, der Geruch von Blut mir Übelkeit verursacht... oder das Gefühl, wenn ich mich übergeben wollte, aber wegen dem Knebel daran erstickte... weißt du.“ Für einen Augenblick sah sie aus, als wurde ihr schlecht und dass sie sich wirklich übergeben musste. Nach einigen Sekunden schüttelte Maron den Kopf und blickte ihm in die Augen. „Das war mein Traum. Zum einen war es gut, dass ich alleine zu Hause war... zum anderen war es... furchtbar.“ Chiaki war für einen Moment sprachlos, verarbeitete das Erzählte. Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. Von ihr - gefesselt im Ankleidezimmer. Von Blut. Von ihrem persönlichen Höllenerlebnis. Er verstand, was sie meinte, bezüglich den kleinen Dingen, die sich ins Gedächtnis einbrannten. Maron’s Geschichte war ohne Zweifel in tausend Facetten einfach nur schrecklich und abgefuckt. Teilweise war Chiaki froh, dass er nicht der einzige war mit einer abgefuckten Hintergrundgeschichte. Allerdings fand er, dass Maron in gewisser Weise besser mit ihrer umging, als er mit seiner. Dafür, dass sie erst seit so kurzer Zeit dieses schlaflose Leben führte. Chiaki hingegen machte es schon fast sein ganzes Leben lang. Sie war stark… das musste er anerkennen. „Sorry.“ Maron’s leise Stimme riss ihn aus den Gedanken. Er warf ihr einen etwas genervten Blick zu. Gerade wollte er sie dafür anmeckern, dass sie sich wieder entschuldigte, als er allerdings ihr trauriges Gesicht sah. Kurz räusperte Chiaki sich. „Wofür entschuldigst du dich jetzt?“, fragte er so sachte wie er konnte. Sie strich sich beschämt durch die Haare, setzte sich wieder ordentlich auf der Bank hin, „Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belasten. Hätte ich nicht tun sollen“, sagte sie, verstand sein nachdenkliches Schweigen dabei komplett falsch. Chiaki seufzte. „Sei nicht dumm, Maron.“ Er griff nach der Tüte auf dem Tisch und holte sich ein Keks heraus. „Solange du mir Kekse bringst, kannst du mich mit allem belasten“, grinste er Maron an. Er konnte nicht zulassen, dass sie sich schlecht fühlte, wenn sie ihm ihre Träume offenbarte. Immerhin wollte er auch über sie wissen. Skeptisch runzelte Maron die Stirn. „Das sagst du nur so…“, entgegnete sie nuschelnd. Erneut musste er seufzen. Okay… dann wollen wir mal. Für einige Sekunden rang er mit sich selbst. „Würdest du dich besser fühlen, wenn ich dir von meinem Traum heute erzähle?“, fragte Chiaki schließlich mit einem aufgesetzen Lächeln. Etwas überrascht weiteten sich Maron’s Augen. Pure Neugier breitete sich in ihrem Blick aus und sie nickte. *** „Ich erzähle dir von meinen, wenn du mir von deinen erzählst“, hatte er gestern gesagt. Es war nur fair, dass Chiaki ihr von seinem Traum erzählte, wie sie ihm ihren. Dies ließ Maron auch weniger wie ein Freak fühlen. Resigniert strich Chiaki sich durch die Haare, blickte überall hin, bloß nicht in ihre Augen. „Ich war in meinem Zimmer und fing an mich schwindlig zu fühlen“, fing er an und ihre Blicke trafen sich. Maron nickte verstehend. Sie wusste aus eigener Erfahrung sofort, wovon er sprach. „Nun, ich legte mich für ein Schläfchen hin… nur für so lange, damit’s ertragbar ist. Verstehst du?“ Wieder nickte sie. Ja, ich verstehe dich voll und ganz… nun komm zum Punkt, dachte Maron sich etwas ungeduldig, wartete gespannt darauf, dass Chiaki ihr endlich von seinem Traum erzählte. Sie sah, wie nervös er wirkte, beobachtete wie er in seine Jackentaschen griff, Zigarette herausholte und begann zu rauchen. Es schien ihn zu entspannen. Welch Ironie…, ging es ihr durch den Kopf, als sie daran dachte, dass Rauchen ihm die Anspannung zu seinen Albträumen nahm. Albträume, die mit hoher Wahrscheinlichkeit was mit Feuer zu tun hatten. „Ich habe von meiner Mutter geträumt“, sagte Chiaki plötzlich in einem leisen Wispern. Ihre Augen weiteten sich etwas. Das hatte Maron nicht erwartet. „Es war die Nacht, nach der Beerdigung von meinem Stiefvater und ich war vollkommen allein.“ Er stoppte sich, bließ für einen Moment seinen Rauch aus und sah sie mit einem leicht verlegenen Ausdruck im Gesicht an. „Weißt du, meine Mutter hatte mir früher jede Nacht ein Schlaflied gesungen beziehungsweise gesummt. Dieses eine Lied…“ Als Chiaki ihr den Titel nannte, hatte Maron sofort die Melodie in ihrem Kopf. In der Grundschule hatte sie es im Chor gesungen und es war damals eines ihrer Lieblingslieder gewesen. Sie verkniff es sich auf der Stelle los zu singen oder zu summen. Chiaki schüttelte seufzend mit den Kopf. Maron gab ihn mit einem ermutigenden Nicken zu verstehen, dass er weitersprechen soll. Wie er es bei ihr getan hatte. „Wie auch immer, sie war in der Nacht nicht da…“ Er blickte auf den Holztisch runter und rauchte gedankenverloren seine Zigarette. „Und ich konnte ohne das Lied nicht einschlafen, weshalb ich sie suchen gegangen bin.“ Seine Schultern zogen sich etwas hoch. „Sie war in der Küche…am Trinken. Sehr viel sogar. War dann auch ziemlich betrunken.“ Maron sah, wie er sich wieder zu ihr wandte und einen weiteren langen Zug von der Zigarette nahm. „Sie hatte geweint, wollte mich nicht ansehen… Hatte gesagt, dass ich verschwinden soll. Dass sie mich nicht mehr bräuchte…“ Den letzten Satz flüsterte Chiaki so leise, dass sie ihn kaum noch hören konnte. „Sie war so wütend und hatte-…“ Er brach seufzend ab und schmiss im nächsten Augenblick die abgeglühte Zigarette weg. Mit einem Achselzucken, gab er ihr zu verstehen, dass dieses Gespräch für ihn hiermit beendet war und holte sich einen weiteren Keks heraus. Dabei wagte er es nicht, ihr in die Augen zu blicken. Ihr Herz brach ein wenig vor Mitleid. Wie kann eine Mutter nur so grausam sein?, ging es Maron fassungslos durch den Kopf. Von dem, was er ihr erzählte, fragte sie sich, ob seine Mutter auch schon mal Hand gegen ihn erhoben hatte. Bei der Vorstellung, wurde sie noch wütender gegenüber diese Frau, als sie schon war. Ihrer Meinung nach, hatte sie als Mutter vollkommen versagt. Trauer konnte einen verändern, besonders wenn der Verlust einer besonderen Person involviert ist, dass wusste Maron nur zu gut. Doch das war noch lange kein Grund sich von seinem eigenen Kind abzuschotten, es zu meiden oder so mit ihm umzugehen. Schließlich hatte nicht nur sie jemanden verloren, sondern auch er. Maron wollte ihm so viel sagen. „Tut mir leid, dass du sowas durchleben musstest.“ „Deine Mutter eine furchtbarer Mensch.“ „Wie kann sie nur so herzlos sein?“ Doch sie ließ es sein, wohlwissend dass dies ihn nur aufregen würde. Stattdessen nickte sie ihn mit einem sanften Lächeln nur an, auch wenn er nicht schaute und nahm sich einen Keks.   Die nächsten Stunden sagte keiner von beiden ein Wort. Saßen schweigend auf der Bank, starrten in den dunklen, nebligen Fluss hinaus und aßen ihren Mitternachtsnack. Es war eine angenehme Stille zwischen ihnen. Überhaupt die Zeit mit Chiaki zu verbringen, gab Maron ein seltsames Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Sie dachte viel über seine Geschichte und seinen Traum nach. Sie war sich sicher, dass er dasselbe auch bei ihr tat. Nach sechs Stunden, brach die Sonne allmählich durch die Wolken durch. Mit einem bedauernden Seufzen durchbrach Maron wiedermals die Stille. „Ich muss mich für die Schule fertig machen“, sagte sie lustlos. Chiaki drehte sich zu ihr, sein Gesicht spiegelte dieselbe Lustlosigkeit wider. „Hmm. Schule…“, murmelte er nickend. Nachdem beide aufgestanden sind, streckte Maron sich etwas und Chiaki packte seine Zigaretten und sein Feuerzeug in die Taschen ein. Mit einem kleinen Lächeln verabschiedete sie sich von ihm und beide liefen zu ihren Häusern zurück. Auf ihrem Rückweg musste Maron unwillkürlich an das Schlaflied denken, was Chiaki erwähnt hatte. Leise sang sie es vor sich hin, bis sie zu Hause ankam.   Cast away your worries, my dear For tomorrow comes a new day Hold to me, you've nothing to fear For your dreams are not far away   As you lay your head and you rest May your dreams take over my love Listen close, my son of the west For your destiny lies above   Though the world is cruel There's a light that still shines In the darkest days of our lives   When all hope seems lost And you can't find your way Think of me as you look to the sky   Child mine, your future is bright For your father's blood's in your veins In dark times, I pray you will fight For the world will soon know your name   ---------------------------------------------   Das Lied ist Inuyasha’s Lullaby gesungen von Lizz Robinett. https://www.youtube.com/watch?v=sQVEVmHRygI Alternativ habe ich auch diese Cover im Kopf https://www.youtube.com/watch?v=wfTy2WLYW-I (welche Stimme auch immer am besten zu Maron passt~) Eine kleine Überraschung für Inuyasha-Fans schätze ich mal xD   Danke fürs Lesen und bis zum nächsten Kapitel! SEVEN ----- SEVEN   Fast hätte Maron vergessen, dass Chiaki in dieselbe Schule ging, wie sie, was bedeuten würde, dass sie ihn auch tagsüber sehen würde. Ein Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht, als sie sich im Spiegel betrachtete und die Zähne putzte. Miyako war diesen Morgen ungewöhnlich still, wahrscheinlich war sie immer noch enttäuscht über Yamato’s Abwesenheit auf der Party am Freitag. Die Fahrt lief ereignislos ab bis sie am Schulgelände ankamen und Miyako Yamato entdeckte, der ein paar Parkplätze weiter aus einem schwarzen BMW ausstieg. Das ist er also… Maron musterte den braunhaarigen Jungen flüchtig. Optisch sah er nicht schlecht aus. Sie konnte verstehen, wieso Miyako hin und weg von ihm war. Diese versuchte cool und desinteressiert zu wirken, was ihr wenig gelang. Dann sah Maron Chiaki aus dem der Fahrerseite aussteigen. Ihr Herz machte einen kurzen Sprung. Bei Tageslicht sah er noch besser aus als bei Nacht. Die Haare auf seiner eigenen Art und Weise zerzaust, die Tasche lässig über einer Schulter hängend. Anders als sie ihn sonst kannte, trug er die grüne Schuluniform der Momokuri High, darüber der passende Mantel. Dies stand ihm genauso gut wie seine Lederjacke. Nun war Maron es, die versuchte desinteressiert zu wirken, was ihr wahrscheinlich besser gelang als Miyako. Die beiden Mädchen stiegen aus dem Wagen aus und liefen einige Meter hinter den Jungs hinterher. Wie erwartet, spürte die Braunhaarige all die Blicke ihrer Mitschüler auf sich. Lass die nicht an dich ran, ging es ihr angespannt durch den Kopf. Sie atmete tief durch, setzte sich ihre Maske auf und steuerte aufs Schulgebäude zu, ließ sich von allem nichts anmerken. Auf dem Weg zum Klassenzimmer fragte Maron sich, ob es okay war Chiaki in der Schule anzusprechen, mit ihm zu reden und ob er überhaupt damit einverstanden wäre. Im Klassenzimmer angekommen, bekam sie ihre Antwort. Er saß schon auf seinem Platz und Maron realisierte, dass er ihr Tischnachbar war, der die ganze letzte Woche über gefehlt hatte. Sie warf ihm ein kleines Lächeln zu, als sie sich hinsetzte und ihre Blicke sich trafen. Ist das okay?, fragte sie ihn stumm. Seine Augen verengten sich leicht, ehe er seinen Blick bestimmt von ihr abwandte. Maron zog ihre Brauen zusammen, sah ihn finster an. Ernsthaft?!, dachte sie sich beleidigt. Enttäuscht und verletzt drehte sie sich um, sah murrend zur Tafel. Gab er ihr wirklich die kalte Schulter! Aber na gut – wenn sie ehrlich mit sich war, dann hatte sie es irgendwo auch erwartet. Schließlich war sie offiziell der Freak der Schule und er würde sich offensichtlich nicht mit ihr zeigen lassen wollen. Die Unterrichtsstunden zogen sich hin und waren für Maron schwer zu ertragen. Zum einen, weil alle in der Klasse sie anstarrten, als träge sie eine tickende Bombe mit sich rum (warteten wahrscheinlich auch gespannt auf den nächsten potenziellen Ausraster von ihr). Und zum anderen, weil ihr Nachbar im Vergleich zu seinen Mitschülern sie komplett ignorierte. Als es zur Mittagspause klingelte, war Maron als Erste von ihrem Platz aufgesprungen und ging, ohne sich zu Chiaki umzudrehen, zur Cafeteria. Dort saßen Miyako, Natsuki und Shinji schon an ihrem Stammtisch. Maron setzte sich hin, holte ihr Mittagessen sowie ihr Buch aus der Tasche und blendete wie üblich alles um sich herum aus. Sie zwang sich somit auch nicht nach Chiaki umzusehen, wo er in der Mittagspause sitzen würde – falls er sie in der Cafeteria verbrachte. Als Maron wieder ins Klassenzimmer zurückkehrte, fand sie wieder Chiaki auf seinem Platz vor. Innerlich musste sie entnervt aufseufzen. Sie konnte es kaum erwarten, wenn der Tag vorbei war. Neben ihm zu sitzen war reinste Tortur. Sie konnte seinen vertrauten Geruch von Zigaretten und Minze wahrnehmen, was ihr ein flaues Gefühl in die Bauchgegend verursachte. Es war sehr irritierend. Unauffällig blickte sie durch ihre Haare zu ihm rüber und sah, dass Chiaki stur nach vorne zur Tafel schaute. Sein Verhalten nervte Maron so sehr, sie konnte sich noch keinen Moment über Hijiri’s zerschrammte Nase amüsieren! Letztendlich ging auch die letzte Unterrichtsstunde zu Ende und diesmal war Chiaki schneller auf den Beinen, als ihr müdes Gehirn es wahrnehmen konnte. Kannst es wohl kaum erwarten von mir wegzukommen, ging es Maron zynisch durch den Kopf, während sie langsam ihre Sachen einpackte und sich nach allen anderen als Letzte aus dem Raum begab. Und da das Universum sie wohl hasste, wartete noch Hijiri vor der Tür auf sie. Sie hielt ihren Kopf gesenkt, lief bewusst an ihn vorbei und tat so, als hätte sie ihn nicht gesehen. „Hey, Maron“, hört sie ihn hinter sich rufen. Ohne dass die Angesprochene es wirklich wollte, blieb sie stehen, schauderte und drehte sich langsam zu ihm um. Verdammt, bleib nicht stehen und geh weiter!, schrie sie in ihrem Inneren. Doch ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen. Er war zehn komfortable Schritte von ihr entfernt. Zu mindestens komfortabel für sie. Nicht für ihn. Hijiri kam auf sie zu. Sofort beschleunigte sich ihre Atmung. Adrenalin schoss durch ihre Venen, Maron begann zu zittern. Sie wollte wegrennen, schreien, Hijiri sagen, dass er sie zum Teufel nochmal in Ruhe lassen sollte. Doch sie war völlig erstarrt, als er bei ihr war und eine Hand auf ihre Schulter legte. Hörbar schnappte sie nach Luft. Sofort blitzten Bilder vor ihrem inneren Auge auf, fluteten förmlich auf sie ein. Bilder von Noyn und wie er sie fest an der Schulter packte und gegen die Wand warf. Wie er an ihren Haaren zog und ihr ins Gesicht schlug. Wie er ihr etwas zuflüsterte und seine kalte, feuchte Zunge ihre Wange entlang lief-… „FASS MICH NICHT AN!“ Kreischend schlug Maron Hijiri’s Hand von ihrer Schulter. Sie ging einige Schritte zurück, traf mit dem Rücken an der Wand an, keuchte, bebte und zitterte am ganzen Leib. Tränen liefen ihr unkontrolliert das Gesicht herunter. Es war vollkommen still um sie herum, jeder im Korridor starrte sie entgeistert an. Ihre Atmung ging gehetzt und unregelmäßig. In ihren Ohren rauschte es, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, schwarze Flecke bildeten sich vor ihren Augen, ihre Hände ballten sich so fest zu Fäusten, eventuell schnitten sich ihre Fingernägel in ihre Haut rein. Hijiri’s amüsiertes Kichern durchbrach die Stille im Gang, lächelte ihr zu und verschwand mit einem Winken schließlich. Entsetzt und fassungslos starrte Maron dem Kerl hinterher. Gefiel ihm ihr Leid?! In dem Moment setzten alle anderen ihre Aktivitäten wieder fort, doch das Getuschel und Geflüster war auf einmal noch ausgeprägter als vorher. Maron löste sich von ihrer Starre, senkte beschämt den Kopf und rannte zur nächstgelegenen Toilette. Sie hatte das Gefühl, als würden all die Blicke sie erdrücken, ihr dem Atem wegnehmen und sie ersticken. In der Toilette schloss sie sich in einer Kabine ein. Dort blieb sie für eine Weile, weinte still bittere Tränen. *** Chiaki lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Seit er sich heute Morgen bei den Picknickbänken von Maron verabschiedet hatte, war er besorgt darüber gewesen, sie in der Öffentlichkeit zu sehen. Er war sich nicht sicher gewesen, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. In dem Moment, als Yamato heute in sein Auto einstieg, hätte Chiaki ihm fast von ihr und ihren nächtlichen Treffen und Gesprächen erzählt. Doch etwas in seinem Inneren hielt ihn davon ab. Letztlich hatte er seinen Beifahrer stattdessen gefragt, wie dessen Wochenende war. Etwas in seinen Kopf wollte, dass er diese gemeinsame Sache mit Maron für sich behielt. Chiaki war sich nicht sicher, wie Yamato reagiert hätte, aber so abfällig wie er über Maron letztens geredet hatte, gab ihn zu denken. Dieses Bedürfnis, diese Ereignisse mit jemand Drittes, Außenstehendes zu teilen, war ihm schließlich doch zuwider. Genauso wenig wollte er Maron mit jemandem teilen. Er wollte, dass die ganze Sache zwischen ihm und ihr blieb. Und niemand sollte sich zwischen ihnen stellen. Nicht mal Chiaki selbst. Gelegentlich erwischte er sich selbst dabei, wie er seinen Blick nicht von ihr abwenden konnte, wenn sie beispielsweise rot wurde oder sich verlegen auf die Lippen biss. Doch in solchen Momenten gab er sich eine innere Ohrfeige. Auf keinen Fall wollte er diese Sache -diese Freundschaft- zwischen ihm und ihr wegen irgendwelchen Teenager-Hormonen ruinieren. Maron war allerdings mehr, als er es irgendwie beschreiben konnte. Wie eine Art verwandte Seele… Er hatte ihr schließlich Sachen offenbart, die niemand anderes von ihm wusste. Und er wollte diese freundschaftliche Verbindung zwischen ihnen, insbesondere diesen Komfort, mit allen Mitteln beibehalten. Weshalb er sich dafür entschied darüber zu schweigen. Maron war sein Mädchen. Nicht auf eine besitzergreifende oder romantische Art und Weise… eher wie sein Geheimnis. Sie war sein Geheimnis. Und wie Geheimnisse so sind, dürfen sie auf keinem Fall Preis gegeben werden. Bei diesen Gedanken musste Chiaki seufzen. Als er Maron in die Klasse kommen sah und ihn anlächelte, hatte er fast Panik bekommen. Panik darüber, dass alle ihr Geheimnis in dem Augenblick herausfinden würden. Schließlich waren alle Augen auf sie fixiert gewesen, das hatte er bemerkt. Sie ließ sich von den Blicken nicht beirren, trug über den Tag diese ausdruckslose Maske, durch die sie sich nichts anmerken ließ. Chiaki selbst wusste nicht, wie er mit so viel Aufmerksamkeit zurechtkommen würde. Aus den Gründen hatte er sich Maron gegenüber kalt verhalten. Zugegeben, vielleicht hatte er überreagiert und damit ihre Gefühle verletzt. Ihm entging dieses kleinen, verärgerte Funkeln in ihren Augen nicht. Er hoffte, dass sie nicht allzu wütend auf ihn war und dass sie ihm verzeihen würde, wenn er sich erklärte. *** Es war kurz vor Mitternacht und Maron stand mit einer vollen Kekstüte auf dem Tresen in der Küche, den Blick immer wieder zur Hintertür zu ihrer Rechten gerichtet, nicht wissend was sie tun sollte. Nervös zupfte sie sich die Haut von den Lippen. Sie hatte zwei Optionen. Option A: zu Hause bleiben. Wozu sich nachts mit ihm treffen, wenn er sie Tagsüber eiskalt ignorierte? Allerdings war ihr Kopf hin und her gerissen über die Möglichkeit, ob Chiaki ihre Anwesenheit überhaupt mitbekommen würde. Ob er nach dem heutigen Schultag überhaupt wiederkommen würde, um dies in Erfahrung zu bringen. Von ihrem Sitz aus konnte sie sein Fenster sehen. Das Licht brannte die ganze Zeit. Im nächsten Moment erlosch es jedoch. Sie krauste die Stirn. Er war jetzt also draußen. Er kam also wieder! Wild schüttelte sie mit dem Kopf. Er hat sich trotzdem wie ein Arsch verhalten! Bleib besser zu Hause, dachte Maron sich bitter. Option B war zu gehen. Nach draußen gehen und sich ihm stellen. Und Maron wusste, dass dieses kleine, schiefe Lächeln von ihm, ihren Ärger ihm gegenüber vergessen lassen würde. Es wäre naiv und dumm den Schritt zur Hintertür zu nehmen und die Klinke zu betätigen. Den ganzen Nachmittag und Abend war sie sauer auf Chiaki gewesen. Gleichzeitig war sie aber irgendwie auch nicht sauer auf ihn (?). Es war einfach nur irritierend! Sie wollte wissen, wieso er sie so verletzen musste. Bei jeder anderen Person in dieser Stadt wäre Maron glücklich gewesen, wenn man sie mied. Bei jeder anderen Person in dieser Stadt wäre ihr es auch vollkommen egal und gleichgültig gewesen. Bei jeder anderen Person in dieser Stadt – bis auf Chiaki Nagoya! Maron erdolchte mit ihrem Blick nahezu die Hintertür, hoffte dabei, dass diese Blicke ihn erreichen würden. Die schlauste Option wäre A. Zu Hause in der warmen Küche zu bleiben, ein Ort, in der sie sich sicher fühlte. Das wäre die Option, die charakteristisch zu ihr passen würde. Immer die sicherste Route nehmen. Option B wäre für Maron raus zu gehen und sich selbst einzugestehen, dass Chiaki irgendeine große Macht auf sie zu haben schien. Das wäre erbärmlich. Frustriert stieß sie einen genervten Laut zwischen den Zähnen aus, raufte sich die Haare. Verdammt seist du, Chiaki Nagoya…!, fluchte Maron innerlich, als sie die Hintertür auf machte und rausging.   Die Nacht heute war kälter als sonst. Maron fröstelte etwas, als sie mit gesenktem Kopf auf die Picknickbänke zusteuerte. Gedanklich sprach sie immer wieder auf sich ein, dass es okay war zu kommen und dass sie Chiaki deutlich die Meinung sagen würde. Dass sie ihn dazu bringen würde sich bei ihr zu entschuldigen. Dies war noch bevor sie ihn sah. Er saß auf dem Tisch, die Füße auf der Bank gelegt und das Gesicht betreten nach unten gerichtet. Jegliche Wut in Maron war mit einem Mal verebbt und mit Sorge um ihn ersetzt. Gott, werd' nicht gleich weich…, schimpfte sie mit sich selbst, Was auch immer ihn leiden lässt, er hats irgendwo verdient. Als Chiaki bemerkte, dass sie sich ihm näherte, sah er auf. Er sah müder aus, als die Nacht vorher und wirkte besorgt. Frustration und Irritation stieg ein weiteres Mal in ihr hoch. Dieser Typ wechselte seine Stimmungen, wie andere ihrer Unterwäsche! Chiaki hüpfte vom Tisch herunter und strich seine Hände nervös durch die Haare. Er schien sich in irgendeiner Weise schuldig zu fühlen. Gut, dachte Maron sich, versuchte mit aller Kraft wütend zu bleiben. Ließ somit die Kekstüte plump auf dem Tisch fallen, nahm auf ihrem Ende der Bank Platz und verschränkte die Arme vor sich, die Augen stur geradeaus gerichtet. Sie konnte spüren, wie seine Blicke Löcher in ihren Kopf reinstarrten, doch Maron weigerte sich etwas zu sagen oder ihm eines Blickes zu würdigen. „Du bist sauer auf mich, hm?“ Er klang traurig. Sie schnaubte, wollte bewusst nichts sagen. Ihre Stimme würde sonst verraten, wie verletzt sie wirklich war und wie sehr sein Verhalten sie getroffen hatte. Chiaki seufzte tief aus und ließ sich auf seinen Platz auf der Bank nieder. „Ich wollte nicht wie ein Arsch rüberkommen heute. Aber in der Schule geht das hier nicht-“ Er gestikulierte zwischen ihnen hin und her. „Ich würde mit all dieser Aufmerksamkeit nicht klarkommen. Es hat nichts mit dir persönlich zu tun.“ Klar, hat es mit mir persönlich zu tun! Ich bin der Freak der Schule und du willst nicht mit dem Freak gesehen werden. Maron schwieg. Sie hatte sich gedacht, dass dies der Grund war weshalb er sie mied, aber sie hatte immer noch keine Entschuldigung von ihm gehört. Weshalb sie weiter den Fluss anstierte, ihn anschwieg und auf die Entschuldigung wartete, die womöglich nie kommen würde. „Hey, schau mich an“, bat Chiaki sie sanft. Widerwillig schaute Maron zu ihm rüber. Er sah sie mit einem müden und gleichzeitig flehenden Ausdruck im Gesicht an. „Vergibst du mir?“, sprach er in dieser sanften Stimme, die ihr Herz für einen Moment hochschlagen und all ihre Vorsätze zerfallen ließ. Du bist so armselig, Maron, sagte ihre innere Stimme. Ihr war bewusst, dass Chiaki sich immer noch nicht entschuldigt hatte, aber diese Art wie er sie gerade ansah-... Augenrollend seufzte sie leise auf, nickte einmal bejahend und schob ihm stumpf die Kekstüte entgegen. Seine Mundwinkel zogen sich zu diesem schiefen Grinsen hoch, von dem Maron ab und an tagträumte. Armselig..., sprach sie in Gedanken zu sich selbst, während er sich einen Keks rausholte. Seufzend legte sie ihren Kopf in die Arme, das Gesicht zu Chiaki gewandt und schaute ihm beim Essen zu. Vage bekam sie mit, dass er irgendwas über die Kekse sagte, doch ihre Konzentration war zu sehr auf sein Seitenprofil geheftet. Irritiert zwang Maron sich den Blick von ihm abzuwenden und vergrub ihr Gesicht in ihre Arme. „Müde?“, fragte er besorgt. Sie richtete sich aufrecht, um ihn für ein paar lange Sekunden anzusehen. Ein leichter Wind wehte vorbei und spielte mit ein paar Strähnen seiner Haare. Es zuckte in ihren Fingern. Sie hatte plötzlich dieses überwältigende Bedürfnis ihre Finger durch seine Haare zu streichen und ihm die abstehenden Strähnen zu richten. Als ob du ihn berühren kannst, ohne hysterisch zu werden, ermahnte Maron sich selbst. Und selbst wenn... würde Chiaki nichts mit ihr Näheres zu tun haben wollen. Das hatte er ihr heute eindeutig gezeigt. Sie war demnach auch nicht sicher, ob sie Freunde waren. Was auch immer sie in seiner Anwesenheit verspürte, Maron schob das alles in ihrem Kopf beiseite und akzeptierte ihn für das, was er war. Ein freundlicher, allnächtlicher Vertrauter. Mehr nicht. Schließlich sah er in ihr wahrscheinlich auch nur eine Art Genossin, um die Nächte totzuschlagen. Mehr nicht. Auf seine Frage zurückzukommen, schenkte Maron ihm ein halbes Lächeln und zuckte mit den Schultern. „Sind wir nicht immer müde?“, entgegnete sie und nahm sich ein Keks. Chiaki kicherte daraufhin leise und sie lächelte augenrollend in sich hinein. Was auch immer für eine Beziehung sie hier hatten, Maron würde versuchen, dass diese nächtliche halb-Freundschaft (oder was auch immer Chiaki hiermit wollte) funktionierte und aufrecht blieb. Es war ein Give-and-Take Arrangement zwischen ihnen, in der sie beide irgendwie profitieren. Und sie sollte sich nur das nehmen, was sie auch wirklich haben konnte. Nämlich jemand, der ihr in der Nacht das Gefühl von Komfort und Sicherheit gab. Jemand, mit dem sie ihre Probleme teilen konnte und der sie verstand.   Die Zeit verging und Maron und Chiaki knüpften an ein Gespräch über seine Büchersammlung an. Beide schienen dieselben Geschmäcker an Bücher zu haben, was größtenteils in Richtung Fantasy und Dystopien ging. Maron selbst mochte es lieber in fiktionale Fantasiewelten einzutauchen, statt sich mit Geschichten zu beschäftigen, die den dumpfen Alltag widerspiegelten. Dann versuchte er mit ihr über Musik zu reden, doch sie hatte keine Ahnung von was für Künstler und Bands er sprach. „Ich habe keine Ahnung, wer oder was das sind. Und ganz ehrlich - ich höre nur das, was im Radio lauft. Wenn höchstens“, gestand sie. Seine Augen wurden groß und starrten sie entsetzt an. „Nicht dein Ernst, Maron. Wir leben im Zeitalter des Internets und du hörst nur das, was im Radio läuft? Wenn höchstens?! Wie geht das? Den Scheiß, den die da abspielen, kann man sich doch nicht anhören.“ Maron zuckte daraufhin mit den Schultern. „Bisschen Klassik eventuell noch, als ich früher Ballett getanzt habe“, ergänzte sie. Chiaki fasste sich daraufhin die Stirn. „Oh, wow... Da gibt es einiges, was ich dir beibringen muss“, grinste er schelmisch. Sie schmunzelte etwas über seine offensichtliche Leidenschaft für Musik. Die restlichen Stunden verbrachte Chiaki anschließend damit ihr Lektüren über alle möglichen Musikrichtungen zu geben, die er mochte und welche Künstler und Bands er empfehlen würde. Manche hatten solch ungewöhnliche und teils lächerliche Namen, Maron musste amüsiert kichern. Heute Nacht sprachen niemand über ihre Träume oder Vergangenheit, was eine willkommene Abwechslung war. Weshalb Maron ihm auch nichts über dem Vorfall mit Hijiri am Nachmittag erzählte. Sie wollte einfach ein ganz normales Gespräch mit Chiaki genießen, über belanglose Themen, wie Musik und Bücher. Und so wie sie es beurteilen konnte, schien es ihm auch zu gefallen. Als die Sonne aufging, versprach Chiaki, bevor er ging, ihr seine Playlist nächstes Mal zu zeigen. „Bis später, Maron“, schenkte er ihr zum Abschied sein schiefes Grinsen und ging. Seufzend sah Maron ihm verträumt hinterher, die Wangen rosa gefärbt. Irgendwie mochte sie den Klang ihres Namens aus seinem Mund. Oh Gott, was denkst du da…!, stöhnte sie innerlich auf, das Gesicht für einen Moment in ihren Händen vergraben. Für eine Weile beobachtete sie ihn dabei, wie er die Wand zu seinem Balkon hochklettern. Anschließend begab auch sie sich zurück und machte sich für die Schule fertig.   Wie jeden Morgen hatte Maron Frühstück für alle vorbereitet. Und wie jeden Morgen kam ihr Vater als Erster in die Küche, nur schien er es im Vergleich zu sonst nicht eilig zu haben. Stattdessen setzte er sich zu ihrer Überraschung am Tresen hin und bedankte sich fürs Frühstück. „Können wir kurz reden?“, sagte Takumi, als Maron ihm eine Tasse Kaffee hinstellte und sich wieder abwenden wollte. Oh-oh. Reden war nie gut. „Oh…okay?“ Zögernd nahm sie schräg gegenüber von ihm Platz. Takumi sah sie mit einem teils ernsten, teils besorgten Gesichtsausdruck an, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und räusperte sich. „Ich habe gestern einen Anruf von der Schule bekommen“, fing er an zu sagen. Oh, Shit!, ging es ihr panisch durch den Kopf, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. „Man sagte mir, dass du ab und an im Unterricht einschläfst“, sprach er weiter. Maron kniff sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Und…“ Takumi zögerte, fuhr sich eine Hand über den Hinterkopf. „Uhm… dass du gestern sowas wie einen Zusammenbruch im Korridor hattest?“ Na super! Maron senkte ihren Blick, versuchte gefasst und ruhig zu wirken und nahm tief Luft. „Ich bin nur ein-zwei Male eingeschlafen. Manchmal kann der Stoff sehr langweilig sein, da ich ihn schon in Osaka behandelt habe“, erklärte sie sich, „Es wird nie wieder vorkommen, versprochen“, beschwichtigte Maron ihm und sah zu Takumi auf. „Und die Sache im Korridor?“, fragte er leise. Sie konnte ihm ansehen, dass er ahnte, was kommen würde. Ihr Vater hatte schon versucht ihr eine Therapie einzureden, doch sie ließ das Thema unbeachtet. Wozu Geld für sowas ausgeben, wenn es am Ende sowieso nicht funktionierte? Außerdem wollte sie Krankenhäuser und Kliniken gut möglichst umgehen, nachdem sie einen ganzen Monat in einem verbringen musste und schon dort ihr keiner helfen konnte. Maron schnaubte. „Da gibt es diesen Typen in meiner Klasse, der mir auf Pelle rückt“, sagte sie in einem genervten Ton. Takumi’s Züge verhärteten sich und Wut funkelte in seinen Augen. „Wie lautet der Name des Jungen? Soll ich mit der Schulleitung reden? Oder mit seinen Eltern?“, fragte er mit einem ruhigen -beängstigend ruhigen- Ausdruck im Gesicht, die Stimme so scharf wie ein Messer. Maron saß für einen Moment mit halboffenem Mund verblüfft da. Verblüfft darüber, dass ihr Vater sie vor Hijiri beschützen wollte. Solch nette Gesten, war sie nicht gewohnt. „Papa, ist schon okay. Ich komme mit ihm schon klar“, sagte sie und fügte mit einem ehrlichen Lächeln hinzu, „Wenn es nochmal passiert, werde ich es dich wissen lassen.“ Takumi schien sich zu beruhigen. „Maron, du weißt, dass du immer mit mir oder Sakura reden kannst. Egal was ist, ja?“, sprach er mit väterlicher Fürsorge. „Ich weiß, dass keiner von uns beiden Korron ersetzen kann. Aber ich will, dass du mir als Elternteil - als dein Vater, vertraust.“ Bei der Erwähnung von seiner Ex-Frau bekam Takumi einen traurigen zugleich bedauernden Blick in den Augen. Auch wenn ihre Eltern nichts mehr miteinander zu tun hatten, so war auch für ihn der Verlust schwer. Schließlich war Korron Maron’s Mutter gewesen und jemand, den er mal geliebt hatte. Bei Maron hatten sich Tränen angesammelt, die sie sich wegblinzelte. Mit einem weiteren Lächeln nickte sie. Im nächsten Moment kam Sakura. „Nanu…Du bist noch hier? Kommst du nicht zu spät?“, fragte sie, nachdem sie Takumi einen Kuss auf die Wange gab. „Wollte gerade gehen“, entgegnete er mit einem aufgesetzten Lächeln, warf Maron einen letzten Blick zu und war kurz darauf auch schon aus der Haustür verschwunden.   Wie am Montag bei der Heimfahrt, tat Miyako auch jetzt so, als wüsste sie nichts von dem Maron’s Zusammenbruch, unterhielt sich mit ihr fröhlich über Gott und die Welt. Maron kam sich vor, als würden alle um sie herum sie mit Samthandschuhen anfassen. Sie wusste, dass man es tat, weil man sich um sie sorgte. Das wusste Maron auch zu schätzen. Gleichzeitig bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie den anderen extreme Unannehmlichkeiten bereitete. Zumindest glaubte sie da. Bestimmte Themen werden ihretwegen immer vermieden und sie stellte sich das stressig vor. Glücklicherweise, war Miyako nie gestresst und schaffte es problemlos Maron immer wieder in normale, belanglose Konversationen einzubringen, wie beispielsweise über den neusten Schuhtrend oder ihren nächsten Flirtversuch bei Yamato. In solchen Momenten fühlte sich die Braunhaarige fast so normal, wie jeder anderer Teenager. Aber nur fast. Sie seufzte schwer. Im Klassenzimmer angekommen, sah Maron wie Chiaki ihr, wie am Tag zuvor, keine Beachtung schenkte. Kurioserweise starrte er Hijiri die ganze Zeit wütend an. Schien ihn mit seinen Blicken offensichtlich zu töten. Konfus verzog Maron das Gesicht und setzte sich. Gestern hatte er sie und jeden anderen um sich herum ignoriert. Was war heute anders? Die tödlichen Blicke hielten den ganzen Vormittag an und Maron machte sich eine gedankliche Notiz ihn heute Nacht zu fragen, was sein Problem mit Hijiri war. Wenigstens war sie nicht die Einzige, die den Typen abgrundtief hasste. Als die Mittagspause kam, schoss Chiaki von seinem Stuhl hoch, ging vor ihr raus. Kurz darauf verließ Hijiri den Raum. Maron wartete noch ein paar Momente bis sie zu den Letzten gehörte, die sich noch im Zimmer befanden. Dann ging auch sie zur Tür. Draußen im Gang sah sie inmitten der vorbeilaufenden Schüler, wie Chiaki mit Hijiri in Richtung Schulhof lief. Merkwürdig, dachte sie sich. Zuerst starrte er ihn den halben Tag wütend an und jetzt verschwand er mit ihm nach draußen. Sie wurde nicht schlau aus Chiaki. „Maron.“ Miyako’s plötzliche Stimme riss sie aus den Gedanken. Sie drehte sich um und sah, wie Miyako und Natsuki ihr entgegenkamen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte Maron verwundert. Normalerweise trafen sie sich immer in der Cafeteria an ihrem Tisch. Abgesehen davon war Miyako’s Klassenzimmer am anderen Ende des Schulgebäudes. Und wo Natsuki ihr Zimmer hatte, wusste sie nicht. „Wir, eh…“ Miyako warf einen auffällig langen Blick in Maron’s Klassenzimmer rein, wie als würde sie etwas oder jemanden suchen. Es waren noch ein paar Schüler drin. „Ist der nicht da?“, fragte Natsuki hinter ihr flüsternd leise, doch Maron konnte es hören. „Sucht ihr jemand?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. Miyako wandte sich wieder zu ihr. „Oh, eh, ja, dich!“, entgegnete sie überschwänglich. „Wir dachten uns, wir holen dich ab.“ Skeptisch zog Maron die Brauen zusammen. Sie war sich sicher, dass sie nach jemand bestimmten aus ihrer Klasse gesucht haben. „Und was hattest du mit deinem Schwert vor?”, fragte sie an Natsuki gewandt, die ihr Bokutō -ihr Kendoholzschwert- seltsamerweise mithatte. Diese versteckte es hinter ihrem Rücken und winkte unschuldig ab. „Ich laufe immer mit dem Ding rum.“ Es ist das erste Mal, dass ich dich mit dem Ding sehe, merkte Maron in Gedanken an. Es war offensichtlich, dass die beiden irgendwas vorhatten, dies jedoch ins Wasser gefallen war. „Okay, Mädels, dann mal los. Es gibt heute Pizza“, kam es von Miyako in einem freudigen Ton. Gemeinsam begaben sie sich zur Cafeteria. *** Ich bringe den Mistkerl um!, ging es Chiaki wenige Stunden zuvor wutentbrannt durch den Kopf. Die Fahrt über hatte Yamato davon erzählt, was Hijiri gestern mit Maron getan hatte. Was ihn neben der Sache auch aufregte, war die Art und Weise wie Yamato über Maron sprach. Als wäre sie eine Irre, die aus einer Anstalt entkommen sei. „Alter, ich schwöre. Solche Leute, wie die, sind der Grund wieso Schulen irgendwann in den Nachrichten landen und Polizisten das Gelände stürmen.“ Kopfschüttelnd lachte er auf. Chiaki musste sich stark zusammenreißen, um seinen Beifahrer nicht aus dem Auto rauszuschmeißen. Was für ein Recht hatte er, um sowas zu behaupten? Er kannte Maron nicht. Nicht so, wie Chiaki sie kannte. Der Blauhaarige atmete tief durch und versuchte sich mit einer ruhigen Miene auf die Straße zu konzentrieren. Er kennt sie nicht, mahnte er sich immer wieder, bis seine Wut allmählich nachließ. Dennoch konnte er Yamato’s Verhalten nicht so dulden lassen. „Ich denke nicht, dass Toudaiji mit dir reden wollen würde, wenn du so ein Shit über ihre zukünftige Schwester laberst“, sagte Chiaki mit hochgezogener Augenbraue, nutzte bewusst Yamato’s Schwäche für seinen Schwarm aus. Dessen Augen wurden erschrocken groß und sofort blickte er reuevoll aus dem Fenster. Die restliche Fahrt verlief schweigend ab und Chiaki dachte an Maron zurück. Sie hatte ihm für sein arschiges Verhalten verziehen. Trotzdem war letzte Nacht irgendwie anders. Maron verhielt sich komisch, wirkte in vielen Momenten so geistesabwesend. Chiaki hatte schon die Befürchtung, dass er sie mit seinen abgefuckten Geschichten abgeschreckt hatte, wodurch er darauf bedacht war die Stimmung locker zu halten. Mit der Zeit realisierte er auch, wie abhängig er von Maron’s Gesellschaft war. Er genoss sie sichtlich und sie tat ihm irgendwie gut. Und nachdem Yamato ihm von dem aktuellsten Ereignis erzählte, welches als „Schräger, emotionaler Zusammenbruch Nummer Drei“ betitelt wurde, stellte Chiaki überraschender Weise einen weiteren Nebeneffekt fest, welches aus seiner Bindung mit Maron resultierte. Nämlich, dass sie ihm schon so viel bedeutete, dass er sie beschützen wollte. Allein, wie sein bester Freund über sie sprach, hatte ihn sichtlich angepisst und Chiaki hoffte, dass die Bemerkung zu Miyako ihn zukünftig darüber verstummen ließ. Apropos Miyako – er fragte sich, wieso sie Maron nicht half bei solchen Anfällen. Schließlich müsste auch sie von den ganzen Zusammenbrüchen hören und beide sind nahezu sowas wie Schwestern. Wenn er Takumi Kusakabe wäre, würde er es sich zweimal überlegen Sakura Toudaiji zu heiraten, wenn seine zukünftige Stieftochter sich nicht ordentlich um seine eigene Tochter kümmern konnte. Das war zumindest Chiaki’s Meinung.   Kaum hatte er sich auf seinem Platz hingesetzt, spürte er erneut dieses beschützerische Gefühl, als Maron das Klassenzimmer betrat. Ihm fiel auf, wie Hijiri zwei Reihen vor ihnen sie anstarrte - wenn man es nur anstarren nennen konnte. Er zog sie nahezu mit seinen Augen aus, was Chiaki noch wütender machte, als er es schon war. Chiaki blickte ihn finster an, während Maron langsam Platz nahm. Hijiri bemerkte seine Blicke nicht, nur ab und an wandte er sich zur Tafel nach vorne. Doch sobald sich die Gelegenheit ergab, ging das Gelüster weiter los. Der Blauhaarige beschäftigte sich den ganzen Vormittag damit sich zu überlegen, wie er es ihm am besten heimzahlen konnte, für das was er Maron am Montag angetan hatte. Und was er ihr zukünftig antun könnte. Denn es war offensichtlich, dass der Mistkerl keinen Halt machte, selbst wenn man hysterisch und weinend vor ihm stand. Als es zur Mittagspause klingelte, lief Chiaki aus dem Klassenzimmer raus und wartete nicht weit entfernt von der Tür, um sicher zu stellen, dass Hijiri nach ihm rauskam. Was er auch tat. Seine Nase war immer noch geprellt von der Party letzten Freitag. Ein kleiner Trost. Am liebsten wollte Chiaki dessen ganzes Gesicht brechen. Ein paar Mädels sprachen für einen Moment flirtend auf den Rothaarigen ein und verabschiedeten sich anschließend kichernd. Was sie an den Typen fanden? Sobald Hijiri’s Blicke seine trafen, setzte der Blauhaarige eine freundliche Miene auf. „Hey“, sagte Chiaki so gelassen wie möglich. „Hey, was gibt’s, Nagoya?“, kam Hijiri auf ihn zu, hatte offensichtlich den Köder geschluckt. Ein selbstgefälliges Grinsen haftete auf seinem Gesicht und wie arrogant er lief, als würde er denken, er wäre ein Geschenk Gottes. Chiaki verzog innerlich eine Grimasse. „Lust mit mir eine Rauchen zu gehen?“, fragte er, behielt sein künstliches Lächeln bei. „Klar“, stimmte der Rothaarige zu. Chiaki lief paar Schritte voraus, stellte auch sicher, dass niemand sie beide zusammen sah, während Hijiri ihm brav nach draußen folgte. In einem kleinen Waldstück des Schulhofes blieb Chiaki schließlich stehen und drehte sich zu seinem Mitschüler um. „Sag, warum zum Teufel machst du Maron die ganze Zeit an?“, fragte er, die Stimme mit der Wut gezeichnet, die er innerlich auch fühlte. „Maron Kusakabe?“ Hijiri’s Augen wanderten kurz zum Schulgebäude rüber, ehe er amüsiert auflachte. „Alter. Dieses scheue, schüchterne Getue von ihr - das macht gerade den Reiz aus. Und dieser Verrücktheitsaspekt macht es noch spannender-“ Noch bevor Hijiri zu Ende reden konnte, hatte Chiaki ihn schon mit einer Hand am Kragen gepackt und gegen einen Baum gedrückt. Seine Augen wurden erschrocken großen. „Hör gut zu, du Vollpfosten“, sagte Chiaki mit Gift in der Stimme, den Griff fest um den Kragen des anderen. Seine braunen Augen verengten sich, stierten sein Gegenüber zornig an. „Halte dich verflucht nochmal fern von ihr. Wenn du es wagst, sie anzufassen, sie anzusehen oder sogar an sie zu denken, dann findest du dich fünf Meter unter der Erde wieder.“ Chiaki kannte Hijiri gut genug, um zu wissen, dass er Respekt vor ihm hatte. Schließlich gab es letztes Jahr mal einen Vorfall, in der Chiaki dessen besten Freund vor seinen Augen nahezu krankenhausreif geprügelt hatte. Und gerade jetzt sah Hijiri so aus, als würde er sich in die Hose machen müssen. Dabei hatte Chiaki ihn noch nicht mal geschlagen. Allerdings wollte er ihn auch nicht ungeschoren davonkommen lassen, weshalb er mit seiner Faust ihm auf die bereits verletzte Nase schlug. Fest genug, dass es schmerzte, aber nicht so hart, dass sie nochmal gebrochen war. Als Warnung reichte das. Dann ließ er ihn los und Hijiri sackte nach unten, hielt sich beide Hände stöhnend vor das Gesicht. Erbärmlich..., dachte Chiaki sich abfällig und beugte sich zu ihm runter. „Wenn du jemand hier von was erzählst, bist du erledigt. Verstanden?”, sagte er mit beängstigend ruhiger Stimme. Als er sah, wie Hijiri nickte, stand er auf und klopfte sich die Hände an den Klamotten ab. Zufrieden damit, dass der Kerl sein Mädchen nicht nochmal anfassen würde, machte Chiaki auf dem Absatz kehrt und ging.   Mit guter Laune verbrachte Chiaki die restliche Mittagspause in der Cafeteria mit Yamato. „Wo warst du denn?“, fragte der Braunhaarige, als er zu deren gemeinsamen Stammtisch kam. „Hatte nur was zu erledigen“, zuckte Chiaki mit den Schultern. Yamato nahm das ohne weitere Fragen hin und begann im nächsten Moment von Miyako und ihrer Kehrseite zu schwärmen. Schon hörte Chiaki nicht mehr zu und blickte zu dem Tisch rüber an den Maron mit Miyako und den anderen saß. Wie auch am Tag vorher schien sein Mädchen in ein Buch vertieft zu sein, schenkte ihrer Umgebung dabei keine Beachtung. Plötzlich sah sie hoch, schaute sich kurz um bis ihre Blicke seine trafen. Für einige Sekunden sahen sie sich in die Augen, ehe Maron den Blickkontakt abbrach und ohne weiteres sich wieder ihrem Buch widmete. Chiaki konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ihr Stift fiel ihr plötzlich runter, ja? Dann stand sie auf und beugte sich vor mir und meinem Tisch runter und-… Gott, der Anblick den sie mit bot..!“, hörte er Yamato stöhnen. Chiaki rollte seine Augen. Ob Yamato wusste, dass das beabsichtigt war? Zumindest wusste Miyako, wie sie ihre weiblichen Reize einzusetzen hatte. Überhaupt war es amüsant, den beiden bei ihren peinlichen Paarungstanz zuzusehen. Nach wenigen Minuten war die Pause vorbei und der Unterricht ging weiter. Und wie erwartet hatte Hijiri über den Rest des Tages es keinen Moment gewagt sich zu Maron umzudrehen. Gut, dachte Chiaki sich zufrieden grinsend. Die Schule ging zu Ende und die Fahrt nach Hause verlief ereignislos ab, abgesehen von Yamato’s Besessenheit über Miyako’s Hinterteil. Als Chiaki zu Hause ankam, war es ruhig in der Villa, da Shinji noch Training hatte. Auf dem Weg zu seinem Zimmer spürte er, wie erschöpft er eigentlich von dem Tag war. Die Aktion mit Hijiri hatte ihm einen gewissen Adrenalinschub gegeben und jetzt fühlte er sich müder als sonst. Er schwankte etwas auf den Treppen, musste sich daraufhin an der Brüstung festhalten. Mit Mühe schaffte er es die letzten Treppen und Stufen hoch. „Shit“, murmelte er flüsternd, als er in seinem Zimmer ankam und sein Bett sah. Warm, weich und einladend - und drauf und dran seinen guten Tag zu ruinieren, sobald er sich reinlegte. Chiaki stellte sich den Wecker für zwei Stunden. Bitte… nur dieses eine Mal, flehte er im Stillen. Kaum hatte er sich hingelegt, schlossen sich automatisch seine Lider und er driftete in einen tiefen Schlaf ab. Dieses Mal war es das Feuer. Rot, glühend heiß und verbrannte alles, was es berührte. Feuer war etwas was man respektieren und fürchten sollte. Hätte er das nur damals gewusst. Stattdessen saß er zusammengekauert in einer Wohnzimmerecke und schaute den Flammen zu, wie sie sich in Arata’s Fleisch reinfressen. Er selbst war von Feuer umgeben. Die Flammen und der Rauch drohten ihn zu ersticken. Er konnte den Geruch wahrnehmen. Der verdammte Geruch von verbranntem Fleisch. Arata schrie nach ihm. Schrie, dass er wegrennen soll. Doch Chiaki konnte ihn nicht allein lassen. Er saß da und sah mit Schrecken zu, wie sein Stiefvater sich über den brennenden Boden schleppte. Der schreiende Ton seines Weckers weckte ihn schließlich. Er atmete gehetzt, lag nassgeschwitzt im Bett, zitterte am ganzen Körper, Tränen standen ihm in den Augen. Er ließ einen gequälten, frustrierten Schrei in sein Kissen raus, bevor er seinen Wecker ausmachte. Es dauerte diesmal etwas länger bis er sich beruhigen konnte. Er hatte es satt. Immer dieselben Träume mit denselben Ergebnissen. Chiaki starrte nach oben zur Decke, schob den Stoff seines Shirts etwas hoch und betastete die vernarbte Haut auf seinem Bauch. Die Narben, die sich auch auf seinem Rücken und Oberarmen stellenweise bemerkbar machten. Souvenirs von der Nacht, die sein Leben ruiniert hat. Nach einige Minuten stand er vom Bett auf und steuerte direkt auf den Balkon zu, brauchte dringend etwas zur Beruhigung seiner Nerven. Rauchend genoss er die kalte, angenehme Abendluft, die auf seine verschwitzte Haut traf und blickte gedankenverloren über den Hof. Es war schon ziemlich dunkel. Er konnte teilweise bis zu der kleinen Parkanlage mit den Picknickbänken raussehen. Bei Nacht waren sie noch viel einladender als bei Tag, insbesondere weil Chiaki wusste, dass jemand dort auf ihn warten wird. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Der Gedanke an sein Mädchen beruhigte ihn soweit, dass er seine Zigarette schon ausmachte, bevor sie verglühte. EIGHT ----- EIGHT   In der Nacht führte Chiaki Maron in seine Musikwelt ein, wie er vorher versprochen hatte. Sein Handy lag in der Mitte des Tisches und beide hatten jeweils einen Kopfhörer im Ohr. Während er ihr seine Playlist zeigte, versuchte er einen guten Sicherheitsabstand von Maron zu halten, um nicht noch Grund für „Schrägen, emotionalen Zusammenbruch Nummer Vier“ zu werden. Zunächst liefen einige ruhige, entspannte Songs, ehe sie sich zu lauteren, individuelleren Richtungen herantasten. Bei jedem Lied beobachtete Chiaki ganz genau Maron’s Reaktionen. Bei manchen Songs hielt er gespannt den Atem an und wartete darauf, dass sie abgeneigt das Gesicht verzog. Doch zu seinem Erstaunen, bildete sich immer mal wieder ein amüsiertes Lächeln auf ihren Lippen und sie nickte ihren Kopf im Takt zur Musik. Chiaki musste dann selbst darüber schmunzeln. Sein Mädchen hatte einen guten Musikgeschmack. Nebenbei aßen die beiden Muffins, die Maron in einer Tupperwarenbox mitgebracht hatte. Egal, ob Kekse oder Muffins… er bekam nie genug von ihren süßen Snacks. Nach einer Weile drehte sie sich mit einem verhaltenen Gesichtsausdruck zu ihn um. „Sag mal… Habe ich dich heute mit Hijiri zusammen gesehen?“, fragte sie in einem etwas missfallenden Ton. Chiaki stoppte zu kauen. Shit, sie hat uns gesehen?, ging es ihm etwas panisch durch den Kopf und schluckte. Er hatte dabei doch sichergestellt, dass niemand sie zusammen sah. „Uhm…“ Unbeholfen rieb er sich den Nacken. „Ich wollte nur mit ihm über eine Sache reden, was am Freitag auf der Party geschehen war“, sagte er, was nicht unbedingt gelogen war. Technisch gesehen, wollte Hijiri Maron auf der Party anmachen und technisch gesehen, hatte Chiaki mit ihm mehr oder weniger darüber geredet. Maron sah aus, als würde sie ihn weitere Fragen stellen wollen, doch Chiaki umging dies mit einem „Hey, das ist eines meiner Lieblingslieder!“ und wechselte von DJ Okawari’s „Luv Letter“ -was soeben lief- zu „EXiSTENCE“ von SiM. Maron zuckte etwas erschrocken zusammen (da es ein extremer Wechsel von entspanntem Jazz/Hip-Hop zu lautem Metal Rock war), doch zu seiner Überraschung genoss sie den Songwechsel. Das Thema sprach sie zu Chiaki’s Erleichterung nie wieder an.   Der Rest der Woche verging und die Schule lief ziemlich ereignislos ab. Dementsprechend bekam der Blauhaarige auch nichts von einem „Schrägen, emotionalen Zusammenbruch Nummer Vier“ zu hören. Zwar war seine braunhaarige Nachbarin immer noch Nummer eins Thema unter den Mitschülern, aber solange man sie in Ruhe ließ, war Chiaki beruhigt. Sollen sie starren und reden. Yamato hielt auch seine Klappe, was Maron anging, fokussierte sich dagegen voll und ganz auf Miyako. Was die Nächte angingen, so waren sie für Chiaki die Besten. Es war unglaublich. Jahrelang hatte er die nächtlichen Stunden gehasst, doch dies hatte sich in kurzer Zeit komplett gewandelt. Nun gehörten sie zu seiner Lieblingstageszeit. Dank seinem Mädchen. Chiaki selbst hatte für sich noch drei Grundregeln aufgestellt, bezüglich dieses ganzen Arrangements zwischen ihnen. Die erste Regel war sie in der Schule nicht zur Kenntnis zu nehmen. Beziehungsweise so zu tun. Dieses Thema hatten sie beide auch seit Montag nicht mehr weiter besprochen und wurde im Grunde genommen schon als selbstverständlich anerkannt. Die zweite Regel war, dass Maron sich bei ihm in seiner Gegenwart auf keinen Fall unwohl fühlen sollte. Wegen ihrer starken Abneigung zu Männern wusste er, dass selbst der kleinste Fehler sie aufregen könnte. Chiaki wüsste nicht, was er machen sollte, wenn sie wegen ihm weinend und hysterisch vor ihm stand. Der Gedanke bereitete ihm ein unbehagliches Gefühl in der Brust. Und die dritte Regel war Maron unter allem Umständen zu beschützen. Er würde nicht zulassen, dass jemand ihr was antut, wie letztens die rothaarige Mistgeburt. Er würde sie beschützen und dabei trotzdem auf seine erste Regel achten. Leute, wie Miyako, würden diese Sache zwischen ihnen wahrscheinlich in den falschen Hals bekommen und auf keinen Fall wollte er ihren Zorn auf sich ziehen, sollten sie auffliegen.   Am Freitag traf Chiaki auf eine sichtlich aufgelöste Maron. Es war etwas, was er sofort in ihrem Blick bemerkte und auch direkt verstand. Die angespannte Körperhaltung sowie Art und Weise, wie sie wie paranoid sich überall umschaute, sagte ihm schon alles. Sie musste eingeschlafen und von einem Traum aufgewacht sein. Auch wenn Chiaki sie lieber davon ablenken würde, wusste er instinktiv, dass es besser war, wenn Maron sich diesen inneren Schmerz von der Seele redete. Mit einem möglichst sanften und gleichzeitig besorgten Gesichtsausdruck blickte er sie an, hoffte dass dies irgendwie ihr einen gewissen Trost spendete und setzte sich auf seinem Platz an der Bank hin. „Worum ging es?“, fragte er sachte. Etwas überrascht blickte Maron ihn an. Wahrscheinlich, weil sie nicht erwartet hatte, dass er direkt wusste, was sie belastete. Womöglich wäre es anderen auch nicht aufgefallen. Doch sie ließ ihn die wahre Maron sehen, so wie er sie den wahren Chiaki sehen ließ. Zögernd begann sie die Ereignisse ihres Traumes wiederzugeben. Es war derselbe, wie beim letzten Mal, doch diesmal ließ sie keine Details aus. Und diese waren fürchterlich. Sie sprach von dem Geräusch ihrer gebrochenen Finger, wenn sie sich zu wehren versuchte; den Geschmack des Blutes ihrer geplatzten Lippen, wenn er sie im Gesicht schlug. Sie erzählte ihm von den Schreien ihrer Mutter, die sie durch die Wände bis zu dem kleinen, dunklen Ankleidezimmer, in der sie gefangen war, hören konnte. Bei der Erwähnung ihrer Mutter tat Maron etwas, was Chiaki völlig aus der Bahn warf. Sie weinte. Kein Schluchzen war zu hören. Still liefen ihr die Tränen die Wangen herunter, hinterließen Spuren auf ihrem Gesicht, die im Mondlicht glänzten. Beschämt drehte sie ihm den Rücken zu. Er konnte sehen, wie ihre Schultern bebten. Es brach ihm das Herz sie weinen zu sehen. Er wollte sie trösten, irgendetwas tun anstatt wie eine Statue da zu sitzen und ihr beim Weinen zuzusehen. Doch er wusste ganz genau, dass er nicht konnte. Das Beste, was er für sie tun konnte, war ihr zuzuhören. Was er auch tat, als sie sich wieder zu ihm wandte und weitersprach. Maron bekam letztlich einen reumütigen Ausdruck in Gesicht, ging davon aus, dass sie ihn mit ihren Träumen auf die Nerven gehen würde. Automatisch erzählte Chiaki ihr daraufhin von seinem Albtraum, den er am Dienstag hatte. So lief es bei ihnen ab. Wie du mir, so ich dir. Ein simples und faires Konzept. Nachdem sich die beide über ihre Albträume ausgetauscht hatten, verbrachten sie die restlichen Stunden mit Musik hören. Versuchten in die gewohnte, lockere Atmosphäre der letzten Male zurückzukehren. Mit Erfolg konnten sie sich auch ablenken.   Die Wochenenden verbrachten die beide ohne weitere Erwähnungen oder Erzählungen von irgendwelchen Horrorerlebnissen aus der Vergangenheit. Wortlos hörten sie Musik und aßen ihre Mitternachtssnacks. Ab und an begann Maron unerwartet etwas über ihr altes Leben in Osaka zu erzählen, ließ dabei alles was mit ihrer Mutter zu tun hatte bewusst aus. Chiaki ging auf die Gespräche ein, erzählte bei Gelegenheit auch etwas von sich und seinem Leben – wenn auch nicht viel.  Einmal kamen beide irgendwie auf das Thema Väter zu sprechen. „Mit deinem Vater hattest du guten Kontakt gehabt?“, fragte Chiaki. Maron nickte. „Für eine Zeit lang hatte ich ihn jeden Sommer besucht“, sagte sie, hielt für einen Moment kurz inne, spielte gedankenverloren mit ihrer Thermoskanne, die sie sich mitgebracht hatte. „Eigentlich wollte ich ihm und den Toudaijis nicht zu Last fallen… aber ich konnte nirgendwo hin“, sprach sie leise. „Hmm.“ Chiaki nickte verstehend. Er fand es erstaunlich, dass sie trotz ihrer Männerabneigung beschloss bei ihrem Vater zu leben. Dies zeigte wiederum ein weiteres Mal, dass sie stärker war, als sie glaubte. „Ich persönlich kannte Kaiki so gut wie gar nicht, als ich damals zu ihm kam“, sagte er mit neutraler Stimme. „Ich war schon ein Scheidungskind, bevor ich laufen konnte“, fügte er achselzuckend hinzu. „Hatte er nie den Kontakt nach dir gesucht?“, fragte Maron neugierig sowie überrascht. Chiaki neigte nachdenklich den Kopf, strich sich einige Male durch die Haare. „Wohl nicht... Zumindest habe ich in den ersten zehn Jahren meines Lebens nie von ihm gehört. Weder einen Anruf noch eine Postkarte zum Geburtstag…“ Er dachte für einen Moment an sein erstes Aufeinandertreffen mit Kaiki zurück. „Früher hatte ich mir nie große Gedanken darüber gemacht, wer sich hinter der Person steckte, mit der ich meine andere Hälfte der DNA teile. Dann sehe ich schließlich den Mann vor mir, den ich nur aus einem einzigen Foto kenne und er nahm mich mit Tränen in den Augen in die Arme. Das hat mich damals ziemlich irritiert. Ich habe mir vorher auch nie darüber Gedanken gemacht, was er von mir hielt. Aber als Kaiki mich sah…ich weiß, nicht wie ich das Beschreiben soll… er wirkte zum einen irgendwo bitter, traurig und verletzt, aber gleichzeitig auch glücklich und erleichtert…?“ Ein kleines, sympathisches Lächeln bildete sich auf Maron’s Lippen. „So wie du es beschreibst, scheint er dich vermisst zu haben. Das zeigt, dass du ihm als Sohn wichtig bist“, sagte sie, „Wahrscheinlich gab es einen bestimmten Grund für den Nicht-Kontakt.“ „Vielleicht. Ich habe nie gefragt“, entgegnete er knapp. Ein bisschen neugierig über die Hintergründe der Scheidung war Chiaki schon, allerdings stand dieses Thema mit seiner Mutter in Verbindung und irgendwie wollte er nicht mit seinem Vater über sie reden. Überhaupt fiel ihm auf, dass Kaiki noch nie ein Wort über sie verloren hatte. Chiaki seufzte. „Wie auch immer…“, winkte er ab, „Kaiki ist kein schlechter Mensch. Ganz im Gegenteil. Er gibt uns Jungs ein Dach über den Kopf, sorgt sich solide um uns – ich kann mich nicht beschweren. Und zwingt mir nicht dieses väterliche Getue auf…ich schätze, mal um nicht rüberzukommen, als würde er Arata -meinen Stiefvater- ersetzen wollen. Stattdessen ist er ziemlich cool und entspannt mir gegenüber. Was ich sehr zu schätzen weiß“, sagte er mit einem leichten Lächeln. Er liebte und respektierte seinen Vater auf seine eigene Weise. Maron nickte einmal verstehend. Beide unterhielten sich weiter und eventuell kamen sie nach einer Weile auf die Schule zu sprechen. Sie sprachen über Miyako und Yamato, Shinji und Natsuki sowie andere Mitschüler und Klassenkameraden. Als die Braunhaarige Yashiro Sazanka erwähnte und über sie herziehen wollte, verzog Chiaki sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. „Was?“, fragte Maron, als sie sein Gesichtsausdruck bemerkte und amüsiert darüber lächelte. Er ließ seinen Keks, den er gerade in der Hand hatte, sinken, weil der Name ihm ein Gefühl von Übelkeit verursachte. Chiaki war sich nicht sicher, ob er mit Maron über seine Frauengeschichten reden wollte - aus Angst, dass sie sich dabei unwohl fühlen würde. „Was ist los? Du musst es mir sagen!“, hörte er sie erwartungsvoll und immer noch amüsiert lächelnd sagen. Und da sein Mädchen diese Macht auf ihn hatte, hatte Chiaki keine andere Wahl als ihr das zu sagen, was sie wissen wollte. „Es ist nichts.“ Kopfschüttelnd seufzte er. „Yashiro und ich hatten nur irgendwie mal…“ Kurz hielt er inne, neigte überlegend den Kopf und suchte nach den richtigen Worten. „…So ‘ne Sache gehabt“, vollendete er leise murmelnd. Chiaki sah, wie Maron’s Lächeln langsam zerfiel und in ihren Augen etwas aufblitzte, was er nicht deuten konnte. Sofort wurde ihr Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske. Dieselbe Maske, die sie auch in der Schule trug. Ihm gefiel das nicht. Er wollte, dass Maron sich bei ihm nicht verstellen musste. Dass sie bei ihm sie selbst war. Und nun hatte er was gesagt, was ihr -wie erwartet- ein Unbehagen bereitete und worin er einer seiner Grundregel gebrochen hatte. „Oh“, sagte Maron tonlos, wandte ihren Blick von ihm ab und fragte direkt, „Was für eine Sache denn?“ Ihre Stimme war kühl und distanziert. Noch immer trug sie diese Maske, die er verdammt nochmal hasste. Ich kann ihr unmöglich von dem One-Night-Stand mit der Bitch erzählen, ging es Chiaki durch den Kopf. Er wollte sie nicht anlügen, aber die komplette Wahrheit wollte er ihr auch nicht sagen. Was er wollte war, dass sie diese Maske bei ihm ablegte. „Sie hat verrückte Stalker-Tendenzen, welche für kurze Zeit auch meine Wenigkeit einbezog“, sagte er, was an sich auch nicht unbedingt gelogen war. Er hatte wegen Yashiro einige anstrengende Monate hinter sich gehabt. Chiaki hoffte, dass dies als Erklärung reichte. Und zu seinem Glück war es das auch. Maron fragte nicht weiter nach, schüttelte nur ihren Kopf und murmelte irgendwas mit „schlampige Tussi“, was ihn zum Lachen brachte. Nach einigen Scherzen über Hijiri und dessen immer noch nicht geheilte Nase fiel die Maske schließlich, ein Lächeln brach durch und die Nacht war gerettet.   Es war Montag. Sie waren beide müde. Ungeheuer müde. Als er Maron in der Klasse sah, wusste Chiaki sofort, dass sie ihre Grenze erreicht hatte, Schlaf brauchte und dementsprechend starke Probleme hatte ihre Augen offen zu halten. Die erste Stunde ging vorüber und nun stand die zweite an, Englisch. Maron’s Blicke waren mittlerweile völlig unkonzentriert und ihr Kopf nickte oft weg. Chiaki wusste, dass sie die Schlaflosigkeit bis ins Unermessliche ausreizte. Er selbst zwang sich zumindest immer zu ein bis zwei Stunden Schlaf (auch wenn er lieber darauf verzichten würde). Nervös observierte er die Lage. Maron brauchte dringend Schlaf, durfte allerdings weder träumen noch von dem Vertretungslehrer erwischt werden. Schließlich beschloss Chiaki eine weitere seiner Grundregeln zu brechen. Er riss ein Stück Papier von seinem Heft ab und schrieb ihr eine kurze Nachricht. „Ich werde dich wecken.“ Vier Worte, die alles sagten, was gesagt werden musste. Zwar musste Chiaki sich noch überlegen, wie er sie am besten wecken konnte (schließlich konnte er sie schlecht mit Lineal oder Stift anstupsen, ohne dass jeder in der Klasse es mitbekam), aber er würde sein Mädchen nicht hängen lassen. Er faltete den Zettel klein, sah sich unauffällig um und warf es Maron ihr Tisch zu, als niemand schaute und alle ihre Köpfe nach unten gerichtet hatten. Träge beäugte sie die Notiz, öffnete es, kniff angestrengt die Augen zusammen, um die Worte lesen zu können und zerknüllte ihn mit einem Nicken. Sie stellte ihr offenes Textbuch senkrecht auf, verschränkte ihre Arme auf den Tisch und legte ihren Kopf auf ihnen ab. Sie schien ihm zu vertrauen, dass er sie auch wirklich wecken würde. Chiaki war froh darüber und er nahm die Sache auch ernst. Neben dem Unterricht konzentrierte er sich intensiv auf die sanften Geräusche ihres Atems, die Schulter hoben sich sachte auf und ab. Nach einigen Momenten hörte er auch ihr leises Schnarchen. Es war ein einschläferndes Geräusch, was Chiaki noch müde machte, als er schon war. Doch er zwang sich zu ihren Gunsten wachsam zu bleiben, achtete auf jedes ihrer Atemgeräusche – darauf wartend, dass der Albtraum anfing. Er hoffte für sie allerdings, dass dies nicht geschehen würde. Natürlich hatte er falsch gehofft. Nach vierzig Minuten hörte Chiaki das leise Wimmern vom Nachbarstisch. Es war kaum wahrzunehmen. Genauso, wie ihr Atem sich beschleunigte. Er wusste, dass dies sein Zeichen war. Chiaki hatte sich überlegt, sie eventuell wach zu treten. Da sie im Schlaf die Berührung nicht direkt wahrnahm, sollte das kein Problem darstellen. Hoffte er. Ohne von seinem Heft aufzusehen, gab er Maron mit seinem Fuß einen Stups ans Bein. Keine Reaktion. Mit etwas mehr Druck traf er ihr Knöchel am Fuß. Sofort schoss sie hoch, die blutunterlaufenen Augen blickten sich verwirrt um. Zur selben Zeit veranstaltete der Vertretungslehrer eine angeregte Diskussion über die amerikanische Politik mit der Klasse. Zum Glück hatte keiner von ihren Mitschülern dadurch etwas mitbekommen. Maron rieb sich die Augen und warf Chiaki einen kurzen, dankbaren Blick zu, bevor sie sich Notizen zum Unterricht machte. Die Haare fielen ihr dabei wie ein Vorhang vor das Gesicht. Erleichtert seufzte er auf. Und begann dann einige Male zu niesen. Genervt und mit schniefender Nase suchte er in seiner Tasche nach Taschentüchern und putzte sich lautstark die Nase. Chiaki konnte sehen, wie Maron hinter ihren Haaren ihn besorgt beäugte, doch er tat so als wäre nichts gewesen. Es war nicht das erste Mal, dass er heute so einen Niesanfall bekam. Höchstwahrscheinlich bahnte sich auch eine Erkältung bei ihm an. Kommt wohl davon, wenn man die letzten acht-neun Nächte fünf Stunden in der Kälte verbrachte, dachte er sich sarkastisch. Allerdings waren diese nächtlichen fünf Stunden es ihm Wert. Die Schulglocke ertönte und Chiaki beschloss eher heimzugehen. Er ließ sich bei seiner Klassenlehrerin, Frau Pakkyaramao, die soeben reinkam entschuldigen.   Yamato, den er kurz im Gang begegnete, hatte er auch Bescheid gegeben. Sein bester Freund wollte etwas einwenden, ließ es jedoch sein als er merkte wie angeschlagen und mies gelaunt der Blauhaarige aussah. Von der Schule aus fuhr Chiaki zunächst ins Krankenhaus, um sich ein paar Medikamente von Kaiki zu holen. Auf dem Weg zu dessen Büro lief er an einigen Krankenschwestern und Ärzten vorbei, die ihn auch bei Namen kannten und freundlich grüßten. Ebenso begegnete er auch Kagura, der nur kurz verwundert guckte und anschließend mit einer einladenden Geste zur Tür wies. Der Chefarzt sah von seinen Papieren auf, als Chiaki eintrat. Ein kurzer Blick auf die rote, laufende Nase und der blassen Erscheinung reichte aus, um für Kaiki zu wissen, was los war. „Du bist krank.“ Kann man irgendwo zweideutig sehen…, dachte Chiaki sich im Stillen und sagte augenrollend „Was du nicht sagst“, als er auf dem Lederstuhl gegenüber vom Schreibtisch Platz nahm. Gleichzeitig musste er auch wieder niesen. Genervt und angewidert musste er aufstöhnen. Er hasste es krank zu sein. Kaiki schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln, ehe er einige aufwendige Untersuchungen machte. Chiaki bekam es schon fast mit der Angst zu tun, dass er sich wieder die Grippe eingefangen hatte. Vor einigen Jahren hatte er eine schwere Grippe hinter sich, musste deswegen für eine gewisse Zeit im Krankenhaus verbringen. Er hatte die Zeit und den Aufenthalt dort abgrundtief gehasst. Nach einigen Minuten kam Kaiki schließlich zu der Diagnose: eine einfache Erkältung. Das hätte ich dir auch sagen können! Hätte mir einige Nadeln erspart, seufzte Chiaki. Anschließend wurde er von seinem Vater nach Hause geschickt, bekam dabei noch Erkältungsmedizin in die Hand gedrückt. Den Rest des Tages sowie die ganze Nacht, verbrachte Chiaki zu Hause in seinem Zimmer, fühlte sich einfach nur hundeelend. Was ihn neben dem krank sein am meisten aufregte war der Fakt, dass er unter keinen Umständen so raus gehen konnte. Und zum ersten Mal seit über einer Woche konnte er sein Mädchen nicht sehen. *** Es war Mittwoch, mitten in der Nacht und Maron saß allein in der Küche, so wie sie es vorher immer getan hatte, bevor sie Chiaki traf. Während sie eine Hühnersuppe kochte, sah sie immer wieder aus dem Fenster raus, hatte dessen hellleuchtendes Fenster gut im Blick, stellte auch sicher, dass er in sein Zimmer blieb. Sie wusste, dass er krank war. Die Symptome waren vorgestern mehr als offensichtlich gewesen. Genauso wie die Tatsache, dass er den restlichen Montag sowie auch den ganzen Dienstag nicht mehr in der Schule war. Ebenso hatte Maron mitbekommen, wie Chiaki sich bei Frau Pakkyaramao entschuldigen ließ. Demnach war sie auch nicht überrascht darüber gewesen, dass er vorletzte Nacht bei den Bänken nicht vorzufinden war. Maron war auch etwas froh darüber. Sie wollte nicht, dass er wegen ihren nächtlichen Treffen noch kranker wurde. Maron rührte etwas im Topf herum und ließ die letzten Nächte Review in ihrem Kopf passieren. Ein Lächeln bildete sich automatisch auf ihren Lippen. Sie liebte die Zeit mit ihm. Sie liebte es, wenn er jede Nacht mit ihr seine Kopfhörer teilte und ihr seine Lieblingskünstler und Lieblingssongs zeigte. Sie liebte es, wenn er sagte, dass er ihre Kekse oder Muffins oder sonstige Snacks, die sie mitbrachte, liebte. Sie liebte die Art und Weise, wie er -ohne sie zu fragen- respektvoll Abstand von ihr hielt. Sie liebte die Art und Weise, wie er erkennen konnte, dass sie einen Albtraum hatte und mit ihm darüber reden möchte. Sie liebte es, dass er ihr immer direkt von seinen Träumen erzählte, damit sie sich nicht wie ein Freak fühlte. Natürlich war Chiaki nicht perfekt, das wusste Maron. Sie wusste, dass er ihr in einigen Dingen nicht immer hundertprozentig die Wahrheit sagte, vorsichtig einige Details ausließ. Gleichzeitig konnte sie ihn seinem Gesichtsausdruck sehen, dass er darauf bedacht war sie nicht anzulügen. Beispielsweise war da die Sache mit Hijiri. Sie wusste, dass mehr dahintersteckte als er behauptete. Schließlich war ihr aufgefallen, dass der Kerl sie in jeglicher Hinsicht in Ruhe ließ. Genauso wusste Maron, dass mehr hinter seiner Aussage zu Yashiro steckte. Bei Hijiri konnte sie das Thema schnell fallen lassen, doch bei Yashiro wäre sie vor Neugier fast erstickt, als Chiaki von ihr erzählte. Ein Fünkchen Eifersucht überkam Maron, bevor sie sich ihre gleichgültige Maske aufsetzte. Die Vorstellung, dass er mit dieser… hirnlosen Schlampe mal was hatte, verursachte ihr Übelkeit. Es war nicht fair. Es war nicht fair, dass jemand wie Yashiro Sazanka mit Chiaki zusammen sein konnte, Maron hingegen sich jede Nacht dazu zwingen musste einen guten Sicherheitsabstand von ihm zu halten, aus Angst, dass die kleinste Berührung von ihm sie hysterisch werden ließ. Ein Teil von ihr hatte sich gewünscht, dass er sie in die Arme genommen hätte, als sie letztens wegen den Erinnerungen ihrer Mutter weinen musste. Ein anderer Teil wusste, dass es physisch einfach unmöglich war. Demnach könnte sie so etwas…tieferes… mit ihm nie nachgehen. Und das regte sie auf. Maron verkniff es sich einen Kommentar rauszulassen, dass er Besseres verdient hätte und ließ das Thema schließlich ruhen. Selbst wenn sie diese Phobie nicht hätte, wäre er überhaupt interessiert an sie? Das einzige worin sie sich voll und ganz sicher war, ist die Tatsache, dass Chiaki ehrlicher und offener zu ihr war, als er es jemals zu Yashiro sein würde. Sie wusste Dinge über ihn, die keine andere Tussi wusste. Diese Tatsache allein tröstete sie etwas. Maron’s Gedanken schweiften an den Montag zurück, als Chiaki seine eigene Regel brach und inmitten der Klasse ihr eine Notiz zuwarf. Auch wenn es nicht viel war, so war sie glücklich darüber, dass er selbst in der Schule auf sie Acht gab und bemerkt hatte, wie erschöpft sie war. Nun war Chiaki krank und Maron bekam dieses Gefühl nicht los, dass sie teilweise verantwortlich dafür war. Klar, sie hatte ihn nicht dazu gezwungen jede Nacht mit ihr draußen zu verbringen, aber dennoch fühlte sie sich irgendwo mit schuldig. Weshalb Maron ihm jetzt eine Suppe gekocht hatte, diese sicher abgedichtet in ihrem Rucksack einpackte und zur Nachbarsvilla rüberging. Einerseits fühlte sie sich verantwortlich für seine Erkältung, andererseits verspürte sie in den letzten sechzig Stunden diesen tiefen Drang ihn wiedersehen zu wollen. (Nicht, dass sie die Stunden mitgezählt hätte.) Zumindest wollte Maron auch sicherstellen, dass es Chiaki auch wirklich gut ging. (Nicht, dass sie an Dr. Nagoya’s ärztlicher Kompetenz zweifelte.) Es war zwar merkwürdig, dass sie solche Umwege auf sich nahm, aber es ging leider nicht anders. Sie hatte seine Nummer nicht und bis jetzt hatten beide auch nie das Bedürfnis dafür gefunden sich Nummern auszutauschen. Ebenso hatte sie schon mal nach seinen Social Medias gesucht, aber anscheinend schien er nichts davon zu nutzen. Nun stand die Braunhaarige direkt vor der Villa, unter Chiaki’s beleuchteten Balkon, fühlte sich nervös und aufgeregt zugleich, ihn gleich wiedersehen zu können. Ein bisschen war ihr mulmig zumute, da sie ihren übergroßen, schwarzen Pulli mit Kapuze über den Kopf trug und sich etwas kriminell vorkam. Eine gewisse Panik überkam sie auch, als sie an seinen Kommentar über Yashiro’s verrückte Stalkertendenzen zurückdachte. Du bist keine Stalkerin, sondern nur eine gute Freundin und Nachbarin, die Suppe vorbeibringen will, sagte Maron in Gedanken zu sich selbst und ging auf das Pflanzengitter an der Wand zu. Du kannst das. Du hast ihn schon oft dabei zugesehen, wie er sich wie Spiderman hoch und runter manövriert hat! Sie setzte einen Fuß auf das Gitter an und begann zu klettern. Sie war sich zunächst nicht sicher, ob es ihr Gewicht tragen würde, aber wenn es selbst Chiaki’s Gewicht standhielt, dann sollte es auch bei ihr kein Problem darstellen. Langsam und vorsichtig kletterte Maron sich nach oben, bis sie seinen Balkon erreicht hatte und sich über das Geländer manövrierte. Tief atmete Maron durch, als sie vor Chiaki’s Balkontür stand. Vorhänge hingen vor dem Glas, weshalb sie drinnen nichts erkennen konnte. Mit Herzklopfen hob Maron ihre Hand und klopfte sachte an der Tür. Gespannt hielt sie den Atem an und wartete. Sekunden vergingen. Die Nacht kam ihr dunkler vor als sonst und sie konnte spüren, wie die Dunkelheit sie erdrückte, während sie auf eine Antwort von der anderen Seite des Glases wartete. Plötzlich schwang die Balkontür auf und Chiaki starrte sie sichtlich entgeistert an. Die braunen Augen waren mit Schock und Verwirrung gezeichnet. Gleichzeitig sah er furchtbar aus. Die Haut blasser als sonst, die Nase rot, die Haare hingen kraftlos vor das Gesicht. Ebenso stand er in einer Decke eingewickelt vor ihr. „Maron?“, fragte er überrascht, die Stimme kraftlos und heiser. Die Angesprochene wusste nicht, was sie sagen sollte, weshalb sie ihren Rucksack absetzte, die verpackte Schüssel mit der Suppe rausholte und sie ihm wortlos entgegenhielt. Beschämt hielt Maron dabei ihren Kopf gesenkt. Als sie merkte, wie ihr die dampfend heiße Suppe aus den Händen genommen wurde, blickte sie auf. Erleichtert atmete sie aus, als sie sein schiefes Lächeln auf den Lippen sah und wie er sie mit hochgezogener Augenbraue anschaute. Schließlich fiel ihr ein, dass sie etwas sagen sollte. „Ich schwöre, ich bin keine verrückte Stalkerin“, platzte es aus ihr heraus, eher sie sich die Hand vor den Mund hielt. Ihre Wangen färbten sich verlegen rot. Chiaki lachte amüsiert auf, warf seinen Kopf dabei nach hinten. „Sicher?“ Er kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen. Unterdessen wartete Maron bis er sich beruhigt hat. Biss sich nervös auf die Lippe. Sie hoffte, sie war in seinen Augen nicht auf Yashiro’s Niveau runtergerutscht. „Fuck, Maron… Das ist das erste Mal seit drei Tagen, dass ich gelacht habe“, grinste Chiaki sie an, die Stimme nach wie vor kratzig. Maron erwiderte das Grinsen erleichtert. „Komm. Rein mit dir bevor du auch noch krank wirst“, nickte er mit dem Kopf in sein Zimmer rein. Dies ließ sie sich nicht zweimal sagen. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht folgte sie ihm in sein warmes, helles Schlafzimmer, ließ die dunkle Kälte hinter sich. NINE ---- NINE   „Ganz ehrlich, du bist verrückt“, kicherte Chiaki, als er sich mit der Schüssel Suppe auf sein Bett hinsetzte. Noch immer war er eingewickelt in seiner Decke. Seine Stimme klang so stark verschnupft, es war fast schon putzig irgendwie, dachte sich Maron und kicherte leise. Sie nahm, wie beim letzten Mal, auf dem überteuerten Ledersofa Platz. „Wieso?“, fragte sie hinsichtlich seiner Aussage, kramte in ihren Rucksack und holte ihm einen Löffel raus. Dankend nahm er es an. „Jemand hätte dich draußen sehen können“, sagte er. „Bitte… Es ist fast halb eins. Die meisten Menschen schlafen um die Uhrzeit“, rollte sie mit den Augen. „Das solltest du besser wissen.“ Kichernd musste er zustimmend nicken. „Außerdem habe ich mir Sorgen gemacht“, fügte Maron verlegen hinzu, den Blick nach unten gerichtet. „Du hättest mir auch ne SMS schicken können, wenn du wissen wolltest, wie es mir geht“, hörte sie ihn sagen. Maron sah auf und blickte Chiaki mit hochgezogener Augenbraue an. „Wie denn? Ich habe deine Nummer nicht.“ „… Oh…Stimmt“, kam es von Chiaki nach einem Moment der Realisation. Er rieb sich beschämt den Nacken. „Dann schätze ich mal, dass wir das ab heute ändern.“ Er nahm sein Handy vom Nachttisch und warf es ihr zu. Ohne auf eine weitere Anforderung zu warten, gab Maron ihre Nummer ein und schickte sich selbst direkt eine SMS. Ein zufriedenes Lächeln haftete auf ihren Lippen. Anschließend warf sie Chiaki sein Handy zurück. Er musste grinsen, als er den kranken Emoji im Chat sah. Danach legte er das Gerät beiseite, öffnete den Deckel der Schüssel und probierte die Suppe. „Hmm“, kam es von ihm genüsslich und lächelte breit. Wie als hätte er in den letzten Tagen nichts gegessen, schlürfte er die Brühe gierig runter. Gut, er mag Hühnersuppe, dachte Maron sich schmunzelnd, während sie ihm beim Essen zusah. Dann fiel ihr etwas ein. „Ach ja. Ich habe dir noch Hausaufgaben und Mitschriften mitgebracht“, sagte sie und holte die besagten Unterlagen aus dem Rucksack hervor. „Wo soll ich die hintun?“ „Da.“ Ohne von seinem Essen aufzusehen, deutete Chiaki mit einem Finger auf den Mülleimer neben den Schreibtisch. Maron verdrehte ihre Augen und legte die Sachen auf dem Tisch ab. Dann setzte sie sich wieder aufs Sofa hin und blickte sich um. Der Raum war unordentlicher, als sie das letzte Mal drin war. Überall lagen Taschentücher und Taschentuchpackungen rum. Einige Klamottenteile breiteten sich auf dem Boden aus. Ebenso fiel ihr der Flachbildschirmfernseher an der Wand gegenüber vom Bett auf, der vorher noch nicht da war sowie ein kleiner Regal in den Konsolen und Spiele lagen. „Die sind neu“, sagte sie und deutete auf die Geräte. Chiaki nippte am Löffel und folgte ihrem Finger. „Mhmm“, nickte er und zuckte mit den Schultern, „Brauchte eine weitere Alternative gegen die Langeweile. Hilft auch. Willst du was spielen?“ Maron schüttelte den Kopf, lehnte dankend ab. Sie dachte bei dem Anblick des großen Fernsehers eher daran zurück, dass sie seit Langem keinen Film mehr richtig angeschaut hatte. Zu große Einschlafgefahr. „Die Suppe ist verdammt gut“, hört sie Chiaki sagen. „Weißt du, ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass ich dich die Nächte allein gelassen habe“, fügte er betreten hinzu, sein Gesicht war mit einem schlechten Gewissen geprägt. Maron beschwichtigte ihn damit, dass sie wusste, dass er nicht kommen würde und sie sowieso zu Hause blieb. Dies beruhigte ihn etwas. Daraufhin sah sie ihm weiter beim Essen zu. „Sag mal“, setzte sie neugierig an, „Kocht dein Vater keine Suppe, wenn einer von euch Jungs krank ist?“ Chiaki verschluckte sich vor Lachen fast und schüttelte den Kopf. „Er hatte mir Krankenhausessen mitgebracht, aber das schmeckt wie Scheiße.“ Maron nickte verstehend. Sie war durchaus vertraut mit schlechtem Krankenhausessen. „Kaiki ist ein furchtbarer Koch“, merkte Chiaki an, „Und ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der Toast im Toaster verkacken kann.“ „Ist dein Vater nicht reich genug, um eine Köchin zu engagieren?“ „Theoretisch ja, aber dafür ist er zu bescheiden.“ „Zu bescheiden für eine Köchin, aber nicht bescheiden genug für eine protzige Villa?“ Er kicherte, bekam daraufhin jedoch einen Hustenanfall. Besorgt blickte Maron ihn an. So wie sie es verstanden hatte, gab’s niemanden in seinem Leben, der für ihn ordentliches Essen machen oder eine Suppe an kranken Tagen kochen konnte. Bis jetzt. Ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Sie hätte nichts dagegen dies für ihn zu übernehmen. Mit Freude würde sie das tun. Nachdem Chiaki mit der Suppe fertig war, warf Maron ihm noch eine Tüte Kekse entgegen. Seine braunen Augen leuchteten bei dem Anblick der Kekse auf. Anschließend nahm er sein Handy wieder in die Hand, steckte es an einer kleinen Lautsprecherbox an und spielte ihr das neuste Musikalbum ab, was er sich runtergeladen hatte. Ihr gefiel es sofort. Grinsend nickte sie mit dem Kopf zum Takt der Lieder mit. Wortlos hörten sie sich das Album an. Es war fast so wie sonst vorher auch, nur befanden sie sich in Chiaki’s Zimmer und nicht draußen bei den Picknickbänken. Maron war sich erst jetzt bewusst, wie sehr ihr die gemeinsamen Nächte mit Chiaki gefehlt hatten. Entspannt saß sie auf seinem Sofa, bewegte sich so gut wie nie vom Fleck, sah dem Blauhaarigen beim Zeichnen zu und kommentierte einige der Lieder, die im Moment liefen und unterhielt sich mit ihm über sie. Maron konnte ihren Blick von Chiaki nicht abwenden. Trotz kranken Zustands sah er immer noch umwerfend aus. Eine Strähne fiel ihm dauernd ins Gesicht und es juckte ihr in den Fingern, zu ihm rüber zu gehen und diese besagte Strähne nach hinten zu streichen. Nach einiger Zeit schaute Maron auf seine rotleuchtende Digitaluhr und sah, dass fünf Stunden vergangen waren. Das hieß, sie musste allmählich wieder zurück nach Hause. Es war für sie immer wieder erstaunlich, wie schnell die Zeit verging, wenn sie die Nacht mit Chiaki verbrachte. Sie fühlte sich einfach wohl in seiner Gesellschaft und wollte es in keinem Fall missen. Seufzend packte Maron ihren Rucksack, erhob sich von Sofa und zog sich die Kapuze über den Kopf. Als Chiaki von seinem Skizzenbuch aufschaute, sah er fast so enttäuscht über ihr gehen aus, wie sie sich fühlte. „Ich muss nach Hause, bevor mein Vater oder die anderen wach werden“, sagte Maron, „Aber ich komme morgen wieder mit noch mehr Suppe…?“ Sie war sich nicht sicher, ob sie das als Frage oder als Aussage gestellt hatte. Verlegen sah sie zu Boden und biss sich auf die Lippe. Chiaki lächelte leicht, bevor er ernst wurde. „Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen soll, bei dem Gedanken, dass du zwei Stockwerke hier hochkletterst.“ Er seufzte. „Ich meine, ich könnte es mir nie verzeihen, wenn du dich dabei verletzt.“ Er sorgt sich um mich und meine Sicherheit, ging es ihr freudig durch den Kopf. Von außen versuchte Maron cool zu bleiben und antwortete ihn mit einem gelassenen Augenrollen: „Mach dir keine Sorgen.“ Sie winkte unbekümmert ab und entgegnete stolz: „Du hättest mich sehen müssen, ich war wie ein Profi.“ Chiaki kicherte, die Stimme dunkel und rau, schüttelte leicht den Kopf. „Wie du meinst… Solange du irgendwie heil auf festen Boden ankommst und sicher bist. Gefallen tut es mir trotzdem nicht.“ Maron lächelte ihn an, glücklich darüber, dass er sie auch wiedersehen will. Gerade als sie zur Tür gehen wollte, fiel ihr noch eine letzte wichtige Sache ein. „Sag mal, was ist Yamatos Lieblingsfarbe?“, fragte sie, drehte sich zu Chiaki um. Er starrte sie einige Sekunden fragend an, den Kopf leicht geneigt. „Grün.“ „Ein bestimmtes Grün oder jeden möglichen Grünton?“ „Ist glaube ich egal.“ „Okay, gut.“ Damit wandte Maron sich kichernd zur Tür. „Bis später“, verabschiedete sie sich mit einem Winken, schlüpfte raus zu seinem Balkon und kletterte geschickt runter. Ein bisschen Adrenalin rauschte ihr dabei durch die Adern. Mit einem glücklichen Gefühl in der Brust ging sie nach Hause. *** Völlig verdutzt sah Chiaki seinem Mädchen nach und beobachtete von seinem Fenster aus, wie sie in ihr Haus zurückging. Wenigstens hatte sie es heil runtergeschafft. Die letzten drei Tage hatte er sich ziemlich mies gefühlt. Er hatte Angst gehabt, dass Maron am Montag die ganze Nacht auf ihn gewartet hätte. Er wollte nicht, dass sie dachte, er hätte sie sitzen gelassen oder ähnliches. Und als Chiaki schließlich das Klopfen an seiner Balkontür vernahm, hatte er keine Ahnung gehabt, was ihn draußen erwartete. Teilweise hatte er sich schon darauf eingestellt jemanden irgendwie in seiner miserablen Kondition verprügeln zu müssen. Und dann stand sie da, als er die Tür öffnete. Ihr blumiger Duft kam ihm entgegen und die Wangen waren verlegen rosa gefärbt. Ohne zu zögern ließ er sie rein. Da Maron schon mal in sein Zimmer, hatte er auch keine Probleme damit gehabt. Augenblicklich überraschte sie ihn mit der Suppe, die sie mitgebracht hatte, sowie den Hausaufgaben. Es erstaunte ihn, dass sie sich um ihn und seine Gesundheit Sorgen gemacht hat. Sie beide gingen wirklich durch dick und dünn. Diese nahezu mütterliche Fürsorge, die sie ihm entgegenbrachte, kannte er kaum. Nur aus alten, vergrabenen Erinnerungen. Chiaki seufzte und ließ sich wieder auf seinem Bett nieder. Die Suppe tat wirklich gut. Die letzten Tage war er ziemlich hungrig gewesen, hatte allerdings keinen Elan gehabt sich selbst etwas zu machen. Umso größer war die Freude Maron ihr Essen vor sich zu haben. Kochen konnte sie, ohne Frage. Es wird den ganzen Tag dauern bis er sie wiedersehen würde. So lange musste er sich gedulden. Mit einem flauen Gefühl im Magen, sah er zur Balkontür. Hoffentlich bricht sie sich nicht noch den Nacken, ging es ihm durch den Kopf, nahm sein Skizzenbuch in die Hand und setzte seine Zeichnung darin fort. *** Heute Morgen waren alle ungewöhnlich früh wach, wodurch Maron mit Miyako und den Eltern zusammen frühstückte. Gerade besprachen Takumi und Sakura das Dinner, was sie am Samstag geplant haben. Anlässlich dessen, weil Marons Vater ab dem Wochenende für ein paar Wochen auf Geschäftsreise sein wird und sie dafür ein großes Abendessen veranstalten wollten. Gerade sprachen sie darüber, dass Sakura kochen möchte, aber Takumi wendete ein, dass Maron es bestimmt übernehmen wolle würde. „Maron.“ Die Angesprochene sah von ihrem Teller auf. „Willst du das wirklich allein übernehmen?“, fragte Sakura, „Wir können das doch zusammen machen.“ Maron zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich habe nichts dagegen, alles selbst zu übernehmen. Du und Papa, ihr könnt euch entspannt um die Gäste kümmern.“ Sie freute sich darauf, was Aufwendigeres zu Tisch zu bringen. Alle möglichen Ideen an Rezepten kamen ihr schon in den Sinn. „Wer sind denn überhaupt eingeladen?“, fragte sie interessiert. „Die Nagoyas“, antwortete Takumi wie beiläufig. „Oh wirklich?“ Maron versuchte nicht zu enthusiastisch dabei zu klingen. „Ist nichts Besonderes. Alle paar Monate sind die bei uns eingeladen“, kommentierte Miyako mit vollem Mund neben ihr. „Mama war immer überfordert mit Shinji’s riesigem Loch im Magen.“ „Der Junge hat wirklich einen ungeheuren Appetit!“, kam es von Sakura. „Hört sich doch großartig an“, lächelte Maron. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Chiaki an dem großen Esstisch im Esszimmer (der bisher nie genutzt wurde) saß, gegenüber von Miyako und jede Sekunde davon hasste. Sie musste sich ein Kichern verkneifen. Das Frühstück ging zu Ende und Maron räumte summend das Geschirr in die Spülmaschine ein. Sie bemerkte, wie ihr Vater reinkam. „Wäre es wirklich okay für dich, wenn wir sie einladen?“, fragte er, die Stimme mit leichter Sorge gezeichnet. „Ich will nicht, dass du dich unwohl mit allem fühlst.“ Seine Tochter brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er von dem Dinner und von den Nagoyas sprach. Ebenso brauchte sie einen Moment zu realisieren, dass ihr Vater besorgt darüber war, dass mehr Männer sich im Haus befinden werden. „Oh…“ Sie atmete tief aus, schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein, mir macht das nichts aus.“ Takumi blickte sie eindringlich an. „Wir können es auch absagen, Maron. Du bist wichtiger als irgendein aufwendiges Dinner.“ Maron schenkte ihm ein sorgloses Lächeln. „Glaub mir, Papa. Es ist in Ordnung. Und komm ja nicht auf die Idee abzusagen!“, sagte sie mit erhobenem Finger in einem gespielt strengen Ton. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihre Probleme ihre Familie in irgendeiner Weise noch mehr beeinträchtigt. Wenn ihr Vater die Nagoyas einladen will, dann sollte er das auch machen. Chiaki könnte schließlich kommen. Der Gedanke brachte ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. Takumi musterte sie etwas skeptisch, nickte jedoch mit einem Seufzen. „Okay. Aber wenn du dich unwohl fühlen solltest, dann zögere nicht und sag Bescheid.“ Sie nickte bejahend.   Nach der Schule fuhr Maron am Nachmittag mit Miyako in die Innenstadt zum Shoppen. Am Freitag wäre ein schuluniformfreier Tag und da wollte die Kurzhaarige etwas suchen, um Yamato beeindrucken zu können. Maron selbst hatte keinen Bedarf auf neue Klamotten. Eher war sie auch damit beschäftigt, aufzupassen in niemand Männliches ausversehen rein zu laufen. Zum Glück war es in den Einkaufsstraßen heute nicht zu voll, aber es war dennoch anstrengend. Sie war müde und das viele Laufen machte es nicht besser. Eventuell begann sie leicht zu schwanken und die Angst überkam sie zu Hause einzuschlafen, wenn sie fertig waren. In einem Laden verbrachten die Mädchen die meiste Zeit drin, weil Miyako nicht aufhören konnte irgendwelche Teile auszusuchen und anzuprobieren. Wartend saß Maron schließlich bei den Umkleiden. Der Vorhang öffnete sich und Miyako kam aus ihrer Kabine raus. „Du, Maron? Welche Farbe passt mehr?“ Sie trug einen schwarzen Tanktop, einen engen Rock mit dunklem Schottenmuster, darunter dünne, schwarze Strumpfhosen und Stiefeln in Lederoptik. Zwei langärmlige Oberteile hielt Miyako in der Hand, Knallrot und Waldgrün, unschlüssig darüber welches am besten zum Rest passte. Maron brauchte nicht lange, um zu antworten. „Das Grüne. Definitiv das Grüne“, sagte sie mit einem versteckten Grinsen. „Sicher? Wir tragen doch schon in der Schule zu viel Grün…“, entgegnete Miyako unsicher. „Glaub mir, Grün passt am besten und steht dir hervorragend!“, redete Maron mit Überzeugung auf sie ein. Mit einem Nicken hing Miyako den roten Oberteil beiseite und probierte das Grüne hinter dem Vorhang an. Paar Momente später kam sie wieder raus und Maron musste sich die Lippen zusammenkneifen, um nicht mit offenem Mund da zu sitzen. Ebenso musste sie diesen Drang unterdrücken ein Foto zu machen, um es später Chiaki zu zeigen. Das Oberteil war eng – sehr, sehr eng. Miyako’s Oberweite kam gut zur Geltung, insbesondere mit dem großen V-Ausschnitt. Maron war sich sicher, dass Yamato’s Gesichtsausdruck unbezahlbar sein wird, sobald er ein Blick auf das Outfit erhaschte. Zufrieden mit ihrer Wahl, wechselte Miyako die schwarzen Strumpfhosen mit einer grünen aus, was Maron noch mehr zum Grinsen brachte. Während sie Miyako zur Kasse folgte, blieb Maron kurz vor einem Spiegel stehen und betrachtete sich darin. Wie immer trug die Braunhaarige einen übergroßen Kapuzenpullover, Jeans und den passenden Mantel drüber. Wie immer perfekt, um sich zu „verstecken“. Natürlich hatte sie auch andere Klamotten, wie Kleider, Röcke, Shorts, Crop-Tops oder enganliegende Oberteile in ihrem Schrank, aber diese wurden seit Monaten nicht mehr angerührt. Maron bezweifelte, dass sie die für den morgigen Schultag auch rausholen würde… oder überhaupt. Ihre Narben würden sich in den meisten der Sachen zeigen und auf keinen Fall wollte sie noch mehr auffallen, als sie es schon tat. Sie seufzte. Früher hätte sie, wie Miyako, sich vor dem Spiegel hingestellt und sich das perfekte Outfit zusammengestellt, um den (heimlichen) Schwarm beeindrucken zu wollen. Sie war sich nicht sicher, ob sie jemals wieder so wie früher werden konnte. Zwar nicht jemand, die mit ihrem Körper reizen und protzen wollte (wie Yashiro). Aber jemand, die sich selbstbewusst vor dem Spiegel hinstellen konnte, ohne irgendwelche Komplexe. Ohne diesen Drang zu verspüren, sich unsichtbar machen zu wollen. Ein vertrautes Gefühl von Bitterkeit überkam sie. Ein bisschen war sie auch neidisch auf Miyako, dass diese sich wie ein normaler Teenager verhalten konnte. Und sie nicht.   Das bittere Gefühl hielt auch bis in den späten Abendstunden an, als Maron unter Chiaki’s Balkon stand. Sie hatte es für einen Moment in Erwägung gezogen, sich was anderes anzuziehen, als ihren Kapuzenpullover, aber letztendlich hatte sie doch keine Lust gehabt sich was Neues zum Anziehen zu suchen. Sie richtete ihren Rucksack auf dem Rücken. Dieses Mal hatte sie neben Hausaufgaben, Suppe und eine Tüte Kekse auch noch eine Thermosflasche mit Kräutertee für seinen rauen Hals mit eingepackt sowie ein paar Sandwiches, falls die Suppe ihm nicht reichen sollte. Das gute Essen sollte ausreichen, um Chiaki zu beeindrucken. Solange es ihm ein Lächeln entlockte, war sie zufrieden. Wie die Nacht zuvor, kletterte Maron geschickt leise das Gitter hoch. Ein Gutes war, dass sie vorhin noch eineinhalb Stunden Schlaf gehabt hatte, wodurch sie auch nicht mehr schwankte. (Auch wenn sie auf den Albtraum gerne verzichtet hätte, aber zum Glück konnte sie ihren Schrei ins Sofakissen abdämpfen.) Um genau zwölf Uhr Mitternacht stand sie auf dem Balkon und klopfte an der Glastür. Chiaki öffnete die Tür und ihr fiel auf, dass er besser aussah als gestern. Die Haare waren immer noch ein wildes durcheinander, die Augen hatten die bekannten Augenringe unter ihnen und er hatte einen Viertagebart. Aber seine Nase war nicht mehr so rot und überhaupt sah er nicht so fertig aus wie gestern. Er schenkte Maron ein schiefes Lächeln und trat beiseite, um ihr Eintritt zu gewähren. Kaum war die Balkontür zu, hatte sie sich schon auf ihrem Platz auf dem Sofa niedergelassen und packte ihren Rucksack aus. Kurz stand sie auf, um alles auf Chiaki’s Bett abzulegen, wo sie vermutete, dass er darauf wieder essen würde. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz zurück. „Alter, Maron… Hast du deine halbe Küche mitgebracht?“, kam es von Chiaki erstaunt und amüsiert. Das Kratzen in seiner Stimme war immer noch da, aber er hörte sich nicht mehr so stark verschnupft an. „Kochen hält mich am besten beschäftigt“, zuckte Maron mit den Schultern, lächelte etwas verlegen. „Und es ist besser, wenn ich dir was Frisches bringen kann, als irgendwelche Reste.“ Chiaki’s Aufmerksamkeit war schon vollständig auf das Fresspaket gerichtet. Sie sah ihm dabei zu, wie er die Suppe und die Sandwiches aß und jegliche Bitterkeit, die sie am Tag mit sich rumtrug, verschwand mit einem Mal. Er gab zufriedene Laute von sich und sagte ihr, wie lecker alles war. Maron konnte nicht anders als vor Freude und Triumph zu lächeln. *** Es entging Chiaki nicht, dass sie ihm beim Essen zusah. Im Normalfall würde sowas ihm auf dem Keks gehen, aber sein Mädchen mochte es ihm dabei zuzusehen, dass er ihr Essen aß. Und er liebte ihr Essen. Und dass Maron sich um ihn kümmern wollte, wusste er sehr zu schätzen. Die Tatsache brachte ihn auch zum Lächeln. Gleichzeitig hatte er allerdings immer noch die furchtbare Angst, dass sie sich verletzten würde, wenn sie das Gitter hoch- und runterkletterte. Der Gedanke daran, ließ ihn den ganzen Tag nicht schlafen. Was irgendwo gut und schlecht war. (Nicht, dass er schlafen wollte.) Und nun saß sie wie immer auf seinem Sofa, völlig unversehrt mit einem Grinsen im Gesicht und überraschte ihn ein weiteres Mal mit ihren Spiderman-Künsten. „Also, sagst du mir, wieso du mich gestern nach Yamato’s Lieblingsfarbe gefragt hast?“, fragte Chiaki neugierig, bevor er einen weiteren vollen Löffel Suppe in den Mund nahm. Er konnte sich bereits vorstellen, dass es etwas mit Miyako zu tun hatte. Maron lächelte geheimnisvoll. „Einen Tipp gebe ich dir. Schuluniformfreier Tag.“ Ratlos stutzte er den Kopf. Mit Grün verband er die Farben der Schuluniform. Normalerweise würden alle an diesen Tag diese Farbe vermeiden wollen. „Wenn du morgen zu Schule kommst, wirst du schon sehen.“, hörte er sie sagen. Mehr schien sie ihm nicht verraten zu wollen, weshalb er wortlos nickte und beschloss morgen zur Schule zu gehen. Auch wenn er sich nicht vollkommen fit fühlte, so wollte er jedoch auch nicht den ganzen Tag wieder zu Hause verbringen. Er wäre schon vor Langeweile fast umgekommen. Nach einer Weile war Chiaki mit dem Essen fertig und der Tee tat seinem Hals durchaus gut. Wie letzte Nacht unterhielten er und Maron sich über belanglose Dinge und hörten nebenbei Musik. Sein Zimmer war auf jeden Fall gemütlicher als die Picknickbänke draußen. Es war wärmer, trockener und hell genug für ihn zum Zeichnen, während er sich mit ihr unterhielt – wobei Chiaki hoffte, dass dies nicht zu unhöflich von ihm war. Falls ja, dann ließ Maron es sich nicht anmerken. Was Maron anging, so fängt sie an, sich allmählich in ihrer kleinen Ecke auf dem Sofa wohl zu fühlen. Er wusste noch, wie angespannt sie beim ersten Mal zur Party damals war. Aber das war auch kein Wunder. Vor zwei Wochen war Chiaki noch ein völlig Fremder für sie gewesen. Mittlerweile wusste er, dass sie sich bei ihm wohl fühlte und dass sie ihm vertraute. Und um ihr dieses Wohlgefühl nicht zu ruinieren, blieb er auf seinem Bett. Gute, sichere eineinhalb Meter Abstand von ihr. Schließlich musste er seine Regeln auch hier einhalten. Außerdem war Maron das erste und einzige Mädchen, welches Chiaki in sein Schlafzimmer ließ. Die Male in der er mit Mädels geschlafen hatte, war meist in seinem Auto gewesen. Vier Male waren das und alle Erlebnisse resultierten aus verschiedenen Trink- und Partynächten, in der er mit Yamato unterwegs war. Maron’s summende Stimme unterbrachen seine Gedankengänge. Chiaki sah zu ihr auf. Sie hatte ihren Kopf nach hinten gelehnt, die Augen entspannt geschlossen, ein kleines Lächeln war auf ihren Lippen. Sie sah in dem Moment fast so friedlich aus, wie wenn sie schlief. Ihre Finger spielten gedankenlos mit einer langen Strähne ihrer Haare. Sanft summte Maron mit der Musik im Hintergrund, sang ab und an ein paar Stellen sogar mit. Süß…, dachte Chiaki sich. Er sagte nichts, lächelte nur in sich hinein und zeichnete weiter. „Wusstest du, dass ihr am Samstag bei uns zum Essen eingeladen seid?“, sagte Maron plötzlich, den Kopf immer noch zurückgelehnt, die Augen aber offen und auf ihn gerichtet. Chiaki hatte geahnt, dass eine Einladung zum Abendessen bei den Kusakabe/Toudaijis bald wiederkommen würde. Meistens kamen sie in zwei bis drei Monatsabständen. Ob sie wusste, dass ihr Vater und seiner sowas wie best Buddies waren? „Kaiki kann zu deinem Dad nie Nein sagen“, zuckte er mit den Schultern und zeichnete weiter, „Gutes Essen kann er auch schwer widerstehen. Im Nachhinein bekomm ich immer zu hören, wie gut Sakura’s Essen war.“ Bisher war Shinji und/oder Kagura immer mitgegangen, während der Blauhaarige zu Hause blieb. Keine zehn Pferde würde ihn dazu bringen Fuß in das Haus zu setzen, in der Miyako Toudaiji wohnte. „Nun… diesmal werde ich in der Küche zuständig sein“, sagte Maron mit einem leichten Schmunzeln. „Du wirst doch kommen, oder?“ Sie bekam einen hoffnungsvollen Ton in der Stimme. Abrupt stoppte Chiaki seinen Bleistiftstrich und starrte auf seine Blatt. Wird er kommen? Drei Stunden gegenüber von Miyako an einem Tisch zu sitzen und ihre feindseligen Blicke erdulden? Drei Stunden Shinji dabei zusehen, wie er sich alles in den Mund stopfte, als würde er für zehn essen? Drei Stunden Maron noch mehr ignorieren, als er schon in der Schule musste? Hmmm… Drei Stunden das womöglich beste Dinner Momokuri’s zu essen, was sein Mädchen zubereiten wird... Da konnte er unmöglich nein sagen. „Ja, ich denke, ich kann auch schwer gutes Essen widerstehen“, murmelte er augenrollend, strich sich etwas verlegen die Haare aus dem Gesicht. Sie zog ihre Lippen zu einem schiefen Grinsen hoch und schloss die Augen. Kopfschüttelnd widmete Chiaki sich wieder seiner Zeichnung zu.   Dieses Mädchen brachte ihn noch aus dem Verstand.   Mit einem Winken und einem Lächeln verschwand Maron in der Früh wieder.  Chiaki seufzte ermüdet. In den letzten Tagen hatte er nicht viel geschlafen. Noch weniger als vorher. Eigentlich so gut wie gar nicht.   Kaiki hatte ihm nur Erkältungsmedizin gegeben, die über den Tag helfen sollten, wodurch er auch einfacher wach blieb. Allerdings wusste Chiaki, dass der Schlafentzug sich später noch mehr auf ihn zurückwirken und rächen wird als sonst. Sobald sein Körper die ersehnte Ruhe bekam, welche es seit den letzten Tagen verlangte, dann wird ihn ein langer, schwerer Schlaf erwarten… mit sehr lebhaften (Alb-)Träumen.  (Er wusste, dass Schlafmangel inmitten einer Krankheitsphase nicht gesund war -oder überhaupt dieser schlaflose Lebensstil nicht gesund war-, aber gleichzeitig war er auch ein Sturkopf.) Nach einer kalten Dusche, machte Chiaki sich für die Schule fertig, zog sich Jeans, Hemd, Strickjahre und seine Lederjacke an und packte sich dabei noch Maron’s Kekstüte ein, die er sich für den Tag aufgespart hatte.  Wie üblich fuhr er zu den Minazuki’s, um Yamato abzuholen. Ihm hatte Chiaki Stunden zuvor eine SMS geschrieben, dass er wieder zur Schule kommen würde. Der Braunhaarige trug eine beige Hose mit weißem, glattgebügeltem Hemd und einer braunen Trench-Jacke.  Wortlos nickte Chiaki zur Begrüßung mit dem Kopf. Er hatte immer noch Schnupfen sowie einen leicht kratzenden Hals, aber wenigsten kein Husten oder Niesen.  „Wehe du steckst mich an. Soll ich Sazanka holen, damit die dich gesund vögelt?“, kam es von Yamato, als er in den Wagen einstieg. Ein Schauer lief Chiaki über den Rücken. Er verzog sichtlich angeekelt das Gesicht und zeigte seinem Freund den Mittelfinger. Dieser lachte und hob abwehrend die Hände in die Höhe. „War nur ein Scherz, Alter.“  Der Blauhaarige behielt seine grimmige Miene die ganze Fahrt jedoch bei.  Dank seinem besten Freund hatte er ein ziemlich exzessives, wildes Jahr mit Partyausflügen hinter sich gehabt. Und dank denen bekam Chiaki bedauerlicherweise auch den üblen Ruf, den er bis heute besaß. Und meistens waren diese Events auf Yamato’s Mist gewachsen. Er wollte das Leben als junger Oberschüler aufs vollste genießen, suchte die verrückteste Party und die verrücktesten Clubs auf und schleppte anschließend seinen blauhaarigen Freund mit dahin.  Dort wurden sie von hirnlosen Weibern umzingelt, die ihnen ihre Ausschnitte und alle möglichen Drogen vor das Gesicht hielten. Chiaki hatte viele dumme Sachen dadurch gemacht. Dumme Sachen, wie Koks oder Yashiro. Oder beides zusammen. Er war neu in diesen Dingen gewesen. War ziemlich impulsiv und wollte nach guten Drogen suchen, die ihn wachhielten. Dadurch kam es auch zustande, dass er in der ersten Woche der Oberstufe sein erstes Mal mit einem Mädchen aus dem letzten Jahrgang hatte (genau auf dem Sitz, den Yamato gerade besetzte). Es war nicht schlecht. Sie hatte zum Glück auch nichts Ernsteres darin gesehen, als ein simpler One-Night-Stand. Danach hatten beide auch nie wieder ein Wort miteinander gewechselt, wobei auch nie irgendwelche interessanten Gespräche zwischen ihnen zustande kamen. Danach hatte er noch zwei weitere One-Night-Stands mit irgendwelchen Mädels aus den oberen Jahrgängen gehabt, die wie er den Sex nur als einmalige Sachen ansahen, ohne tiefere Bedeutung. Nach einem halben Jahr landete er schließlich mit Yashiro auf der Rückbank seines Wagens. Mit der falschen Hoffnung, dass dies genauso einfach enden würde, wie er es sonst kannte. Leider ließ das Mädchen danach nicht mehr locker, rückte ihm dauernd auf die Pelle und Chiaki wurde mit der Erkenntnis wachgerüttelt, dass diese Partyexzesse ein Ende haben mussten. Weder Yashiro noch Kokain oder sonstige illegale Drogen hatte er je wieder angerührt.  Yamato konnte er mit dem Argument überzeugen, dass Miyako nicht auf drogenabhängige Typen stehen würde, wodurch er auch aufhörte. Chiaki war das recht. Er brauchte diesen Rausch nicht. Er war viel zufriedener damit in seinem Zimmer zu sitzen und mit Maron über alles und nichts zu reden. Sein Mädchen war seine neue Droge. „Holy shit…“, hörte er Yamato plötzlich benommen flüstern, als er auf dem Schulparkplatz einparkte.  Chiaki folgte seinen Blick in Richtung Miyako’s Mercedes, aus dem die Mädels soeben ausgestiegen waren. Maron trug einen einfachen Pullover mit Jeans und einen großen Mantel mit dickem Schal drüber.  Und Miyako-…  Die Kinnlade fiel ihm runter.  Maron, du verdammtes Genie…, ging es ihm durch den Kopf.  Seine kurzhaarige Nachbarin war von oben bis unten in Yamato’s Lieblingsfarbe gekleidet. Der Oberteil hatte einem teuflisch tiefen Ausschnitt, der Schottenrock war ziemlich eng geschnitten und diese Lederoptikstiefeln! Normalerweise hielt Chiaki nicht viel von Miyako, aber dieses Outfit sah verdammt gut an ihr aus, ohne Frage.  Er kicherte und stieg aus seinem Wagen aus. Vorher wandte sich noch kurz zu Yamato um, der geistesabwesend zu Miyako rüber starrte und sich seine Tasche auf seinen Schoß gedrückt hat.    Im Klassenzimmer saß Maron schon auf ihren Platz. Wie sonst auch setzte Chiaki sich neben sie hin, ohne ihr eines Blickes zu würdigen. Sie tat dasselbe. Es dauerte noch ein paar wenige Minuten bis die Stunde anfing. Es kamen immer mal noch Schüler rein und unterhielten sich angeregt über das kommende Wochenende. Darunter auch Yashiro, die trotz des herbstlichen Wetters einen Mini-Rock aus Leder trug mit einem durchsichtigen Oberteil, in der ihre Reizwäsche zum Vorschein kam. Darüber hatte sie einen knielangen Wollcardigan an. Mit einem selbstgefälligen Lächeln stand sie für einen Augenblick mit einer Freundin im Gang zwischen Chiaki’s und Maron’s Tischen, legte dabei wie zufällig ihre Hand provokativ auf seine Tischoberfläche ab. Chiaki wollte am liebsten Desinfektionsspray holen und seinen Tisch sauber machen. Er warf einen unauffälligen Blick zu seiner Tischnachbarin rüber. Maron’s Blick in den braunen Augen sah aus, wie würde sie ihrer Klassenkameradin die Hand abhacken wollen. Hinter hervorgehaltenen Händen musste er sich ein belustigtes Schmunzeln verkneifen. Die Schulglocke erklang und Yashiro verschwand mit ihrer Freundin zu den hinteren Reihen, wo ihre Tische waren. Im nächsten Moment kam auch der Lehrer. Die Stunden vergingen und nach der letzten Unterrichtseinheit traf Chiaki sich mittags mit Yamato in der Cafeteria zum Mittagessen. Yamato wartete schon an deren Tisch, das Gesicht so angespannt wie Chiaki es noch nie gesehen hatte. Der Blauhaarige nahm mit einem vielsagenden Grinsen Platz. Sein Freund warf ihm einen scharfen Blick zu, worauf Chiaki die Augen verdrehte und sich sein Kommentar über Miyako verkniff. Anscheinend gab’s immer noch keine Fortschritte. Warum sprach er Miyako nicht endlich an und fragt sie aus? Worauf wartete er noch? Dass er vor Erregung noch stirbt?  Die beiden waren wirklich ein hoffnungsloser Fall. Chiaki zuckte seufzend mit den Schultern. Eventuell wird es früher oder später passieren. Er gab ihnen noch einen Monat. Wenn bis dahin nichts passierte, würde er selbst Hand anlegen und nachhelfen. Maron würde da bestimmt mitmachen wollen. Er holte seinen Kekstüte raus, hatte keine Lust auf die fade Pizza, die in der Cafeteria heute angeboten wurde.  Yamato beäugte die Tüte neugierig. Chiaki ignorierte ihn, wollte in keinerlei Weise sich irgendwie erklären. Wenigstens fragte sein Freund auch nicht nach. Nach dem Mittagessen fuhren beide anschließend nach Hause. TEN --- TEN   Als Kaiki am späten Nachmittag nach Hause kam, hatte er Shinji und Chiaki direkt in sein Büro gerufen und beide gefragt, ob sie morgen bei den Nachbarn zum Abendessen mitkommen wollten. Die Überraschung war bei Kaiki und Shinji sehr groß, als Chiaki der Einladung zusagte. Schließlich wollte er sonst auch nie mitgehen, aber wenigstens fragten sie ihn nicht wieso er diesmal plötzlich Ja sagte. Gerade als die Jungs darauf bedacht waren in ihre Zimmer zurückzukehren, hielt der Arzt sie für einen Moment noch auf. Chiaki ließ sich genervt auf dem Sessel gegenüber von Schreibtisch wieder fallen. Er war müde, schniefte ununterbrochen, hatte sogar leichte Kopfschmerzen und wollte einfach wieder seine Ruhe haben. Erwartungsvoll schaute er seinen Vater mit hochgezogener Augenbraue an. „Takumi’s Tochter ist vor kurzem aus Osaka hierhergezogen“, setzte Kaiki an, den ernsten Blick auf Chiaki gerichtet. „Chiaki, du kennst sie wahrscheinlich nicht so gut, wie Shinji es tut. Aber... du musst vorsichtig mit ihr umgehen.“ Ich kenne sie nicht so gut, wie Shinji es tut?!, wiederholte der Angesprochene in Gedanken, warf Shinji einen flüchtigen, ungläubigen Blick zu und musste sich stark zusammenreißen, um nicht prustend loszulachen. Wenn ihr wüsstet! Doch er behielt seine ruhige, unschuldige Miene bei, machte sogar einen neugierigen, verwunderten Gesichtsausdruck. „Sie fühlt sich sehr unwohl unter Menschen und mag es nicht berührt zu werden“, sprach Kaiki weiter. Was du nicht sagst, ging es Chiaki sarkastisch durch den Kopf, rollte innerlich mit den Augen, musste sich das Lachen ein weiteres Mal verkneifen. Aber er rechnete es hoch an, dass sein Vater Mitgefühl für ihre Situation zeigte, weshalb er nur verständnisvoll nickte. Anschließend begab er sich in sein Zimmer zurück, um für die nächsten Stunden auf das Mädchen zu warten, welches er angeblich „nicht zu gut kannte, wie Shinji es tat“. (Als ob der Typ sie überhaupt kannte, nur weil sie jeden Tag in der Mittagspause zusammen an einem Tisch saßen.) Chiaki nahm sich ein Glas Wasser und schluckte seine Medikamente, auch wenn er sie womöglich nicht mehr brauchte. Aber sie halfen ihn wach genug zu halten, um über den Tag halbwegs zu funktionieren. Seit er krank war, hatte er wahrscheinlich nur um die vier Stunden insgesamt geschlafen. Viel zu wenig und das war ihm bewusst. Selbst wenn er mehr schlafen wollte, konnte er nicht. Es ging einfach nicht. Und das Ganze reizte ihn sehr aus. Sein Gehirn fühlte sich an, als würde es zu Brei werden. Es wurde schwieriger sich Dinge zu merken. Er konnte sich schon an die letzte Mathestunde von heute nicht mehr erinnern. Nur wenige Male hatte Chiaki es so weit kommen lassen. Er ging über seine Grenzen hinaus und er wusste, dass es dumm und leichtsinnig war. Doch er konnte nichts dagegen machen. Er war einfach nur müde. Nicht nur schläfrig müde. Sondern auch erschöpft. Erschöpft darüber müde zu sein. Sich immer an der Grenze zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit zu befinden, auf diesen schmalen Grat zu wandern und nie dazu fähig sein, weder das eine noch das andere voll und ganz zu durchleben. Er würde alles dafür geben wieder normal schlafen zu können. Sich wie ein normaler Mensch zu fühlen. Wenigstens einmal wollte er imstande sein, irgendwo hinzugehen und alles um ihn herum aufs vollste wahrnehmen zu können. Ohne den Zombie-Filter. Er war müde und erschöpft. Hatte es satt. Und er hatte vollkommen Angst davor, dass sich nie was ändern wird und dass ihm die Chance auf Normalität verwehrt blieb.   Chiaki verbrachte den Abend damit aufzuräumen. Normalerweise hielt er sein Zimmer auch immer sauber, aber seit er krank war, hatte er sich gehen lassen. Nun hatte er wenigstens genug Elan, um das mal zu erledigen. Schließlich sollte Maron nicht noch denken, dass er im Saustall leben würde. Um Punkt Mitternacht kam sie wieder. Es erstaunte ihn, dass er sie draußen nie hören konnte, wenn sie hochkam. Als Diebin, oder ähnliches, wäre sie wirklich perfekt geeignet. Allerdings konnte er sehen, dass das Klettern sie auch ausreizte. Die Ringe unter ihren Augen waren dicker als sonst. Er konnte sehen, dass auch sie über ihre Grenzen hinausging und mit ihm zwischen zwei Extremen entlang balancierte. Chiaki wollte ihr schon etwas von seiner restlichen Erkältungsmedizin abgeben, als er letztlich bemerkte, dass Maron sich eine Thermoskanne Kaffee mitgebracht hatte. Wie die Nächte zuvor entleerte sie ihre Tasche und machte es sich auf ihrem Platz auf dem Sofa gemütlich. Ihm fiel auf, dass sie dieses Mal keine Suppe mitgebracht hatte. Stattdessen fand Chiaki in der großen Tupperwarenbox Pasta vor, als er sich auf seinem Bett niederließ. Der Duft haute ihn fast um. Er aß ohne Hemmungen, wohl wissend, dass sein Mädchen dies von ihm erwarten würde. Im Augenwinkel konnte er sehen, wie Maron zufrieden in sich hineingrinste. Gelegentlich konnte er sie amüsiert kichern hören. „Hey“, sagte er gespielt beleidigt mit halbvollem Mund, „Lach mich nicht aus! Ich muss noch wachsen.“ Die Aussage ließ Maron noch lauter kichern. Anschließend beugte sie sich herunter, zog sich ihre Schuhe aus, brachte ihre Beine aufs Sofa hoch und legte ihre Arme um die Knie. „Gibt es etwas, was du zum Dinner gerne haben willst?“, fragte sie in einem leisen Ton. Das Dinner wäre morgen... beziehungsweise heute (wenn man nach der Uhrzeit ging) und Chiaki konnte sich vorstellen, dass Maron sich in ihrem Kopf schon ein volles Menü zusammenstellte. „Hmmm...“ Er dachte für einen Moment nach, während er mit der Gabel durch die Pasta stocherte. „Ist eigentlich egal. Ich bin mir sicher, alles was du zu Tisch bringst, wird super sein“, sagte er mit einem leichten Schulterzucken. Sie lächelte bei dem Kompliment erfreut. Ein Lächeln, was auch ihre Augen erreichte. Solch ein Lächeln war selten auf ihrem Gesicht zu sehen. Gewöhnlicherweise war es meist nur ein halbes Grinsen oder ein kleines Schmunzeln. Oder ein angespanntes Lächeln, welches sie sich aufsetzte, um ihre wahren Gefühle zu verbergen. Darin waren beide sich wohl auch ähnlich. Schnell wurde ihr Lächeln zu einem Gähnen, ihre Augen tränten dabei etwas. Sofort schnappte sie sich ihren Kaffee auf dem Boden und trank es gierig. Und da Gähnen ansteckte, musste Chiaki direkt auch gähnen. Ein verlegenes Kichern war von ihr zu hören. „Hast du dennoch ein Lieblingsessen?“, fragte Maron interessiert. „Ehm... Gratin”, offenbarte er und fügte schnell hinzu, „Du musst das morgen aber nicht machen!“ Er wollte ihr auf keinen Fall irgendwelche Umstände bereiten. „Hmm. Okay. Wenn nicht morgen, dann ein anderes Mal, ja?“ „Du musst nicht. Überhaupt das alles hi-“ „Ich will aber. Ich mach das gerne“, beharrte sie, worauf er sich seufzend geschlagen gab und nickte. Die Stunden vergingen und Chiaki versuchte immer irgendwelche Gespräche voranzubringen, um beide von der Müdigkeit abzulenken. Beispielsweise fragte er Maron nach der Mathestunde, die er vergessen hatte. Sie überlegte angestrengt, versuchte selbst in ihrem erschöpften Gedächtnis die Erinnerungen darüber aufzurufen. Was am Ende bedauerlicherweise nicht viel war. Eventuell hatten sie heute irgendwelche Geometrieformeln wiederholt, aber keiner von beiden war sich sicher. Sie witzelten etwas über Miyako’s Outfit und Yamato’s Reaktion, besprachen die bevorstehenden Partnerarbeiten, die beide in einigen Fächern machen müssen, unterhielten sich über nahezu alles, was ihnen in den Sinn kam. Maron erzählte ihm von all den Dingen, die sie beim Dinner machen würde und Chiaki würde sie nach Details fragen, um ihren Kopf beschäftigt zu halten.   Als die Uhr schließlich halb sechs anzeigte, war Maron’s Kaffee aufgebraucht sowie Chiaki’s Packung an Erkältungsmedikamenten. Er war sich nicht sicher, ob er den Tag durchhalten würde, da Samstag war und er dementsprechend keine Schule hatte. Maron würde durchhalten, dem war er sich sicher. Sie konnte sich mit Kochen schließlich wachhalten. Er sah ihr wie immer dabei zu, wie sie ihre Sachen zusammenpackte und zur Balkontür hinausging, achtete darauf, dass sie nicht schwankte beim Laufen. Ihre Schritte schienen aber sicher zu sein genauso wie ihre Bewegungen, als sie sich nach unten begab. Hinter dem Vorhang spähend, stellte er noch sicher, dass Maron unversehrt nach Hause kam. Was sie tat. Chiaki begab sich in sein Bad und ging eiskalt duschen. Als das kalte Wasser seine Haut berührte, wurde er auch munter. Die kalten Temperaturen ließen ihn nicht zusammenzucken. Diese Methode hatte er schon so oft angewendet, wenn es so schlimm wurde, dass er teilweise schon daran gewöhnt war. Und heute musste er unbedingt wach bleiben. Nach dem Duschen rasierte er sich noch den Bart der letzten fünf Tage weg, um einigermaßen präsentabel auszusehen, was Kaiki von ihm auch erwarten würde. Besonders schick machen, würde er sich allerdings nicht. Schließlich waren sie nur zum Essen bei dem Nachbarn eingeladen und nicht auf einer Gala. Ein einfaches Shirt mit Strickjacke und Jeans sollten reichen. Nach nur einer Stunde war er im Bad fertig. Was schlecht war. Denn er hatte immer noch mehr als elf Stunden zu überbrücken bis zum Dinner. Mit einem mürrischen Blick sah er zu seinem Bett rüber. Auf keinen Fall würde er sich darauf niederlassen - die Gefahr war zu groß, dass er einschläft und bis morgen womöglich nicht mehr aufwachte. Und er hatte keinen Bedarf, sich für so viele Stunden von seinen Albträumen peinigen zu lassen. Stattdessen schnappte Chiaki sich sein Skizzenbuch und setzte sich auf Maron’s Platz auf dem Sofa hin. Es duftete noch nach ihr. Er nahm tief Luft, ließ den blumigen Duft seines Mädchens auf sich wirken und fing anschließend an zu zeichnen, darauf hoffend, dass die Zeit schnell verging.   Die Stunden vergingen schleppend. Heute war wahrscheinlich der härteste Tag für ihn wach zu bleiben. Er musste schon zwei weitere kalte Duschen nehmen, um dies zu bewerkstelligen. Um exakt 18 Uhr schleppte er sich die Treppen runter, wäre dabei zweimal fast gestolpert. Im Flur wartete schon Kaiki. Seufzend fuhr Chiaki sich durch die Haare. Er hoffte, dass er den Abend überleben würde. Wenn man so müde war, dann war alles wie als würde man die Welt mit einem Tunnelblick wahrnehmen. Sein Gehirn nahm nur noch das wahr, was sich direkt vor ihm befand. Er fühlte sich wie eine Maschine, der zwar alle Bewegungen ausführen konnte, jedoch nur sehr schwerfällig und dem es an der nötigen Energie fehlte, um hundertprozentig funktionieren zu können. Demnach bekam Chiaki noch nicht richtig mal mit, dass Shinji neben ihn aufgetaucht war oder dass sie schon aus dem Haus waren. Und ganz plötzlich waren sie schon bei den Nachbarn vor der Tür. Chiaki zog seine Brauen zusammen, blickte sich desorientiert um und schüttelte leicht den Kopf. Die Verwirrung ließ nicht ab, als Sakura Toudaiji auf einmal vor ihm stand und ihn zur Begrüßung herzlich umarmte. Dies brachte zumindest seine Konzentration etwas wieder hoch und er erwiderte die Umarmung zaghaft. Sakura war eine nette, gutherzige Frau und erinnerte ihn in gewisser Hinsicht auch etwas an seine eigene Mutter. Weshalb er die Umarmung mit gemischten Gefühlen erwiderte. „Danke für die Einladung“, sagt Chiaki leise in einem freundlichen Ton, als sie ihn losließ. Sakura lächelte ihn warm an, als sie anschließend Shinji in die Arme nahm. Gleichzeitig kam Takumi Kusakabe auf ihn zu, hielt ihm begrüßend die Hand entgegen. Chiaki schluckte leicht als er Maron’s Vater vor sich sah, nahm aber freundlich die Hand und schüttelte sie. „Fühlt euch wie zu Hause“, sagte Takumi und führte alle ins Wohnzimmer. Dort saß Miyako schon auf der Couch. Chiaki entging es nicht, dass sie ihn verächtlich anfunkelte, was er allerdings amüsiert hinnahm. Und da er keine Kraft hatte genervt zu sein, lächelte er sie einfach an, wohlwissend dass dies sie nur irritieren würde. Plötzlich stand Chiaki im Esszimmer vor einem großen, bedeckten Tisch. Die Erwachsenen saßen schon an einem Tischende beisammen und unterhielten sich. Miyako, die ausgelassen mit Shinji quatschte, war gerade dabei sich neben ihrer Mutter hinzusetzen. Was zum Henker?, ging es ihm verwirrt durch den Kopf. Wann und wie kam er hierhin? Eben stand er noch im Wohnzimmer bei der Couch und jetzt-… Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Es war fast 19 Uhr. Er kann sich nicht erinnern, was in den letzten dreißig Minuten geschehen war oder was er gemacht hat. Er kniff sich kurz die Augen zusammen und rieb sich die Stirn. Er kannte jede einzelne Phase von Schlafmangel und gerade kam er sich vor, als hätte er die Wahrnehmungsstörungen übersprungen und würde sich direkt beim Gedächtnisverlust befinden. Angesichts dessen fragte er sich bereits, ob der ganze Abend hier nicht eine Halluzination war. So desorientiert hatte er sich in all den Jahren noch nie gefühlt. Noch nie waren die Gedächtnislücken so extrem. Langsam ließ Chiaki sich auf dem Stuhl neben Shinji nieder. War sichtlich angespannt. Die Angst überkam ihm, dass er eventuell etwas machen würde, was ihn wahnsinnig aussehen ließ. Bitte lass mich nicht den Verstand verlieren…!, flehte er in Gedanken. Im nächsten Moment kam jedoch sein Mädchen rein und der Anblick von ihr beruhigte ihn etwas. Sie trug eine schwarze Leggings mit einem schlichten, weißen Shirt, die Ärmel bis zum Ellenbogen hochgekrempelt. Chiaki fiel auf, dass dies das erste Mal war, dass er ihre nackten Unterarme sah. Sie wirkten dünn, blass und zierlich, was er irgendwo auch erwartet hatte. Aber es war ungewohnt so viel Haut von ihr zu sehen. Was denk ich da?! Chiaki schüttelte den Kopf und versuchte alle seine Konzentration für den Abend zu sammeln. Maron begrüßte Kaiki und Shinji mit einem leisen, freundlichen Hallo und setzte sich anschließend neben Miyako hin. Genau gegenüber von Chiaki. Sie sah fast so müde aus wie er. Die dunklen Ringe unter ihren Augen waren nach wie vor so ausgeprägt, wie in der Nacht zuvor. Kurz spähte Maron zu ihm rüber, ehe sie ihrem Blick wieder auf das Essen senkte. Er betete darum, dass sie etwas sagen oder sich mit den anderen unterhalten würde, damit er seine Aufmerksamkeit auf etwas, wie ihre Stimme, lenken konnte und mental nicht abdriftete. Doch zu seiner Enttäuschung blieb sie ruhig, während die anderen sich angeregt unterhielten und aßen. Auf einmal hatte er in der einen Hand seine Schüssel Reis und in der anderen ein Stück Fleisch zwischen den Stäbchen, führte es gerade zu seinem Mund. Er hielt inne, die Stäbchen mit dem Fleischstück in der Luft halten, zog indessen die Brauen zusammen und sah sich um. War er am Essen? Hatte er schon was gegessen? Miyako schien ihn komplett zu ignorieren, unterhielt sich lachend mit Shinji und die drei Erwachsenen waren auch in ihren eigenen Gesprächen vertieft. Nur Maron blickte ihm direkt in die Augen. *** Etwas stimmte mit ihm nicht. Maron blickte Chiaki besorgt an. Er saß nur da und starrte sie an, wirkte völlig geistesabwesend und verloren. Besonders dieser verwirrte Ausdruck in seinem blassen Gesicht war für Maron alarmierend. Sie wusste, dass er wie sonst auch nicht viel geschlafen hatte. Allerdings war er zusätzlich noch krank gewesen und hat gerade deswegen Schlaf in den letzten Tagen eigentlich nötig gehabt. Sie musste ihn aus dieser Trance rauszuholen, ehe die anderen noch etwas mitbekamen. Und es gab nur eine Sache, die sie tun konnte. Kurz schloss Maron ihre Augen, nahm tief Luft, sammelte sich etwas und versetzte ihrem Gegenüber unter dem Tisch einen kurzen, dennoch kräftigen Tritt ins Schienbein. Chiaki zuckte erschrocken zusammen, ließ sein Fleischstück dabei in die Reisschüssel fallen und blinzelte einige Male irritiert. Nachdem sie ihm mit einem stummen Blick zu verstehen gab, dass er sich zusammenreißen sollte, nickte er dankend und fing an zu essen. Maron atmete erleichtert auf. Zum Glück waren alle anderen am Tisch so in ihren Gesprächen vertieft, dass sie nichts von den beiden mitbekamen. Während die Braunhaarige aß, behielt sie Chiaki genaustens im Auge. Dieser schien weder sie noch die anderen zu beachten, aß seine Schüssel mit Beilagen schnell auf. Schneller als Maron ihn je Essen gesehen hatte. Sein Verhalten war ungewöhnlich und besorgniserregend zugleich. Sie wollte ihn fragen, was mit ihm los war, aber sie konnte nicht. Still beobachtete sie, wie er sich zweimal Nachschlag holte, diese genauso schnell runterschlang und zu niemanden ein Wort sagte. Für zwanzig Minuten, lief das so ab. Schließlich setzte Chiaki seine Schüssel und Stäbchen auf den Tisch ab, hustete etwas und trank sein Glas Wasser auf Ex runter. Langsam drehte er sich um, beugte sich leicht nach vorne zu Dr. Nagoya gewandt. „Kaiki?“, sagte er in einem verhaltenen Ton, unterbrach dabei die politische Diskussion, die sein Vater mit Takumi hatte. „Ich...uhm... will wirklich nicht unhöflich sein, aber ich...eh... fühle mich nicht so gut.“ „Die Erkältung ist noch nicht weg?“, fragte Kaiki etwas stutzig. Chiaki hustete darauf nochmal etwas. „Du meine Güte, das hört sich nicht gut an“, kam es von Sakura besorgt, „Geh ruhig nach Hause und ruh dich aus“, sagte sie mit einem warmen Lächeln. „Bin ganz ihrer Meinung“, nickte Takumi zustimmend. „Wir wollen alle nicht, dass es dir am Ende noch schlechter geht.“ „Du hast gehört, was sie sagten“, erwiderte Kaiki in einem fürsorglichen Ton, „Ab nach Hause mit dir und geh am besten früh schlafen.“ Chiaki nickte. Miyako brummte leise etwas in sich hinein, was Maron nicht verstand. Was auch immer es war, die Braunhaarige konnte es nicht so sitzen lassen und gab ihrer Sitznachbarin deswegen einen mahnenden Tritt ins Bein. Miyako zuckte bei dem Tritt leicht. Benimm dich, gab Maron ihr mit einem scharfen Blick in den Augen zu verstehen. Miyako sagte nichts und sah auf ihr Essen herunter. Während Chiaki aufstand, schwankte er kaum merklich und hielt sich an der Stuhllehne fest. Alles kleine Dinge, die niemand außer Maron bemerkte. Er war müde. Viel zu müde. „Danke für das Essen. Es war wirklich lecker“, sagte Chiaki höflich zu Sakura gewandt, warf Maron einen flüchtigen Seitenblick zu, eher er aus dem Zimmer ging. Kurze Zeit später konnte man auch die Eingangstür zufallen hören. Den Rest des Dinners fühlte Maron sich wie, als würde sie auf heißen Kohlen sitzen. Sie war mehr als besorgt um Chiaki, wollte am liebsten aufspringen und nach ihm sehen. Doch sie musste noch bis zum Ende ausharren, wünschte sich dabei, dass die Uhr schneller laufen würde. Nach einer halben Stunde hatte sie noch Kuchen als Dessert an den Tisch gebracht. Während die meisten zu satt und voll dafür waren, schaffte Shinji es noch dreiviertel von der Nachspeise runterzubekommen (zum großen Erstaunen der anderen). Maron konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Miyako hatte mit dem schwarzen Loch im Magen nicht übertrieben, dachte sie sich. Shinji grinste sie unschuldig an und zuckte mit den Schultern. Schließlich kehrten alle ins Wohnzimmer zurück, während Maron den Tisch aufräumte und das Geschirr in die Küche brachte. Im Hintergrund konnte sie den Fernseher hören - den Kommentaren zufolge lief irgendeine Sportsendung. „Kommst du klar?“, hörte Maron auf einmal ihren Vater sagen, der mit den letzten paar Tellern in den Händen in der Küche stand und alles auf der Arbeitsfläche ablegte. Sie wusste, dass er nicht vom Geschirr oder Aufräumen sprach und rollte mit den Augen. „Ich sagte dir doch, du brauchst dir, um mich keine Sorgen zu machen. Mir geht es gut“, entgegnete sie mit einem ermüdeten Seufzen. „Kümmer’ dich lieber um deine Gäste. Braucht ihr was zu trinken? Wein, Bier, irgendwas?“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. „Nein, schon gut. Ich glaube, selbst ein Schluck Wasser bekomme ich nicht mehr runter. Du hast dich echt übertroffen“, lachte Takumi, „Kaiki-… ich meine, Dr. Nagoya habe ich dir bisher noch gar nicht vorgestellt, oder?“ „Nope“, schüttelte sie den Kopf, während sie alles in die Spülmaschine einräumte, „Er scheint aber sehr nett und sympathisch zu sein.“ Das meinte sie auch ernst. Sie war froh, dass Chiaki bei ihm unterkam. Man merkte Dr. Nagoya an, dass er sich um seinen Sohn sorgte. „Ach ja...“ Maron fiel ein, dass ihr Vater für die nächsten drei Wochen geschäftlich weg sein wird. „Wann musst du morgen los?“, fragte sie interessiert. „Mittags. Spätestens gegen zwölf muss ich zum Flughafen los“, antwortete er, „Kannst es wohl kaum erwartet, dass dein alter Herr weg ist?“ Daraufhin musste sie lachen. „Quatsch. Natürlich werde ich dich vermissen.“ Sie würde ihren Vater durchaus vermissen, aber teilweise war sie auch etwas froh darüber für drei ganze Wochen nur unter Frauen zu leben. Machte sie das eine schlechte Tochter? Ein bisschen überkam sie das schlechte Gewissen und sie biss sich schuldig auf die Lippe. Takumi schenkte ihr ein kleines, verständnisvolles Lächeln, wie als würde er verstehen, was in ihr vorging. Der Abend zog sich hin und gegen halb neun verabschiedeten die Nagoyas sich schließlich, bedankten sich herzlichst für das Essen. Einige der Reste nahmen sie mit nach Hause. Maron gesellte sich daraufhin zu Miyako auf der Wohnzimmercouch, unterhielt sich etwas mit ihr. Die Kurzhaarige sprach den Tritt beim Essen nie an. Ihre Eltern stießen in der Unterhaltung der Mädels noch dazu, ehe alle eine Stunde später schließlich ins Bett gingen. Endlich!, ging es Maron durch den Kopf. Denn noch immer war sie ziemlich beunruhigt über Chiaki’s Verhalten heute Abend und konnte es kaum erwarten zu ihm rüberzugehen.   Für die nächsten Minuten lief Maron nervös in der Küche auf und ab. Sie blickte zu Chiaki’s Fenster rüber. Das Licht war aus. Normalerweise war das Licht nie aus. Das beunruhigende Gefühl in ihrer Magengrube verstärkte sich. Immer wieder sah Maron auf die Uhr und hoffte, dass sie Mitternacht anzeigte. Unterdessen hatte es draußen angefangen zu gewittern. Der Wind sowie der Regen ratterten lautstark an den Fenstern. Um zweiundzwanzig Uhr hielt sie es nicht mehr aus. Sie musste ihn sehen. Maron schnappte sich ihre Jacke, zog sich die Kapuze über und ging nach draußen. In innerhalb von Millisekunden war sie pitschnass, doch das hinderte sie nicht zu den Nachbarn rüberzugehen. Sie lief zum Gitter an der Wand und kletterte sich wie gewohnt nach oben, trotz erschwerter Wetterbedingungen. Wasser lief ihr das Gesicht herunter, machte es schwieriger für sie zu sehen. Dennoch schaffte Maron es ohne Komplikationen auf den Balkon. Sie hob ihre Hand und klopfte an die Glasscheibe der Tür. Keine Reaktion. In dem Moment als sie ein zweites Mal klopfen wollte, hielt sie inne. Ein Geräusch war aus seinem Zimmer zu vernehmen. Es klang wie ein Handywecker. Augenblicke vergingen. Wieso machte er ihn nicht aus? Maron klopfte ein zweites Mal, diesmal lauter. Doch Chiaki kam nicht. Dutzende Szenarios gingen ihr durch den Kopf. Die meisten von ihnen endeten damit, dass er irgendwo tot in seinem Zimmer lag. Panik überkam sie und sie tat etwas, was sie normalerweise nicht tun würde. Sie griff nach der Klinke und öffnete, ohne eine weitere Sekunde zu warten, die Balkontür. Langsam trat sie ein und schloss hinter sich die Tür. Es war ungewohnt dunkel in seinem Zimmer. Nur das schwache Licht des Handys, welches auf dem Nachttisch lag, durchbrach die Finsternis. Maron ging vorsichtig darauf zu und schaltete den Wecker aus. „Chiaki?“, flüsterte sie unsicher, zitterte leicht. Neben ihr war sein Bett und sie konnte ein leises, tiefes Wimmern von da vernehmen. Erleichtert atmete sie aus. Erleichtert darüber, dass Chiaki nicht tot war. Aber dennoch war nicht alles gut. Sofort tastete Maron auf dem Nachttisch nach der Lampe, schaltete ihn an. Kaum war das Licht an, fand sie Chiaki auch schlafend auf dem Bett vor. Falls man es Schlafen nennen konnte. Er lag auf der Bettdecke, trug noch dieselben Klamotten, wie vor ein paar Stunden und warf sich unruhig hin und her. Tränen strömten ihm die Wangen herunter. Sein Gesicht war qualvoll verzogen, er zitterte und bebte am ganzen Leib. Er hatte einen Albtraum. Ein weiteres Wimmern entkam ihm und Maron spürte, wie ihr selbst die Tränen die Augen hochstiegen. Sie konnte es nicht ertragen ihn so leiden zu sehen. Es brach ihr das Herz. Fast so wie damals, als sie den toten Körper ihrer Mutter fand. „Chiaki. Hey, Chiaki. Wach auf“, rief sie etwas lauter. Doch er hörte sie nicht. Es war wie, als würde der Albtraum ihn gefangen halten. „HEY! Chiaki! Verdammt, bitte, wach auf!!“ Egal, wie oft und wie laut Maron nach ihm rief und ihn darum bat aufzuwachen, sie bekam keine Antwort. Verdammt, was soll ich nur tun? Ihre Stimme konnte nicht zu ihm vordingen. (Sie fand auch nichts, was sie nach ihm werfen konnte, ohne ihn ernsthaft zu verletzten.) Unter Tränen begann sie zu realisieren, dass sie Chiaki berühren musste, ihn wach rütteln musste, eventuell auch wach schlagen musste, um ihn zu erreichen. Um ihn aus dem Albtraum zu bekommen. Tief nahm sie Luft, um ihre Nerven zu beruhigen. Der kurze Tritt ans Bein war eine Sache, aber das... Ihre Hände zitterten vor Nervosität. Sein Bett war auch zu groß, um von ihrem Punkt aus mit dem Arm nach ihn reichen zu können. Langsam hob sie ein Knie auf die Matratze und dann das andere, krabbelte vorsichtig auf ihn zu. Gerade lag Chiaki auf der Seite, mit dem Gesicht zu ihr gewandt. Bei den Gedanken ihn berühren zu müssen, musste sie noch mehr zum Weinen. Sie hatte Angst. Furchtbare Angst. Doch sie musste sein Leid stoppen. Maron hob zitternd eine Hand, führte sie langsam zu seiner, die sich krampfhaft an der Decke festgekrallt hatte. Sie streckte einen Finger aus, stoppte einen Zentimeter über seine Knöchel. Ein letztes Mal atmete sie tief durch und stupste ihn testweise kurz an. Sie spürte ein warmes, elektrisierendes Gefühl, welches sie durchfuhr. Überrascht zog sie ihrer Hand wieder zurück. Fassungslos sah sie mit großen Augen zwischen ihrer und seiner Hand hin und her. Keine Angstattacken, keine Bilder und Flashbacks vor ihrem geistigen Auge – alles war okay. Sie war okay. Weshalb sie sich dazu trieb, einen Schritt weiter zu gehen und ihre ganze Hand auf seine zu legen. Schon wieder dieses elektrisierende Gefühl. Es war ein merkwürdiges, ungewohntes Gefühl. So anders. Und dennoch irgendwie angenehm. Maron schaffte es den Griff seiner Hand zu locker und sie neben seinen Körper abzulegen. Sie war immer noch erstaunt darüber, dass sie das ohne verrückt zu werden bewerkstelligen konnte. Mit etwas mehr Selbstbewusstsein näherte sie sich ihm noch ein Stück, bereit endlich das zu tun, was sie schon seit Tagen machen wollte. Vorsichtig hob sie ihre Hand und strich Chiaki sanft die Haare aus dem Gesicht. Und anstatt die Hand wieder wegzuziehen, strich sie ihm weiter durchs weiche Haar. Dies schien ihn auch zu beruhigen, zu ihrer Überraschung. Sein Zittern nahm von Minute von Minute ab. Seine Züge entspannten sich. In ihrem Inneren herrschte ein Feuerwerk von Gefühlen. Sie konnte ihn berühren. Und ihm gefiel es. Berauscht von all der positiven Aufregung, den diese Erkenntnisse ihr brachten, ließ sie sich neben ihn nieder, hörte dabei nicht auf ihm durch die Haare zu streicheln. Dass sie ihn eigentlich wecken wollte, war ihr in den Momenten völlig entgangen. Zu sehr freute es sie, dass sie ihn besänftigen konnte. Ihre Wange legte sie auf ihre freie Hand ab, betrachte sein schlafendes Gesicht. Er war zwar ruhiger, aber noch immer zuckten und kniffen sich seine Lider unruhig zusammen. In dem Moment fiel Maron ein, was Chiaki ihr damals gesagt hatte. Dass seine Mutter ihn als Kind immer in den Schlaf gesungen hatte. Also begann sie leise zu singen.   Cast away your worries, my dear For tomorrow comes a new day…   Seine Züge entspannten sich und er atmete tief aus. Hold to me, you've nothing to fear…   Die Tränen ließen nach, sein Körper war völlig entspannt und seine Atmung ging in einem ruhigen, regelmäßigen Rhythmus. Er sah so friedlich aus. Maron konnte sich ein liebevolles Lächeln nicht verkneifen.   Though the world is cruel There's a light that still shines In the darkest days of our lives   Plötzlich und ohne Vorwarnung, legte Chiaki einen Arm um ihre Taille. Abrupt brach Maron ab und erstarrte. Sie befürchtete das Schlimmste. Doch es kam nach wie vor nichts. Keine Angstattacken, keine Flashbacks, kein Hyperventilieren, kein Weinen. Nichts. Nur dieses komische, elektrisierende Gefühl auf ihrem Körper. Genau dort, wo Chiaki seinen Arm um sie gelegt hatte. Maron riss sich aus ihrer Schockstarre, setzte das Lied summend fort und strich ihm weiter durch die Haare, kraulte ihm leicht den Nacken. Dabei traute sie sich sogar, noch näher an ihn heran zu rücken, sodass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut und sein Herzschlag durch die Brust spüren konnte. Ihr Lächeln wurde breiter. Es war eine Ewigkeit her, seit sie das letzte Mal jemanden so nah war. Und nie hätte sie es sich vorgestellt, Chiaki so nah kommen zu können. Der Griff um ihre Taille erhöhte sich etwas und er drückte sie näher an sich ran. Dieses Mal erstarrte Maron nicht. Stattdessen ließ sie ihre Hand von seinen Haaren runter wandern, fuhr sachte mit den Fingerspitzen über seinen Rücken und sie umarmte ihn zurück. Ebenso lehnte sie ihren Kopf auf seine Brust an und genoss sichtlich die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. In seinen Armen zu liegen, gab ihr so ein ungewohntes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit… es fühlte sich irgendwie richtig an. Zufrieden seufzend schloss Maron ihre Augen. Sie merkte gar nicht, dass sie Sekunden später eingeschlafen war. Und zum ersten Mal seit Monaten bekam sie keine Albträume, die sie heimsuchten. Ohne irgendwelche Träume schlief sie in Chiaki’s Armen durch. ELEVEN ------ ELEVEN   Das erste, was Chiaki spürte, war diese Wärme. Eine Wärme, die er umarmte. Und die ihn zurückumarmte. Es war eine angenehme Wärme. Er nahm einen tiefen Atemzug. Ein vertrauter Duft kam ihm entgegen. Blumig mit einem Hauch von Zitrone. Er rückte näher zu der Wärme ran und hätschelte etwas Weiches, Seidiges. Der Duft von Blumen und Zitrone wurde stärker. Ein sanftes Schnarchen war zu vernehmen-... Huh?! In der Sekunde schnappten seine Augen auf, er rang überrascht nach Luft, wich so schnell es ging von dieser Wärmequelle zurück. Er fiel und landete mit einem lauten Knall rücklings auf dem harten Boden. Ein ächzendes Zischen entkam ihm, während er heftig gegen das grelle Sonnenlicht blinzelte und irritiert zur Decke hochblickte. Langsam rappelte Chiaki sich auf die Knie und schaute auf sein Bett. Ein erschrocken großes Paar braune Augen traf auf seine. Maron saß auf seinem Bett, ihre Haare sahen aus wie ein wilder Heuhaufen. Er blinzelte einige Male ungläubig. Sie saß auf seinem Bett! Heilige Scheiße… „Heilige Scheiße“, hauchte Chiaki mit krächzender Stimme. Sein Gehirn brauchte etwas länger, um die aufgefassten Informationen zu verarbeiten. Maron saß auf seinem Bett! Sie saß auf seinem Bett und wirkte wie ein kleines Kind, welches man bei Süßigkeiten klauen erwischt hatte. Was zum Teufel macht sie auf meinem Bett?! „Was zum Teufel machst du auf meinem Bett?!“, fragte er entgeistert. Sein Gehirn war definitiv noch nicht wach. Ihr Gesicht wurde beschämt rot. Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich von ihm ab. Chiaki saß immer noch wie gelähmt auf dem Boden. Verwirrt und ratlos darüber, wie sie in sein Bett gekommen war. Plötzlich sprang Maron, ohne ein Wort zu sagen, vom Bett auf und rannte zur Balkontür. Wieso zum Teufel geht sie jetzt?! „Wieso zum Teufel gehst du jetzt?!“ Chiaki wünschte sich, sein Gehirn würde endlich mal anfangen anständig zu funktionieren und ihn nicht das raushauen lassen, was er im selben Moment dachte. Ohne ihm zu antworten, war Maron schon aus der Tür raus und kletterte nach unten. Unbeholfen rappelte Chiaki sich auf die Beine, ging zum Balkon und sah, wie sie zu ihrem Grundstück rannte, ohne zurückzublicken. Er strich sich stöhnend seine Finger durch die Haare und versuchte zu verstehen, was soeben geschehen war. Doch sein Kopf brauchte noch einige Momente, um richtig hochzufahren. Mit seiner Hand fuhr er sich über den steifen Nacken. Sein ganzer Körper fühlte sich so steif an. Seine Gelenke schmerzten. Und seine Klamotten waren ein wenig feucht. Er schleppte sich zunächst ins Bad, beschloss eine schöne, heiße Dusche zu nehmen. Er entledigte sich aus seinen Klamotten und stieg unter die Dusche. Das warme Wasser tat gut. Währenddessen überlegte Chiaki was vorhin eigentlich geschehen war. Er kramte in sein Gedächtnis und versuchte sich die wichtigsten Ereignisse des gestrigen Tages in Erinnerungen zu rufen. Er erinnerte sich daran im Haus Kusakabe/Toudaiji Abend gegessen zu haben. Das Essen war höllisch gut. Aber er war müde. Viel zu müde, um durchzuhalten. Weshalb er sich beeilt hatte und eher nach Hause ging. Gegen acht war er daheim und hatte es eventuell noch geschafft seinen Wecker für zwei Stunden zu stellen. Und dann-... Erschrocken fiel ihm die Shampoo-Flasche aus der Hand, als Chiaki realisierte, dass er seinen Wecker überhört hatte. Wie lange hatte er dann geschlafen?! Er schaltete das Wasser ab, ging aus der Kabine raus und öffnete die Badezimmertür so weit, dass er seine Digitaluhr sehen konnte. 11:49. Einige Male musste er fassungslos blinzeln, rieb sich die Augen und überprüfte nochmal die Uhrzeit. 11:50. Schnell rechnete er in seinem Kopf die Zahlen zusammen. Fast sechszehn Stunden. Er hatte fast sechszehn Stunden durchgeschlafen! Mit Maron zusammen!? Was und wie zum Teufel...? Was war passiert?! Chiaki hatte so viele Fragen im Kopf. Aber er fühlte sich gut. Ungewohnt gut. Erstaunlich gut. Munter. Und ausgeschlafen. Überhaupt gar nicht müde und erschöpft. Er drehte sich zu seinem Badezimmerspiegel um. Seine Augen waren immer noch mit dunklen Schatten gezeichnet, aber die waren nicht mehr so ausgeprägt, wie sonst. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. In der nächsten Sekunde erstarb sein Lächeln allerdings wieder. Ich habe Maron berührt…!, ging es ihm schockiert durch den Kopf, hielt sich fassungslos eine Hand vors Gesicht. Er hatte sie berührt! Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht?! (Okay, um fair zu sein, er hatte geschlafen und war nicht bei Bewusstsein…aber trotzdem!) Ihr schien es jedoch gut zu gehen. Vielmehr noch - vage konnte Chiaki sich entsinnen, dass sie ihn zurückumarmt hatte. Wie war das möglich? Die Fragen in seinem Kopf häuften sich von Minute zu Minute. Er musste dringend mit ihr sprechen, dem war er sich sicher. Chiaki strich sich durch die nassen Haare und zog sich an. Er fühlte sich so erholt und voller Energie, es war unglaublich. Es war ein ungewohnt gutes Gefühl. Ein Gefühl, was er seit sehr, sehr langem nicht mehr gespürt hatte. Er hatte schon daran gezweifelt, ob es auch wirklich existierte. Es war ein Gefühl, was er gerne beibehalten wollte. *** Als Maron zu Hause ankam, klopfte ihr Herz wie als wäre sie einem Marathon gerannt. Mit der Stirn lehnte sie sich an der Eingangstür an und atmete tief durch, versuchte ihre Atmung zu beruhigen. „Da bist du ja.“ Erschrocken drehte Maron sich zu der Stimme ihres Vaters um. Takumi kam mit verschränkten Armen an der Wohnzimmertür gelehnt. „Wo warst du gewesen? Ich habe mir Sorgen gemacht. Und dein Handy hattest du zu Hause gelassen.“ „Ehm...Sorry...“ Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu. Ihr fiel ein Koffer auf, der an der Wand neben ihn stand und ein flüchtiger Blick auf die Uhr zeigte ihr fast zwölf an. Shit! Erschrocken fiel ihr ein, dass ihr Vater gleich abreiste. „I-Ich war früh auf und dachte mir für einen Morgenspaziergang rauszugehen“, erklärte sie sich, „I-Ich hatte dabei total die Zeit vergessen und... verdammt, ich konnte euch kein Frühstück machen und du musst gleich los-“ „Okay. Maron, beruhig dich.“ Ihr Vater stoppte sie mit erhobener Hand, die Stimme sachlich ruhig. „Es ist schön, dass du dir mal ein bisschen Zeit für dich nimmst. Ich bin auch froh, wenn du mal etwas aus dem Haus und insbesondere aus der Küche rauskommst“, witzelte er leicht. „Aber beim nächsten Mal nimm dein Handy mit. Oder hinterlass eine kleine Notiz, damit ich Bescheid weiß.“ „O-Okay. Versprochen. Kommt nicht nochmal vor…“ „Was das Frühstück angeht, da hatte Sakura sich um alles gekümmert. Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“ „Okay“, wisperte sie kleinlaut. „Nun…Wenigstens bist du noch rechtzeitig gekommen, damit ich mich von dir verabschieden kann.“ Takumi ging zur Garderobe und holte sich seine Jacke. „J-Ja... Gute Reise.“ Verlegen strich Maron sich eine Strähne nach hinten. Ihr Vater lächelte fürsorglich auf sie herab. Er wirkte wie, als wolle er ihr eine Umarmung geben, hielt sich jedoch zurück. „Versprich mir, dass du auf dich aufpasst?“, fragte er stattdessen, die Augen mit einem Hauch von Traurigkeit gezeichnet.   Sie presste sich die Lippen zusammen und nickte stumm. Im nächsten Moment kamen auch Sakura und Miyako in den Flur und verabschiedeten sich von Takumi. „Ruf an, wenn du kannst“, kam es von Sakura. „Natürlich.“ „Und bring Souvenirs mit“, grinste Miyako augenzwinkernd. Takumi lachte daraufhin amüsiert. Anschließend nahm er seinen Koffer in die Hand und war aus der Tür verschwunden. Eine Weile sahen die drei Frauen seinem Auto hinterher bis es aus dem Blickfeld verschwunden war. „Maron, hast du Hunger? Willst du vielleicht was essen?“, fragte Sakura mit einem warmen Lächeln. Verneinend schüttelte Maron den Kopf. „Ich gehe erstmal duschen. Vielleicht danach.“ Damit ging sie die Treppen zum Obergeschoss hoch, holte sich aus ihrem Schrank im Zimmer schnell ein paar Wechselklamotten und ging ins Bad. Dort stieg sie in die Kabine und schaltete das warme Wasser an. Ich bin so dumm. Gott, ich bin so dumm, ging es ihr wiederholend durch den Kopf, als sie den heutigen Morgen immer und immer wieder Revue passieren ließ. Selbstvorwürfe plagten sie. Es war dumm von ihr, letzte Nacht auf sein Bett zu steigen, in seine Privatsphäre einzudringen und dann noch darauf einzuschlafen. Dabei wollte sie nur so lange bleiben bis er eventuell wach wurde. Doch sie war so müde... und es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, dass sie das letzte Mal so gut geschlafen hatte. Und dabei noch von jemanden gehalten wurde. Noch immer konnte sie seine Arme um ihren Körper spüren sowie dieses elektrisierende Kribbeln… Gleichzeitig sah sie allerdings auch seinen entgeisterten Gesichtsausdruck vor ihrem geistigen Auge. Wild schüttelte Maron mit dem Kopf und vergrub ihr Gesicht in ihre Hände. Oh Gott… Ob sie es wagen sollte, heute Nacht nochmal zu ihm rüber zu gehen? Mit ihm zu reden, sich zu erklären und zu entschuldigen? Es wäre schließlich nur richtig. Aber was ist, wenn er irgendwie sauer auf sie war? Verdammt, was mach ich nur?, dachte sie sich verzweifelt. Frustriert schaltete sie das Wasser ab, stieg aus der Dusche und wickelte sich ein Badetuch um. Anschließend zog sie sich an und ging zu den anderen runter. Den Rest des Tages grübelte sie darüber nach, was sie tun sollte, sobald die Nacht anbrach. Noch immer kam sie zu keinem Entschluss. *** Derweil dachte Chiaki auch viel nach und kam zu zwei wichtigen Erkenntnissen. Das Erste war, dass letzte Nacht etwas passiert war, was ihn normal schlafen ließ. Ohne Albträume, denn zumindest konnte er sich an keine erinnern. Das Zweite war, dass Maron sich von ihm berühren ließ und keinen schrägen. emotionalen Zusammenbruch bekam. Er hatte keine Ahnung, wie er sich das alles erklären konnte. Und die einzige Person, die ihm Erleuchtung bringen konnte, war heute Morgen aufgeregt aus seinem Zimmer rausgerannt. Demnach hoffte Chiaki, dass er Maron heute Nacht wiedersehen würde. Er hatte ihr zwar eine SMS geschrieben mit der Frage, ob sie reden könnten, doch die Nachricht blieb unbeantwortet. Am Nachmittag ging er in die Küche runter. Dort traf er auf Kaiki, der sich mit Kagura unterhielt. Anscheinend war sein älterer Adoptivbruder zu Besuch da. Gerade hatten sie sich die Reste vom gestrigen Essen warm gemacht, was für alle im Haus noch reichte. „Chiaki“, rief Kaiki erfreut, „Wie ich sehe, geht es dir heute besser.“ Chiaki grinste ihn an und zuckte unbeschwert mit einer Schulter. Mir geht’s mehr als nur besser! Ich habe sechszehn Stunden(!) lang geschlafen, dachte er sich erheitert. Er hatte furchtbar gute Laune, trotz all der unbeantworteten Fragen in seinem Kopf. „Willst du auch was?“, fragte Kagura, hob einen Teller Frühlingsrollen hoch. Nickend stimmte Chiaki zu, schloss sich den beiden zum Essen an, unterhielt sich auch ausgelassen mit ihnen. Nebenbei kamen immer mal lobende Kommentare zu Maron’s Kochkünsten. Chiaki hatte so gute Laune, dass er sogar mit Shinji zum ersten Mal seit Jahren ein anständiges Gespräch halten konnte, als dieser dazu stoß. Er fühlte sich wie neu geboren. Es war wie als würde er das Leben von jemand völlig anderem leben. Es war so bizarr. Er konnte sich auf jedes kleinste Detail in seiner Umgebung fokussieren. Dieses Gefühl war einfach nur bizarr und fantastisch zugleich.   Den ganzen Tag verbrachte er in dieser guten Laune. Bis allerdings der Zeitpunkt kam, in der er allmählich müde wurde. Das war aber auch kein Wunder, schließlich hatte er um die sieben Jahre ordentlichen Schlaf nachzuholen. Er war zwar müde, aber es war nicht so schlimm wie gestern, weshalb er auch mit Leichtigkeit dagegen ankämpfen könnte. Gleichzeitig wusste er jedoch, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Möglichkeit gab, in der er gar nicht dagegen ankämpfen musste. Demnach lief Chiaki unruhig in seinem Zimmer auf und ab, als Mitternacht näher rückte und wartete darauf, dass Maron auf seinem Balkon auftauchte. Auf seine SMS hatte er immer noch keine Antwort bekommen. Womöglich hatte er sie auch verschreckt mit seinem Verhalten heute Morgen. Wahrscheinlich sollte er sich bei ihr auch entschuldigen, dafür wie er sie angegangen war. Nachdem er keinen Nerv mehr hatte in seinem Zimmer weiter auf und ab zu laufen, beschloss Chiaki draußen, auf seinem Balkon, auf sie zu warten. Es war ziemlich kalt draußen. Frost bildete sich langsam auf den Oberflächen. Der Winter rückte näher. Gleichzeitig war im Himmel eine sternenklare Nacht und der Mond leuchtete hell auf. Chiaki hatte einen guten Blick zum Nachbarshaus. Alle Fenster waren dunkel bis auf eines im Erdgeschoss. Die Küche. Er wartete ein paar Minuten. Doch Maron kam nicht. Chiaki dachte darüber nach, eventuell bis morgen zu warten und zu riskieren mit ihr in der Schule zu sprechen. Doch das war für ihn zu spät. Er wollte nicht in diesen schlaflosen Trott zurückkehren, den er seit Jahren durchlebte. Weshalb er nicht ewig darauf warten konnte, dass Maron irgendwann mal bei ihm aufkreuzte. Im Vergleich zu ihm, lebte sie letztlich nur seit ein paar Monaten ohne Schlaf. Er musste mit ihr reden. Und zwar jetzt. Mit dem Entschluss ging Chiaki wieder rein, schnappte sich seine Jacke und kletterte geschickter als je zuvor das Gitter runter. Unauffällig schlich er zu den Nachbarn rüber, näherte sich dem Haus halb gebückt bis er das Küchenfenster erreichte. Langsam hob er seinen Kopf und spähte rein. Und da war sie, sein Mädchen. Maron saß auf einem Hocker am Tresen über ein paar Hausaufgaben oder ähnlichem gebeugt. Chiaki hob seine Hand und klopfte sachte mit seinen Knöcheln gegen die Scheibe. Erschrocken sprang Maron von ihrem Sitz hoch, eine Hand vor dem Mund gehalten und drehte sich zum Fenster um. Sie sah völlig verängstigt aus. Sehr schlau von dir, du Idiot, fluchte Chiaki mit sich selbst, als er seinen Fehler erkannte, Schleich dich wie ein Krimineller ran und mach ihre Albträume zur Wirklichkeit! Er richtete sich aufrecht und hielt beide Hände in die Höhe. Entschuldigend blickte Chiaki sie an. Nachdem Maron realisierte, dass er es war, entspannte sich ihre Körperhaltung direkt. Sie ließ erleichtert ihre Hand über der Brust sinken und nahm ein paar tiefe, beruhigende Atemzüge. Im nächsten Moment verließ sie kurz die Küche, um anschließend wieder mit dicker Jacke in der Hand zurückzukommen, den sie sich beim Rausgehen durch die Hintertür anzog. Wie er, sah sie auch besser aus. Zwar nicht Gute-Laune-mäßig besser, wie er sich den ganzen Tag gefühlt hat, aber ihre Augen sahen erholter aus. „Hi“, sagte sie in einem Wispern, den Blick auf ihre Schuhe gesenkt. Als Maron wieder aufsah, nickte Chiaki in Richtung der Picknickbänke, gab ihr zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. Was sie auch tat. Schweigend liefen die beiden zu der kleinen Parkanlage und nahmen an ihren jeweiligen Enden der Picknickbank Platz. Dieser Ort war sowas wie die neutrale Zone für sie. Für eine Weile starrten beide unbeholfen nach vorne zum Fluss, nicht wissend, wer zuerst was sagen sollte. Als das Schweigen ihm allmählich zu viel wurde, wusste Chiaki, dass er das sagen sollte, was er bisher noch nie zu jemanden gesagt hatte. Noch nie. „Sorry“, platze es wie aus einem Mund aus beiden heraus. Seufzend wandte Chiaki sich zu Maron um, die beschämt den Kopf gesenkt hatte. „Wofür entschuldigst du dich?“, fragte er irritiert. Dass seine eigene Entschuldigung nicht mehr von großer Bedeutung war, nervte ihn etwas. „Ich- ehm…“, setzte sie an, „Es war falsch von mir einfach so auf dein Bett zu steigen. Das war völlig unangebracht… Und ehm, ich habe dir auf deine Nachricht nicht geantwortet, weil ich verunsichert war…“ Nervös spielte sie mit ihren Haaren. Tief musste er aufseufzen. „Ich bin nicht sauer oder ähnliches, Maron“, sagte Chiaki sanfter, „Um ehrlich zu sein, wollte ich mich eben dafür entschuldigen, dass ich dich heute Morgen so angegangen bin.“ Ein raues Kichern entkam ihm. „Du darfst dich geehrt fühlen, dann sowas mache ich gewöhnlich nie. Obwohl-“ Kurz hielt er inne, strich sich mit der Hand über den Nacken. „Obwohl eine Erklärung schon hilfreich wäre…“ Es war mehr eine Frage als eine Aussage. Maron wandte sich zu ihm um, legte ihre Beine auf die Bank ab und schlang ihre Arme um die Knie. „Es ist peinlich und unangenehm“, sagte sie, fuhr sich verlegen durch die Haare, die Wangen leicht gerötet. Chiaki zog erwartungsvoll eine Braue hoch, wartete geduldig, bis sie endlich mit der Sprache rausrückte. Tief nahm sie Luft und begann alles, was letzte Nacht geschehen war, zu rekapitulieren. Sie erzählte ihm von seinem tranceähnlichen Verhalten und wie sie sich den ganzen Abend Sorgen um ihn gemacht hatte. Wie sie sich anschließend früher als sonst zu ihm rüber schlich, den Wecker ununterbrochen hörte und in sein Zimmer schließlich reinging. Als Maron zu dem Punkt kam, in der sie ihn schlafen sah, verhärteten sich ihre Gesichtszüge. Sie erzählte ihm, dass er einem Albtraum hatte, dort womöglich auch feststeckte und dass sie ihn nicht wecken konnte. Chiaki war etwas beschämt darüber, dass sein Mädchen ihn in so einem schwachen Moment sehen musste, aber bereuen konnte er es auch nicht wirklich. Angesichts dessen was dadurch danach geschah. Sie erzählte ihm, wie sie auf sein Bett stieg und festgestellt hatte, dass sie ihn berühren konnte. „Da war dieses kribbelnde Gefühl, wie ein Stromschlag…“, versuchte sie ihm die Berührung zu beschreiben, doch Chiaki verstand nur Bahnhof. Maron setzte ihre Erklärung damit fort, dass ihre Handlungen ihn beruhigten, worauf sie sich auch hinlegte, es sich gemütlich machte und ihm das alte Schlaflied seiner Mutter sang. Chiaki fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Sie hatte Recht. Die Story war peinlich und unangenehm… Für ihn! Insbesondere als sie erwähnte, wie er einen Arm um sie gelegt hatte, wollte er im Boden versinken. „Und dann bin ich irgendwie eingeschlafen“, vollendete Maron, den Blick nach unten gerichtet, „Das wollte ich eigentlich gar nicht. Ich wollte nur so lange bleiben bis du aufwachst, aber… ich war so müde…“ „…Und du hast geschlafen?“, fragte er, „Ohne Albträume, meine ich.“ Zögernd bejahte sie mit einem Nicken. Chiaki wandte sich nach vorne zum Fluss um und ging all die neu aufgenommenen Informationen durch den Kopf durch.   Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass Maron sein Schlüssel zum normalen Schlaf war. Genauso war er ihrer. Was auch immer für eine höhere Macht das war… Psychologen, Mediziner und Schlafwissenschaftler würden mit Sicherheit Schlange stehen wollen, um die Gründe dahinter zu erforschen. Doch die Gründe und die Wissenschaft interessierten Chiaki nicht. Er war müde und hatte andere Sorgen. So überlegte er auch fieberhaft, wie er Maron am besten die eine Frage stellen konnte, die ihm momentan durch den Kopf schwirrte, ohne dass sie es in den falschen Hals bekam. „Maron.“ Er drehte sich rittlings zu ihr um, presste sich für einen Augenblick zögernd die Lippen zusammen. „Uhm…Ich muss dich was fragen, aber bitte flipp nicht aus, oder so.“ Er hoffte, dass er jetzt nichts zwischen ihnen vermasselte. (Er hatte schließlich ein Talent dafür gute Dinge in seinem Leben zu vermasseln.) Sie zog eine Augenbraue hoch und nickte. Langsam stellte er seine Frage, ohne den Blick von ihr abzuwenden: „Also… wie, uhm, wie unwohl würdest du dich dabei fühlen, wenn ich dich frage, ob du… ob wir das heute nochmal machen? Schlafen…mein ich…“ Maron sah ihn mit großen Augen an, ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. Gespannt wartete Chiaki auf ihre Antwort, hielt unbewusst den Atem an. Er hoffte innerlich aufs Beste, machte sich aber auch aufs Schlimmste gefasst. Für einige Momente war es beklemmend still zwischen ihnen bis Maron sich räusperte. „Ich, ehm… wäre nicht abgeneigt… es zu versuchen“, sagte sie zurückhaltend leise. Erleichtert atmete Chiaki aus, lächelte sie an, war froh darüber, dass sie bei seinem Vorschlag nicht davongerannt war. Allerdings wollte er auch sichergehen, dass dieses Etwas, was ihn Maron berühren ließ, nicht weg war. Weshalb er vorsichtig seine Hand nach ihr ausstreckte, die Handfläche nach oben gezeigt. Wortlos bat er Maron sie zu nehmen… falls sie es konnte. Die Braunhaarige blickte mit einem zweifelhaften, unsicheren Ausdruck auf seine Hand herab. Sie presste sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, hob ihre Hand und reichte langsam nach seiner. Zittern stupste sie zunächst kurz mit dem Zeigefinger seine Handfläche an. Sofort war ein Kribbeln zu spüren, wie ein kleiner Stromschlag. Überrascht zog Chiaki die Brauen etwas zusammen, sah zwischen seiner und ihrer Hand hin und her, hielt seinen Arm weiterhin ausgestreckt. Maron machte ein teils erleichtertes, teils zufriedenes Gesicht. Anschließend legte sie ihre ganze Hand in seiner und umschloss sie mit ihrem Fingern. Er blickte leicht erstaunt auf ihre beiden Hände. Ihre Hand war zart und klein und ihre Haut fühlte sich weich an. Ein kleines Lächeln bildete sich auf Maron’s Lippen, ihre Augen leuchtet vor Glück etwas auf. Chiaki sah von ihren Händen zu ihr auf, lächelte ebenfalls und stand von der Bank auf, zog sie dabei mit hoch. Gemeinsam, Hand in Hand, liefen sie zurück zur Villa. Seinem Mädchen ging es gut. Keine Schrägen, emotionalen Zusammenbrüche. Ruhig und entspannt lief sie neben ihn her. Beide kletterten zu seinem Balkon hoch, Maron zuerst und dann Chiaki, nachdem er sicherging, dass sie unversehrt oben angekommen war. In dem Moment, in dem beide sein Zimmer betraten, begann er sich etwas nervös zu werden. Die Gesamtsituation war einfach nur komisch und unbehaglich, Maron in sein Bett zu bekommen, ohne dass es falsch rüberkam. Doch letztendlich brauchte Chiaki nichts sagen, denn er sah, wie Maron ihre Schuhe auszog, ihre Jacke auf seinem Sofa ablegte und auf sein Bett stieg. Mit hochgezogener Augenbraue sah sie ihn fragend an, darauf wartend, dass er sich ihr anschloss. Schließlich zog sich Chiaki ebenfalls Jacke und Schuhe aus, nahm sein Handy in die Hand und stellte den Wecker auf halb sechs. Gerade war es halb eins und fünf Stunden Schlaf waren immer noch mehr, als beide es gewohnt waren. Außerdem hätte Maron morgens somit noch genug Zeit, um nach Hause zu kommen bevor ihre Familie was bemerkte. Tief atmete er aus, schaltete die Nachttischlampe aus und gesellte sich neben Maron aufs Bett, die schon mit dem Gesicht zu ihm gewandt auf der Seite lag. Chiaki vermutete, dass dieser gewisse körperliche Kontakt für die ganze Sache nötig war, weshalb er vorsichtig etwas näher an sie heranrückte. Als er nah genug bei ihr war, hob sie ihre Hand und begann sanft durch seine Haare zu streicheln. Das Gefühl ihrer Finger auf seinem Kopf fühlte sich verdammt gut an. Ihre Hand wanderte etwas nach unten und sie kraulte ihm sachte den Nacken. Seufzend schloss er genussvoll die Augen und entspannte sich, wusste dennoch nicht was er tun sollte. Wie als würden Maron seine Gedanken lesen können, überwand sie die letzten Zentimeter zwischen ihnen und drückte ihren zierlichen Körper gegen seinen. Chiaki musste schlucken. Sein Kopf war völlig benebelt von dem Duft ihrer Haare und der Wärme, die sie ausstrahlte. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und begann anschließend das Lied zu summen. Sofort überkam ihm dieses sentimentale, nostalgische Gefühl in seiner Brust. Es war so lange her, seit er es das letzte Mal gehört hatte. Um zu vermeiden, dass er noch anfing wie ein kleines Kind zu weinen, legte Chiaki seinen Arm um sein Mädchen, drückte sie näher an sich an und vergrub sein Gesicht in ihre Haare. In innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen. *** Maron lächelte gegen seine Brust, als sie merkte, dass Chiaki eingeschlafen war. Sie hatte zwar mit Summen aufgehört, streichelte seine Haare dennoch weiter. Sie zwang sich noch für ein paar Minuten länger wach zu bleiben, wollte diesen schönen Moment genießen. Sie konnte seinen regelmäßigen Atem auf ihren Kopf spüren. Immer mal drückte er sie näher an sich ran und strich mit seiner Hand auf ihrem Rücken durch ihre langen Haare. Sie hab ihren Kopf etwas, um einen Blick auf sein schlafendes Gesicht zu erhaschen. Er sah so schön und friedlich aus. Am liebsten wollte Maron ihre Hand von seinem Haaren zu seinem Gesicht runter wandern lassen und ihm über die Wange streicheln, doch sie hatte Angst, dass dies ihn wecken könnte. Stattdessen genoss sie einfach die Wärme seines Körpers, schloss die Augen und driftete in den albtraumfreien Schlaf ab.   Fünf Stunden später wurde Maron von dem lauten, melodischen Geräusch des Weckers geweckt. Aber sie fühlte sich so wohl, sie wollte gar nicht aufstehen. Träge kuschelte sie ihren Kopf an Chiaki’s Brust an. Ein ermüdetes Stöhnen entkam ihm und er entzog sich von ihr. Zu ihrer Enttäuschung. Maron öffnete ihre Augen. Anders als gestern lag Chiaki noch neben ihr auf dem Bett und nicht auf dem Boden. Er hatte sich von der Seite auf den Rücken gerollt, die Augen waren geschlossen und er suchte mit einer Hand blind nach seinem Handy auf dem Nachttisch. Bei dem genervten Ausdruck auf seinem Gesicht konnte sie sich ein Kichern schwer verkneifen. Gähnend rollte auch sie sich auf den Rücken und streckte sich etwas. Sie hatte super gut geschlafen. Zufrieden grinste sie in sich hinein. Unterdessen hatte Chiaki es geschafft den Wecker auszuschalten. Maron setzte sich auf, während er sich die Augen rieb und allmählich die Lider öffnete, dabei ein paar Mal blinzelte. Sein Blick traf auf ihren und ein verschlafenes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, ehe er sich ebenfalls aufsetzte und sich rücklings in die Kissen zurücklehnte. Seine Haare standen in alle Richtungen ab. Maron musste belustig schmunzeln, teilweise war sie schuld daran. Für einige Momente war es ruhig zwischen den beiden bis Maron einfiel, dass sie nach Hause musste bevor die anderen aufwachten. Sie stand vom Bett auf und zog sich wortlos ihre Schuhe und Jacke an. „Also…“ Chiaki saß noch am Kopfende angelehnt auf dem Bett und räusperte sich. „Kommst du heute Nacht wieder?“ Maron drehte sich zu ihm um und verdrehte grinsend die Augen. „Wo sonst werde ich wohl sein“, entgegnete sie. Er schien erleichtert über ihre Antwort zu sein und ein verschlafenes Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. Mit einem Winken über der Schulter verabschiedete sie sich, ging nach draußen und kletterte runter. Sie war voller guter Laune und Energie, sie wäre fast noch Hause gehopst. Nach dem Maron sich umgezogen hatte, machte sie Frühstück für sich und den anderen. Sie setzte sich gegenüber von Miyako und Sakura hin und aß mit Freude ihr Essen. „Gut geschlafen?“, fragte Sakura warm lächelnd. Maron nickte breit grinsend. Und wie!, dachte sie sich kichernd. Sie fühlte sich so normal, wie seit langem nicht mehr. Die Schule wirkte auch völlig anders, wenn man ausgeschlafen und munter war. Manche Aspekte waren gut, manche weniger gut. Alles erschien viel klarer und lebhafter als vorher. Sie konnte den Unterricht besser mitverfolgen. Gleichzeitig war es für Maron allerdings schwieriger die Blicke und das Geflüster ihrer Klassenkameraden zu ignorieren, was sie etwas verunsicherte. Unauffällig schaute sie zu Chiaki hinüber und sah, wie er mit einem zufriedenen Blick in den Augen in der Klasse saß. Ihre innere Anspannung ließ damit auch schnell wieder nach, denn es freute Maron, dass er dieselbe gute Laune teilte wie sie. Von daher ließ sie sich ihre Stimmung nicht von der penetranten Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler verderben. Zwar ignorierte Chiaki sie nach wie vor, aber das störte Maron nicht. Schließlich hatte sie die letzten zwei Nächte auf seinem Bett übernachtet.   Die erste Hälfte des Tages ging vorüber und die Mittagspause stand an. Mit einer etwas angespannten Haltung schlängelte Maron sich durch die Menschenmasse, versuchte so gut wie möglich Abstand zu ihrem Mitmenschen zu halten. An ihrem Tisch angekommen, stieß sie einen leichten Seufzer aus, als sie sich hinsetzte. An die neue Wahrnehmung müsste sie sich noch gewöhnen, denn jeder erschien ihr plötzlich näher und präsenter als vorher. Miyako und die anderen saßen auch schon am Tisch, unterhielten sich fröhlich, während Maron sich wie gewohnt ihrem Buch widmete. Im Vergleich zu sonst, konnte sie allerdings das Gespräch am Tisch nicht ausblenden, wie wenn sie müde war. Gerade ging es wohl darum, dass Miyako bei Natsuki das Wochenende übernachten möchte, diese aber keine Lust darauf hatte. „Natsuki hat schon Pläne mit den heißesten Kerl Momokuris. Stimmt's Schatz?“, grinste Shinji frech. Maron schnaubte. „Komm von deinem hohen Ross runter“, kicherte sie und sah von ihrem Buch auf. Alle am Tisch saßen wie eingefroren da, starrten sie mit großen Augen und überraschten Gesichtsausdrücken an. Maron ließ ihr Kichern leise verklingen. Was? Ihr Lächeln fiel. Verwirrt blickte sie Miyako, Natsuki und Shinji an. „Das was ein Scherz“, sagte sie leicht irritiert, die Wangen rosa gefärbt. Für einige Sekunden war es still bis Shinji plötzlich schallend auflachte, was Maron zusammenzucken ließ. „Sowas aber auch! Sie kann also doch reden“, grinste er, bevor Natsuki ihm einen Klaps auf den Hinterkopf gab. Maron sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen verwirrt an. Hatte sie in Shinji’s Gegenwart noch nie etwas gesagt? „Sorry“, murmelte er, rieb sich den Hinterkopf. Maron schenkte ihm ein kleines Lächeln, war aber immer noch sichtlich verwundert. Neben Chiaki und ihr Vater, gehörte Shinji zu den Männern, die ihr im Leben irgendwie am Nächsten waren. Und sie hatte in den drei Wochen, in der sie zusammen an diesem Tisch saßen, noch nie ein Wort mit ihm gewechselt? Hmm... Maron dachte darüber nach, ob dieser Durchbruch, den sie mit Chiaki hatte, sich eventuell auch auf andere übertrug. Dass sie vielleicht auch andere Männer wieder normal berühren konnte. Vielleicht war Chiaki nicht so besonders und vielleicht besserte sie sich auch? Vielleicht war sie in irgendeiner Weise geheilt? Bei ihrem Vater hatte sie gestern vor lauter Aufregung komplett vergessen, dies zu testen und in Erfahrung zu bringen. Außerdem war Shinji ein netter Kerl. Er würde ihr nicht wehtun (sonst würde Natsuki ihm wehtun). Maron hob entschlossen ihr Kinn hoch, richtete sich gerade, klappte ihr Buch zu und legte es auf dem Tisch beiseite. Miyako, Natsuki und Shinji beobachteten aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Ich kann das, ging es ihr ermutigend durch den Kopf. „Entschuldige, ich schätze, ich war nicht gerade höflich dir gegenüber“, sagte sie in einem aufrichtigen Ton an Shinji gewandt. Seine Augen weiteten sich bei ihrer selbstbewussten Stimme und Körperhaltung. „Lass uns nochmal von vorne anfangen, okay?“ Maron streckte mit einem Lächeln höflich ihre Hand in seine Richtung aus. Dass ihre Hand ein wenig zu zittern begann und dass sich ihr Herzschlag aufs Doppelte beschleunigte, versuchte sie zu ignorieren. „Ich bin Maron. Nett dich kennenzulernen“, sagte sie, zwang sich zu einer ruhigen Stimmlage, um die Nervosität darin zu verbergen. Shinji starrte sprachlos auf ihre Hand herab. Miyako beugte sich zu Maron rüber. „Du musst das nicht machen, Maron“, flüsterte sie ihr ins Ohr. Doch, ich muss, dachte Maron sich verbissen. Sie wollte wissen, wie es um sie steht. Sie musste es wissen. Sie musste es probieren. Jegliche Geräusche um sie herum verschwammen und sie blickte mit einem angespannten Lächeln eindringlich in Shinji’s große, bernsteinfarbenen Augen. Darauf wartend, dass er ihre Hand nahm. Zögernd streckte Shinji seine Hand nach ihrer aus und umfasste sie. Es war nur ein leichter Händedruck, dennoch breitete sich sofort der blanke Horror auf Maron’s Gesicht aus. Die Bilder schlugen, wie eine Tsunamiwelle, auf sie ein. Sie sah, wie Noyn sie viel zu fest an der Hand packte und durch den Flur zerrte, sie trat und anschrie, als sie einmal fast geflüchtet war. Wie er ihre Finger brach, als sie versuchte sich zu wehren und ihn zu beißen. Maron entriss abrupt ihre Hand von Shinji. Sie spürte, die vertraute Panik in ihrer Brust hochsteigen und begann allmählich zu hyperventilieren. Nein, nein, nein, nein! Nicht hier! Auf keinen Fall wollte sie es hier geschehen lassen. Weshalb sie aufstand und so schnell wie möglich aus der Cafeteria rannte. Sie hörte, wie Miyako versuchte ihr nachzurennen, doch irgendwann schien Maron sie abgehängt zu haben. Im hinteren Teil des Schulhofes blieb sie schließlich stehen. Keine Menschen waren zu sehen. Sie war allein. Weshalb sie sich schließlich ihrem „Schrägen, emotionalen Zusammenbruch“ hingab, ihren Rücken an die Wand drückte und langsam zu Boden rutschte. Es war kalt draußen, doch ihr Körper war nicht wegen der Kälte heftig am Zittern. Weinend vergrub sie ihren Kopf in die Knie, die Hände fest in die Haare gekrallt. Sie konnte nicht atmen, bekam fast keine Luft. Ihre Brust fühlte sich erstickend eng an. Sie wusste auch nicht, wie sie sich beruhigen konnte. Nach einigen Augenblicken spürte sie eine Präsenz. Chiaki. Maron brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass er vor ihr stand. Sie konnte dieses merkwürdige, elektrisierende Kribbeln spüren, welches er von sich gab. „Fuck...“, hauchte Chiaki leise. Schweratmend und schluchzend schüttelte Maron ihren gesenkten Kopf. Sie wollte nicht, dass er sie so sah. Sie wollte, dass er ging. Er sollte sich ihren Leid nicht mitansehen. Doch er ging nicht. Stattdessen hörte sie, wie er sich zu ihr runterhockte. Sachte nahm er ihre Hände und lockerte den Griff in ihren Haaren. Langsam hob sie ihren Kopf, das Gesicht tränenüberströmt und rang verzweifelt nach Luft. Seine Augen blickten eindringlich in ihre. „Was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht, Maron?“ Noch immer hielt er ihre Hände in seine. Laut schluchzte sie auf und schüttelte erneut ihren Kopf. „I-I-Ich... I-I-Ich bin kaputt“, flüsterte sie unter Tränen, „Ich bin kaputt. Und nichts und niemand kann mich heilen...“ Ihre Stimme brach. Chiaki’s Blick sänftige sich und er nahm sie in seine Arme. Ohne zu zögern, schlang Maron ihre Arme um seine Schultern und vergrub ihr Gesicht in seine Jacke. Etwas unbeholfen setzte er sich mit ihr runter. Sanft strich er beruhigend seine Finger durch ihre Haare. Tief atmete sie seinen Duft ein, welches sie zusammen mit der Umarmung und der zarten Berührung seiner Hände auch beruhigte. „Shhh“, kam es von ihm sanft. Seine Finger wanderten von ihren Haaren zu ihren Rücken herab, streichelten sie dort in kreisenden Bewegungen. Die restliche Mittagspause sowie auch die darauffolgende Unterrichtsstunde saß er mit ihr draußen, hielt sie sicher in seinen Armen und versuchte sie zu trösten. *** Chiaki konnte allmählich hören, dass ihr Schluchzen nachließ und auch das Zittern langsam verebbte. Ihre Atmung wurde auch ruhiger. Dennoch machte er keine Anstalten Maron loszulassen, wartete solange bis sie von selbst signalisierte, dass er sie loslassen konnte. Innerlich musste er schwer seufzen. Er hatte das ganze Spektakel in der Cafeteria von seinem Tisch aus mitangesehen. Wie sein Mädchen sich mutig und selbstbewusst ihrem inneren Dämon stellen wollte und der ahnungslose Shinji ihr Versuchskaninchen dabei war. Alle möglichen Emotionen gingen ihm dabei durch. Er war zunächst stolz. Dann hoffnungsvoll. Und dann verängstigt und besorgt. Er musste sich eingestehen, dass ein Teil von ihm nicht wirklich daran geglaubt hatte, dass ihre Zusammenbrüche so schlimm wären, wie man sie ihm darstellte. Schließlich hatte er sie bisher noch nie mit eigenen Augen gesehen. Und da er Maron berühren und halten konnte, würde er auch keine von ihm ausgelöste Zusammenbrüche erleben. Ebenso erschien der Gedanke, dass er der Einzige wäre, der sie berühren konnte, sehr weit hergeholt. Er konnte sich doch nicht so sehr von anderen Kerlen unterscheiden…oder? Einerseits hatte Chiaki für sie gehofft, dass sie sich besserte. Andererseits wollte er diesen Sonderstatus nicht verlieren. So selbstsüchtig das auch irgendwie klang... Dann sah er die Sache in der Mittagspause und es war wohl wirklich so schlimm, wie man es ihm darstellte. Zum Glück hatte Yamato nichts von dem „Schrägen, emotionalen Zusammenbruch“ mitbekommen, welches sich hinter seinem Rücken abspielt. Als Chiaki sah, wie Maron aus der Cafeteria rausrannte, gab er seinem besten Freund die herzlose Ausrede, dass er frische Luft schnappen würde. Anschließend lief er seinem Mädchen hinterher. Auf keinen Fall konnte er sie ignorieren und mit ihrem Leid allein lassen.  Schließlich fand er sie zusammengekauert, weinend und zitternd im hintersten Teil des Schulgeländes. Das komplette Gegenteil von der Maron, die vor wenigen Momenten ihren Dämon entgegentreten wollte. Nun wirkte sie wie ein kleines, verlorenes Mädchen, welches dringend jemand brauchte, der sie festhielt. Gleichzeitig konnte er ihr ansehen, dass sie nicht wollte, dass er sie so gebrochen sah. Es zerriss ihm das Herz. Ihr Dämon hatte gewonnen und Chiaki konnte sie nicht davor beschützen. In innerhalb von wenigen Minuten hatte er alle seine Grundregeln gebrochen, doch die waren fürs erste egal. Wichtiger war jetzt erstmal dem Mädchen in seinen Armen Trost zu spenden. Nach einer Weile spürte er, wie Maron ihn kurz drückte und sich langsam aus der Umarmung löste. Sie stand auf, wischte sich mit den Ärmeln noch die letzten Tränen auf ihrem Gesicht weg. Chiaki blickte sie besorgt an, hatte Angst, dass sie nochmal vor ihm zusammenbrechen würde. Zu seiner Überraschung schenkte sie ihm ein Lächeln. Ein richtiges, strahlendes, Zähne zeigendes Lächeln. Keine Sorge. Mir geht’s gut, gab sie ihm stumm zu verstehen. Er lächelte daher zurück, stand ebenfalls auf und klopfte sich den Dreck von den Sachen ab. „Weißt du...Mach dir nichts draus“, zuckte er mit den Schultern. „Shinji hat ein Talent dafür Frauen zum Weinen zubringen“, grinste er sie an. Maron konnte nicht anders, als laut loszulachen. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Er war froh und erleichtert darüber, dass er sie trösten, beruhigen und auch wieder zum Lachen bringen konnte. Nach einigen Minuten ging Maron zuerst in die Klasse zurück, holte sich vorher noch ihre Tasche bei Miyako ab und Chiaki würde nachkommen. Sie warf ihm einen letzten dankenden Blick zu, verabschiedet sich mit einem „Bis heut Nacht“ und war anschließend verschwunden. Chiaki blieb im Schulhof zurück, sah ihr schwer seufzend nach. Eine halbe Stunde später begab auch er sich zu ihrer letzten Unterrichtsstunde. TWELVE ------ TWELVE   Die Tage vergingen und nach knapp zwei Wochen hatten beide sich eine feste Routine in ihrem neuen nächtlichen Arrangement aufgebaut. So kam Maron früher als sonst in Chiaki’s Zimmer hochgeklettert -um zehn Uhr statt um Mitternacht- und brachte ihm nach wie vor ein kleines Fresspaket mit. Chiaki wusste es sehr zu schätzen, freute sich auch auf das Essen (hatte meist immer noch Hunger, nachdem er schon etwas zu Abend gegessen hatte). Er bedankte sich bei ihr auch immer für ihre Mühe und sagte ihr, wie gut das Essen geschmeckt hat. Ihre Kekstüten sparte er sich meistens für den nächsten Tag auf, um sie in der Mittagspause zu essen. Maron ließ sich dann wie immer auf ihrem Platz auf dem Sofa nieder, sah ihm beim Essen zu, hörte mit ihm zusammen Musik und unterhielt sich mit ihm über Gott und die Welt. Wenn sie beide nicht allzu müde waren, dann würde die Braunhaarige beispielsweise auch eines seiner Bücher lesen, während er an seinen Zeichnungen arbeitete. Ab und an schauten sie sich sogar einen Film an oder spielten zusammen auf der Konsole. Wenn einer von beiden beschloss, dass sie zu müde waren, dann würde der andere auch mit dem, was er gerade tat, aufhören und sie würden sich beide bettfertig machen. Maron würde als erste ins Bad gehen, hatte immer eine Extratasche mit und verschwand dann für einige Minuten. Chiaki selbst würde sich in der Zwischenzeit in seinen Pyjama umziehen, welches aus einem simplen, gemütlichen Baumwollshirt und einer Baumwollhose bestand. Am Anfang war es für ihn noch ein merkwürdiges, ungewohntes Gefühl gewesen Pyjamas zu tragen. Schließlich hatte er das seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Wenn Maron im Bad fertig war (und sich dabei auch in ein langärmliges Schlafshirt und einer langbeinigen Hose umgezogen hatte), würde er sich noch schnell die Zähne putzen und beiden würden sich anschließend ins Bett begeben. Für die ersten Nächte war die Atmosphäre nach wie vor noch komisch und unbehaglich. Aber dies löste sich auch schnell wieder, sobald Chiaki das Licht ausmachte und beide automatisch näher rückten. Er würde sie in seine Arme nehmen und sie kuschelte sich, ohne zu zögern, gemütlich an ihn ran. Danach würde er ihre zarten Finger in seinen Haaren spüren. Seufzend schloss er die Augen. Es fühlte sich gut an, wie ihre Finger ihm sanft durch die Strähnen streichelten. Er drückte sie daraufhin enger an sich, was sie zu mögen schien. Überhaupt schien Maron sich in seinen Armen wohl zu fühlen. Nach einiger Zeit würde Chiaki in den meisten Fällen als Erster einschlafen. Er war sich sicher, dass sein Mädchen ihm kurz darauf in den Schlaf folgte. Und sie schliefen tief und fest. Sehr, sehr fest. Man könnte behaupten, dass selbst der schlimmste Sturm sie nicht wecken könnte. Und sie blieben von ihren Albträumen verschont. Sie träumten normale Dinge, die mit dem Aufwachen jedoch sofort wieder in Vergessenheit gerieten. Am nächsten Morgen würde der Wecker sie um exakt halb sechs wecken. Selbst am Wochenende machten sie da keine Ausnahmen. Maron hasste den Wecker. Sie würde sich enger an Chiaki herankuscheln, während er sich stöhnend umdrehte und den Wecker abstellte. Widerwillig stand Maron dann auf und verschwand für genau fünfzehn Minuten im Badezimmer, machte dort alles, was Mädels am Morgen so machten. Zähne putzen, sich die Haare kämen, einen Plan für die Rettung der Wale sich ausdenken…er hatte keinen Schimmer. Sie ließ auch nie etwas in sein Badezimmer zurück, packte immer alles sorgfältig wieder ein, was auch immer sie in ihrer Extratasche dabeihatte. Darauffolgend verabschiedete Maron sich von ihm und begab sich nach draußen. Chiaki würde von seinem Fenster aus immer nachsehen, ob sie auch wirklich sicher unten ankam, bevor er sich selbst seiner Morgenroutine widmete. Ihm gefiel es nach wie vor nicht, dass sie überhaupt die Gefahren auf sich nahm die zwei Stockwerke jeden Tag hoch- und runter zu klettern, weshalb Chiaki auch mal vorschlug, die Sache in ihr Zimmer zu verlegen. Doch das wies Maron sofort wieder ab mit allen möglichen Begründungen, wie dass das Bad weit weg von ihrem Zimmer wäre und man ihn im Flur erwischen könnte (was er persönlich bezweifelte) oder dass ihr Zimmer langweilig oder ihr Bett zu klein wäre. Seufzend akzeptierte er ihre Einwände.   Wie jedem Morgen würde Yamato auf ihn warten, doch nun war Chiaki immer ein paar Minuten früher als sonst da, um ihn abzuholen. Dank des erholten Schlafs fühlte er sich sicherer im Verkehr und würde auch etwas schneller fahren als vorher, was ihn auch mehr Spaß machte. Die Schule hingegen blieb unverändert (abgesehen von dem besseren Auffassungsvermögen im Unterricht). Maron ignorierte er weiterhin noch. Ihr machte es allerdings nichts aus. Sollte es auch nicht. In Anbetracht dessen, dass Chiaki ihr näher war als jeder anderer. Sie kannte ihn sogar mittlerweile besser als Yamato. Manchmal mussten die beiden im Unterricht an einigen Aufgaben zusammenarbeiten, aber selbst da versuchten sie so wenig wie möglich miteinander zu reden. Chiaki konnte ihr ansehen, dass sie immer noch angespannt war in der Schule. Versuchte Abstand zu jeden zu halten. Reden tut sie nur mit Miyako und in seltenen Fällen auch mit Natsuki. Glücklicherweise hatte sie keine weiteren Zusammenbrüche mehr gehabt. Und ihrer Aussage nach hatte Shinji den Händeschüttel-Vorfall an dem Montag von vor zwei Wochen auch nie wieder angesprochen. Nach der Schule würde er Yamato wie sonst auch nach Hause fahren und anschließend sich selbst auf dem Heimweg machen. Zu Hause würde er Hausaufgaben und derartiges erledigen und hinterher darauf warten, dass Kaiki von der Arbeit Heim kam. Eventuell würde Chiaki sich nach unten begeben und sich ein wenig mit ihm unterhalten. Schließlich wäre es nicht schlecht, etwas mehr Zeit mit seinem Vater zu verbringen und eine Art Vater-Sohn-Bindung aufzubauen. Kaiki schien das sehr zu erfreuen. Er würde mit ihm über das Krankenhaus oder die neuste moderne Technik in der Medizin reden. Gespannt und interessiert hörte Chiaki dabei auch zu. An manchen Tagen blieben diese abendlichen Gespräche allerdings auch aus, wenn sein Vater Überstunden oder Nachtschichten machte. Was Shinji anging, so hatte sich nicht viel verändert. Sie gingen sich zwar nicht mehr so an wie sonst früher, aber groß miteinander reden würden sie auch nicht, sprachen wenn dann nur das Nötigste miteinander. Chiaki empfand auch kein Bedürfnis eine brüderliche oder noch nicht mal freundschaftliche Bindung mit dem Typen aufzubauen. Gegen zehn wartete er in seinem Zimmer und Maron würde den Balkon wieder hochgeklettert kommen. Daraufhin würde der ganze Ablauf wieder vom neuen Beginnen.   Im Großen und Ganzen war diese Routine perfekt. Und nach nur wenigen Tagen könnte Chiaki sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen. Allein weil er nach Jahren endlich wieder ordentlichen Schlaf bekam und nicht von seiner Vergangenheit gepeinigt wurde. Umso wichtiger war es für ihn, dass das Ganze nicht irgendwie aufflog. Dass er auf seine Regeln noch mehr achten musste als vorher. Die Sache am Montag war eine Ausnahme gewesen. Da konnte er sein Mädchen nicht allein lassen. Dennoch mussten beide jetzt aufpassen. Andere Menschen, wie Miyako, würden es wahrscheinlich in den falschen Hals bekommen, wenn herauskäme, dass Maron jede Nacht in seinem Bett schlief. Sie wäre dann das Opfer und er wäre das Arsch, der sie dazu manipuliert hätte – das wäre für Außenstehende höchstwahrscheinlich der Eindruck. Dabei war es nur einfacher, harmloser Schlaf. Mehr nicht. (Aber das würden die Leute nicht verstehen.) Und es profitierten beide davon. Sowohl Chiaki als auch Maron. Sie erschien ihm glücklicher und zufriedener als je zuvor, was ihn wiederum auch irgendwie glücklich machte. Gesünder sah sie auch aus. Die Augenringe waren so gut wie weg und er konnte sich vorstellen, dass seine auch verschwunden waren. Es war ein gutes Gefühl, sich einfach wie ein normaler Mensch zu fühlen (statt wie ein Zombie). Allerdings hatte Chiaki die bedenken, dass sie beide zu abhängig von dieser Routine werden. Dass es nicht auf ewig andauern wird. Weshalb er beschloss es einfach zu genießen, solange er noch konnte. *** Die letzten zwei Wochen waren für Maron unbeschreiblich. Dieses glückliche Gefühl in ihrer Brust war kaum in Worte zu fassen. Jede Nacht wartete sie wie auf heißen Kohlen sitzend darauf, dass alle ins Bett gingen und sie am zehn Uhr zur Nachbarsvilla sich hinüberschleichen konnte. Sie hatte Chiaki gesagt, dass sie eher kommen würde, weil sie die extra paar Stunden Schlaf haben wollte. Aber die Wahrheit war einfach, dass sie eher bei ihm sein wollte. Sein Zimmer war mittlerweile ihr persönlicher Zufluchtsort. Nahezu sowas wie ihre Oase. Es war der Ort, in der sie sich am sichersten und wohlsten fühlte. Selbst bei sich zu Hause verspürte sie nicht so ein Heimgefühl. (Ihr Zimmer mochte sie sowieso nicht und da wollte sie die Schlafangelegenheit auch nicht dorthin verschieben, als er es mal vorschlug.) Und die Momente, in der sie beide sich zum Schlafen hinlegten, gehörten zu Maron’s Lieblingsmomenten. Sobald das Licht aus war, zögerte Chiaki keinen Moment und zog sie näher an sich ran, was ihr Herz höherschlagen ließ. Sofort würde Maron näher unter der Decke an ihn heranrutschen und ihren Kopf an seine Brust anlehnen. Sie fühlte sich so sicher und geborgen in seinen Armen, es entspannte sie sichtlich. Nach einigen Momenten würden beide in den albtraumfreien Schlaf wegdriften. Es war wie als würde er sie vor ihren Albträumen beschützen und sie vor seinen. Was Maron am meisten hasste, waren die Morgen danach. Sie hasste es ihn loslassen zu müssen. Die Geborgenheit und die Wärme loszulassen zu müssen. Zu ihrer Enttäuschung war Chiaki immer derjenige, der sie am Ende losließ, um den Wecker auszuschalten. Aber das war letztendlich auch okay, denn in siebzehn Stunden würde sie wieder hier sein - in seinen Armen. (Nicht, dass sie die Stunden immer runterzählte.) Widerwillig rappelte sie sich dann auf, ging ins Bad, wusch sich das Gesicht und kämmte sich die Haare, die waren nach dem Aufstehen immer ein wildes Durcheinander. Nachdem sie sichergestellt hatte, dass sie alles eingepackt hatte, würde sie nach Hause gehen, dort Duschen und sich umziehen, bevor die anderen aufwachten. Dann würde Maron das Frühstück vorbereiten und meistens war es auch fertig angerichtet, wenn Sakura als Erste in die Küche kam. Am Anfang war es noch etwas ungewohnt gewesen, dass ihr Vater nicht da war, aber gleichzeitig fühlte sie sich auch um einiges leichter. Dennoch vermisste sie ihn und freute sich auch etwas, wenn er nächstes Wochenende wieder nach Hause kam. Am Morgen hatte Maron an sich eigentlich immer gute Laune. Diese schwankte jedoch sobald sie in der Schule war. Es war anstrengender allen aus dem Weg zu gehen, wenn man seine Sinne zu hundert Prozent nutzte und nicht nur zu fünfzig. Andererseits konnte sie sich wiederrum besser auf den Unterricht konzentrieren. Gelegentlich würde sie Chiaki einen unauffälligen Seitenblick zuwerfen. Gelangweilt würde er den Unterricht mitverfolgen und sie nach wie vor ignorieren. Maron nahm das mit einem Schulterzucken hin. Sie dachte an den Montag zurück, wo er sie nach ihrem Zusammenbruch getröstet und dabei all seine Regeln gebrochen hatte. Dieser Moment war ihr mehr wert als alles andere auf der Welt. Bezüglich Shinji, so hatte Maron sich zwar am nächsten Tag bei ihm entschuldigt, aber er hielt sich seitdem stark bei ihr zurück, traute sich auch nicht mit ihr zu reden. Demnach verbrachte die Braunhaarige die Mittagspause auch die meiste Zeit wieder mit ihrem Buch, ging nur ab und an auf ein paar Sachen ein, die Miyako oder Natsuki sie fragten. Manchmal blickte sie unauffällig zu Chiaki’s und Yamato’s Tisch rüber. Die beiden unterhielten sich miteinander und Maron konnte immer sehen, dass Chiaki dabei ihre Kekse vom Vortag aß, was ihr ein unauffälliges, seliges Lächeln auf den Lippen brachte. Nach der Schule verbrachte Maron auch mehr Zeit mit Miyako in deren Zimmer. Sie hatte die Freundinnenzeit mit ihr vermisst. Und in den Momenten fühlte Maron sich auch wie ein ganz normales Mädchen. Die beiden würden über alle möglichen Themen reden. Schule, Klamotten, Jungs, Leute, die sie nicht leiden können, …worüber Mädels sich nun mal unterhielten. Nur beim Thema Jungs war es eher Miyako, die stundenlang quatschte und Maron mit einem amüsierten Schmunzeln nur zuhörte. Am liebsten würde sie mit ihrer Freundin im Gegenzug auch über Chiaki reden, doch dieses Bedürfnis unterdrückte sie sofort wieder. Nicht, dass sie ihre Gefühle für Chiaki verleugnen oder ignorieren wollte. Maron wusste, dass sie mehr für ihn empfand als nur Freundschaft und sie wünschte sich, dass er für sie genauso empfand. Aber sie wusste, dass es für ihn nicht so war. Und auf keinen Fall würde sie diese Freundschaft und dieses Arrangement zwischen ihnen wegen ihren Gefühlen aufs Spiel setzen. Auf keinen Fall wollte sie die Sache zwischen ihnen verkomplizieren oder sogar ruinieren. Schlussendlich sollte sie sich nur das nehmen, was sie auch wirklich haben konnte. Wenn Freundschaft und Schlaf das war, was sie bekam, dann sollte sie sich damit zufriedengeben und nicht noch mehr verlangen. Ein kleiner Teil von ihr hoffte dennoch, dass er eventuell mehr in ihr sah als eine einfache Freundin.   Es war Freitag und Maron konnte das Wochenende kaum erwarten. Gerade hatten sie ihre letzte Schulstunde, Sport. Sie mochte Sport. Auch wenn es vorher in der schlaflosen Zeit sehr anstrengend war. Aber sie mochte es sich auszupowern. Maron war froh, dass die Sportuniform der Schule aus langen Sachen bestanden, selbst im Sommer. So musste sie sich keine Sorgen um ihren vernarbten Körper machen. Zum Umziehen zog sie sich auch immer in eine Kabine zurück, war sich durchaus bewusst, dass dies für Gesprächsstoff unter ihren Klassenkameradinnen sorgte. Ein weiterer Aspekt worüber sie froh war, war die Tatsache, dass Jungs und Mädels getrennt Sport machten. Während die Mädchen heute in der Halle Basketball spielten, waren die Jungs draußen auf dem Fußballfeld beschäftigt. So bestand auch nicht die Gefahr, dass irgendwelche Klassenkameraden in sie reinrannten. Eigentlich war Maron über den Tag recht gut gestimmt gewesen. Dies verflog allerdings schnell wieder, als sie mit Yashiro in einem Team zusammengeworfen wurde und kein einziges Basketballspiel gewonnen hatte. Gerade saß Maron’s Team mit deren gegnerisches Team auf der Tribüne und warteten darauf, dass die letzten beiden Teams mit ihrem Spiel fertig wurden, damit sie alle ins Wochenende gehen konnten. Maron schaute sich gelangweilt das Spiel ihrer Mitschülerinnen an. Jeweils links und rechts von ihr saßen mit etwas Abstand einige ihrer Team- und Klassenkameraden, die sich über das kommende Wochenende oder über irgendwelche Clubs und Partys austauschten. Zwei Reihen unter der Braunhaarigen saß Yashiro mit ihrer Freundin Misa. Im Moment unterhielten die beiden sich über ihre „Eroberungen“. Zwei Schlampen, die sich eine Gehirnzelle teilen… Maron verzog angeekelt das Gesicht, versuchte ihnen und deren Gespräch keine Beachtung zu schenken. Sie wendete und drehte still den Basketball in ihrer Hand, betrachtete dessen gummiartige Oberfläche. Im Hintergrund war das Quietschen von Turnschuhen, das Drippeln der Bälle sowie all die unterschiedlichen Stimmen ihrer Mitschülerinnen zu vernehmen. Immer mal schaute sie auf die Uhr an der Wand und wünschte sich, dass sie endlich gehen konnten. Sie langweilte sich ziemlich. Plötzlich hörte Maron wie eine nervig hohe Stimme einen bestimmten Namen sagte. Mit einem Mal waren alle anderen Geräusche um sie herum vergessen und ihre Aufmerksamkeit wurde auf das Gespräch zwei Reihen unter ihr gelenkt, ob sie wollte oder nicht. „Chiaki Nagoya“, hatte Yashiro mit einem Nicken gesagt. Maron wusste nicht, was sie vorhergesagt hatte, aber es gab auch keine Möglichkeit mehr die Türkishaarige zu ignorieren. „Definitiv der Beste von allen. Zweifellos.“ Yashiro grinste. Sofort sah Maron nur noch rot und das Blut in ihren Adern brodelte. Sie hatte ihre Vermutungen gehabt, dass Chiaki mit Yashiro Sex hatte, aber zum ersten Mal bekam sie eine direkte Bestätigung davon zu hören. Yashiro’s türkiser Schopf war nur Zentimeter von Maron’s Schuh entfernt. Die Versuchung war sehr, sehr groß ihr an den Kopf zu treten. Misa brach in ein Kichern aus. „Ich hätte mir denken können, dass du Nagoya sagst. Auch wenn es nur ‘ne Nummer auf dessen Rückbank war“, sagte sie, worauf Yashiro gleichgültig mit den Schultern zuckte. In Maron herrschte ein innerer Konflikt. Ihre Emotionen standen im Zwiespalt. Zum einen war sie mehr als erleichtert darüber, dass es nicht auf seinem Bett geschah. Dasselbe Bett auf dem sie zusammen schliefen! Sonst wäre sein Zimmer, welches ihre persönliche Oase war, völlig ruiniert. Zum anderen hatte sie nun mehr Details über die Sache erfahren, als sie jemals in Erfahrung bringen wollte. Ebenso sah sie Bilder vor ihrem geistigen Auge, die sie am liebsten sofort wieder aus ihrem Gehirn löschen wollte. Die beiden Mädels unter ihr lehnten sich etwas zurück und legten ihre Füße auf die Sitze vor ihnen ab. „Also, Yashiro…“, begann Misa in einem skandalösen Ton zu sagen und grinste, „Ich will Details über Nagoya hören.“ Maron stockte fast der Atem und sie kämpfte noch mehr damit, die beiden Mädels vor ihr und deren nervigen Stimmen auszublenden. Sie versuchte sich auf die Gespräche ihrer anderen Mitschülerinnen zu konzentrieren. „Verdammt guter Küsser. Ohne Frage“, kam es von Yashiro, die eine Strähne um ihren Finger zwirbelte. Maron’s Griff um ihren Basketball verstärkte sich. Gedanklich versuchte sie jeden Schrittfehler bei den Spielerinnen auf dem Feld zu analysieren und zu zählen. „Und du meine Güte, diese Hände…!“, sagte Yashiro verträumt. Zähneknirschend versuchte Maron sich allmögliche Matheformeln und Definitionen in Gedanken abzurufen. Wenn x=π, dann erhält man für cos(x)=−1 und für i mal-…. „Richtig scharf der Typ.“ Yashiro’s eingebildetes Kichern unterbrach ihre Gedankengänge. Maron kniff sich angestrengt die Augen zusammen, die Finger so fest in den Basketball gedrückt, dass es schon fast weh tat. „Oh! Und die Geräusche, die er gemacht hatte, als ich ihm eine gebl-“ BAAM! Für Maron war der Kragen geplatzt und sie hatte Yashiro den Ball hart an den Kopf geworfen, sodass sie mitten im Satz abbrach und ihr Kopf zur Seite knickte. „EY, SPINNST DU?!!“, kreischte Yashiro so laut, dass alle in der Halle abrupt innehielten und sich zu ihnen umdrehten. Entrüstet stand sie auf, die Hand am Hinterkopf haltend und drehte sich zu Maron um. „WAS ZUM TEUFEL IST DEIN VERFICKTES PROBLEM, DU FREAK?!!“ Die giftgrünen Augen funkelten Maron zornig an. „ENTSCHULDIGE DICH GEFÄLLIGST!!“ Maron blickte flüchtig durch die Halle, nahm alle verwirrten Gesichter in sich auf. Da sie es mittlerweile gewohnt war wie ein Freak angestarrt zu werden, ließen die Blicke sie auch kalt. Demnach würden keine zehn Pferde sie auch dazu bringen sich bei Yashiro zu entschuldigen. Gerade als Maron aufstehen und wortlos weggehen wollte, gab die Sportlehrerin mit ihrer Pfeife das Signal, dass die Stunde beendet war und alle sich in die Umkleide begeben sollten. Anschließend ging die Lehrerin nach draußen zu den Jungs. Maron’s Mitschülerinnen gingen den Anweisungen nach, liefen allmählich aus der Halle raus und warfen der Braunhaarigen immer mal verstohlene Blicke zu, tuschelten hinter hervorgehaltenen Händen. Yashiro stand noch immer da und blickte Maron mit einem finsteren Gesichtsausdruck wütend an. Maron hielt ihren Blicken stand. Sie entschuldigte sich nicht. Mit verschränkten Armen stand sie auf, war durch die erhöhte Reihe der Tribüne größer als ihr Gegenüber. Daraufhin begab auch sie sich zu den Umkleiden.   Es war 22 Uhr. Über den Rest des Tages hatte Maron extrem schlechte Laune. Und es gab nur eine Person, die es eigentlich besser machen konnte. Doch gerade von dieser Person sah sie Bilder in ihrem Kopf, die sie nicht sehen wollte. Am liebsten würde sie sich Bleichmittel über das Gehirn schütten. Ihr wäre jedes Mittel recht, um die Erinnerungen über all die Dinge, die Yashiro gesagt hatte, auszuradieren. Doch egal was Maron tat, es wurde nicht besser und das machte sie wahnsinnig. Eigentlich war es absurd von ihr auf Yashiro eifersüchtig zu sein. Klar - sie hatte Chiaki in einer Art und Weise, die Maron nie haben wird. Allerdings hatte sie Chiaki auf einer Art und Weise, die Yashiro wiederum nie haben wird. Ein kleiner Trost für Maron. Ihre Wut über die ganze Sache ließ dennoch nicht nach. Mit stampfenden Schritten ging sie nach draußen, zog sich murrend die Kapuze ihrer Jacke über. Es regnete, doch das kümmerte sie nicht. Als Maron vor seiner Balkontür stand, klopfte sie schnell und energisch gegen das Glas, wartete ungeduldig und mit verschränkten Armen darauf, dass er ihr auf machte. Im nächsten Moment ging die Tür auf und Chiaki stand mit einem gelassenen Gesichtsausdruck vor ihr, die Haare fielen ihm teilweise ins Gesicht. Er wirkte nicht wie, als hätte er von dem Eklat in Sport was gehört. Gut, denn Maron hatte kein Bedürfnis gehabt sich zu erklären. Er trat wie üblich beiseite, um ihr Einlass zu gewähren und sobald er die Tür hinter sich zugemacht hatte, streckte er eine Hand nach Maron aus und schob ihr die Kapuze vom Kopf runter. Diese Hände…!, echote Yashiro’s widerliche Stimme in ihren Kopf. Maron verzog ihr Gesicht zu einer leichten Grimasse, entfernte sich von ihm und packte ihren Rucksack aus. „Hier“, kam es von ihr knapp, als sie Chiaki eine Bentobox aufs Bett stellte. Normalerweise würde sie ihn fragen, ob und was er schon gegessen hatte, aber dafür war sie zu miesgelaunt. Chiaki hingegen aß glücklich seinen Nachtsnack. Viel zu glücklich. All die Mhmmms, die er beim Essen von sich gab, trugen noch mehr zu ihrem Kopfkino bei. Und die Geräusche, die er gemacht hatte, hörte sie Yashiro sagen. Ihr Gesicht verzog sich ein weiteres Mal. Sie musste unbedingt diese Bilder aus ihrem Kopf bekommen. Angespannt saß Maron auf dem Sofa, zupfte unruhig an ihren Lippen. In Gedanken stellte sie sich auch vor, wie sie Yashiro am liebsten den Hals umdrehen würde. „Was ist los mit dir?“, fragte Chiaki von seinem Bett aus, als er die leere Bentobox zu machte und beiseitelegte. Seine samtige Stimme ließ Maron etwas überrascht zusammenzucken. Auf seine Frage schüttelte sie nur den Kopf und setzte ein sorgloses Lächeln auf, was ihre Augen jedoch nicht erreichte. „Nichts ist los“, entgegnete sie unschuldig. „Red keinen Scheiß“, erwiderte er prompt, blickte sie mit hochgezogener Augenbraue prüfend an. Ein schwerer Seufzer entrang ihr. Natürlich… Er konnte es ihr immer ansehen, wenn etwas nicht stimmte. Das hätte sie wissen sollen. Maron atmete durch die Nase tief durch, während sie sich die Schuhe auszog und die Knie an die Brust anzog. Chiaki beobachtete sie dabei, wartete geduldig darauf, dass sie ihm sagen würde was los war. Für einen Moment presste sie sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Auf keinen Fall würde sie ihm sagen, was sie beschäftigte. Weshalb sie das tat, was auch er immer tat: die Wahrheit umgehen. „Ich hatte einfach einen Scheißtag“, sagte sie zerknirscht und zuckte mit den Schultern. Es war nicht gelogen. Geduldig wartete Chiaki einige Augenblicke darauf, dass sie noch was hinzufügen würde, was sie nicht tat. „Okayy...“, sagte er langsam, beäugte sie eindringlich, „Ist was zu Hause passiert?“ Sie gab ihm auf die Frage keine Antwort und wieder vergingen einige stille Momente. „Willst du darüber reden?“, fragte er besorgt. Maron schüttelte ihren Kopf, schloss seufzend ihre Augen. Es war für einige Augenblicke ruhig im Zimmer, bis Chiaki die Stille durchbrach. „Hey“, hörte sie ihn sanft sagen. Entnervt öffnete Maron ihre Augen, gab ihm stumm zu verstehen, dass er das Thema fallen lassen soll. Er sah sie für einen Moment an, ehe er seine Arme hob und ihr wortlos eine Umarmung anbot. Welche sie, ohne zu zögern, annahm. Sie stand vom Sofa auf, ging auf ihn zu, stieg auf sein Bett und warf sich nahezu in seine Arme, schmiss ihn dabei fast um. Sie schmiegte ihren Kopf in seine Halsbeuge, atmete tief ein und wieder aus. Sog dabei seinen Duft tief in sich ein, was sie auch beruhigte. Unterdessen drückte er sie enger an sich. Für eine Weile saßen sie eng umschlungen da, sagten kein Wort. „Wir könnten einen Film zusammen gucken. Das wird dich ablenken“, schlug Chiaki nach einigen Minuten vor. Maron nickte, ehe sie sich von ihm löste. Er schaltete den Fernseher an und sie suchte sich in seiner Mediathek den Film aus, entschied sich dabei für einen actionreichen Film mit viel Blut und Massaker. Chiaki musste amüsiert kichern, als er ihre Auswahl sah. Ohne weiteren Worte sahen sie sich den Film an und zu Maron’s Erstaunen, half es ihr wirklich abzuschalten. Das Bedürfnis Yashiro zu erdrosseln, umzubringen und in den Fluss zu werfen, war zwar immer noch da, aber nicht mehr so ausgeprägt wie vorher. Nach ungefähr der Hälfte waren beide jedoch zu müde, um weiterzuschauen, weshalb sie den Film aus machten und sich schlafen legten. Wie sonst auch, nahm Chiaki Maron in seine Arme, nachdem er das Licht ausgemacht hatte. Sanft strich er ihr durch die Haare, fuhr mit seinen Fingern ihren Rücken auf und ab. Sie seufzte leise. Das Gefühl seiner Hände auf ihrem Rücken fühlte sich gut an, ließ sie für den Moment alles vergessen, was Yashiro gesagt hatte. Ein kleines, selbstgefälliges Lächeln bildete sich auf Maron’s Lippen. Nach allem war sie letztendlich diejenige, die nachts mit ihm im Bett lag. THIRTEEN -------- THIRTEEN   Das Wochenende ging schnell vorüber. Auch wenn ihre Stimmung sich deutlich verbessert hatte, so fragte Chiaki sich immer noch, was mit Maron am Freitag los war. Soweit er es beurteilen konnte, ging es ihr den Tag über ganz gut. Nur hatte er sie seit dem Sportunterricht nicht mehr zu Gesicht bekommen und womöglich war in der Zwischenzeit bis zum Abend etwas passiert, was zu ihrer schlechten Laune geführt hatte. Als Yamato am Montagmorgen in sein Auto einstieg, bekam er schließlich die Antwort auf seine Fragen über sein Mädchen. „Es geht das Gerücht um, dass die Neue bei euch nun auch Gewalt und Körperverletzung in ihr Repertoire hinzugefügt hat?“, kam es von dem Braunhaarigen mit einem Grinsen. Chiaki warf ihm einen fragenden sowie verwirrten Seitenblick zu. Wovon zum Teufel spricht er? „Was meinst du?“, fragte er so beiläufig wie es ging. „Na, sie sollte Sazanka am Freitag während des Sportunterrichts mit einem Ball angegriffen haben“, kicherte Yamato schadenfroh. Chiaki zog überrascht seine Augenbrauen hoch. Das hatte er nicht erwartet. Wieso sollte Maron Yashiro angreifen? Nicht, dass Chiaki selbst über die Vorstellung gelacht hätte. Denn er hätte mit Sicherheit darüber gelacht. „Hab‘ ich zumindest gehört. Ich wollte von dir die Bestätigung ob es stimmt oder nicht“, fügte Yamato hinzu. „Ich wüsste von nichts“, entgegnete Chiaki ehrlich, „Wir Jungs mussten raus aufs Fußballfeld. Die Mädels waren drinnen mit Basketball beschäftigt.“ „Ach so. Naja, auf jeden Fall sollte die sich einfach einen Ball geschnappt und es Sazanka an den Kopf geschmissen haben.“ Wieder musste sein Beifahrer prustend loslachen. „Angeblich hatte Sazanka sich über ‘ne Gehirnerschütterung beklagt, aber wie soll das gehen, wenn da kein Gehirn drin ist im Schädel.“ Yamato lachte sich Tränen in den Augen, kriegte sich nicht mehr ein. Chiaki unterdessen zählte eins und eins zusammen und bekam es mit der Erkenntnis zu tun, dass am Freitag Maron ihren „Scheißtag“ hatte und Yashiro in irgendeiner Weise involviert war. In dem Moment sah er rot. Seine Hände hielten das Lenkrad so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervorstachen. Er schenkte Yamato ein spöttisches Grinsen, weil das die Reaktion wäre, die sein bester Freund von ihm erwarten würde bei so einer Story. Dieser hatte sich beruhigt, wischte sich mit der Hand die letzten Lachtränen weg und sah anschließend aus dem Fenster. Die restliche Fahrt verbrachten sie schweigend. Chiaki’s Gedanken kreisten ununterbrochen um Maron und Yashiro. Das Thema ließ ihn einfach nicht los. Er musste wissen, was Yashiro seinem Mädchen angetan hatte. Und wie er ihr es am besten heimzahlen konnte. Chiaki selbst hatte schon genug Gründe, um dieser Zicke einfach mal kräftig eine verpassen zu wollen. Es war ihm dann auch egal, ob sie ein Mädchen war. Derjenige der mal behauptete, dass man Mädchen/Frauen nicht schlagen soll, hatte es definitiv noch nicht mit Yashiro zu tun gehabt! Er hatte Monate gebraucht, damit sie ihn nach ihrem gemeinsamen One-Night-Stand endlich in Ruhe ließ. Sie nervte ihn mit Liebesbriefen im Schließfach, Anrufen sowie unzähligen Nachrichten auf dem Handy und erzählte sogar -zum allem Überfluss- all ihren Freunden von seinen Narben! Wütend knirschte er mit den Zähnen. Nun stand Maron auf ihrer Abschussliste und auf keinen Fall würde er es zulassen, dass Yashiro sein Mädchen in ihre giftigen Krallen kam.   Als Chiaki in der Schule ankam und sein Klassenzimmer betrat, saß Maron bereits auf ihrem Platz und kritzelte etwas in ihrem Heft. Flüchtig blickte er zu den hintersten Reihen hinüber. Yashiro war auch schon da und stierte die Braunhaarige mit ihren giftgrünen Augen verachtend an. Wenn Blicke töten könnten, dann hätte Chiaki wohl den Leichnam seines Mädchens jetzt aufsammeln müssen. Er musste sich zusammenreißen, um nicht zu Yashiro hinzugehen und eine Szene zu machen. Ein Teil von ihm war auch ein wenig sauer auf Maron, weil sie ihm Sachen verheimlichte. Und das mochte er nicht. Nachdem Chiaki sich hingesetzt hatte, kam auch der Lehrer rein und begann den Unterricht. Doch anstatt dem Lehrstoff mitzuverfolgen, holte er heimlich sein Handy heraus und schrieb seiner Tischnachbarin eine Nachricht. Wieder mal brach er seine Regeln, aber das war ihm momentan egal. „Was hatte Sazanka dir angetan?“ Nachdem Chiaki Absenden gedrückt hatte, konnte er sehen, dass ihr Handy, welches in der Federtasche versteckt war, aufleuchtete. Maron stoppte sich mitten beim Schreiben und tippte kurz auf dem Bildschirm ihres Handys, um die Benachrichtigung zu sehen. Überrascht weiteten sich ihre Augen als sie seine Nachricht las, überrascht auch darüber, dass er ihr überhaupt geschrieben hatte. Ihre Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Für einige Momente saß sie da und starrte auf den kleinen Bildschirm. Anschließen verfinsterte sich ihr Blick. Sie nahm ihr Handy in die Hand und tippte eine Antwort. Schnell und kurz. In der nächsten Sekunde leuchtete Chiaki’s Display auf und er machte ein unzufriedenes Gesicht. „Später. Heute Nacht.“, las er. Mehr stand da nicht. Er hätte wissen sollen, dass er keine anständige Erklärung jetzt bekam. Frustriert packte er sein Handy wieder in die Hosentasche. Anschließend warf Chiaki ihr einen scharfen, eindringlichen Blick zu, den sie auch erwidert. Heute Nacht. Wir reden, gab er ihr wortlos zu verstehen. Und wehe sie drückt sich davor. Maron nickte resigniert und seufzte. Anschließen blickte sie beschämt auf ihren Tisch herunter. Chiaki verstand nicht, wieso oder wofür sie sich schämte, doch das würde er wohl erst heute Nacht herausfinden.   Acht Unterrichtseinheiten später war Chiaki einer der Ersten, der das Klassenzimmer verließ. Als er durch die Treppen runter ging und durch Gänge lief, warf er einen kurzen Blick über die Schulter und sah, dass Maron einige Schritte hinter ihm lief und in die Toiletten abbog. Er drehte sich wieder um und ging aus dem Schulgebäude. Draußen auf dem Schulparkplatz wartete er an seinem Wagen angelehnt auf Yamato, den Blick auf die Eingangstür gerichtet. Schüler strömten massenweise aus dem Gebäude raus. Darunter auch Yashiro, die mit ihrer Gruppe lachend und Kaugummi kauend durch die Tür rauskam. Skeptisch verengte er seine Augen in deren Richtung. Ein ungutes Gefühl überkam ihm. Nach einigen Minuten sah er, wie Miyako einige Autos weiter in ihren Wagen einstieg und auf Maron wartete. Ihm fiel auf, dass sein Mädchen ungewöhnlich lange auf Toilette war. Das Unbehagen in seiner Brust verstärkte sich. Chiaki schnellte seinen Kopf zur Eingangstür, als er hörte, wie sie sich öffnete und sah Maron endlich rauskommen. Mit gesenktem Kopf und übergezogener Kapuze ging sie zu Miyako’s Wagen. Als sie die Beifahrertür öffnete und dabei ihren Kopf etwas hob, konnte Chiaki einen kurzen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Er zog scharf Luft ein. Ihre Augen waren gerötet, das Gesicht war etwas fleckig und er kannte sein Mädchen mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie geweint hatte. Sie stieg in den Wagen ein und schlug die Tür mit einem lauten, leicht aggressiven Knall zu. Miyako schien daraufhin etwas zu sagen (beschwerte sich womöglich darüber, dass sie die Tür nicht so zuknallen soll), doch Maron winkte nur desinteressiert ab und wandte sich stur ans Fenster. Anschließend fuhren die Mädchen davon. Chiaki sah deren Wagen für einige Augenblicke nach. Er war sich sicher, dass Yashiro und ihre Hyänen daran schuld waren, dass sein Mädchen sich so lange auf den Toiletten aufgehalten und geweint hatte. „Hey, man. Sorry, dass du warten musstest“, riss Yamato’s plötzliche Stimme ihn aus den Gedanken. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sein Freund schon da war. „Ich musste noch einiges mit meinem Lehrer klären“, erklärte der Braunhaarige sich, als sie ins Auto einstieg. „Ach so“, entgegnete Chiaki nur, in Gedanken völlig woanders und fuhr schließlich los. Zu Hause angekommen, fühlte er sich wie, als würde er auf heißen Kohlen sitzen. Ungeduldig wartete er darauf, dass die Uhr endlich zehn anzeigte. Er machte für ein paar Stunden seine Hausaufgaben und lernte für einige aufkommende Tests, um sich abzulenken, doch die Zeit schien heute wie im Schneckentempo zu laufen. Als Kaiki nach Hause kam, ging Chiaki runter und leistete seinem Vater etwas Gesellschaft, um die Zeit rumzukriegen. Heute hatte Kaiki nichts Besonderes aus dem Krankenhaus zu erzählen. Aber anscheinend wird er über das Wochenende auf einer weiteren Ärztekonferenz sein, was automatisch bedeuten würde, dass Shinji wieder eine Party planen wird. Natürlich behielt Chiaki das für sich. Nach einer Weile kehrte er in sein Zimmer zurück.   Als es endlich zehn war, ging Chiaki auf seinen Balkon und wartete in der Kälte auf Maron. Er konnte sehen, wie sie die letzten Lichter ausmachte und das Haus durch die Hintertür verließ, wie immer mit ihrem großen Rucksack auf dem Rücken. Mit langsamen Schritten überquerte sie den Hinterhof, als würde sie das Unvermeidliche hinauszögern wollen. Anschließend sah er ihr dabei zu, wie sie ohne Mühe das Gitter hochkletterte. Als Maron das Geländer erreichte, wollte Chiaki ihr drüber helfen, doch sie war schon auf seiner Seite, eher er die Chance dazu hatte seine Hand anzubieten. Kaum hatte sie festen Boden unter ihren Füßen, ging sie auch direkt in sein Zimmer rein, ohne ihm in die Augen zu sehen. Chiaki lehnte sich mit verschränkten Armen an der Balkontür, nachdem er sie geschlossen hatte, sah Maron dabei zu, wie sie ihre Tasche entleerte. „Also, schieß los“, sagte er, sah sie durchbohrend an. Maron hielt in ihren Bewegungen kurz inne, sah zu ihm auf und packte anschließend fertig aus. Sie steuerte daraufhin auf sein Sofa zu und setzte sich auf ihrem gewohnten Platz hin. Sie wirkte wie ein kleines Mädchen, welches drauf und dran war, Ärger von den Eltern zu bekommen. Noch immer wartete Chiaki darauf, dass sie mit der Sprache rausrückte. „Also?“, fragte er ungeduldig, zog abwartend eine Braue hoch. Entnervt stöhnte Maron leise auf. „Du wirst nicht lockerlassen, oder?“, fragte sie, schloss ihre Augen und lehnte sich zurück. Er schnaubte. „Nein, werde ich nicht. Nun red“, forderte er sie auf, stand noch immer mit verschränkten Armen an der Balkontür angelehnt da und bewegte sich nicht vom Fleck. Ihr entkam ein schwerer Seufzer, als sie ihre Augen öffnete und zu ihm hinübersah. „Dein Essen wird noch kalt. Ich rede, du isst“, sagte Maron mit monotoner Stimme, während sie ihre Schuhe auszog und ihre Beine aufs Sofa hochnahm. Sie stützte den Ellenbogen auf der Armlehne ab und hielt sich mit der Hand den Kopf. Seufzend rollte Chiaki mit den Augen. Eigentlich hatte er keinen Hunger. Und essen war gerade das Geringste, worauf er Lust hatte. Aber wenn er sie so zum Reden bekam... Er setzte sich auf sein Bett hin, nahm die Box voller Bratreis mit Hähnchen in die Hand und aß einen vollen Löffel. Als er zu Maron aufsah, trafen sich ihre Blicke. Abrupt brach sie den Blickkontakt ab. Ihre braunen Augen hatten eine gewisse Traurigkeit in ihnen, die er nicht deuten konnte. „Also…“, begann er zu sagen, stocherte etwas in seinem Essen rum, „Könntest du mir bitte sagen, warum du Yashiro geschlagen hast?“ Ohne den Blick von ihr abzuwenden, nahm Chiaki einen weiteren Bissen. „Ich habe sie nicht geschlagen“, entgegnete sie, den Blick zu Boden fallend. „Dann eben mit einem Ball angegriffen“, korrigierte er sich augenrollend. Sie seufzte. „Ich war mit ihr in einem Team. Und wir warteten auf der Tribüne, während zwei andere Teams gegeneinander spielten. Sie saß mit Misa zwei Reihen unter mir...“ Maron verzog ihr Gesicht. „Ich konnte mithören wie die beiden über all die Kerle sprachen, mit denen sie geschlafen haben.“ „Muss wohl ein ziemlich langes Gespräch mit einer endloslangen Liste gewesen sein“, wollte Chiaki als Scherz rauslassen, hielt sich jedoch zurück als er realisierte wohin das Gespräch eventuell geführt hatte. „Ich habe versucht sie zu ignorieren“, hörte er Maron ohne Emotionen weitersprechen, „Und dann...“ Sie verstummte für einen Augenblick kurz und schnaubte leise. „Dann sagte Yashiro deinen Namen.“ Ihr Ton wurde noch distanzierter. Chiaki versteifte sich. Er hatte Maron zwar von seiner Situation mit Yashiro erzählt... nur nicht alles. Und nun wusste sie alles. Ihre braunen Augen schauten ihn eindringlich an. Sprachlos saß er da, nicht wissend, ob und was er sagen sollte. „Nun, ich habe dann noch mehr versucht, die beiden zu ignorieren...“, sprach Maron weiter, den Blick von ihm abgewandt, „Ich wollte nichts von dem, was sie über dich sagten, hören. Mit mäßigem Erfolg.“ Chiaki schluckte schwer. „Was haben sie über mich gesagt?“, fragte er vorsichtig. Sie zuckte mit den Schultern, zupfte an den Ärmeln ihres Pullovers. „Yashiro begann Misa -nun ja- … Details zu geben.“ Sein Inneres zog sich zusammen. Es gab nur ein Detail, an welches Chiaki denken konnte, bei dem er wusste, dass Yashiro gerne darüber plauderte. „Hatte sie… ehm…“ Er schloss seine Augen. „Hatte sie über meine Narben geredet?“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich hätte vor der Schlampe nie mein Shirt ausziehen sollen, dachte er sich mit bissiger Reue. Er konnte sich vorstellen, dass Maron ihn und seine Narben in Schutz nehmen wollte, als sie ausgetickt war. Maron’s Kopf schnellte zu ihm hinüber und schaute ihn verwirrt an. „Was für Narben?“, kam es als Gegenfrage. Oh…scheiße…na toll! Innerlich fluchend öffnete Chiaki seine Augen. Mit einer ausdruckslosen Miene stellte er die leere Bratreisbox beiseite. „Ich schätze mal, das heißt Nein“, murmelte er bitter. Maron zog ihre Augenbrauen zusammen. „Ich habe nichts davon gehört… du hast Narben?“ Er nickte nach kurzem Zögern. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Vom Feuer?“ Wieder nickte er und verzog das Gesicht. „Sorry…Das wusste ich nicht“, murmelte sie. „Ist auch nicht so wichtig“, entgegnete er trocken. Chiaki holte sein Skizzenbuch hervor und begann zeichnen, um sich von seinem eigenen Groll abzulenken. „Also“, setzte er an und lenkte die Konversation zum ursprünglichen Thema zurück, nachdem er nun ausversehen etwas sehr Persönliches preisgeben hatte. „Weshalb genau hattest du Yashiro angegriffen?“ Maron machte wieder eine Grimasse und umarmte ihre Knie. „Yashiro sprach über dich… und naja… die Dinge, die du…“, sie brach ab, machte eine schweifende Handbewegung und schüttelte heftig mit dem Kopf. Sie brauchte auch nicht weiterreden. Er hatte schon verstanden. Chiaki selbst würde auch nicht wollen, dass jemand so über Maron sprach. (Denjenigen hätte er mit schärferen Dingen angegriffen als einem Basketball.) „Dir gefiel es nicht, wie sie über mich sprachen?“ Es war mehr eine Aussage als eine Frage. „Gar nicht“, antworte sie ihm, ohne aufzusehen. Er nickte verstehend, zeichnete ungeachtet weiter. Er konnte ihr es irgendwo nachempfinden. „Und was war heute?“, fragte Chiaki, als er an den Nachmittag zurückdachte. „Was meinst du?“, wich Maron ihm aus. Genervt schnaubte er auf. „Spiel nicht die Dumme, Maron. Ich habe gesehen, wie du aus der Schule rauskamst. Du hattest geweint.“ Darauf erwiderte sie nichts. „Nach dem Unterricht bist du auf Toilette gegangen. Haben die Schlampen dich dort in die Enge getrieben?“ Chiaki sah von seinem Buch auf und blickte in ihr niedergeschlagenes, trauriges Gesicht. Trauriger als er es je erlebt hat. Und er war sich sicher, dass es allein Yashiro’s Schuld war. Seine Finger schlossen krampfhaft um seinen Bleistift, während er darauf wartete, dass Maron etwas sagte. „Sie haben mir nur Dinge gesagt, die auch der Wahrheit entsprechen…“, sagte sie schließlich, mied seinen Blickkontakt und lächelte gequält. Chiaki verspürte mehr und mehr das Bedürfnis, Yashiro aufzusuchen und in den Fluss zu werfen. „Warum sagst du mir nicht, was sie gesagt haben und ich entscheide selbst, ob es wahr ist, oder nicht.“ Maron’s Züge verhärteten sich, ihr Blick wurde zu Eis und ihre Hände auf den Knien ballten sich zu Fäusten. Ihre weißen Knöchel stachen hervor. „Sie sagten, ich bin ein Freak und werde als prüde, erbärmliche, alte Jungfer sterben, weil niemand mich jemals wollen würde. Allein, weil man mich nicht berühren kann“, sagte sie, ihre Stimme bitter und giftig zugleich, klang dabei auch sehr eingeschnappt. Chiaki erblasste und zuckte bei ihrem Ton sogar leicht zusammen. In all den Nächten, in der die beiden über all die schlimmen Dinge, die in ihren Leben passiert waren, sprachen, hatte er Maron noch nie so aufgebracht erlebt. „M-Moment...Du bist noch Jungfrau?“, fragte er, bevor er sich stoppen konnte. Sofort hielt er sich die Hand vor dem Mund und biss sich innerlich fluchend auf die Zunge. Verdammter Vollidiot! Anstatt sie zu trösten, sprudelte ihm von all den Dingen, die er ihr sagen konnte, ausgerechnet diese Frage raus?! Unsensibler ging es wirklich nicht! Maron zog die Brauen irritiert zusammen und wurde rot im Gesicht. „Ja... W-Warum fragst du?“ Chiaki räusperte sich, sah beschämt nach unten und wieder zu ihr auf. Seine Augen blickten entschuldigend in ihre. „Ich dachte... nun ja, dass dieser Noyn dich-…uhm...“ Unbeholfen gestikulierte er vor sich hin, unfähig das auszusprechen, was er sagen wollte. Ihre Augen wurden groß, als sie verstand, was er sagen wollten. Verneinend schüttelte sie den Kopf, schluckte und nahm durch die Nase tief Luft. „M-Meine Mutter hatte er tagtäglich... uhm... mich hatte er nur-“, an der Stelle machte sie mit den Fingern zwei Anführungszeichen, „-als Prügelsack benutzt und ... naja, mich manchmal an Stellen berührt und angefasst...“ Ihre Augen schimmerten glasig. „Aber...ehm.… er war nie in irgendeiner Weise in mir drin.“ Den letzten Satz flüsterte sie so leise, dass er sie gerade so noch hören konnte. Zum erneuten Mal wusste Chiaki nicht was er sagen sollte. „Sorry…“, brachte er leise hervor. „Ich… eh… wollte nicht-…“ „Schon okay“, fiel sie ihm ins Wort. Es vergingen einige stille, beklemmende Sekunden. Plötzlich brach Maron in ein kaltes, bitteres Lachen aus. Erneut zuckte Chiaki erschrocken zusammen, blickte entgeistert zu ihr hinüber. „Selbst, wenn… vergewaltigt, oder nicht…“, lachte sie kühl, „Dank diesem Arsch bin ich für mein Leben lang verflucht. Und Yashiro und ihre verfickten Freundinnen haben Recht!“ „Das ist doch vollkommener Bullshit“, wendete er ein, sah sie mit großen Augen verblüfft an. Verblüfft und fassungslos darüber, wie Maron’s Stimmung sich auf 180 wandelte. Wieder lachte sie trocken auf. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. An diese Seite von ihr könnte er sich nie gewöhnen. „Ist es das, Chiaki?“ Sie klang richtig angepisst. Ihrer Stimme zufolge war sie den Tränen nah. „Ich denk nicht. Ich denk, ich werde für immer so abgefuckt bleiben.“ Eine Träne rollte ihr die Wange herunter und ihre sonst sanft blickenden Augen funkelten vor Zorn. „Ich werde nie meinen ersten, richtigen Kuss bekommen. Ich werde wegen diesem Mistkerl nie dazu fähig sein einen Mann zu berühren. Dinge tun, die für andere Menschen normal sind! Herrgott, ich kann meinem eigenen Vater nicht mal eine verfickte Umarmung geben, selbst wenn ich es wollte! Oder jemanden wie Shinji verdammt nochmal die Hand schütteln! Wie soll ich so je mit jemand zusammen sein können? Ich weiß die Antwort: NIE! Ich werde nie heiraten können! Und ich werde solche Huren wie Yashiro für immer hassen, weil die sowas für selbstverständlich nehmen!“ Ihre Wut wandelte sich Schmerz und Trauer um, ihre Stimme brach schluchzend zusammen. Nun reichte es ihm endgültig. Er konnte es sich nicht mehr mitanhören wie bitter, wütend und verletzt Maron war. Er konnte es sich nicht mitansehen wie sie über etwas, was die Schlampe in an den Kopf geworfen hatte, weinte. Er warf seine Sachen beiseite, sprang vom Bett auf und ging auf sein Mädchen zu, die schluchzend und zusammengekauert auf dem Sofa saß. Er nahm ihr Handgelenk und zog sie hoch, sodass sie gezwungen war von dem Möbelstück aufzustehen. Anschließend schlang er seine Arme um sie. Umarmte sie so fest wie er konnte, ohne sie zu erdrücken. Maron weinte noch härter, schluchzte noch lauter, ließ all ihrem Frust und Ärger dabei aus. Chiaki konnte spüren, dass sie kaum noch die Kraft hatte ordentlich zu stehen, doch er ließ nicht zu, dass sie fiel. Ihre Hände krallten sich an sein Shirt fest und sie vergrub ihr Gesicht in seine Brust. Langsam drehte er sich mit ihr um, setzte sich aufs Sofa hin und ließ sie dabei auf sein Schoss fallen. Noch immer war Maron so heftig am Weinen, dass ihr ganzer Körper bebte. Chiaki strich ihr behutsam über die Haare und den Rücken, genauso wie er es vor zwei Wochen im Hinterhof der Schule getan hat. An dem Tag wollte sie sich ihrem Dämon stellen, der in erster Linie für ihr ganzes Leid verantwortlich war. Und wieder einmal hatte dieser Dämon gegen sie die Oberhand. Was Chiaki am meisten ärgerte war, dass er in dieser abgefuckten Situation nichts dagegen machen oder sie vor dem Dämon beschützen konnte.   Es kam ihn wie Stunden vor, dass er mit Maron auf dem Ledersofa saß. Eventuell beruhigte sie sich und Chiaki konnte hören wie ihr Atemrhythmus stabiler wurde. Sein Shirt war mit ihren Tränen nass getränkt. Selbst als sie mit Weinen aufgehört hatte, ließ Maron ihn nicht los. Mit einem ausdruckslosen Blick in den Augen starrte sie in die Leere, ihre Wange an seine Brust angelehnt. Sie wirkte weder angepisst noch traurig oder erschöpft. Sondern einfach nur leer. „Maron?“, fragte Chiaki leise, lehnte sich zurück und sah zu ihr runter. Seine Hände strichen ihr noch immer durch die Haare. „Hmm…?“, kam es von ihr kraftlos. „Ich glaube, ich färbe auf dir ab. Solche vulgären Ausdrücke kennt man von dir gar nicht“, sagte er, erhoffte sich dabei ihr ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Selbst wenn es nur ein sehr Kleines war. Und es klappte auch. Ihre Mundwinkel zuckten nach oben und nach einigen Sekunden bildete sich ein schwaches, verlegenes Lächeln auf den Lippen. Das Lächeln wurde im nächsten Moment zu einem leisen Kichern. Gott sei Dank, dachte Chiaki sich erleichtert, war froh darüber, dass er sein Mädchen wieder zum Lachen bringen konnte. „Kann gut sein“, zuckte Maron in seinen Armen mit den Schultern und grinste etwas. Mit einem schweren Seufzer stieg sie von seinem Schoss runter, schenkte ihm ein kurzes, dankbares Lächeln und verschwand anschließend mit ihrer Tasche ins Bad. Anscheinend wollte sie jetzt ins Bett. Chiaki sah ihr für einen Moment mitleidig hinter und zog sich anschließend ebenfalls um, warf sein tränennasses Shirt in die Wäsche im Ankleidezimmer. Nachdem sie fertig war, verschwand auch er für ein paar Minuten ins Bad. Als Chiaki wieder rauskam, fand er Maron überraschenderweise auf dem Sofa wieder vor, mit einem Buch in der Hand. Was ungewöhnlich war, denn normalerweise wartete sie im Bett auf ihn. „Ich bin noch nicht müde“, beantwortete sie ihm seine stumme Frage. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich noch eine Weile hier sitzen.“ Mit roten und angeschwollenen Augen sah Maron ihn an. Chiaki nickte. „Kein Problem.“ Ihm machte es nichts aus, noch etwas länger aufzubleiben. Er ging zu seinem Bett zurück und setzte seine Skizze fort, die er vorher angefangen hatte. Diese war allerdings mit all den negativen Emotionen von ihm und Maron befleckt, weshalb er die Seite rausriss, in den Mülleimer schmiss und eine neue Zeichnung anfing. Schweigend gingen beide ihren Hobbies nach. Doch Chiaki konnte in seinen Gedanken immer noch Maron’s aufgebrachte Stimme hören. Die Dinge, die sie gesagt hatte, nagten förmlich an ihm. „Was du vorhin gesagt hast…meintest du das alles ernst?“, durchbrach er nach einigen Minuten die Stille zwischen ihnen, ohne von seinem Buch aufzusehen. Maron seufzte hörbar aus. „Dass ich nicht fähig wäre bestimmte Sachen zu machen?“, entgegnete sie in einem akzeptierenden Ton, die Stimme heiser und rau. „Ja.“ Er zog die Brauen leicht zusammen, machte einige dünne Bleistiftstriche. „Hoffst du nicht darauf, dass es besser wird? Dass es mal weggeht?“ „Nein“, erwiderte sie seufzend. „Ich werde nie meinen ersten Kuss bekommen und du wirst für immer der einzige Mann auf Erden sein, den ich berühren kann.“ Chiaki konnte nahezu hören, wie sie mit den Achseln zuckte, als wäre das keine große Sache. Er stieß einen leisen, missmutigen Laut aus. Er wollte sie wieder zum Lächeln bringen, wollte ihr Lachen hören. Nicht diese bittere Akzeptanz. „Du klingst wie, als würdest du mich küssen wollen“, witzelte er grinsend, kicherte leise in sich hinein, während er einige Schattierungen machte. Er hatte ein Schnauben oder ein Lachen oder sogar eine Ohrfeige von Maron erwartet, dass er sowas lächerliches vorschlug. Aber das Einzige was er als Reaktion bekam, war absolutes Schweigen. Sein Stift in seiner Hand stoppte abrupt und sein Grinsen verschwand von seinen Lippen. Langsam hob er seinen Kopf und sah zu ihr rüber. Maron hatte ihren Blick auf ihr Buch fixiert, die Wangen verräterisch rot gefärbt. Oh...shit...!, ging es ihm durch den Kopf, als er realisierte, dass sie ihn wirklich küssen wollte. Dass sie ihren ersten Kuss von ihm wollte. Aber er konnte das nicht einfach so machen. Nicht mit Maron. Sofern sie ihn nicht fragte. Zum womöglich dritten Mal in dieser Nacht, war Chiaki völlig sprachlos. Kurz trafen sich ihre Blicke und ihre Wangen wurden noch roter als sie wegsah. „...Maron“, setzte er an, nachdem er sich wieder gefasst hatte und räusperte sich kurz. „Wenn du sowas willst, dann musst du mich fragen.“ Er konnte nicht einfach annehmen, dass sie etwas wollte und es machen. Das wäre einfach nicht richtig. Maron hielt ihren hochroten Kopf weiter gesenkt. „...Würdest du ja sagen?“, wisperte sie zaghaft. Dies brachte Chiaki zum Nachdenken. Einerseits könnte es die Sache zwischen ihnen verkomplizieren. Es könnte ihnen die Routine und den Schlaf kosten. Andererseits war das eine Erfahrung, die Maron wirklich wollte – eventuell sogar brauchte. Es war etwas, dass sie im Nachhinein vielleicht besser fühlen ließ. Tief atmete er durch. „Würde sich dadurch etwas ändern?“, fragte er, betete darum, dass die Routine weiterhin bestehen bleiben würde. Sie schüttelte den Kopf, den Blick nach wie vor nach unten gerichtet. „Für mich nicht.“ Nervös fummelte sie in einigen Seiten ihres Buches rum. Chiaki schloss sein Skizzenbuch und legte es zusammen mit seinem Stift weg, ohne seine Augen von ihr abzuwenden. Wenn sich für sie nichts ändern wird, dann sollte sich für ihn auch nichts ändern. „Okay.“ Ihr Kopf schnellte hoch und ihre Augen weiteten sich überrascht. Ihr Gesicht wurde augenblicklich noch roter als er es für möglich gehalten hatte. „Komm.“ Er klopfte auf die Matratze vor ihm. Maron brauchte einen perplexen Moment, ehe sie ihr Buch beiseitelegte, vom Sofa aufstand und auf ihn zuging. Zögernd stieg sie aufs Bett, krabbelte langsam zu ihm hin bis beide gegenüber voneinander saßen. Kniend saß sie vor ihm, während er im Schneidersitz auf dem Bett saß. Chiaki musste etwas schmunzeln, versuchte sich ein amüsiertes Kichern zu verkneifen. Sie wirkte mit ihren großen, nervösen Augen wie ein kleines Kind, welches drauf und dran war, etwas Neues zu lernen. Aber es wäre gemein von ihm jetzt zu lachen. Schließlich war das für Maron was komplett Neues. Ihr erster Kuss. Er rückte näher an sie heran und nahm tief Luft. Die Nervosität war ihr ins Gesicht geschrieben, gleichzeitig konnte er die Aufregung in ihren Augen sehen. „Schließ deine Augen“, forderte er sie sanft auf. „Und entspann dich“, fügte er hinzu, als sie ihre Augen schloss. Er lehnte sich zu ihr vor und legte für mehr Stabilität seine Hände rechts und links neben sie auf der Matratze ab. Sie war noch ziemlich angespannt, zitterte sogar leicht, aber es gab nichts, was er jetzt dagegen tun konnte. Er lehnte sich noch weiter zu ihr vor bis seine Nase ihre berührte und er konnte ihren beschleunigten Atem auf seinem Gesicht spüren. Als Test neigte er leicht seinen Kopf und streifte ganz, ganz sachte ihren Mund mit seinen Lippen. Sie erstarrte vollkommen. „Versuche dich zu entspannen“, flüsterte er und wich zurück, „Du hast es in Filmen gesehen. Küssen. Deine Lippen müssen... naja, es wollen geküsst zu werden.“ Maron öffnete argwöhnisch ihre Augen und betastete ihren Mund. „Gerade wirken sie so wie, als würden sie sich auf etwas gefasst machen“, merkte er an. „Oh... Denke, da ist was dran“, murmelte sie beschämt mit gesenktem Blick. Mit einem verständnisvollen, mitfühlenden Gesichtsausdruck blickte Chiaki sie an. „Schließ nochmal die Augen.“ Sie tat wie ihr geheißen. Er hob eine Hand und umfasste ihre Wange, rieb sachte mit dem Daumen über die Haut. Einige Momente streichelte er ihr über die Wangenknochen entlang. Ihr Gesicht entspannte sich schließlich und ihre Lippen öffneten sich ganz leicht. Er wagte einen weiteren Versuch, neigte seinen Kopf, schloss seine Augen und berührte ganz leicht ihre Lippen. Dieses Mal reagierte sie, öffnete ihre Lippen noch etwas mehr. Er nahm ihre Unterlippe sachte zwischen seine Lippen, während sie seine Oberlippe in ihre nahm. Es war ein kleiner, zarter Kuss. Sanft und warm. Wie sein Mädchen. Kurz wich er etwas zurück und legte seinen Mund ein weiteres Mal auf ihre, diesmal mit ein kleines bisschen mehr Druck. Sie ging darauf ein und nahm seine Unterlippe mit etwas mehr Elan zwischen ihren Lippen. Seine Hand auf ihrer Wange wanderte nach hinten, seine Finger verwirrten sich mit ihren langen, braunen Haaren. Dann zog er sich wieder zurück und versiegelte kurz darauf wieder ihre Lippen. Sie wiederholten den Vorgang einige Male. Leichte, sanfte, unschuldige Küsse. Mehr hatte er auch nicht erwartet. Doch plötzlich spürte er die Spitze ihre Zunge zaghaft über seine Lippe streichen. Für einen minimalen Moment hielt Chiaki inne. Sollte er es wagen und aufs Ganze hinausgehen? Dann rief er sich in Erinnerung, dass er das alles für Maron schließlich tat. Gottverdammt, scheiß drauf, warf er alle Bedenken beiseite, zog ihren Kopf zu sich heran und küsste sie mit mehr Intensivität. Wenn sie das volle Kusserlebnis haben wollte, dann würde er es ihr auch geben. Ihre weichen Lippen öffneten sich instinktiv und er gewährte sich Einlass. Seine Zunge traf auf ihre. Es wurde von Sekunde zu Sekunde schwieriger für ihn die Kontrolle zu behalten. Auf einmal spürte er ihre zarte Hand auf seinen Nacken ruhen. Anschließend zog sie ihn enger an sich heran und küsste ihn mit vollem Einsatz. Er spürte ihre Zunge in seinem Mund. Zunächst sachte und dann fordernder. Beide waren schon schwer am Atmen. Plötzlich drückte sie ihren Körper an seinen und für einen Moment entglitt ihm die Selbstkontrolle. Bevor er sich stoppen konnte, reagierte sein Körper auf den Kuss. Er brachte seine andere Hand nach oben und legte ihn auf ihre Taille. Er konnte ihren warmen Körper an seinen spüren. Sie saß dabei fast auf seinem Schoss. Ihre Lippen bewegten sich heiß auf seinen. Ein unterdrücktes Stöhnen entkam ihm und er stoppte. Vorsichtig drückte er sie bestimmt von sich. Widerwillig ließ sie ihn los. Chiaki lehnte sich ans Kopfende zurück, konnte spüren wie sich südlich etwas in ihn geregt hat. Verdammt…, dachte er sich, strich sich atemlos mit einer Hand durch die Haare und versuchte seine Sitzposition etwas zu ändern, hoffte dabei, dass sie nichts sehen würde. Maron atmete wie als wäre sie ein Marathon gelaufen. Geistesabwesend hob sie ihre Finger und berührte ihre roten Lippen. Nachdem sie endlich durchatmete, blickte sie ihm in die Augen und lächelte ihn an. Ein breites, zufriedenes, teilweise albernes Lächeln. Er verdrehte seine Augen und lächelte zurück. Jetzt wirkte sie wie als hätte ihr jemand bewiesen, dass der Weihnachtsmann echt sei. Ohne große Worte schlüpfte Maron auf ihrer Betthälfte unter die Decke. Bereit zum Schlafen. Anscheinend blieb wirklich alles unverändert, stellte Chiaki erleichtert fest. Er schlüpfte daraufhin selbst unter die Decke und machte das Licht aus. Er nahm sein Mädchen wie gewohnt in seine Arme. Sie vergrub wie immer ihr Gesicht in seine Brust. Leise hörte er sie kichern. Froh darüber sie lachen zu hören, schlief er schließlich ein. FOURTEEN -------- FOURTEEN   Maron lag noch einige Minuten hellwach im Bett und sah Chiaki beim Schlafen zu. Sie konnte es kaum fassen. Er hatte sie geküsst! Beließ es nicht nur bei kleinen, flüchtigen Küssen, sondern gab ihr auch einen Richtigen mit Zunge, Gekeuche und sogar einem Stöhnen am Ende. Sie hatte zwar keine Vergleichswerte, aber in einem musste sie Yashiro zustimmen: er war ein verdammt guter Küsser. Wahrscheinlich der Beste auf Erden (wenn sie das mal so behaupten darf). Das es nur ein Mitleidskuss war, wusste sie. Schließlich konnte sie das Mitleid in seinen Augen sehen. Und Maron würde sich selbst belügen, wenn sie behaupten würde, dass ein Teil von ihr ihn nicht in diese Richtung gelenkt hätte. Womöglich war es falsch von ihr gewesen sowas zu tun, aber für dem Moment war es ihr egal. Und als er zustimmte, war sie ehrlich geschockt gewesen. Ein entschlossener Ausdruck war auf seinem Gesicht zu sehen. Entschlossen darüber sie aufzumuntern und ihr etwas zu geben, was kein anderer ihr womöglich jemals geben konnte. Er konnte sich wahrscheinlich nur ansatzweise vorstellen wieviel ihr das bedeutete. Die Nervosität war groß als Maron zu ihm aufs Bett stieg. Ebenso bestand die Angst, dass sie schlecht darin wäre und dass sie sich vor Chiaki als schlechte Küsserin blamieren würde. Doch sobald sie seine Hand auf ihrer Wange und dieses warme, elektrisierende Kribbeln spürte, konnte sie sich entspannen und alles danach fühlte sich irgendwie natürlich an. Die kleinen Küsse waren toll, aber Maron konnte nicht widerstehen und wollte noch mehr. Sie wollte mehr als sie bekommen sollte. Chiaki schien das nichts auszumachen. Und seine Zunge fühlte sich unglaublich an. Das elektrisierende Gefühl wurde zu einem Feuer, was sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie wollte, dass er dieses Gefühl ebenfalls spürte, auch wenn’s nur für diesen einen Moment war. Weshalb sie die Initiative ergriff und ihren Körper an seinen drückte. Und sie konnte es spüren - wenn auch nur für wenige Sekunden. Sie konnte die Erregung und einen Hauch von Lust in seinem Kuss spüren. Als sie sein Stöhnen vernahm, war sie auch etwas stolz auf sich, dass sie solche Reaktionen in ihm hervorrufen konnte. Es machte ihr daher nichts aus, dass er abbrach, bevor er sich ganz auf dieses Gefühl einlassen konnte. Es gab ihr ein bisschen Hoffnung. Hoffnung darüber, dass Chiaki vielleicht mehr für sie empfinden konnte und diese Empfindungen auch eines Tages zuließ. Danach konnte sie nicht aufhören zu lächeln. Offensichtlich hatte ihr der Kuss gefallen - mehr sogar, jede einzelne Faser von ihr hatte es geliebt. Und sie scheute sich nicht davor es ihm mit ihrem Dauergrinsen zu zeigen. Und mit diesem Dauergrinsen schlief Maron letztlich auch ein.   Am nächsten Morgen klingelte wie immer der Wecker um exakt halb sechs. Wie jeden Morgen, wollte Maron am liebsten im Bett und insbesondere in Chiaki’s Armen bleiben. Und wie jeden Morgen, löste er sich von ihr mit einem Stöhnen, welches zwar anders war als der beim Kuss, aber dennoch Erinnerungen von der gestrigen Nacht hervorrief. Unbewusst fuhr Maron sich mit der Zunge über die Lippen, spürte wie ihre Wangen etwas warm wurden. Sie stand auf und ging wie gewohnt ihrer Morgenroutine im Bad nach, verhielt sich so normal wie es ging, um Chiaki keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Doch sobald Maron die Badzimmertür hinter sich schloss, breitete sich ein breites, riesiges Grinsen auf ihrem Gesicht aus und Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch. Sie zog sich um und packte ihre Sachen ein. Wie sonst auch lag Chiaki noch mit geschlossenen Augen im Bett, als sie wieder rauskam und strich sich mit einer Hand durch die Haare. Mit dem Rücken zu ihm gewandt, lief Maron zur Balkontür, als seine Stimme sie unerwartet stoppte. „Hey“, rief er in einer leicht verschlafenen, rauen Stimme. Sie drehte sich um und sah, wie er sich aufsetzte. Seine braunen Augen trafen auf ihre. „Lass die Schlampe nicht nochmal an dich ran. Hast du verstanden“, sagte Chiaki in einem ernsten Ton. Maron nickte bejahend und lächelte leicht. Sie war froh darüber, dass sie gestern nicht vor Yashiro geweint hatte. Diese Genugtuung wollte sie ihr nicht geben. Mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck hatte Maron darauf gewartet, dass die Zicke und ihren Lakaien mit ihrem Gelaber fertig und aus den Toiletten verschwunden waren, ehe sie letztendlich in Tränen ausbrach. Jetzt war es ihr vergleichsweise egal, was Yashiro oder ihre Freundinnen von ihr hielten. „Außerdem...“ Chiaki lächelte schief und zuckte mit den Schultern. „Yashiro ist bei weitem nicht auf deinem Level was Küssen angeht.“ Mit den Worten ließ er sich wieder ins Bett zurückfallen und drehte sich mit dem Rücken zu ihr um. Das überglückliche Lächeln auf Maron’s Gesicht schmerzte schon fast. Und an diesem Morgen war sie vor Freude wirklich nach Hause gehopst.   Nichts konnte ihre gute Laune vermiesen. Nicht einmal Miyako und ihr Genörgel über die Party bei den Nagoyas dieses Wochenende. Augenrollend lächelte Maron in sich hinein. Denn sie würde Chiaki sagen, dass er dafür sorgen soll, dass Yamato diesmal kam und sie selbst würde dafür sorgen, dass Miyako grün trug. Die ganze Fahrt über musste Maron es sich verkneifen, um nicht belustigt loszulachen. Es war einfach nur lächerlich, wie blind die beiden füreinander waren. Gleichzeitig konnte sie es ihrer Freundin irgendwo nachempfinden. Schließlich war sie selbst Hals über Kopf in Chiaki verknallt und konnte es ihm nicht sagen. Ähnlich wie Miyako Yamato nichts sagen konnte. Wenngleich auch aus anderen Gründen. Denn Miyako wartete nur darauf, dass Yamato den ersten Schritt machte und irgendwelche Anzeichen von sich gab, dass er an sie interessiert wäre. Ihre Situationen waren sich so ähnlich und doch so anderes. Im Fall Miyako und Yamato war das Einzige, was die beiden voneinander abhielt, sie selbst. Es war nichts Unerwidertes, wie bei Maron mit Chiaki. Und dennoch, zur selben Zeit, waren sie und Chiaki sich näher, als Miyako und Yamato es bisher jemals waren. Es war alles sehr verwirrend. Doch Maron sah in all dieser Verwirrung auch was Positives. Es festigte für sie nur den Aspekt, dass sie sich endlich wie ein normaler Teenager ausnahmsweise mal fühlte. In der Schule angekommen, liefen die Mädels Richtung Schulgebäude als Maron plötzlich einige Meter vor ihr ein hochnäsiges Kichern vernahm. Yashiro stand lästernd mit ihrer Gruppe neben der Eingangstür. Maron’s Blick verfinsterte sich. Doch anstatt mit gesenktem Kopf an ihr vorbei zu laufen, beschloss sie Chiaki’s Rat nachzugehen. Auf keinen Fall würde sie die Schlampe an sich ranlassen. Weshalb Maron ihren Kopf hob, den Rücken gerade gerichtete und Yashiro das frechste Grinsen zuwarf, welches sie aufbringen konnte. Diese funkelte die Braunhaarige mit einem hasserfüllten Blick an, sagte jedoch nichts. Maron verkniff es sich wie eine Fünfjährige ihr die Zunge auszustrecken. Als sie durch die Tür ging, vernahm sie im nächsten Moment ein leises, vertrautes Kichern hinter sich. Chiaki. Das Grinsen auf Maron’s Gesicht wurde noch breiter. Er mochte sie mehr als Yashiro. Ihr Herz klopfte vor Freude auf. Ohne Weiteres begaben sie sich ins Klassenzimmer. Der restliche Schultag verlief auch relativ gut ab. Yashiro und ihre Gruppe ließen sie in Ruhe. Vielmehr behandelten sie Maron wie Luft. Ihr sollte das Recht sein. Wahrscheinlich will sie ihre kostbare Zeit zum Vögeln nicht mit Mobben verschwenden, dachte sie sich gleichgültig. Gerade hatten sie ihre letzte Unterrichtseinheit und Maron blickte unauffällig zu Chiaki rüber, der gelangweilt den Stoff verfolgte und nebenbei was zeichnete. Sie spürte wie ihre Wangen etwas rot wurden und ein kleines, verträumtes Lächeln sich auf ihrem Gesicht bildete. Sie konnte es kaum erwarten, dass es zehn Uhr wurde.   Zu Hause verbrachte Maron den Nachmittag mal wieder in Miyako’s Zimmer. Diese suchte sich schon ein Outfit für die Party am Freitag zusammen. Dabei war es Dienstag… also noch drei Tage bis dahin! Maron zeigte mit einem „Das wird ihm bestimmt gefallen“ auf jedes grüne Stück im Kleiderschrank. Miyako wühlte noch unschlüssig durch ihre Sachen bis sie ein Geistesblitz traf. Zum gefühlten hundertsten Mal nahm sie sich was raus und zog sich um. Maron lag auf Miyako’s Bett, starrte zur Decke hoch und wünschte sich in ihrem Inneren, dass sie in jemandes anderen Zimmer wäre. „So!“, hörte sie Miyako sagen. „Was hältst du davon, Maron?“ Die Angesprochene drehte ihren Kopf zu ihr um und ihre braunen Augen weiteten. Oh mein Gott... Maron musste sich zusammenreißen, um nicht ihren Mund schockiert offen fallen zu lassen. Denn Miyako stand in einer schwarzen, engen Lederhose vor ihr, die aussah als wäre sie auf der Haut aufgemalt. Als Oberteil trug sie ein schulterfreies Crop-Top (falls man es noch Top nennen konnte) mit wiedermal viel Ausschnitt und ebenfalls in schwarz. Auch wenn es nicht grün war, so konnte das Outfit Yamato mit Sicherheit umhauen. Sowie jeden anderen Kerl der Schule. „Ich hoffe doch, dass du da drüber noch eine Jacke oder so trägst“, sagte sie. „Pff“, winkte Miyako lachend ab, während sie sich vor dem Spiegel drehte, „Es wird drinnen schon warm genug sein. Da brauche ich keine Jacke.“ Ich redete auch nicht von der Kälte, dachte Maron sich augenrollend. Nach einer Weile hörten die beiden wie Sakura nach Hause kam und Maron stand auf, um das Abendessen zu machen. Ein Teil von ihr war dazu verleitet Sakura zu zeigen, in was für Sachen ihre unschuldige Tochter rumlaufen wollte. Aber den Schock wollte sie Miyako’s Mutter letztendlich doch nicht antun, weshalb Maron es sein ließ. Außerdem sollte sie auch nichts von der Party erfahren. Wie sich herausstellte, würde Sakura passenderweise am Freitag nach Tokyo fahren, um sich dort mit Takumi zu treffen. Dort würde sie mit ihm gemeinsam das Wochenende verbringen und anschließend mit ihm zusammen nach Momokuri zurückfahren. Es war schön, dass die beiden auch mal Zeit für sich nahmen, dachte Maron sich. Während seiner Abwesenheit rief ihr Vater jeden zweiten Tag an und erkundigte sich immer bei ihnen. Die beiden Mädels hatten Sakura hoch und heilig versprochen keine Party oder ähnliches zu veranstalten. Darüber brauchten ihre Eltern sich auch keine Gedanken machen, denn schließlich gab es schon eine Party im Nachbarshaus.   Die Nacht verlief so ab wie sonst vorher auch. Wie als wäre die gestrige Nacht nicht gewesen. Maron hatte Chiaki schließlich versichert, dass sich durch den Kuss nichts ändern wird. Demnach wird alles auch seinen gewohnten Gang gehen. Nach zweimal Klopfen machte Chiaki ihr die Tür auf, sie packte drinnen ihre Tasche aus und gab ihm sein nächtliches Fresspacket, welches er mit Freude annahm. Maron kicherte ihn an und setzte sich anschließend aufs Sofa hin. Dabei schnappte sie sich sein Handy, spielte seine Playlist ab und steckte es an den Lautsprechern an, ehe sie Chiaki beim Essen zusah und sich mit ihm unterhielt. Nach dem Essen nahm er ausnahmsweise nicht sein Skizzenbuch in die Hand, sondern beschloss gähnend, dass sie schlafen gehen sollten. Es war noch recht früh, aber da beide letzte Nacht nicht so viel Schlaf bekommen hatte, mussten sie die Stunden heute nachholen. Demnach machten sie sich wie gewohnt fürs Bett fertig. Sobald beide unter der Decke waren und das Licht ausgeschalten war, nahm er sie wie immer in seine Arme und hielt sie eng an sich gedrückt. Sie kuschelte sich an seine Brust ran, nahm einen tiefen Atemzug und grinste leicht in sich hinein, streichelte ihm dabei durch die Haare. Kurze Zeit später waren er und sie eingeschlafen.   Maron wusste nicht, wie spät es war, als Chiaki sie weckte. Sie spürte, wie unruhig er wurde und sein Arm auf ihrer Seite ihr fast die Luft wegdrückte. Seine Atmung war gehetzt. Maron öffnete träge ihre Augen, hob ihren Kopf und versuchte sein Gesicht im schwachen Mondlicht zu sehen. Seine Züge waren angespannt, die Augen kniffen sich immer mal zusammen. Noch immer hielt er sie so fest in seinen Armen, dass es schon fast schmerzte. Sie hob ihre Hand, die noch auf seinem Rücken ruhte und kraulte ihm sachte den Nacken, mit der Hoffnung, dass dies ihn beruhigen würde und dass er seinen Griff um sie lockerte. Plötzlich schnappten seine Augen auf, blickten sich desorientiert in der Dunkelheit um. Er atmete schwer. Anschließend trafen seine Blicke auf ihre, als er zu ihr runter sah. Maron konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht richtig deuten. Eventuell konnte sie eine Spur von Angst in ihnen erkennen. Doch sicher war sie sich nicht. „Chiaki?“, fragte sie müde, strich ihm immer noch durch die Haare. Der Griff um sie lockerte sich kein bisschen und er blickte ihr mit diesem undurchdringlichen Gesichtsausdruck tief in die Augen. „Was ist los? Hattest du einen Albtraum?“, fragte sie leise, versuchte dabei selbst nicht in Panik zu geraten. Auf keinen Fall wollte sie, dass die Albträume zurückkehrten. Für einige lange Augenblicke rührte Chiaki sich nicht. Genauso wenig sagte er etwas. Er sah ihr einfach nur mit diesem intensiven Blick in den Augen an, hielt sie eng an sich gedrückt und atmete schwer. Gerade als Maron sich ernsthafte Sorgen machen wollte, begann er sich zu entspannen. Der Arm um sie lockerte sich. Danach legte er wortlos eine Hand auf ihren Hinterkopf und drückte ihr Gesicht in seine Halsbeuge. Sie spürte, wie er sein Gesicht für einen Moment in ihre Haare vergrub und tief ein und ausatmete. „Verlass mich nicht“, hörte sie Chiaki leise wispern, die Stimme tief und rau. Maron war so müde und verwirrt, sie hatte keinen Schimmer wovon er sprach. „Ich bleibe bei dir, Chiaki. Versprochen“, flüsterte sie, strich im beruhigend durch die Haare im Nacken. Er sagte nichts mehr, nahm jedoch noch ein paar weitere tiefe Atemzüge ihrer Haare. Es dauerte eine Weile bis Maron spürte, dass er wieder eingeschlafen war. Langsam rutschte sie mit ihrem Kopf etwas runter und legte ihn auf ihren gewohnten Fleck an seiner Brust ab. Sie war viel zu müde, um zu hinterfragen was soeben geschehen war. *** Es war ein Traum. Und irgendwie auch nicht. Es war vielmehr wie eine Art Vorahnung. Eine Vorahnung darüber, dass sein Mädchen nicht mehr da sein wird. Sie kam mit dem Gefühl von Furcht und Einsamkeit. Dieselbe Furcht und Einsamkeit, welche er verspürte, bevor Maron in sein Leben auftauchte. Dieses Gefühl bereitete ihm furchtbare Angst. Als am Morgen der Wecker klingelte, brauchte Chiaki länger, um sich von Maron zu entziehen. Als sie ihn kurz drückte, drückte er sie zurück und erduldete den lauten, nervigen Ton für einige Sekunden länger. Mit einem leicht verwunderten Gesichtsausdruck stand Maron auf, fragte jedoch nicht wegen letzter Nacht nach. Wofür Chiaki ihr dankbar war, denn er bezweifelte, dass er die Sache irgendwie ansatzweise erklären konnte. Nach fünfzehn Minuten war sie auch aus der Balkontür verschwunden.   Den ganzen Morgen fühlte er sich angespannt und unruhig. Er konnte sich nicht erklären wieso – der Traum, all das Drama drum rum… Chiaki wusste es einfach nicht. Und er fühlte sich wie als würde er unter Strom stehen. Das irritierte ihn sehr. Dies bekam auch Yamato mit, als er in sein Auto einstieg und ihm einen stummen Blick zuwarf, als würde er fragen was los war. Er konnte Chiaki’s Stimmungen immer gut lesen. Dennoch fragte Yamato nicht nach oder erkundigte sich in irgendeiner Weise nach ihm, sondern ließ sich ohne Worte in den Beifahrersitz fallen und starrte gerade aus auf die Straße, während Chiaki fuhr. Seit einiger Zeit, insbesondere seit dem Unfall mit Miyako’s Wagen und all den Drogen- und Partyexzessen vor einem Jahr, hatte sich die beiden irgendwie auseinandergelebt. Sahen sich kaum noch außerhalb der Schule oder hingen an den Wochenenden miteinander ab. Aber da Shinji wieder mal eine Party anstehen hatte, wollte Chiaki zur Abwechslung mal wie jeder andere normale Teenager Spaß haben (ohne illegale Substanzen!). Mit der Hoffnung, dass auch etwas von dieser inneren Anspannung, die er verspürte, nachließ. „Hey, Yamato. Party am Freitag bei uns in der Villa. Bist du dabei?“ Chiaki sah seinen Beifahrer mit hochgezogener Augenbraue an. Yamato überlegte für einen Moment, schürzte die Lippen und zuckte anschließend mit den Schultern. „Klar, wieso nicht“, erwiderte er gelassen und schloss für die restliche Fahrt die Augen. Chiaki grinste zufrieden. Er wusste, dass Yamato nicht Nein zu einer Party sagen würde. Auch wenn diese auf weitaus legaleren Ebenen sich befand als die, die er sonst gewohnt war. Im Schulparkplatz angekommen, öffnete Yamato wieder seine Augen und sein Blick war direkt auf Miyako fixiert, die soeben aus ihren Wagen ausstieg und vorbeilief. Er bekam einen unschlüssigen Ausdruck im Gesicht. Chiaki sah zwischen ihr und ihm hin und her, seufzte augenrollend und stieg aus. Gemeinsam steuerten sie aufs Schulgebäude zu.   Bis zur Mittagspause war seine innere Anspannung zum großen Teil schon verklungen. Chiaki konnte sehen, dass sein Mädchen ihm immer mal besorgte Seitenblicke zuwarf. Doch ihm ging es gut. Er musste sich am Freitag nur mal richtigen gehen und abschießen lassen und dann wirds schon wieder. Yamato saß schon an deren Tisch als Chiaki in der Cafeteria ankam. Er brauchte nur einen Blick auf dessen frustriertes Gesicht zu werfen, um zu wissen was in seinem braunhaarigen Freund vorging. Genervt setzte Chiaki sich hin. Der Quatsch wurde ihm allmählich zu viel. Mach es endlich, du Idiot!, gab er Yamato mit einem scharfen Blick zu verstehen. Dieser erwiderte den Blick mit verengten Augen, knabberte nebenbei an seinen Nägeln und wackelte unruhig mit dem Bein auf und ab, sorgte dafür das der ganze Tisch ratterte. Dann eben nicht, seufzte Chiaki innerlich und holte sich seine Tüte Kekse aus der Tasche. Heute waren es Cranberry-Kekse mit weißen Schokoladenstücken im Teig gemischt. Yamato warf ihm und den Keksen einige lange Sekunden neugierige Blicke zu, sagte jedoch nicht, wohlwissend das Chiaki nichts erwidern wird. Jeden Tag konnte er seinem Freund ansehen, wie ihm die Frage -woher die Kekse stammen- auf der Zunge brannte. Für den Fall hatte Chiaki sich überlegt zu behaupten, dass Sakura Toudaiji jeden Tag welche in der Nachbarschaft verteilte. Ob Yamato ihm das Abkaufen würde, war er sich nicht sicher. Schweigend saßen die Jungs da und aßen ihr Essen. Nur der Umgebungslärm der Cafeteria füllte die Stille zwischen ihnen. Nachdem Chiaki mit seinen Keksen fertig war, packte er seine leere Tüte wieder weg und nahm sich einen Schluck von seiner Trinkflasche. Yamato nippte noch geistesabwesend an seinem Schulessen. Nach einer Weile lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, stieß einen tiefen Seufzer aus und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Chiaki beobachtete ihn stillschweigen, verkniff es sich irgendwelche Kommentare rauszulassen und schnappte sich einfach eine Sandwichhälfte von Yamato’s Tablett. „Hey…!“, murrte der Braunhaarige ihn leicht empört an, worauf er nur mit den Schultern zuckte. Er hatte halt noch Hunger. Minuten vergingen bis Yamato plötzlich mit seiner Hand so fest auf dem Tisch schlug, dass alles darauf wackelte und sein Glas Milch ein paar Tropfen verschüttete. Erschrocken und verwirrt sah Chiaki zu ihm auf. Yamato starrte an ihn vorbei, war auf etwas hinter ihm fixiert. Langsam drehte der Blauhaarige sich um und folgte seinen Blick. Miyako stand einige Meter von ihnen entfernt beim Eingang der Cafeteria, mit dem Rücken zu ihnen gewandt. Irgendein Typ war gerade dabei sie anzuquatschen, wirkte auch wie als würde er mit ihr flirten wollen. „HEY! TOUDAIJI!“, schrie Yamato von seinem Sitz aus. Chiaki schnellte überrascht seinen Kopf zu seinem Freund um. Ein entschlossener Ausdruck haftete auf dessen Gesicht. Heilige Scheiße, er macht es endlich! Chiaki saß mit halboffenem Mund da, konnte es kaum fassen. Anschließend bildete sich ein riesiges, fast stolzes Grinsen auf seinen Lippen, denn schließlich hatte er fünf lange Jahre auf genau diesen Moment gewartet. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, verschränkte locker die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass Miyako hierüberkam. Er war sich mehr als sicher, dass sie kommen würde. Yamato’s Gesichtsausdruck zu urteilen, näherte sie sich deren Tisch, denn sein Blick besänftigte sich und er bekam dieses trottelige, verliebte Lächeln auf den Lippen. Chiaki sein Grinsen wurde noch breiter, es tat schon fast weh. Als Miyako endlich an deren Tisch ankam, hatte sie dasselbe trottelige, verliebte Lächeln auf dem Gesicht wie sein bester Freund. Sie stand da und blickte Yamato mit Herzaugen an. Sie schien Chiaki’s Anwesenheit am Tisch noch gar nicht zu bemerken. „Hi Yamato“, säuselte sie, wirkte dabei wie als würde sie mit aller Macht versuchen nicht so aufgeregt zu wirken, wie sie sich eigentlich fühlte. Chiaki musste innerlich lachen und schaute zu Maron’s Tisch rüber. Sein Mädchen saß auf ihrem Platz, den Blick auf Miyako und Yamato geheftet und trug dasselbe breite Grinsen wie er auf ihrem Gesicht. Kichernd widmete sie sich anschließend ihrem Buch zu. „Hey, setz dich doch. Ich will dich was fragen“, kam es von Yamato cool, strich sich zusätzlich mit gespielter Langeweile über seine Jacke. Keine Sekunde später hatte Miyako schon auf dem Stuhl neben ihn Platz genommen. Sie hatte Chiaki noch immer keines Blickes gewürdigt. Oder überhaupt zur Kenntnis genommen. Sämtliche Aufmerksamkeit von ihr war auf seinen braunhaarigen Freund fixiert. Auch Yamato war voll und ganz auf Miyako konzentriert. Und Chiaki selbst musste sich stark zusammenreißen, um nicht laut loszukichern. Man konnte deutlich die rosarote Brille bei beiden sehen. Miyako schlug die Beine übereinander, stürzte sich mit einem Ellenbogen am Tisch ab und versuchte cool und gelangweilt zu wirken wie Yamato. Chiaki musste über diese erbärmlichen Bemühungen mit den Augen rollen. „Was gibt’s?“, fragte sie, spielte dabei mit einer Strähne ihrer kurzen Haare. Yamato war für einige fremdschämende Momente auf ihre Finger in ihren Haaren fokussiert, ehe er sich wieder fasste. „E-Ehm…“, stammelte er und schüttelte den Kopf. „Gehst du auf die Party bei den Nagoyas am Freitag?“, fragte er schließlich. Chiaki schnaubte fast verächtlich. Als ob kein Nagoya direkt bei ihnen sitzen würde. Nahmen sie seine Existenz überhaupt noch wahr?  Miyako lächelte Yamato an und nickte so schnell mit ihrem Kopf, Chiaki hatte schon die Befürchtung er würde abfallen. Yamato lächelte verträumt zurück. „Ja, ich auch“, zuckte er lässig mit der Schulter. Und dann wurde es wieder ruhig zwischen ihnen. Nervös und verloren blickten die beiden umher, brachten das Gespräch nicht mehr weiter. Chiaki warf entnervt den Kopf nach hinten und unterdrückte den Drang laut aufzustöhnen. Die beiden machten einen noch fertig! Noch keine fünf Sätze miteinander geredet und schon verfielen sie wieder in peinliches Schweigen! Es war wirklich nervenzerreißend! Frag sie endlich aus, du verdammter Idiot!!, schrie er Yamato in Gedanken an. Plötzlich blitzte etwas in Miyako auf und sie griff mit einem Lächeln in ihre Tasche. Einen Augenblick später hielt sie eine Tüte voller Cranberry-Kekse mit weißer Schokolade in der Hand. Chiaki erstarrte. Alles in ihm erstarrte. Weil Yamato die Tüte sowie den Inhalt wiedererkennen würde. Schließlich schleppte Chiaki seit zwei Wochen diese Tüten mit rotem Zip-Verschluss mit sich rum, die sein Freund auch jeden Tag neugierig beäugte. Ebenso hatte er ihn dieselben Kekse vor zehn Minuten noch essen sehen. Miyako schob ihm die Tüte auf dem Tisch entgegen. „Keks?“, fragte sie fast verführerisch. Yamato wandte seinen Kopf zu ihr um und blickte anschließend auf die Kekstüte runter. Sein Lächeln erstarb und die Augen wurde riesengroß. Fuck, fuck, fuck!, echote es in Chiaki’s Kopf. Langsam sah Yamato zu Chiaki auf, nahm ihn zum ersten Mal seit Miyako’s Anwesenheit am Tisch wieder wahr und ihre Blicke trafen sich. Lass stecken! Lass einfach stecken, Junge!! Frag sie nicht!, bat Chiaki ihn im Stillen, schüttelte mit Nachdruck unauffällig den Kopf und machte diskret mit seiner Hand eine schneidende Bewegung auf Höhe des Halses. Doch sein Freund ging nicht auf seine stummen Bitten ein. Er wirkte sichtlich angepisst. „Also, Miyako…“ Yamato reichte nach der Tüte und holte sich einen Keks raus, ohne den Blick von Chiaki abzuwenden. „Du backst Kekse?“, fragte er und nahm ein Bissen. Unter Umständen hätte Chiaki ihn dafür ausgelacht, dass er dachte das die Kekse von Miyako wären, doch er konnte nicht. Angesichts der Tatsache, was sie gleich antworten wird. Und er steckte sowas von tief in der Scheiße. Das Beste wäre auch jetzt auf der Stelle abzuhauen. „Nein“, lächelte Miyako Yamato verliebt an und aß ebenfalls einen Keks. „Maron hat sie gemacht.“ In dem Moment verschluckte Yamato sich fast an seinem Keks.   FIFTEEN ------- FIFTEEN   „Oh Gott, wie dumm von mir. Die Kekse könnten schon etwas trocken sein. Warte – ich hole dir schnell was zu trinken“, hörte man Miyako nervös sagen, die aufstand und so schnell wie der Wind zur Theke lief. Doch die Jungs beachteten sie kaum. Unterdessen hatte Yamato es geschafft seinen Keks runter zu bekommen, ohne zu ersticken und gaffte Chiaki fassungslos an. Die Augen so riesig, sie poppten ihm fast raus. Der Blauhaarige starrte für einen Moment regungslos zurück. Aus den Gründen hatte Chiaki ihm auch nichts sagen wollen – um diesen Blick zu umgehen. Aber da er seinen besten Freund gut kannte, wusste er, dass Yamato Miyako zunächst nichts verraten wird. Dennoch konnte Chiaki nicht länger sitzen bleiben, weshalb er aufstand und eilig aus der Cafeteria davonlief. Yamato ließ er mit Miyako, die soeben mit einer Flasche Wasser zurückkehrte, am Tisch zurück. Chiaki betete, dass sie seinen Freund so lange ablenken konnte, dass er sich auf das kommende Gespräch innerlich vorbereiten konnte.   Den gesamten Unterricht über war Chiaki mit den Gedanken beschäftigt, ob er Maron eventuell berichten soll, was gerade los war. Schließlich ging es sie auch etwas an. Dennoch war er sich unschlüssig darüber, blickte unsicher auf dem leeren Textfeld in ihrem SMS-Chat. Am Ende packte er sein Handy seufzend wieder weg und ließ sie einfach gehen, als die letzte Unterrichtsstunde vorbei war. Womöglich würde er ihr am besten heute Nacht die ganze Story erzählen, wenn sie beide allein waren. Als Chiaki aus dem Klassenzimmer kam, stand schon Yamato wartend im Korridor mit dem Rücken an der Wand angelehnt und die Hände in den Hosentaschen vergraben. Er konnte ihm ansehen, dass er förmlich vor Neugier platzte. Diese Neugier bereitete Chiaki ein Unbehagen im Magen. Notgedrungen ging er auf ihn zu, behielt seine ruhige, gelassene Miene bei. Yamato zog eine Braue hoch. „Ich denke es schadet nicht, wenn wir heute später nach Hause kommen“, sagte er einfach, sprach in einem Ton, wie als würde er keine Einwände zulassen und blickte Chiaki an, als wäre er ihm etwas schuldig. Chiaki seufzte schwer. Er konnte ihn irgendwie verstehen. Sie wussten gewöhnlich alles voneinander. Geheimnisse gab es so gut wie gar nicht - eigentlich. Chiaki hatte Geheimnisse, die er seinem besten Freund vorenthielt und er wusste, wenn die Rollen vertauscht gewesen wäre, dann hätte Yamato ihm alles längst gebeichtet. Diese Tatsache ließ ihn irgendwie schlecht fühlen. Er war durchaus ein schlechter Freund gewesen. Weshalb er dieses Gespräch wohl oder übel hinter sich bringen musste. Besser jetzt als nie. (Er wüsste sowieso nicht, wie er sich aus dem Ganzen rausreden sollte.) „Okay“, nickte Chiaki und ging schnellen Schrittes Richtung Schulparkplatz raus, während Yamato ihm folgte, teilweise etwas sprinten musste, um mitzuhalten. Kaum waren beide im Auto, war die Stille zwischen ihnen mehr als erdrückend, Chiaki aber keinen Bedarf hatte sie zu brechen. Weshalb er ohne Weiteres den Motor startete und losfuhr. Die ganze Fahrt über konnte er deutlich spüren, wie Yamato Löcher in seinem Kopf starrte. Jedoch nichts sagte. Chiaki verstand nicht worauf er wartete. Schließlich war er nicht Miyako, bei der er bis heute nicht den Mund aufbekommen hatte. Schweigend fuhren beide zum Strand, hatten dort ihre eigene ruhige Ecke, an der sie früher immer abhingen und chillten. Als Chiaki ausstieg, wünschte er sich innerlich, dass es schon zehn wäre und er zu Hause in seinem Zimmer mit seinem Mädchen war. Mit einem Plumps ließ er sich auf eine Betonbank nieder. Yamato stand für einen Moment noch da, starrte ihn wortlos an, ehe er sich neben ihn hinsetzte. Das Schweigen zog sich noch eine Weile in die Länge. Während Yamato seinen Blick keinen Augenblick von Chiaki abwandte, starrte dieser stur aufs Meer hinaus. Eine salzige, kalte Brise kam ihnen entgegen. Einerseits hatte er nichts dagegen zu schweigen, andererseits wollte er, dass der Braunhaarige endlich was sagte und ihn nicht auf die Folter spannte. Das Schweigen machte ihn mehr fertig als das Verhör, den er sich die letzten 60 Minuten im Kopf ausgemalt hatte. Allmählich wurde er unruhig. Chiaki holte aus seiner Jackentasche seine Zigarettenpackung und nahm sich eine Kippe raus. Aus seinem Augenwinkel bemerkte er, wie Yamato nach der Packung in seiner Hand reichte und sich selbst eine Zigarette rausholte. Anschließend zündeten beide sich wortlos ihre Zigaretten an und nahmen einen tiefen Zug. Es war eine Weile her, seit Chiaki das letzte Mal geraucht hatte. Um genau zu sein, seit Maron jede Nacht in seinem Zimmer verbrachte, hatte er keine Zigarette mehr angerührt. „Okay…“, durchbrach Yamato endlich das Schweigen und blickte mit verengten Augen zu Chiaki hinüber. „Was zum Teufel hat es mit dir und der Verrückten auf sich?“ Chiaki warf ihm einen scharfen Blick zu. „Sie. Ist. Nicht. Verrückt“, knurrte er, war sichtlich angepisst. „Ihr Name ist Maron.“ Yamato wich etwas zurück und machte verblüfft große Augen. Überrascht darüber, dass er Maron in Schutz nahm. Nach einigen Sekunden fasste Yamato sich wieder und nahm einen kurzen Zug seiner Zigarette. „Okay. Nicht verrückt. Schon verstanden“, sagte er, blickte fast entschuldigend drein. Yamato kannte Chiaki gut genug, um zu wissen, dass er sehr selten Leute in Schutz nahm. Und wenn er es tat, dass hieß es auch etwas. „Also, was hat es mit dir und Maron auf sich?“, fragte er erneut, betonte ihren Namen augenrollend. Chiaki schnaubte. „Ist ‘ne verdammt lange Story“, sagte er ausweichend. „Ich habe Zeit“, entgegnete Yamato trocken, zog erwartungsvoll eine Braue hoch. Erneute schnaubte Chiaki auf, sah keinen anderen Ausweg als zu reden. „Erinnerst du dich an die dämliche Party, die du sausen ließt?“ Kurz dachte der Braunhaarige nach und nickte bejahend. „Nun…Sie war da, kam mit Miyako“, setzte Chiaki fort. Yamato krauste überrascht die Stirn. „Und Shikaidou wollte sich an sie ran machen, wodurch sie die Treppen hochging, um sich vor ihm zu verstecken. Und irgendwie war sie am Ende in mein Zimmer reingerannt.“ Yamato machte ein nachdenkliches Gesicht und nickte dann, gab Chiaki zu verstehen, dass er weiterreden soll. Tief atmete er aus, lehnte sich an der schmalen Lehne der Bank zurück. Und dann begann er ihm alles zu erzählen. Er erzählte ihm von deren erstes Aufeinandertreffen und sprach über die Tatsache, dass sie nicht schlief und er nicht schlief. Bestimmte Dinge ließ er aus, wie ihre Vergangenheiten. Dies waren sensible Themen, die nur zwischen ihm und Maron blieben. Das Thema Albträume hatte er an sich nur flüchtig angesprochen, ging aber aus den Gründen nicht auf Details ein. Dies sagte er Yamato auch. Er nickte soweit verstehend, hörte aufmerksam zu. Chiaki erzählte ihm von deren nächtlichen Treffen bei den Picknickbänken und von den leckeren Keksen und Snacks, die Maron ihm immer mitbrachte. Er erzählte ihm auch davon wie er und sie miteinander über ihre Probleme redeten und wie es einfach Klick gemacht hatte. Er erzählte ihm von seiner Erkältung, wie sein Mädchen sich um ihn gesorgt hatte sowie auch vom Dinner. Und schließlich auch über die Nacht an diesem Abend. „Moment.“ Yamato hob stoppend eine Hand als Chiaki zu dem Part kam, dass Maron ihn berühren konnte. „Also, sie kann dich berühren… aber sonst niemand?“, fragte er ungläubig. Chiaki seufzte entnervt auf. „Ja, verdammt. Nun halt die Klappe. Und spar dir die Fragen bis zum Ende auf.“ Er konnte Yamato ansehen, dass er schon viel zu viel hineininterpretierte. Er erzählte ihm von Maron’s Versuch Shinji die Hand zu schütteln, was bedauernder Weise kläglich nach hinten los ging. „Oh“, entkam es Yamato daraufhin nur. Anschließend erzählte er ihm auch davon, wie sie jede Nacht zusammen schliefen. Wie erwartet, fiel Yamato ab da die Kinnlade zu Boden runter, verstand alles komplett falsch. Dennoch sprach Chiaki ungehindert weiter. Er erzählte ihm von ihrer Routine, dass Maron jede Nacht zu ihm kam und Essen mitbrachte und wie sie zusammen ins Bett gingen und einander brauchten, um ruhig schlafen zu können. Chiaki versuchte dabei alles so sachlich wie möglich zu beschreiben, damit es weniger intim klang als es eigentlich war. Als er zum Ende der ganzen Story kam, waren beide ihre Zigaretten schon verglüht und ausgedrückt. Yamato saß für einige Momente da und gaffte seinen Freund mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen sprachlos an. Chiaki wartete darauf, dass er alles Erzählte im Kopf verarbeitet hatte. Nach einigen Minuten räusperte Yamato sich. „Also…“, setzte er an, stand auf und lief einige Schritte auf und ab. „Mal schauen, ob ich das richtig verstanden habe…“ Er blieb vor dem Blauhaarigen stehen, zog ungläubig die Brauen zusammen und neigte den Kopf zur Seite. „Du und Maron schlaft zusammen“, sagte er und hob nacheinander beide Zeigefinger hoch. Chiaki nickte wahrheitsgetreu. „Aber…ihr schlaft nicht… miteinander?“ Yamato führte beide Finger zusammen und machte ein verwirrtes Gesicht, wie als würde er eine komplizierte Matheaufgabe nicht verstehen. Leise stöhnend schlug Chiaki sich die Handfläche auf die Stirn. Aus den Gründen wollte er, dass niemand etwas davon erfuhr. Er hatte es kommen sehen. „Weißt du, Yamato… Gegen den allgemeinen Glauben: es ist möglich eine Frau in deinem Bett zu haben, ohne sie zu vögeln.“ Yamato beäugte ihn für eine Weile skeptisch, bis er schließlich nickte und die Sache eventuell für das hinnahm was es war. Nämlich einfachen, harmlosen Schlaf. Natürlich hatte Chiaki ihm nichts von dem Kuss erzählt. Kein Grund noch Öl ins Feuer zu werfen. „Oh shit, man.“ Yamato rieb sich mit der Hand über das Kinn. „Miyako wird dich töten. Maron’s Vater wahrscheinlich auch.“ „Ach ne, echt“, rollte Chiaki sarkastisch mit den Augen. „Weshalb du auch den Mund halten wirst.“ Mit hochgezogener Augenbraue blickte er Yamato an. Er wusste, dass sein bester Freund nichts sagen wird, aber dennoch wollte er eine Art Bestätigung haben. Yamato nickte ein paar Mal versichernd und ließ sich wieder auf die kalte Bank fallen.   Für eine Weile war es wieder ruhig zwischen ihnen. „Darf ich sie kennenlernen?“, fragte Yamato plötzlich. Chiaki schnellte seinen Kopf in seine Richtung, sah ihn an und machte ein leicht säuerliches Gesicht. „Nein, auf keinen Fall“, antwortete er, die Augen argwöhnisch verengt. Yamato krauste die Stirn. „Warum nicht?“ Weil sie mein Mädchen ist, ging es Chiaki durch den Kopf. Er seufzte und lehnte sich zurück. „Wie ich dir schon sagte: sie mag Männer nicht.“ Enttäuscht verzog Yamato den Mund. Wiedermals wurde es still bis dem Blauhaarigen was Wichtiges einfiel. „Was ist jetzt eigentlich mit Miyako?“, fragte er neugierig. Chiaki hoffte, dass aus den beiden endlich was geworden ist, nachdem er abgehauen war. Auf Yamato’s Gesicht bildete sich dieses breite, alberne Grinsen. „Sie kommt zur Party“, lächelte er kichernd. Chiaki verdrehte seine Augen. Natürlich kommt sie zur Party! Den Part hatte er schließlich auch noch mitbekommen. Er hoffte für seinen Freund, dass sie die Stunde nach der Mittagspause geschwänzt und im Abstellraum des Hausmeisters miteinander rumgemacht haben, oder ähnliches. Miyako erschien ihm auch nicht wie der schüchterne Typ Mädchen. Dem schien aber wohl nicht passiert gewesen zu sein. Spätestens zur Party wird es wohl so weit sein, dachte er sich. „Sie hatte gesagt, dass Maron auch kommen wird“, merkte Yamato an, legte den Kopf leicht schief und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Chiaki prustete. „Sie wird sich höchstwahrscheinlich die ganze Nacht lang in meinem Zimmer verstecken“, grinste er kopfschüttelnd. Sein Mädchen war nicht der Party-Typ. Dass er so beiläufig darüber sprach, dass sein Mädchen in seinem Zimmer auf ihn warten wird, überraschte Yamato sichtlich. Wieder musste Chiaki bei dessen Gesichtsausdruck mit den Augen rollen. Genervt darüber, dass er nicht verstand, dass da nichts war. Wird womöglich auch niemand verstehen. Klar, er und Maron hatten einen tollen -erstklassigen- Kuss gehabt. Und er hatte nicht gelogen als er ihr sagte, dass sie besser als Yashiro war. Oder sogar besser als die anderen Mädels vorher. Er mochte den Kuss mit ihr. Womöglich mehr als er sollte. Nein - definitiv mehr als er sollte. Weshalb es für ihn umso wichtiger war, dass dies eine einmalige Sache blieb und er sich am Riemen riss. Denn es wäre am Ende sonst zu einfach, alles zu vermasseln. Maron hatte in den letzten Monaten mehr scheiße durchgemacht als jeder anderer es sich vorstellen mag. Sie war empfindlich, verletzlich. Zerbrechlich. In vielerlei Hinsicht war sein Mädchen unschuldig, schwach und sensibel. Und Chiaki konnte es nicht riskieren sie zu verletzen, in der er sie auf dieselbe Art und Weise wollte wie Mistkerle, wie Hijiri, es taten. Er konnte es nicht ertragen so ein Mistkerl in ihren Augen zu werden. Dabei war es so einfach diesen Grat zu überschreiten und jegliche Selbstkontrolle abzuwerfen, wenn jede Nacht ihr warmer, zierlicher Körper an seinen gedrückt war. Beim Kuss wäre es schließlich fast passiert gewesen, hätte er sich nicht noch gestoppt. Er hätte am Ende gegen all seine Prinzipien verstoßen. Dass er sie vor solchen Mistkerlen beschützte - sich selbst damit einbezogen. Ironischerweise fühlte sie sich sicher und beschützt bei ihm, sah in ihm einen Freund, den sie blind vertrauen würde. Vor diesem Hintergrund durfte er auf keinen Fall zulassen, dass sie diesen Komfort verliert. Weshalb er die Kontrolle behalten muss, um nicht wie ein hormoneller Teenager zu handeln und am Ende alles noch zu verlieren. Und er konnte den Schlaf und die Routine nicht verlieren. Er konnte sein Mädchen nicht verlieren. *** Maron saß in Miyako’s Zimmer barrikadiert und musste sich anhören, wie diese jedes einzelne Detail ihrer Interaktion mit Yamato in der Mittagspause analysierte und im Anschluss darüber schwärmte. Sie musste amüsiert lächeln. Schließlich hatte Yamato es endlich geschafft Miyako anzusprechen. „Die Haare...!“, schmachtete die Kurzhaarige, die auf dem Boden saß und sich mit dem Rücken ans Bett zurückfallen ließ. Seit der Mittagspause trug sie einen siegreichen Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Es war wie...“, setzte sie mit einem breiten Lächeln an und schüttelte dann wieder den Kopf. „Nein. Einfach nur unbeschreiblich seine Haare“, kicherte sie. Maron konnte nicht anders als mitkichern, während sie auf dem Bett lag und zu ihrer Freundin runterschaute. Sie wusste genau, wie sie sich fühlte. „Oh!“ Miyako klatschte die Hände zusammen. „Und er sagte, er liebte deine Kekse“, grinste sie augenzwinkernd und rieb sich die Hände zusammen. „Sie waren sowas wie meine Geheimwaffe.“ Wieder musste sie kichern. Und Maron musste belustigt schmunzeln, denn ihre Kekse waren auch ihre Geheimwaffe. Miyako stieß einen verträumten Seufzer aus, lehnte ihren Kopf an der Bettkante an und schloss ihre Augen, grinste dabei wie ein verliebter Idiot. „Noch zwei Tage.“ Sie hob zwei Finger in die Höhe und sah mit einem entschlossenen Ausdruck zu Maron hoch. „Noch zwei Tage... und dann ist Yamato Minazuki mein“, deklarierte sie mit einem Grinsen. Ist er das nicht schon?, dachte Maron sich, sagte jedoch nichts und kicherte einfach nur.   Gedankenverloren packte Maron ihre Sachen in ihre Taschen ein als zehn allmählich näher rückte. Den ganzen Tag über war sie etwas besorgt um Chiaki und seinen gestrigen Traum gewesen. Es war das erste Mal, dass einer von ihnen einen Albtraum hatte während sie zusammen schliefen. Und wenn sie ehrlich mit sich war, machte ihr das eine Heidenangst. Denn wenn seine Albträume zurückkehrten, dann wäre sie vollkommen nutzlos für ihn. Maron konnte zwar immer noch zu ihm kommen, ihm Essen bringen und mit ihm reden, gleichzeitig die ganze Nacht mit ihm wach bleiben und ihm Gesellschaft leisten, so wie sie es vorher immer gemacht hatten. Aber sie wollte nicht das verlieren, was sie anderen Menschen in seiner Nähe voraushatte. Nämlich die Fähigkeit ihm die Träume fernzuhalten und ihn zum Schlafen zu bringen. Maron war sich daher nicht sicher, ob sie die letzte Nacht ansprechen sollte, oder nicht. Eher tendierte sie zu Nein. Chiaki wirkte anders -nachdenklicher- als er ihr die Balkontür öffnete. Ebenso konnte sie den Geruch von Zigaretten an ihm riechen. Dabei sie hatte ihn in den letzten zweieinhalb Wochen nicht mehr Rauchen erlebt (zumindest nicht in ihrer Gegenwart). Sie wusste, dass er es meist aus Nervosität und zur Beruhigung der Nerven tat. Maron bekam es mit der Angst zu tun, dass der Traum wohl schlimmer war als sie dachte. Aber das was er sagte, nachdem er die Tür hinter sich schloss, hatte sie so gar nicht erwartet und warf sie merklich aus der Bahn. „Yamato weiß über alles Bescheid“, murmelte er, setzte sich plumpsend auf sein Bett und erzählte ihr von seinem Nachmittag. Geschockt stand Maron mitten in seinem Zimmer. Einerseits war sie irgendwie froh darüber, dass jemand anderes von ihnen wusste und andererseits war sie auch besorgt darüber, weil Chiaki alles andere als glücklich aussah. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck einfach nicht deuten. Maron riss sich aus ihrer Starre, entpackte ihren Rucksack und warf ihm dabei vorsichtige Blicke zu. Sie fragte sich, ob das irgendwas ändern wird, betete gleichzeitig, dass es nicht tat. „Keine Sorge, Yamato wird schon nichts verraten. Niemand anderes wird hiervon erfahren“, sagte Chiaki achselzuckend als Maron sich auf dem Sofa hinsetzte. Sie blickte ihn an und legte ihre Stirn in Falten. Ein Teil von ihr hatte irgendwie gehofft, dass das alles wohl endlich rauskommen würde und sie beide sich nicht mehr verstecken müssten. Wäre es wirklich das Schlimmste überhaupt? Maron verzog resigniert das Gesicht und senkte den Kopf. Chiaki seufzte schwer, fuhr sich eine Hand durch die Haare. „Nun schau mich nicht so an, Maron“, sagte er mit einem weiteren Seufzer und sah auf, um ihr in die Augen zu sehen als sie ihren Kopf hob. „Ich schäme mich nicht für dich, falls du das denkst. Ich will nur nicht, dass alle den falschen Eindruck bekommen.“ Ein paar Male stocherte er mit seiner Gabel in seiner Box rum, nahm einen Bissen, kaute und sah sie immer noch an. Maron wusste nicht, wie sie aus seiner Ansicht nach aussah. Vielleicht ein wenig verletzt? Möglicherweise auch etwas skeptisch. Chiaki rollte seine Augen. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was Miyako oder dein Vater mir antun würden, wenn sie es eines Tages über das hier-“, er deutete mit dem Kopf aufs Bett, auf dem er saß, „-Wind bekommen?“ Maron schauderte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie Miyako und insbesondere ihr Vater reagieren würden, wenn herauskäme, dass sie jede Nacht in Chiaki Nagoya’s Bett schlief. Er kicherte leicht. „Siehst du?“, sagte er, aß sein Essen grinsend weiter. „Miyako würde mir die Eier abschneiden und dein Vater würde mich gar nicht erst leben lassen.“ Wieder musste Maron schaudern, denn weit gefehlt war es wahrscheinlich nicht, bezüglich dessen wie sie reagieren würden. Ihr Vater war sowieso sehr beschützend ihr gegenüber was Jungs anging. Und dass Chiaki sie nicht in irgendeiner miesen Art und Weise ausnutzte, würde Miyako ihr nie glauben. Maron nickte verstehend und sah ihm schweigend beim Essen zu, während sie sein Handy an die Lautsprecher ansteckte und Musik anmachte. Als Chiaki fertig war, legte er die leere Box beiseite und sagte ihr wie lecker das Essen war, was ihr automatisch ein Lächeln aufs Gesicht brachte. Dann schnappte er sich sein Skizzenbuch unter dem Bett und begann zu zeichnen. Maron stand auf und holte sich ein Buch aus seinem Regal raus, welches sie schon seit einiger Zeit las. Sie entspannte sich auf dem Sofa und es wurde für eine Weile ruhig zwischen ihnen, nur die Klänge der Musik war im Zimmer zu vernehmen. Stillschweigend genossen die beiden die Gesellschaft des jeweils anderen, so wie sie es immer taten. „Ach, fuck“, hörte Maron Chiaki auf einmal leise fluchen und sie zuckte erschrocken hoch. „Bevor ich es vergesse“, murmelte er, reichte nach der Schublade des Nachttisches und wühlte etwas darin, während er sein Skizzenbuch mit Bleistift darauf auf dem Schoss balancierte. „Hier.“ Er holte etwas raus, wandte zu ihr um und streckte seine Hand aus. Maron zog verwundert die Brauen zusammen, schloss ihr Buch und stand vom Sofa auf. Sie näherte sich dem Bett und blickte auf den Inhalt seiner Handfläche. Ein Schlüssel. Fragend runzelte Maron die Stirn. „Für mein Zimmer“, sagte Chiaki, als wäre es das offensichtlichste auf der Welt, streckte seinen Arm noch weiter nach ihr aus. Langsam hob Maron ihre Hand, entnahm ihm den Schlüssel und beäugte es ungläubig. Er gab ihr den Schlüssel für sein Zimmer? Sie freute sich zwar, verstand dennoch nicht wieso sie ihn bräuchte. Chiaki verdrehte schmunzelnd die Augen. „Ich vermute doch mal, dass Miyako dich zur Party am Freitag mitschleppen wird.“ Sie nickte, verzog bei den Gedanken leicht das Gesicht. „Und ich vermute, dass du nicht mit all den betrunkenen Idioten da unten abhängen willst“, sprach er weiter. Wieder nickte sie. Maron’s Plan war es gewesen, auf Chiaki’s Zimmer hochzugehen und dort die Zeit mit ihm totzuschlagen. Wie bei der letzten Party. „Nun, ich werde das Zimmer abschließen und mit Yamato abhängen, solange er hier ist“, sagte er, zeichnete nebenbei weiter. Maron blickte ihn stutzig an. „Du wirst auf der Party unten sein?“, fragte sie, stand weiterhin noch vor seinem Bett und hielt seinen Schlüssel in ihrer Hand. Er sah von seinem Buch auf und nickte mit einem verhaltenen Gesichtsausdruck. Maron biss sich auf die Lippe und sah auf den Schlüssel runter. Ein wenig enttäuscht war sie schon darüber, dass Chiaki nicht bei ihr sein wird. Aber nachdem sie für einen Moment auf den Schlüssel gestarrt hatte, realisierte sie, dass sie auf ihn warten konnte bis Yamato ging. Und sie konnte es ihm nicht verübeln, dass er etwas Zeit mit seinem besten Freund verbringen wollte. Maron schloss ihre Hand zur Faust und steckte den Schlüssel in ihre Hosentasche, sah zu Chiaki auf und gab ihm mit einem aufrichtigen Lächeln zu verstehen, dass es okay war. Er erwiderte das Lächeln mit einem kleinen, schiefen Grinsen und setzte seine Zeichnung fort. Sie begab sich zum Sofa zurück und las ihr Buch weiter. Es dauerte nicht lange bis beide sich fürs Bett fertig machten. Putzten sich die Zähne, zogen sich in ihren Pyjamas um und rutschten gemütlich unter die Decke. Sobald das Licht aus war, drehte Chiaki sich zu Maron um und legte mit einem Seufzen schützend sowie behutsam seine Arme um sie. Sie tat es ihm nach, lehnte ihren Kopf an seine Brust und strich ihm wie immer sanft durch die Haare. Innerlich hoffte sie, dass er heute Nacht keinen weiteren Albtraum bekam, als sein Griff um sie sich etwas verstärkte.   Es war der erste Morgen, in der Maron vom Wecker geweckt wurde und ihn ausnahmsweise nicht hasste. Sie war erleichtert darüber nicht mitten in der Nacht von Chiaki geweckt worden zu sein, wie letztens. Er hatte also keinen Albtraum gehabt. Sie lächelte gegen seine Brust und drückte ihn wie üblich kurz an sich. Gestern hatte er sie zurückgedrückt, aber heute entzog er sich ihr wie sonst auch mit einem müden Stöhnen. Maron seufzte tief aus und rollte sich aus dem Bett, während Chiaki verschlafen mit der Hand nach seinem Handy tastete. Etwas schläfrig steuerte sie zuerst aufs Sofa zu, um ihre Tasche von dort zu holen und ging anschließend ins Bad. Dort schaltete sie das Licht an und blinzelte mit einem ächzenden Laut gegen die Helligkeit. Sie stellte sich vor dem Waschbecken, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel, die Augen noch leicht zugekniffen. Ihre Haare sahen furchtbar aus. Maron entledigte sich aus ihrem Pyjama, welches am Morgen immer nach Chiaki roch. Ordentlich faltete sie die Sachen zusammen, packte sie in die Tasche ein und holte ihre Alltagsklamotten raus, zog sich die um. Danach stand sie wieder vor dem Spiegel, wusch sie sich das Gesicht und kämmte sich die Haare glatt. Anschließend packte sie Kamm und jegliche Cremes wieder ein. Bei ihrer offenen Zahnbürstenbox, in der ihre rote Zahnbürste lag, hielt sie für einen Moment inne. Sie blickte hinüber zu Chiaki’s Zahnbürstenhalter an der seine blaue Zahnbürste hing. Ganz allein hing sie dort. Maron sah ein paar Male zu ihrer eigenen Zahnbürste und wieder zurück zum Zahnbürstenhalter. Zögernd nahm sie ihre Zahnbürste aus der Box und hing sie neben Chiaki seine auf. Mit schiefgelegtem Kopf betrachtete sie beide Zahnbürsten. Es war eigentlich nur praktisch. Abends putzte sie sich immer bei ihm die Zähne, da könnte sie ihre Bürste auch zukünftig hierlassen, was auch ein bisschen Platz in ihrer Tasche verschaffte. Für zu Hause konnte sie sich eine Ersatzzahnbürste aus ihrem Badezimmerschränkchen holen, da sie sich morgens nach dem Frühstück immer die Zähne putzte. Maron ignorierte die kleine Stimme in ihren Kopf, welche sich über die Tatsache beklagte, dass sie etwas von ihr in seinem Zimmer zurückließ. Denn normalerweise achtete sie gründlich darauf keine Spuren zu hinterlassen, packte immer alles sorgfältig weg. Aber jetzt wollte sie ihre Zahnbürste dalassen. Sie passte optisch zu seiner. Rot und blau. Mit einem entschiedenen Nicken und einem Lächeln kehrte Maron ins Zimmer zurück und packte all ihre restlichen Sachen zusammen. Chiaki lag noch im Bett, eingewickelt in seiner Decke und strich sich träge mit einer Hand durch die Haare, die Augen halbgeschlossen. Maron zog sich schmunzelnd ihre Jacke an, nahm ihren Rucksack auf den Rücken und verabschiedete sich schließlich mit einem kleinen Winken.   SIXTEEN ------- SIXTEEN   Der Donnerstag verlief wie im Fluge und Chiaki hatte soweit noch nichts zur Zahnbürste gesagt, was Maron irgendwie wunderte. Gerade saß sie auf ihrem Stammplatz auf dem Sofa und unterhielt sich etwas mit ihm. In Gedanken war sie bei der morgigen Party. Ein wenig gekränkt war sie schon darüber, dass er unten seinen Spaß haben und sie oben stundenlang allein in seinem Zimmer verbringen wird. Aber sie schob die Bitterkeit sofort wieder beiseite, nachdem sie sich in Erinnerung rief, dass er zu ihr kommen würde sobald die Party vorbei war. Da wie beim letzten Mal bestimmt viel Alkohol im Spiel sein wird, stellte Maron sich in ihrem Kopf schon mal ein Heilmittel für ihn zusammen gegen den zu erwartenden Kater. Chiaki sagte nichts -rein gar nichts- zum morgigen Abend, unterhielt sich dagegen mit ihr über ein neues Musikalbum, welches er gekauft und runtergeladen hatte. Nach einiger Zeit schloss er sein Skizzenbuch. Er sah sehr, sehr müde aus. Weshalb Maron aufsprang und ins Bad ging mit der Hoffnung, dass ihre Zahnbürste sich noch neben seiner befand (denn sie hatte keine Ersatzzahnbürste mit). Zu ihrer Freude hing ihre rote Zahnbürste immer noch neben seiner blauen, wie als würde sie dorthin gehören. Lächelnd ging sie ihre Abendroutine nach. Im Bett kuschelte sie sich wie immer gemütlich an Chiaki ran, sobald das Licht aus war und kraulte ihm durch die Haare. In innerhalb von Sekunden waren beide eingeschlafen.   Der Freitag war nicht Maron’s Tag und es fing schon am Morgen an. Denn anders als sonst wurde sie nicht von dem Wecker geweckt, sondern von einem lauten Klopfen an der Tür. „Chiaki!“, war eine dumpfe Stimme auf der anderen Seite zu hören. „Hey! Wach auf, Alter!“ Es war Shinji’s Stimme. Erschrocken fuhren beide hoch, sahen sich für eine Millisekunde mit Panik in den Augen an. Sofort sprang Maron aus dem Bett und schnappte sich ihren Rucksack auf dem Sofa, stolperte dabei und stieß sich das Schienbein an der harten Seitenkante des Möbelstücks an. Sie biss sich auf die Lippe, unterdrückte einen Schmerzenslaut. Das Klopfen ging weiter, gefolgt mit einem Rattern der Türklinke. Es war abgeschlossen. Eine kleine Welle der Erleichterung, durchfuhr Maron. Wenigstens hatte Chiaki für alle Eventualitäten mitgedacht. „Moment!“, rief er Richtung Tür, als er Maron schnell aufhalf und Richtung Ankleidezimmer schob. Diese machte jedoch eine Wende Richtung Bad, humpelte in Windeseile dorthin und schloss die Tür so lautlos wie möglich. Mit Herzklopfen legte sie ihr Ohr an die Badezimmertür und hörte im nächsten Moment, wie Chiaki die Tür aufschloss und deutlich genervt „Was?!“ schrie. „Alter, warst du nackt oder was hat so lange gedauert?!“, hörte sie Shinji ebenfalls in einem genervten Ton sagen. „Das geht dich nichts an! Also, was willst du?“ „Hast du es schon vergessen? Kaiki fährt schon in der Früh. Beweg deinen Arsch runter und verabschiede dich von ihm. Er wartet schon auf uns.“ „Gottverdammt! Gib mir noch zehn Minuten.“ „Ach ja! Besorgst du hier die Sachen für heute?”, sprach Shinji auf einmal deutlich leiser, nahezu flüsternd, sodass Maron ihn fast nicht verstanden hätte. „Natsuki und ich kümmern uns um den Alk.“ „Ja, ja, ja, ja, ja. Nerv nicht“, erwiderte Chiaki ungeduldig, „Nun hau ab und lass mich in Ruhe. Ich bin gleich unten.“ Anschließend hörte Maron wie er die Tür mit einem lauten Knall zu machte. Einige Sekunden wartete sie noch, bis sie Chiaki leise sagen hörte: „Er ist jetzt weg. Du kannst rauskommen. Und beeil dich.“ Das war knapp…! Vor Erleichterung fiel Maron fast ein Stein vom Herzen. Blitzschnell zog sie sich um und kam aus dem Bad raus, humpelte noch leicht. Chiaki stand ebenfalls mit einem erleichterten Gesichtsausdruck an der Tür angelehnt. Er hielt einen kleinen zerknüllten Zettel in der Hand. Fragend blickte sie ihn an. „Shinji’s Einkaufsliste für die Party“, beantwortet er ihre unausgesprochene Frage. Sie nickte knapp. Womöglich war er für alles Nicht-Alkoholische zuständig, während sein volljähriger Adoptivbruder und dessen Freundin ihr ganzes Geld für Alkohol verprassen werden. „Stiehlt der Kerl mir dreißig Minuten wertvollen Schlaf“, brummte er genervt in sich hinein. Maron schmunzelte ein bisschen, da die Uhr gerade mal fünf anzeigte. „Naja, bis später“, flüsterte sie, begab sich schnellen Schrittes zur Balkontür. Wie jeden Morgen war es noch schwarze Nacht draußen, wodurch Maron hoffte, dass man sie nicht sah. Sie blieb beim Runterklettern zum Glück auch unentdeckt, rutschte allerdings die letzten paar Stufen ab und landete unsanft auf dem nassen Boden. Verletzt war sie jedoch nicht. Ihre Pechsträhne setzte sich zu Hause fort, als sie sich an ein paar Fettspritzern verbrannte, als sie Speck und Spiegeleier zum Frühstück machen wollte. Sowas war ihr beim Kochen noch nie passiert und das ärgerte sie sehr. Beim Einsteigen ins Auto, stieß Maron sich hart Kopf und von da an wusste sie, dass der ganze Tag wahrscheinlich so ablaufen wird. Auf dem Weg zur Schule konnte sie sich kein bisschen über Miyako’s Enthusiasmus bezüglich Yamato und der Party amüsieren. Ihre Laune war schon weit unten gewesen als sie Fuß aus der Haustür gesetzt hatte. Und die wurde über den Tag nicht besser. Während der Fahrt hatte es in Strömen zu regnen angefangen. Und sie hatte keinen Schirm mit. Nass wie ein Pudel kam sie im Klassenzimmer an. Gerade als Maron auf ihren Platz zugehen wollte, rutschte sie wegen ihren nassen Schuhen aus und landete mit den Händen voraus auf dem glatten, kalten Boden. In dem Moment fühlte sie sich wie als würde das Universum sie hassen. Das Kichern ihrer Mitschüler war zu hören, doch sie war zu angepisst, um sich davon beirren zu lassen. Murrend richtete sie sich auf und setzte sich auf ihrem Stuhl hin. Als sie kurz zu ihrer Linken sah, erblickte sie Chiaki, der alle böse anfunkelte, die Hände auf dem Tisch zu Fäusten geballt. Maron realisierte, dass er sauer auf alle anderen war, die sie soeben ausgelacht hatten. Dies ließ sie etwas besser fühlen, wenn auch nur für einen minimalen Moment. Sie hatte lästige Kopfschmerzen, ihr Schienbein tat noch weh und ihre Hände schmerzten durch den Fall. Der Tag hatte erst angefangen und sie wünschte sich sehnlichst, dass er vorbei war. Am liebsten wollte sie in Chiaki’s Zimmer zurückkehren, wo es schön warm und trocken war. Doch leider musste sie sich noch einige Stunden gedulden. Und wie Maron schon befürchtet hatte, wurde der Tag einfach nicht besser. Sie bekam heute eine Japanischarbeit wieder, welche sie durchgefallen ist. Es war überhaupt das erste Mal, dass sie in ihrem Lieblingsfach durchgefallen war und sie funkelte die Arbeit in ihrer Hand sowie die null Punkte wütend an. Die letzte Einheit, Sport, war am schlimmsten. Mindestens fünf Basketbälle hatten sie getroffen und Maron wusste noch nicht mal aus welchen Richtungen sie alle kamen.   Die Schule war mittags letztlich vorbei und sie war einfach nur fertig mit der Welt. Ihre Laune hatte seinen Tiefpunkt erreicht. Nur halbherzig hatte Maron sich von Sakura verabschiedet, die nach Tokyo reiste und um das Wochenende mit Takumi dort zu verbringen. Genauso halbherzig und lustlos hatte sie Miyako bei der Outfitsuche geholfen. „Maron!“, rief diese ihr zu laut ins Ohr, „Du schaust noch nicht mal!“ Genervt stöhnte Maron auf. „Was soll ich dir noch helfen? Alles sieht super aus! Wieso ziehst du dir nicht deine aufgemalte Lederhose von letztens an?“, zickte sie sie an. Daraufhin schnaubte Miyako nur und sagte ihr, dass sie auch allein zurechtkommen würde. Maron war das Recht. Sie ging nach unten, backte ein paar Kekse für später und überlegte sich, was sie zu Abend kochen soll. Die Angst war groß, dass sie sich wieder verbrennen würde und ihr hatte schon das eine mal am Morgen gereicht. Am Ende entschied sie sich für einfache Tomaten-und-Mozzarella-Sandwiches. Als sie diese fertig zubereitet hatte, kam auch Miyako in die Küche, in der schwarzen, hautengen Lederhose mit einem grünen Top sowie dem passenden Makeup auf dem Gesicht. Wenigstens kam sie selbst auf die Idee grün zu tragen, dachte sich Maron und gab ihr auf das Outfit zwei zustimmende Daumen hoch. Nach dem Essen packte sie ihre frischgebackenen, abgekühlten Kekse ein und rechnete dabei noch eine Tüte für Yamato dazu, die Miyako mitnehmen konnte, wenn sie wieder auf ihre „Geheimwaffe“ zurückgreifen musste. Gleichzeitig erhoffte Maron sich Pluspunkte bei ihm zu sammeln. Schließlich war er Chiaki’s bester Freund, der von ihr wusste und da wollte sie, dass er sie irgendwie mochte - oder akzeptierte.   Gegen halb zehn wollten die Mädels eigentlich zu den Nachbarn rübergehen. Aber da Maron noch ihre Sachen für die Nacht noch fertig packen musste und nicht wollte, dass ihre Freundin Verdacht schöpfte, wenn sie mit vollgepackter Tasche auf einer Party ankam, hatte sie Miyako angewiesen, dass diese schon mal voraus gehen konnte und sie selbst nachkommen würde, mit der Ausrede, dass sie sich noch fertig machen wollte. Die Kurzhaarige platzte schon vor Ungeduld, weshalb sie mit einem „Schreib mir, wenn du da bist“ einfach nickte und in der nächsten Sekunde schon aus der Tür war. Seufzend packte Maron die nächste halbe Stunde ihre Sachen zusammen, zog sich noch ihre Jacke mit Kapuze an und begab sich schließlich ebenfalls nach draußen. Draußen war schon der dumpfe Bass der Musik zu hören, welches mit jedem Schritt lauter wurde. Der Regen hatte über den Tag aufgehört, wodurch die Nacht trocken blieb. Vor der Tür hatten sich auch schon sehr, sehr viele Leute versammelt, die miteinander redeten, lachten, rauchten oder aus irgendwelchen Alkoholflaschen tranken. Es kam Maron vor, als wären mehr Leute da als beim letzten Mal. Was womöglich der Fall war. Wahrscheinlich hatte Shinji die halbe Stadt eingeladen. Die Menschenmenge machte sie sichtlich nervös. Maron zog sich ihre Kapuze etwas über das Gesicht, ging über die Türschwelle und stellte erleichtert fest, dass es drinnen noch nicht zu überfüllt war. Was sich natürlich in den nächsten Minuten noch ändern kann. Zumindest hatte sie genug Freiraum an den Wänden, um sich an alle Menschengruppen vorbeischlängeln zu können. Ein emotionaler Zusammenbruch würde den heutigen Tag schließlich noch toppen. Schließlich hatte Maron die Treppen erreicht, ging ein paar Stufen hoch, blieb kurz stehen und schaute sich in alle Richtungen nach Miyako oder Chiaki um. Sie hatte Miyako eine SMS geschrieben, dass sie da wäre, aber bestimmt war die Kurzhaarige zu sehr anderweitig beschäftigt, um auf ihr Handy zu schauen. Mit hochgestrecktem Kopf ließ die Braunhaarige ihren Blick durch die Menge schweifen. Ein paar Leute tanzten, andere standen da und unterhielten sich laut, wieder andere veranstalteten Trinkspiele. Shinji fand sie im Wohnzimmer auf der Couch vor, mit Natsuki an seiner Seite. Beide stießen gerade mit einer paaren Leuten an, lachten heiter. Maron blickte sich weiter um, hoffte darauf einen gewissen blauhaarigen Schopf zu erblicken. Doch stattdessen fand sie einige Meter weiter Miyako, die auf einen großen Tisch zuging. Auch dort hatten sich Leute zum Trinken versammelt. Unter ihnen auch Yamato, der leger in Jeans und T-Shirt dastand und breit lächelte, als Miyako vor ihm stand. Er reichte ihr ein Glas, welches sie mit aufgesetzter Gleichgültigkeit annahm. Gerade versuchte die Kurzhaarige nicht so zu wirken, als wäre sie allein wegen ihres Schwarms auf dieser Party. Maron musste spöttisch schnauben. Sie ließ ihren Blick weiter wandern und fand nicht weit von Yamato entfernt endlich den blauhaarigen Schopf, nachdem sie gesucht hatte. Chiaki saß auf einem Stuhl am Tisch, lehnte sich lässig zurück und hielt in einer Hand ein Getränk, die andere war in seiner Hosentasche vergraben. Grinsend beobachtete er amüsiert die Miyako-Yamato Interaktion. Maron musste automatisch mitlächeln. Sie hielt sich am Treppengeländer fest und wünschte sich, dass sie bei ihm sein könnte oder dass Chiaki sie sehen würde. Was er leider nicht tat. Stattdessen tauchte ein fremdes, leicht bekleidetes Mädchen in ihr Blickfeld auf. Sie hatte lange, blondgefärbte Haare, die gelockt ihr hübsches Gesicht zierten. So plötzlich wie sie aufgetaucht war, so ließ sie sich genauso plötzlich auf Chiaki’s Schoß fallen. Maron zog scharf Luft ein, hielt sich krampfhaft am Geländer fest. Sie wollte wegsehen, konnte es jedoch nicht. Wie eine Statue stand sie da, während ihre Eifersucht sie rot sehen ließ. Für einen ganz kurzen Augenblick konnte sie beobachten, wie Chiaki der Tussi ein engelsgleiches Lächeln schenkte. In der nächsten Sekunde legte die Blondine ihren Kopf schief und sein Gesicht war von der blonden Mähne verdeckt. Maron konnte nur noch beobachten, wie die ihre Finger durch seine Haare strich. Ihre Haare. Ihr reichte es. Maron drehte sich um und rannte die Treppen hoch. Ohne nochmal zurückzublicken rannte zum zweiten Stock hoch, versuchte die sich anbahnenden Tränen zu unterdrücken. Stampfend steuerte sie auf Chiaki’s Zimmertür zu, suchte in ihrer Tasche nach seinem Schlüssel und steckte es grob ins Schloss rein. Nach einigen Umdrehungen schwang Maron die Tür auf und schlug sie mit einem lauten Knall hinter sich wieder zu. Mit zugekniffenen Augen und geballten Fäusten stieß sie ein frustriertes Knurren aus. Miesgelaunt warf sie ihren Rucksack auf den Boden, ließ sich rücklings auf das Ledersofa fallen und trat wild gegen die Luft. Nach einer Weile legte sich ihre Wut und ein anderes Gefühl machte sich in ihr breit. Niederlage. Diese Blondine war genau die Sorte Mädchen, die Chiaki gefallen würde. Wunderschön, sexy und selbstbewusst. Perfekt. Das komplette Gegenteil von Maron selbst. Nicht so verunstaltet wie sie. Seufzend schloss sie ihre Augen, wartete darauf, dass Chiaki kam und versuchte mit aller Macht sich nicht vorzustellen, was er zusammen mit der Blondine gerade machte. *** Verdammt sei Shinji und seine dummen, verfickten Partys! Eigentlich hatte Chiaki die Vorstellung gehabt, er könnte sich für die eine Nacht mal ordentlich abschießen lassen. Früher musste er immer aufpassen, um nicht zu betrunken zu werden, da er ja noch gleichzeitig wachbleiben musste. Da konnte man das Trinken einfach nicht genießen. Und jetzt konnte er es immer noch nicht genießen. Weil überall verflucht viele Menschen waren! Viel zu viele Menschen! Es hätte gereicht, wenn Shinji nur Mitschüler der Momokuri High eingeladen hätte. Aber Nein - der Idiot musste auch Leute aus allen anderen High-Schools der Stadt einladen! Am liebsten hätte Chiaki all seine Partyvorsätze in den Wind geschossen und wäre in sein Zimmer geblieben, um zu entspannen. Aber da Miyako heute kam, wollte Yamato ihn zur geistigen Unterstützung dabeihaben. Und da Chiaki leider ein netter Freund war, war er nun doch hier unten statt oben. Das mit der geistigen Unterstützung hatte sich auch schnell erledigt gehabt, als er sah wie Miyako auf Yamato zukam und dieser ihr ein Drink überreichte. Gerade als Chiaki einen gemeinen Kommentar an Yamato rauslassen wollte, nur um seinen Freund vor seinem Schwarm in Verlegenheit zu bringen, ließ sich eine Gestalt ganz plötzlich auf sein Schoss fallen. Einige Male musste er irritiert blinzeln, starrte das blonde, breit grinsende Mädchen auf seinem Schoss entgeistert an. Kurz wanderte sein Blick zu ihrem Ausschnitt herab, ehe er ihr wieder ins Gesicht schaute. „Hiii. Ich bin Yumi“, schnurrte sie. Ein verführerisches Lächeln haftete auf ihrem Gesicht. Nüchtern war sie nicht, denn Chiaki konnte den Alkohol in ihrem Atem riechen. Er setzte ein schiefes Lächeln auf und beobachtete wie ihre Augen aufleuchteten. Sie lehnte sich näher zu ihm vor, hob ihre Hand und fuhr ihm durch die Haare. „Yumi… das ist ein hübscher Name“, sagte er charmant, legte seine freie Hand um ihre Hüfte. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde noch breiter und sie lehnte sich weiter zu ihm vor. Im nächsten Moment Chiaki ließ sein Lächeln fallen. „Nun geh von mir runter“, sagte er genervt. Yumi ignorierte das Gesagte, strich ihm weiter durchs Haar. Sie klaute ihm sogar seinen Drink aus der Hand und trank das halbvolle Glas in einem Zug leer. Das war sein erster Drink und er konnte ihn noch nicht mal zu Ende trinken! Was ihn noch mehr anpisste. Genervt funkelte er dieses Mädchen an, die ihn immer noch verführerisch angrinste. Er kannte diese Sorte von Mädels und wusste genau was sie wollten. Da waren die alle gleich. Kommen zu einer Party, trinken sich betrunken genug, dass ihre Hemmungen fallen und schnappen sich den erstbesten Singletypen, um ihre Zungen in dessen Hälse zu stecken. Klar, diese Yumi war durchaus attraktiv und sexy. Lange Beine, große Brüste und viel nackte Haut. Chiaki könnte mit ihr in eines der Badezimmer verschwinden und sich diese innere Anspannung der letzten Tage wegvögeln. Einfach mal für ein-zwei Stunden sich richtig gehen lassen und die Party mit allem Drum und Dran genießen. Aber… er war einfach nicht interessiert. Und bei dem Zuckerwattengeruch ihres Parfums wurde ihm allmählich schlecht! Grob schob Chiaki das Mädchen mit der einen Hand an ihrer Hüfte von seinem Schoss runter. Vielleicht etwas zu grob, aber das war ihm scheißegal. Mit einem kurzen Aufschrei fiel sie zu Boden, funkelte ihn eingeschnappt an, rappelte sich auf und stolzierte in ihren High Heels wortlos weg. Frustriert fuhr Chiaki sich durch die Haare. Er hatte das Gefühl ihrer knochigen Finger auf seinem Kopf gehasst. Chiaki blickte zu der Stelle hinüber an der er Yamato zuletzt gesehen hatte, aber sein Freund war verschwunden. Genauso wie Miyako. Das Yamato ohne ein Wort verschwindet, nervte ihn auch. Aber da Miyako schon hier war, würde es automatisch bedeuten, dass sein Mädchen bereits oben auf ihn wartete. Und mit den Gedanken schnappte er sich eine Flasche Vodka, die in der Nähe war und zwei Shotgläser, machte sich mit den Sachen auf den Weg zu den Treppen. Im Moment gab nur eine Person in diesem Haus, mit welche er sich betrinken wollte. Chiaki konnte sich denken, dass Maron noch nie betrunken war. Oder überhaupt schon mal Alkohol getrunken hatte. Und ihm war der Gedanke zuwider, dass sie diese Erfahrung mit Miyako oder sonst irgendwen Schäbiges an der Uni -oder so- nachholen würde. Lieber es jetzt hinter sich bringen, solange er noch auf sie aufpassen konnte. Außerdem wollte er sein Mädchen von ihrem schlechten Tag etwas ablenken. Jeder mit Augen konnte sehen, wie miesgelaunt sie heute war – und das nicht nur wegen den 30 Minuten weniger Schlaf. Nachdem Chiaki die Menschenmasse im Wohnbereich überwunden hatte, stieg er die Treppen zu den oberen Stockwerken hoch. Am Treppenabsatz sowie im Korridor fand er schon die ersten Paare vor, die ihren Hormonen freien Lauf ließen und heftig miteinander rummachten. Zu blöd für die, dass es nicht viele Räume geben wird, wo sie ihre Bedürfnisse eine Stufe weiter nachgehen konnten. Chiaki hatte sichergestellt alle wichtigen Zimmer abzuschließen. Man wollte sich gar nicht vorstellen, was Kaiki für ein Gesicht machen würde, wenn er zurückkam und ein benutztes Kondom in sein Büro fand. Ein belustigtes Kichern entkam ihm bei der Vorstellung.   Als Chiaki vor seiner Tür stand, balancierte er Flasche und Gläser in einer Hand und reichte mit der anderen, freien Hand nach der Türklinke, testete sie. Abgeschlossen. Schlaues Mädchen, grinste er in sich hinein. Er klopfte an der Tür. „Ich bin es.“ Nach einigen Momenten öffnete Maron ihm die Tür. Die schlechte Laune war ihr mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben. „Die Party ist aber noch nicht zu Ende“, zog sie argwöhnisch die Braue hoch, trat gleichzeitig beiseite, um ihn reinzulassen. „Yamato ist mit Miyako verschwunden. Was habe ich unten dann noch zu suchen?“ Chiaki schloss hinter sich die Tür ab, während sie betrübt zu seinem Sofa zurückschlurfte. „Außerdem…“ Er ging zu seinem Schreibtisch, stellte die Sachen darauf ab und drehte sich mit einem Grinsen zu Maron um. „Da die Party noch nicht zu Ende ist, werden wir beide uns jetzt betrinken.“ Ihre Augen weiteten sich überrascht. „Ich habe noch nie… Ich war noch nie…“ Sie verstummte und fuhr sich nervös durch die Haare. Sie war süß, wenn sie so nervös war. Chiaki rollte mit den Augen. „Was du nicht sagst“, lächelte er ironisch, „Ich sehe schon… du warst ein anständiges Mädchen in Osaka.“ Maron wurde etwas rot. Er schüttelte belustigt den Kopf. „Ich habe dir deine ersten Kusserfahrungen gegeben, dann wirst du mit mir auch deine ersten Trinkerfahrungen machen.“ Bei der Erwähnung des Wortes Kuss wurde ihr Gesicht um einige Nuancen roter. Wieder musste er mit den Augen rollen. „O-Okay...“, sagte sie etwas unsicher und rückte ein bisschen näher ans Sofaende ran, welches am nächsten zu seinem Tisch war. Chiaki ließ sich auf seinem Schreibtischstuhl nieder und begann die Gläser bis zum Rand zu füllen. Maron sah ihm dabei zu, band sich zur selben Zeit die Haare zu einem Knoten hoch. Für einen Moment stoppte Chiaki sich in seinen Bewegungen und starrte sie mit großen Augen an. Er hatte sie bis jetzt noch nie mit zusammengebundenen Haaren gesehen. Er hatte freie Sicht auf ihr blasses Gesicht und ihren Nacken. Kopfschüttelnd fasste er sich wieder und reichte ihr ein Vodkaglas. Maron begutachtete den Inhalt mit einem ominösen Blick, roch auch kurz dran und rümpfte die Nase. Chiaki kicherte amüsiert auf. „Ja, ich weiß. Ist eklig“, sagte er, hob sein Glas zu seinen Lippen an und wartete darauf, dass sie dasselbe tat. Zögernd nahm sie ihr Glas an den Mund. „Schluck am besten sofort runter“, riet er ihr noch, bevor beide zusammen den Vodka in einem schnellen Zug runtertranken. Während Chiaki sich den brennenden Geschmack auf der Zunge zergehen ließ, beobachtete er, wie Maron ihr Gesicht mit zusammengekniffenen Augen verzog und schauderte. Und wieder musste er kichern. „Und? Fühlt sich warm an?“, fragte er. Sie nickte, stellte ihr Glas auf dem Tisch ab und machte eine angewiderte, zugleich irritierte Grimasse. „Warum trinken Leute solches Zeug freiwillig?“ Maron deutete auf die Vodkaflasche. „Es schmeckt scheiße.“ Ein weiteres Mal erschauderte sie, dachte womöglich an den Geschmack zurück. Chiaki zuckte lächelnd mit den Schultern. „Es geht nicht um den Geschmack, sondern um den Effekt. Wirst du in zehn Minuten schon verstehen.“ Grinsend füllte er ihr ein weiteres Glas. Natürlich würde er sein Mädchen nicht zu vollsaufen lassen. Nur genug, um sie von Alkohol abzuschrecken, damit sie sich zukünftig auch davon fernhält. Den zweiten Shot brachte sie einfacher runter als den ersten. Der Ekel spiegelte sich nach wie vor noch deutlich auf ihrem Gesicht wider. Einige Shots tranken sie zusammen, aber nach fünf hörte Chiaki auf Maron’s Glas nachzufüllen, als er merkte, dass ihre Augen einen glasigen, unfokussierten Blick bekamen. Er selbst nahm noch sieben weitere Vodkashots, während sein Mädchen ihm dabei zusah. Anschließend machte er die Flasche zu und stellte sie mit den Gläser weg, nachdem er davon überzeugt war, dass sie beide genug Alkohol im Blut hatten. Chiaki drehte sich zu Maron um, die ihn mit einer ausdrucklosen Miene und glasigen Augen anstarrte. Irgendwie wirkte sie immer noch recht bedrückt. „Was nun?“, fragte sie, beide Ellenbogen auf der Armlehne gestützt und das Kinn in ihre Hände gebettet. „Warten wir jetzt darauf, dass einer anfängt auf dem Tisch zu tanzen?“ Er lachte amüsiert auf. „Wenn du das Bedürfnis danach verspürst, lass dich nicht von mir aufhalten. Tu mir nur den Gefallen und zieh die Schuhe vorher aus.“ Maron rollte ungerührt mit den Augen. „Nun… wir lehnen uns jetzt einfach zurück und entspannen uns“, zuckte Chiaki mit den Schultern, lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Sie schürzte ihre Lippen und nickte, blickte auf die schwarze Lederoberfläche der Armlehne runter. Unterdessen hatte Chiaki seine Augen geschlossen, den Kopf nach hinten gelehnt und ließ das berauschende Gefühl des Alkohols auf sich wirken. „Machst du das öfters?“, hörte er Maron leise fragen. Er öffnete ein Auge, sah wie sie sich auf dem Sofa wie ein kleines Kind zusammengekauert hat. Er rollte sein offenes Auge. „Ab und an, wenn Yamato mich dazu nötigt und überredet“, antwortete er und schloss sein Auge wieder. „Hmmm. Ist es normal, dass man sich so müde danach fühlt?“, murmelte sie. „Unter anderem.“ Für einige Minuten war es ruhig zwischen ihnen, nur die entfernten Stimmen von den Partygästen draußen sowie die bassintensive Musik waren im Haus zu vernehmen. In Gedanken hatte Chiaki für sich entschieden Shinji auf keinen Fall beim Aufräumen morgen zu helfen. Er hatte gesehen, wie Hijiri beispielsweise in eine der Topfpflanzen gekotzt hatte. Ekelhaft. Möge die Pflanze in Frieden ruhen. „Ich habe dich unten mit diesem Mädchen gesehen“, durchbrach Maron’s sanfte Stimme seine Gedankengänge. Chiaki öffnete seine Augen, sah wie sie nun im Schneidersitz vor ihm saß und auf ihre Hände herunterblickte. Ihre Lider waren träge und schwer. Man merkte ihr allmählich an, wie der Alkohol in ihr wirkte. Er musste fast schmunzeln, registrierte jedoch was sie gesagt hatte. „Oh“, sagte er, überrascht darüber, dass sie ihn unten gesehen hatte. Anschließend verzog er sein Gesicht zu einer Grimasse, als er an die Tusse zurückdachte. „Ja… uhmm…“, grübelnd zog er die Brauen zusammen, „Yori...“ Nein, das war nicht ihr Name. „Yuki?“ Er rieb sich die Stirn, sah aus dem Fenster raus und beschloss, dass es nicht mehr so wichtig war wie ihr Name lautete. Chiaki wandte sich wieder an Maron und zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Sie war sehr hübsch“, sagte sie halb nuschelnd. Er schnaubte spöttisch. „Solche Mädels, wie die, würde ich nicht hübsch nennen.“ Maron schürzte ihre Lippen, warf ihm einen kurzen skeptischen Blick zu und sah wieder auf ihre Hände runter. „Wie würdest du die denn nennen?“ Mit einer Hand fuhr Chiaki sich träge über das Gesicht, dachte an Blondie und ihrem Ausschnitt zurück. „Sexy, Lüstern, Verführerisch… Einfach“, zählte er achselzuckend auf. Er musste innerlich zugeben, dass der Ausblick, den die Blondine ihm geboten hatte, ziemlich nett war. „Nicht hübsch“, vollendete er entschieden. Maron blinzelte, ihre Wimpern warfen lange, dichte Schatten auf ihre Wangenknochen. Anschließend sah sie durch ihre langen Wimpern zu ihm auf. Fast wäre ihm für einen Moment der Atem hängen geblieben, als sie das tat. Denn für den Moment sie sah so anders aus... „Was für Mädchen würdest du hübsch finden…?“, fragte sie, die Worte zogen sich allmählich in die Länge. Chiaki machte ein nachdenkliches Gesicht. Was für Mädchen würde er hübsch finden? Was war das für eine Frage? Überhaupt verstand er den Sinn all dieser Fragen nicht… „Spielt das irgendeine Rolle?“, versuchte er die Frage auszuweichen, fühlte sich sichtlich unwohl mit Maron über seinen Typ Mädchen zu reden. Sie gab ihm auf seine Gegenfrage ein Achselzucken und senkte den Blick wieder. Chiaki lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. „Würdest du mich als hübsch bezeichnen?“, kam es von Maron plötzlich in einem leisen, unsicheren Ton. Er öffnete seine Augen und sah sie an. Noch immer starrte Maron im Schneidersitz auf ihre Hände herab. Erstaunlicherweise wurde sie bei der Frage nicht rot. Sondern wirkte einfach nur bedrückt. Für einen Moment dachte Chiaki über ihre Frage nach. Würde er Maron als hübsch bezeichnen? Auf dem ersten Blick: klar. Es war nicht zu leugnen, dass sie attraktiv war. Die Bezeichnung „hübsch“ würde da auf jeden Fall zutreffen. Und manchmal, an manchen Momenten, wenn sie nicht versuchte sich zu verstecken, dann war sie geradezu wunderschön. Er versuchte sie aber nicht so zu sehen. „Ja… du bist hübsch“, schlussfolgerte er mit einem Nicken. Maron schnellte ihren Kopf hoch, um ihm in die Augen zu sehen. „Das sagst du nicht nur, damit ich mich besser fühle, oder?“, nuschelte sie, den Kopf prüfend zur Seite geneigt. „Sehe ich so aus?“, zog er eine Augenbraue hoch und schnaubte. Er war nicht jemand, der Dinge einfach so sagte, nur damit der andere sich besser fühlte. Besonders jetzt nicht. Maron’s Augen leuchteten etwas auf, nachdem er sie hübsch genannt hatte. Chiaki verdrehte wegen ihrer Unsicherheit mit den Augen. So lächerlich … Typisch Mädchen! Er lehnte seinen Kopf nach hinten und starrte sein Mädchen weiter an. Ein Lächeln bildete sich im nächsten Moment auf ihren Lippen. Ein albernes, glückliches Lächeln, welches ihr Gesicht aufleuchten ließ. Chiaki musste automatisch mitlächeln, da er es liebte sein Mädchen lächeln zu sehen. Augenblicklich wurden ihre Wangen rot. Er kicherte. „Flipp aber nicht aus, oder so“, sagte er und rieb sich die Augen. „Ich versuche dich nicht so zu sehen“, fügte er murmelnd hinzu. Seufzend schloss er seine Lider. Der Alkohol machte ihn allmählich schläfrig. Aber anders als früher brauchte er sich dieses Mal keine Sorgen machen. Schließlich hatte er sein Mädchen hier, welches ihn von den Albträumen fernhielt. Er öffnete die Augen, um ihr gerade zu sagen, dass sie sich bettfertig machen konnten, als er bemerkte, wie sie ihn mit zusammengezogenen Brauen eindringlich ansah. Chiaki konnte ihren Blick nicht deuten und zog fragend eine Augenbraue hoch. Was starrte sie ihn so an? Seufzend schaute sie wortlos wieder weg. Plötzlich war ein lauter, dumpfer Knall an der Tür zu hören - sowie Gelächter. Erschrocken fuhren er und Maron zusammen. Sie wollte schon ins Bad abhauen, stoppte sich jedoch als sie sich in Erinnerung rief, dass die Tür abgeschlossen war. „Wieso ist jedes Zimmer in diesem Haus abgeschlossen?!“, war eine frustrierte Mädchenstimme zu vernehmen, gefolgt von dem Rattern der Klinke. Erleichtert ließ die Braunhaarige sich wieder aufs Sofa sinken, während Chiaki versuchte nicht laut loszulachen. „Hey, dort können wir rein“, kam es von einer entfernten Jungenstimme. Nach wenigen Sekunden wurde eine Tür laut zugeknallt. In dem Moment lachte Chiaki heiter auf. „Da wird sich Shinji freuen, wenn er irgendwelche betrunkenen Teenies nackt in seinem Zimmer vorfindet.“ Nun musste auch Maron prustend loslachen. Einige Minuten lachten die beiden herzhaft miteinander.   Danach nahm sie ihre Tasche und ging mit einem „Ich ziehe mich mal um“ ins Bad. Chiaki nickte, stand ebenfalls auf und wechselte in seine Pyjamas. Seine Klamotten hatten immer noch den widerlichen Zuckerwattengeruch von der blonden Tusse. Als er den Wasserhahn aus dem Bad hören konnte, musste er unwillkürlich an den gestrigen Morgen denken, wo er den neuen Mitbewohner an seinem Zahnbürstenhalter entdeckte. Für eine ganze Weile hatte er die rote Zahnbürste angestarrte und hatte sich gefragt, wieso Maron die dalassen würde. Er vermutete, dass es beabsichtigt war. Schließlich lässt man nicht eine Zahnbürste ausversehen in einen Zahnbürstenhalter fallen…oder? Eigentlich wollte er ihr sie gestern zurückgeben, weil er sich nicht wohl dabei fühlte Sachen von ihr in seinem Zimmer zu haben. Aber irgendwie hatte er dann doch die Klappe gehalten. Denn irgendwie passte ihre Zahnbürste neben seiner blauen. Klein und rot. Letztendlich war er froh, dass es nur eine Zahnbürste war. Bei den ersten Anzeichen von Tampons oder anderen Hygieneartikeln würde er ein Machtwort sprechen. Nachdem Maron wieder in sein Zimmer kam, ging er noch schnell ins Bad und putzte sich die Zähne. Als Chiaki wieder zurückkam, saß sie wartend mit ihrem Handy in der Hand mittig auf dem Bett, die Haare immer noch in dem dicken Knoten hochgebunden. Mit einem kleinen Lächeln sah Maron von ihrem Handy auf. Er erwiderte das Lächeln und ließ sich daraufhin mit geschlossenen Augen rücklings neben sie aufs Bett fallen. Die Matratze wippte auf und ab, ein sanftes Kichern war von ihr zunächst zu vernehmen. Dann hörte er sie schockiert Luft schnappen. Verwundert öffnete Chiaki seine Augen. Maron starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seinen Bauch, wo sein Shirt etwas hochgerutscht war. Ein Teil seiner Narben war zu sehen. Hastig setzte Chiaki sich erschrocken auf und schob sein Shirt wieder runter. Teilweise beschämt und verärgert wandte er seinen Kopf von Maron ab, die ihn immer noch schockiert anblickte. „I-Ich wollte nicht starren“, sagte sie entschuldigend. „S-Sorry...“ Er drehte sich zu ihr um, verzog leicht säuerlich das Gesicht und fühlte sich zum ersten Mal seit langem wie ein Freak. Er hasste es, wenn man seine Narben sah, versuchte sowas immer bestmöglich zu vermeiden. (Vor und nach dem Sportunterricht ließ er sich beispielsweise immer Zeit, damit er als letzter allein sich umziehen konnte.) Am liebsten wünschte er sich gerade, dass sie nichts gesehen hätte. Es wurde wieder beklemmend still zwischen ihnen bis Maron sich plötzlich räusperte. „Ich…habe auch Narben“, sagte sie, als ihre Blicke sich trafen. Chiaki rutschte etwas nach hinten zum Kopfende des Bettes und runzelte die Stirn. „Von Noyn?“, fragte er vorsichtig, versuchte sein Mädchen nicht aufzuregen. Sie presste sich nickend die Lippen zusammen, blickte flüchtig zu ihm und wieder zur Bettdecke runter. Gerade als er noch mehr Fragen stellen wollte, drehte sie sich unerwartet um, sodass ihr Rücken zu ihm gewandt war. Verwirrt beobachtete er sie dabei, fragte sich innerlich was sie vorhatte. Als sie den Saum ihres Shirts in die Hände nahm und es langsam hochschob, weiteten sich seine Augen und eine Spur von Panik überkam ihn. Was zum Teufel macht sie da?! Doch er verstand sofort, als sie an den Rippen stoppte. Denn auf ihrer unteren Rückenhälfte kam Narben zum Vorschein. Ihr ganzer Rücken schien mit ihnen übersät zu sein. Manche fingen an den Hüften an und verschwanden unter dem Stoff ihres Oberteils. Andere liefen parallel zur Wirbelsäule ihren Rücken entlang. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals. Er konnte nichts anders tun als da zu sitzen und sie fassungslos anzustarren. Wortlos schob Maron ihr Shirt wieder runter, drehte sich zu Chiaki um und legte sich auf ihre Betthälfte hin. Er debattierte für einen Augenblick mit sich selbst, ob er fragen sollte wie der Mistkerl das angestellt hatte, aber beschloss es jedoch für heute Nacht sein zu lassen. Mit dem Entschluss legte Chiaki sich ebenfalls hin und schenkte ihr ein kleines Lächeln. Er fühlte sich etwas besser dank seinem Mädchen. Sie hatte ihm ihre Narben gezeigt als Ausgleich zu seiner. Gähnend hielt er sich die Hand vor dem Mund. „Schlafen?“, fragte er halb nuschelnd, fühlte sich mit einem Mal sehr, sehr müde. Maron sah zu ihm auf, die Lider schläfrig schwer und nickte zustimmend. Beide standen auf und schlüpften direkt unter die Decke. „Kein Wecker bitte“, kam es von ihr, „Sakura ist übers Wochenende weg“, merkte sie zusätzlich an, als sie seinen fragenden Blick sah. Nickend nahm Chiaki das zur Kenntnis, schaltete das Licht und den Wecker am Handy aus, war sichtlich froh darüber, dass sie mal ausschlafen konnten. Er wüsste nicht, ob er es Morgen um halb sechs mit Kater aus dem Bett geschafft hätte. Er nahm sie in seine Arme und spürte direkt ihre Hand in seinen Haaren. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haarknoten und atmete ihren blumigen Duft tief ein. Viel, viel besser als Zuckerwatte. Müde lächelte er in ihre Haare rein, legte seine Hand auf ihre untere Rückenhälfte -dort wo ihre Narben waren- und strich behutsam drüber. Im Hintergrund lief nach wie vor noch die Musik von der Party, die allmählich leiser wurde und gerade war „Scars“ von Tove Lo zu hören.   Scars we carry Carry with memories, memories burned by the dark […] Know they're cutting you deep Feel the scars in your sleep What didn't kill us made us stronger Stories left on our skin Wear them with everything What didn't kill us made us stronger […]   Er drückte sein Mädchen an sich und schlief in innerhalb von Augenblicken ein.   SEVENTEEN --------- SEVENTEEN   Es war fast zehn als Maron an dem darauffolgenden Samstagmorgen aufwachte und sich schwor nie wieder Alkohol zu trinken. Die fünf Shots Vodka waren ihr mehr als eindeutig genug gewesen. Ihr Kopf dröhnte. Es war zwar nicht so schlimm wie Miyako es immer darstellte, aber trotzdem lästig. Zumindest war sie nicht betrunken genug gewesen, um sich in die Hecke des Vorgartens zu übergeben wie Miyako es immer tat. Dafür war sie Chiaki dankbar, dass er ihr ein Limit gesetzt hatte. Zögernd öffnete Maron ihre Augen, blinzelte stark gegen das Sonnenlicht, welches sie nur einmal vor knapp drei Wochen in diesem Zimmer gesehen hatte. Noch immer befand sie sich in Chiaki’s Armen. Dieser schlief tief und fest. Sie hob ihren Kopf, um einen besseren Blick auf sein friedlich schlafendes Gesicht zu haben. Es war das erste Mal, dass sie als erste aufwachte und noch die Zeit hatte ihm beim Schlafen zuzusehen. Sie nahm sich einen Moment und dachte an die vergangene Nacht zurück. Chiaki hatte der blonden Tusse gestern offensichtlich eine Abfuhr erteilt. Und Maron konnte irgendwie nicht nachvollziehen, wieso er seine Zeit lieber mit ihr hier oben verbringen würde statt auf der Party, aber nichtsdestotrotz hatte es sie glücklich gestimmt. Sie war ein wenig skeptisch bezüglich dem Vodka und dem Betrinken gewesen, da sie vorher noch nie getrunken hatte, aber Chiaki machte für sie alles immer so angenehm wie möglich. Und unter keinen Umständen würde sie das wiederholen wollen. Das war für sie definitiv eine einmalige Erfahrung fürs Leben. Maron blickte unter der Decke runter und sah, dass er noch seinen Arm fest um sie gelegt hatte. Dies brachte ein Lächeln auf ihre Lippen. Seine gestrigen Worte hallten ihr im Kopf nach. „Du bist hübsch.“ Er hatte gesagt, dass sie hübsch war. Glücklich lächelnd vergrub sie ihr Gesicht in seine Brust. Im nächsten Augenblick erstarb ihr Lächeln etwas. „Ich versuche dich nicht so zu sehen“, hatte er gesagt. Diese Aussage irritierte sie sehr. Plötzlich spürte sie wie Chiaki sich regte. Seine Augenlider zuckten auf und kniffen sich bei dem grellen Sonnenlicht direkt wieder zu. Einige Male blinzelte er, schaute runter und ihre Blicke trafen sich. Maron errötete etwas. Denn bisher waren sie noch nie so zusammen aufgewacht. Und gerade hat dieser Moment was sehr Inniges... Intensives. Nach einigen Sekunden kniff er sich wieder die Augen zu und stöhnte ächzend auf. Maron kicherte amüsiert. „Morgen“, sagte sie mit rauer Stimme. Chiaki ließ sie los und rollte sich wie immer auf den Rücken. „Scheiß Vodka“, brummte er, hielt sich den Kopf. Erneut musste sie kichern. Langsam rollte sie sich aus dem Bett und ging ins Bad. Sie betrachtete sich im Spiegel. Ihr Haarknoten hing ihr locker und schief auf den Kopf. Sie löste den Knoten und ihre Haare fielen ihr leicht verformt runter. Taumelnd zog Maron sich langsam um, hielt sich gelegentlich den dröhnenden Kopf. Wenigstens musste sie sich nicht übergeben. Als letztes zog sie sich ihre Jacke an und zog sich die Kapuze über den Kopf. Nach und nach packte sie in seinem Zimmer in Ruhe ihre Sachen ein, spähte immer mal zu Chiaki rüber, um sicherzustellen, dass er nicht wieder einschlief. Bis jetzt hatte er sich nur unter der Decke vergraben, um sich vor der Sonne zu verstecken. Gelegentlich waren einige unverständliche Flüche zu hören. Maron holte eine Tüte Kekse raus sowie eine Tüte ihrer speziellen Kräuterteemischung. Sie hatte gestern im Internet noch nach guten Mittel gegen Kater nachgeschaut. Tee soll generell sehr gut helfen und da hatte sie einige Sorten zusammengemixt. Ginseng, Kamille, Grüntee... nichts allzu Exotisches. Sie stellte beide Tüten auf Chiaki’s Nachttisch ab und gab ihm noch Anweisungen, wie er den Tee am besten zubereiten soll. Wage konnte sie ein Nicken unter der Decke, gefolgt mit einem brummigen „Mh-Hmmm“, vernehmen. Lächeln begab sie sich nach draußen. Es war sehr sonnig heute. Immer wieder sah Maron sich in alle Richtung um, während sie runterkletterte und den Hinterhof überquerte. Sie war es gewohnt im Schutz der Dunkelheit hierrüber zu laufen und nicht am helllichten Tag. Doch die Luft schien frei zu sein. Durch die Hintertür betrat die Braunhaarige ihr Zuhause. Es war sehr ruhig. Hoffentlich schlief Miyako noch. Gewöhnlich war sie nach solchen Partynächten bis 13 Uhr noch am Schlafen. Gleichzeitig hoffte Maron auch, dass Miyako davon ausging, dass sie gestern eher nach Hause gegangen war und sich in ihrem Zimmer barrikadiert hat. Ihr Zimmer hatte sie auch immer abgeschlossen, um diesen Eindruck zu erwecken. Hoffentlich hatte sie mit Yamato eine schöne Zeit gehabt, ging es ihr durch den Kopf. Sie ging zu Miyako’s Zimmer hoch, um nachzusehen ob ihre Freundin es auch sicher nach Hause geschafft hat, doch ihre Tür war abgeschlossen. Verwundert runzelte Maron die Stirn. Miyako schloss nie ihre Tür ab. Sie war jemand, die gewöhnlich auch nichts zu verbergen hatte. Maron klopfte laut gegen die Tür, aus Angst, dass vielleicht etwas nicht mit ihr stimmte. Ein dumpfes Stöhnen war auf der anderen Seite zu hören. „Miyako?“, rief sie und klopfte ein weiteres Mal. Sie verlangte von Miyako nicht, dass sie rauskam, aber sie musste sichergehen, dass es ihr gut ging. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und Miyako’s Kopf lugte raus. Ihre Augen waren angestrengt zusammengekniffen und sie sah aus, als hätte sie einen schlimmeren Kater als Maron und Chiaki zusammen. „Hi...“, krächzte Miyako müde. „Auch schon wach?“ „Ja… Ehm, Alles okay?“, fragte Maron besorgt. Miyako schenkte ihr ein unbesorgtes Lächeln, was allerdings mehr nach einer Grimasse aussah. „Hmmm…Fühl mich scheiße“, ächzte sie. Plötzlich hörte Maron etwas aus dem Zimmer. Sie zog ihre Brauen fragend zusammen. Und im nächsten Moment fiel ihr die Kinnlade runter, als sie die Situation schließlich verstand. Die Augen weiteten sich überrascht. „Miyako!“, zischte sie teilweise entsetzt und ungläubig. Diese blickte ermüdet hinter sich zu der schlafenden Gestalt auf dem Bett, schob die Tür dabei unbewusst weiter auf. Sie trug nichts weiter als einen pinken Morgenmantel. Maron’s Augen wurden noch größer. Sie wusste, dass Miyako mehr als nur verknallt in Yamato war, aber … direkt nach einer Nacht? Die beiden hatten noch nicht mal ein richtiges erstes Date hinter sich. Und diese Partynacht könnte man nicht als Date kategorisieren. Miyako bemerkte ihren Gesichtsausdruck als sie in den Gang rauskam und die Tür leise schloss. Augenrollend schüttelte sie den Kopf, hob unschuldig ihre Hände in die Höhe. „Nein, Maron...Wir hatten kein Sex. Ich schwöre.“ Daraufhin hielt sie sich stöhnend den Kopf. Erleichtert seufzte Maron auf und ging in die Küche runter. Sie blickte über ihre Schulter, um sicherzustellen, dass Miyako ihr auch folgte. Diese ließ sich auf ihren Hocker am Küchentresen nieder, den Kopf in beide Hände gehalten. Unterdessen machte Maron ihren Anti-Kater-Tee, den sie auch Chiaki vorbereitet hatte. „Also“, setzte die Braunhaarige an und warf Miyako einen interessierten Seitenblick zu, „Was genau war letzte Nacht passiert?“ Eigentlich ging es sie nichts an, aber sie konnte ihre Neugier nicht zügeln. Miyako stöhnte wieder. „Viel Rumgeknutschte. Viel Alkohol“, fasste sie zusammen und legte ihre Stirn auf die harte Oberfläche des Tresens ab. „Eventuell ein bisschen Kotze in der Hecke hinten“, fügte sie nuschelnd hinzu. Die arme Hecke, dachte Maron sich kichernd. Es erstaunte sie, dass die immer noch lebte. Sie stellte eine Kanne voller Tee auf dem Tresen ab sowie drei Tassen und setzte sich gegenüber von Miyako hin. „Und Yamato blieb hier?“ Es war mehr eine Anmerkung als eine Frage. Miyako hob ihren Kopf, nickte und warf dem Tee einen kurzen Blick zu. Sie nahm die Tasse in die Hand und nippte vorsichtig dran. Maron trank selbst ihren Tee. Und als hätte Yamato sie gehört, kam er im nächsten Augenblick in die Küche reingestolpert. Katermäßig sah er besser aus als Miyako, aber immer noch schlechter als Maron. Wahrscheinlich auf Chiaki’s Niveau. Instinktiv versteifte Maron sich, blieb allerdings auf ihren Platz sitzen als Yamato reinkam. Seine Klamotten waren völlig zerknittert und die braunen Haare standen in alle Richtungen ab. Er schaute zu ihr auf, seine Augen wurde für einen Moment groß, ehe er ihr ein schmales Lächeln schenkte. Maron erwiderte das Lächeln schüchtern. Wortlos schenkte sie ihm eine Tasse Tee ein. Miyako sah zu ihm rüber und klopfte einladend auf den Hocker neben sie, auf welches Yamato zögernd zuging. Gelegentlich warf er Maron ein paar vorsichtige Seitenblicke zu, besorgt darüber, ob seine Anwesenheit ihr unangenehm war. Sie gab ihn mit einem kleinen Lächeln zu verstehen, dass es okay war. Keine Zusammenbrüche am Morgen. „Yamato“, sagte Miyako krächzend, hielt sich immer noch den Kopf, „Darf ich vorstellen, meine inoffizielle Schwester Maron. Hoffentlich bald auch mal offiziell.“ Sie lächelte träge in Maron’s Richtung. Maron nickte Yamato freundlich zu, er nickte mit einem aufrichtigeren Lächeln zurück. Sie schob ihm seine Tasse Tee hin. Mit einem teils fragenden, teils skeptischen Blick beäugte er den Inhalt. „Hilft gegen den Kater“, sagte sie ihm. Zögernd nahm Yamato einen Schluck und verzog beim Geschmack eine angewiderte Grimasse. Ich habe gesagt, dass es hilft. Nicht dass es gut schmeckt, dachte Maron sich schmunzelnd. Ohne sich zu beschweren, trank er brav weiter. Für einige Moment saßen die drei da und tranken still ihren Anti-Kater-Tee. „Wo warst du gestern überhaupt? Ich habe dich gesucht, nachdem ich deine SMS las“, durchbrach Miyako’s krächzende Stimme die Stille. Oh-oh! Maron schluckte und hob langsam ihren Kopf, um ihrem Gegenüber in die Augen zu schauen. Sie presste sich kurz die Lippen zusammen. „Ich bin nach ner Stunde eher gegangen.“ Unbekümmert zuckte sie mit den Schultern, hoffte innerlich, dass Miyako ihr die Lüge abkaufte. Schließlich wäre das charaktermäßig nicht so weit hergeholt. „Ja“, kam es von Yamato plötzlich. Maron zuckte unwillkürlich zusammen, war überrascht ihn reden zu hören. Er starrte auf seine Tasse herab. „Ich habe gesehen wie sie gegen elf nach Hause gegangen ist. Du hättest mich ruhig fragen können“, sagte er an Miyako gerichtet und lächelte sie mit einem Lächeln an, welches sie dahinschmelzen ließ. Verstehend nickend nahm Miyako das zur Kenntnis und trank ihren Tee weiter. Maron hingegen saß ein wenig geschockt da. Yamato hatte ihr den Rücken freigehalten! Als ihre Blicke sich für einen unauffälligen Moment trafen, lächelte sie ihm dankbar an, worauf er augenzwinkernd zurück lächelte. Er schien sie also zu akzeptieren! Er wird Miyako nichts sagen und ihm schien es nichts auszumachen was auch immer sie mit Chiaki hatte. Gedanklich platzierte Maron Yamato an dritter Stelle in ihrer Männerfavoritenliste und schob Shinji einen Platz runter. Daraufhin wollte sie Frühstück machen, aber Miyako gab ihr mit einem scharfen Blick zu verstehen, dass sie gerne etwas Zweisamkeit mit ihrem Freund (?) hätte. Seufzend erhob sie sich von ihrem Hocker, verabschiedete sich von beiden und ging nach oben duschen.   Die Mittagsstunden verbrachte Maron damit, über Chiaki’s gestrigen Worte nachzudenken. Analysierte jedes einzelne Wort, wie Miyako es bei Yamato immer getan hatte. (Sie hasste es, dass Miyako so stark auf sie abfärbte.) Gerade saß sie grübelnd auf der Waschmaschine, hatte die Wäsche soeben angemacht. „Ich versuche dich nicht so zu sehen.“ Seitdem er die Worte ausgesprochen hatte, kreiste dieser Satz ununterbrochen in ihrem Kopf rum. Als was versuchte er sie nicht zu sehen? Und wieso? Ebenso sagte er, dass er es versuchte. Die Tatsache, dass er wegen ihrer Wenigkeit etwas versuchte, stimmte sie mit einem gewissen Fünkchen Hoffnung (auch wenn sie sich keine Hoffnung machen wollte). Dennoch waren ihre Fragen nach wie vor nicht beantwortet. Sie ließ das Gespräch in ihrem Kopf Revue passieren, versuchte in seinen Aussagen einen Hinweis zu finden. Er sagte, dass sie hübsch sei. Ihre Brauen zogen sich kritisch zusammen. Ebenso sagte er darauffolgend, dass sie nicht ausflippen soll. Soll sie nicht ausflippen, weil er sie hübsch fand? Er sagte auch, dass er versuchte sie nicht „so“ zu sehen. Versuchen. Versuchte er sie nicht als hübsch anzusehen? Oder mehr?? Und wieso? Für einen kleinen Moment zog Maron es in Erwägung, dass der Alkohol aus ihm gesprochen hat, aber den Gedanken verwarf sie direkt wieder. Frustriert stöhnte sie auf. Wieso müssen Männer nur so verdammt kompliziert sein?! Maron zerbrach sich für einige Minuten noch den Kopf, während die Waschmaschine unter ihr vibrierte. Als die Wäsche fast fertig war, kam sie zu dem Entschluss, dass es keine Rolle spielte wieso sondern dass er versuchte sie in einer bestimmten Art und Weise nicht zu sehen. Sie wollte, dass er aufhörte zu versuchen. Sie wollte, dass er es einfach zu ließ, was auch immer in seinem Innerem vorging und wovon er sich abhalten will. Aber wie sollte sie ihn dazu bringen aufzuhören? Dafür musste sie ihn irgendwie rumkriegen können, aber... Maron hatte keinen Schimmer, wie sie das bewerkstelligen sollte. Wieder stöhnte sie hilflos auf und kratzte sich den Kopf. Gerade war so einer der Moment, in der Maron sich wünschte Miyako um Rat fragen zu können. Obwohl …vielleicht konnte sie sich einen Rat oder Tipp von ihrer Freundin holen, ohne das diese Verdacht schöpfte. Nachdem Maron die Wäsche zum Trocknen aufgehangen hatte, ging sie zu Miyako ihr Zimmer und hoffte, dass diese allein war. Die Tür war zumindest einen kleinen Spalt weit offen, doch sie klopfte trotzdem vorsichtshalber. „Du kannst reinkommen. Yamato ist vorhin gegangen“, kam es von der anderen Seite. Lächelnd trat Maron ein. Miyako lag gerade bäuchlings auf ihrem Bett und blätterte glücklich summend in einer Zeitschrift. Sie hatte sich in eine gemütliche Leggings und T-Shit umgezogen. Ihr ging es deutlich besser als noch vor wenigen Stunden. Maron nahm auf dem riesigen Sitzkissen daneben Platz und überlegte sich fieberhaft, wie sie am besten ihre Frage stellen sollte. Eigentlich konnte sie alles aus ihr herausbekommen, sofern es irgendwie mit Yamato zu tun hatte. Von daher vermutete sie, dass sie das Gespräch mit ihm auch anfangen sollte. „Also...“, sagte Maron in einem legeren Ton und lehnte sich ins Kissen zurück. „Wie hast du Yamato rumgekriegt?“ Offensichtlich hatten die beiden es von gestern auf heute weit gebracht, im Vergleich zu den letzten Tagen. Miyako sah von ihrer Zeitschrift auf und grinste die Braunhaarige triumphierend an. „Alles eine Sache des Flirtens“, kicherte sie verschmitzt, „Und eine teuflisch hohe Menge an Alkohol.“ Maron fühlte sich wie als wolle sie sich selbst in den Hintern beißen können, denn Alkohol war gestern im Spiel gewesen und sie hatte kein bisschen geflirtet! Was sie zu ihrer nächsten Frage brachte, denn sie hatte keine Ahnung wie man das anstellte. „Wie hattest du denn geflirtet?“, fragte sie so beiläufig wie möglich, die Augenbrauen leicht zusammengezogen. In Osaka hatten ihre alten Freundinnen auch viel übers Flirten geredet, aber Maron hatte das Konzept dahinter bisher noch nie richtig verstanden. Miyako rollte sich einmal komplett auf dem Bett und grinste noch breiter. „Nun... Ich habe all meine Augentechniken angewendet.“ Hä?! Maron legte ihren Kopf schief, blinzelte die Kurzhaarige verwirrt an. Augentechniken?! Sie hatte keine Ahnung was das bedeutete. (Die einzigen Augentechniken, die sie kannte, sind aus Naruto.) Miyako sah ihr die Verwirrung an und seufzte laut. „Du weißt schon! Augentechniken!“ Sie setzte sich demonstrativ auf, blickte nach unten. Neugierig beobachtete Maron, was sie vorhatte. Miyako hob langsam ihren Kopf, blickte sie durch ihre Wimpern eindringlich an, klimperte ein wenig mit ihnen und lächelte. Kurz darauf fing sie an zu kichern und ließ sich wieder aufs Bett sinken. „Aha…Augentechniken also“, lachte Maron ungläubig auf, versuchte nicht spöttisch zu schnauben. Sowas klischeehaftes kannte sie meist nur aus kitschigen Filmen. „Lach nur, aber glaub mir, Süße...Es hat funktioniert! Und-“ Miyako nahm eine andere Zeitschrift aus ihrer Zeitschriftensammlung, schlug sie auf, blätterte kurz und drückte sie Maron in die Hand. „Die haben ihr Versprechen gehalten“, grinste sie augenzwinkernd. Maron blickte auf die Zeitschrift runter. „20 Flirttechniken mit denen du IHN definitiv rumzukriegst“, stand in großen, rosaroten Buchstaben als Überschrift da. Ungläubig verzog sie das Gesicht. Unterdessen widmete Miyako sich wieder ihrer eigenen Zeitschrift zu. Still las Maron sich den fünfseitigen Artikel durch und siehe da - die berüchtigten Augentechniken waren wirklich in der Liste dabei. Und es gab noch mehr. Dinge wie kurzes, „zufälliges“ Berühren. Oder Lächeln und Lachen bis zum geht nicht mehr. Alles Sachen, die in ihren Augen einfach nur lächerlich klangen. Natürlich wurden auch Faktoren zum Äußeren aufgezählt... insbesondere dem aufgedrängten Mangel an Klamotten. „Zeige viel Haut und präsentier’ dich von deiner sexy Seite!“ Wieder verzog Maron eine Grimasse. Auf den Punkt konnte sie auch verzichten. An ihren Narben war nichts sexy. Zwar kam Chiaki ihr mit Verständnis und Dankbarkeit entgegen, als sie ihm ein Teil ihrer Narben gezeigt hat, im Gegenzug zu seinen - wohl hatte sie sich dennoch nicht gefühlt. Gleichzeitig war sie aber auch froh drum, dass sie ihn irgendwie aufmuntern konnte. Sie las kopfschüttelnd weiter. Verführerisches Makeup und Haare aufstylen wurde auch benannt. Ebenso Sachen wie die Körpersprache, dass man zum Beispiel sich reizvoll vorlehnen und in einem flüsternden Ton mit den Typen, mit dem man flirtet, reden soll. Oh Gott…, stöhnte sie innerlich auf und schlug sich gedanklich die Hand auf die Stirn. Allein die Vorstellung sowas bei Chiaki zu versuchen, kam ihr einfach nur albern vor. Frustriert seufzend warf sie die Zeitschrift beiseite und ließ Miyako in ihrem Zimmer allein.   Über den restlichen Tag dachte Maron viel mehr übers Flirten nach, als ihr eigentlich lieb war und kam zu dem Entschluss, dass es einfach nur dämlich war. Unter keinen Umständen konnte sowas durchziehen, ohne sich selbst für voll nehmen zu können. Dennoch beschloss sie, dass sie etwas tun musste. Schließlich konnte sie nicht auf ewig einfach rumsitzen und darauf warten, dass Chiaki ihre Gefühle für ihn realisierte. Sie versuchte es mit etwas Kleinem, Subtilem - nichts zu Großem und Offensichtlichem. Wie Haare. Chiaki mochte ihre Haare. Zumindest hätschelte und roch er immer an ihnen beim Einschlafen. Vor dem Hintergrund stand Maron am Abend vor dem Badzimmerspiegel, betrachtete ihr Spiegelbild und fuhr sich mit der Hand durch die glatten Haare. Sie waren ziemlich lang, gingen bis zur Hüfte, verdeckten ihren ganzen Rücken und wirkten ein wenig stumpf und glanzlos. Ein mulmiges Gefühl überkam sie. Es war eine ganze Weile her, seit sie das letzte Mal ihre Haare gemacht hatte. Früher hatte sie ihre lange Mähne immer mal in sanften Wellen getragen. Ihre Mutter hatte schöne Locken gehabt und Maron hatte Korron’s Haare von klein auf schon immer geliebt. Weshalb sie von der Mittelstufe an versucht hatte es ihr nachzutun. Doch seitdem ihr Leben vollkommen umgekrempelt wurde, hatte sie sich nicht mehr um ihr Aussehen gekümmert. Setzte alles daran, um so unscheinbar wie möglich zu wirken. Aber jetzt wollte sie bei Chiaki einen kleinen Schritt wagen und aus sich etwas machen - oder zumindest ihre Haare. Sie holte ihr Glätteisen raus und sammelte alle möglichen Haarproduktive von Miyako und Sakura zusammen, die sie finden konnte. Sorgfältig kämmte sie durch ihre Haare, behandelte sie sorgfältig vor und sprühte anschließend Hitzeschutz drauf. Als nächstes nahm sie zögernd eine Strähne zwischen den Fingern und wickelte sie um das Glätteisen. Nach fünf Sekunden ließ sie los und die Strähne fiel als sanfte Locke herunter. Ein zufriedenes Lächeln bildete sich auf Maron’s Lippen. Den Vorgang wiederholte sie mit ihren restlichen Strähnen und nach einer Stunde glänzten ihre Haare sogar richtig. Als Feinschliff kringelte sie die Spitzen noch zu richtigen Locken. Ihr Lächeln wurde noch breiter und für einige Momente bestaunte sie sich im Spiegel, fühlte sich zum ersten Mal seit langen wieder hübsch. Für einen kleinen Augenblick zog sie es in Erwägung vielleicht auch wieder Makeup aufzutragen, aber das wäre wahrscheinlich doch zu viel des Guten. Vielleicht ein anderes Mal… Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Hoffentlich gefällt es ihm, dachte Maron sich nervös. Ob es ihm überhaupt auffallen wird? Mit Herzklopfen verließ sie das Bad und hoffte, dass es heute Nacht nicht regnen wird. *** Heute war für Chiaki ein Scheißtag. Zukünftig würde er wahrscheinlich die Finger von Vodka lassen. Im Widerspruch zu seinen gestrigen Vorsätzen, hatte er Shinji letztendlich doch beim Aufräumen geholfen. Wobei es dem Älteren noch mieser ging als ihm und er mehr mit Kotzen beschäftig war als mit Aufräumen. Chiaki hatte auch keinen Bedarf gehabt ihm etwas von Maron’s Anti-Kater-Tee abzugeben. Die Brühe schmeckte zwar ekelhaft, aber dank der fühlte er sich um weiten besser. Die letzten Bier- und Alkoholflaschen waren eingesammelt und in den Müll gebracht, nur alle vollgekotzten Pflanzen ließ er Shinji übrig. Sollte der versuchen sie zu retten. Yamato kam am Nachmittag vorbei und erzählte ihm von seinem Abend mit Miyako. Ein verträumtes Grinsen haftete die ganze Zeit auf dessen Gesicht und er sprach von ihrem Rumgemache wie als hätten sie den besten Sex ihres Lebens gehabt. Wenigstens hatten die beiden den Abend auf ihrer Weise genossen, schmunzelte Chiaki leicht.   Den ganzen Tag über hatte der Blauhaarige nichts gegessen, aus Angst, dass alles wieder hochkommen würde und er der Nächste wäre, der die armen Pflanzen vollkotzte. Dementsprechend war er auch ziemlich hungrig als es allmählich zehn wurde und ungeduldig auf sein Mädchen wartete. Pünktlich wie die Uhr klopfte sie schließlich an der Balkontür. Er öffnete sie ihr schnell und hielt für einen Augenblick inne, als er Maron sah. Sie sah anders aus. Insbesondere ihre Haare. Braun, wellig, glänzend. Und... hübsch. Sie lächelte Chiaki an, ging an ihn vorbei und packte wie immer ihren Rucksack auf seinem Bett aus. Derweil starrte Chiaki ihre Haare immer noch an. Seit er Maron kannte, hatte sie noch nie großen Aufwand für solche Äußerlichkeiten betrieben. Geschmeidig glänzend hingen ihr die langen Haare über den Rücken, die Locken schwangen sachte hin und her als sie sich zu seinem Sofa begab. Kopfschüttelnd versuchte er sich zusammenzureißen und setzte sich mit seinem Essen aufs Bett hin, während Maron die Musik anmachte. Beide fingen an über die ganze Miyako-Yamato-Situation zu reden. Kichernd gab Maron ihm die Ereignisse des heutigen Vormittags wieder und wie sie davon ausging, dass beide wirklich miteinander geschlafen hatten. Chiaki fand es umso witziger, dass die beiden sich so benahmen als hätten sie es. Die ganze Zeit konnte er seinen Blick nicht von ihren Haaren abwenden. Es juckte ihm in den Fingern an einer lockigen Strähne zu ziehen, loszulassen und der Locke dabei zu zusehen wie sie zurücksprang. Wie ein Idiot gaffte er sein Mädchen und ihre Haare an. „Deine Haare sehen gut aus“, platzte es ihm nach einer Weile heraus, während er sie und ihre Haare weiterhin anstarrte und seine Gabel mitten in der Luft hielt. Ihr Kopf schnellte zu ihm hoch und ihre Wangen erröteten. Was es nicht besser machte, denn jetzt sah sie zusätzlich noch süß aus. Chiaki gab sich eine gedankliche Ohrfeige und aß weiter. „Danke“, kam es verlegen von ihr und sie sah auf ihren Schoss herab. Im nächsten Moment blickte Maron durch ihre dichten, langen Wimpern zu ihm auf und ihm wäre fast der Atem stecken geblieben. Es erinnerte ihn letzte Nacht zurück, als sie das gemacht hatte. Und sie sah so anders aus, wenn sie das machte. „Miyako schwärmt immer von meinen Haaren und wünscht sich, dass ihre länger wären“, sprach Maron leise kichern weiter und sah ihn immer noch in dieser neuen Art und Weise an, blinzelte ein bisschen mit ihren Wimpern. Chiaki war ein wenig fasziniert davon. Er wandte schnell seinen Blick von ihr ab und sah auf sein Essen herunter, versuchte sich zu fassen. Reiß dich zusammen, du Idiot, mahnte er sich selbst. Nachdem er fertig gegessen hatte, bedankte er sich fürs Essen und begann eine neue Zeichnung in seinem Skizzenbuch, während Maron ihr Buch in die Hand nahm. Er zwang sich nicht zu ihr und ihren glänzenden Haaren aufzuschauen. Gähnend rieb er sich die Augen, war noch ziemlich müde, obwohl er ausgeschlafen hatte. Nach einer Stunde klappte Chiaki sein Skizzenbuch zu und sah endlich auf. Maron schaute von ihrem Buch auf und blickte erneut zu ihm durch ihre Wimpern hindurch, weshalb er direkt wieder wegsah. Was war heute nur los mit ihr?! Wortlos stand sie verstehend nickend auf und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Chiaki saß in der Zwischenzeit noch auf dem Bett, fuhr sich mit den Händen seufzend über das Gesicht. Er kam sich richtig idiotisch und dumm vor. Innerlich hoffte er irgendwie, dass sie rauskommen würde und ihre Haare zusammengebunden hatte, oder ähnliches. Aber die braunen Wellen waren immer noch da, stachen im Kontrast zum weißen Schlafshirt noch mehr hervor. Schnellen Schrittes ging er ins Bad, versuchte beim Vorbeigehen nicht zu starren. Vor dem Waschbecken spritzte er sich etwas Wasser ins Gesicht. Reiß dich zusammen. Es sind nur Haare!, dachte Chiaki sich, klatschte sich mit beiden Hände kräftig das Gesicht. Etwas langsamer als sonst ging er seine nächtliche Routine nach, um die nächste Konfrontation mit ihren Haaren hinauszuzögern. Als er wieder in sein Zimmer reinkam, saß Maron im Schneidersitz auf ihrer Betthälfte und wartete sanft lächelnd auf ihn. Ein paar der lockigen Strähnen streiften ihr über die Schulter und Chiaki konnte nicht anders als mit halboffenem Mund zu gaffen. Zögernd stieg er zu ihr ins Bett und machte das Licht aus. Sobald Maron sich hingelegt hatte, zog er sie an sich und hätschelte ihre Haare, spielte sachte mit ein paar losen Locken und sog ihren Duft tief in sich ein, während sie ihren Kopf an seine Brust lehnte. Sein Gesicht blieb die ganze Nacht über in ihren Haaren vergraben. *** An dem Sonntagmorgen wachten sie wieder ohne Wecker auf. Womöglich hatte Chiaki vergessen ihn wieder anzumachen. Die Sonne schien nicht so stark wie am Morgen davor, aber es war immer noch ungewohnt hell in seinem Zimmer. Als Maron ihre Augen öffnete, spürte sie seinen warmen Atem auf ihren Kopf. Er hatte sich keinen Millimeter von ihren Haaren wegbewegt. Diese Tatsache brachte ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen. Er mochte ihre Haare. Und sie wusste das, nicht nur weil er gesagt hatte, dass sie gut aussahen. Ihr war aufgefallen wie er sie auf einer anderen Art und Weise angeschaut hatte. In einer guten anderen Art und Weise, hoffte sie. Maron versucht ihren Kopf zu bewegen, bemerkte jedoch, dass Chiaki’s Hand sie am Hinterkopf und in den Haaren festhielt. Japp... er mochte die Haare. Definitiv. Für eine endlos langen Weile lag sie mit ihrem Kopf an seine Brust angelehnt da, welche sich sachte auf und ab hob und genoss die morgendliche Stille. Nach einer gefühlten Stunde regte sich Chiaki etwas und vergrub sein Gesicht noch mehr in ihre Haare. Wieder musste Maron lächeln. Für einen Moment fragte sie sich, ob ihm überhaupt bewusst war wie sehr er ihre Haare mochte. Sie hörte, wie er einen tiefen Atemzug nahm und müde aufstöhnte. Er ließ sie und ihre Haare schließlich los, rollte sich wie sonst auch anschließend auf den Rücken. Maron stand somit auf und ging ihrer gewohnten Morgenroutine nach. Als sie sich im Spiegel betrachtete, wusste sie nicht ob sie belustigt lächeln oder eine Grimasse schneiden sollte. Ihre Haare sahen noch schlimmer aus als sonst. Es würde garantiert eine Ewigkeit dauern, um die Knoten darin loszuwerden. Schnell zog Maron sich um und packte ihre Sachen ein, aus Angst, dass Miyako vielleicht eher wach wurde, als sie nach Hause kam. Gerade war es halb acht und gewöhnlich schlief Miyako an Wochenenden bis neun, aber sie wollte ihr Glück nicht herausfordern. Beim Rausgehen verabschiedete sie sich noch flüchtig von Chiaki und begab sich anschließend nach draußen. Erleichtert stellte Maron fest, dass Miyako noch immer schlief als sie nach Hause kam. Ihre Zimmertür war sperrweit offen als sie daran vorbeiging und nachschaute. Sie ging daraufhin duschen. Ihre Locken lösten sich dabei, aber Maron hatte sich vorgenommen ihre Haare wieder öfters zu machen. Gegen neun wartete sie darauf, dass Miyako allmählich aufwachte und bereitete in der Zwischenzeit auch das Frühstück vor. Es dauerte nicht lange bis Maron Schritte die Treppe runterkommen hörte und Miyako kurz darauf gutgelaunt in die Küche reinspähte. „Guten Morgen!“, grinste sie und nahm auf ihren Hocker Platz. „Morgen.“ Lächelnd stellte Maron ihr einen großen Teller Pfannkuchen hin, welches sie mit einem erfreuten Danke entgegennahm. Eine fröhliche Miyako gefiel ihr deutlich mehr als eine verkaterte Miyako. Während die beiden Mädchen frühstückten, erzählte Miyako, dass sie und Yamato Pläne für die kommende Woche hatten, was Maron zwar wenig überraschte, aber dennoch freute sie sich für ihre Freundin. Gut gelaunt unterhielten sie sich über Gott und die Welt. Es war der achte Dezember und eventuell würden beide in der Innenstadt ein paar Weihnachtseinkäufe erledigen (sofern es nicht zu voll in den Einkaufszentren war). Maron freute sich schon auf Weihnachten, auch wenn es das erste Weihnachten sein wird ohne ihre Mutter. Das Haus war schon weihnachtlich geschmückt, wobei immer noch ein Baum fehlte. Vielleicht lässt sich in den nächsten Tagen noch einer finden. Die Überraschung war bei beiden groß als das Klirren von Schlüsseln an der Haustür zu vernehmen waren sowie auch die Stimmen ihrer Eltern. Dabei sollten Sakura und Takumi erst abends wiederkommen. Lächelnd kamen sie in die Küche rein. Maron wusste nicht wieso, aber das Lächeln wirkte bei beiden irgendwie angespannt. Beide wirkten nicht wie als hätten sie ein schönes Wochenende gehabt. „Hallo ihr Süßen“, begrüßte Sakura die Mädels. Miyako stand auf, gab ihrer Mutter und Maron’s Vater eine Umarmung. Maron begrüßte beide von ihrem Sitz aus. „Habt ihr schon gegessen oder soll ich euch was machen?“, fragte sie, war schon fast dabei aufzustehen und an den Herd zu gehen. „Nein, es passt schon. Iss du ruhig weiter“, kam es von Takumi ruhig. Er und Sakura gesellten sich mit jeweils einer Tasse Kaffee zu den Mädels dazu. „Schön euch zu sehen. Obwohl wir euch erst später erwartet hatten“, sagte Miyako kauend, hob fragend eine Braue hoch. Sakura und Takumi lächelten verhalten und blickten in ihre Tassen herab. Die Stille wurde von Minute von Minute bedrückter. Maron und Miyako tauschten sich stumme Blicke aus, bekamen es schon mit der Befürchtung zu tun, dass die beiden Streit hatten und die Beziehung auf der Kippe stand. Seufzend brach Takumi das Schweigen und blickte seine Tochter an. „Maron“, fing er mit Vorsicht in der Stimme an. Sofort versteifte die Angesprochene sich, nicht wissend was jetzt kommen mag und hoffte innerlich, dass man sie nicht beim nach Hause schleichen erwischt hatte heute Morgen. „Ich hatte gestern einen Anruf bekommen“, sprach Takumi weiter, lächelte angespannt, was Maron noch mehr anspannte. „Aus Osaka.“ Sofort zog sich ihr Magen zusammen. Ihr Vater räusperte sich, blickte auf seine Tasse herab. „Nächsten Dienstag, also am Siebzehnten, wäre Noyn’s Prozesstermin“, sagte er nahezu ohne Emotionen. Maron schluckte schwer und ihre Hände ballten sich unter den Tisch zu Fäusten. „Und...“ Takumi sah langsam wieder zu ihr auf. „Das Gericht möchte, dass du morgen nach Osaka reist und dich auf deine Aussage vorbereitest.“ EIGHTEEN -------- EIGHTEEN   „Das Gericht möchte, dass du morgen nach Osaka reist und dich auf deine Aussage vorbereitest.“ Maron starrte ihren Vater mit einer blanken Miene an, blinzelte nicht, rührte keinen einzigen Muskel. Seine Worte hallten ihr einige Male im Kopf nach. Sie wusste nicht was Miyako und Sakura gerade taten oder wie ihre Reaktionen sind. Höchstwahrscheinlich wusste Sakura schon Bescheid, weshalb die Stimmung zwischen dem Paar so angespannt war. Es war erschreckend still im Haus, keiner traute sich etwas zu sagen. Sekunden vergingen, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Bevor irgendwer reagieren konnte, war Maron aufgesprungen und ins Bad gerannt. Sie fand sich über der Toilettenschüssel gebeugt wieder und übergab sich. Nachdem ihr Magen leer war, betätigte sie mit zittrigen Händen die Spülung und kauerte sich auf dem kalten Badezimmerboden zusammen. Sie wusste, dass sie diesem Monster irgendwann wieder gegenübertreten musste. Sie wusste, dass dieser Tag früher oder später kommen würde. Aber tief in ihrem Inneren hatte sie irgendwie gehofft, dass der Tag gar nicht kommen und sie ihren Peiniger nie wiedersehen würde. Tränen stiegen ihr hoch als sie realisierte, dass sie ihr Versprechen an Chiaki brechen wird. Die Tatsache, dass sie ihn für neun Tage in Stich lassen wird, bereitete ihr mehr Angst als ihr Wiedersehen mit dem Monster. „Maron? Maron, bist du okay?!“ Die Angesprochene konnte hören, wie die anderen an der Tür klopften und besorgt sowie panisch ihren Namen riefen. „Mir geht es gut...“ Ihre Stimme klang so tonlos und fremd. Sie rappelte sich vom Boden auf und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Danach öffnete sie die Badezimmertür. Sakura und Miyako stand direkt vor ihr, Takumi einige Schritte hinter ihnen. Alle trugen diesen besorgten, mitleidigen Gesichtsausdruck, den sie nicht ertragen konnte. Maron zwang sich zu einem kleinen, starken Lächeln. „Ich geh meine Sachen packen“, sprach sie leise und begab sich in ihr Zimmer. Sie holte ihre große Reisetasche hervor und packte willkürlich ein paar Klamotten ein. Nach einigen Minuten war ihre Tasche mit allem nötigen Kram vollgepackt und sie zog mit einer schwungvollen Bewegung den Reißverschluss zu. Im Moment fühlte sie gar nichts mehr, war einfach nur taub. Danach setzte Maron sich auf die Bettkannte hin und schaute leeren Blickes sich in ihrem Zimmer um. Es war ein schönes Zimmer mit hellen mintfarbenen Wänden und weißen Möbeln. Nur hatte sie, seit sie hierhergezogen war, nie viel Zeit in diesem Zimmer verbracht. Wenn höchstens ein paar Minuten täglich, um sich umzuziehen und duschen zu gehen. Chiaki sein Zimmer fühlte sich mehr nach ihrem Zimmer an als diese vier Wände, in der sie sich gerade befand. Das Bett, auf welchem sie saß, hatte sie bisher auch nur einmal benutzt. Maron bekam es mit der schrecklichen Erkenntnis zu tun, dass sie für die nächsten neun Tage ohne Schlaf leben musste. Genauso wie Chiaki. Benommen ließ sie sich auf das Bett nieder, welches sie nie benutzte und begann zu weinen. Eine Weile lag sie da und weinte bitterlich - bis sie spürte, wie die Matratze etwas niedersank und zwei Arme sich um sie legten. Unter Tränen sah sie auf und blickte in Miyako’s weinendes Gesicht. Schluchzend setzte Maron sich auf und lehnte sich an ihre Freundin an, die sie fest umarmte. Sie merkte, wie Sakura sich auf der anderen Seite neben sie hinsetzte, ihr fürsorglich über den Rücken strich und mit leiser, erstickter Stimme ein paar tröstende Worte sprach. Maron’s Blick war zu verschleiert, um zu sehen, wo ihr Vater sich gerade befand, aber sie konnte sich vorstellen, dass er mit einem schmerzenden Gesichtsausdruck an ihrer Zimmertür stand. Die Sache nahm sie alle sehr mit. Ihre Familie teilte ihren Schmerz. Maron hätte es nicht für möglich gehalten Noyn noch mehr zu hassen als sie es schon tat. Es kam ihr vor wie Stunden, dass sie mit Miyako und Sakura zusammen weinte. Irgendwann ließen ihre Tränen nach und sie nahm die Schritte ihres Vaters in ihrem Zimmer wahr und hörte, wie er sich auf dem Schreibtischstuhl hinsetzte. Sachte begann Takumi ihr den Flugplan und alle möglichen Arrangements zu erläutern, wenn sie in Osaka war. Natürlich wäre sie nicht allein. Er würde seine Tochter begleiten - es sei denn, sie möchte das Sakura mit ihr mitging, doch das lehnte Maron sofort ab. Sie wollte nicht, dass Miyako von ihrer Mutter getrennt war. Das wäre nicht richtig. Gegen sechs hatte Maron sich aus Miyako’s Umarmung gelöst und schenkte allen ein dankbares, gleichzeitig trauriges Lächeln. Anschließend ging sie zur Küche runter und versuchte sich abzulenken. Sie kochte viel. So viel, dass auch für die nächsten Tage wahrscheinlich genug übrig blieb. Ebenso backte sie unzählige Tüten von Keksen. Das war das einzige, was sie tun konnte, um sich irgendwie ruhig zu halten. Denn die Person, die ihr für gewöhnlich am meisten Trost spenden konnte, wartete derzeit nichtsahnend auf sie. Und die Vorstellung wie er auf die Neuigkeiten reagieren könnte, die sie ihm überbringen wird, schmerzte wie ein Messerstich in ihrer Brust. *** Chiaki sein Sonntag war ziemlich langweilig gewesen. Es gab nichts zu tun an Schularbeiten, weshalb er den ganzen Tag mit Zeichnen verbrachte. Versuchte seinen Kopf frei zu bekommen. Vergebens. Denn den ganzen Tag über waren seine Gedanken mit diesen Locken gefüllt. Die Locken, die ihn gestern förmlich von Besitz ergriffen hatten und ihn heute immer noch verfolgten. Er kam sich noch idiotischer vor als vorher. Chiaki dachte an den Morgen zurück, wo er aufwachte und nichts anderes als ihre glänzenden Haare sah. Die immer verdammt gut dufteten. Er ließ sich jedoch nichts anmerken. Nachdem Maron allerdings weg war, hatte er noch schnell einen tiefen Zug von ihrem Kissen genommen, welches nach ihr duftete, ehe er schließlich aufstand. Ja, er war erbärmlich. Sehr erbärmlich.   Als zehn anstand, hatte Chiaki es sich in den Kopf gesetzt, sich nicht von diesen Locken beherrschen zu lassen. Weshalb er, aus Angst vor diesen Locken, versuchte Maron nicht ins Gesicht zu blicken, als er ihr die Tür aufmachte. Doch als sie mit gesenktem Kopf an ihm vorbeiging, fiel ihm auf, dass ihre Haare so glatt wie sonst auch waren. Keine glänzenden Locken. Aus irgendwelchen Gründen empfand Chiaki eine Spur von Enttäuschung in seinem Inneren. Sie wandte ihm den Rücken zu und packte wortlos ihren Rucksack auf seinem Bett aus. Er versuchte nicht zu viel in ihr Schweigen hinein zu interpretieren, weshalb er sich auf sein Bett hinsetze und ihr dabei zusah, wie sie zum Sofa rüber schlürfte. Chiaki nahm die Essensbox in die Hand und öffnete sie. Es roch wie immer fabelhaft. Er nahm die Gabel in die andere Hand und blickte zu Maron auf, die sich gerade in seine Richtung drehte. Ihre Augen trafen sich. Der Blick in ihren großen, braunen Augen bereitete ihm Angst. Furchtbare Angst. Kummer und Schmerz war in ihnen zu sehen. „Was ist los?“, fragte er, versuchte nicht irgendwie in Panik zu geraten. Sie verzog das Gesicht und ließ sich kraftlos auf das Sofa hinter sich fallen. Sie holte Luft. Ein tiefer, schwerer Seufzer entkam ihr und sie senkte ihren Blick zu Boden. Er zog kritisch seine Brauen zusammen. „Chiaki...“ Maron’s Stimme war ein kaum hörbares Wispern. „Ich muss morgen gehen.“ Völlig erstarrt saß er da. All seine Muskeln waren wie eingefroren. Er brauchte einige Momente, um das Gesagte zu verarbeiten. Sie musste gehen... Sie verließ ihn? Sein Magen zog sich zusammen. Seine größte Angst der letzten Tage, Wochen ist wahr geworden. Sein Traum ist wahr geworden. Sie verließ ihn. Genauso wie seine Eltern. Alle Menschen, die ihm jemals was bedeuteten, verlassen ihn. Und dabei hatte sie versprochen bei ihm zu bleiben... „Du hast es mir versprochen“, erwiderte er mit Gift in der Stimme, „Du hast versprochen bei mir zu bleiben.“ Er blickte sie kalt an, war wütend und verletzt. Alles wird weg sein. Die Routine. Der Schlaf. Sein Mädchen. Maron blickte zu ihm auf, das Gesicht schmerzlich verzogen als sie seinen kalten Blick sah und schüttelte heftig den Kopf. „Nein...nein, nein, nein…“, sagte sie in einem schwachen, erschöpften Ton, „Ich muss morgen nach Osaka und vor Gericht aussagen. Der Prozess ist in neun Tagen.“ Ihre Stimme kippte und sie wirkte wie, als wäre sie den Tränen nah. Chiaki’s Züge besänftigen sich sofort beim Klang ihrer Stimme. Er hasste es sein Mädchen weinen zu sehen, selbst wenn sie ihn verlassen musste. Moment-...! Chiaki begann zu realisieren, was sie soeben gesagt hatte. „Du wirst wiederkommen?“, fragte er, beäugte sie misstrauisch und ließ Gabel und Box in seinen Händen allmählich sinken. Maron nickte langsam, hielt seinen Blicken für einige Augenblicke stand, ehe sie wieder zu Boden schaute und begann alles was ihr Vater heute gesagt hatte wiederzugeben. Nur mit halbem Ohr hörte er zu, die Worte rauschten an ihm vorbei. Chiaki schluckte schwer. Jegliche Emotionen, die er noch verspürt hatte, wandelten sich in Mitgefühl und Sorge um. Ihm tat es leid, dass er davon ausging, dass sie einfach so freiwillig gehen würde. Er sollte sie schließlich besser kennen. Als ob sie es freiwillig wollte. Da rauszugehen und sich diesem Monster zu stellen. Mit einem finsteren Blick sah er auf sein Essen herunter, bekam es mit der Erkenntnis zu tun, dass er sein Mädchen neun verfluchte Tage lang nicht sehen wird. Er wäre dann allein. Und müde. Sie ebenfalls. Chiaki schloss seufzend die Box, das Essen darin unberührt, legte es beiseite. Ihm war der Appetit vergangen. Außerdem wollte er das Bisschen an Zeit, welche ihnen noch übrig blieben nicht mit Essen vergeuden. Mit einem Mal fühlte er sich einfach nur müde und ausgelaugt. „Ich wäre bereit ins Bett zu gehen“, sagte er mit monotoner Stimme, den Blick auf seinen Schoss gesenkt. Im Moment verspürte er einfach nur dieses innige Bedürfnis sein Mädchen neben sich haben zu wollen. Er hörte wie Maron vom Sofa aufstand und ins Bad lief. In der Zwischenzeit zog er sich schnell in seine Pyjamas um. Die Minuten, in der sie im Badezimmer verbrachte kamen ihm heute länger vor als sonst. Gedanklich beschloss er darauf zu verzichten nach ihr ins Bad zu gehen. Die Zeit war ihm zu kostbar. Unter Spannung wartete er darauf mit ihr zusammen ins Bett zu gehen. Das letzte Mal, bevor sie ging…bevor sie ihn verließ. Der Schlaf wäre für neun Tag weg. Die Routine ebenso. Und sein Mädchen ebenso. * Als Maron ins Zimmer zurückkehrte, war Chiaki schon in seinen Pyjama umgezogen und zog gerade die Bettdecke runter. Er sah mit einem bedrückten, traurigen Gesichtsausdruck zu ihr auf, was ihre Gemütslage noch schlimmer machte. Sie ging mit langsamen Schritten aufs Bett zu und schlüpfte unter die Decke. Er tat dasselbe. Kaum lagen beide auf ihre jeweiligen Betthälften, hob er seinen Arm Richtung Nachttischlampe und schaltete sie aus. So wie immer, rein aus Instinkt, drehten sie sich zueinander um und legten die Arme um den anderen. Chiaki drückte Maron eng an sich, vergrub sein Gesicht in ihre Haare. Sie presste ihr Gesicht gegen seine Brust, konnte dabei laut und deutlich die kräftigen Schläge seines Herzes hören. Tief atmete sie durch die Nase ein und spürte, wie er dasselbe tat. Sie hob langsam ihren Arm hoch und begann sachte ihm durch die Haare zu streicheln. Er ließ einen schweren Seufzer aus. Der Gedanke, seine Arme und seine Wärme nicht mehr spüren zu können, verursachte ihr einen stechenden Schmerz in der Brust. Maron begann zu zittern, worauf Chiaki sie noch enger an sich drückte, soweit es noch möglich war - so eng, dass sie fast keine Luft bekam, doch das war ihr egal. Sie kuschelte sich an seinen Körper an. Erneut hörte sie ihn seufzen. Sie spürte, dass sie beide noch nicht müde waren, diesen Moment noch eine Weile länger genießen und einander Trost spenden wollten. Noch immer strich sie ihm durchs Haar, sog seinen Duft tief in sich ein. Seine Hand strich ihr langsam den Rücken auf und ab, verursachten ihr einen angenehmen Schauer auf der Haut. Nach einigen Minuten spürte sie, wie er ihr einen sanften Kuss auf den Kopf drückte, während er ihr über den Rücken streichelte. Es kam so plötzlich. Sie verstand nicht, was es zu bedeuten hatte, doch dieser sanfte Kuss brach sie innerlich. Die Gefühle in ihr überrannten sie förmlich. Sie konnte -wollte- sich nicht mehr zurückhalten. Sie hatte es satt sich zurückzuhalten. Sie wollte mehr. Maron hob ihren Kopf, um Chiaki tief in die Augen zu blicken. Das Licht des Mondes ermöglichte es ihr seine Züge klar und deutlich zu sehen. Als er spürte, wie sie ihren Kopf regte und ein wenig zurückwich, um ihren Blickkontakt zu erwidern. Ein kurzer Blick in seine traurigen Augen hatte ihr gereicht und ihr Entschluss stand fest. Sie führte ihre Hand, welche sich auf seinem Hinterkopf befand, runter zu seinem Nacken. Er blickte ihr fragend in die Augen, doch sie hatte keine Zeit für Fragen, sonst würde sie noch ihren Mut verlieren. Weshalb sie schnell ihren Kopf hoch streckte und ihre Lippen auf seine legte. Er versteifte sich vollkommen, seine Hände auf ihrem Rücken stoppten. „Stopp“, hauchte er gegen ihre Lippen. Doch sie machte weiter. Sie nahm seine Unterlippe zwischen ihre Lippen und küsste sie, wartete darauf, dass er reagierte. Was er nicht tat. Noch immer war er völlig erstarrt. Weshalb sie das machte, was er auch bei ihr das letzte Mal getan hat als sie erstarrt war. Sie umfasste seine Wange mit ihrer Hand und strich ihm sanft mit dem Daumen über die Haut. Gleichzeitig küsste sie seine Lippen mit etwas mehr Druck. Doch nichts schien zu wirken. Kurz wich sie für einen winzigen Augenblick zurück, bevor sie erneut ihren Mund mit seinem versiegelte und ihn sanft küsste - mit der Hoffnung, dass er bald reagieren würde. * Als ihre Lippen seine berührten, überkam ihm die Panik. Panik darüber, dass er in genau der Sekunde die Kontrolle über sich verlieren würde. Chiaki hätte sie fast angefleht aufzuhören. Doch sie ließ sich nicht stoppen und er war vollkommen erstarrt. Versuchte sich auf alles andere zu fokussieren als ihre weichen Lippen oder ihren warmen Körper, welcher an seinen gedrückt war. Er spürte, wie ihr Kuss von Sekunde zu Sekunde fordernder wurde. Und das Gefühl ihrer warmen, weichen Lippen brachten ihn förmlich um den Verstand. Er rang förmlich mit seiner Selbstkontrolle, versuchte sich nicht zu bewegen. Denn, wenn er es tat, wäre alles ruiniert. Und dann…war es wie als würden die Zellen seines Körpers allmählich wieder zum Leben erwachen. Er schaffte es nicht mehr diesem Gefühl Stand zu halten. Schließlich warf er mit einem Schlag jegliche Kontrolle beiseite. Er nahm seine Hand von ihrem Rücken, legte ihn auf dem Hinterkopf, zog sie an sich und drückte ihre Lippen fest auf seine. Jegliche Luft war aus seinen Lungen entwichen, als er begann an ihrer Unterlippe zu nippen. Und sie tat dasselbe, war so gut darin, es machte ihn fast wahnsinnig. Ihre Hand war in seinen Haaren zur Faust geballt, ihr Mund fest an seinen gepresst. Als er ihre Zunge spürte, hielt er nicht wie beim letzten Mal inne. Dazu war er einfach nicht mehr in der Lage. Er war zu berauscht von dem intensiven Gefühl ihrer Lippen auf seinen. Sein Kopf war wie leergefegt. Stattdessen ging er direkt darauf ein. Ihre Zungen trafen aufeinander. Sie stöhnte leise auf. Fuck...! Der Klang ihres sanften Stöhnens erregte ihn mehr als Yashiro und alle anderen seiner One-Night-Stands zusammen. Er drückte sie enger an sich, zufrieden damit, dass sein Mädchen es genauso zu genießen schien wie er und drang mit seiner Zunge in ihren Mund ein. Sie schmeckte so verdammt gut. Ein unterdrückter Seufzer entkam ihr. Beide waren schon schwer am Atmen und keuchten, doch keiner wollte loslassen und ihre Lippen voneinander trennen. Chiaki musste stöhnen, als er spürte, wie Maron ihren Körper fest an seinen presste. Es fühlte sich verdammt sexy an. Er wusste, dass er zu weit ging. Aber er konnte nicht aufhören, dafür war es zu spät. Er musste sie unter sich spüren. Weshalb er sein Gewicht verlagerte und sie auf die Matratze drückte. Wie der hormonelle Mistkerl, er nun mal war. Mit einer Hand auf dem Bett stützte er seinen Oberkörper etwas ab und nutzte seine andere Hand, um ihr Gesicht an sich heranzuziehen. Ein kleiner Teil seines Gehirns fragte sich, ob das zu viel oder zu schnell für Maron war. Doch als Chiaki ihre andere Hand fest in seinen Haaren spürte und bemerkte, wie sie ihren Kopf neigte, um besseren Einlass zu haben, verdrängte er jegliche Sorgen wieder. Wieder musste er aufstöhnen. Er nahm seine Hand vom Bett, ließ sich vorsichtig auf sie fallen und presste ihren gesamten Körper an sich. So wie er es seit Ewigkeiten wollte. Als Reaktion darauf, stöhnte sie in mitten des Kusses sanft in seinen Mund rein. Er konnte nicht atmen. Und er spürte, wie sie keuchend nach Luft rang, weshalb er für einen minimalen Moment seine Lippen von ihren löste. Dennoch konnte er nicht aufhören. Er begann ihre Wange und ihre Kieferpartie zu küssen, wanderte unter Küssen ihren Hals herab. Strich immer mal mit seiner Zunge über ihre warme Haut. Als er an der Stelle zwischen ihrem Nacken und ihrer Halsbeuge ankam, fing er an daran zu nippen, zu saugen und sie zu liebkosen. Er wollte diesen Moment aufs Ganze genießen. Bereuen konnte er es später noch. Wieder hörte er sie stöhnen. Reflexartig drückte er seine Erregung gegen ihre Hüfte. Er konnte nicht anders. Es war wie als wüsste sie, wie sie ihn in den Wahnsinn treiben konnte. Sie hob ihre Beine an und schlang sie um seine Gürtellinie. Die Hitze, die sie ausstrahlte, machte ihn noch fertig. Sie wimmerte sanft, ihre kleinen Hände drückten sein Gesicht noch mehr in ihren Nacken hinein. Dort hatte er wahrscheinlich schon einige Male hinterlassen. Ihr schien es zu gefallen. Und ihm ebenfalls – offensichtlich. Instinktiv presste er sich ein weiters Mal gegen sie. Und erneut seufzte sie auf. Keuchend atmete er gegen ihren Nacken, kniff sich die Augen fest zu. Er realisierte, dass sie zu weit gehen würden, wenn er nicht sofort etwas unternahm. * Jede Faser ihres Körpers fühlte sich an als würden sie in Flammen stehen. Chiaki nahm seine Lippen von ihrem Nacken und führte sie an ihr Ohr. Maron konnte seinen rauen Atem hören. „Verdammt, wir müssen aufhören“, flüsterte er heiser. Sie schüttelte den Kopf, machte einen Hohlkreuz, sodass ihre Brust an seine gepresst war und hielt ihn mit ihren Beinen um seine Hüfte fest. Sie konnte deutlich seine Erregung an ihrem Unterleib spüren. „Fuck…“, stöhnte er in ihr Ohr und legte seinen Kopf in ihre Halsbeuge ab, rang konzentriert nach Luft. Er schüttelte den Kopf, seine Nase kitzelte dabei ihren Nacken. Nach einigen langen Sekunden entzog er sich schließlich von ihr. Chiaki rollte sich neben sie auf den Rücken, seine Brust hob sich stark auf und ab und die Augen waren fest zugekniffen. Maron lag ebenfalls schwer atmend auf ihren Rücken, die Lippen geschwollen. Sie hatte sich insgeheim gewünscht, dass er sie an allen möglichen unanständigen Stellen berührt hätte. Für einige Minuten lagen sie da, versuchten ihre Atmung in Griff zu bekommen. Maron spähte zu Chiaki hinüber, der die Augen weiterhin noch geschlossen hatte. Noch immer konnte sie das Gefühl seiner Lippen auf sich spüren. „Chiaki…?“, entkam es ihr zaghaft. Sie hoffte sehr, dass sie alles mit ihrer Handlung nicht ruiniert hat. Er öffnete seine Augen, wandte langsam seinen Kopf zu ihr um. Ihre Blicke trafen sich. Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Er sah weder verärgert noch bestürzt aus. Seinen Pupillen waren geweitet und eventuell war eine Spur von Lust in seinen Augen zu sehen. Im nächsten Moment seufzte er tief aus und schüttelte den Kopf. „Das war so dumm. Einfach nur verdammt dumm“, murmelte er fast unverständlich. Maron zog verwirrt die Brauen zusammen, verstand nicht wirklich was er meinte. War es dumm von ihr gewesen ihn zu küssen? Wollte er das gar nicht? Hatte er eben nur aus körperlichem Instinkt gehandelt? Sie presste sich ihre Lippen fest zusammen und schluckte. Hätte sie sich doch nicht von ihren Gefühlen leiten lassen sollen? Die Angst vor Abweisung überkam sie. Genauso wie die Angst, dass sie mit ihrer Aktion alles kaputt gemacht hatte. Sie sah, wie Chiaki in seiner typischen Art und Weise mit den Augen rollte. „Wir sollten jetzt schlafen“, wisperte er nur noch und legte sich auf die Seite. Den Rücken zu ihr gewandt. Er nahm sie nicht in seine Arme. Ihr Herz brach. Zögernd rückte Maron an ihn ran, schlang ihre Arme um ihn. Sie presste ihren Körper noch etwas enger an seinen ran, das Gesicht an seinen Rücken gepresst. Eine Hand lag auf seiner Brust, sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren. Kaum war Chiaki eingeschlafen, schloss auch Maron die Augen. Eine kleine Träne entkam ihr. Seufzend versuchte sie ihre letzte Nacht an Schlaf zu genießen. Und betete darum, dass es nach der heutigen Nacht nicht alles vorbei war. * Letzte Nacht war dumm gewesen. Es war dumm von ihm gewesen, die Beherrschung verloren zu haben. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch einschlafen konnte…trotz der gewissen Unannehmlichkeit zwischen seinen Beinen. Er hatte versucht sich auf andere Gedanken zu bringen, ging allmögliche mathematische Gleichungen durch, aber seine Hormone fuhren Achterbahn. Der Rausch von Maron’s Küssen fuhr ihm immer noch durch den Körper. Selbst nach Minuten konnte er immer noch ihre weichen, warmen Lippen, den Geschmack ihrer Zunge und die Hitze ihres Körpers spüren. Und als sie ihn ansprach, hallte ihr sanftes Stöhnen und Seufzen in seinen Ohren nach. Dass sie atemlos neben ihn lag, die Lippen rot angeschwollen, hatte seinem persönlichem Dilemma nicht geholfen. Es war so verdammt dumm von ihm gewesen - sprach diese Gedanken auch unbeabsichtigt laut aus. Irgendwann ließ der Rausch nach und die Müdigkeit überwog.   An dem Montagmorgen wurde beide vom Wecker geweckt. Chiaki konnte sich nicht erinnern, dass er ihn gestern angeschaltet hatte. Oder dass er irgendwann in der Nacht sich wieder zu Maron gewandt und seine Arme um sie gelegt hatte. Er spürte, wie sie ihn mit allem was sie hatte festhielt und an sich drückte. Am liebsten hätte er sie zurückgedrückt, wäre mit ihr für immer im Bett geblieben und hätte sie niemals gehen lassen. Doch er wusste, dass es nicht ging. Weshalb Chiaki sie losließ und ihr den Rücken zudrehte, die Augen dabei geschlossen hielt. Ein leiser, erstickter Laut war hinter ihm zu vernehmen. Er hörte, wie sie aus dem Bett rollte und aufstand. Er traute sich nicht sie anzusehen. Innerlich betete er das, wenn er die Augen öffnete und sie ansah, dass seine Selbstkontrolle wieder zurückkehrte. Fast lautlos fiel die Badezimmertür zu und er könnte hören, wie sie mit dem Rücken an der Tür runterrutschte. Sein Herz zog sich zusammen. Womöglich plagten sie Selbstvorwürfe, wegen des Kusses. Womöglich dachte sie, dass es ihm egal war. Dass es ihm nichts bedeutet hatte. Dass sie ihm nichts bedeutete. Wie falsch sie doch lag. Minuten später hörte Chiaki wie die Badezimmertür wieder aufging, öffnete jedoch nicht seine Augen. Er nahm die Geräusche ihrer schlürfenden Schritte war und hörte wie sie ihre Sachen einpackte. Schließlich drehte er sich in Maron’s Richtung um und öffnete seine Augen. Sie stand mit dem Rücken teilweise zu ihm gewandt und packte ein paar Kekstüten aus, legte sie auf seinem Tisch ab. Es waren neun Tüten – eine für jeden Tag, in der sie nicht da sein wird. Ein flüchtiger Blick auf ihr Gesicht reichte aus und er wusste, dass jegliche Selbstkontrolle einfach nicht mehr existierte. Denn noch immer spürte er das Bedürfnis -diesen Drang- sie besinnungslos zu küssen und ihren Nacken zu liebkosen. Und diese Tatsache machte ihm Angst. Maron drehte sich zu ihm um und ihre Blicke trafen auf seine. Sie hatte ihre Jacke an und die Kapuze tief über den Kopf gezogen. Er hasste es. Er hasste es, dass sie sich vor ihm versteckte. Er durfte sie nicht denken lassen, dass er so ein Mistkerl wie Shikaidou war. Chiaki sah, wie Maron resigniert die Augen schloss, den Kopf senkte und sich Richtung Balkontür begab. Panik überkam ihm. Er musste ihr irgendwie klar machen, dass letzte Nacht ihm nicht egal war. Er musste sie wissen lassen, wie viel sie ihm wirklich bedeutete. Wusste allerdings nicht wie und fand auch nicht die passen Worte dafür. Er verstand es selbst schließlich kaum. Er musste irgendwas tun, sonst würde sie nie wieder zurückkommen. Er realisierte, dass es nur eine Sache gab, die er tun konnte. Und er hasste es. „Warte“, rief er sanft, setzte sich auf. Maron blieb stehen und blickte sich zu ihm um, die braunen Augen niedergeschlagen und leer. Chiaki atmete tief durch und holte sein Skizzenbuch unter seinem Bett hervor. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, streckte er es ihr entgegen. Er hatte noch nie jemanden seine Skizzen gezeigt. Das Buch war für ihn wie ein Tagebuch. Wenn sie es öffnete, dann würde sie auch Einblick in jeden Abschnitt seiner verdammten Seelen bekommen. Und er hoffte sehr -betete darum-, dass sie verstand. Maron ging langsam auf ihn zu, nahm das Buch in ihre Hand und betrachtete es argwöhnisch. „Schau erst rein, wenn du weg bist“, sagte er, die Stimme unbeabsichtigt schroff. Sie zuckte bei seinem Ton zusammen, wich etwas zurück, drehte sich um und lief nach draußen. Chiaki sah ihr eine Weile noch nach, ließ sich anschließend wieder aufs Bett fallen. Verfluchter Idiot...!, fluchte er innerlich mit sich selbst, strich sich frustriert durch die Haare. Er war ein Idiot. Ein Mistkerl. Weil er sie gehen ließ, ohne das zu sagen, was er wirklich wollte. Er wollte ihr sagen, dass sie bleiben soll. Er wollte ihr sagen, dass er sie wie verrückt vermissen wird. Er wollte ihr sagen, dass er sie nicht nur hübsch fand, sondern auch wunderschön. Und am allermeisten wollte er ihr sagen, dass er für sie da sein wird, wenn sie zurückkäme und dass er hoffte, dass sie mit erhobenem Haupte sich ihrem Monster stellen wird. Er hoffte das inständig...sie war ein starkes Mädchen. Doch nichts von all dem brachte er über die Lippen. Die Worte blieben ihm im Halse stecken. Weshalb er ihr das Buch gab und ihr beim Rausrennen zusah. Das Letzte was er aus ihrem Gesicht noch erhaschen konnte, war dieser herzzerbrechende Schmerz in ihren Augen. *** Osaka hatte sich kein bisschen verändert. Gedankenlos blickte Maron aus dem Taxifenster, welches sie und ihren Vater gerade zum Hotel fuhr. Um sieben waren sie in Momokuri zum Flughafen gefahren, flogen zwei Stunden und fuhren jetzt seit über eine halbe Stunde durch die überfüllten Straßen Osakas. Mit all der Wartezeit dazwischen waren sie schon seit fast fünf Stunden unterwegs. Immer mal hörte Maron, wie ihr Vater sich zusammen mit dem Taxifahrer über den Stau und den Verkehr beklagte. Ihr persönlich ging das förmlich am Allerwertesten vorbei. Sie fühlte sich einfach nur taub in ihrem Inneren. Wollte an nichts denken. Stumm setzte sie sich ihre Kopfhörer auf und schaltete ihren MP3-Player an, versuchte die Welt um sich herum auszublenden. Sofort bereute sie ihre Entscheidung Musik hören zu wollen, denn 90 Prozent ihrer Playlist waren gefüllt mit Liedern, die Chiaki ihr alle an einer Nacht mal draufgespielt hatte. Ihre Brust schmerzte. Noch immer sah sie Chiaki’s Gesicht vor sich und wie seine Augen sie heute Morgen anblickten. Keinerlei Emotionen waren in ihnen zusehen gewesen. Keine Wut, keine Lust, keine Sorge, keine Liebe. Nichts. Einfach nur vollkommen ausdruckslos. Maron biss sich auf die Lippe und blinzelte sich schnell die anbahnenden Tränen weg. Wie sehr sie sich gerade wünschte endlich in ihrem Hotelzimmer anzukommen und für eine Weile allein zu sein.   Nach einer dreiviertel Stunde hatten sie schließlich das Hotel erreicht. Takumi hatte für sie beide eine große Suite gebucht mit zwei Schlafzimmern. Kaum hatten sie ihre Koffer abgelegt, hatten sie am Nachmittag auch direkt ihren ersten Termin mit ihren Anwälten, die sie über den Ablauf der nächsten Tage bis zum Gerichtsprozess aufklärte. Geistesabwesend hatte Maron ihnen zugehört und an den passenden Momenten genickt. Danach gingen Vater und Tochter etwas essen, ehe sie in ihre Suite zurückkehrten und ihre Sachen endlich auspacken konnten. Gerade war Maron dabei in ihren Taschen verbissen nach ihrem Handykabel zu suchen, denn ihr Akku war seit der Abreise leer gegangen. Aber zu ihrer Frustration fand sie es nirgends, hatte es womöglich zu Hause vergessen. „Du könntest doch mein Kabel benutzen. Wir haben doch dieselbe Marke“, hörte sie ihren Vater hinter sich sagen. Seufzend rollte Maron die Augen in seine Richtung. „Wir haben unterschiedliche Handymodelle, Papa. Dein Kabel wird zu meinem Handy nicht passen.“ „Oh. Ach so. Naja, wenn du jemanden anrufen willst, dann kannst du ruhig mein Handy benutzen.“ „Mh-Hmmm.“ Sie ließ ihre Schultern hängen und setzte sich erschöpft auf ihr Hotelbett hin. Den einzigen Kontakt, den sie neben ihrer Familie hatte, war Chiaki. Und bei ihm wusste sie sowieso nicht, was sie machen sollte. Abgesehen davon kannte sie seine Nummer nicht auswendig. Dann fiel ihr sein Skizzenbuch ein, welches sie sich zu Hause eilig in den großen Rucksack gestopft hatte. Fast hätte sie es vergessen. „Nun denn... es war heute ein anstrengender Tag. Du solltest früh schlafen gehen“, hörte sie Takumi mit einem kleinen Lächeln sagen. Maron nickte geistesabwesend. Nachdem sie ihrem Vater gute Nacht gewünscht hatte und er verschwunden war, sprang sie sofort vom Bett auf, schnappte sich ihren Rucksack und holte das Buch raus. Behutsam fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über den schwarzen Ledereinband. Mit Herzklopfen setzte Maron sich wieder aufs Bett hin. Ihre Hände zitterten leicht. Vorsichtig öffnete sie die erste Seite. Eine erstaunlich gute Skizze einer jungen Frau war zu sehen. Wahrscheinlich um die Ende zwanzig, Anfang dreißig. Sie hatte Chiaki’s Lächeln auf den Lippen. Maron konnte in der unteren Ecke der Seite ein Datum, Chiaki’s Unterschrift sowie den Namen Kyoko Nagoya lesen. Ihre Augen weiteten sich, als sie realisierte, dass dies seine Mutter war. Sie blätterte um und wieder war seine Mutter zu sehen, in einer anderen Pose, glücklich lächelnd mit einem jungen Mann. Arata Matsumura stand neben Kyoko’s Namen da. Sein Stiefvater, wie Maron sich in Erinnerung rief. Vorsichtig blätterte sie weiter, bestaunte jede einzelne Skizze bis aufs kleinste Detail, achtete auf jeden Bleistiftstrich. Er hatte wirklich Talent. Sie blätterte einige Seiten weiter, in der duzende von detailgenauen Skizzen seiner Eltern zu sehen waren. Alle in den langen Nächten der Langenweile gezeichnet, während er versucht hatte wach zu bleiben. Maron wusste nicht, ob sie darüber die Stirn runzeln oder Lächeln soll. Bis jetzt hatte sie noch nicht verstanden was sein Skizzenbuch ihr bringen sollte. Während sie durch das Buch blätterte, blieb sie schließlich bei einer Seite hängen, in der ausnahmsweise keiner von seinen Eltern zu sehen war. Ein Mädchen war in der Skizze abgebildet. Sie trug eine Kapuze über den Kopf. Maron brauchte einige Momente, um zu realisieren, dass sie es war. Auf dem schwarzen Ledersofa sitzend und ein Buch lesend. Sie blickte auf das Datum, erster November. Der Tag, an der die Party damals war und an der sie und Chiaki sich zum ersten Mal kennenlernten. Wie von Ehrfurcht ergriffen, fuhr Maron mit ihren Fingern sachte die Schattierungen nach. Sie blätterte zur nächsten Seite und wieder war sie selbst zu sehen. Dieses Mal lächelnd, den Kopf auf ihrem Picknicktisch abgelegt. Auf der nächsten Seite war sie wieder zu sehen, den Kopf lachend nach hinten geworfen. Sie blätterte und blätterte, unzählige Seiten… in der nur sie abgebildet war. Die letzten vier Seiten waren sogar noch von gestern, wo sie mit ihren Locken zu sehen war. Fassungslos und nahezu erschüttert blickte sie auf die Ecken all der Seiten herunter. Wie bei den anderen Zeichnungen, waren alle mit seinem Namen und einem Datum unterzeichnet. Nur hatten die von ihr nicht ihren Namen als Zusatz dastehen. Sondern… Mein Mädchen.   NINETEEN -------- NINETEEN   Der erste Tag ohne sein Mädchen war wahrscheinlich der Schlimmste. Mit diesem elend leeren Gefühl in seiner Brust fuhr Chiaki zur Schule, wenige Stunden nachdem er sie das letzte Mal gesehen hatte. Yamato bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte, fragte jedoch nicht nach. Chiaki war froh drum, denn er hatte keinen Bedarf mit ihm darüber zu reden. Er sah, wie Miyako mit einem betretenen Gesichtsausdruck allein in der Schule ankam und die Tatsache, dass sie wirklich nicht mehr da war, traf ihn hart wie ein Schlag. Der Platz zu seiner Rechten war leer. Sie war in der Mittagspause nicht an ihrem Tisch mit den anderen zu sehen. Allein saß Chiaki an seinem Tisch und aß seine erste Tüte der Abschiedskekse. Yamato war irgendwo mit Miyako verschwunden, doch das interessierte ihn nicht. Nach der Schule wusste aber sein Freund wohl nun auch Bescheid, dank Miyako. Chiaki konnte es an dessen verständnisvollen Gesichtsausdruck sehen. Als er zu Hause ankam und auf das leere Sofa starrte, fühlte er sich noch beschissener als er sich schon fühlte. Er ließ sich darauf nieder, das Gesicht ins weiche Leder vergraben und verharrte für eine ganze Weile da drauf. Am Abend putzte er sich die Zähne und blickte auf die kleine rote Zahnbürste am Waschbecken herunter, die allein am Zahnbürstenhalter hing. In dieser Nacht zog sich seinen Pyjama an - nicht, dass er versuchen wollte zu schlafen, denn das war ohne sein Mädchen sowieso einfach nicht möglich. Aber die Sachen dufteten nach ihr. Genauso wie das Bett. Weshalb er sich seinen Pyjama anzog und unter die Decke kroch, die alle nach Blumen, Zitrone und Kekse dufteten. Es gab ihm die Illusion, dass sein Mädchen da war. Seufzend vergrub Chiaki sein Gesicht in ihr Kissen. Die ganze Nacht lag er hellwach in seinem Bett und fühlte sich einfach nur wie ein elendes Stück Scheiße.   Die Müdigkeit kehrte am zweiten Tag schon wieder. Als Yamato in sein Auto einstieg, konnte Chiaki wieder diesen bedauernden, mitleidigen Blick in dessen Augen sehen. Fast hätte er ihn dafür genervt angeschnaubt. Denn sein Freund konnte sich wahrscheinlich nicht mal ansatzweise vorstellen, dass er weitaus mehr als nur den Schlaf vermisste. Am dritten Tag waren die Augenringe zurück, sowie auch der Zombie-Modus. Als Yamato in sein Auto einstieg, hatte Chiaki versucht irgendwelche Infos über Maron herauszubekommen, hatte die insgeheime Hoffnung, dass Miyako ihm irgendwas erzählen würde. Doch leider hatte Yamato nichts anzubieten. Chiaki hatte in der Nacht seinen Mut zusammengenommen und probiert sein Mädchen anzurufen, doch sie war nicht zu erreichen. Daraufhin schrieb er ihr eine kurze SMS, doch es kam selbst nach Stunden keine Antwort. Dies beunruhigte ihn. Wollte sie nicht erreicht werden? Wollte sie Abstand von ihm? Hatte er mit seinem Verhalten doch alles vermasselt und sie würde nicht wiederkommen? Sofort schüttelte Chiaki bei den Gedanken mit dem Kopf und verdrängte die Zweifel wieder. Sie wird wiederkommen, sagte er sich immer und immer wieder.   Am vierten Tag begann er wieder zu schwanken. Er weigerte sich ohne Maron zu schlafen, aber er wusste, dass es unvermeidbar war. In der Nacht hatte er versucht in seinen Pyjama einzuschlafen, in der Hoffnung, dass die Überreste ihres Duftes die Albträume fernhalten würden. Oder ihn eventuell dazu verhelfen von ihr stattdessen zu träumen. Doch es hatte nicht funktioniert. Natürlich nicht. Die Albträume kehrten wieder und nach zwei Stunden wachte er weinend, zitternd und in Angstschweiß gebadet auf. In dieser Nacht fing er wieder an regelmäßig zu rauchen. Nicht nur Maron, aber auch der Schlaf hatten ihn eigentlich dabei verholfen damit aufzuhören. Aber jetzt brauchte er es. Chiaki ging zu seinem Balkon raus, blickte zur Seite zum Pflanzengitter und wünschte sich, dass sein Mädchen hochgeklettert kommen würde. Jeden Tag spähte er vor und nach der Schule zu den Nachbarn rüber und erhoffte sich Takumi’s Auto in der Einfahrt zu sehen oder dass nachts in der Küche das Licht an sei. Es war erbärmlich. Schließlich wusste er, dass sie bis nächste Woche nicht wieder da sein wird. Und was ist, wenn sie gar nicht wieder da sein wird? Schwerseufzend senkte er den Kopf in seine Hände. Er sollte aufhören an ihre Rückkehr zu zweifeln. Es war schwerer gesagt als getan. In derselben Nacht hatte er wieder Kaiki’s Vorrat an Amphetaminen geplündert. Zum Glück hatte der Arzt den Vorrat wieder aufgefüllt. Denn Chiaki brauchte sie, nutzte die Medikamente auch ziemlich großzügig. Mehr als früher. Am fünften Tag hatte Kaiki ihn dazu bewegt mit ihm zusammen Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Er ahnte, dass etwas los war, versuchte den ganzen Nachmittag irgendetwas aus Chiaki rauszubekommen. Allerdings gab es nichts, was er ihm sagen würde. Sie liefen durch das überfüllte Einkaufszentrum und Chiaki konnte ununterbrochen diesen kritischen Seitenblick seines Vaters spüren. Es war nicht zum Aushalten. Am liebsten hätte er geschrien, ihn angeschrien. An dem Nachmittag hatte der Blauhaarige sich ein neues Skizzenbuch gekauft und später die ganze Nacht lang sein Mädchen gezeichnet, blickte dabei immer mal zu seinem Sofa rüber und rief sich ihr Abbild in Erinnerungen. Jede Nacht trug er seinen Pyjama, auch wenn ihr Duft inzwischen schon vollständig vergangen war.   Er war so verdammt müde. Taub wie ein Zombie durchlebte Chiaki seinen Alltag, versuchte alles was in seiner Macht stand, um nicht einzuschlafen. Viele Dinge kehrten wieder. Der Tunnelblick, der leicht zerfetzten Gedächtnislücken, die Konzentrationsschwierigkeiten. Mittlerweile wurde er wieder zu einem reizbaren Arsch. Er konnte es Yamato nicht verübeln, wenn er die Mittagspausen lieber mit Miyako irgendwo verbrachte. Chiaki bevorzugte sowieso derzeit allein zu sein. Und sein Freund verstand das womöglich auch. Jeden Tag aß er eine der Kekstüten. Dies war das Einzige was ihm von ihr und der Routine übrig geblieben ist. Zehn Uhr nachts war für Chiaki immer die schlimmste Zeit des Tages. Er fragte sich immer, wo Maron sich im Moment aufhielt oder wie es ihr ging und wie sie zurecht kam. Und er wünschte sich bei ihr sein zu können, wenn sie weinte. Denn er wusste, dass sie weinen wird. Das Wochenende war am schwierigsten gegen die Müdigkeit anzukämpfen. In der Nacht zu Samstag ging Chiaki raus zu der kleinen Parkanlage mit den Picknickbänken, in der Hoffnung, dass die kalten Dezembertemperaturen ihn wach halten würde. Aber die Stille machten ihn letztendlich noch schläfriger. Es war so ruhig und leer. Er vermisste es jemanden zum Reden zu haben. Er vermisste sein Mädchen bei sich zu haben. Noch immer kam kein Anruf oder SMS von ihr zurück, was ihn nicht nur frustrierte, sondern auch depressiv stimmte. Immer wieder sagte er sich, dass seine Ängste irrational waren. Maron würde zurückkommen. Sie würde ihn immer noch sehen wollen, mit ihm die Nacht verbringen und zusammen schlafen. Vielleicht würde sie ihn auch küssen wollen...und wenn nicht, dann war es auch okay. Hauptsache sie blieb bei ihm. Aber die Ängste und Zweifel waren immer da. Angst darüber, dass er sie verjagt hätte, sie verletzt hätte. Angst darüber, dass sie ihm niemals verzeihen würde, falls er seine Fehler jemals wieder gut machen konnte. All diese Zweifel ließen ihn an eine andere Person zurückdenken, die einst versprochen hatte, bei ihm zu bleiben. Und ihn am Ende doch, ohne zurückzukehren, verließ.   Von Samstag auf Sonntag hatte Yamato ihn unerwarteter Weise zu sich nach Hause eingeladen, um einen Zockerabend mit Übernachtung zu veranstalten. Das mit der Übernachtung war zumindest etwas, was Chiaki seinem Vater auftischte als er ihm Bescheid gegeben hatte, bevor er ging. Denn eigentlich Yamato hatte geplant an dem Abend aus Solidaritätsgründen mit seinem besten Freund wach zu bleiben, wenn auch nur für diese eine Nacht. So sehr dies Chiaki überraschte, so schätze er die Geste auch sehr wert. Die erste Hälfte des Abends verlief auch relativ gut. Sie zockten in Yamato’s Zimmer vor der Playstation einige Multiplayer-Spiele, wobei Chiaki sich bemühte all seine Konzentration aufzusammeln, um nicht dauernd zu sterben. Yamato quatschte ihm unterdessen das Ohr voll über seine nahezu täglichen Dates mit Miyako und wie sie am Freitag schließlich das erste Mal miteinander schliefen. Ließ dabei keine Details aus. Alles Informationen, die Chiaki offensichtlich nicht unbedingt wissen wollte und ausnahmsweise war er dem Gedächtnisverlust dankbar, denn nach wenigen Stunden hatte er alles Erzählte Gott sei Dank schon wieder vergessen. Gegen ein Uhr fing Yamato an gegen die Müdigkeit anzukämpfen, die Lider wurden schwer, er nickte beim Spielen immer mal wieder weg und trank literweise Kaffee. Chiaki beobachtete ihn dabei aus dem Augenwinkel und schmunzelte etwas. Nach etwa einer halben Stunde war sein braunhaariger Freund schließlich mit Controller in der Hand und offenem Mund tief und fest eingeschlafen. Leise musste Chiaki amüsiert kichern. Naja…Wenigstens hatte er es versucht. Yamato hatte zwar gemeint, dass er ihn wecken soll, wenn er einschlief, aber Chiaki ließ ihn schlafen. Anschließend zockte er die restliche Nacht weiter.   Es war Montag, Tag acht und vorletzte Tag. Chiaki bekam das Gefühl als würde seine eigenen vier Wände ihn allmählich erdrücken. Weshalb er in der Nacht aus seinem Zimmer ging und leise durch die Villa wanderte, nachdem er sichergestellt hatte, dass Shinji und Kaiki schliefen. Schließlich fand er sich in der dunklen Küche wieder. Die Uhr war das einzige was die Stille in der Dunkelheit durchbrach. Das konstante Ticken des Zeigers, welches ihn mit jedem Mal näher zu Maron brachte. Gedankenverloren saß Chiaki am Tisch, hörte dem Ticken zu, kämpfte damit die Augen offen und den Kopf aufrechtzuhalten und aß seine letzte Kekstüte. Während er aß, verabschiedete er sich in Gedanken von seinem Mädchen und ließ los. Nur für den Fall, dass die Geschichte sich wiederholen wird und sie nicht mehr sein Mädchen sein wollte. *** „Hallo Mama.“ Es war der letzte Tag vor dem Gerichtsprozess und Maron saß vor dem Grab ihrer Mutter, hatte frische Blumen davor gelegt. Ihr Vater wartete vor dem Friedhof auf sie, hatte vorhin ebenfalls Blumen beigelegt. Für einige Minuten saß sie vor dem Grab und sprach über alles was ihr in den Sinn kam. „Morgen werde ich… dieses Monster wiedersehen… Ich… weiß nicht, was ich darüber denken soll…“ Tränen blinzelten in ihren müden Augen. „Selbst wenn das Recht auf unsere Seite wäre, wird es dich nicht zurückbringen.“ Sie seufzte schwer. „Ich bin so müde, Mama… Du fehlst mir so…Und gerade jetzt bräuchte ich deinen Rat“, sagte sie. Ihre Mutter war wie eine beste Freundin für sie gewesen, der sie alles anvertrauen konnte. Schniefend presste Maron die Lippen fest zusammen, sah zu Boden und blickte mit einem verlegenen Lächeln wieder auf. „Es gibt da nämlich einen Jungen in Momokuri. Und… irgendwie… ist es kompliziert. Denke ich. Keine Ahnung, frag mich nicht.“ Wieder musste sie seufzend. „Maron.“ Erschrocken zuckte die Angesprochene bei Takumi’s Stimme zusammen und drehte sich um. „Ehm, Tschuldige. Aber es wird schon spät“, sagte er, fuhr sich mit einer Hand über den Hinterkopf. Maron blinzelte einige Male verwundert, ehe sie sich umschaute und bemerkte, dass der Himmel um weitem dunkler war, als sie hier ankam. „Oh. O-Okay. Schon okay!“, sagte sie, stand auf und verließ mit ihrem Vater den Friedhof. Beide beschlossen noch in einem Supermarkt in der Nähe etwas zu Essen zu holen. Sowohl im Laden als auch draußen auf den Straßen war es ziemlich überfüllt. Unter Anspannung schlängelte Maron sich an den Menschen vorbei. Sie vermisste Momokuri. Dort war die Einwohnerzahl um einige Millionen Menschen kleiner. Hier in Osaka kam sie sich nämlich vor, als würde sie unter all den Menschen ersticken. Von daher konnte sie es kaum erwarten, wenn der morgige Tag um ist und sie endlich nach Hause konnte.   Gerade stand Maron vor den Backwaren, als sie unerwartet eine Stimme von der Seite vernahm. „Maron? Du meine Güte, bist du das?“ Die Angesprochene drehte sich um und blickte die Person mit überrascht großen Augen an. „Saki...?“ Vor ihr stand eine ihrer ehemaligen besten Freundinnen, Arm in Arm mit einem Jungen. Den Jungen kannte sie auch noch. „Hiro?“, sagte sie ungläubig, legte den Kopf etwas schief. Sie alle gingen in dieselbe Klasse, waren im selben großen Freundeskreis. Maron konnte sich noch daran erinnern, dass Saki unter anderem permanent versucht hatte sie mit Hiro zu verkuppeln, da er angeblich Interesse an ihr hatte. Nicht, dass diese Interessen auf Gegenseitigkeit beruhten, aber ein wenig überrascht war die Braunhaarige jetzt schon, dass ihre ehemalige Freundin sich ihn jetzt geschnappt hat. Beide lächelten Maron mit einem Lächeln an, was zwar freundlich aber auch irgendwie falsch und gekünstelt wirkte. „Lange nicht mehr gesehen“, kam es von Saki ein bisschen zu überschwänglich. „Wie geht es dir so?“ In dem Moment machte Maron ein leicht mürrisches Gesicht. Seit wann interessiert dich das?, dachte sie sich, sagte jedoch ganz knapp: „Gut.“ Obwohl es ihr das komplette Gegenteil von gut ging. Nicht nur weil sie müde und erschöpft war. Erinnerungen kamen ihr hoch als sie im Krankenhaus war, die Wunden des Höllenerlebnisses noch ganz frisch. All ihre Freunde kamen zu Besuch. Auf dem ersten Blick war alles gut, bis einer der Jungs -wahrscheinlich Hiro- auf sie zukam und sie umarmte. Das Nächste was sie wusste, war das sie hysterisch wurde und ihre schockierte Freunde Arzt und Krankenschwester holen mussten, damit man sie mit einer Spritze beruhigen konnte. Nachdem sie nach einigen Stunden wieder zu sich kam und alle bereits weg waren, hatte Maron jeden Einzelnen angerufen und sich entschuldigt. Ihre damaligen Freunde meinten, dass sie es verstehen würden, aber seitdem kamen sie nie wieder ins Krankenhaus sie besuchen. Selbst Freundinnen, wie Saki, die sie seit Kindheitstagen kannte und von denen die Braunhaarige davon ausging, dass sie durch dick und dünn gingen, ließen sich nicht mehr blicken oder von sich hören. Jedes Mal, wenn Maron danach fragte, ob sie ihr Gesellschaft leisten würde, kam irgendeine halbherzige Ausrede, dass sie nicht kommen könnte. Allerdings konnte Maron in deren Sozialen Medien sehen, wie alle sich prächtig ohne sie amüsierten. Es dauerte nicht lange bis sie verstand, dass sie alle sich von ihr abgewandt haben. Dass sie mit dieser „neuen“ Maron und ihren Problemen nicht klarkamen. Dass sie mit einem Freak nicht befreundet sein wollten. Irgendwo konnte sie sie verstehen, aber die Wut und Bitterkeit darüber, dass ihre sogenannten besten Freunde sie im Stich ließen, überwog. „Wo lebst du jetzt eigentlich?“ Saki’s neugierige Stimme riss sie in die Gegenwart zurück. „Bei meinem Vater“, antwortete Maron schulterzuckend, „In Momokuri.“ Wo echte Freunde auf sie warteten… „Ah. Gut. Cool“, kam es von Hiro nickend, worauf sie trocken eine Augenbraue hochzog. Einige lange Sekunden vergingen in der keiner mehr was zu sagen hatte. Wahrscheinlich warteten die beiden darauf, dass sie nach deren Wohlergehen und Leben fragte, auf welches Maron allerdings kein Interesse hatte. Sie hatte mit all den Leuten abgeschlossen. „Maron, hast du alles?“, hörte sie ihren Vater sagen, der mit einem Einkaufskorb hinter einem Regal hervorkam. „Ich muss los.“ Sie schnappte sich eine Packung Croissants, drehte auf dem Absatz um und ging schnellen Schrittes davon. Das Saki irgendwas sagen wollte, ignorierte sie. Bittere Tränen hatten sich unbemerkt in ihre Augen geschlichen, die sie sich schnell wegblinzelte. „Alles okay?“, fragte Takumi, als Maron bei ihm war. „Ja.“ Sie bemerkte, wie er eine Hand auf Höhe ihrer Schulter in der Luft hielt, sie jedoch nicht berührte. „Mir geht es gut“, sagte sie mit einem kleinen, müden Lächeln. Er nickte verstehend und schaute kurz hinter sich über die Schulter. „Alte Freunde?“ „Nein…“, schüttelte sie nur mit dem Kopf. Mit den Worten gingen sie zur Kasse, bezahlten und fuhren mit einem Taxi ins Hotel zurück.   In der Nacht saß Maron auf dem Bett, in ihren Pyjama und blätterte durch Chiaki’s Skizzenbuch. Dies machte sie jede Nacht seit sie hier war. An den ersten Tagen hatte ihr Pyjama noch nach Chiaki geduftet. Sie hatte ihre Kopfhörer im Ohr, hörte sich seine Playlist an, um sich die Illusion zu machen, dass er bei ihr war. Sorgfältig fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über die feinen Bleistiftstriche, begutachtete jede einzelne Zeichnung von ihr. Er zeichnete sie immer lächelnd. Mal ein Grinsen, mal ein halbes Lächeln, mal aus vollem Herzen lächelnd. Auf der Skizze, welches mit dem Datum ihres ersten gemeinsamen Kusses datiert wurde, war sie mit einem sehr breiten, albernen Lächeln zu sehen. Automatisch bildete sich auf ihren Lippen ein Lächeln, als sie daran zurückdachte. Seine Zeichnungen waren alle sehr schön. Aber die, wo sie abgebildet waren, sahen besonders wunderschön aus, als hätte er sich bei ihr besonders viel Mühe gegeben. Das Buch verwirrte Maron ein wenig. Es war mit den Menschen gefüllt, die er geliebt und verloren hatte - seinen Eltern. Und sie verstand nicht, wie sie da reinpasste. Ebenso stand auf jeder Seite, in der ihr Gesicht zu sehen war „mein Mädchen“ da. Sie konnte nicht verstehen wieso oder in welchen Kontext. Wie und was genau empfand er für sie? Maron hatte zu große Angst zu hoffen. Sie wusste nicht, was Liebe war oder ob sie fähig war, sowas Gutes und Reines zu empfinden. Aber sie wusste -war sich sicher- dass das, was sie für Chiaki empfand, diesem Gefühl von Liebe wahrscheinlich ziemlich nah kam. Sie vermisste ihn. Sehr. Es ärgerte Maron, dass sie ihn nicht anrufen oder schreiben konnte. Sie hatte überlegt mit dem Handy ihres Vaters heimlich die Nummer der Nagoyas nachzuschlagen und anzurufen, aber entschied sich dennoch dagegen. Der Drang bei ihm sein zu wollen, würde sich nur verschlimmern. Weshalb sie stark blieb und die Tage bis zum Gerichtsprozess sich geduldete. Diese Tage erwiesen sich als sehr schwierig und anstrengend. Sie waren gefüllt mit Terminen mit ihren Anwälten, welche Maron wie ein gefühlsloser Zombie durchzog. Schon nach der ersten schlaflosen Nacht war sie todmüde. Die Augenringe kehrten zurück. Und der ganze Stress strapazierte sie noch mehr. Ihr Vater war besorgt, aber sie lehnte eine ärztliche Behandlung ab. Jeden Tag verbrachten sie Stunden in diesem -nach Leder riechendem- Büro. Ihr Kaffeekonsum hatte sich womöglich um ein dreifaches erhöht. Es war ätzend. Alles was Maron wollte, war die Sache hinter sich zu bringen und nach Hause zukommen. Sie wollte mit Miyako zusammen Lachen. Sie wollte Chiaki sehen. Sie wollte wieder schlafen können. In der fünften Nacht war Maron nicht mehr stark genug gewesen, um noch länger wach zu bleiben, hatte sich auf dem weichen Bett zusammengerollt und war eingeschlafen. Die Albträume kamen wieder und waren noch lebhafter und verstörender als zuvor. Wenn man bedenkt, dass das Monster, der für die Träume verantwortlich war, nur wenige Kilometer irgendwo von ihr entfernt war.   Gerade war Maron wieder am Ende des Skizzenbuches angelangt und fing nochmal vom neuen an, prägte sich jede einzelne Zeichnung seiner Eltern ein. Höchstwahrscheinlich konnte sie das Buch schon auswendig und könnte jede einzelne Seite blind beschreiben. Besonders seine Mutter studierte sie genau, versuchte Merkmale ausfindig zu machen, die sie in Chiaki wiederfand. Sie versuchte eine Art Gefühl von Bewunderung -oder ähnliches- für diese Frau zu empfinden, aber sie konnte nicht. Die Frau hatte ihren Sohn ruiniert. Ihn einfach verstoßen und verlassen. Das machte Maron wütend. Vielleicht hatte sie nicht das Recht dazu. Sie wusste, dass Chiaki achtsam versuchte ihr Halbwahrheiten wiederzugeben, wenn es um seine Mutter ging. Sie wusste, dass mehr hinter der ganzen Story steckte. Vielleicht gab’s auch einen vernünftigen Grund für ihre Entscheidung. Nur fiel Maron kein Grund ein, der akzeptable für sie wäre.   Es war der Tag des Gerichtsprozesses. Um neun Uhr war der Termin. Maron und ihr Vater kamen vor dem Gerichtsgebäude an und wurden von ihren Anwälten in den Saal begleitet. „Nur keine Angst“, flüsterte Takumi ihr in einem beruhigenden Ton zu, während sie die Minuten warteten bis der Prozess losging. Maron musste etwas schmunzeln. Ein bisschen wünschte sie sich, dass sie Angst hätte oder in irgendeiner Weise nervös war. Aber sie war zu müde dafür. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schloss ihre Augen und dachte an Chiaki. Fragte sich, was er gerade machte. Jetzt um die Uhrzeit müsste die zweite Unterrichtseinheit angefangen haben. Ob er an sie dachte? Maron hörte wie ihr Vater leise unverständlich fluchte und da wusste sie, dass Noyn und sein Verteidiger eingetroffen waren. Sie öffnete ihre Augen, blickte jedoch starr auf ihre Hände herunter. Im nächsten Moment kam auch der Richter und der Prozess begann. Die ganze Zeit über, auch als die Braunhaarige schließlich für ihre Aussage dran war, blickte sie überall hin, nur nicht in Richtung des Monsters. Das war für sie der einzige Weg, um dessen Präsenz im Raum zu erdulden. In einem leisen Wispern gab sie die Geschehnisse aus ihrer Sicht wieder, nutzte dabei das kleine Mikrofon vor sich. Sie weinte, schluchzte, ließ die Emotionen freien Lauf - wie sie es mit ihren Anwälten besprochen hatte. Danach war ihr Gesicht vollkommen nass und ihr Inneres taub. Der Rest des Prozesses ging wie ein Film an ihr vorbei. Der Richter machte sein Urteil: lebenslange Freiheitsstrafe. Takumi murmelte unzufrieden etwas von einer Todesstrafe, doch Maron war sich nicht sicher. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, dass sie den Saal und das Gebäude verlassen hatten. Im Hotel angekommen, ließ die Taubheit nach. Sie ging eilig in ihr Hotelzimmer und holte ihre bereits fertig gepackte Reisetasche hervor. In zwei Stunden wäre der Flug. Körperlich und geistig war sie völlig ausgelaugt. Ihr Vater hatte versucht ihr einzureden sich eventuell für heute nochmal auszuruhen, um die letzten Stunden zu verarbeiten und dass sie morgen fliegen würden. Aber sie wollte nicht. Sie wollte sich nicht ausruhen. Sie wollte nicht noch einen Tag länger hierbleiben. Sie wollte endlich nach Hause nach Momokuri. Das einzige was sie wollte, war einfach nur nach Hause in Chiaki’s Armen zurückzukehren. TWENTY ------ TWENTY   Es war schon ziemlich dunkel als Sakura sie vom Flughafen abholte – und dabei war es erst 17 Uhr. Mit Tränen in den Augen nahm sie zuerst Takumi in ihre Arme und dann Maron, drückte sie innig und flüsterte ihr Dinge zu, wie das sie stolz auf die Braunhaarige wäre und fragte, ob es ihr gut ginge. Womöglich konnte man Maron äußerlich ansehen, wie fertig sie war. Stumm nickte sie gegen ihre Schulter. Anschließend ließ Sakura sie los und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. Maron versuchte ihr ein Lächeln zu schenken, war sich allerdings nicht sicher, ob ihr das gut gelang. Sie sollte sich freuen. Schließlich war sie endlich wieder Zuhause. Doch sie war einfach nur müde und erschöpft. Und mit jedem Kilometer, in denen sie sich Momokuri näherten, wurde sie noch müder. Ihre Lider waren schwer vom mangelnden Schlaf und es überkam sie das Gefühl, einfach losheulen zu wollen. Nur hatte sie keine Tränen mehr übrig. Maron holte ihr leeres Handy aus der Tasche und betrachtete sich in der Reflektion des schwarzen Display. Ihre Augen sahen schlimm aus. Dicke, dunkle Augenringe waren unter den blutunterlaufenen Augen zu sehen. Sie sah schlimm aus. Während Sakura fuhr, sprach sie mit Takumi über all die Dinge, die er und seine Tochter verpasst hatten. Dabei entging es Maron nicht, wie beide ihr immer mal besorgte Blicke über den Rückspiegel zuwarfen. Sie wünschte sich, sie könnte ihnen versichern, dass sie okay war, dass es ihr gut ginge. Aber sie konnte nicht. Weshalb sie ihren Kopf wortlos in den Sitz nach hinten lehnte und den Laternen dabei zusah, wie sie ineinander verschwammen.   Nach einiger Zeit kamen sie schließlich zu Hause an. Maron schaute allerdings nicht zu ihrem Haus rüber, sondern zu der Nagoya-Villa. Von vorne konnte sie Chiaki’s Zimmer nicht sehen, aber alle Lichter waren in dem Haus an. Langsam stieg sie aus dem Auto, wollte die Tür hinter sich mit einem Knall zuschlagen, hatte jedoch nicht mehr die Kraft dafür und schloss sie stattdessen sachte. Takumi hatte schon ihre Taschen an sich genommen und ging mit Sakura zur Eingangstür. Maron trottete ihnen hinterher. Kaum hatte sie Fuß über die Türschwelle gesetzt, kam schon Miyako auf sie zugesprungen und drückte sie innig. Ihr Enthusiasmus brachte Maron fast zum Lächeln. Aber nur fast. Denn leider erstarb Miyako’s Lächeln sofort, als sie einen Blick auf das Gesicht ihrer Freundin warf. Maron hasste es, dass sie ihre Freude verdorben hatte, weshalb sie mit einem schwachen Lächeln auf Miyako zuging und sie umarmte. „Du hast mir gefehlt“, wisperte sie ihr zu. „Du mir auch“, erwiderte Miyako die Umarmung, „Willkommen zu Hause”, fügte sie leise hinzu, worauf Maron ihr das dankbarste Lächeln schenkte, welches sie zustande brachte. Anschließend ging sie in ihre Zimmer, wo ihr Vater schon ihre Taschen abgelegt hatte. Doch anstatt auszupacken, schnappte sie sich ihr Handyladekabel, welches auf dem Nachttisch lag und steckte ihr Handy an. Das Display begann aufzuleuchten. „Maron, hast du Hunger? Ich hatte das Abendessen vorbereitet“, hörte sie Sakura hinter sich auf einmal sagen, als sie ihr Handy gerade entsperren wollte. „J-Ja…ich komme“, stammelte sie, legte ihr Handy auf dem Nachttisch ab und folgte Sakura in die Küche. Beim Essen erzählte Miyako ihr von der Schule, was alles in den letzten neun Tagen so passiert war und was die Lehrer bis zu den Weihnachtsferien noch so geplant hatten. Maron wurde die Tage bis zu den Ferien von der Schule entschuldigt, wofür die Kurzhaarige sie beneidete. „Du hast es so gut!“ „Ich muss trotzdem alles nacharbeiten...“ „Wenn du meine Mitschriften brauchst, kann ich sie dir geben. Nur kann ich nicht garantieren, ob meine Lehrer eins-zu-eins dasselbe unterrichten wie deine. Im neuen Jahr haben wir ja diese fetten Klausuren und-…“ Während Miyako sprach und erzählte, sah Maron immer wieder aus den Fenstern raus. Mal in Richtung seines Zimmers. Mal in Richtung der Parkanlage mit den Picknickbänken. Sie fragte sich, ob sie wie immer gegen zehn zu ihm kommen soll. Und ob er genauso müde war wie sie. Sie warf einen flüchtigen, ungeduldigen Blick auf die Uhr. „Papa…“, sagte sie leise und wandte sich ihrem Vater zu. Er erwiderte ihren Blickkontakt. Maron räusperte sich kurz. „Ich werde morgen früh wahrscheinlich schon in die Stadtbibliothek gehen und da die ganzen Schulsachen nacharbeiten.“ Sie blickte mit einem müden Lächeln zu Miyako, die sowieso eben über die Schule sprach, um ihrem Alibi noch mehr zu festigen. „Damit du Bescheid weißt und dich nicht wunderst, wenn ich morgens nicht mehr da bin. Wahrscheinlich bin ich nachmittags zurück“, fügte sie mit einem unbeschwerten Schulterzucken hinzu. Takumi nickte zustimmend und lächelte seine Tochter an. Maron hasste es ihn anzulügen, aber für den Moment war es ihr egal. „Ich gebe dir gleich meine Mitschriften“, hörte sie Miyako neben sich sagen. Geistesabwesend nickte sie. Nach dem Abendessen hatte Maron ihre Taschen ausgepackt und die Unterlagen von Miyako in die Hand gedrückt bekommen, die sie zugunsten ihres Alibis in ihren Rucksack stopfte. Dort war auch Chiaki’s Skizzenbuch.   Gegen neun waren alle im Haus ins Bett gegangen und Maron hatte für die Nacht ihren Rucksack fertig gepackt. Zuletzt nahm sie noch ihr vollgeladenes Handy an sich und entsperrte es. Sofort sah sie, dass sich zwei verpasste Anrufe und drei Nachrichten in den letzten neun Tagen angesammelten hatten. Alle von Chiaki. Ihre Augen weiteten sich und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Es waren keine langen Nachrichten, alle relativ kurz. „Hey. Ich hoffe du bist gut angekommen.“ „Alles okay?“ „Ich hoffe dir geht es gut.“ Ein dicker Kloß bildete sich in Maron’s Hals. „Ich bin zurück“, tippte sie ihm. Sie musste ihn sehen. Sofort. Ohne eine Minute länger zu warten, ging sie eilig aus ihrem Zimmer raus Richtung Küche. Sie konnte noch kaum gerade laufen, weshalb sie durch die Hintertür fast aus dem Haus rausstolperte. Gerade als Maron zu dem Grundstück der Nachbarn hinübergehen wollte, hielt sie mitten in ihren Bewegungen inne, als sie Chiaki keine zwei Schritte von ihr entfernt stehen sah. Im Mondlicht konnte sie erkennen, dass er eine dicke Winterjacke und eine dunkle Jeans trug. Seine Haare hingen ihm kraftlos im Gesicht. Seine Augen sahen genauso schlimm aus wie ihre. Blutunterlaufen, mit sehr dunklen Augenringen gezeichnet und müde. Mit einem blanken Gesichtsausdruck starrte er sie fassungslos an, blinzelte nicht. Er zitterte leicht, sein Atem bildete kleine Wölkchen. Maron starrte ihn gleicher Maßen sprachlos an. Es war unmöglich, dass er innerhalb einer halben Minute ihre SMS gelesen hatte und dann so schnell herunterkam. Sie vermutete, dass er schon wusste, dass sie zurück war, bevor er ihre SMS gelesen hatte und fragte sich, wie lange er in der Kälte schon hier -auf sie- wartete. Ein kalter Windhauch wehte vorbei, spielte mit ihren Haaren. „Hi“, wisperte sie sanft. Sie wollte auf ihn zugehen, doch ihre Beine fühlten sich so schwer an. Es dauerte einige Momente bis Chiaki sich aus seiner Starre löste, die Distanz zwischen ihnen überbrücke, seine Arme um sie legte und sie fest umarmte. So fest, dass er sie etwas vom Boden hoch hob. Maron erwiderte die Umarmung schwach, ließ sich kraftlos in seine Arme fallen. War zu müde und erschöpft – und dennoch erleichtert endlich wieder Zuhause zu sein. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und vergrub ihr Gesicht in seine Halsbeuge. Sie nahm einen tiefen Atemzug, sog seinen Duft gierig in sich ein. Er tat dasselbe, hatte sein Gesicht in ihre Haare am Nacken vergraben. Sie hob eine Hand und umfasste sanft seinen Hinterkopf, strich seufzend mit ihren Fingern durch seine Haare. Chiaki drückte sie noch enger an sich, es tat fast ihren Rippen weh, aber das war ihr egal. Ihre Beine hingen ihr locker vom Boden und Maron war froh, dass er die Kraft hatte sie zu halten, denn all ihre Kraft war weg. „Ich habe dich vermisst“, wisperte er gegen ihren Nacken, drückte sie noch etwas fester, um der Aussage Nachdruck zu verleihen. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Ein ehrliches, wahrhaftig glückliches Lächeln. „Ich habe dich auch vermisst“, nuschelte Maron gegen seine Halsbeuge, immer noch Lächeln. Glücklich und froh darüber endlich wieder ungezwungen Lächeln zu können. Chiaki drehte sein Gesicht und drückte ihr einen Kuss auf den Nacken. Ihr Lächeln wurde noch breiter und sie schlang ihre Arme noch fester um seinen Nacken, nutzte ihre letzten Kraftreserven dafür. Im nächsten Moment spürte Maron plötzlich, wie er sie kurz losließ, den Rücken ihr zuwandte und ihre Beine in die Hände nahm. Ihre Arme waren immer noch um seinen Nacken gelegt und er nahm sie ohne Mühe Huckepack. Fragend blickte sie ihn an. „Du siehst viel zu müde aus, um zu klettern“, seufzte er, „Wir gehen durch die Tür. Kaiki hat Nachtschicht und Shinji ist bei Natsuki.“ Maron nickte träge. Müde war eine Untertreibung. Sie schloss die Augen und legte ihren Kopf auf seine Schulter ab. Er lief einige Schritte und sie hörte wie Schüsseln klapperten und eine Tür sich öffnete. Keinen Augenblick später war es nicht mehr kalt um sie herum, sondern angenehm warm. Nach wenigen Minuten sah sie auf und bemerkte, dass sie schon in seinem Zimmer angelangt waren. Chiaki lief mit ihr Richtung Bett und setzte sie vorsichtig auf die Bettkante ab, kniete sich anschließend auf Augenhöhe vor sie hin. Sachte fuhr er mit seinen Fingern über ihre Augenringe. Maron schloss seufzend ihre Augen, genoss das elektrisierende Kribbeln seiner Berührung, welches sie vermisst hatte. Sie spürte, wie er ihr die Schuhe auszog sowie Rucksack und Jacke von den Schultern nahm. Maron öffnete ihre Augen und sah wie Chiaki ihre Sachen aufs Sofa legte und zurück zum Bett lief. „Danke“, hauchte sie. Er lächelte sie an, worauf sie zurücklächeln musste, denn sie war froh sein Lächeln wiederzusehen. Anschließend ließ Chiaki sich auf seine Betthälfte neben sie fallen. Maron legte sich ebenfalls hin. „Wecker?“, fragte er. Sie konnte in seiner Stimme hören, dass er auf ein Nein hoffte. Als Antwort schüttelte sie auch mit den Kopf. Sie wusste, dass sie beide die extra Stunden Schlaf brauchten. Dass er am nächsten Tag eigentlich Schule hatte, darüber wollte und konnte sie sich im Augenblick keine Gedanken machen. Ohne Weiteres legte Chiaki sich hin und machte das Licht aus. Anschließend nahm er Maron in seine Arme, drückte sie vorsichtig an sich. Sie selbst war nicht mehr fähig zu ihm rüber zu rücken. Er vergrub sein Gesicht in ihre Haare, so wie er es immer tat, was ihr ein Lächeln auf die Lippen brachte. Glücklich darüber endlich wieder bei ihm, in seine Arme, zu sein. Sie brachte einen Arm zu seinen Schultern hoch und begann mit ihrer Hand sanft durch seine Haare zu streichen. Er seufzte in ihre Haare und sein Körper entspannte sich. Kurz verstärkte sich der Griff um sie, ehe beide zusammen in den Schlaf wegdrifteten. *** Sie kam wieder. Er konnte es kaum glauben. Und nicht nur das: sie wollte ihn genauso wiedersehen, wie er sie. Schon als er das Auto in deren Einfahrt sah, musste Chiaki sich zusammenreißen, um nicht alles stehen und liegen zu lassen und zu den Nachbarn rüber zu rennen. Dennoch konnte er bis zehn es nicht abwarten und war seit halb neun draußen und hatte vor der Hintertür auf sie gewartet. Sie sah so müde und ausgelaugt aus. Er hasste es sein Mädchen so gebrochen zu sehen. Und als sie rauskam, spürte er immer noch diesen Drang sie küssen zu wollen. Stattdessen hatte er sie in die Arme genommen, musste sie umarmen, wollte sicher gehen, dass sie doch keine Halluzination war. Fast hätte Chiaki sie angebettelt zu bleiben. Und als Maron ihn zurückumarmte, war er so glücklich, er konnte es kaum in Worte fassen. Sein Mädchen war so müde, sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Weshalb Chiaki sie ins Warme trug und versuchte sich um Maron zu kümmern, so wie sie sich immer um ihn gekümmert hatte. Gleichzeitig konnte er es kaum abwarten mit ihr endlich ins Bett zu gehen. Die neun Tage fühlten sich wie ein ganzes Jahr an. Sie schließlich neben sich liegen zu haben und ihren blumigen, zitronigen Duft wahrzunehmen, war einfach himmlisch. Der Schlaf war himmlisch. Vielleicht war es dumm und kitschig, aber ohne Maron war es einfach unmöglich.   Das erste Mal wachte Chiaki gegen sechs auf. Er beschloss für die erste Hälfte des Tages zu schwänzen und erst Mittags zur Schule zu kommen. Verschlafen, tastete er blind nach seinem Handy hinter sich, wollte Maron nicht loslassen (konnte es auch nicht, da sie ihn festhielt). Nachdem er sein Handy an sich genommen hatte, schaltet er den Bildschirm an, kniff gegen die Helligkeit die Augen stark zusammen und schrieb Yamato eine flüchtige SMS. Danach legt er es wieder hinter sich bei Seite und schlief in Sekunden wieder ein. Nach drei Stunden wachte er zum zweiten Mal auf. Sein Mädchen schlief noch tief und fest. Neben Maron aufzuwachen und sie beim Schlafen zuzusehen, gehörte womöglich zu den besten Momenten seines gesamten Lebens. Sie sah so friedlich aus. Und trotz der dicken Augenringe wunderschön. Er war glücklich. Glücklich darüber das sie wieder da war und die Routine wieder zurückkehren wird. Gleichzeitig war er verwirrt über alles. Er hatte keine Ahnung, was er tun und machen soll oder wie er seine Gefühle zuordnen sollte. Hatte keinen Schimmer, was er für sein Mädchen empfand. Chiaki verbrachte die Zeit, in der sie schlief, damit darüber nachzudenken. Er wusste, dass er es hasste, wenn Maron nicht bei ihm war. Er würde jeden töten, der es wagte sie zu verletzten. Er würde alles tun, um sie Lächeln zu sehen und sie Lachen zu hören. Aber das waren alles Fakten, die er schon wusste. Seit Maron in sein Leben aufgetaucht war, war sie wie ein Lichtblick in seinem dunklen, trostlosen Alltag gewesen. Sie war seine neue Routine. Chiaki hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht. Und er hatte Angst, dass es mehr in der ganzen Sache gab als er sich erlaubte zu sehen. Außerdem wusste er nicht, wie Maron fühlte. Er wusste, dass sie ihn aus eigenem Antrieb geküsst hat. Und er kannte diesen entschlossenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie es tat. Er wusste nur nicht, ob sie es tat, um sich von dem Gerichtsprozess und all dem Bullshit, abzulenken – oder ob es wegen ihm war. Wüsste auch nicht, wie er sowas in Erfahrung bringen sollte. Wenn sie es wegen ihm tat, dann war er richtig ratlos. Denn das würde dann bedeuten, dass Maron Gefühle für ihn hatte, die über ihre abgefuckte Situation hier hinaus ging. Und dass es zahlreiche Zeichen und Hinweise in den letzten Wochen gab, die er alle vollkommen übersehen hatte.   Chiaki blickte auf die Uhr. Fast zehn. Am liebsten wollte er sie schlafen lassen und den ganzen Tag (oder für immer) mit ihr im Bett bleiben. Aber er wusste, dass sie früher oder später nach Hause musste. Sanft strich er mit der Hand über ihren Kopf, fuhr sachte mit den Fingern durch ihre Haare. Er konnte dieses merkwürdige, elektrisierende Kribbeln auf seinen Fingerspitzen spüren. Maron regte sich ein wenig bei seinen Berührungen und ihre Lider begannen zu flattern. Ein Lächeln zeichnete sich langsam auf ihrem Gesicht ab und sie kuschelte sich enger an seine Brust an. „Wach auf, Schlafmütze“, flüsterte Chiaki sanft mit einem Grinsen. Ein schläfriges Kichern entkam ihr. „Wie spät ist es?“, fragte sie mit rauer Stimme, streckte ihre Beine, ließ ihn aber nicht los. „Zehn“, antwortete er und vergrub seufzend sein Gesicht in ihre Haare. Sie seufzte gegen seine Brust. Er strich ihr unterdessen weiterhin durch die Haare. „Wie fühlst du dich?“ „Besser“, hauchte Maron zurück, worauf er nickte. Eine Weile lagen sie da, sagten nichts, genossen für ein paar Minuten noch die Ruhe und die Präsenz des anderen. Chiaki wusste immer noch nicht, was er tun sollte, fand einfach keine Lösung. Er könnte sie auf direkter Weise fragen was Sache ist, aber war zu feige dafür. Er wusste, dass er vollkommen und ganz abhängig von ihr war. Nicht von ihrer Gesellschaft, oder ihrem Essen oder dem Fakt, dass sie ihm zum Schlafen verhalf, sondern von ihr als Person. Es war alles sehr verwirrend und beängstigend für ihn. Chiaki spürte, wie sie mit ihren Fingern über seinen Nacken kraulte. Das Gefühl ihrer Finger in seinen Haaren sowie die Tatsache sie einfach bei sich zu haben, war das beste Gefühl auf der Welt. Während sein Mädchen angekuschelt neben ihn lag, beschloss er, dass er sich einfach von ihr leiten ließ. Wenn sie schlafen gehen wollte, würde er mit Freude ihrem Wunsch nachgehen und jede einzelne Minute davon genießen. Und wenn sie ihn besinnungslos küssen wollte, dann würde er sie im selben Maße zurückküssen. „Chiaki?“ Ihre raue Stimme riss ihn aus den Gedanken. Sie klang wie als hätte sie die letzten neun Tage geweint. Die Vorstellung brach ihm das Herz. „Hmm.“ „Deine Zeichnungen sind wunderschön“, wisperte sie. Naja, nicht wirklich..., dachte er sich kritisch und verzog eine leichte Grimasse. „Du bist sehr talentiert“, hörte er Maron abschließend sagen. Er musste etwas kichern, denn seiner Meinung nach, war er es nicht. Nichtsdestotrotz war er froh darüber sie das sagen zu hören. „Danke“, verdrehte er schmunzelnd seine Augen. Sie seufzte gegen seine Brust. „Willst du es wiederhaben?“, fragte sie. Er schüttelte nur mit dem Kopf. Er wollte, dass sie das Buch behielt. Nach einigen Momenten rang er mit sich selbst sie loszulassen. Denn leider wartete das echte Leben auf sie. Widerwillig rollte Chiaki sich von ihr weg. Sie blickte ihn mit zusammengezogenen Brauen und leichtem Schmollmund an. „Ich muss in die Schule“, sagte er. „Jetzt noch?“ Er nickte seufzend. „Gut, dass ich keine habe“, kicherte Maron leicht grinsend. Er fuhr sich augenrollend durch die Haare. „Dein Vater wird garantiert ausflippen, wenn du nicht bald nach Hause kommst.“ „Keine Sorge, ich habe das perfekte Alibi“, kicherte sie erneut. Schwer seufzend rollte sie sich aus dem Bett und ging Richtung Bad. Chiaki beobachtete sie dabei. Ihre Haare waren total wirr und standen in alle Richtungen ab. Süß, dachte er sich lächelnd. Er hoffte, dass sie im Bad ihre rote Zahnbürste bemerkte, die immer noch da war und im Zahnbürstenhalter neben seiner hing. Es gab so viele Dinge, die Chiaki ihr sagen wollte. Aber er wusste, dass er noch etwas mehr Schlaf brauchte, um anschließend klar denken und seine Gedanken ordnen zu können. Ebenso musste er auch dieses Gefühlschaos in den Griff bekommen. Wie sonst auch kam Maron nach exakt fünfzehn Minuten wieder raus und ging zu ihrem Rucksack auf dem Sofa. „Ach ja.“ Chiaki stand vom Bett auf und ging zu seinem Schreibtisch. Im nächsten Moment hielt er ihr seine Mitschriften und Hausaufgaben der letzten Schultage entgegen. „Hier“, sagte er sanft. Maron blickte belustigt auf die Unterlagen herunter, nahm sie dankend an und packte sie ein. Anschließend blickte zu ihm auf. Er neigte etwas den Kopf und lächelte sie schief an. Dieses spezielle Lächeln hatte er noch nie bei ihr angewendet und er wusste auch nicht wieso er es tat, aber ihr Gesicht und ihre Augen begannen aufzuleuchten. Sie lächelte mit einem riesigen Lächeln und rosagefärbten Wangen zurück, wodurch er sich schwor, dieses Lächeln öfters anzuwenden. Er kicherte amüsiert, denn sie wurde immer so schnell und einfach rot. Was gleichzeitig auch süß war. Grinsend rollte sie mit den Augen und ging anschließend zur Balkontür raus. TWENTY-ONE ---------- TWENTY-ONE   Dieses Lächeln. Dieses wunderbare, schiefe, charmante, sexy und zugleich verführerische Lächeln!  Noch nie hatte er sie so angelächelt. Maron kannte dieses Lächeln, hatte es nur zu zwei Anlässen gesehen. Einmal, damit Frau Pakkyaramao ihn für fehlende Hausaufgaben davonkommen ließ. Und ein anderes Mal, um in der Cafeteria kostenlosen Pudding von der Essensfrau zu bekommen. Dieses Lächeln war Chiaki’s Geheimwaffe bei Frauen. Er schien sich auch dessen Wirkung bewusst zu sein. Nun hatte er ihr dieses Lächeln geschenkt und … Gott, Maron konnte nahezu spüren wie ihre Knochen wegschmolzen. Ihr Herz klopfte direkt zwei Takte höher. Sie wusste nicht, ob es an dem Kuss oder an den neun Tagen ohne sie lag, aber etwas hatte sich in der Art und Weise wie Chiaki sie ansah verändert. In einer sehr, sehr guten Art und Weise.   Gut gelaunt und mit Schmetterlingen, nicht nur im Bauch, sondern auch in ihrem ganzen Körper, kam Maron nach Hause. Leise trat sie ins Haus ein, blickte sich vorsichtig um. Niemand da. Waren entweder arbeiten oder in der Schule. Erleichtert atmete sie aus, ging Duschen und machte sich Frühstück. Danach beschloss sie wirklich für ein paar Stunden in die Bibliothek zu gehen, um den versäumten Schulstoff nachzuholen. Als Maron am Nachmittag wiederkam, waren Miyako und Sakura schon da, saßen zusammen im Wohnzimmer vor dem Fernseher, lachten und unterhielten sich ausgelassen über das Fernsehprogramm. Als sie ins Wohnzimmer kam, blickten die beiden sich zu ihr um und lächelten erfreut. Maron’s Laune hatte sich im Vergleich zu gestern auf 180 gewendet, dank Chiaki und das sah man ihr auch an. Sie grinste beide an und ließ sich zwischen ihnen aufs Sofa fallen, unterhielt sich für eine Weile mit ihnen. Sakura strich Maron fürsorglich über das Knie, ehe sie aufstand und die Mädels im Wohnzimmer schließlich allein ließ. Die Braunhaarige zog sich die Hausschuhe aus und wandte sich im Schneidersitz Miyako zu. Sie hatte ihre Mädchengespräche mit ihr vermisst, weshalb sie direkt ihren inneren Teenager rausließ. „Alsooo, Miyako“, sagte sie bewusst langgezogen und setzte ein gespielt ernstes Gesicht auf. Ihre Stimme war immer noch etwas rau, aber fast wieder normal. „Hmm?“ Miyako zog eine Braue hoch. „Wie läuft’s so mit Yamato?“, fragte Maron mit einem angehauchten Grinsen. Sie musste unbedingt wissen, wie es um die beiden stand. Ein riesiges Lächeln breitete sich auf Miyako’s Gesicht aus. Sie rückte kichernd etwas näher zu ihr ran und setzte sich ebenfalls in Schneidersitz hin. „Er. Ist. Unglaublich“, schwärmte Miyako, betonte jedes einzelne Wort und seufzte verliebt. „Wir haben die ganze Woche zusammen verbracht. Er hatte mich letzten Freitag sogar zum Essen eingeladen“, kicherte sie. Maron kicherte mit, freute sich für sie und war froh darum, dass es endlich zwischen den beiden funktioniert hatte. „Und seine Küsse...“ Miyako grinste verträumt. Dann blickte sie sich um, lehnte sich etwas zu Maron nach vorne und flüsterte mit hervorgehaltener Hand: „Aber nichts geht über den Sex.“ Sie grinste schelmisch. Warte, was?! Maron sah sie zunächst mit einem irritierten Blick an, ehe sie verstand. Ihr Mund fiel ihr auf und die Augen waren weit aufgerissen. Ungläubig und geschockt blickte sie drein. Die beiden waren noch keine zwei Wochen zusammen und schon war Miyako keine Jungfrau mehr. Aber irgendwie sollte das Maron nicht wundern. Miyako kicherte und verdrehte ihre Augen. „Ach, komm, Maron!“, schlug sie ihr verspielt aufs Knie, „Schau mich nicht so schockiert an!“, lachte sie. Maron erholte sich von ihren minimalen Schock und stimmte in ihr Lachen mit ein. „Oh, okayyy, wow!“, brachte sie nach einigen Momenten nur zustande. „Oh jaaaa... es war wow“, kicherte Miyako unkontrolliert. Maron hielt ihr stoppend eine Hand in die Höhe, wollte keine Details hören. Stattdessen unterhielten die beiden sich über den neusten Klatsch und Tratsch der Schule, den die Braunhaarige verpasst hatte, lachten viel darüber. Sie liebte es so unbeschwert mit Miyako Lachen und sich wie normales Mädchen fühlen zu können.   Am Abend übernahm sie wieder das Kochen. Heute gab es Kartoffelgratin. Chiaki’s Lieblingsessen. Während sie das Essen zubereitete, dachte Maron über ihre Situation mit Chiaki nach. Sie fragte sich, ob sie mit ihrem ursprünglichen Plan -ihm in kleinen Schritten zeigen, dass sie ihn mag- weiter voranschreiten soll. Sie vermutete, dass jetzt wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt war, um es zu versuchen - in Anbetracht dessen, dass er sie auf einer anderen Weise ansah. Und auf einer anderen Weise anlächelte. Außerdem hatte sie vor ihrer Abreise heftig miteinander rumgemacht... Darüber hinaus gab es noch das Skizzenbuch, was zur Hälfte mit Zeichnungen von ihr gefüllt war. Ein kleines bisschen Flirten wäre da bestimmt nicht verkehrt. Hoffte sie. Mit den Gedanken stand Maron nach dem Abendessen (und nachdem alle ins Bett gegangen waren) vor dem Badezimmerspiegel und machte sich die Haare. Sie wusste, dass Chiaki die Wellen und die Locken mochte, hatte schließlich auch die letzten vier Seiten seines Skizzenbuches ihren Haaren gewidmet. Aber sie tat es nicht nur für ihn, sondern auch für sich. Sie hatte Osaka und den Gerichtsprozess hinter sich, eine große Last war weg und irgendwie fühlte sie sich seitdem in ihrer eigenen Haut um einiges wohler. Von daher wollte sie sich nicht nur für ihn, sondern auch für sich selbst hübsch machen. Nach einer halben Stunde war Maron fertig und betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Danach packte sie ihren Rucksack ein und ging zu Chiaki rüber. Die Nacht blieb zum Glück trocken. Sie überquerte mit schnellen Schritten die Hinterhöfe und kletterte problemlos das Pflanzengitter hoch. Sie war froh, dass er sie gestern getragen hatte, sonst hätte das wirklich böse womöglich geendet. Nachdem sie sich sicher auf seinen Balkon manövriert hat, klopfte Maron an der Balkontür. Keine drei Sekunden später öffnete Chiaki ihr die Tür. Als er sie sah, die Haare wehten im kalten Wind, bekam er einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. Positiv merkwürdig, erhoffte sie sich. Sie war sich nicht ganz sicher was dieser Gesichtsausdruck bedeutete. Nichtsdestotrotz ging Maron an ihm vorbei, trat in sein Zimmer ein und packte wie gewohnt sein Essen auf dem Bett aus. „Du hast bestimmt Hunger, oder?“, sagte sie leicht kichernd. Sekunden vergingen, in der er ihr nicht antwortete oder sich -wie sonst auch- aufs Bett hinsetzte. Maron drehte sich um, nachdem sie ihren Rucksack entleert hatte. Zu ihrer Überraschung stand Chiaki direkt hinter ihr, starrte sie weiterhin mit diesem blanken Ausdruck im Gesicht an. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, fragte im Stillen was los war. Doch anstatt auf ihre stumme Frage zu antworten, hob er eine Hand und steckte ihre eine wellige Strähne hinter das Ohr. Maron spürte, wie ihr Gesicht warm wurde und ihre Wangen erröteten. Langsam ließ Chiaki seine Hand sinken, wandte seinen Blick von ihren Haaren ab und ließ sich anschließend aufs Bett nieder. Er öffnete die Essensbox und Maron beobachtete, wie seine Augen groß wurden. Sie musste leise auflachen. Er wandte seinen Kopf in ihre Richtung, sie stand immer noch neben dem Bett und dieses schiefe Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Ihre Atmung setzte fast aus und die Beine wurden weich, als er ihr am Morgen dieses Lächeln geschenkt hatte und ihr Gesicht wurde noch heißer. Völlig verlegen drehte sie sich weg und steuerte auf sein Ledersofa zu. Sein Handy lag auf dem Schreibtisch daneben. Sie nahm es in die Hand, schaltete seine Playlist an und verband es mit dem Lautsprecher. Plumpsend ließ Maron sich aufs Sofa fallen, ihre Locken sprangen auf und ab. Sie bemerkte, wie sein Blick wieder auf ihre Haare geheftet war. Sie musste darüber schmunzeln. „Wie war dein Tag?“, fragte sie. Kauend zuckte Chiaki mit den Schultern. „Ziemlich langweilig. Deiner?“ Auch sie zuckte mit den Schultern. „Hab mit Miyako den ganzen Nachmittag gequatscht und geredet…“, kicherte sie. „Musste schließlich wissen, wie es mit ihr und Yamato aussieht.“ Er schnaubte spöttisch. „Die beiden sind so ekelhaft. Kleben förmlich aneinander.“ Maron kicherte amüsiert auf, konnte sich das ganz gut vorstellen. Sie verzog eine leichte Grimasse als sie an Miyako’s heutigem Geständnis zurückdachte. Sie schüttelte unmerklich den Kopf, strich sich eine lockige Strähne aus dem Gesicht. „Nun…“, setzte sie an, um ihre Gedanken von Miyako’s Sexleben abzulenken. „Was machst du so in den Weihnachtsferien?“, fragte sie in einem legeren Ton. Chiaki nahm gerade einen weiteren Bissen von seinem Gratin, überlegte kurz mit zusammengezogenen Augenbrauen und zuckte anschließend mit den Schultern. „Du?“, fragte er zurück, nachdem er schluckte. „Ehm, Miyako würde mit mir vor Weihnachten wahrscheinlich Geschenke Shoppen gehen wollen. Ansonsten war soweit nichts geplant“, antwortete sie, schaute kurz auf ihren Schoß herunter. Im nächsten Moment sah Maron wieder auf, blickte ihn durch ihre Wimpern an und blinzelte ein bisschen. Sie kam sich lächerlich vor, dass sie Miyako’s sogenannten Augentechniken versuchte anzuwenden. Sie sah, wie seine Augen etwas größer wurden. Mit hochrotem Gesicht blickte sie verunsichert wieder auf ihren Schoß herunter. Die Angst überkam sie, dass es vielleicht doch noch zu früh und zu offensichtlich war für die Augentechniken und den Haaren. „Wir sollten was unternehmen“, kam es plötzlich von Chiaki in einem ruhigen Ton. Überrascht schnellte ihr Kopf wieder hoch. Er blickte konzentriert auf sein Essen herunter, stocherte mit der Gabel in die Kartoffeln, erwiderte nicht ihren Blickkontakt. Sprachlos starrte Maron ihn an. Sie fasste sich nach einigen Augenblicken wieder, dennoch klopfte ihr Herz um einige Takte schneller. „Was denn?“, fragte sie, versuchte nicht hoffnungsvoll zu klingen. Er zog seine Augenbrauen zusammen, legte den Kopf etwas schief, den Blick immer noch nach unten gerichtet. „Keine Ahnung…“, murmelte er, hielt für einen Moment inne und stieß einen leisen Seufzer aus. „Vielleicht könntest du mit mir nach Inaba fahren.“ Er hielt ein Kartoffelstück mit der Gabel hoch. „Mir helfen die Büchersammlung aufzupolieren. Dort gibt es einen sehr guten Laden“, sprach er in einem beiläufigen Ton und steckte sich achselzuckend das Kartoffelstück in den Mund, erwiderte nach wie vor nicht ihren Blickkontakt. Maron starrte ihn immer noch völlig verblüfft an. Chiaki und sie hatten sich noch nie zusammen in der Öffentlichkeit sehen lassen, hatten nur einmal bei Tageslicht hinter der Schule vor ein paar Wochen miteinander geredet (nach dem Händeschüttelvorfall) und ganz kurz im Unterricht, wenn sie ab und an zusammenarbeiten mussten. „J-Ja“, platzte es aus ihr schnell heraus, das Gesicht rot bis über beide Ohren. „Gerne.“ Sie fuhr sich einige Male durch die welligen Haare, versuchte nicht allzu glücklich zu wirken, wie sie eigentlich war. Sie kam sich wie Miyako vor, die immer versucht hatte cool und gleichgültig gegenüber Yamato zu erscheinen. Innerlich rollte sie mit den Augen. Ihre kurzhaarige Freundin hatte wirklich zu stark auf sie abgefärbt. Nach einigen Momenten der Stille schaute Maron durch ihre Wimpern wieder zu Chiaki auf und sah, wie er sie mit einem eindringlichen Blick anstarrte. Als ihre Augen auf seine trafen, schluckte er schwer und nickte zustimmend, fokussierte sich anschließend wieder auf seine Gratinbox. Es wurde wieder ruhig zwischen ihnen, nur die Musik war zu hören. Während Chiaki sein Essen durch und durch genoss, ließ sich Maron die letzten Minuten nochmal durch den Kopf gehen, dachte über diese neusten Entwicklungen nach und fragte sich, was sie genau zu bedeuten hatten. Sie versuchte wirklich nicht zu viel in ihnen hinein zu interpretieren oder sich Hoffnungen zu machen. Nur ohne Erfolg. Sie biss sich auf die Lippen, um ihr erfreutes Lächeln zu kaschieren. *** Diese verdammten glänzenden Locken. Sie wusste, wie sehr Chiaki diese Locken mochte. Schließlich waren vier Seiten des Skizzenbuches mit ihnen gefüllt. Es wäre unmöglich, wenn sie sich nichts dabei gedacht hätte. Jetzt saß Maron da, die Haare geschmeidig glänzend, die Locken sprangen sachte auf und ab. Was letztlich nur eines bedeuten konnte: Sein Mädchen versuchte sich für ihn hübsch zu machen. Es war so offensichtlich. Und die Röte in ihren Wangen bestätigte es. Beim leckeren Gratin hätte man noch behaupten können, dass sie ihm aus Gewohnheit einfach was zu essen mitbringen wollte, sein Lieblingsessen heute zufälligerweise zubereitet hatte und wusste, dass er Hunger hatte. Aber bei den Haaren konnte Chiaki es sich nicht anders erklären. Und nicht nur hatte Maron sich für ihn hübsch gemacht... Sie blickte durch ihre dichten, langen Wimpern zu ihm auf und blinzelte mit einem kleinen Lächeln. In dem Moment kam ihm schließlich der Geistesblitz. Sie flirtete. Sie versuchte mit ihm zu flirten. Und Chiaki begann zu realisieren, dass dies nicht das erste Mal war. Schon als sie das erste Mal ihre Haare gemacht hatte, schien sie mit ihn flirten zu wollen. Was bedeuten würde, dass sie ihn in der Nacht, bevor sie nach Osaka ging, nicht zur Ablenkung geküsst hatte. Sie tat es seinetwegen. Während Chiaki sein Gratin aß, fragte er sich, wie lang genau Maron wohl schon so für ihn empfand und wie oft er es schon bei ihr verkackt hatte, weil er es nie realisiert hatte. Eventuell konnte er es bis zu der Party zurückverfolgen, wo sie ihn über die blonde Tusse ausgefragt hatte und wissen wollte, ob er sie hübsch fand. Damals hatte er ihre Fragerei nicht verstanden, aber jetzt ergaben sie Sinn. Je mehr er darüber nachdachte, dann machte auch die Situation mit Yashiro Sinn. Sie musste sich mit anhören, wie er es mit Yashiro getrieben hatte. Sie war eifersüchtig. Selbst der erste Kuss machte nun noch mehr Sinn. Die Art und Weise wie er sich regelrecht von ihr dazu breitschlagen ließ. Er dachte noch weiter zurück, als er damals draußen bei den Picknickbänken zum ersten Mal mit ihr über Yashiro sprach und dieses Fünkchen Eifersucht in ihren Augen aufblitzte. Die Anzeichen waren alle da gewesen! Klein und dennoch irgendwie offensichtlich. Und je mehr Chiaki darüber nachdachte, umso dümmer und idiotischer kam er sich vor, das alles nicht vorher gesehen zu haben. Bei dieser Erleuchtung hätte er sich fast an einem Kartoffelstück verschluckt. Sie hatte sich nie groß Mühe gegeben es vor ihm zu verbergen. Während er hingegen damit beschäftigt war sich und seine Hormone unter Kontrolle zu behalten und es daher nie realisiert hatte. Aus dem Grund erkannte Chiaki, dass er auch aktiver werden sollte. Auch wenn er beschlossen hatte sich von seinem Mädchen leiten zu lassen. Sie hatte so viele kleine Anzeichen von sich gegeben, da wollte er zum Ausgleich mit etwas Größerem ankommen. Er kam sich vor, als würde er das alles verkehrt herum angehen. Sie schliefen schon jede Nacht im selben Bett zusammen. Sie haben sich schon geküsst und heftig miteinander rumgemacht. Und gerade eben hatte er praktisch versucht sie zu einem Date einzuladen, kam sich wie ein nervöser Vollidiot vor als er nach den richtigen Worten suchte und sie aussprach. Obwohl – theoretisch hatte er sie nur gefragt, ob sie ihn begleiten würde, was eigentlich kein Date wäre. Ein Quasi-Nicht-Date. Er seufzte innerlich. Das Ganze als verwirrend zu beschrieben wäre die Untertreibungen des Jahrhunderts. Denn da war noch das Dilemma gewesen, wo er mit ihr hingehen könnte. Momokuri war zwar groß, aber trotzdem gab es genug Leute, die Chiaki kannte und die ihn kannten und wenn man ihn mit Maron erwischen würde, würde die Sache innerhalb der Stadt schnell seine Runden drehen. Auf keinen Fall wäre er bereit für diesen Quatsch. Er war auch vollkommen überzeugt davon, dass Miyako und Maron’s Vater ihn kastrieren würden, sollten sie Wind davon bekommen. Er bezweifelte, dass weder Yamato noch Sakura sie davon abhalten konnten. Weshalb Inaba für ihn die einzig beste Lösung war. Eine Stadt, welche nur knapp eine Stunde mit dem Auto von Momokuri entfernt ist. Dort brauchten die beiden sich keine Gedanken darüber zu machen, dass sie jemanden begegnen würden, den sie kannten. Und das mit dem Buchladen war nicht gelogen. Chiaki kannte dort wirklich einen Laden, wo er gerne für seine Sammlung einkaufte. Außerdem liebte sein Mädchen Bücher. Er selbst würde wahrscheinlich den Tag damit verbringen sie und ihre Locken anzustarren. Etwas sagte ihm, dass sie sich die Haare definitiv machen wird.   Nachdem Chiaki mit essen fertig war, legte er die Box beiseite und spähte zu Maron hinüber. „Danke fürs Essen. Es war sehr lecker.“ Sie sah auf und lächelte verlegen, die Wangen gerötet. Er schenkte ihr daraufhin wieder sein schiefes Lächeln. Das Lächeln, den er ihr heute Morgen und vorhin geschenkt hatte und bei dem er wusste, dass sie es mochte. Und wie er die letzten beiden Male beobachten konnte, leuchteten ihre Augen beim Anblick des Lächelns auf und ihre Wangen wurden noch roter. Die roten Wangen machen für ihn jetzt auch mehr Sinn. Gähnend hielt Chiaki sich im nächsten Moment die Hand vor dem Mund. Eigentlich wollte er sein Mädchen mit ihren Locken zeichnen und mit ihr noch etwas mehr reden, aber er war hundemüde, musste noch etwas an Schlaf nachholen. „Müde?“, fragte er. Maron erwiderte seinen Blickkontakt und nickte bejahend, die Locken wippten dabei auf und ab. Für einen Augenblick konnte er seinen Blick nicht von ihr und ihren Haaren abwenden. Er konnte es kaum erwarten seine Hände durch ihnen gleiten zu lassen. Sie machte die Musik aus und stand mit ihrer Tasche in der Hand vom Sofa auf. Sie ging ins Bad und er konnte nicht aufhören ihr hinterher zu starren, schaute den Locken dabei zu, wie sie mit jedem Schritt auf und ab sprangen. Sie war so wunderschön. Während Maron im Bad war, fragte Chiaki sich wann wohl ein guter Zeitpunkt war, um ihr das zu sagen. Wie wunderschön er sie fand. Im Grunde genommen war sie ein Mädchen und er nahm mal stark an, dass Mädchen es mochten sowas hin und wieder mal zu hören. Das wäre zumindest nicht verkehrt. Und wenn er seiner Intuition vertraute, dann kann er mit Sicherheit auch sagen, dass sie es lieben würde sowas zu hören... insbesondere von ihm. Zehn Minuten später, war sein Mädchen in ihren Pyjama gekleidet in sein Zimmer zurückgekehrt, die braunen Locken stachen im Kontrast zum weißen Schlafshirt stark hervor. Während sie aufs Bett zuging, stand er auf, um sich im Ankleidezimmer umzuziehen und sich im Bad bettfertig zu machen. Er putzte sich die Zähne, schaute derweil auf die kleine, rote Zahnbürste herunter und fragte sich, ob die auch ein Anzeichen war. Übertreib nicht. Das ist nur eine Zahnbürste, sprach er in Gedanken augenrollend zu sich selbst. Jetzt fing er noch an Zahnbürsten zu interpretieren.   Wenige Minuten später kam Chiaki wieder raus und blickte zu Maron hinüber, die auf dem Bett auf ihn wartete. Tief nahm er Luft, schlüpfte auf seiner Bettseite unter die Decke und machte schnell das Licht aus. Es juckte ihm schon förmlich in den Fingern ihre Haare endlich in die Hände zu bekommen. Kaum waren sie in der Dunkelheit eingehüllt, rutschte er zu seinem Mädchen rüber und nahm sie in seine Arme. Seine Hände verfingen sich direkt in den weichen Haaren und er vergrub sein Gesicht in ihnen, ehe Maron ihren Kopf voll und ganz an seine Brust anschmiegen konnte. Sie duftete so gut. Zufrieden seufzte er aus und drückte sie noch etwas enger an sich. Er wusste, dass ihr das gefiel. Chiaki spürte, wie sie tief einatmete und ihre dünnen Finger durch seine Haare strich. Die Müdigkeit war drauf und dran ihn zu übermannen, jedoch er wollte diesen Moment noch für eine Weile länger hinauszögern. Er nahm einen Arm von ihrer Taille und strich ihr sanft ein paar Locken aus dem Gesicht. Er konnte spüren, wie sie gegen seine Brust lächelte und sich enger an ihn rankuschelte, was auch ihm ein Lächeln bereitete. Er wollte seinen Arm wieder um ihre Taille zurücklegen, beschloss allerdings stattdessen seine Hand auf ihr Gesicht zu legen und sachte mit dem Daumen über ihre weiche Haut zu streichen. Gerade war dieser Moment einfach nur perfekt. „Du bist so wunderschön“, seufzte er leise. Ihre Finger in seinen Haaren stoppten. Langsam schaute Maron zu ihm auf, strich ihm sachte ein paar Strähnen aus dem Gesicht, um ihm in die Augen zu sehen. Chiaki lehnte seinen Kopf etwas zurück, sodass er ihren Blickkontakt erwidern konnte. Ihre Blicke trafen sich und es war fast als könnten sie sich auch ohne Worte verständigen. Es erinnerte ihn an diese stillen, wortlosen Konversationen, die er mit Yamato manchmal hatte. Ihre großen, braunen Augen blickten direkt in seine. Und ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Sie schien wirklich glücklich darüber zu sein, dass er so dachte, konnte wahrscheinlich selbst nicht daran glauben. Chiaki strich ihr mit dem Daumen weiterhin über die Wange, versuchte ihr mit seinen Augen zu sagen, dass er es ehrlich meinte und wie unsicher ihn das gleichzeitig machte. Das war im Ganzen nämlich das große Problem. Er war unsicher und verwirrt. Er musste sie das irgendwie verstehen lassen. Er hasste es, dass er nicht besser für sie sein konnte. Seufzend schloss Chiaki seine Augen, hörte dabei nicht auf mit dem Daumen über ihre Wange zu streichen. „Ich fühl mich so…ratlos und verloren“, wisperte er. Es war wirklich so. Er fühlte sich in dem Chaos in seinem Inneren verloren. Er spürte, wie Maron ihre Hand von seinen Haaren nahm und sie ihm auf die Wange legte. Ähnlich wie er ihre umfasst hatte. Langsam öffnete er seine Augen, nahm den Blickkontakt wieder mit ihr auf. Sorge war in ihren Augen zu sehen. Sorge um ihn. Zu seiner Überraschung schenkte sie ihm nach einigen langen Sekunden ein sanftes Lächeln. „Ist schon okay“, flüsterte Maron zurück, streichelte ihm über die Wange, wie er es bei ihr tat. Er hoffentlich wirklich, dass es das war. Er wollte, dass es okay war. Um ihrer beiden willen. Dennoch musste er sich erklären, damit sie irgendwie Bescheid wusste. „Ich bin gut darin gute Dinge kaputt zu machen“, wisperte er, versuchte sie verstehen zu lassen, dass genau das am Ende womöglich passieren könnte. Gleichzeitig versuchte er ihr mit allem was er hatte zu zeigen, dass genau das ihm furchtbare Angst bereitete. Seufzend schloss Chiaki seinen Augen und schüttelte leicht den Kopf. „Aber ich will es wirklich versuchen…“, sagte er, hielt kurz inne, streichelte mit etwas mehr Druck über ihre Wange. „...Wenn du mich lässt“, vollendete er. Sanft strich sie in einem regelmäßigen Rhythmus mit ihrem Daumen über seine Wange, was ihn beruhigte. Er öffnete seine Augen wieder und sah, wie sie ihn gefühlvoll anlächelte. Sie schien ihn zu verstehen. Und sie wollte, dass er es versuchte. Tief atmete er aus und nickte. Ihr Lächeln wurde breiter, ihre Hand rutschte etwas runter und ihr Daumen fuhr sachte über seine Unterlippe. Er drückte ihr einen sanften Kuss darauf. Sie ließ einen tiefen Seufzer aus. „Was genau bedeutet das jetzt?“, fragte sie leise. Er zuckte mit den Schultern, wusste auf ihre Frage keine Antwort. „Wir warten ab und werden sehen“, sagte er und seufzte, „Gehen das langsam an. Versuchen es nicht zu überstürzen…“ Kurz stoppte er, schüttelte leicht seinen Kopf auf den Kissen. „Lassen wir es einfach auf uns zukommen“, vollendete er mit einem Schulterzucken. Eine bessere Antwort auf ihrer Frage hatte er nicht. Sie nickte verstehend und fuhr mit ihrem Daumen nochmal über seine Lippe, wanderte mit ihren Augen zu ihnen herab. Er konnte erkennen, dass sie ihn küssen wollte. Er war sich nicht sicher, ob er sollte…aber er wollte sie auch küssen. Weshalb er sich nach vorne lehnte, sah wie ihre Augen zu flatterten und sie ganz sanft küsste. Es fühlte sich richtig an. Mit einem Seufzen zog sie sein Gesicht an sich ran. Heiß und warm bewegten sich ihre Lippen aufeinander. Doch bevor sie es wie beim letzten Mal zu weit trieben, zog er sich zurück. Stattdessen drückte Chiaki ihr noch einen sanften Kuss auf die Stirn. Um ihr zu zeigen, dass es ihm nicht nur um Lust und Verlangen ging. Für den Fall, dass Maron es noch nicht wusste. Mit einem Seufzen sowie einem kleinen Lächeln lehnte sie ihren Kopf an seine Brust an. Er vergrub sein Gesicht wieder in ihre Haare, entfernte seine Hand von ihrer Wange und strich ihr behutsam mit seinen Fingern über die welligen Strähnen. Innerlich betete er darum, dass er das alles nicht vermasselte, ehe er kurze Zeit später einschlief.       -------------------------------------------- Ja, ich weiß… Habt ein bisschen Geduld mit dem Jungen :‘) Wünsche allen ein schönes Wochenende! TWENTY-TWO ---------- TWENTY-TWO   Letzte Nacht gehörte wahrscheinlich zu den besten Nächten ihres Lebens. Chiaki hatte ihr gesagt, dass sie wunderschön war. Und als ob das nicht schon das beste gewesen war, sagte er ihr noch, dass er es versuchen wollte. Er hatte zwar nicht explizit gesagt, was genau er versuchen wollte, aber Maron verstand. Er versuchte auf der Weise mit ihr zusammen zu sein, so wie sie es sich schon seit langem wünschte. Und dann hatte er sie geküsst… nicht aus Mitleid oder weil sie ihn dazu gezwungen hat, sondern weil er es wollte. Sie konnte spüren, dass er verunsichert war und Angst hatte. Für ihn war das alles genauso fremd und ungewohnt, wie für sie. Vielleicht sogar um einiges befremdlicher als für sie. Maron wollte ihm sagen, dass es nichts gab was er tun könnte, was sie dazu bringen würde sich von ihm abzuwenden. Aber wenn sie ehrlich mit sich war, so hatte auch sie Angst. Angst darüber, dass all ihre Aufregung und Freude ihn zu sehr unter Druck setzen und abschrecken würde. So sehr sie es sich auch wünschte, Chiaki als ihren Freund bezeichnen zu können, so wusste sie, dass sie sich gedulden musste. Sie würde genau das tun, worum er sie bat: nichts überstürzen und es einfach auf sich zukommen zu lassen.   Der Wecker war wieder an und klingelte um exakt halb sechs. Die Luft fühlte sich kalt an, außerhalb der Bettdecke. Maron konnte Chiaki’s warmen Atem auf ihrem Kopf spüren, als sie aufwachte. Sie lächelte gegen seine Brust und drückte ihn kurz – versuchte ihm damit immer zusagen, dass sie nicht wollte das er losließ. Und anders als sonst früher, kuschelte Chiaki sich für einen Moment an sie ran und gab ihr einen kleinen Kuss auf den Kopf. Anschließend ließ er sie mit einem ermüdeten Stöhnen los. Drehte sich um, um den Wecker auszuschalten. Anders als sonst war Maron nicht enttäuscht darüber, dass er sie losließ. Zum einen, weil sie wusste, dass er in die Schule musste. Und zum anderen, weil sie geduldig bleiben wollte und es auf sich zukommen ließ. Widerwillig stieg sie aus dem warmen Bett aus, lief durch das kalte Zimmer, um ihre Tasche vom Sofa zu holen. Während Maron ins Bad ging, sah sie wie Chiaki sich träge durch die Haare fuhr und allmählich wach wurde. Sie wusch sich das Gesicht und zog sich um. Beim Anblick ihrer wirren Haare verzog sie eine Grimasse. Seufzend kämmte sie mit ihren Fingern kurz durch und zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf. Als sie wieder rauskam, lag Chiaki immer noch verschlafen auf dem Bett. Wie gewohnt packte sie ihre Sachen in den Rucksack ein und legte ihm noch eine Tüte Kekse auf dem Tisch, welche sie gestern vorbereitet hatte. Unauffällig spähte Maron erneut zu Chiaki rüber. Er lag auf dem Rücken, eine Hand durch die Haare fahrend und sah sie mit einem eindringlichen Blick an. Sie konnten diesen Ausdruck in seinen Augen nicht deuten und die Angst überkam sie, dass er sich aus der ganzen Sache zurückziehen würde und sie vielleicht doch nicht so wunderschön fand. Plötzlich nahm Chiaki seine Hand von den Haaren und winkte sie wortlos zu sich rüber. Verwundert näherte Maron sich dem Bett, fragte sich was er wollte. Und wie nah er sie genau haben wollte. Doch selbst als sie neben dem Bett stand, senkte er seine Hand nicht, wodurch sie ein Knie anhob, auf die Matratze stieg und zu ihm rüber krabbelte. Im nächsten Moment setzte Chiaki sich auf, unterbrach ihren Blickkontakt nicht und hob seine Hand, um ihr die Kapuze runterzuziehen. Ihre befreiten Haare fielen ihr wild herunter. Und Maron spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Nachdem die Kapuze weg war, legte er vorsichtig und langsam seine Hand auf ihre Wange. Wie in der gestrigen Nacht strich er ihr sanft mit dem Daumen über die Haut. Für einige Sekunden blickte er ihr tief in die Augen, ehe er sich langsam zu ihr nach vorne beugte. Ihr Atem stockte und ihre Augen fielen automatisch zu, als sie für einen Moment dachte, dass er sie küssen würde. Die Überraschung war groß als sie die federleichte Berührung seiner Lippen auf ihrer Wange spürte. Für einige lange Sekunden verweilten sie darauf und Maron konnte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren sowie das elektrisierende Kribbeln seiner Finger auf der anderen Wange. Er hinterließ einen sanften Kuss auf ihrer Haut, wanderte mit der Nasenspitze anschließend die Konturen ihrer Wangenknochen und ihrer Kieferpartie nach bis er an ihrem Ohr stoppte. „Ich hasse diese verdammten Kapuzen“, flüsterte er ihr ins Ohr. In der nächsten Sekunde ließ Chiaki sie los und legte sich mit geschlossenen Augen wieder hin. Maron hatte nicht gemerkt, wie sie die Luft angehalten hatte und atmete zunächst einmal aus, ehe sie mit hochrotem Kopf vom Bett stieg. Ohne Weiteres nahm sie ihre Sachen und ging durch die Balkontür. Die kalte Dezemberluft kühlte ihre glühenden Wangen etwas ab und sie begab sich verträumt grinsend nach Hause. Leise trat sie durch die Hintertür in die Küche ein und ging wie gewohnt nach oben ins Gästebad, um zu duschen. Sie warf einen Blick in den Spiegel und musste etwas schmunzeln. Ihr Gesicht war immer noch etwas rosarot gefärbt vom Wangenkuss. Sie stieg unter die Dusche und stieß einen kleinen, erfreuten Aufschrei aus, den sie sich seit sieben Stunden verkniff.   Den Tag verbrachte Maron entspannt zu Hause auf dem Wohnzimmersofa und guckte Fern. Als Miyako am Nachmittag nach Hause kam, war sie überrascht auch Shinji zu sehen, der mit einem großen Weihnachtsbaum angeschleppt kam. Da fiel ihr ein, dass zur Weihnachtsdeko im Haus immer noch ein Baum gefehlte. Als er kurz zu ihr rüber schaute, schenkte sie ihm ein freundliches Lächeln und nickte als Hallo in seine Richtung. Shinji erwiderte das Lächeln und nickte zur Begrüßung zurück.  Die nächsten fünfzehn Minuten verbrachte Miyako anschließend damit ihn samt Baum durch das Wohnzimmer rumzuscheuchen, um den perfekten Stehplatz für den Baum zu finden. Belustigt schaute Maron ihnen still vom Sofa aus zu. Anschließend sah sie, wie Miyako sich mit einer halbvollen Kekstüte bei ihm bedankte. Sie benutzte die Kekse für wirklich alles als Geheimwaffe, stellte Maron amüsiert fest. Nachdem der Baum schließlich stand, schmückten und dekorierten die Mädchen ihn zusammen. Den Rest des Abends dachte Maron viel über Chiaki und über das, was er gestern gesagt hatte nach. Ein Teil von ihr konnte es kaum abwarten, wenn sie mal wirklich mehr waren. Nur brauchte es Geduld… *** Nachdem Maron weg war, hatte Chiaki sich für die Schule fertig gemacht. Und während er Yamato abholte und zur Schule fuhr, war er im Kopf ganz woanders. Selbst im Unterricht konnte er sich kaum konzentrieren. Seine Gedankengänge kreisten ununterbrochen um Maron. Alles war so verdammt neu und verwirrend... und er kam sich vor als würde er sich ununterbrochen im Kreis drehen.   Er brauchte dringend jemanden mit dem er sich darüber rauslassen konnte. Und dieser jemand war leider auch der Einzige, der von ihnen und ihrer Situation wusste. Chiaki fuhr sich schwer seufzend mit einer Hand über das Gesicht. Die ganze Zeit hatte er Yamato gesagt, dass nichts zwischen ihm und Maron wäre. Und nun… war mehr. Eigentlich hatte er keine Lust auf das Gespräch, aber er brauchte unbedingt jemand zum Zuhören. Nach einigen Stunden hatte er die letzte Unterrichtseinheit hinter sich und wartete gespannt auf seinen besten Freund. Dieser kam Hand-in-Hand mit Miyako aus dem Schulgebäude und knutschte einige Meter von ihm entfernt mit ihr vor ihrem Auto noch etwas rum. Augenrollend stöhnte Chiaki auf, drehte seinen Kopf in die andere Richtung. Jeden verfluchten Tag dasselbe. Nach einigen Minuten bemerkte er wie Yamato mit einem idiotischen Grinsen endlich auf ihn zukam. „Hey“, sagte der Braunhaarige breit grinsend. Chiaki nickte und die beiden stiegen in sein Auto ein. Während sie aus dem Parkplatz rausfuhren, erzählte Yamato irgendwas davon, dass Miyako mit Shinji einen Weihnachtsbaum kaufen geht. „Hey“, unterbrach Chiaki seinen Redefluss, „Wollen wir bei dir zu Hause etwas abhängen?“ Sein Beifahrer zog für einen Augenblick verwundert die Brauen zusammen und zuckte anschließend mit den Schultern, nickte zustimmend. „Klar.“   Einige Zeit später waren sie bei den Minazuki’s angekommen und Chiaki folgte Yamato in dessen Zimmer. Im Vergleich zu vor ein paar Tagen war es unordentlicher als er das letzte Mal da war. Klamotten und Papiere waren überall auf dem Boden verteilt. Snacks und Chipstüten lagen ebenfalls verstreut rum. „Du könntest hier auch mal aufräumen“, murmelte Chiaki, überquerte mit großen Schritten das Zimmer und ließ sich plumpsend auf den Schreibtischstuhl nieder. Yamato zuckte gleichgültig mit den Schultern und setzte sich auf die Bettkante hin. Er schnappte sich einen Gummiball und schmiss ihn an die gegenüberliegende Wand. Chiaki folgte stumm den Ball mit seinen Augen, wie er immer wieder von der Wand abprallte und zurücksprang. Er wusste nicht, wie er das Gespräch anfangen sollte. „Also“, übernahm Yamato glücklicherweise das Wort, „Worüber willst du reden?“ „Woher weißt du, dass ich reden will?“, fragte Chiaki leicht überrascht. Sein Freund fing den Gummiball auf und blickte ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Bitte... Ich kenn dich nicht erst seit gestern.“ Er rollte mit einem selbstzufriedenen, spöttischen Grinsen die Augen. Chiaki stieß einen tiefen Seufzer aus, streckte seine Hand nach dem Ball aus. Yamato warf ihn ihm zu und er begann ihn immer wieder zur Decke hochzuwerfen. „Es geht um Maron...“, sagte er schließlich. Yamato schnappte sich nickend seine Gitarre neben dem Bett, rutschte etwas nach hinten und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand an. „Du siehst besser aus“, merkte er wie beiläufig an und begann an den Seiten zu zupfen. „Seit sie zurück ist, bekommst du wieder mehr Schlaf, nicht?“ Es war offensichtlich, dass der Blauhaarige seit Maron’s Rückkehr weniger müde aussah. Chiaki nickte einmal, warf den Ball ein paar weitere Male hoch, scheute sich etwas davor die folgenden Worte laut auszusprechen. „Es ist allerdings mehr als nur der Schlaf“, murmelte er, ohne seinen Freund anzusehen. Dieser hörte auf zu zupfen, es wurde still im Raum. Chiaki verzog leicht das Gesicht, riskierte einen Blick auf ihn und sah wie Yamato verwirrt dreinblickte. „Wie?“, fragte er konfus. Seufzend warf Chiaki den Kopf nach hinten, strich sich einige Male frustriert durch die Haare. „Maron und ich sind…mehr“, sprach er langsam und deutlich aus. In den nächsten Sekunden breitete sich der Aha-Moment auf Yamato’s Gesicht aus. Er fing im nächsten Moment an Chiaki schelmisch anzugrinsen, worauf dieser entnervt aufseufzte. „Und ich brauche irgendwie deinen Rat...“ Yamato erlaubte sich es einmal aufzukichern, bevor ein ernstes Gesicht aufsetzte und nickte. Chiaki lehnte sich in den Stuhl zurück, bereute es für einen minimalen Moment dieses Gespräch mit ihn angefangen zu haben. „Also...“, setzte der Braunhaarige an, begann wieder an den Seiten der Gitarre rumzuzupfen, aber alle Aufmerksamkeit war auf seinem Gegenüber gerichtet. „Von wie viel mehr reden wir genau?“, fragte er in einen zweideutigen Ton, eine Augenbraue hochgezogen. Chiaki wusste sofort auf was er hinauswollte und musste ihm unbedingt den Wind aus den Segeln nehmen. „Ich f*ck sie nicht“, verdrehte er die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Yamato zog kurz die Brauen zusammen und nickte. „Okayyy“, entgegnete er und musterte ihn skeptisch, „Also... was nun? Ist sie deine Freundin oder ähnliches?“ Chiaki verzog bei dem Wort das Gesicht, denn er wusste wirklich nicht, ob sie sich als Freund und Freundin bezeichnen konnten. „Wir haben noch keine Bezeichnung dafür“, antwortete er, die Augenbrauen kritisch zusammengezogen. „Ich denke, wir akzeptieren, dass da...“ Er hielt inne, versuchte nach den richtigen Worten zu suchen, um das Ganze passenderweise zu erklären, beließ es letztlich jedoch bei einfachen Ausdrücken. „...mehr ist.“ Yamato sah ihn nach wie vor noch verwirrt an. „Also... du f*ckst sie nicht und sie ist nicht deine Freundin?“, fragte er, als würde er eine Matheaufgabe nicht verstehen. Chiaki nickte. Beides Fakten, die wahr waren. Yamato nickte, schürzte grübelnd die Lippen. „Also…was genau bedeutet ‚mehr‘ denn?“ Chiaki seufzte und fuhr sich wieder durch die Haare. „Nun, wir mögen einander mehr als freundschaftlich.“ Dem war er sich soweit sicher. Dass sie beide nicht mehr nur Freunde waren. „Und wir werden es einfach auf uns zukommen lassen“, wiederholte er achselzuckend seine Worte von letzter Nacht. Yamato schaute ihn fragend an. „Und was zum Teufel genau bedeutet das?“, fragte er, verstand immer noch nicht ganz. Chiaki schnaubte und begann den Gummiball wieder zur Decke hochzuwerfen. „Das bedeutet, wir machen einfach das, was sich irgendwie richtig anfühlt“, antwortete er und warf den Ball wieder hoch, „Wenn küssen sich richtig anfühlt, dann tun wir es.“ Er fing den Ball auf und sprach weiter: „Wenn miteinander ausgehen sich richtig anfühlt, dann machen wir es.“ Er zuckte ratlos mit der Schulter, wusste keine bessere Erklärung für alles und hatte auch keinen besseren Plan, wie er weiter vorgehen soll. „Und wenn es sich richtig anfühlt, sie als meine Freundin zu bezeichnen…dann ist sie meine Freundin.“ Yamato hatte komplett aufgehört an der Gitarre zu spielen und verzog kopfschüttelnd eine Grimasse. „Alter, wieso hört sich das so verdammt verwirrend und kompliziert an?“ „Weil es einfach verwirrend und kompliziert ist.“ Chiaki seufzte schwer aus als er Yamato’s verständnislosen Blick sah. „Schau… wir brauchen einander zum Schlafen. Und wenn ich alles komplett abfucke und sie nichts mehr mit mir zu tun haben will, sind wir beide aufgeschmissen…und müde. Außerdem…“ Er richtete sich auf dem Stuhl gerade. „Wenn irgendwer jemals herausfindet, was wir jede Nacht tun, dann wird man uns auseinanderbringen.“ Yamato machte über seinen ernsten Ton ein überraschtes Gesicht. Aber es war wahr. Im allerschlimmsten Fall könnte das passieren. „Und wenn man uns auseinanderbringt, dann würden wir beide weitaus mehr als nur den Schlaf verlieren. Deshalb…“ Chiaki lehnte sich langsam wieder in den Stuhl zurück. „Können wir nicht einfach wie zwei verdammt normale Menschen zusammen sein. Weil wir es nicht sind.“ Eine Pause entstand. „Normal“, stellte er klar. Einige Sekunden verstrichen. „Außerdem würden deine Freundin und Maron’s Vater mich kastrieren.“ Chiaki hoffte, dass der letzte Satz das Gespräch etwas auflockern würde, aber Yamato starrte ihn an als hätte er zwei Köpfe angewachsen bekommen. Augenrollend warf Chiaki den Ball von der einen Hand zur anderen, wartete darauf, dass sein Freund das Gesagte verarbeitet hatte. Es tat gut, sich alles von der Seele zu reden und sich jemanden zu öffnen. Auch wenn dieser jemand ihn nur wortlos angaffte. Nach einigen Minuten hörte er wieder das Zupfen der Gitarre und sah zu Yamato auf, der verstehend nickte. Erleichtert atmete Chiaki aus. „Und was zu all dem Bullshit noch dazu kommt ist“, sprach er seufzend weiter, „Dass ich mich so verdammt verloren fühle. Ich habe keine Ahnung wie ich sie jetzt behandeln soll.“ Yamato sagte nichts, wartete geduldig darauf, dass Chiaki weitersprach. „Wir wollen die Tage zusammen irgendwie ausgehen“, sagte er ihm, bezog sich auf das Quasi-Nicht-Date. Sein Freund zog erstaunt eine Braue hoch. „Ist das nicht riskant?“, fragte er stumm mit den Augen. „Wir fahren nach Inaba“, erklärte Chiaki, beantwortete dessen stumme Frage. „Es ist ein Quasi-Nicht-Date“, fügte er leise murmelnd hinzu. Yamato lachte kurz laut auf, schüttelte amüsiert den Kopf. „Quasi-Nicht-Date“, wiederholte er lautlos, grinste spöttisch und belustig zugleich. Anschließend begann er ein paar Akkorde zu spielen. „Wenn du das morgen machst, dann werde ich Miyako den ganzen Tag beschäftigt halten“, sagte er, stimmte nebenbei die Seiten. Chiaki dachte kurz darüber nach und nickte. Es wäre zwar ziemlich früh -früher als er es sich gedacht hatte- aber er würde die Chance nutzen.   Danach gingen die Jungs noch etwas Essen. Sie sprachen kein Wort mehr über Maron. Chiaki entschloss sich dazu, möglichst normal an die ganze Sache ranzugehen. Oder so normal wie er nur konnte. Yamato fuhr mit ihm nach Hause, wollte Miyako dabei zu Hause besuchen. Chiaki verbrachte einen Großteil des Abends mit Kaiki, um sein dämliches Verhalten der letzten neun Tage gut zu machen. Sein Vater schien sichtlich neugierig über seine plötzlichen Stimmungsschwankungen zu sein, nahm sich aber seine derzeitige, besser Laune zu nutze. Manchmal fand Chiaki es unglaublich, wie ahnungslos ihre Eltern waren, aber war natürlich auch froh drum.    Sein Mädchen kam wie immer pünktlich um zehn an und als er ihr die Tür öffnete, bemerkte er, dass sie weiterhin versuchte hübsch für ihn auszusehen. (Oder tat sie das vielleicht auch für sich?) Ein paar Strähnen ihrer Locken wehten im kalten Wind. Als sie an ihm vorbei ging und in sein Zimmer eintrat, warf sie ihm mit einem schüchternen Lächeln einen langen Seitenblick zu. Normalerweise würde sie ihren Rucksack direkt auspacken, nachdem sie drinnen war. Aber heute stand sie für einen Moment da, nachdem Chiaki die Tür hinter sich geschlossen hatte. Mit einem nervösen, unsicheren Ausdruck in den Augen blickte Maron ihn an. Fragend ging er einen Schritt auf sie zu, neugierig darüber was los war. Er näherte sich ihr noch einen weiteren Schritt und sah, wie ihr Blick zu seinen Lippen runterwanderte. Sofort verstand er was los war. Innerlich musste er grinsen. Manchmal war sie so verdammt leicht zu durchschauen. Mit einem weiteren Schritt überquerte er das letzte bisschen Distanz zwischen ihnen und ließ eine Hand in ihre Haare gleiten, legte sie ihr um den Nacken. Er nahm ihren Kopf etwas hoch, beobachtete wie ihre Augen zufielen, als er sich zu ihr runterbeugte und legte seine Lippen auf ihre. Der Kuss war zunächst ganz zart. Wurde jedoch mit jedem Moment, der verging, heißer... unschuldiger. Er zog sie näher an sich ran, sodass ihr Körper an seinen gepresst war. Seine Zunge strich ihr über die Unterlippe und sie gewährte ihm Einlass. Ihre Hände fanden sich auf seinem Nacken wieder und als ihre Zunge seine berührte, entkam ihr ein Seufzen. Er küsste sie innig und genoss jede einzelne Sekunde. Er wollte sie noch enger bei sich haben, legte daher einen Arm um ihre Taille und drückte sie eng an sich. Ihre kleinen Hände waren in seinen Haaren zu Fäusten geballt und sie neigte leicht ihren Kopf. Ihre Lippen fühlten sich so verdammt gut an und er war froh drum, dass sie das gerade nicht im Bett machten. Ihre Zungen spielten etwas miteinander und er musste erregt in ihren Mund aufstöhnen. Widerwillen trennte Chiaki sich von ihren Lippen, leicht atemlos und strich ihr ein paar Haare nach hinten. Maron stand keuchend und mit rosaroten Wangen vor ihm, öffnete ihre Augen und lächelte ihn an. Er lächelte zurück und zuckte unbeschwert mit den Schultern. Ihm würde es nichts ausmachen, wenn dies zu ihrer Routine hinzugefügt wird. Schließlich drehte sie sich Richtung Bett um und entpackte ihren Rucksack. Chiaki nahm auf seinem Bett Platz, während sie zum Sofa ging und sich hinsetzte. „Sag mal... Was machst du morgen so?“, fragte er, nachdem sie die Musik angemacht hatte, dachte an die Möglichkeit zurück, die Yamato ihm angeboten hatte. Maron blickte ihn an, überlegte kurz. „Wahrscheinlich nichts“, antwortete sie ihm. „Wieso?“ Nachdem sie die Gegenfrage ausgesprochen hatte, blickte sie ihn durch ihre Wimpern an. Chiaki brauchte ein paar Sekunden länger, um zu antworten, hätte sich fast an seinem Essen verschluckt. Dieses Augending machte ihn noch fertig. „Ich dachte mir, dass wir morgen nach Inaba fahren könnten“, antwortete er murmelnd, nachdem er geschluckt hatte. „Nachdem ich mit der Schule fertig bin.“ Ihr Lächeln wurde breiter und sie nickte bejahend. Danach nahm Maron sich sein Handy, um in der Playlist nach einem anderen Lied zu suchen. Kurz spähte sie noch durch ihre Wimpern zu ihm rüber, ehe sie wieder runter sah. Unterdessen rollte Chiaki etwas mit den Augen, weil sie immer noch versuchte mit ihm zu flirten. Dabei hat sie ihn ganz offensichtlich schon längst rumgekriegt. „Wie treffen wir uns denn?“, hörte er sie fragen. Chiaki schaute von seinem Essen zu ihr auf und sah, wie sie sich auf die Lippen biss. Für einen Augenblick war er sich nicht sicher, ob das irgendeine Flirttechnik war… oder einfach nur Maron. So oder so war es süß und schien an ihm zu funktionieren. Er brauchte wieder paar Sekunden zu lange, um zu antworten. „Ich werde hinten am Ende der Straße parken“, sagte er, deutete mit dem Arm in die besagte Richtung. Die Tatsache, dass sie sich heimlich trafen, war eigentlich ziemlich lächerlich. Als würden die beiden etwas machen, worüber sie sich schämen müssten… Was in keinster Weise der Fall war. Er sah, wie Maron verstehend nickte und sich wieder seiner Playlist widmete. Unterdessen kam Chiaki sich wie ein mieser Idiot vor, dass er nicht die Eier dazu hatte sich normal mit ihr zu verabreden, wie jeder andere verdammt normale Kerl es tun würde. Aber er war noch nicht bereit dafür, dass jeder von ihnen Bescheid weiß. Er wollte warten bis es sich irgendwie richtig dafür anfühlt. Nichtsdestotrotz fühlte er sich mies deswegen. Nachdem Chiaki fertig gegessen hatte, unterhielten beide sich noch für eine Weile. Maron erzählte ihm ein bisschen von ihrer Zeit in Osaka, ließ aber alles was den Gerichtsprozess anging aus. Er versuchte ihr über seine Zeit hier in Momokuri zu erzählen, aber es gab nicht viel, was sie verpasst hatte. Nebenbei zeichnete er sein Mädchen und ihre Locken. Gegen elf war er wieder müde. Er schloss sein Skizzenbuch, um zu signalisieren, dass er bereit wäre schlafen zu gehen. Maron stand nickend auf und machte sich als Erste bettfertig. Minuten später stiegen sie ins Bett und Chiaki schaltete das Licht aus. Ähnlich wie in der Nacht zuvor, zog er sie an sich, hätschelte ihre lockigen Haare und vergrub mit einem zufriedenen Lächeln sein Gesicht in ihnen. Er drückte seinem Mädchen einen sanften Kuss auf den Kopf. Sie kuschelte sich an seine Brust an, legte ihre schlanken Arme um ihn und kraulte ihm den Nacken. Leise seufzte er in ihre Haare, freute sich etwas auf ihr Quasi-Nicht-Date und driftete Momente später in den tiefen Schlaf weg. TWENTY-THREE ------------ TWENTY-THREE   Wie am Morgen zuvor bekam Maron von Chiaki einen kleinen Kuss auf den Kopf gedrückt, nachdem der Wecker klingelte. Und wie sonst auch, ließ er sie mit einem müden Stöhnen los, aber das störte sie nicht mehr so sehr, wie früher. Sie stand auf und zog sich schnell um, konnte es kaum erwarten den Nachmittag mit Chiaki zu verbringen. Sie hatten nie genau spezifiziert, was das genau war… Und Maron traute es sich nicht die Sache als Date zu bezeichnen, aus Angst am Ende dumm dazustehen, falls es doch keins ist. Als sie aus dem Bad kam, lag Chiaki wie üblich noch im Bett und rieb sich träge mit der Hand die Augen. Nachdem sie ihre Sachen fertig eingepackte hatte, wollte sie sich aus Gewohnheit ihre Kapuze überziehen, als ihr jedoch einfiel, dass er ihre Kapuzen hasste. Von daher ließ Maron ihre Hand wieder sinken und warf ihm einen fragenden Seitenblick zu. Sie fragte sich, ob sie eventuell wieder einen Wangenkuss bekommen konnte (falls es nicht zu viel verlangt war). In genau dem Moment blickte Chiaki zu ihr rüber. Sie drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein Lächeln, welches er erwiderte. Mit einem Arm stützte er sich ab und setzte sich auf, worauf sie auf ihn zuging. Als er sich zu ihr nach vorne lehnte, beugte sie sich etwas zu ihm runter und er gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. Es war zwar nicht so intim wie der gestrige, aber immer noch süß. Maron konnte sich ein freudiges Lächeln schwer verkneifen. Chiaki lehnte sich wieder zurück, rutschte etwas in die Matratze runter und strich sich mit den Fingern durch die Haare. „Bis heute Mittag?“, fragte er in einem verschlafenen Ton, blickte sie an mit halboffenen Augen. Maron lächelte breit und nickte. Er lächelte zurück. „Ich schreibe dir“, sagte er nur noch und schloss die Augen. Damit ging sie aus der Balkontür. Ein kühler Morgenwind kam ihr draußen direkt entgegen, brachte ihre Haare noch mehr durcheinander, als sie es schon waren. Maron war froh, dass es dunkel genug war, damit niemand sie sehen konnte. Man würde garantiert auf falsche Gedanken kommen, wenn man sie mit den Haaren aus Chiaki’s Zimmer rausschleichen sah.   Zu Hause ging sie ausgiebig heiß duschen. Seit Maron regelmäßig ihre Haare machte, achtete sie auch intensiv darauf ihre Haare sorgsam mit Spülungen und Haarpflegeprodukten zu behandeln. Mit einem Handtuch auf dem Kopf bereitete sie anschließend das Frühstück vor. Takumi und Sakura kamen wie immer zuerst in die Küche, frühstückten und gingen anschließend zur Arbeit. Maron wartete immer auf Miyako, um mit ihr zusammen zu frühstücken, bevor diese zur Schule musste. Gut gelaunt kam sie auch in die Küche, setzte sich an den Tresen hin. „Morgen“, begrüßte Maron sie mit gleichermaßen guter Laune. Damit begannen die beiden Mädels in Ruhe zu frühstücken. „Übrigens - Yamato wird heute kommen“, kündigte Miyako nach einigen Minuten mit halbvollem Mund an. „Hättest du was dagegen, wenn er mit uns zusammen zu Mittag isst?“ Maron stoppte sich kurz beim Kauen und schluckte. „Okay. Uhm... nein, hätte nichts dagegen“, brachte sie nur entgegen. Miyako lächelte zufrieden. „Okay, super. Wir wollen danach einfach ein bisschen hier abhängen“, erklärte sie, zuckte unbeschwert mit den Schultern. Maron nickte verstehend. „Was wollt ihr essen?“ Ihr Gegenüber hielt inne und machte große Augen. „Du meine Güte, du musst nicht für uns kochen“, wendete Miyako ein. „Ach was. Du weißt, dass ich gerne koche“, winkte Maron unbesorgt ab. „Dann habt ihr beide auch direkt was zu essen, wenn ihr nach Hause kommt und müsst nicht noch selbst kochen.“ Damit gab Miyako sich geschlagen. „Okay...Du bist schließlich die Chefköchin im Haus“, seufzte sie und blickte sie mit einem kleinen, dankbaren Lächeln an. „Lass dir was Leckeres einfallen. Aber übernimm dich nicht!“ Maron kicherte etwas und nickte. Ein wenig wollte sie Yamato -ihren Dritt-Lieblingskerl- auch mit ihren Kochkünsten beeindrucken. Sie fragte sich, ob Yamato mit Miyako zusammen hierherfuhr oder ob er mit Chiaki fährt und dann hierrüber lief. Auf jeden Fall war es gut, dass er seine Freundin beschäftigt halten wird, wenn sie später nach draußen gehen wollte, um sich mit Chiaki zu treffen. Dennoch wollte sie Miyako nicht komplett anlügen. „Ich werde am Nachmittag ein bisschen in die Stadt gehen“, sagte sie in einem beiläufigen Ton, „Dann habt ihr das Haus für ein paar Stunden für euch allein und seid ungestört“, fügte sie augenzwinkernd hinzu, worauf Miyako sich fast an ihrem Frühstück verschluckte und leicht rot wurde. „Maron!“ „Ich mein ja nur“, kicherte sie. Nachdem Miyako weg war, ging Maron nach oben und trocknete sich im Bad die Haare. Kurze Zeit später stand sie in ihrem Zimmer vor ihrem Kleiderschrank. Planlos schob sie die Sachen darin hin und her, schüttelte bei dem Anblick ihrer Kleider und Röcke immer wieder den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, was sie anziehen sollte. War sich auch nicht sicher, wie sehr sie sich auftakeln sollte, ohne dass es zu offensichtlich rüberkam. Gleichzeitig wollte sie ihre Komfortzone nicht zu sehr überschreiten. Sie brauchte daher ein gutes Mittelmaß. Mit diesem Ziel vor Augen holte Maron sich zunächst eine dunkle Röhrenjeans raus. Anschließend wühlte sie noch ein bisschen weiter in ihrem Schrank rum, bis sie sich einen bordeauxroten Strickpulli rausnahm. Sie legte sich die Sachen auf dem unbenutzten Bett zurecht. Maron warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr und stellte erschrocken fest, dass Miyako und Yamato in einer halben Stunde kommen würden. Sie hatte wirklich drei Stunden gebraucht, um sich ein Outfit rauszusuchen! Wo war die Zeit hin?! Verständnislos schüttelte sie mit dem Kopf, als sie zur Küche runter ging und das Mittagessen vorbereitete. Es war nichts Aufwendiges. Reis mit Gemüse, Omelette und Rindfleisch. Während sie kochte, schaute sie immer mal auf ihr Handy. Wartete gespannt darauf, wann Chiaki ihr schreiben würde. Als Miyako und Yamato zwanzig Minuten später durch die Haustür kamen, konnte sie hören, wie die beiden lachten, kicherten und sich küssten. Maron verzog eine leichte Grimasse, während sie sich auf den Herd konzentrierte. „Hey Maron“, begrüßte Yamato sie mit einem Nicken, als er Hand-in-Hand mit Miyako in die Küche kam. „Hey“, nickte sie ihm schüchtern lächelnd zurück und begann alles auf den Tisch zu stellen. Unterdessen hatte das Paar sich hingesetzt. Amüsiert sah sie Yamato dabei zu, wie ihm förmlich das Wasser im Mund zusammenlief. Ein wenig erinnerte er sie in dem Moment an Chiaki. Kichernd schüttelte sie unmerklich mit dem Kopf, setzte sich gegenüber von beiden hin und sah mit einem Schmunzeln dabei zu, wie er alles in sich hineinfutterte. Auch wenn Yamato schon öfters hier zu Besuch war, so war es für Maron immer noch unbehaglich ihn im Haus zu haben, versuchte immer einen gewissen Sicherheitsabstand von ihm zu halten. Aber er schien immer eine gewisse ruhige, entspannte Aura auszustrahlen, wodurch ihre innere Anspannung meist nachließ. Nach einigen Minuten hatte sie fertig gegessen und ging in ihr Zimmer, während Miyako und Yamato vollkommen in ihrer eigenen rosaroten Welt vertieft waren. Auf dem Weg nach oben bemerkte Maron, wie ihr Handy vibrierte. Endlich!, ging es ihr durch den Kopf. Sofort holte sie es heraus und öffnete Chiaki’s SMS. „Sehen wir uns in einer halben Stunde?“ Automatisch bildete sich ein freudiges Lächeln auf ihren Lippen. „Okay“, schrieb sie zurück und zog sich eilig um. Der Pullover war enganliegend und hatte einen leichten V-Ausschnitt. Andere Mädchen würden den Ausschnitt höchstwahrscheinlich eher als schlicht und bescheiden ansehen, aber für ihren Geschmack zeigte es etwas zu viel Brust. Eigentlich waren auch nur ihre Schlüsselbeine und der Ansatz ihres Dekolletés zu sehen. Aber da ein paar Narben zu sehen waren, überkam sie die Panik. Sie brauchte dringend einen Schal, um die zu kaschieren. Und für den Fall, dass sie den Schal irgendwie ablegen musste, müsste sie mit Make-Up alles abdecken. Mit den Gedanken suchte sie ihr Make-Up und retuschierte sich die sichtbaren Narben mit Concealer, Foundation und Abdeckstifte weg. Mit einem prüfenden Blick betrachtete Maron sich im Spiegel, ging genauestens sicher, dass nichts mehr zu sehen war und nickte anschließend zufrieden. Danach trug sie auf ihrem Gesicht noch etwas Make-Up auf. Nur ein wenig Lidschatten mit hauchdünnen Eyeliner-Strichen sowie etwas Farbe auf die Lippen und Wangen, versuchte es so natürlich wie möglich zu halten. Zu guter Letzt machte sie sich noch schnell die Haare, wickelte sich sanfte Wellen in ihnen rein. Fünf Minuten bevor sie aus dem Haus ging, hatte Maron sich noch einen passenden Mantel übergezogen und betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Sie fand, sie sah… akzeptabel aus. Nicht zu langweilig. Und auch nicht zu schick. Nervös war sie dennoch. Sie ging aus ihrem Zimmer und lief an Miyako’s Tür vorbei. Drinnen konnte sie Musik sowie Miyako’s und Yamato’s Stimmen hören. Gerade als Maron die Treppen nach unten ging, kam Yamato raus. „Ich geh kurz aufs Klo. Bin gleich wieder da“, sagte er und schloss hinter sich die Tür. Er drehte sich um und hielt für einen Moment inne, als er Maron erblickte. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und er gab ihr mit einem stummen „Sieht gut aus“, augenzwinkernd das OK-Zeichen. Maron errötete etwas, lächelte verlegen und ging schließlich aus dem Haus raus.   Draußen spähte sie zu der Einfahrt der Nagoyas rüber, bemerkte direkt, dass Chiaki’s Wagen nicht da war und begab sich anschließend zum Treffpunkt am Ende der Straße. Dort erblickte sie auch sein schwarzes Auto, welches am Straßenrand geparkt war. Ihr Herz klopfte vor Aufregung ein paar Takte schneller. Mit erhöhtem Schritttempo näherte Maron sich dem Auto, versuchte nicht zu stolpern. Unauffällig schaute sie sich um, stellte sicher, dass niemand sie sah. Eilig öffnete sie die Beifahrertür, setzte sich in den weichen Sitz hin und schloss mit einem schnellen Ruck die Tür wieder. Sie spürte, wie ihr Gesicht warm wurde, atmete einmal kurz durch und sah zur Fahrerseite hinüber. Chiaki trug eine dunkle Jeans mit einem hellen Rollkragenshirt kombiniert und seine schwarze Lederjacke. Seine Haare waren locker nach hinten gestylt, nur vereinzelte Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Mit geweiteten Augen starrte er Maron an, worauf sie verunsichert auf ihren Schoß herunterblickte. Noch mehr Blut schoss ihr in die Wangen. Sie hörte, wie Chiaki sich räusperte. „Du siehst gut aus“, sagte er, strich sich durch die Haare und startete den Wagen. „Hübsch“, murmelte er kaum hörbar, bevor er seine Aufmerksamkeit auf die Straße richtete. „Danke“, erwiderte Maron peinlich berührt, sah mit einem schüchternen Blick zu ihm auf. „Du siehst auch gut aus.“ Sie sah, wie seine Mundwinkel nach oben zuckten. Sie begutachtete flüchtig das Innere seines Autos. Es war sauber und gemütlich. Für eine Weile verbrachten sie die Fahrt schweigend, nur die Musik aus der Anlage war zu hören. Immer wieder warf Maron Chiaki heimliche Blicke zu, hoffte innerlich, dass die Röte auf ihrem Gesicht mittlerweile verblasst war. „Yamato war vorhin zum Mittagessen da“, versuchte sie die Stille zwischen ihnen zu durchbrechen. „Wusstest du, oder?“ Verlegen strich sie sich durch die Haare und lächelte ein kleines Lächeln. Chiaki nickte. „Hab ihn hergefahren“, erwiderte er und warf ihr einen Seitenblick zu. „Hast du gekocht?“, fragte er interessiert. „Hm-Mhm.“ Sie nickte bejahend. „Der Glückliche“, brummte er trocken. „Hätte auch gern ein gutes Mittagessen gehabt.“ Maron sah ihn lächelnd an, kicherte etwas. Entspannt lehnte sie sich mit einem kleinen Seufzer in den Sitz zurück. Die beklemmende Atmosphäre zwischen ihnen ließ nach, wurde angenehmer. Die meiste Zeit verbrachten sie die Fahrt schweigend, fingen gelegentlich Gespräche über die Schule oder sonstigen Themen an, die ihnen willkürlich in den Sinn kamen. Sobald sie in Inaba angekommen waren (welche eine sehr hübsche Stadt war), steuerte Chiaki direkt auf den Bücherladen zu, den er erwähnt hatte und parkte auf einem Parkplatz. Es war ein großes Geschäft mit großen Fenstern. Maron konnte Leute an den Fensterbänken lesen sowie große befüllte Regale stehen sehen. Ihr Herz klopfte erfreut auf. Menschen liefen draußen über den Bürgersteig mit großen Einkaufstaschen. Nicht weit von hier entfernt war ein Einkaufszentrum. Wie sonst überall, war auch diese Stadt schön weihnachtlich geschmückt. Chiaki schenkte ihr ein kleines, schiefes Grinsen und stieg aus dem Auto aus. Maron richtete ein letztes Mal ihren Mantel und ihren Schal, ehe sie nach dem Türgriff reichte. Aber Chiaki kam ihr zuvor, öffnete ihr die Tür. Sie sah von ihrem Sitz aus zu ihm auf, leicht überrascht über diese gentleman-hafte Geste von ihm. Unbeholfen trat er beiseite, rieb sich den Nacken und starrte auf den Boden, während er ihr die Tür aufhielt. Sie stieg aus dem Wagen und blickte ihn mit hochgezogener Augenbraue fragend an, worauf er einfach nur lächelte, die Schultern zuckte und die Tür schloss. Maron drehte sich zum Bürgersteig um, sah wie die Menschenmasse im engen Raum sich darauf bewegte und versteifte sich. Sie versuchte diesen inneren Drang zu unterdrucken, sich wieder ins Auto zurückzuziehen. Chiaki sah sie mit zusammengezogenen Brauen irritiert an, blickte anschließend kurz zur Masse und wieder zu ihr, ehe er schließlich verstand. Er sah sich für einen Augenblick auf dem Bürgersteig um, drehte sich dann zu ihr und hielt ihr mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck die Hand entgegen. Ohne zu zögern legte Maron ihre Hand, welche vor Nervosität leicht zitterte, in seine und drückte sie. Er lächelte sie beruhigend an und führte sie zu dem Bücherladen. Seine Hand in der Öffentlichkeit zu halten, fühlte sich toll an und Maron konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, als er ihre Hand sanft drückte. Ein Mann kam ihnen entgegen, war am Telefonieren und reflexartig wich Maron ihm aus, rückte näher an Chiaki’s Seite ran. Ihr Herz klopfte wie verrückt und ihre Nerven fuhren Achterbahn. Ihr war es peinlich, dass sie nicht wie ein normaler Mensch über einen Gehweg laufen konnte, doch Chiaki ließ einfach ihre Hand kurz los und legte schützend seinen Arm um ihre Schultern. Sofort entspannte sie sich und blickte ihn dankend an. Er ließ seinen Arm wieder fallen, als sie den Laden erreicht hatten und er die Tür für sie öffnete.   Der vertraute Geruch von Kaffee und Büchern kam ihr direkt entgegen. Ein kleines Café, in dem Leute saßen, Kaffee tranken und lasen, war in dem Laden integriert. Zum Glück war es hier drin nicht voller Weihnachtseinkäufern. Wahrscheinlich gehörten Bücher nicht zu den beliebtesten Geschenkideen. Maron’s Blick schweifte über die Bücherregale und ihre Augen begannen zu leuchten. Chiaki kicherte amüsiert neben ihr, womöglich wegen ihres Gesichtsausdrucks. Er ging zu eines der Regale. Sie lief ihm langsam hinterher, strich mit den Fingern über die Buchrücken und schaute sich jeden einzelnen Titel genaustens an. Für einen Moment blieb Maron stehen, nahm sich ein Buch raus, blätterte neugierig darin und las den Klappentext. Sie blickte kurz zu ihrer Linken rüber und sah, dass Chiaki einige Meter von ihr entfernt ebenfalls in ein Buch reinschaute. Sie lächelte amüsiert in sich hinein und las weiter. Kopfschüttelnd klappte sie ihr Buch desinteressiert wieder zu und steckte es wieder ins Regal. „Kann ich dir helfen?“ Erschrocken zuckte Maron bei der fremden Stimme zurück. Ein junger Angestellte, wahrscheinlich kaum älter als sie selbst, stand neben ihr und lächelte freundlich. „U-Uhm...“, stotterte sie nervös. „Wenn du nach was Bestimmten suchst, kann ich dir gerne behilflich sein. Egal welches Genre, ich kann dir da bestimmt was empfehlen“, grinste er augenzwinkernd, ging einen Schritt auf sie zu. Ihr gefiel die Art, wie er sie ansah nicht. Maron wich instinktiv zurück, schüttelte mit einem verhaltenen Lächeln den Kopf. Ihr ganzer Körper war angespannt und sie versuchte das leichte Zittern in ihren Händen zu verbergen. Plötzlich spürte sie, wie hinter ihr eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Erleichterung überflutete sie direkt. „Wir kommen schon klar. Danke“, sagte Chiaki bestimmt und warf dem Angestellten einen scharfen Blick zu. Dessen Lächeln erstarb und er ging mit einer enttäuschten Miene davon. Entspannt ließ Maron ihre Schultern wieder sinken und lächelte zu Chiaki auf. Er erwiderte das Lächeln mit einem schiefen Grinsen. Gemeinsam liefen sie durch die Regale. Er ließ zwar ihre Schulter los, aber sie konnte seine Hand immer noch auf ihrem Rücken spüren. Bei der Fantasy-Abteilung blieb Maron an einem Regal stehen, als sie eines ihrer Lieblingsbücher entdeckte, es rausnahm und durch die Seiten blätterte. Sie hatte es schon öfter als sie zählen konnte gelesen und ein nostalgisches Gefühl überkam sie, als sie die vertrauten Wörter überflog. Mit einem kleinen, niedergeschlagenen Seufzer dachte sie an ihre alten Bücher in Osaka zurück, die sie nicht mehr besaß. Chiaki’s Hand auf ihrem Rücken schlang sich um ihre Taille und sie lehnte sich lächelnd an seine Brust zurück. Ein Kichern entkam ihr als sie spürte, wie er sein Kinn auf ihren Kopf absetzte und auf das offene Buch in ihrer Hand herunterblickte. „Ist das gut?“, fragte er. „Du kennst das nicht?“, fragte Maron in einem fast entsetzten Ton, schloss das Buch und hielt ihm das Cover hoch. Sie spürte, wie er mit dem Kopf schüttelte (sein Kinn bewegte sich auf ihrem Kopf hin und her) und die Schultern hoch zuckte. „Und ich dachte, du kennst dich mit guter Literatur aus“, neckte sie ihn. Er kicherte leise, beugte sich leicht runter und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe. Jegliche Gedankengänge waren für den Moment wie weggeblasen. „Das ist auch der Grund, weshalb du heute die Bücher aussuchst“, flüsterte Chiaki ihr ins Ohr, was ihr einen angenehmen Schauer auf der Haut bereitete. Er nahm ihr das Buch aus der Hand und entfernte sich grinsend einen Schritt von ihr. Maron’s Wangen färbten sich verlegen rot und sie begann weitere Bücher ihm zu empfehlen, die ihr ins Auge fielen. Sie fand es kurios, dass er selbst von den bekanntesten Serien nichts gehört hatte, von denen es sogar relativ gute Filmadaptionen gab. *** Amüsiert schaute Chiaki seinem Mädchen dabei zu, wie sie ihm ein Buch nach dem anderen empfahl und ihn immer wieder ungläubig anblickte, wenn er bei der Frage, ob er es kannte, verneinend mit dem Kopf schüttelte. Um ehrlich zu sein: er hatte jedes ihrer Empfehlungen schon mal gelesen. Der einzige Grund, weshalb er diese Bücher nicht in seiner Sammlung besaß war, dass er sie langweilig fand. Aber da sein Mädchen sie mochte, wollte er sie nun in seinen Regalen haben. Fast zwei Stunden verbrachten die beiden in dem Laden. Maron war so einfach zu durchschauen. Chiaki konnte ihr sofort ansehen, dass sie ein Buch gefunden hatte, welches sie mag. Ein süßes Lächeln bildete sich immer auf ihren Lippen und sie würde es mit flinken Fingern eifrig herausholen und durch die Seiten blättern. Er stellte sich immer hinter sie, umarmte ihre schmale Taille und legte sein Kinn auf ihren Kopf ab. Er tat immer so als ob er mitlesen würde, aber eigentlich genoss er es einfach sie an sich zu halten. Sie war so klein und süß. Ebenso dufteten ihre Haare wie immer himmlisch. Gebannt sah er ihr dabei zu, wie sie durch die Gänge ging und ihre Augen hochkonzentriert jeden einzelnen Titel scannte. Wie ein Idiot starrte Chiaki sein Mädchen an, konnte seinen Blick einfach nicht von ihr abwenden. Er hatte es schließlich vorausgesagt, dass er sie den ganzen Tag anstarren wird. Und heute sah sie noch schöner aus als sonst. Ihre Haare waren, wie bereits erwartet, in sanften Wellen gelockt. Er konnte sehen, dass sie Make-Up trug. Noch nie hatte er Maron mit Make-Up gesehen. Aber es war nicht so übertrieben, wie andere Tussen sich das Gesicht vollkleisterten, sondern eher natürlich gehalten. Was ihr natürlich auch mehr als gut stand. Insgeheim fragte er sich auch, ob sie sich klamottentechnisch aufgetakelt hat. Nicht, dass es von irgendwelcher Bedeutung wäre. Selbst in ihrem übergroßen Kapuzenpullis -oder sogar einem Kartoffelsack- wäre sie für ihn das schönste Mädchen auf der Welt. Gegen drei hatte Chiaki fünfzehn Bücher in den Armen. Sowie einen hungrigen Magen. Er hasste es Maron aus dem Laden bringen zu müssen, da sie sich hier so wohl fühlte, aber er hatte noch andere Pläne für den Tag gehabt. Zusammen gingen sie zur Kasse. Maron versuchte ihn vom Bezahlen abzuhalten, aber er ignorierte sie einfach. Seufzend gab sie sich geschlagen. Der Typ von vorhin stand am Schalter, warf Maron einen flüchtigen, enttäuschten Blick zu, ehe er sich auf die Bücher fixierte und sie scannte. Chiaki funkelte ihn mit verengten Augen an. Einfach, weil der seinem Mädchen zu nahekam. Solche aufdringlichen Mistkerle waren in der Regel der Grund, weshalb sie sich am liebsten in ihren übergroßen Sachen und Kapuzen verstecken wollte. Dabei war sie viel zu wunderschön, um sich hinter ihren Kapuzen zu verstecken. „Ich will dich zum Essen einladen“, sagte er an Maron gewandt, während er bezahlte und die Taschen an sich nahm. Sie blinzelte ihn mit großen Augen perplex an und er konnte ihr ansehen, dass sie drauf und dran war was dagegen einzuwenden. „Fang ja nicht erst an“, nahm er ihr den Wind von den Segeln. „Du bringst mir jeden Abend was zu Essen und ich will mich auf meiner Weise dafür revanchieren.“ Maron’s Mund klappte zu. Sie sah mit roten Wangen zu Boden und nickte. Chiaki nahm ihre Hand und gemeinsam gingen sie aus dem Laden. Es war immer noch viel Betrieb auf den Gehwegen. Wieso müssen die Menschen zu Weihnachten auch immer so einen Aufriss machen?! Denn genau dieser Quatsch machte sein Mädchen ungeheuer nervös. Weshalb Chiaki wieder seinen Arm um sie legte, als sie über den Bürgersteig liefen. Er konnte spürten, wie Maron sich sofort entspannte. Mit achtsamen Blicken führte er sie zu seinem Auto, passte darauf auf, dass kein Kerl ihr zu nahe kam. Er öffnete ihr die Tür. Es war sehr klischeehaft. Er kam sich ein bisschen dämlich vor und war sich auch nicht sicher, ob er sowas richtig machte. Oder überhaupt sich irgendwie richtig verhielt. Ihr fragender Blick am Anfang hatte ihn auch ziemlich verunsichert. Glücklicherweise strahlte sie ihn diesmal mit einem Lächeln an, was darauf hinzudeuten schien, dass diese Tür-aufhalten-Sache wohl nicht komplett falsch war. „Auf was hast du Lust?“, fragte Chiaki, nachdem er einstieg und den Wagen startete. Maron schürzte nachdenklich die Lippen, zog die Augenbrauen leicht zusammen. „Pizza?“, schlug sie vor. Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. Er hatte etwas...extravaganteres erwartet? Wobei er sich nicht sicher war, was genau er überhaupt erwartet hatte. Sie lächelte achselzuckend, worauf er akzeptierend nickte. Wenn sein Mädchen Pizza wollte, bekam sie Pizza. In seinem Kopf ging er alle italienischen Restaurants durch, die er in Inaba kannte. Entschied sich schließlich für eins aus der etwas höheren Preisklasse, was aber auch nicht so teuer war. Der Parkplatz war auch relativ leer, weshalb er beschloss, dass es eine gute Wahl war. Wieder stieg Chiaki als Erster aus, lief mit schnellen Schritten zur Beifahrerseite und öffnete ihr mit etwas mehr Selbstbewusstsein die Tür. Zumindest war er sich sicher, dass er sich nicht komplett zum Affen machte. Wieder mit einem Arm um ihre Schultern führte er Maron zum Restaurant. Theoretisch hätte er das nicht machen müssen, denn es gab nicht viele Leute, die draußen rumschwirrten, aber er wollte es machen. Es zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Und für ihr Lächeln war das alles ihm mehr als wert. Mit seiner freien Hand öffnete Chiaki ihr die Tür. Drinnen empfing sie eine junge Restaurantmitarbeiterin. Innerlich verzog er das Gesicht, als er die lüsternen Blicke von ihr bemerkte. Maron schien es auch zu bemerken, denn sie stieß einen leisen, leicht genervten, mürrischen Laut aus. Er legte seinen Arm um ihre Taille, zog sie näher an sich ran. Erst jetzt schien die Mitarbeiterin zu registrieren, dass jemand bei ihm war. „Ein Tisch für zwei bitte“, sagte er, betonte „zwei“ bewusst mit einem gewissen Nachdruck. Die Tusse funkelte Maron für einen winzigen Moment an, ehe sie sich gerade richtete und die beiden zu ihrem Tisch im hinteren Bereich des Restaurant führte. Es entging Chiaki nicht, dass sie lächerlich viel Aufwand in ihren Hüftschwung beim Gehen betrieb. Genervt rollte er mit den Augen. Maron schnaubte leise neben ihn. Er drückte sein Mädchen noch enger an sich ran. Nur damit sie weiß, dass er an sowas nicht interessiert war.   An ihrem Tisch angekommen, setzte Chiaki sich gegenüber von Maron hin. Am liebsten hätte er sich neben sie gesetzt, aber das wäre wahrscheinlich falsch. Er zog sich die Jacke aus und hing sie über seinen Stuhl. Als er sich wieder zu Maron wandte und sah, wie sie Schal und Mantel auszog, hörte er für einen Moment auf zu atmen. Seine Augen weiteten sich etwas und er musste sich zusammenreißen seine Kinnlade nicht zu Boden fallen zu lassen. Oder sie wie ein kompletter Volltrottel anzustarren. Rot war eine ziemlich auffällige Farbe. Es gibt nicht viele Menschen, die diese Farbe tragen können und denen es auch stand. Aber Maron stand die Farbe auf jeden Fall. Ihre Haare und ihre Haut kamen perfekt zur Geltung. Was ihn aber am meisten umhaute war der V-Ausschnitt, welches ihm mehr Haut zeigte, als er es von ihr gewohnt war. Er hatte freien Blick auf ihren Hals, ihren Nacken und ihre Brust. Ihre Schlüsselbeine! Der Ausschnitt war keineswegs schlampig oder so... war eigentlich ziemlich bescheiden. Und es stand ihr außerordentlich gut. Räuspernd wandte Chiaki seinen Blick schnell von ihr ab und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sie lächelte ihn mit einem verlegenen Blick an, nahm sich die Speisekarte und blätterte durchs Menu. Er tat dasselbe, war allerdings mehr damit beschäftigt Maron über den Rand zu beobachten. Wie sie ihre Brauen zusammenzog und nachdenklich die Lippen zusammenpresste - einfach nur süß. Ein paar welligen Strähnen fielen ihr über die Schulter und er musste diesen Drang unterdrücken, seine Hand nach ihr auszustrecken und sie durch die weichen Haare gleiten zu lassen. Schließlich bemerkte er, wie sie eine Hand mittig auf dem Tisch abgelegt hatte. Chiaki nutzte die Chance und legte seine Hand sachte auf ihrer, strich mit seinen Fingerkuppen kurz über ihren Handrücken, ehe er ihre Finger in seine nahm. Maron blickte nicht vom Menu auf, dennoch bildete sich ein Lächeln auf ihren Lippen. Er konnte sich selbst ein breites Lächeln nicht verkneifen, zog ihre Hand zu sich und gab ihr einen kleinen Kuss auf den Handrücken. Das Ganze fühlte sich so natürlich an. Und es fühlte sich definitiv mehr nach einem Date an als ein Quasi-nicht-Date. Eine Kellnerin kam und nahm ihre Bestellungen auf, wobei sie die ganze Zeit versuchte hatte Chiaki’s Blicke zu treffen. Er konnte es an Maron’s genervten Gesichtsausdrücken sehen. Er schenkte der Kellnerin aber so gut wie keine Beachtung, war voll und ganz auf sein Mädchen fixiert. Nach einigen Minuten kam die mit ihren Bestellungen wieder, blieb jedoch noch einige Momente länger an ihrem Tisch als nötig war und fragte ihn, ob es nach was sein darf. Er schüttelte stumm mit dem Kopf, hatte kein einziges Mal zu ihr aufgeschaut. Wozu auch? „Wir sind versorgt. Danke“, sagte Maron fast schnippisch und grinste überlegen. Chiaki kicherte grinsend in sich hinein. Sie aßen entspannt ihre Pizzen, unterhielten sich ausgelassen und lachten viel. Genossen einfach die gemeinsame Zeit zusammen, in der sie sich nicht verstecken mussten. Genossen dieses Fünkchen Normalität, was ihnen für gewöhnlich nicht gewährt war.   Als es draußen allmählich dunkel wurde, beschloss Chiaki das es Zeit war zu gehen. Er bezahlte das Essen und die Getränke, ging anschließend zu Maron hin und half ihr in ihren Mantel. Den Mantel ließ sie offen und den Schal legte sie sich auch nicht wieder um, war ihr höchstwahrscheinlich zu warm. Er legte seinen Arm wieder um ihre Schultern und ging mit ihr aus dem Restaurant raus. Wiedermals öffnete er ihr die Autotür, was ihr erneut ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Mit einem triumphierenden Gefühl stieg Chiaki in seinen Wagen und fuhr los, zurück nach Momokuri. Der Tag lief weitaus besser als er erwartet hatte. Er warf seinem Mädchen einen Seitenblick zu. Ihr hübsches Gesicht wird immer mal vom Laternenlicht erleuchtet und er konnte sehen, dass ihr der Tag auch sehr gut gefallen hatte. Entspannt fuhr er mit einer Hand am Lenkrad, die andere ruhte auf dem Schaltknüppel zwischen ihnen. Auf halbem Wege spürte er, wie eine Hand sich auf seine legte und dünne, zarte Finger sich mit seinen verschränkten. Seine Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln nach oben und er strich sachte mit dem Daumen über ihre Knöchel. Die ganze Fahrt verbrachten die beide in einem angenehmen Schweigen. Schließlich bogen sie in ihre Straße ein. Doch anstatt zu halten und Maron jetzt rauszulassen, entschied Chiaki sich dafür sie nach Hause zu fahren. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, die Augenbraue hochgezogen. Er zuckte einfach mit der Schulter. Ihm war der Gedanke zu wider sein Mädchen in der Dunkelheit nach Hause laufen zu lassen. Er probierte sein Glück und parkte in der Garage hinter dem Haus, was er normalerweise nie tat, aber das würde ihr einen gewissen Schutz im Dunkeln geben und sie konnte über die Hinterhöfe zu sich nach Hause laufen. Glücklicherweise waren Shinji und Kaiki noch nicht da. Chiaki ließ Maron’s Hand los, um die Handbremse anzulegen und den Motor auszuschalten, ließ jedoch den Schlüssel noch drinnen, damit die kleinen Lichter vom Armaturenbrett die Dunkelheit um sie herum etwas erhellte. Er schweifte mit seinem Blick zum Schaltknüppel runter und sah, dass Maron ihre Hand immer noch darauf ruhen hat. Langsam ließ er seine Hand wieder in ihre gleiten und verschränkte ihre Finger miteinander. Gedankenverloren blickte er auf ihre Hände herab, strich ihr mit seinem Daumen im Rhythmus über den Handrücken. „Danke, dass ich dich begleiten durfte“, hörte er Maron’s sanfte Stimme sagen, „Ich hatte heute viel Spaß gehabt.“ Chiaki schaute zu ihr auf und sah, wie sie mit einem kleinen, verlegenen Lächeln auf ihre verschränkten Hände herunterblickte. Sie blinzelte einmal, sah durch ihre langen Wimpern zu ihm auf und sorgte dafür, dass ihm fast der Atem hängen blieb. Er lächelte zurück und drückte ganz leicht ihre Hand, war sich unsicher darüber, was er als Nächstes tun sollte. Wollte sein Mädchen auch noch nicht gehen lassen. Was albern war, dann in vier Stunden würde sie seinen Balkon hochgeklettert kommen. Aber da er beschlossen hatte diese Date-Sache so normal wie möglich zu gestalten, vermutete er, dass er ihr einen Abschiedskuss geben sollte. Sowas machte man(n) doch, oder? Seine Blicke trafen auf ihre und sie schauten sich tief in die Augen. Instinktiv strich er sich mit der Zunge über die Lippen. Er konnte sehen, wie sie in genau dem Moment auf seine Lippen runterblickte. Dies schien ihm zumindest Antwort darauf zu geben, über das was er als nächstes tun sollte. Und sie schien es auch zu wollen. Sie drehten sich beide zueinander um. Er strich mit seiner freien Hand durch ihre langen Haare, entfernte ein paar Strähnen aus ihrem Gesicht, ehe er sie auf ihrem Hinterkopf ruhen ließ und Maron zu sich heranzog. Er lehnte sich zu ihr vor und ihre Augen schlossen sich. Ihr Lippen fanden schließlich seine. Weich und warm. Gott, er liebte das Gefühl ihrer Lippen auf seiner. Er nahm ihre Unterlippe zwischen seine, während sie ihre freie Hand auf seinen Nacken legte und ihre Finger durch seine Haare strich. Für einen minimalen Moment zog sie sich zurück, ehe sie seinen Mund mit etwas mehr Elan küsste und ihr Gesicht an seinen presste. Er ließ ihre Hand los und umfasste mit beiden Händen ihre Wangen. Ein Seufzen entkam ihm, als er ihre Zunge spürte. Ihre beiden Hände begannen sich in seinen Haaren festzukrallen. Atemlos keuchte sie in seinen Mund auf, hörte dennoch nicht auf ihn zu küssen. Sanft knabberte sie an seiner Unterlippe, was ihn förmlich aus dem Verstand brachte. Keuchend trennten sie ihre Lippen voneinander, seine Stirn an ihrer Stirn gelehnt. Ihr heißer Atem kitzelte auf seiner Haut. Er öffnete seine Augen, spürte noch den Rausch dieses fantastischen Kusses. Sie blickte ihn eindringlich an, die Augen waren dunkel vor Begierde. Ohne den Blickkontakt abzubrechen, strich er mit einer Hand ihren Hals herab und fuhr mit den Fingerspitzen sachte über ihre Schlüsselbeine. Ihre Augen flatterten wieder zu. Er nutzte die Gelegenheit und begann kleine Küsse auf ihren Hals zu verteilen, schob gleichzeitig ihre Haare beiseite. Etwas überrascht atmete sie auf, ihr Hände auf seinen Haaren ballten sich wieder zu Fäusten. Unter Küssen wanderte er ihren Hals herab, begab sich mit seinen Lippen schließlich zu ihren Schlüsselbeinen und dem Ansatz ihres Dekolletés. Jeder Millimeter freie Haut wurde mit Küssen bedeckt. Ihre Atmung beschleunigte sich und er konnte hören, wie sie erschauderte. Ein raues Kichern entkam ihm, als er ihr einen letzten kleinen Kuss an den Hals und auf den Mund drückte und sich wieder in seinem Sitz zurücklehnte. Ein zufriedenes Lächeln haftete auf seinem Gesicht. „Ich glaube, ich werde den Pullover heute Nacht anbehalten“, kicherte Maron leise, immer noch leicht atemlos. Chiaki grinste schief und schüttelte den Kopf. Keine gute Idee. Damit würde sie seine Selbstbeherrschung nur noch mehr auf die Probe stellen. Im nächsten Moment seufzte er schwer. „Bis später dann?“ „Bis später“, nickte sie und lächelte erfreut. Damit öffnete sie die Tür und stieg aus. Er stieg kurz nach ihr aus, sah ihr noch eine Weile nach, um sicher zu gehen, dass sie auch heil nach Hause kam. Nachdem er gesehen hatte, wie sie durch die Vordertür ins Haus ging, ließ er entspannt seine Schultern sinken und atmete tief durch. Daraufhin ging er selbst nach Hause. Dort ging er duschen und verbrachte anschließend den Abend mit Kaiki.   Zwei Stunden verbrachten sie mit Schach spielen, wobei Chiaki am Ende haushoch verloren hatte. Mit einem mürrischen Blick beäugte er seinen schwarzen König, überlegte sich schon eine Strategie für die nächste Schachpartie. Die restliche Zeit wartete er in seinem Zimmer auf sein Mädchen, bekam allmählich auch wieder Hunger. Um zehn klopfte es an der Balkontür und als er sie ihr öffnete, stellte er überraschender Weise fest, dass sie wirklich noch den bordeauxroten Pullover trug. Maron lächelte amüsiert über seinen Gesichtsausdruck. Er fing sich wieder, beugte sich zu ihr runter und gab ihr einen kleinen, flüchtigen Kuss. Anschließend ging sie an ihm vorbei und packte wie gewohnt ihre Sachen auf seinem Bett aus. In dem Moment als sie zum Sofa rübergehen wollte, packte Chiaki sie am Arm und küsste sie erneut. Diesmal etwas fordernder. Er bekam einfach nicht genug von ihr. Nach einigen Sekunden löste er sich von ihr und sie ging mit rosanen Wangen und einem breiten Dauergrinsen zum Sofa. Dort hatte er die Bücher, die sie heute gekauft hatten, schon für Maron bereitgelegt. Sie schnappte sich direkt das oberste von Stapel und begann zu lesen. Unterdessen hatte er auf seinem Bett Platz genommen. Er versuchte nicht die ganze Zeit auf ihren Dekolletés zu starren. Nachdem Essen verbrachte er noch eineinhalb Stunden damit sein Mädchen zu zeichnen, hielt jede Momentaufnahme von heute in seinem Skizzenbuch fest. Nach einiger Zeit klappte Maron ihr Buch zu und gab ihm stumm zu verstehen, dass sie ins Bett wollte. Chiaki nickte verstehend und es dauerte nicht lange bis sie sich bettfertig gemacht haben. Enttäuschung breitete sich ein wenig in ihm aus, nachdem sie sich umgezogen hatte und ihre Schlüsselbeine nicht mehr zu sehen waren. Oder vielmehr unter dem Stoff ihres Schlafshirts versteckt waren. Beide schlüpften unter die Decke, er machte das Licht aus und nahm sein Mädchen direkt in die Arme. Er vergrub sein Gesicht in ihre Haare und nahm einen tiefen Atemzug von ihrem Duft. Sie kuschelte sich gähnend an seine Brust an. „Danke für die Bücher, Chiaki“, flüsterte Maron mit müder Stimme, kraulte ihm sanft den Nacken. Achselzuckend sagte er nur: „Keine Ursache. Für dich doch gerne.“, strich ihr mit federleichten Berührungen den Rücken auf und ab. Sie lächelte gegen seine Brust. Er drückte ihr einen Kuss auf den Kopf, bevor beide schließlich einschliefen.   TWENTY-FOUR ----------- TWENTY-FOUR   Drei Tage vergingen bis Weihnachten. Jede Nacht, wenn Maron in Chiaki’s Zimmer kam, gab er ihr an der Tür einen Kuss zur Begrüßung. Dies gehörte zu ihren neuen Lieblingsmomenten nachts. Nachdem sie ihre Sachen ausgepackt hatte, würde sie weiterhin sich auf dem Sofa rüber setzen und die neuen Bücher, die er für sie geholt hatte, lesen. Sie versuchte alles weiterhin so normal wie möglich zu halten. Demnach hatte sie sowas „freizügiges“ wie den roten Pullover seit dem Date(?) nicht nochmal getragen. Sie versuchten beide es simple und einfach zwischen ihnen zu halten, umgingen daher Gespräche über ihre Vergangenheiten. Oder ihrer derzeitigen „Beziehung“… Maron hatte immer noch keinen blassen Schimmer, was genau sie waren. Aber das war okay. Sie blieb geduldig. War fürs erste mehr als glücklich über den aktuellen Stand zwischen ihnen. Nach dem Begrüßungskuss verspürte sie allerdings immer mal das Verlangen ihn erneut küssen zu wollen. Wollte am liebsten einfach nochmal rausgehen und zu seinem Balkon nochmal hochklettern, nur um einen weiteren Kuss zu bekommen – was albern war. Aber sie wollte ihn hierbei die Führung lassen. Wenn er sie küssen wollte, dann würde sie jeden einzelnen Kuss auch mit Freude erwidern. Irgendwie gab es auch diese unausgesprochene Kein-Küssen-im-Bett-Regel. Maron war sich nicht sicher, ob es auf das letzte Mal zurückzuführen war, wo sie beide es in gewisser Weise überstürzt hatten, aber sie nahm es achselzuckend hin. Chiaki gab ihr vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen immer einen kleinen Kuss auf den Kopf, was ihr immer ein Lächeln ins Gesicht zauberte und ein schönes, flaues Gefühl im ganzen Körper bereitete. Und jeden Morgen, bevor sie ging, drückte er ihr einen Kuss auf die Wange. Abgesehen von den Küssen, verhielt Chiaki sich ansonsten nicht viel anders – war immer noch derselbe. Maron war froh, dass sie beide sich in gewisser Weise auf eine Art Tempo festgelegt haben, mit welchem er auch zufrieden war.   Tagsüber war Maron meist mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, war mit Miyako zwei Tage vor Weihnachten noch shoppen gewesen (was leider nicht so entspannt für sie verlief, wie mit Chiaki letztens) und hatte nach Geschenken für ihre Familie gesucht. Und sie wollte etwas Besonderes für Chiaki finden. Sie hatten nie über das Thema „Geschenke austauschen“ geredet, aber sie wollte etwas parat haben, für den Fall, dass er ihr etwas besorgt hatte. An dem Nachmittag konnte sie Miyako für eine Weile im Einkaufszentrum abhängen und war allein losgezogen. Während sie durch das überfüllte Gebäude lief, blieb sie immer ganz nah an der Wand und hielt sich ihre Kapuze über den Kopf. Nach einiger Zeit blieb sie vor einem Schaufenster stehen und sie wusste sofort, was sie Chiaki schenken könnte. Ihr Blick blieb auf einem bestimmten Objekt haften. Es war nicht zu teuer, oder ähnliches. Dafür sehr symbolisch. Als Maron damit nach Hause kam, fühlte sie sich mehr als unsicher über ihren Kauf. Die Angst überkam sie, dass es ein schlechtes Geschenk war. Dass es gar keine gute Idee war, ihm sowas zu geben. Dass es eventuell zu früh war, ihm sowas zu geben. Dass er womöglich schlecht darauf reagieren wird. Wahrscheinlich war es auch ein bisschen zu symbolisch. Seit ihrer Reise nach Osaka haderte Maron mit der Vorstellung, dass sie in Chiaki verliebt sei. Sie wusste immer noch nicht, wie die Liebe sich anfühlen sollte oder ob sie fähig war es zu empfinden. Aber sie wusste, dass das, was sie für ihn empfand, diesem bestimmten Gefühl ziemlich nah kam. Und es fühlte sich nicht falsch an, wenn sie diese Empfindung Liebe nannte. Und dennoch hatte sie irgendwie Angst. Angst und Liebe hängen in gewisser Weise eng miteinander zusammen. Die Herzschläge erhöhen sich. Und der Kopf fängt an sich leicht zu fühlen. Man kann keinen rationalen Gedanken fassen… Es war eine beängstigende Vorstellung in jemanden verliebt zu sein. Insbesondere in jemanden wie Chiaki, der möglicherweise sie nicht zurück lieben konnte. Nicht, weil er nicht wollte oder weil sie nicht gut genug für ihn war. Vielmehr, weil er selbst zu geschädigt und gezeichnet war, um sich dieses Gefühl zu erlauben. Nichtsdestotrotz hatte Maron das Geschenk sorgfältig in Geschenkpapier eingepackt und hoffte insgeheim, dass er die Symbolik dahinter nicht kannte. Es war eventuell möglich, dass er es nicht ganz verstand und es für den materiellen Wert einfach so hinnahm.   Ein nervöser Seufzer entkam ihr als sie in der Nacht vor Heiligabend die kleine Box in ihre Tasche einpackte, zusammen mit seinem Essen und eine Tüte Plätzchen, die Maron zusammen mit Sakura und Miyako gebacken hatte. Wahrscheinlich haben sie jetzt ein Vorrat an Plätzchen für die gesamte Nachbarschaft. Es war sehr kalt heute Nacht. Minusgrade. Und es begann zu schneien. Maron zog sich die Kapuze ihrer dicken Winterjacke über den Kopf sowie ein paar Handschuhe und ging zu den Nagoyas rüber. Mit Leichtigkeit kletterte sie das Gitter an der Wand hoch, dachte daran zurück wie besorgt Chiaki um sie war -beziehungsweise immer noch ist-, dass sie sich beim Klettern verletzten könnte. Sie musste fast spöttisch auflachen. Sie könnte das Ding wahrscheinlich sogar im Schlaf und mit einer Hand erklimmen. Oben angekommen, klopfte Maron mit ihrer behandschuhten Hand an der Glasscheibe der Balkontür. Keinen Moment später machte Chiaki ihr auf, hatte mit Sicherheit auf sie gewartet. Sofort bildete sich ein Lächeln auf ihre Lippen, sobald seine hellen, braunen Augen auf ihre trafen. Sie konnte nicht anders als ihn anzulächeln, wenn sie ihm in die Augen blickte. Seine Haare wehten etwas im kalten Wind und er trat beiseite, um sie reinzulassen. Kaum war Maron drinnen, schloss Chiaki hinter sich die Tür und schob ihr die Kapuze vom Kopf runter. Sie wandte ihren Kopf zu ihm um, sah ihn schief grinsen. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, fuhr mit beiden Daumen über ihre Wangenknochen. Sie lächelte zurück, genoss das Gefühl seiner Berührungen und schloss ihre Augen, als er sich zu ihr herunterbeugte und sie küsste. Ihre Beine wurden jedes Mal schwach, sobald seine Lippen ihre berührten. Sofort verlor sie sich in den Kuss, schlang ihre Arme um seinen Nacken und fuhr ihre Finger durch seine Haare. Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken, die sie näher zu ihn heranzogen. Seufzend bewegte sie ihre Lippen auf seine. Nach einer Weile entkam ihm ein raues Stöhnen und Maron wusste sofort, was es bedeutete. Er entfernte sich von ihr, beendete den Kuss. Es war immer dasselbe. Heute Nacht war das nicht anders. Einen letzten, kleinen Kuss drückte er ihr auf den Mund und strich ihr sanft mit einer Hand über die Wange. Sie öffnete ihre Augen und lächelte ihn an, ließ sich die Enttäuschung nicht anmerken. Nichts überstürzen und geduldig bleiben. Chiaki erwiderte ihr Lächeln, ließ sie los und nahm auf seinem Bett Platz, während Maron ihren Rucksack von den Schultern nahm. Sie holte seine Essensbox hervor, legte es vor ihm hin. Er bedankte sich mit einem breiten Grinsen und öffnete enthusiastisch die Box. Kichernd begab sie sich zum Sofa, ließ ihren Rucksack auf dem Boden fallen und zog sich ihre Jacke und Schuhe aus. Anschließend nahm sie ihre Beine aufs Sofa hoch und nahm sich das Buch, welches darauf lag, in die Hand. Es war schon das zweite Buch, welches Maron seit ihrem gemeinsamen Büchereinkauf in Inaba angefangen hatte. Während Chiaki gemütlich aß, las sie einfach. Nach ein paar Seiten konnte sie hören, dass er fertig war und die Box zu machte. Mit einem kleinen Schmunzeln sah Maron zu ihm auf, blickte durch ihre Wimpern zu ihm rüber. Er erwiderte ihren Blick, neigte etwas den Kopf und grinste. „Verdammt lecker“, sagte er nur. Was er immer tat und was sie auch wiederrum freute. Sie nickte dankend und widmete sich wieder ihrem Buch. Im nächsten Moment räusperte Chiaki sich, worauf Maron wieder zu ihm aufsah. „Ich habe ein Geschenk für dich“, sagte er, lehnte sich ans Kopfende zurück, ein Bein unter das andere geklemmt. Perplex blinzelte sie ihn an, klappte ihr Buch zu. „D-Das wäre nicht nötig gewesen“, stammelte sie, „Ich meine, du hättest mir nichts besorgen müssen, Chiaki.“ Sie biss sich auf die Lippe, als sie daran dachte, dass sie nun auch ihr Geschenk ihm geben müsste. Er schnaubte. „So ein Bullshit“, entgegnete er augenrollend. „Über Weihnachtsgeschenke wird nicht gemeckert.“ Chiaki reichte nach einer Schublade von seinem Nachtschrank, öffnete sie und holte eine kleine Box hervor, die in Geschenkpapier eingewickelt war. „Das ist unhöflich“, vollendete er in einem mahnenden Ton und grinste. Er legte die Box auf die Mitte des Bettes ab und klopfte auf die Matratze. „Nun beweg deinen Hintern hierhin und öffne es”, grinste er, „Und keine Sorge. Ich verspreche: es war nicht teuer“, fügte er mit erhobenen Händen hinzu. Seufzend stand Maron auf, die Wangen verlegen rot gefärbt. Ihr Herz klopfte vor Aufregung etwas schneller. Ob sie über sein Geschenk oder über seine Reaktion zu ihrem Geschenk aufgeregt war, wusste sie selbst nicht. Sie ging mit zögernden Schritten auf ihn zu, ließ sein Geschenk erstmal in der Tasche. Sie stieg aufs Bett, setzte sich kniend vor dem Geschenk hin. Er lehnte sich mit einem Grinsen entspannt zurück. Maron nahm das Geschenk in die Hand, hielt es schüttelnd an ihr Ohr und machte es mit einem stillen Seufzer auf. Vorsichtig entfernte sie das Geschenkpapier. Nun hielt sie eine roséfarbene Box in den Händen. Sie warf Chiaki einen kurzen, fragenden Blick zu, der sie gespannt beobachtete. Im nächsten Moment öffnete sie den Deckel und machte ein überraschtes Gesicht, als sie den Inhalt sah. Es war ein Set hübscher Haarnadeln. [x] „Oh...“, brachte Maron mit einem überraschten Lächeln nur heraus. Hatte sowas einfaches und simples gar nicht erwartet. „Damit deine Haare dir nicht immer im Gesicht herumfliegen“, hörte sie Chiaki sagen, konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören. „Ich wusste nicht, ob du sowas besitzt, aber ich ging mal von einem Nein aus.“ Kichernd fuhr sie sich durch die Haare. Sowas wie Haarnadeln besaß sie tatsächlich nicht – zumindest keine solchen Schönen. „Danke“, sagte sie, strahlte ihn aufrichtig an. Freude breitete sich in seinem Gesicht auf und er lehnte sich nach vorne, nahm sich eine Haarnadel raus und klemmte sie ihr seitlich in die welligen Haare. Anschließend drückte er ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Sie kicherte peinlich berührt und gab ihm ebenfalls einen kleinen Kuss auf die Wange. Chiaki lehnte sich mit einem zufriedenen Lächeln zurück. „Ich bin froh, dass es dir gefällt“, sagte er, „Du siehst hübsch aus“, merkte er in einem sanften Ton an. Maron spürte wie ihr Gesicht noch heißer wurde, als es schon war. Sie schloss die Box wieder, nahm es an sich sowie auch das Geschenkpapier. „Uhm...“, setzte sie unsicher an, biss sich innerlich fluchend auf die Lippe. „Ich hab auch etwas für dich“, gestand sie leise. Mit verengten Augen legte Chiaki den Kopf schief. „Es war nicht teuer, oder so“, wendete sie ein. Eine Spur von Erleichterung zeichnete sich in seinen Augen ab. „Und... ehm.…“ Nervös blickte sie auf die Haarnadel-Box herab, zerknüllte das Geschenkpapier in ihrer Faust. „Es ist mehr...symbolisch“, murmelte sie. Sie schaute zu ihm auf und sah, wie er sie mit hochgezogener Augenbraue verdutzt anblickte. Tief atmete Maron durch, stand schließlich auf und ging zum Sofa, schmiss auf dem Weg das Geschenkpapier in den Papierkorb. Sie griff in ihre Tasche, holte ihr Geschenk heraus und legte dabei die Haarnadel-Box behutsam rein. Ein weiteres Mal atmete sie durch und kehrte zu ihm zurück, hoffte innerlich, dass er nicht irgendwie davonrannte, wenn er die Bedeutung hinter dem Geschenk herausfand. Sie stieg wieder aufs Bett und legte die Box auf derselben Stelle ab, wo Chiaki sein Geschenk vorhin abgestellt hatte. Er setzte sich auf, sah neugierig auf die Box herunter. Die Box, die im Grunde genommen alles, was Maron für Chiaki empfand, zusammenfasste. Sie unterdrückte den Drang, es wieder an sich zu reißen und aus dem Balkon zu schmeißen. Langsam nahm Chiaki das Geschenk an sich. Ihr Herz klopfte lautstark in ihrer Brust, es würde sie nicht wundern, wenn er es hören konnte. Das Blut begann in ihren Ohren zu rauschen. Regungslos saß sie da und sah ihm dabei zu, wie er das Geschenkpapier entfernt. Sie hielt sogar den Atem an, als er langsam den Deckel auf machte. Seine Brauen zogen sich neugierig zusammen, als er mit einer Hand den Inhalt rausholte. So klein und doch so groß. Maron presste sich ihre Lippen fest zusammen, sah dem silber-schwarzen Ring dabei zu wie es an der schwarzen Lederkette zwischen ihnen in der Luft hin und her schwang. Chiaki zog seine Augenbrauen zusammen und nahm den Ring mit der anderen Hand, um es genauer zu inspizieren. „Das ist ein Claddagh-Ring“, sprudelte es aus Maron schnell heraus, die Wangen feuerrot. Wollte sich am liebsten selbst in den Arsch treten, dass sie ihm nicht einfach ein neues Skizzenbuch holen konnte. „Du musst es nicht tragen oder so…“, murmelte sie, knetete nervös mit ihren Händen. Für einen Moment starrte Chiaki ausdruckslos auf den Ring. „Was ist die Symbolik dahinter?“, fragte er. Shit! Natürlich musste er das fragen! Seufzend gab Maron sich schließlich geschlagen, atmete tief ein und wieder aus. „Die Hände…“, fing sie langsam an, „Die Hände repräsentieren Freundschaft.“ Chiaki sah zu ihr auf und wieder zum Ring zurück. Es fing mit Freundschaft an. Sie waren Freunde. Er war in ihren Augen ihr bester Freund. „Die Krone…“, setzte Maron fort, „…steht für Loyalität.“ Ihre Stimme begann leiser zu werden, während Chiaki immer noch mit ausdrucklosen Augen den Ring anstarrte. Es dauerte einige lange Sekunden bis sie weitersprach. „Das Herz...“ Sie verstummte, blickte auf ihren Schoß herunter. „Nun… du weißt schon…“ Sie schaute zu Chiaki auf. Er blickte sie mit seiner maskenhaften Miene an, blinzelte nicht, ließ seine Hände langsam sinken. „Das Herz?“ Seine Stimme war leise und sein Gesicht spiegelte keinerlei Emotionen wider. Mit sich selbst fluchend, sah Maron wieder auf ihren Schoß herunter, spielte nervös mit ihren Händen. Ihr Gesicht war so heiß, man konnte bestimmt ein Ei darauf braten. Sie realisierte, dass er definitiv -mit Sicherheit- noch nicht bereit war, die nachfolgenden Worte von ihr zu hören. Doch für einen Rückzieher war es zu spät. Sie räusperte sich. „Das Herz…steht für Liebe“, brachte sie wispernd heraus, die Hände so fest ineinander verschränkt, ihre Knöchel stachen weiß hervor.   Für einige, lange Augenblicke war es still zwischen ihnen. Maron traute sich nicht zu Chiaki aufzuschauen. Sie erwartete nicht, dass er ihre Gefühle erwidern würde. Aber sie hatte sich auf alle möglichen Reaktionen eingestellt, auf die sie sich auch gefasst machte. „Du liebst mich nicht“, sagte er in einem leisen, monotonen Ton. Für einen Moment starrte sie stirnrunzelnd auf die Bettdecke unter ihr, ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. Sie liebte ihn nicht…? Sie liebte ihn nicht?! Die Tatsache, dass er ihre Gefühle verneinte und komplett abwies, ließ etwas in ihrem Inneren Klick machen. Brachte eine Erkenntnis in ihr hervor. Die anfängliche Vorstellung in ihrem Kopf verfestigte sich zur Realität. Nämlich, dass sie in Chiaki verliebt war. Dass sie ihn liebte! Und dass er es wagte über ihre eigenen Gefühle zu urteilen. Maron schnellte ihren Kopf hoch, blickte beleidigt und eingeschnappt in sein regloses Gesicht. „Sag mir nicht, was ich fühle.“ Sie verengte ihre Augen, hasste diese emotionslose Maske, hinter der er sich versteckte. Chiaki saß für einige Sekunden wie versteinert da, bevor er mit dem Kopf schüttelte. Lehnte ihre Gefühle immer noch ab. Was sie noch mehr verärgerte. „Ich liebe dich“, sagte sie mit ruhiger, fester Stimme. Diese drei Worte auszusprechen, fühlte sich so normal und ungezwungen an, es war unglaublich. Sie waren aber wahr. Ohne Vorwarnung blitzte Wut in seinen Augen auf und er presste sich die Kiefer fest zusammen. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er verengte seine Augen zu Schlitzen. „Wag es nicht das nochmal zu sagen.“ Maron wich bei seinem Ton etwas zurück, völlig schockiert darüber, dass er mit so viel Wut reagierte. Sie hatte sich auf jegliche Formen von Abweisungen gefasst gemacht, aber sie hatte nicht erwartet, dass er so aufgebracht sein wird. Seine Körperhaltung war völlig angespannt. Doch sie weigerte sich, sich von seiner irrationalen Wut beirren zu lassen. „Ich liebe dich, Chiaki“, wiederholte sie bestimmt. Seine Augen blickten kalt in ihre. „Du glaubst, du liebst mich, aber eigentlich ist es doch nur die Tatsache, dass ich dich anfassen kann-“ „Nein, ist es nicht!“, fiel sie Chiaki zischend ins Wort, konnte es nicht fassen, dass er sowas behaupten würde. „Ich liebe dich deinetwillen“, sagte sie, sprach jedes Wort einzeln mit Nachdruck aus. „Hör auf.“ Seine Züge verhärteten sich noch mehr. „Hör auf mich zu lieben!“ Diese Worte trafen sie wie ein Messerstich ins Herz. „Ich kann nicht!“ Sein Blick verfinsterte sich noch mehr und er lehnte sich bedrohlich langsam zu ihr nach vorne. Maron wich diesmal nicht zurück. „Du machst einen großen Fehler“, sagte er. „Warum?“ „Ich kann nichts erwidern, was ich nicht empfinden kann.“ Chiaki blickte ihr fest in die Augen. Ihr Blick besänftigte sich etwas. „Das macht nichts.“ Er schnaubte spöttisch auf, schüttelte entschieden den Kopf. „Du kennst mich noch nicht mal“, sagte er, sprach weiterhin in diesem ungewohnt kalten Ton. Irritiert blickte Maron ihn an, die Brauen ungläubig zusammengezogen. „Was redest du da? Natürlich kenne ich dich.“ Ihr gefiel es nicht, wie ihre eigene Stimme zu zittern begann, als sie das sagte. Als wäre sie sich selbst nicht sicher darüber - was in Wahrheit nicht stimmte. Seine Augen verengten sich noch mehr. Plötzlich reichte Chiaki hinter sich, packte sein Shirt und zog es sich über den Kopf. Maron beobachtete ihn dabei, verstand nicht, was er vorhatte. Nachdem er sich sein Shirt ausgezogen hatte, warf er es irgendwo beiseite. Genau in dem Moment wurden ihre Augen riesengroß als sie die Brandnarben sah, die auf seinem Oberkörper und seinen Oberarmen verteilt waren. Leise schnappte sie schockiert nach Luft. Sie sah zu seinem Gesicht hoch und eine Spur von Selbstekel spiegelte sich in seinen Zügen wider. So wie damals zur Party als sie einen kurzen Blick auf seine Narbe erhascht hatte. Was lächerlich war, denn selbst mit dem Narben, die ihn in keiner Weise verunstalten, sah Chiaki umwerfend aus. Sie blickte ihm in die Augen, hob ihr Kinn und richtete sich gerade. Narben würden sie nicht abschrecken. Ihr Körper war schließlich selbst mit Narben gezeichnet. „Abscheulich, nicht? Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich“, sagte er in einem beängstigend ruhigen Ton, seine Hände waren an den Seiten fest zu Fäusten geballt. Es gab so viel, was Maron womöglich hätte darauf erwidern können, aber das einzige was sie tat, war über die Absurdität seiner Worte zu schnauben. Was seine Wut noch mehr steigerte und er lehnte sich weiter zu ihr nach vorne. Auch wenn sie es nicht wollte, so bereitete Chiaki ihr doch allmählich Angst ein. „Willst du den wahren Grund wissen, wieso meine Mutter mich hasst und abgehauen ist, Maron?“, fragte er, brach kein einziges Mal den Blickkontakt ab. Sie zwang sich dazu nicht von ihm weg zu schrecken. Sie wollte irgendwas tun, um ihm diese Wut abzunehmen. Doch das Einzige was sie gerade tun konnte, war wie gelähmt da zu sitzen und ihm in die Augen zu sehen. „Sie hasst mich dafür, weil ich ihren Geliebten umgebracht habe“, sprach Chiaki weiter. Maron zog konfus ihre Brauen zusammen. Denn sein Stiefvater starb in dem Feuer, als Chiaki gerade mal sieben Jahre alt war. Sie schaute ihn an und schüttelte verneinend den Kopf. Er war kein Mörder. Chiaki lachte trocken auf, was ihr einen eiskalten Schauer auf den Rücken bereitete. „Es ist aber wahr. Ich bin ein verdammter Mörder.“ Langsam lehnte er sich etwas zurück, funkelte sie weiterhin an. Erneut schüttelte sie den Kopf, hob mit Überzeugung ihr Kinn. Auf keinem Fall würde sie sich von ihm vergraulen lassen. „So ein Bullshit“, sagte sie. Maron konnte den puren Selbsthass in seinen Augen sehen, was ihr einen Stich in ihrem Inneren verursachte. Es schmerzte sie, ihn so zu sehen. So wütend...auf sich selbst. Sie wünschte sich, dass sie ihm all diese negativen Gefühle irgendwie austreiben konnte. „Ich möge das Feuer zwar nicht gelegt haben, aber ich habe mich nur zurückgelehnt und zugeschaut, wie er im lebendigen Leibe verbrannte. Ich habe nicht mal versucht ihm zu helfen“, höhnte er. „Ich hätte rausrennen und nach Hilfe holen sollen... Es erstaunt mich, dass meine Mutter es drei Jahre mit mir noch ausgehalten hat.“ Für einen Moment hielt er inne. „Du kannst keinen Mörder lieben, Maron. Ich bin es nicht Wert.“ Maron stieß fassungslos Luft aus. Sie wusste, dass Chiaki bestimmte Details über das Feuer ausgelassen hatte. Wollte auch nicht zu neugierig darüber sein und hatte darauf gewartet, dass er ihr den Rest von sich aus erzählte. Aber dass er sich selbst für die ganze Sache verantwortlich machte war einfach nur lächerlich. Herrgott nochmal, er war sieben! „Chiaki, du warst nur ein Kind. Du kannst dafür nicht verantwortlich gemacht werden“, sprach sie gefasst und eindringlich auf ihn ein. Dies überzeugte ihn allerdings nicht. Mit zusammengezogen Brauen senkte er seinen Blick. Er stieß einen frustrierten Laut aus, raufte sich durch die Haare und schnappte sich anschließend ihr Handgelenk, welches ihm am Nächsten war. Erschrocken zuckte Maron zusammen als sich seine Finger fest -viel zu fest- um ihr Handgelenk wickelten. Chiaki lehnte sich wieder zu ihr nach vorne. „Du bist so naiv“, knurrte er, zog ihr Handgelenk ruckartig zu sich hin. Sie verlor ihre Balance und streckte ihren freien Arm noch vorne aus, um nicht auf seinem Schoß zu landen. Ihre Hand traf mit voller Wucht auf seiner vernarbten Brust, was ihn fast umschmiss. Er stieß sie daraufhin von sich, hielt gleichzeitig noch immer ihr Handgelenk fest. Plötzlich packte er ihre Schulter und drückte sie rücklings auf die Matratze, war auf bedrohlicher Art und Weise über sie gebeugt. Dies brachte Maron komplett aus der Fassung. Reflexartig duckte sie sich unter ihm zusammen, hielt sich schützend ihren freien Arm vor das Gesicht. Ein Wimmern entkam ihr. Mit einem Schlag breitete sich völliges Entsetzen auf seinem Gesicht aus. Seine Augen weiteten sich schockiert. Abrupt ließ Chiaki ihr Handgelenk los und entfernte sich schnell von ihr.   Maron setzte sich wieder auf, rieb sich das Handgelenk und blinzelte sich die Tränen in ihren Augen weg, die sich beim Anblick seines Selbsthasses angebahnt hatten. Sie sah, wie Chiaki sich wieder auf seinem Platz fallen ließ und mit schockiert, geweiteten Augen von ihr zurückwich. „Fuck…“, flüsterte er, jegliche Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen. Fassungslos hielt er sich eine Hand vor den Mund, seine Augen begannen glasig zu schimmern. „Oh Gott, Maron… Es tut mir so leid… ich wollte nicht…“, er verstummte zu einem hoffnungslosen Flüstern. Er stützte seine Ellenbögen auf die Knie ab und vergrub seinen Kopf in beide Hände. Wie erstarrt sah Maron ihm dabei zu. „Ich wusste es...“ Ein ironisches, gekränktes Lachen war von ihm zu hören, während er mit gesenktem Kopf sich in die Haare packte. „Ich wusste, dass ich alles kaputt machen werde...“ Ihr Herz zog sich bei dem Schmerz in seiner Stimme und den qualvollen Selbstvorwürfen zusammen. Sie konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, aber ihr entging im schwachen Licht der Nachttischlampe nicht, wie eine einzelne, stumme Träne ihm herunterfiel und einen kleinen, dunklen Fleck auf seiner Jeans hinterließ. Sie fasste sich wieder, ließ ihr Handgelenk los und streckte ihren Arm nach ihm aus, konnte es nicht ertragen Chiaki so leiden zu sehen. Zögernd lehnte Maron sich zu ihm hin und berührte sanft sein Knie, worauf er zurückzuckte. „Geh, Maron... Ich halte dich nicht auf“, wisperte er, ohne zu ihr aufzusehen. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals als sie realisierte, dass er davon ausging, dass sie ihn verlassen würde. Auf keinen Fall würde sie sich von ihm wegstoßen lassen. Nichts von all dem, was er gesagt hatte, änderte etwas über ihre Gefühle für ihn. Außerdem hatte Chiaki ihr immer beigestanden, wenn sie gelitten hat. Maron musste daher auch ihm beistehen. Sie rutschte zu ihm hin, hob ihre Hände und lockerte den Griff seiner Hände in den Haaren. Anschließend packte sie ihn sachte an den Schultern, verleitete ihn dazu sich gerade zu richten. Er sträubte sich davor, versteifte sich komplett. Wollte nicht, dass Maron ihn anfasste, aber das kümmerte sie nicht. Chiaki hatte sie schließlich immer in die Arme genommen, wenn sie weinte. Nach einiger Zeit gab er schließlich nach. Er hielt seine Augen geschlossen, während ihm eine weitere Träne die Wange herunterrannte. Sie näherte sich ihm, ließ sich rittlings auf seinem Schoss nieder und legte ihre Arme um seinen Nacken. Sie vergrub ihr Gesicht in seine Halsbeuge und presste ihren Körper gegen seinen, versuchte ihm mit der Umarmung zu zeigen, dass sie weiterhin für ihn da war. Hoffte gleichzeitig, dass er all die Liebe spüren konnte, die sie für ihn empfand. Er war vollkommen still, bewegte sich für eine lange Weile nicht. Ließ sich wie eine Statue von ihr umarmen. Unterdessen strich Maron ihm sanft durchs Haar, drückte ihm ab und an mal kleine, zarte Küsse auf den Nacken. Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte sie, wie seine Arme sich regten. Langsam schlang er sie um ihren Rücken, während er zögernd seine Stirn auf ihre Schulter ablegte. Vorsichtig, als wäre sie gebrechlich, umarmte Chiaki sie zurück, strich ihr geistesabwesend mit einer Hand über die langen Haare auf dem Rücken. „Ich habe dir weh getan…“, wisperte er mit gebrochener Stimme. Maron schüttelte ihren Kopf. Es hatte kaum wehgetan. Sie hatte mit mehreren Knochenbrüchen und Schnittwunden, die den Großteil ihres Körpers bedeckten, gelebt. Ein einfacher Griff ums Handgelenk war nichts dagegen. Schwer atmete er aus, entfernte seine Arme von ihrem Rücken und drückte sie an den Schultern sachte von sich. Maron wollte ihn nicht loslassen, doch Chiaki war natürlich stärker. Sein Gesicht war feucht von Tränen, die Augen gerötet. Er nahm ihr Handgelenk und sah sie sich genauestens an. Sie war völlig unverletzt, nur ein paar rötliche Male, die die Umrisse von seinen Fingern hatten, waren auf der hellen Haut zu sehen. Ein erstickter Laut entkam ihm als er die Male sah, weshalb Maron ihr Handgelenk zurücknahm. „Es ist nichts. Noch nicht mal eine Quetschung“, sprach sie auf Chiaki beruhigend ein. Seine Augen blickten in ihre, wirkten so gequält und aufgewühlt. „Es tut mir so leid, Maron…“, flüsterte er, lehnte seine Stirn an ihrer an. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und schüttelte wieder den Kopf. „Habe dir schon verziehen“, sagte sie, umarmte ihn und küsste ihm die letzte Träne weg. Schnaubend drehte Chiaki sein Gesicht weg, nahm erneut ihr Handgelenk von seinem Nacken und sah es sich wieder an. Maron versuchte sie ihm wieder zu entziehen, wollte nicht, dass er sich noch mehr damit abquälte. Aber er ließ nicht locker, brachte ihr Handgelenk zu seinen Lippen hoch und verteilte sanfte, federleichte Küsse darauf. Ihre Wangen röteten sich etwas. Mit ihrer freien Hand strich Maron ihm durch über die feuchte Wange, lächelte ihn weiterhin liebevoll an, als er zu ihr aufsah. Ein letztes Mal untersuchte Chiaki ihr Handgelenk nach irgendwelchen Verletzungen, strich behutsam über ihre Haut, ehe er schließlich losließ. Er blickte auf sich herab, verzog beim Anblick seiner nackten, vernarbten Brust angewidert das Gesicht und begann sich in seinem Zimmer nach seinem Shirt umzusehen. Maron blickte ihn mitfühlend an, wollte ihn wie damals zur Party trösten. Und die Art und Weise, wie er mit völligem Selbstekel auf seine vernarbte Gestalt beäugte, ließ all ihre Hemmungen über Bord werfen. Ohne Weiteres griff Maron nach dem Saum ihres Pullovers und zog es sich über den Kopf, während Chiaki immer noch nach seinem Shirt Ausschau hielt. Ein Schauer überkam sie als ihre nackte Haut auf die kühle Zimmerluft traf. Wie er, warf sie ihren Pullover irgendwo beiseite. Es war etwas, was sie immer taten. Sobald einer von ihnen sich wie ein Freak fühlte, würde der andere ihm seine Makel zeigen, um zu signalisieren, dass sie nicht allein waren. Es war daher das Natürlichste auf der Welt für sie, dass sie ihm ihre Narben zeigte. Narben, die sich auf ihrem Oberkörper, Rücken, Armen und Beinen abzeichneten. Gürteln wurden auf sie eingepeitscht, Glasscherben hatten sich tief in ihre Haut reingeschnitten… Aber sie hatte überlebt. Genauso wie er überlebt hatte. Und ihre Narben waren der Beweis dafür. Maron beobachtete, wie Chiaki’s Blick wieder zu ihr schweifte. Mit großen Augen und halboffenem Mund starrte er auf ihre Brust. Sie trug einen BH. Nichts aufreizendes oder ähnliches, sondern schlicht und einfach weiß. Dennoch kam sie sich etwas nackt vor, wurde rot im Gesicht. Stell dir einfach vor, dass er dich in Bikini sieht, argumentierte Maron mit sich selbst. Für einen Moment starrte Chiaki sie sprachlos an, ehe seine Augen wieder zu ihr hoch wanderten. „Das war jetzt so unnötig gewesen“, sagte er in einem missbilligenden Ton. Sie zuckte einfach mit den Schultern und lächelte ihn an. Mag zwar sein, dass es unnötig gewesen war, aber so waren sie halt. Wie du mir, so ich dir. Maron blickte sich um, suchte auf dem Bett nach der Kette, welche seinen Ausbruch verursacht hatte. Als sie Chiaki kurz den Rücken zukehrte, konnte sie hören wie er scharf Luft einzog. Sie seufzte innerlich, war sich bewusst, dass ihr Rücken schlimm aussah. Schließlich hatte er jetzt noch mehr Sicht darauf, als sie ihm damals gezeigt hatte. Sie drehte sich wieder zu ihm um und fand den Ring schließlich. Er folgte ihrem Blick und schaute ausdrucklos auf den Ring herunter. „Entschuldige, es war ein bescheuertes Geschenk“, seufzte Maron reumütig, wünschte sich erneut, dass sie ihm einfach ein Skizzenbuch geholt hätte. Gerade als sie es aufheben wollte, kam Chiaki ihr zuvor und nahm den Ring an sich. Er sah sie an und band sich die Lederkette um den Hals, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. „Es ist nicht bescheuert“, murmelte er, wendete den Ring ein paar Male hin und her und ließ es schließlich gegen seine Brust fallen. Seine braunen Augen blickten mit gewisser Intensität eindringlich in ihre. „Es ist das Beste, was man mir jemals gegeben hat.“ Etwas sagte ihr, dass er nicht von dem Ring selbst sprach, sondern vielmehr über den Fakt, dass sie ihm im Grunde genommen ihr Herz geschenkt hatte. Er lehnte sich zu ihr vor, schlang seine Arme um ihre nackte Taille und zog sie zu sich ran, legte seinen Kopf wieder auf ihre Schulter ab. Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und vergrub ihr Gesicht wieder in seine Halsbeuge, strich ihm sanft mit den Fingern durch die Haare. Maron spürte, wie Chiaki ihr die Haare vom Nacken wegschob, seinen Kopf bewegte und ihr einen sanften Kuss an den Hals drückte. Sie schmiegte sich enger an ihn. Presste ihre Narben aufeinander. „Was ich vorhin gesagt habe…war nicht so gemeint…“, durchbrach Chiaki die Stille zwischen ihnen. Er seufzte schwer. „Ich kann es aber nicht zurück sagen.“ Seine Stimme war ein trauriges Flüstern. Langsam strich er mit seiner warmen Hand ihren Rücken auf und ab, fuhr mit vorsichtigen, federleichten Berührungen die Narben entlang. „Du glaubst gar nicht, wie sehr es mich umbringt, dass ich es nicht kann“, sagte er verbittert. Maron schüttelte ihren Kopf. „Spielt keine Rolle“, erwiderte sie leise. Sie hatte nie erwartet, dass er genauso empfinden würde. Geschweige denn, es auch sagen würde. Und selbst wenn... Ihr war es sowieso lieber, dass er ehrlich mit ihr war und nicht etwas sagte, was er am Ende gar nicht meinte. Chiaki’s Hand wanderte nach oben, seine Finger verfingen sich in ihren Haaren und begannen ihr den Nacken zu kraulen. Er legte seine Wange auf ihre Schulter ab und drückte ihr einen weiteren Kuss an den Hals, direkt unterhalb ihres Ohres. „Du verdienst Besseres“, flüsterte er traurig. Erneut schüttelte sie den Kopf. „Es gibt niemand besseren als dich“, sagte sie, und schlang ihre Arme fest um seinen Nacken, wollte ihn nie wieder loslassen. Es war wahr. Für sie wird es niemand besseres wie ihn geben. Ihr Herz gehörte einzig und allein ihm. Er schüttelte den Kopf, als könnte er ihre Worte nicht glauben, sagte aber nichts mehr dazu. Er strich ihr weiterhin über den Rücken, küsste gelegentlich ihren Nacken und drückte sie eng an sich. Sie konnte sein Herzschlag auf ihrer Brust spüren. Sie passten wie zwei Puzzleteile perfekt zusammen. Wie zwei Hälften eines Ganzen. Chiaki mag das jetzt noch nicht sehen können, aber Maron hoffte, dass er es letzten Endes irgendwie doch konnte. *** In einem sanften Rhythmus strich er ihr den Rücken auf und ab, fuhr mit seinen Fingern über die Wirbelsäule, genoss das Gefühl ihrer Haut auf seiner. Das Gefühl ihres Herzschlages auf seiner Brust. Er hatte nichts davon verdient. Er hatte dieses Mädchen einfach nicht verdient. Besonders ihre Liebe nicht. Und dann hatte Chiaki das getan, wo er nicht gedacht hätte, dass er dazu imstande wäre: Er hatte ihr weh getan. Was ihm nur noch mehr bewies, dass er es nicht wert war geliebt zu werden. Besonders nicht von jemand so Reinem wie ihr. Und dennoch... war sie hier, umarmte ihn und liebte ihn. Hätte dabei so viel Besseres verdient. Es war nicht fair. Es war verflucht nochmal nicht fair ihr gegenüber, dass er nichts von dem, was sie für ihn empfand, zurückgeben konnte. Als Chiaki den Ring sah, wusste er sofort, was es bedeutete. Er wollte sich dessen Symbolik dahinter jedoch nicht eingestehen. Er wusste auch, dass es verschiedene Bedeutungen gab, abhängig davon, wie man den Ring trug. Maron hatte seinen an die Lederkette angelegt. Sie gab ihm die Wahl. Sie waren Freunde. Sie war ihm loyal, vertraute ihm blind. Und als das Herz drankam, betete er darum, dass sie das eine Wort nicht sagen würde. Aber sie tat es. Und irgendwie war in ihm dann die Sicherung durchgebrannt. Er hatte rot gesehen, rastete einfach aus. Wollte ihr Worte nicht wahrhaben. Weshalb er ihr die abscheuliche Wahrheit über sich und seine Vergangenheit zeigte. Doch sie blieb stur, stritt alles ab. Was ihn noch mehr anpisste. Er konnte es nicht fassen, dass sie nach all dem, was er ihr offenbart hatte, ihm nicht mit Abscheu entgegenkam. Woraufhin er ausflippte. Und ihr wehtat. Chiaki konnte das Fünkchen Angst und die Tränen in ihren Augen sehen, was ihn wieder zur Besinnung brachte. Er hatte erwartet, dass sie gehen würde. Er wollte, dass sie ging. Damit er ihr nicht noch mehr wehtun konnte. Das hätte er verdient. Aber sie blieb. Und dann umarmte sie ihn. Als wäre er derjenige der Trost bräuchte. Er verstand es nicht. Konnte es nicht verstehen. Er ging sie wegen ihres Geschenkes an und hatte sie verletzt. Und sie umarmte ihn einfach. Spendete ihm Trost. Es war so lächerlich, er wollte sie dafür auslachen und gleichzeitig sich an ihr ausheulen. Dieses Mädchen war wirklich zu gut, um wahr zu sein. Zu gut für ihn. Und als wäre das Geschenk, ihre Liebe und der Trost nicht schon genug für heute gewesen, um ihn mies fühlen zu lassen, zeigte Maron ihm noch ihre Narben. Noch nie hatte er so viel nackte Haut auf einmal von ihr gesehen, war zunächst erstmal davon schwer überrascht. Dann kam der Schock, als er ihre Narben auf Brust, Bauch und Arme richtig registriert hatte. Ihm war aufgefallen, dass sie sich letztens die auf ihrer Brust mit Make-Up kaschiert haben musste. Dieser Moment hatte nichts Sexuelles oder Obszönes an sich. Es ging einfach und allein um Liebe und Fürsorge. Ihre Narben für seine. Manche waren klein - andere groß, verschwanden teilweise unter ihrem weißen BH und unter der Hose. Und als sie ihren Rücken zu ihm drehte, gefror ihm fast das Blut in den Adern und er musste scharf Luft einziehen. Einen Teil kannte er schon und da empfand er es schon als schlimm. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass es noch schlimmer gehen konnte. Lange Striemen liefen parallel sowie kreuz und quer ihren Rücken entlang. Und die Narben auf ihren Schulterblättern sahen teilweise so aus als hätte man einem Engel die Flügel rausgerissen. Sie war ein Engel. Denn trotz all dieser Narben, war sie immer noch wunderschön. Immer noch zu gut für ihn. Und aus unerfindlichen Gründen, selbst nachdem sie alles erfahren hatte, wollte sie ihn noch immer. Wollte ihn noch immer in ihre zierlichen Arme halten, ihm sanft durch die Haare streichen, für ihn da sein... Noch immer hielt sie ihm ihr Herz entgegen und es zerriss ihn förmlich, dass er ihr seins nicht geben konnte. Sie war so wundervoll und hatte so viel Besseres verdient. Nicht ihn. Wahrscheinlich hoffte Maron darauf, dass er sich mit der Zeit ändern konnte. Aber Chiaki war sich da nicht sicher. Wusste es selbst nicht. Er wünschte sich inständig, dass er es konnte. Er wünschte sich, dass er sie auf die Weise lieben konnte, wie sie es verdient hat. Aber stattdessen war er einfach eine leere Hülle seiner selbst. Hielt sie mit jeder Faser seines Daseins fest und betete zu Gott, dass sie warten würde. Und das, hoffentlich nicht vergebens.   „Ich bin müde, Chiaki“, wisperte Maron gegen seinen Nacken. Er war auch müde. Wollte sie aber keine Sekunde loslassen. Behutsam entfernte Chiaki die Haarnadel auf ihrem Kopf, wollte nicht, dass sie sich im Schlaf noch verletzte oder ein paar Haare rausrupfte. Er legte den Haarschmuck auf dem Nachttisch ab und schaltete die Nachttischlampe aus, ohne den Griff von ihr zu lösen. Langsam ließ er sich mit seinem Mädchen in seinen Armen nach hinten aufs Bett fallen. Ihre Finger hörten nicht auf ihm durch die Haare zu streichen. Er umarmte sie noch fester, drückte ihren warmen Körper an seine Brust. Maron rutschte etwas runter, legte ihren Kopf unter seinem Kinn ab, sodass sein Gesicht wenige Zentimeter von ihren Haaren entfernt war. Doch auf keinen Fall würde er sein Mädchen frieren lassen. Er nahm seine Arme von ihrem nackten Rücken, packte mit seinen Händen von jeder Seite die Bettdecke und wickelte sie beide schützend ein. In ihrem Deckenkokon drehte er sich mit ihr zu Seite, damit sie komfortabel liegen konnte. Chiaki spürte, wie sie mit einer Hand liebevoll über seine Brust entlang strich bis sie den Ring fand und gedankenverloren etwas damit spielte. Leise konnte er Maron summen hören. Er drückte sie enger an sich, blickte auf die Uhr und stellte fest, dass es schon fast eins war. Heilig Abend offiziell. Ein schwerer, bedrückter Seufzer entkam ihm und er drückte ihr einen sanften Kuss auf den Kopf. Seine Lippen verweilten für eine Weile darauf, während er innerlich hoffte, dass er eines Tages mehr für sie sein konnte. Und dass sie auf ihn warten würde. Müde summte sie weiter als er mit geknickter Stimme in der Dunkelheit flüsterte: „Frohe Weihnachten... Maron.“   TWENTY-FIVE ----------- TWENTY-FIVE   Heute war ein Tag, in der Maron am liebsten gar nicht aufstehen wollte. Obwohl-… Eigentlich war jeder Tag so. Der Wecker klingelte. Müde kuschelte sie sich an Chiaki’s warmen Körper an. Sie konnte spüren, wie er Probleme hatte seinen Arm aus der Decke rauszubekommen. Irritiert zog sie ihre Brauen zusammen, öffnete träge ihre Augen und rief sich anschließend in Erinnerung, dass sie beide auf der Bettdecke eingeschlafen waren und Chiaki sie zusammen, wie ein Burrito, eingewickelt hatte. Verschlafen setzte Maron sich auf, schauderte etwas als der Deckenkokon sich löste und die kühle Zimmerluft auf ihre nackte Haut traf. Chiaki setzte sich ebenfalls auf und machte den Wecker aus. Kurz stand er auf, schlüpfte unter die Decke und legte sich wieder hin. Mit geschlossenen Augen strich er sich eine Hand über das Gesicht. Seufzend stand Maron auf, hielt sich leicht zitternd beide Arme vor den Oberkörper. Sie sah, dass Chiaki seine Augen geschlossen hielt und sich etwas zur Seite drehte, ihr dabei den Rücken zukehrte. Entweder war er zu müde oder er wollte ihr in gewisser Weise Privatsphäre geben - sie war sich nicht sicher. Sie nahm sich ihre Haarnadel vom Nachttisch und suchte nach ihrem Pullover. Es dauert nicht lange, bis sie es fand und es sich schnell überzog. Anschließend ging sie mit ihrer Tasche ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um etwas munter zu werden. Grob kämmte sie sich mit ihren Fingern durch die Haare. Sie kehrte in sein Zimmer zurück, zog sich Jacke und Schuhe an und packte ihre Tasche ein. Maron drehte sich zu Chiaki um, der noch immer im Bett lag und sie mit einem herzzerbrechenden, trostlosen Ausdruck im Gesicht ansah. Sie schenkte ihm ein beruhigendes, sorgloses Lächeln. Wollte nicht, dass er sich wegen den Ereignissen der gestrigen Nacht fertig machte. Er lächelte traurig zurück und winkte sie zu sich rüber. Sie ging auf ihn zu und stieg, ohne zu zögern, aufs Bett. Chiaki setzte sich auf und anders als sonst, machte er die Nachttischlampe an, erhellte das dunkle Zimmer in dessen sanftem Licht. Maron musste gegen die plötzliche Helligkeit stark blinzeln. Er kniff sich ebenfalls die Augen zusammen, lehnte sich im nächsten Moment zu ihr hin und drückte ihr einen kleinen, sanften Kuss auf die Wange. Für einige Sekunden verweilten seine Lippen darauf. Sie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Automatisch erhöhte sich ihr Puls. Nach einer Weile zog er sich zurück und sank wieder ins Bett runter. Sein Gesichtsausdruck wurde noch trauriger und seine Augen blickten trostlos in ihre. Ihr Herz zog sich zusammen. Sie musste ihn wissen lassen, dass sie sich nicht von ihm abwenden wird, egal was er dachte und fühlte. Maron beugte sich langsam zu ihm runter. Seine traurigen, braunen Augen ließen keinen Moment von ihr ab als sie mit einer Hand ihm liebevoll über die Wange strich und mit der anderen Hand nach seinem Ring unter der Decke tastete. Sie fischte es heraus, gab dem Ring und seiner Wange einen zarten Kuss. Chiaki rührte sich derweil nicht. Mit ihren Lippen strich sie über seine Haut und stoppt an seinem Ohr. „Nichts könnte mich dazu bringen dich weniger zu lieben“, flüsterte Maron ihm zu, ließ den Ring los und stieg vom Bett runter. Sie warf ihm einen letzten liebevollen Blick zu. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Wenn überhaupt, wirkte er noch nachdenklicher. Noch deprimierter. Maron stieß einen schweren Seufzer aus, sah betreten zur Tür und wünschte sich, dass sie mehr Zeit hätten. Dass sie den ganzen Tag bei ihm bleiben könnte. Aber sie musste gehen. Resigniert drehte Maron sich um und lief durch die Tür nach draußen, ließ Chiaki in seinem Zimmer allein.   Nach allem was letzte Nacht geschehen war, fühlte sich zu Hause der Tag heute so ungewöhnlich normal und sorglos an. Es war merkwürdig. Miyako wachte früh auf und machte mit Maron zusammen ein fettes Weihnachtsfrühstück. Es war Maron’s erstes Weihnachten ohne ihre Mutter. Gleichzeitig war es auch ihr erstes Weihnachten mit ihrem Vater und den Toudaijis. Dies minderte den inneren Schmerz. Ihre Mutter fehlte ihr sehr. Das Frühstück verlief ziemlich entspannt ab. Am Nachmittag kamen Yamato und Natsuki, um den Mädels Geschenke vorbeizubringen. Während Miyako mit beiden abhing, hatte Maron sich in die Küche zurückgezogen. Sie hatte keine Lust auf deren Gesellschaft, räumte auf und bereitete auch langsam alles für das Abendessen vor. Takumi und Sakura bestanden darauf, dass sie die Küche mal in Ruhe lassen soll, aber Maron blieb stur. Sie war müde, hatte letzte Nacht nicht viel Schlaf bekommen, da sie und Chiaki recht lange wach waren. Aber sie musste sich beschäftigt halten, musste ihre Gedanken ein wenig von letzter Nacht ablenken. Über den Tag klingelte immer mal die Tür und Freunde und Bekannte kamen vorbei, um Weihnachtsgrüße auszusprechen oder Geschenke vorbei zu bringen. Maron konnte immer nur fremde Stimmen kurz hören, war aber ganz in ihrem Element vertieft. Eventuell konnte sie auch mal Shinji und Dr. Nagoya hören, was ihre Gedanken automatisch zu Chiaki lenkte und ihr Herz zog sich wieder für einen Moment zusammen. Die ganze Woche über hatte Maron versucht ihrem Vater in gewisser Weise anzudeuten, dass er die Nagoyas zum Weihnachtsdinner einladen sollte. Er verneinte, als sie wie beiläufig mal danach fragte. Weshalb sie letzten endlich ein nettes Weihnachtsessen zu viert unter der Familie hatten. Angesichts bestimmter Umstände war es jetzt vielleicht besser so. Danach wurden Geschenke ausgetauscht. Maron bekam von Sakura und Miyako schöne Kleider, bei denen sie sich nicht sicher war, ob sie sie jemals tragen würde. Nichtsdestotrotz bedankte sich herzlichst bei ihnen. Takumi hatte ihr ein eBook-Reader geschenkt, worüber sie sich sehr gefreut hatte. Den Rest des Abends verbrachte sie mit Miyako in deren Zimmer, rieben sich zusammen die vollgestopften Bäuche und schworen sich für eine Woche nichts mehr zu essen. Nachdem alle endlich ins Bett gegangen waren und schliefen, packte Maron wie gewohnt ihre Sachen ein und ging zu den Nachbarn rüber. Sie war nervös Chiaki wieder zu sehen und hoffte innerlich, dass seine Stimmung sich seit heute Morgen etwas gebessert hatte. Leise klopfte sie an der Balkontür, schüttelte sich vor Kälte. Es war stark am Schneien und ein eiskalter Windhauch wehte vorbei. Die Tür öffnete sich und ihr gefiel nicht, was sie sah. Chiaki stand in schwarzer Jeans und einem schwarzen, langärmligen Shirt vor ihr, die Haare standen noch wilder ab als sonst, als hätte er den ganzen Tag damit verbracht seine Finger durch ihnen zu fahren. Was sie hart traf, waren seine Augen. Sie wirkten genauso niedergeschlagen und leer wie vorher, als er ihren Blick erwiderte. Ihr Magen verkrampfte sich. Maron wusste, dass er immer noch deprimiert wegen gestern war. Sie wollte ihn fragen, ob sie irgendwas tun konnte, um es besser zu machen. Aber ein Blick von ihm sagte ihr, dass Fragen es nur schlimmer machen würden, weshalb sie wortlos in sein Zimmer reinging. Chiaki schloss hinter sich die Tür und schob ihr die Kapuze runter. Gespannt sah Maron zu ihm auf, fragte sich, ob er sie immer noch küssen würde. Er lächelte sie an. Es war nicht sein typisches, schiefes Lächeln. Dieses Lächeln war so voller Trostlosigkeit, es brach ihr das Herz. Langsam beugte er sich zu ihr runter und legte sachte seine Lippen auf ihre. Instinktiv intensivierte sie den Kuss etwas, merkte aber sofort, dass es von seiner Seite an Gefühl fehlte. Auch wenn er ihr sachte über die Wange strich, fühlte sich der Kuss traurig leer an. Und als er sich von ihr löste, konnte sie spüren wie ihre Augen anfingen zu brennen. Dennoch wollte Maron sich den Schmerz und die Enttäuschung nicht anmerken lassen, blickte mit einer ruhigen Miene zu ihm auf. Sie verstand, dass er ernsthafte Probleme hatte, die er versuchte von selbst zu lösen - konnte es in seinen Augen sehen. Und es gab nichts was sie tun konnte als abzuwarten, dass er mit seinen Gefühlen irgendwie und irgendwann im Einklang war. Sie hatte volles Verständnis dafür... und dennoch tat es irgendwie weh. Schwer schluckend drehte Maron sich von Chiaki weg, packte ihren Rucksack aus und ging zu ihrem gewohnten Platz auf dem Sofa. Schweigend sah sie ihm beim Essen zu. Er sah kein einziges Mal zu ihr auf. Nach einigen Minuten hielt sie die Stille nicht aus, versuchte mit ihm ein harmloses Gespräch aufzubauen. „Wie war dein Tag?“, fragte sie zaghaft. „…Nichts Besonderes“, murmelte er geistesabwesend, ohne ihren Blickkontakt zu erwidern, sagte nichts mehr weiter und es wurde wieder still zwischen ihnen. Seufzend senkte Maron geknickt ihren Kopf, versuchte ihn nicht weiter zu bedrängen. Es war ziemlich ungewohnt ihn so schweigsam zu sehen. Als wäre er in seiner eigenen, kleinen Blase gefangen - versunken in seinen eigenen Gedanken. Gedankenverloren blickten seine Augen in die Ferne, versuchten irgendwas zu sehen, was es nicht gab. Nach dem Chiaki fertig mit essen war, gingen die beiden auch direkt ins Bett. Sie schlüpften unter die Decke, das Licht ging aus und er nahm sie vorsichtig in die Arme, küsste sanft ihre Haare. Seine Umarmung war nicht so fest wie sonst, als traute er sich nicht sie zu berühren. Maron legte ihre Arme um ihn, drückte ihn fest an sich. Resigniert strich sie ihm durch die Haare, lauschte seinem ruhigen Atemrhythmus und nach einige Zeit waren beide eingeschlafen.   Die Tage seit Weihnachten vergingen. Die winterlichen Temperaturen sanken teilweise bis unter null Grad Celsius. Aber nicht nur draußen würde es kälter… Chiaki distanzierte sich noch mehr von ihr. Die gefühlvollen Küsse an der Tür waren kaum mehr vorhanden. Jegliche Form von Zuneigung wurde von seiner Seite eingestellt. Der trostlose Ausdruck in seinen Augen blieb unverändert. Es war als wäre das Feuer in seinem Inneren erloschen. Sie sprachen kaum ein Wort mehr miteinander. Maron versuchte ihm die nötige Zeit und den nötigen Abstand zu geben, die er brauchte. Saß schweigend auf der Couch, versuchte zu lesen und warf ihm immer mal besorgte Blicke zu. Blicke, die Chiaki nie erwiderte. Und sogar mied. Er war vollkommen in sich gekehrt. Es zerriss sie förmlich. Er war ihr so nah und doch so fern. Wo bist du nur, Chiaki?, ging es ihr immer und immer wieder durch den Kopf, wünschte sich innerlich, dass er wieder zu ihr zurückkam. In einer Nacht konnte Maron das Schweigen nicht ertragen, musste ihn fragen was los war. Murmelnd antwortete Chiaki ihr nur, dass es ihm gut ginge und lächelte sie halb an. Am liebsten wollte sie auf ihn zu springen, ihn kräftig rütteln und ihm sagen, wie bescheuert er sich verhielt und dass er sie wieder richtig küssen sollte. Dass er sie wieder richtig in seine Arme nehmen sollte. Dass er wieder zu ihr zurückkehren sollte. Aber sie hielt sich zurück. Ihm noch in irgendeiner Weise Druck auszuüben, würde nichts besser machen. Wenn überhaupt, könnten jegliche Bemühungen ihrerseits alles nur noch schlimmer machen. Auf keinen Fall wollte sie noch mehr Wunden öffnen, als sie schon getan hatte. Nichtsdestotrotz konnte Maron ihre Bitterkeit schwer runterschrauben. Seine Umarmungen im Bett waren auch nahezu lachhaft. Die Distanz zwischen ihnen wirkte sich auch auf den Schlaf aus. Zumindest bei ihr. Die Albträume kehrten zwar nicht zurück, aber sie konnte dessen Präsenz und diese innere Unruhe im Schlaf spüren, wodurch sie mit diesem vertrauten Gefühl von Furcht und Angst am nächsten Morgen immer aufwachte. Wie ein dunkler Schatten lauerten die Albträume auf ihr. Sie wollte, dass Chiaki sie festhielt und dass die Träume von ihr fernblieben. Doch stattdessen bekam sie nur minimale Streicheleien und kleine, federleichte Küsse. Die Sehnsucht nach ihm war groß. Maron verbrachte selbst viel Zeit mit Nachdenken und bereute das ganze Weihnachtsgeschenk-Fiasko zutiefst. Sie hasste es, dass sie überhaupt Reue darüber verspürte. Dass sie es bereute ihm ihr Herz -ihre Liebe- geschenkt zu haben. Miyako bemerkte ihre bedrückte Stimmung, fragte immer wieder was los war, worauf Maron jedes Mal nur mit den Schultern zuckte. Sie war frustriert darüber, dass sie ihre Freundin noch nicht mal um Rat fragen konnte. Sie darf schließlich nichts über uns wissen, ging es ihr bitter durch den Kopf. Falls es noch sowas wie ein „uns“ gab. *** Er versuchte es. Er versuchte angestrengt dieses Gefühl zu verspüren. Diese Liebe für sie zu verspüren, nach der er dringend suchte. Welche sie dringend verdiente. Aber es war nicht da. Chiaki wollte sie von sich stoßen und sie fragen, wieso sie ihn verdammt nochmal nicht hasste. Er begriff es einfach nicht. Maron’s Liebe zu ihm war vollkommen bedingungslos. Es machte alles nur noch schlimmer. Er wollte es mehr als alles andere auf der Welt. Diese Liebe für sie verflucht nochmal zu empfinden und es ihr zeigen. Aber jedes Mal, wenn er ihr die Tür öffnete und sie ansah, fühlte er sich noch leerer. Weil es nicht zu finden war. Weil er es nicht spüren konnte. Weshalb Chiaki sich die letzten Tage und Nächte von ihr distanzierte. Und er hasste sich dafür. Er hasste sich jede Sekunde dafür, dass Maron ihn mit diesen traurigen, verletzten Augen anblickte. Er hasste sich dafür, dass er ihr immer noch weh tat. Dass er mit seiner Unfähigkeit sie zu lieben, weh tat. Es war nicht fair ihr gegenüber. Nach Weihnachten konnte Chiaki ihr nicht mal in die Augen blicken. Mied ihren Blickkontakt immer, konnte den Schmerz in ihren großen braunen Augen einfach nicht ertragen. Es fraß ihn innerlich förmlich aus. Wenn Maron morgens ging, blieb Chiaki für den Großteil des Tages im Bett. Mag für den einen oder anderen erbärmlich klingen. Aber er suchte. Suchte verzweifelt nach etwas, wovor er Angst hatte es nie zu finden. Die Tage verbrachte er eingebunkert in seinem Zimmer, grübelte viel nach, versuchte sich irgendwie im Klaren darüber zu werden. Er konnte Freundschaft für sie empfinden. Loyalität, Treue, Fürsorge, Zuneigung… Sogar Lust. Aber es war, als wäre es nahezu unmöglich für ihn diese andere Ebene an Emotionen zu erreichen. Nicht nur für Maron. Sondern für überhaupt jemanden. Und je mehr Chiaki darüber nachdachte, desto beschissener fühlte er sich. Er sollte Kaiki lieben. Er war schließlich sein Vater. Hatte ihn in seine Obhut genommen und sich um ihn gesorgt, als er glaubte niemanden mehr zu haben. Er wusste, dass Kaiki ihn genauso bedingungslos liebte, wie Maron und dass sein Vater zu ihm hielt, trotz all der Scheiße, die er mit ihm durchmachen musste. Sein Vater hatte seine Liebe genauso verdient, wie sein Mädchen. Und selbst für ihn war sie nicht da. Selbst nach sieben verdammten Jahren nicht. Da war Respekt und Loyalität und Fürsorge und sogar so etwas wie vorbildlicher Bewunderung Kaiki gegenüber. Aber keine Liebe. Dennoch erschien es Chiaki als schwachsinnig, dass er es überhaupt nicht fühlen konnte. Er war schließlich ein Mensch. Hatte ein Herz und eine Seele… irgendwo musste es doch sein! Allein die Vorstellung, dass er es gar nicht empfinden konnte, verstärkte in ihm nur den Wunsch es empfinden zu wollen. Er fühlte sich wie ein Freak. Leer und hohl. Chiaki konnte sehen, dass Maron ihm helfen und beistehen wollte. Konnte es in ihren Blicken sehen. Aber das war eine Sache, worin sie ihm nicht helfen konnte. Anders als bei den Albträumen und der Schlaflosigkeit, waren sie beide in Sache Liebe nicht gleich. Während sie so viel davon hatte, mangelte es ihm deutlich daran. Es hing daher alles an ihm. Während sie ihre Liebe für ihn fühlen konnte, es zeigen konnte und ihn mit einem Blick allein zum Lächeln bringen könnte - konnte er nichts davon für sie tun. Weshalb er sich noch mehr von ihr zurückzog. Er war zwar anwesend, aber gleichzeitig auch nicht. Und mit jedem vergangenen Tag fühlte er sich noch verlorener, noch hoffnungsloser als vorher. Er hasste sich für das, was er Maron antat. Sie schenkte ihm immer dieses falsche, gekünstelte und zugleich starke Lächeln, um ihren Schmerz zu verbergen. Der sich trotz allen in ihren Augen widerspiegelte. Und zum allerersten Mal wünschte Chiaki sich, dass sie sich ihre Kapuze überzog, um den Schmerz vor ihm zu verstecken. Denn diesen Schmerz konnte er ihr leider nicht nehmen.   Es war der letzte Tag des Jahres. Silvester. An dem Morgen hatten sie kurz über einen alternativen Plan diskutiert, wie Maron am besten in der Nacht hierhin kommen konnte. Ihre Väter sowie ein paar Leute aus der Nachbarschaft veranstalteten eine Silvesterfeier in der kleinen Parkanlage. Es wird auf einer großen Wiese gegrillt und Feuerwerke gezündet. Das machten sie jedes Jahr. Und da überall Menschen anwesend sein werden, konnte man unmöglich unbeobachtet die Wand hochklettern. Chiaki hatte mit dem Gedanken gespielt seinem Mädchen in der Nacht einfach abzusagen. Aber eventuell stellte er fest, dass er keine Lust hatte allein und müde das neue Jahr einzuläuten. Weshalb er sich dafür entschied, dass sie durch die Vordertür kommen soll. Jeder würde auf der Feier anderweitig beschäftigt sein, da konnte sie problemlos einfach reinspazieren. Den Plan gab er Maron auch wieder, sprach dabei in einer monotonen Stimme. Behielt nach wie vor seine Distanz von ihr ein. Sie stimmte ohne große Einwände zu und war anschließend durch die Tür verschwunden. Wie die letzten Tage auch, verbrachte Chiaki den Silvestertag allein in seinem Zimmer. Mag sein, dass er sich wie ein emotionaler Trottel verhielt, aber er konnte sich einfach nicht helfen. Er wollte sich zusammenreißen und versuchen für sie da sein. Mehr für sie zu sein. Wahrscheinlich setzte er sich selbst einfach zu sehr unter Druck und anstatt danach zu suchen, würde das Gefühl vielleicht zu ihm kommen. Vielleicht würde die Erleuchtung wie aus dem Nichts kommen. Wie wenn man sich angestrengt an etwas erinnern will und es einfach nicht geht – bis es schließlich von selbst wiederkommt, wenn man aufhörte daran zu denken. Nur hatte ihn diese Hoffnungslosigkeit in der ganzen Situation so weit heruntergezogen, dass es durchaus schwer war wieder auf zu finden. Manchmal fragte er sich, ob es irgendwelche Medikamente gab, die ihm aushelfen könnten. Die ihm dazu verhalfen dieses Gefühl zu spüren. Wenn ja, dann würde er keine Sekunde warten und sie nehmen – nur um sein Mädchen das zu zeigen, was sie verdient hat und sie wieder Lächeln zu sehen.   Die Nacht brach an und Chiaki konnte von seinem Balkon aus schon Stimmen und Gelächter sowie laute Musik aus dem Park hören. All die gute Laune der Menschen draußen war echt zum Kotzen. Er machte das Licht aus, als die ersten Feuerwerkskörper abgeschossen wurden und ließ das bunte Licht sein Zimmer erleuchten. Gegen elf Uhr dreißig zog Chiaki sich seine Jacke und Straßenschuhe an und ging nach draußen, lief den vertrauten Weg über den Hinterhof Richtung Parkanlage. Einerseits wollte er mit seinem Erscheinen Kaiki einen Gefallen tun (der unbedingt wollte, dass alle dabei waren) und andererseits wollte er einen kurzen Blick auf Maron’s Lächeln erhaschen, wenn sie sich das Feuerwerk anschaute. Im Park ging er still seufzend an ihre gemeinsame Picknickbank vorbei und begab sich zu der offenen Wiese, die hinter ein paar Bäumen einige Meter entfernt war und auf der die Feier stattfand. Elektronische Fackeln waren auf der Fläche verteilt, um die Dunkelheit zu erhellen. Die Wiese war voller Menschen, die unbeschwert lachten, tranken, aßen, sich unterhielten. Sein Blick fiel auf Kaiki, der am Grill stand und sich mit Frau Anzai angeregt unterhielt. Zusammen verteilten sie Essen und Getränke. Chiaki kannte sie nur flüchtig aus der Nachbarschaft und wenn er sich nicht irrte war sie auch Ärztin. Alle waren mit der Feier beschäftigt. Niemand schenkte ihm groß Beachtung, als er sich auf einem leeren Klappstuhl hinsetzte, welche am nächsten zum Fluss und am weitesten von der Masse entfernt war. Es war arschkalt. Zitternd vergrub Chiaki seine Hände in die Jackentaschen, streckte die langen Beine aus und starrte ausdruckslos auf den Fluss. Das Feuerwerk beleuchtete gelegentlich die Wiese und die bunten Farben werden auch im Wasser reflektiert. Er begann sich allmählich umzuschauen, wollte sehen, ob sein Mädchen auch schon da war. Er fand ihren Vater am anderen Ende der Wiese, der einen Arm um Sakura gelegt hatte und sich lächelnd mit ihr unterhielt. Einige Meter weiter sah er Yamato und Miyako, die mal wieder aneinanderklebten. Sie sahen so glücklich und verliebt aus, was ihn noch bitterer machte, als er schon war. Ein bisschen war Chiaki auch neidisch auf seinen Freund. Er beobachtete, wie erfreut Miyako in Yamato’s Armen lachte, verspielt mit ihm tanzte und wie liebevoll dieser sie anblickte. Der Neid wuchs. Während Yamato seine Freundin zum Lächeln bringen und lieben konnte… konnte er es nicht! Chiaki wandte seinen Blick mürrisch von ihnen ab und blickte sich weiter um. Keinen Moment später entdeckte er Shinji und Natsuki auf der anderen Seite der Wiese. Die beiden sahen genauso glücklich und verliebt aus. Und je mehr er sich umschaute, desto mehr Pärchen entdeckte er auf der Wiese und wie sie vor Glück und Liebe protzten. Und je mehr er davon sah, desto frustrierter und verbitterter wurde er. Er versuchte sich die Bitterkeit wegzuschlucken und suchte weiter nach Maron. Auf dem ersten Blick sah er sie nicht und vermutete, dass sie vielleicht zu Hause geblieben war, was ihn mehr als enttäuscht hätte. Mädchen standen doch auf Feuerwerke, oder nicht? Aber dann fand Chiaki sie endlich, um die fünf Meter von ihm entfernt. Sie wirkte angespannt und zitterte etwas vor Kälte. Ähnlich wie er stand Maron so weit weg von der Menge wie möglich, hielt sich in der Dunkelheit bedeckt. Er starrte von seinem Platz aus zu ihr rüber. Sie hatte ihre große Kapuze über den Kopf gezogen, sodass ihr Gesicht kaum zu sehen war. Gelegentlich hob Maron ihren Kopf, schaute zum Himmel hoch und sah sich das Feuerwerk an, welches ihr Gesicht in verschiedenen Farben erleuchtete. Sie sah so wunderschön aus. Während er Maron in der Dunkelheit beobachtet, spürte Chiaki ein seltsames und starkes Gefühl in seinem Inneren, wie eine Art Ziehen und Zerren. Dieser Drang zu ihr hinzugehen und bei ihr zu sein, war plötzlich so groß, seine Beine zuckten. Irgendwie war es merkwürdig, dass er plötzlich so reagierte. Schließlich hatte er sie schon so oft in der Ferne beobachtet. Aber immer gemieden. Mit leichter Neugier beobachtete er sie weiter.   Noch drei Minuten bis Mitternacht.   Maron vergrub ihre Hände in ihre Manteltasche, blickte runter und schabte etwas mit den Füßen auf dem beschneiten Boden. Niemand schien ihre Anwesenheit in der Dunkelheit zu bemerken. Chiaki starrte sie eindringlich an, wollte, dass sie seinen Blick erwiderte, sodass er ihr in die Augen schauen konnte. Wollte sehen, ob das Feuerwerk sie glücklich machte. Im nächsten Moment schnellte Maron’s Kopf hoch und sie sah zu ihm rüber, ihre Augen trafen auf seine. Sie wirkte überrascht. War wahrscheinlich erstaunt darüber, dass er sich dazu geniert hatte hier rauszukommen, um sich in der Kälte das Feuerwerk anzusehen. Gegen seine Erwartungen sah sie nicht glücklich aus.   Noch zwei Minuten bis Mitternacht.   Maron brach den Blickkontakt ab und sah sich unbeholfen um, als sich noch mehr Paare in der Menge zusammentaten. Jeder schien jemanden zu haben, um das neue Jahr mit einem Neujahrskuss zu starten. Niedergeschlagen ließ sie ihren Kopf hängen und das Zerren in seiner Brust wurde noch stärker. Chiaki konnte nicht anders, musste einfach zu ihr. Er könnte versuchen sich damit zu rechtfertigen, dass er schlicht und einfach wollte, dass Maron einen Neujahrskuss bekam, wie jeder andere auch. Wahrscheinlich wollte er auch einen. Aber das wäre eine Lüge. Die Wahrheit war, dass dieses zerrende Gefühl ihn so stark zu ihr zog, es war nicht mehr auszuhalten. Ob Kuss oder nicht, er musste zu ihr.   Noch eine Minute bis Mitternacht.   Chiaki sprang von seinem Stuhl auf und sprintete im Schutz der Dunkelheit zu Maron hinüber. Sie sah ihn nicht kommen, aber er wusste, dass sie ihn spüren konnte. Dieses elektrisierende Kribbeln. Als er sie erreicht hatte, griff er nach ihrem Arm und zog sie zu sich in die Dunkelheit. Sie wirbelte herum und sah ihn mit großen Augen an, aber er hatte keine Zeit für Erklärungen. Er hielt ihren Arm fest und zog sie von der Wiese weg, lief gezielt an den Bäumen vorbei Richtung Picknickbänke. Wortlos folgte sie ihm. Kaum hatten sie die Bänke erreicht, drehte Chiaki sich um und drückte Maron gegen den nächstgelegenen Baum, der sie beide vor den Blicken der Masse verbarg. Kurz schaute er nach, um festzustellen ob sie gesehen wurden. Aber alle schienen mit dem Countdown beschäftigt zu sein.   Noch dreißig Sekunden.   Chiaki war durch das Sprinten, dem Adrenalinrausch und dem Verstecken ziemlich außer Atem. Sein Herz schlug doppelt so schnell gegen seine Brust, er dachte es würde zerspringen. Er blickte zu seinem Mädchen runter, die gegen den Baum gepresst vor ihm stand und ihn mit großen Augen erschrocken sowie verwirrt anstarrte. Er ging einen Schritt auf Maron zu, drückte sich an sie und schob ihr die Kapuze runter. Das Zerren in seinem Inneren ließ mit ihrer Nähe nach. Er stieß einen tiefen Atemzug aus und lächelte sein Mädchen an. Sein erstes richtiges Lächeln seit Tagen. Noch immer war sie sichtlich verwirrt.   Noch zwanzig Sekunden.   Chiaki nahm ihr Gesicht in beide Hände. Leute begannen lautstark runterzuzählen, als er sein Gesicht zu ihr herablehnte. Seine Stirn mit ihrer berührte. Ihre Lippen waren nur Millimeter voneinander entfernt. Verständnis breitete sich endlich in ihrem Gesicht aus und ein Lächeln brach durch. Sie lächelte ihn mit diesem großen, strahlenden Lächeln an, welches ihr Gesicht aufleuchten ließ. Gott, er hatte dieses Lächeln vermisst!   Noch fünfzehn Sekunden.   Sie war so verdammt schön. Sie strahlte ihn mit ihrer Schönheit förmlich an. Ihre Augen glänzten vor Glück und Erleichterung und sprudelten vor bedingungsloser Liebe zu ihm. Er konnte sehen, wie sie damit kämpfte sich zurückzuhalten, um ihn nicht auf der Stelle zu küssen. Er lächelte nur gegen ihre Lippen. Konnte einfach nicht anders, wenn sie so lächelte. Für ihn. Wegen ihn.   Noch zehn Sekunden.   Er umfasste ihr Gesicht etwas fester, strich mit beiden Daumen über ihre Wangen, verwirrte seine Finger in ihre Haare hinter den Ohren. Konnte die letzten Sekunden kaum noch abwarten, wollte ihre Lippen nehmen und sie besinnungslos küssen, um das Zerren in seiner Brust zu lindern.   Als der Countdown schließlich null traf, legte er seine Lippen fest auf ihre, bemühte sich nicht mal um einen sanften Kuss. Er küsste sie fordernd und hart, gewährte sich mit seiner Zunge direkt Einlass, während das Bedürfnis ihr so nah wie möglich zu sein, ihn völlig überwältigte. Und sie erwiderte den Kuss mit einem Enthusiasmus, welcher ihn schwach um die Knie machte. Er presste ihre Körper fest gegeneinander. Ihre Finger fanden sich direkt in seinen Haaren wieder, krallten sich an ihnen fest, zogen sein Gesicht näher zu sich heran, um den Kuss zu intensivieren und zu vertiefen. Ihre Zunge passierten seine Lippen und traf auf seine. Seine Atmung beschleunigte sich und er presste seinen Körper noch enger an ihren. Seine Lippen bewegten sich gierig und hektisch auf ihre. Er küsste sie mit gewaltiger Desperation, als wäre er drauf und dran für sie zu sterben. Als hätte er seit Tagen, Wochen, Monate nichts zu essen bekommen. Der Heißhunger nach ihr war unersättlich. „Maron…“, hauchte er unter Küssen, seine Atmung war gehetzt und unregelmäßig. „Meine Maron…“ Die lauten Feuerwerksexplosionen waren im Hintergrund zu vernehmen. Aber er konnte nichts anderes hören oder fühlen außer sein Mädchen. Sie war so nah an ihn gepresst, er konnte spüren, wie der Ring um seinen Hals sich in seine Brust abdrückte. Sie hingegen war zwischen ihm und Baum eingeklemmt, wahrscheinlich drückte er ihr die Luft weg. Aber selbst, wenn er sich etwas zurückziehen wollte, zog sie ihn wieder zu sich, neigte ihren Kopf und vertiefte den Kuss noch mehr. Sein Kopf war benebelt von Lust und dem Verlangen nah bei ihr zu sein. Aber da war auch noch was anderes... Er konnte es nicht zuordnen. Wie ein Funken, der sich entfacht hatte und mit gewaltiger Intensität sich in ihm ausbreitete. Dieses Gefühl war so neu und befremdlich und so intensiv… sowas derartiges hatte er noch nie gespürt. Er wusste nicht, was für einen Namen er diesem Gefühl geben sollte. Er konnte nicht einschätzen, ob es der Liebe, nach der er verzweifelt gesucht hatte, nahekam. Aber er wusste, dass es auf einer komplett neuen Ebene für ihn war. Eine Ebene, die über einfache Fürsorge, Freundschaft, Zuneigung und sogar Lust hinausging. Und er genoss jede Sekunde davon, schwelgte förmlich in diesem neuen Gefühl. Das machte er auch in den Kuss deutlich. Und hoffte, dass sie es auch spüren konnte… was auch immer es war. Und er betete darum, dass es gut genug für sie war. Sein Kuss wurde zusammen mit diesem befremdlichen Gefühl immer fordernder, intensiver, leidenschaftlicher und sie seufzte atemlos in seinen Mund. Sie rangen beide nach Luft, keuchten inmitten von Küssen, wollten dennoch ihre Lippen nicht voneinander lösen. Die Angst überkam ihn, dass dieses neue Gefühl nachlassen wird, wenn er aufhörte und dass er es nie wieder fühlen könnte. Allerdings brauchte er dringend Luft, weshalb er widerwillig seine Lippen von ihren nahm und angestrengt die kalte Winterluft ein- und ausatmete. Unterdessen küsste sein Mädchen ihn weiter, verteilte heiße Küsse auf seiner Kieferpartie. Er spürte, wie ihre Lippen seinen Hals und Nacken herabfuhren. Ihre Berührungen brannten wie Feuer auf seiner Haut. Und das Gefühl war immer noch da. Atemlos musste Chiaki erleichtert auflachen und hielt Maron fest. Womöglich dachte sie, dass er nun komplett den Verstand verloren hat, aber sie hörte nicht auf seinen Hals zu liebkosen. Unter Küssen wanderte sie zu seinem Gesicht hoch, strich mit ihren Lippen über sein Kinn, seine Wangen, bedeckte jeden Millimeter mit kleinen Küssen. Nachdem er wieder atmen konnte, nahm er ihr Gesicht in beide Hände und verteilte darauf kleine Küsse, gab ihr all die Küsse zurück. Sie lächelte immer noch ihr strahlendes Lächeln. Er lächelte zurück, war froh drum sie wieder glücklich zu sehen. Und dass er mit diesem neuen Gefühl ihr dieses Lächeln -sein Lächeln- auf ihr wunderschönes Gesicht zaubern konnte. Nach einer Weile legte Chiaki seine Arme um ihre schmale Taille und drückte sie an sich. Maron lachte einmal atemlos auf und erwiderte die Umarmung innig, schlang ihre Arme fest um ihn. Er legte sein Gesicht auf ihrer Schulter hab, sodass seine Lippen auf der warmen Haut ihres Nackens ruhten und lächelte voller Freude. Es war zweifellos der glücklichste Moment seines gesamten Lebens. TWENTY-SIX ---------- TWENTY-SIX   Die Erleichterung, die Maron verspürte war einfach überwältigend, als sie ihre Arme um Chiaki legte und ihn so fest an sich drückte, dass sie ihn vielleicht noch zu Tode erdrosselte. Sie konnte spüren, wie er gegen ihren Nacken lächelte. Er kam zu ihr zurück. Sie wusste nicht, was ihn aus dem Tief rausgebracht oder was das Ganze überhaupt herbeigeführt hatte...aber das Feuer in ihm war wieder zurück. Und es brannte noch heller und stärker als je zuvor, sie konnte es in seinen Berührungen und Küssen spüren. Maron entfernte sich von ihm und sah zu Chiaki auf. Er lächelte sie immer noch an. Ihn wieder Lächeln zu sehen machte sie glücklich. Überglücklich. Es war als würde ihr Herz vor Freude explodieren. Sie konnte in seinen Augen sehen, dass er sich weigerte sie loszulassen. Worauf sie kichern musste. Am liebsten wäre Maron für immer in seinen Armen bleiben, aber ihr Vater und/oder Miyako würden bestimmt nach ihr sehen wollen. Sie drückte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und löste seine Arme um ihre Taille. „Ich bin gleich wieder bei dir“, versprach sie ihm. Chiaki blickte kurz zur Feier rüber, nickte und drehte sich anschließend um, ging damit zur Villa zurück, warf ihr dabei noch einen letzten sehnsüchtigen Blick zu. Schließlich war er aus ihrem Blickfeld verschwunden und Maron kehrte zur Wiese zurück. Sie suchte ihren Vater auf und sagte ihm, dass sie müde war und zu Bett gehen würde. Ohne große Fragen nickte er einfach, das Gesicht leicht rot vom Alkohol. Sakura kam mit einem „Frohes neues Jahr“ auf Maron zu, umarmte sie herzlich und drückte ihr ein Küsschen auf die Wange. Verlegen lächelnd verabschiedete sie sich, wünschte beiden eine Gute Nacht und ging, wollte Chiaki nicht noch länger warten lassen. Während sie über die Wiese lief, sah sie auf einer Seite Dr. Nagoya mit derselben Frau, mit der er schon den ganzen Abend verbracht hatte. Bevor Chiaki sie weggezerrt hatte, konnte sie noch beobachten, wie beide sich für den Neujahrskuss zusammengetan hatten. Ihr Blick fiel einige Meter weiter auf Yamato, der Miyako gerade umarmte und mit ihr lachte. Für einen winzigen Augenblick trafen sich ihre Blicke und er schien sofort zu verstehen was los war, zwinkerte Maron grinsend zu. Stunden zuvor, bevor sie zum Park rausgegangen war, hatte sie mit Yamato ein bisschen geredet und ihn gefragt, ob er Miyako ablenken würde - für den Fall, dass sie nach ihr suchen würde. Er hatte mit einem „Klar“ ganz einfach zugestimmt. Erleichtert lächelte Maron in sich hinein. Sie sah sich noch schnell nach Shinji und Natsuki um, die irgendwo auf der anderen Seite der Wiese waren. Shinji fand sie auch direkt, der noch ein paar Feuerwerkskörper abschoss und sich wie ein Kleinkind darüber amüsierte, während Natsuki gelangweilt zuschaute.   Maron verließ den Park, lief schnellen Schrittes zur Nagoya-Villa und schlich sich zum Vordereingang rein. Chiaki hatte ihr gesagt, dass sie einfach reinspazieren sollte - was sie auch tat. Das Haus war so leer und hell. Anders als sie es bisher sonst gesehen hatte. Maron rannte die Treppen zu Chiaki’s Zimmer hoch, wo sie wusste, dass er auf sie wartete. Als sie seine Tür erreichte, ging sie, ohne zu klopfen rein, schwang sie weit auf. Er saß mitten auf seinem Bett und lächelte sie schief an. Sein Lächeln zauberte ihr automatisch selbst ein Lächeln aufs Gesicht. Ihr hatte dieses Lächeln so sehr gefehlt. Maron konnte sich kaum noch zurückhalten, als sie die Tür hinter sich abschloss und aufs Bett zugeschossen kam. Sie sprang auf Chiaki zu, warf sich förmlich in seine Arme und schmiss ihn mit voller Wucht um. Ein raues Lachen war von ihm zu hören, was ihr Herz höherschlagen ließ. Chiaki schlang seine Arme um sie, vergrub sein Gesicht in ihre Haare und nahm einen tiefen Atemzug. Währenddessen begann sie wieder seinen Nacken zu küssen, war einfach nur glücklich. Glücklich darüber, dass er sie wirklich festhielt. Und er schien wahrhaftig glücklich darüber zu sein, sie bei sich zu haben. Er rollte sich mit ihr auf die Seite und rutschte zu den Kissen hoch. Tief seufzend lehnte er seine Stirn an ihrer an. Es klang nach einem erleichterten Seufzen. Sie verstand nicht über was er erleichtert war, aber sie ging in ihren Gedanken auch nicht weiter darauf ein. Chiaki hielt sie so fest in sein Armen, Maron hatte die Befürchtung, dass der Arm, auf dem sie lag, taub werden würde. Aber ihn schien das nicht zu kümmern. Lächelnd streichelte sie ihm liebevoll durch die Haare. Sein warmer Atem kitzelte ihr Gesicht. „Ich war ein ziemlicher Volltrottel“, wisperte er mit Reue in der Stimme, blickte ihr entschuldigend in die Augen. Sie schüttelte den Kopf. „Spielt jetzt keine Rolle“, wisperte sie zurück und sah ihm tief in die Augen, versuchte ihm all die Liebe zu vermitteln, die sie für ihn hatte. Jegliche Bitterkeit, die sich in den letzten Tagen in ihr angestaut hatte, hatte sich komplett aufgelöst. Chiaki lächelte sie erleichtert an und bewegte seinen Kopf, um ihr einen zarten Kuss auf die Lippen zu drücken. Maron war zunächst etwas überrascht darüber, dass er sie überhaupt im Bett küsste - in Anbetracht dessen, dass sie vorher eine unausgesprochene Regel dagegen hatten. Nichtsdestotrotz erwiderte sie mit Freude den Kuss gefühlvoll. Es war ein sanfter, sinnlicher Kuss. Das komplette Gegenteil zu dem Neujahrskuss. Aber diese Intensität in ihm war immer noch da. Sie konnte es in seiner festen Umarmung spüren und wie er in aller Ruhe seine Lippen auf ihren bewegte. Sie schliefen in dieser Nacht nicht. Fünf Stunden lang lagen sie da, Arm-in-Arm und immer wieder trafen ihre Lippen aufeinander. Setzten die sanften, langsamen Küsse fort. Diese Sinnlichkeit und Sanftheit war auch was Schönes. Es war mal was anderes, nicht immer nach Luft ringen zu müssen. Ein Dauergrinsen haftete auf ihrem Gesicht. Normalerweise wurden seine Küsse von Lust und Verlangen angetrieben. Diese waren zwar immer noch da, aber etwas anderes mischte sich mit unter. Sie konnte es fühlen. Maron konnte nicht einschätzen was es war, aber sie hieß es mit Freude willkommen.   Um halb sechs war es schließlich soweit, dass Maron allmählich nach Hause musste. Schweren Herzens wich sie von Chiaki zurück. Er öffnete seine Augen und blickte enttäuscht drein, worauf sie etwas schmunzeln musste. Er wollte nicht, dass sie ging. Sie wollte auch nicht, dass sie ging. Aber sie musste. Maron drückte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und erhob sich vom Bett (und seinem Arm, welches garantiert schon taub war). Da sie keine Tasche oder Pyjama mithatte, ging sie nur kurz ins Bad, um sich zu erleichtern und sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen. Chiaki lag wie immer noch im Bett, als Maron kurze Zeit später wiederkam und schaute sie eindringlich an. Sie schenkte ihm ein breites Grinsen zum Abschied, drehte sich anschließend um und steuerte auf die Tür zu. Gerade als Maron ihre Hand auf die Klinke legen wollte, hörte sie wie Chiaki vom Bett aufsprang und zu ihr lief. In dem Moment, in der sie sich umdrehte, stand er schon direkt vor ihr, nahm ihr Gesicht in beide Hände und versiegelte ein weiteres Mal ihre Lippen miteinander. Er presste sich an sie, küsste sie hart und gewährte sich mit seiner Zunge Einlass. Sie küsste ihn mit derselben Leidenschaft zurück, packte ihm am Kragen und zog ihn noch dichter zu sich heran. Langsam presste er sie gegen die Wand neben der Balkontür. Wie zu ihrem Neujahrskuss waren ihre Körper so eng aneinandergedrückt, es war kaum noch Luft dazwischen. Seine Hände verfingen sich in ihren Haaren und seine Lippen bewegten sich heiß auf ihren. Seine Berührungen brannten wie Feuer, entfachten ein Feuerwerk in ihren Innerem. Ihre Zungen spielten miteinander und ein ersticktes Wimmern entkam ihr. Ihre Hände fanden sich auf seinem Nacken wieder, hatten sich in seinen Haaren zu Fäusten geballt. Er presste sie noch mehr gegen die Wand. Sie keuchte und seufzte atemlos in seinen Mund. Musste sich zusammenreißen, um nicht ihre Beine um seine Hüfte zu werfen. Dennoch wollte sie ihm so nah wie möglich sein und ihn an sich spüren. Er stöhnte inmitten von Küssen, nahm eine Hand von ihren Haaren und legte sie auf die Hüfte, zog sie noch enger zu sich. Nicht mal ein Haar würde zwischen ihnen passen. Nach einer Weile löste er seine rot geschwollenen Lippen von ihren, rang keuchend nach Luft. Auch sie versuchte ihre Atmung im Griff zu bekommen. Ihr Herz schlug so schnell, als wäre sie ein Marathon gelaufen. Chiaki öffnete seine Augen und sah sie mit einem Ausdruck an, welcher mit Lust und etwas anderem gezeichnet war. Dieser neue, intensive Blick von ihm verursachte ihr ein warmes Gefühl in den Magen und ihr Herz klopfte laut auf. „Frohes Neues“, hauchte er grinsend. Maron kicherte leise. „In der Tat ein Frohes Neues.“ *** Es war ein verdammt guter Tag. Nachdem Maron weg war, ging Chiaki kalt duschen. Er hatte die Abkühlung nötig. Es war nicht leicht dieses Verlangen nach ihr unter Kontrolle zu behalten. Bei jedem anderen Mädchen (vor Maron!), wäre er seinen Instinkten einfach nachgegangen. Aber sowas banales, respektloses wollte er seinem Mädchen nicht antun. Sie verdiente mehr. Sie verdiente es ordentlich geliebt zu werden. Er wusste nicht, ob er derjenige war, der es sich erlauben konnte sie so zu lieben. Aber dieses neue, fremde Gefühl, mit welchem er sie die ganze Nacht überschüttete, gab ihm in gewisser Weise Hoffnung. Chiaki verbrachte den Rest des Tages damit darauf zu warten, dass Maron zurückkam. Das Zerren in seiner Brust war zwar irgendwie abgeschwächt, aber immer noch da. Dieses Bedürfnis sie bei sich haben und ihre Berührungen fühlen zu wollen, war nach wie vor noch präsent. Gedankenverloren spielte er mit dem Ring um seinen Hals, schaute es sich intensiv an. Das tat er in den letzten Tagen oft. Am liebsten wollte er ihn von seinem Hals nehmen und es auf die Weise tragen, wie es für zwei Menschen bestimmt war, die sich liebten. Aber er wusste nicht, ob er dieses Privileg dazu hatte. Seufzend fuhr Chiaki sich frustriert durch die Haare. Er war wirklich ein hoffnungsloser Fall… Er versuchte unten mit seinem Vater die Zeit Tod zu schlagen, aber dieser schien einen miesen Kater zu haben. Kaiki saß schlecht gelaunt in seinem Büro, versuchte sich den Kater nicht anmerken zu lassen. Chiaki wollte ihm die Reste von Maron’s Anti-Kater-Tee geben, aber das hätte nur zu viel unnötigen Verdacht geschöpft, als ihm lieb war. Shinji fand er zusammen mit Kagura im Wohnzimmer zocken. Für eine Weile schaute Chiaki den beiden Brüdern unauffällig zu, eher er wieder in sein Zimmer hochging. Letztendlich verbrachte er den Tag damit einige Schularbeiten zu erledigen und zu lernen, denn morgen würde der Alltagsstress wieder losgehen.   Als sein Mädchen um zehn endlich kam, war er schon ziemlich unruhig und sehr, sehr müde von der schlaflosen Silvesternacht. Bevor sie ein zweites Mal klopfen konnte, Chiaki riss ihr schon die Tür auf und lächelte bei ihrem Anblick. Maron’s braune Augen leuchteten ihn an und ein dickes, breites Grinsen zierte ihr hübsches Gesicht. Ihm fiel auf, dass sie wieder ihre Haare gemacht hatte, was sie seit Weihnachten nicht mehr getan hat. Und sie trug eine seiner Haarnadeln. Er nahm ihre Hand und zog sie ungeduldig rein. Und noch bevor die Balkontür zufiel, zog er Maron zu sich heran und küsste sie. Sie lächelte gegen seine Lippen und küsste ihn voller Freude zurück. Eine Hand wanderte durch ihre welligen Strähnen und ein leises Seufzen entkam ihm. Das Zerren in seiner Brust war fast verflogen und wurde durch dieses neue, fremde Gefühl ersetzt. Nach einigen Moment beendete Chiaki den Kuss und Maron begann routiniert ihren Rucksack auszupacken. Gerade als sie sich umdrehen und aufs Sofa zugehen wollen, griff er nach ihrem Arm. „Setz du dich zu mir?“, fragte er in einem nahezu flehenden Ton, wollte sie unbedingt bei sich haben - wohlwissend, dass dieses Zerren unerträglich sein wird, wenn er sie die ganze Nacht lang am anderen Ende des Zimmers auf dem Sofa sehen müsste. Maron strahlte ihn an und sie nickte einige Male bejahend. Erleichtert ließ Chiaki sich auf seinem Bett nieder und nahm sich seine Essensbox. Währenddessen zog sein Mädchen sich Jacke und Schuhe aus und holte sich eines ihrer Bücher von seinem Regal. Sie setzte sich neben ihm hin und begann von ihrem Tag zu erzählen. Nach einiger Zeit begann sie ihn über seinen Vater und Frau/Dr. Anzai auszufragen. Chiaki zuckte nur mit der Schulter, konnte ihr nicht viel darüber erzählen. Seit er bei Kaiki lebte, hatte er ihn noch nie mit einer Frau zusammen gesehen, war seines Wissens nach auch vielmehr mit seinem Job verheiratet. Chiaki hatte sich bisher auch nie über dessen Liebesleben Gedanken gemacht. Wenn er so darüber nachdachte, so hatte sein Vater Dr. Anzai gelegentlich in ihren Gesprächen erwähnt. Er kannte sie zwar nicht so gut, aber sie war auf jeden Fall besser als irgendeine Krankenschwester, die über Kaiki herfielen. Nachdem Chiaki mit Essen fertig war, bedankte er sich bei Maron mit einem sanften Kuss, strich ihr sachte eine wellige Strähne aus dem Gesicht. Er brachte alles von dem neuen, fremden Gefühl in den Kuss hinein, in welchem er immer noch schwelgte. Sie grinste ihn mit rosaroten Wangen süß an. Beide waren ziemlich müde, weshalb sie sich Minuten später auch fürs Bett fertig machten. Kaum war das Licht aus, nahm Chiaki sein Mädchen in seine Arme und vergrub sein Gesicht in ihre Haare, sog ihren Duft tief ein. Leise seufzte er zufrieden aus, drückte ihr einen letzten, zarten Kuss auf den Kopf. Er konnte spüren, wie Maron gegen seine Brust lächelte. Langsam strichen ihre Finger in einem angenehmen Rhythmus durch seine Haare. Chiaki umarmte sie innig und schlief Augenblicke später ein, umhüllt von diesem neuen, fremden Gefühl.   Als der Wecker losging, wollte er sie gar nicht loslassen. Weshalb Chiaki sich müde stöhnend mit Maron zusammen umdrehte, sodass sie auf ihm drauf lag. Während er den Wecker abstellte, kuschelte sie sich verschlafen an seine Brust. Sie versuchte zu ihm aufzuschauen, aber all ihre Haare waren ihr im Weg. Was unglaublich süß war. Er kicherte träge und hob eine Hand, um ihre Haare vorsichtig wegzuschieben. Ihre Blicke trafen sich und ein müdes, engelsgleiches Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Was ihm direkt ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Sie drückte sich von ihm ab, um aufzustehen. Seufzend fuhr Chiaki sich durch die Haare, sah Maron dabei zu, wie sie ihre Tasche nahm und ins Bad ging. Nach einigen Minuten kam sie wieder raus und begann ihre Sachen einzupacken. Unterdessen rollte er aus dem Bett und stand auf. Normalerweise tat er das nicht, wenn sie ging, aber er wollte ihr einen richtigen Kuss zum Start des Tages geben. Als sie sich umdrehte und ihn an der Tür warten sah, blinzelte sie ihn überrascht an. Konnte es wahrscheinlich nicht glauben, dass er zu dieser unchristlichen Stunde aufstehen konnte und funktionsfähig war. Chiaki schenkte ihr sein schiefes Lächeln, als sie sich ihm näherte und lehnte sich an die Wand neben der Tür an. Als Maron schließlich vor ihm stand, umfasste er sachte ihr Gesicht und küsste sie auf den Mund. Ihre Augen blickten ihn glücklich an und dieses neue, fremde Gefühl wuchs in ihm nur noch mehr, berauschte ihn mittlerweile richtig. Er strich noch kurz über ihre Wangenknochen und drückte ihr noch einen sanften Kuss auf die Wange. Wortlos öffnete er ihr anschließend die Tür und sah ihr dabei zu, wie sie raus ging. Es war windig draußen und hatte zu regnen angefangen. Sein Gesicht verfinsterte sich bei der Vorstellung, dass sein Mädchen im kalten Regen draußen war. Doch sie kletterte unbekümmert die Wand runter und war aus seinem Blickfeld verschwunden.   Immer noch im Vollrausch von dem neuen, fremden Gefühl (und den Geschmack von Maron’s Lippen), fuhr Chiaki zur Schule. Vorher holte er Yamato wie gewohnt ab. Als sein Freund in den Wagen einstieg, debattierte er mit sich selbst, ob er ihm von diesen neuen Gefühlen und Empfindungen erzählen soll. Besser nicht, beschloss er letztlich, Sonst fangen wir noch an uns gegenseitig die Haare zu flechten, nachdem wir über unsere Gefühle geredet haben, dachte er sich augenrollend und schüttelte unmerklich den Kopf. Als Chiaki in der Schule ankam und aus dem Wagen stieg, bemerkte er eine Sache, die er fast außer Acht gelassen hatte. Maron stand mit gesenktem Kopf und in Gedanken versunken, allein auf dem Schulparkplatz, während Miyako zu Yamato rüberging und ihn stürmisch küssend begrüßte. Das Zerren in seiner Brust schlug mit Gewalt auf ihn ein und schmerzte fast beim Anblick seines Mädchens allein im Regen stehend - mit dem Wissen, dass er nicht einfach zu ihr gehen konnte. Es war seltsam für ihn sowas Starkes zu empfinden. Und wenn das schon so überwältigend war, wie intensiv wird wohl die Liebe dann sein? Und wie zum Henker ging Maron mit sowas Heftigem um? Seufzend zwang Chiaki sich dazu an ihr vorbeizugehen, während sie noch auf Miyako zu warten schien. Plötzlich hob Maron ihren Kopf, hatte wahrscheinlich gespürt, dass er näher kam. Ihre Blicke trafen sich, als er sie passierte. Gegen seinen Willen zuckten seine Finger in ihre Richtung. In genau dem Moment zuckten auch ihre Finger. Und sie streiften sich ganz leicht. Er konnte dieses elektrisierende Kribbeln auf seinen Fingerspitzen spüren. Sie hatten sich berührt. Mitten auf dem Schulgelände, vor all ihren Mitschülern. Nicht mit Absicht. Es war mehr eine unbewusste Reaktion gewesen von beiden. Chiaki stoppte vor dem Eingang und drehte sich perplex zu ihr um. Er wusste selbst nicht, wieso er das tat. War sogar ein wenig geschockt von sich selbst. Er sah, wie Maron sich mit Miyako und Yamato dem Schulgebäude näherte und konnte sehen, wie sie sich zwang nicht zu ihm nach vorne zu schauen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen fuhr er sich durch die Haare, versuchte sich zusammenzureißen und ging in die Klasse. Den Großteil des Unterrichts konnte Chiaki sich nicht konzentrieren. Seine Gedankengänge schwenkten immer wieder zu dem braunhaarigen Mädchen neben ihm um. Es kostete ihn Unmengen an körperliche Anstrengung sich nicht zu ihr umzudrehen. Die Gefahr wäre zu groß, dass, sobald Chiaki sie ansah, er Maron nicht ignorieren konnte. Vorher ging es, sie zu sehen und zu ignorieren. Seit Silvester -seit diesem Zerren in seinem Inneren und diesem neuen, fremden Gefühl- konnte er das nicht mehr. Eine Unterrichtsstunde verbrachte er auch damit im Handy sich durch das Internet zu klicken und Zusammenhänge zu ziehen, zwischen dem was über die Liebe beschrieben wird und dem was er neuerdings empfand. Aber das machte es noch verwirrender, als es schon war. Darüber zu lesen und es zu fühlen waren zwei komplett unterschiedliche Paar Schuhe. Weshalb Chiaki seine Bemühungen aufgab. Was auch immer er gerade fühlte, es machte sie glücklich. Da vermutete er, dass es nicht so wichtig war, wie diese Empfindung hieß und wie nah es der Liebe war. Es breitete seinem Mädchen ein Lächeln aufs Gesicht und das war die Hauptsache. Und er war froh darüber, dieses Etwas zu empfinden.   Als die Mittagspause anstand, entschied er sich dafür, sich nicht weiter darüber den Kopf zu zerbrechen und versuchte es einfach zu genießen. In der Cafeteria steuerte Chiaki auf seinem Tisch zu und nahm auf seinem Stuhl Platz. Er holte sich seine Tüte Kekse aus der Tasche und blickte zu Maron’s Tisch rüber. Sie war noch nicht da. Während er darauf wartete, dass sie kam, begann er seine Kekse zu essen. Aus der Entfernung konnte er sie wenigstens beobachten, ohne dass es groß auffiel. Es überraschte ihn Yamato in der Cafeteria zu sehen, schließlich hatte er in letzter Zeit seine Mittagspausen immer mit Miyako verbracht. Der Braunhaarige setzte sich ihm gegenüber hin und holte sich ebenfalls eine Tüte Kekse raus, die Maron ihm gemacht hat. Und aus unerfindlichen Gründen konnte Chiaki ein irrationales Fünkchen Eifersucht spüren, weil sein Freund von seinem Mädchen ebenfalls Kekse bekam. Er sah Yamato an und hob eine Augenbraue. „Heute kein Trockensex im Abstellraum des Hausmeisters?“, fragte er. Lachend schüttelte Yamato den Kopf. „Miyako wollte mit Maron zusammensitzen“, sagte er und schob sich einen Keks in den Mund. Chiaki verzog leicht das Gesicht, als er die ganzen Krümel runterfallen sah und aß kopfschüttelnd seine eigenen Kekse weiter. Er war froh darüber, dass Miyako sein Mädchen nicht im Stich ließ. Er blickte weiterhin zur Tür, wartete darauf das sie kam. Natsuki und Shinji saßen schon an deren Tisch und Miyako, die Yamato einen sehnsüchtigen Blick zuwarf, ließ sich gerade auf ihrem Platz nieder. Chiaki verdrehte seine Augen. Im nächsten Moment kam Maron endlich in die Cafeteria, das Gesicht völlig angespannt sowie auch ihre Körperhaltung. Während er sie beobachtet, verstärkte sich das Zerren in seiner Brust und er wollte am liebsten alles vergessen, was ihn davon abhielt zu ihr hinzugehen. Sie setzte sich neben Miyako hin, begrüßte die anderen mit einem Nicken und suchte in ihrer Tasche nach ihrem Essen. Er blickte sie eindringlich an, versuchte sie dazu zu bringen seinen Blickkontakt zu erwidern. Hatte zu Silvester schließlich funktioniert. Als Maron ihr Essen und eBook herausgeholt hatte und sich aufsetzte, trafen sich für einige endloslange Sekunden ihre Blicke. Sie starrte von ihrem Platz aus zu ihm rüber und er konnte sehen, wie ihre großen, braunen Augen aufleuchteten und voller Liebe waren. Das neue, fremde Gefühl in ihm wuchs wieder. Und das Bedürfnis bei ihr zu sein war so große, seine Beine zuckten. Chiaki musste sich fast an seinem Stuhl festkrallen, um nicht aufzuspringen und zu ihr zu gehen. Stattdessen versuchte er dieses neue Gefühl in seinen Blicken hineinzubringen und hoffte, dass sie in seinen Augen sehen konnte, dass er bei ihr sein wollte - selbst wenn sie es nicht konnten. Und als würde Maron genau wissen, was in ihm vorging, zuckten ihre Mundwinkel zu einem wissenden Lächeln hoch. Anschließend brach sie den Blickkontakt hastig ab und wandte sich ihrem eBook zu. In dem Moment nahm Chiaki wieder die Geräuschkulisse um ihn herum wahr. Ihm war nicht aufgefallen, dass er für die paar Sekunden die gesamte Cafeteria komplett ausgeblendet hatte. Er atmete tief aus, wandte seinen Blick gezwungenermaßen von ihr ab und sah wieder zu Yamato. Dieser saß mit großen Augen und halboffenen Mund vor ihm, einen angebissenen Keks in der Luft haltend. Krümel waren auf seiner unteren Gesichtshälfte verteilt. Chiaki zog fragend eine Braue, verstand nicht was mit dem jetzt los war. Doch anstatt auf seine stumme Frage zu antworten, drehte Yamato seinen Kopf langsam zum Tisch der anderen. Chiaki folgte seinen Blick und war überrascht, dass er sein Mädchen anstarrte. Anschließend wandte Yamato sich wieder ihm zu. Erneut zog Chiaki eine Braue hoch, wollte endlich wissen, was bei ihm abging. Doch sein Freund sah noch einmal zu Maron rüber und dann wieder zurück zu ihm - und begann zu grinsen. Irritiert zog Chiaki seine Brauen zusammen, fragte sich, ob Miyako ihm irgendwelche Gehirnzellen weggevögelt hat. Yamato schüttelte kichernd den Kopf und sagte daraufhin die fünf Worte, die ihm den Boden unter den Füßen wegrissen: „Ist die Liebe nicht großartig?“ Mit blanker Miene starrte er ihn an, fragte sich, wie er zu dieser Schlussfolgerung kam. „Was zum Teufel redest du da?“, fragte Chiaki in einem frustrierten Ton. Yamato fasste sich lachend den Kopf. Chiaki wollte ihm nur zu gerne seine Wasserflasche an den Kopf schmeißen. „Alter. Du hast so wirklich gar keine Ahnung, oder?“ Schnaubend rollte Chiaki die Augen und warf ihm einen scharfen Blick zu. Sag mir etwas, was ich noch nicht weiß, du Idiot! Ihm war klar, dass er emotional zurückgeblieben war. „Alter…“ Yamato sah ihn mit einem vielsagenden Ausdruck an. „Du liebst sie.“ Chiaki starrte ihn mit zusammengepressten Lippen skeptisch an. Die Vorstellung war zu schön… „Und wie zum Teufel kommst du zu der Schlussfolgerung?“, fragte er, immer noch sichtlich frustriert. Für einige lange Momente starrte Yamato ihn mit gekrauster Stirn an. Er legte seinen angebissenen Keks auf den Tisch ab, wischte mit einer Hand alle Krümel auf der Oberfläche weg und lehnte sich zu Chiaki nach vorne, die Ellenbögen auf dem Tisch abgestützt. „Wie lange kennen wir uns schon?“, fragte er plötzlich. Eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten...typisch. Chiaki fuhr sich mit einer Hand frustriert und genervt über das Gesicht. „Fast fünf Jahre“, antwortete er ihm. Yamato nickte bestätigend. „Und wie viele Male haben wir in den Mittagspausen schon zusammen gesessen?“ Chiaki rollte zur Antwort mit den Augen, fasste die Frage als rhetorische Frage auf. Wieder nickte Yamato, seine Mundwinkel zuckten nach oben. „Und wie viele Male hast du jemanden so angesehen, wie du sie angesehen hast?“, fragte er in einem allwissenden Ton. Da Chiaki allerdings nicht so allwissend war, verstand er auch nicht die Zusammenhänge all dieser Fragen zu dessen vorigen Schlussfolgerung. Maron war ihm näher als jeder andere. Genauso wie er ihr näher war als jeder andere. Natürlich würde er sie anders ansehen. „Herr-verdammter-gott nochmal“, murmelte Yamato, als er bemerkte, wie schwer vom Begriff sein Gegenüber war. „Der Blick, Chiaki“, sagte er mit Nachdruck, fing auch langsam an genervt zu werden. Er starrte ihn nur irritiert an. Was war damit?! Sein Freund warf stöhnend den Kopf nach hinten, beide Hände vor das Gesicht haltend und Chiaki musste sich zusammenreißen, um ihm nicht doch noch die Wasserflasche an den Kopf zu schmeißen. Was musste er die Sache auch so kryptisch kompliziert machen?! Yamato atmete tief durch, bevor er sich wieder nach vorne lehnte und ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck anschaute. „Den Blick, den du ihr eben zugeworfen hast - mit der du sie angesehen hast...“, fing er an, sprach so langsam als würde er mit einem Kleinkind reden. „Den würde ich überall wiedererkennen“, sagte er wieder in seinem allwissenden Ton, nahm eine selbstsichere Haltung ein. „Das ist derselbe Blick, den Natsuki und Shinji sich zuwerfen. Miyako mir – ich ihr“, sprach er weiter und fing an zu grinsen. „Das ist derselbe Blick, den sie dir auch zuwirft. Derselbe Blick mit der sie dich ansieht.“ Chiaki runzelte die Stirn und sah zu seinem Mädchen rüber, die mit Essen und Lesen beschäftigt war. „Mit Liebe“, vollendete Yamato, lehnte sich zurück und aß seinen Keks weiter, Krümel klebten ihm wieder im Gesicht. Nachdenklich starrte Chiaki sie weiter an und fragte sich, ob dieses neue, fremde Gefühl wirklich Liebe letzten Endes war. Ich liebe sie? Yamato lachte spöttisch schnaubend auf. „Ja, man. Das habe ich gerade gesagt.“ Überrascht schnellte Chiaki seinen Blick zu ihm hin, hatte nicht realisiert, dass er diese drei Worte soeben laut ausgesprochen hatte. Und nachdem er sie ausgesprochen hatte... fühlten sie sich nicht mal falsch an. Sie fühlten sich richtig an. Ich liebe Maron. Dann kam die Realisation. Sie überwältigte ihn so sehr, Chiaki wollte am liebsten darüber lachen und weinen und verdammt nochmal zu seinem Mädchen rüber rennen und sie küssen. Weil er sie liebte. Er liebte Maron wirklich! Yamato blickte ihn mit einem amüsierten Gesichtsausdruck an, als bei der Erkenntnis ein idiotisches Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete. Mit einem Schlag wurde diese Realität ihm so richtig bewusst. Diese neue Empfindung, die er die letzten zwei Tage verspürt hatte, hatte endlich einen Namen! Und er hatte sie die letzten zwei Tage mit seiner Liebe überschüttet. Chiaki unterdrückte den Drang wie ein Irrer loszulachen, da Yamato sich sowieso schon über seine emotionale Dummheit amüsierte. Und das Beste von allem war: Er konnte es kaum erwarten seinem Mädchen zu sagen, dass er sie zurückliebte. Am liebsten wollte er jetzt -hier in der überfüllten Cafeteria- zu ihr rennen, ihr es sagen und ihr Gesicht sehen, wenn er es sagte. Aber er wusste, dass dies nur die Euphorie über die ganze Sache war, die ihn so hibbelig machte. Wenn er es ihr zurücksagte, musste es privat und besonders sein. Weshalb er sich auf die Zunge biss und seine Kekse mit einem trotteligen Dauergrinsen fertig aß. Yamato lachte nur kopfschüttelnd. Chiaki ließ sich davon nicht beirren, war einfach zu gut gelaunt.   Nach der Mittagspause ging er in seine Klasse zurück, zehn Schritte hinter seinem Mädchen und funkelte jeden Mistkerl an, der ihr viel zu nahekam. Chiaki konnte diese neue Empfindung -die Liebe- für sie noch deutlicher denn je spüren als er sich neben Maron hinsetzte - sowie auch diese Elektrizität zwischen ihnen. Sie hatten jetzt Geschichte und heute wurde irgendein langweiliger Dokumentarfilm über das europäische Mittelalter gezeigt, was ihn Null interessierte. Sobald Frau Pakkyaramao das Licht ausgemacht hatte und das Klassenzimmer für ein paar Augenblicke stockdunkel war, rückte Chiaki etwas zu Maron heran und nahm ihre Hand, hielt sie unter den Tischen versteckt und strich mit dem Daumen über ihre weiche Haut. Überrascht drehte sie sich zu ihm um, sah aber wieder zurück nach vorne als der Film anfing. Ein kleines, unauffälliges Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen, als er ihr einen Seitenblick zuwarf und spürte, wie sie seine Hand festdrückte. Die gesamte Unterrichtsstunde lang hielten und streichelten sie sich gegenseitig die Hand. Chiaki hatte mehrfach solche Momente, wo er fast nachgab und es ihr auf der Stelle sagen wollte. Alles was er nur tun müsste, war sich zu ihr hinüberzulehnen und es ihr ins Ohr zu flüstern. Aber er hielt sich zurück, wenn er daran dachte, wie viel besser es wäre, wenn sie allein waren. Er konnte ihr seine Liebe dann wirklich zeigen und sie bräuchte ihr Lächeln nicht zu verstecken und danach könnte er sie bis zur Besinnungslosigkeit küssen. Als der Film zu Ende war, wollte er ihre Hand nicht loslassen, musste es aber als Frau Pakkyaramao das Licht wieder anmachte. Zögernd langsam ließen sie ihre Hände los. Im nächsten Moment klingelte auch die Schulglocke und alle packten ihre Sachen, um nach Hause zu gehen. Chiaki ließ sich etwas Zeit, sodass er mit Maron noch zu den Wenigen gehört, die in Klassenzimmer übrigblieben. Er sah, wie sie zu Frau Pakkyaomao nach vorne ging und nach dem Lernstoff für die anstehenden Klausuren fragte. Den ganzen Tag schon hatte sie nach jeder Unterrichtseinheit die Lehrer nach dem Stoff gefragt, wollte womöglich sicher gehen, da sie knapp drei Wochen gefehlt hatte. Gerne hätte er auf sein Mädchen gewartet und wäre mit ihr zusammen rausgegangen, aber das würde auffallen. Notgedrungen verließ Chiaki das Klassenzimmer, warf Maron noch einen letzten unauffälligen Blick zu, die sich angeregt mit ihrer Lehrerin unterhielt. Er ging nach draußen zum Parkplatz, wo sich schon unzählige Schüler ansammelten und Heim fuhren. Er wartete wie gewohnt vor seinem Auto, den Blick auf das Schulgebäude gerichtet. Während er wartete, brütete er sich im Kopf einen Plan aus, wie er ihr seine Liebe gestehen sollte. Wollte den Moment so perfekt wie möglich machen. Vielleicht sollte er es ihr nach einem Kuss sagen. Oder vielleicht sollte er sie dafür zu den Picknickbänken rausbringen. Das klang nach einem guten Einfall. Dort hatte alles angefangen. Dort hatte er ihr vor zwei Tagen zum ersten Mal seine Gefühle gezeigt, auch wenn er zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass es sich um Liebe handelte. Er fragte sich, ob man(n) Geschenke oder ähnliches für sowas besorgen musste. Er hatte keinen blassen Schimmer, war darin so richtig ahnungslos. Er konnte ein Mädchen womöglich auf verschiedenster Weise zum Kommen bringen, aber wenn es darum ging seinem Mädchen zu sagen, dass er sie liebte, war ihm das eine Nummer zu groß. Seufzend strich Chiaki sich durch die Haare. Letztendlich war es wahrscheinlich egal wie er es ihr sagte, solange er es tat. Und es definitiv wird. Ihm fiel auf, dass der Parkplatz fast leer war und Maron immer noch nicht rausgekommen war. Überhaupt war seit einer ungewöhnlich langen Weile niemand mehr rausgekommen. Verwundert zog Chiaki die Brauen zusammen, blickte auf die Uhr. Er stand schon seit über dreißig Minuten draußen?! Hatte er sie vor lauter Grübeleien verpasst? Aber Miyako’s Wagen stand noch da….   Plötzlich öffnete sich die Eingangstür und jemand kam raus. Yamato. Fast hätte Chiaki vergessen, dass sein Freund auch noch nicht da war. Ihre Blicke trafen sich und die Panik auf dessen Gesichtsausdruck schockte ihn. Chiaki drückte sich von seinem Wagen ab, als er auf ihn zu gerannt kam. Unterschiedliche Szenarien gingen ihm durch den Kopf: Amokläufe, Dach war eingestürzt, Corona, ... Als Yamato schließlich bei ihm war und sich schweratmend auf seine Knie abstützte, sah er mit einem gehetzten Ausdruck zu ihm hoch. „Es ist Maron“, japste er. Sofort wurden Chiaki’s Augen groß und die Panik seines Freundes übertrug sich auf ihn. „Was?!“ „Irgendein Arsch hatte ihr aus Versehen den Ellenbogen ins Gesicht gerammt“, erklärte Yamato so schnell es ging, rang angestrengt nach Luft. Bevor Chiaki noch weitere Fragen stellen konnte, kamen zwei Autos mit quietschenden Reifen in den Parkplatz reingerast. Ohne richtig zu parken, stiegen Takumi und Sakura aus und rannten in die Schule. „Der hatte sie so hart erwischt, sie blutet...“, sprach Yamato weiter und schnappte immer noch nach Luft, „Fuck man. Sie rastet völlig aus. Lässt sich von niemand anfassen. Nicht mal von Miyako. Und-“ Den Rest hörte Chiaki schon nicht mehr, war schon wie von der Pistole geschossen losgelaufen. Rannte so schnell die Beine ihn trugen, als würde sein Leben davon abhängen. Er betete darum, dass sie okay war. Er wusste jedoch, dass sie es nicht sein wird. Er streckte seinen Arm nach der Tür aus. Und als er sie gerade mal einen Spalt breit öffnete, wäre ihm fast das Herz stehen geblieben. Schreie waren zu hören. Schreie, Gekreische und Schluchzen. MARON!! Chiaki schwang die Tür auf und sprintete rein, sah auch direkt die große Traube an Menschen, die sich mitten im Foyer angesammelt hatte. Ein paar schaulustige Schüler sowie ein paar Lehrer, die überforderte Gesichtsausdrücke trugen. Sie versuchten die Schüler wegzuschicken. Maron’s qualvollen Schreie und Schluchzen waren in der ganzen Halle zu hören. Sein Herz schmerzte mit jedem Schrei und brach bei jedem Schluchzer. Er folgte ihrer von Schmerz gezeichneten Stimme, stoppte nicht als er die Masse erreicht hatte, lief ungehindert weiter, schob jeden beiseite, der ihm im Weg war. Er musste sie sehen. Frau Pakkyaramao versucht ihn aufzuhalten, rief ihm irgendwas entgegen, aber Chiaki hörte sie nicht. Konnte nichts hören außer die markerschütternden Schreie. Er ignorierte seine Lehrerin, drängte sich weiter durch die Menge... und sah sie schließlich. Das Blut gefror in seinen Adern. Ihr Anblick brachte ihn fast auf die Knie. Maron lag eingerollt auf den Boden. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, welches von ihren Knien, Händen und Haaren verdeckt war. Sie zitterte am ganzen Leib, bebte und schrie sich die Stimme aus dem Hals. Das war kein normaler „Schräger, emotionaler Zusammenbruch“. Das war qualvoll und brutal. Sakura war über sie gebeugt, das Gesicht hilflos und tränenüberströmt und versuchte auf sie einzusprechen. Sie reichte eine zitternde Hand nach ihr, wollte ihr beruhigend den Kopf streichen. Was sie nicht hätte tun sollen. Denn die Schreie und das Zittern und das Schluchzen wurde schlimmer. Hastig zog Sakura ihre Hand wieder zurück, sah noch hilfloser aus als vorher und Panik breitete sich auf ihren Zügen aus. Takumi stand hinter ihr, die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben. Er griff in seine Tasche, holte sein Handy raus und begann zu telefonieren. Miyako saß weinend neben ihrer Mutter, blickte genauso hoffnungslos drein. Yamato drängte sich durch die Masse durch und lief auf seine Freundin zu. Chiaki’s Aufmerksamkeit war voll und ganz auf die zitterte Gestalt vor ihm gerichtet. Insbesondere auf das Blut unter ihrem Kopf. Er schloss für einen Moment die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, versuchte bei all den Schreien, die ihn erschaudern ließen und fast selbst zur Verzweiflung brachten, einen klaren Kopf zu bekommen. Und er wusste, was er tun musste. Maron würde sich nicht mal von Miyako und Sakura anfassen lassen. Aber er wettete darum, dass er es konnte. Scheiß auf Geheimnisse. Er würde sein eigenes Leben hergeben, um sie da rauszuholen. Chiaki öffnete seine Augen und sah zu Yamato rüber, der auf dem Boden saß, Miyako tröstend in den Armen hielt und mit einem wissenden Blick zu ihm zurückschaute. Er war froh, dass sein Freund Bescheid wusste. Denn er wird definitiv auf viel Widerstand treffen. Entschlossen ging er auf sein Mädchen zu und blendete alle aus, die versuchten ihn aufzuhalten. Langsam näherte er sich ihr, blickte vorsichtig zu Miyako rüber und hoffte, dass sie ihn nicht ansprang. Doch diese hatte ihr Gesicht weinend in Yamato’s Brust vergrab. Sakura drehte sich mit einem verwirrten Ausdruck zu Chiaki um, erhob sich und sah ihn unschlüssig an. Plötzlich drängte Takumi sich dazwischen, eine Hand immer noch das Handy am Ohr haltend und die andere Hand an Chiaki’s Schulter gepackt. „Was hast du vor?“, fragte er, die Stimme so scharf wie ein Messer, ließ die Hand mit dem Handy sinken. Chiaki riss seinen Blick von Maron los und blickte ihrem Vater in die Augen. „Ich kann ihr helfen“, sagte er, die Stimme ruhig und gefasst, obwohl seine geballten Hände vor Anspannung zitterten. Takumi’s Augen verengten sich misstrauisch. „Wie kannst du ihr helfen?!“ Er hatte eine beschützende Haltung eingenommen. „Bitte-“ „Niemand kann ihr helfen!“ Man konnte den Kummer und das Leid in seiner Stimme hören. Die Hilflosigkeit eines Vaters, der sein eigenes Kind nicht helfen konnte. Und dennoch war in seinen Augen zu sehen, dass er sie vor jeglichen Gefahren beschützend wird. Chiaki konnte nicht anders als größten Respekt für ihn zu empfinden. Und ein bisschen Angst, denn es war Takumi anzusehen, dass er ihn an Ort und Stelle töten würde, sollte er noch einen Schritt wagen. „Ich kann“, erwiderte er mit fester Stimme und schüttelte dessen Hand ab. Sakura war beiseitegetreten, beobachtete alles mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Aber Takumi dachte nicht dran ihn gehen zu lassen, hielt ihn von hinten am Arm fest. Chiaki ließ sich davon nicht beirren, näherte sich Maron trotzdem. Und je näher er ihr kam, desto mehr konnte sie dieses elektrisierende Gefühl wohl spüren. Er wusste, dass sie es spüren konnte. Denn sie wurde ein ganz kleines bisschen leiser. Die meisten Leute bekamen die Veränderung in ihren Schreien nicht mit. Aber Chiaki hörte es. Takumi auch, der für einen minimalen Moment perplex auf sie herabsah. Chiaki riss sich von ihm los und kniete sich langsam zu seinem Mädchen runter. Er drehte seinen Kopf langsam zu Takumi um, sah respektvoll zu ihm hoch, um ihm zu zeigen, warum er ihr helfen konnte. Dass er die Lösung für das Problem war. Und dass er es schaffen konnte. Er wandte sich wieder seinem Mädchen zu. Vorsichtig hob er seine Hand und legte sie ihr auf die Hand, die ihm auf dem Boden am Nächsten war. Wahrscheinlich wollte Takumi ihn gerade umbringen. Denn Chiaki spürte, wie er ihn von hinten wieder an der Schulter packte, allerdings innehielt als Maron’s Schreie nachließen und in der nächsten Sekunde komplett aufhörten. Nur noch ihr lautes Schluchzen war zu hören. Chiaki sah zu ihr runter, strich ihr mit zitternden Händen beruhigend über die Hand. Er rückte näher zu ihr ran. Sie zitterte noch, aber nicht mehr so heftig wie vorher. Ihr Vater hatte ihn mittlerweile losgelassen. Er ließ sich auf den Boden nieder, legte behutsam seine Arme um sie und zog sie zu sich auf den Schoss, sodass sie auf ihm saß. Sie weinte und bebte, aber er wusste, dass sie ihren Zusammenbruch überwinden konnte. Eine Hand hatte sie vor das Gesicht gehalten, ebenso hingen ihre Haare wie ein Vorhang drüber. „Sshh…Ich bin hier…“, flüsterte er so leise, dass nur sie es hören konnte. Während er Maron mit einem Arm festhielt, strich Chiaki ihr mit der freien Hand die Haare aus dem Gesicht und senkte sachte ihre Hand, die nass von Tränen und Blut war. Als er schließlich freie Sicht auf ihr Gesicht hatte, konnte er sehen, dass das Blut von ihrer Nase kam und ein Auge geschwollen war. Wut kochte in ihm hoch. Ihm war es scheißegal, ob es ein Unfall war. Er wollte den Bastard, der verantwortlich dafür war, aufsuchen und ihm hart ins Gesicht treten. Sanft strich er ihr über die Wange, versuchte sie dazu zu bringen ihre zugekniffenen Augen zu öffnen. Ihr Zittern ließ mit jedem verstrichenen Moment allmählich nach und sie öffnete langsam ihre Augen. Ihre schönen, braunen Augen waren von Tränen verschleiert, aber sie konnte ihn sehen. Er blickte ihr mit all der Liebe, die er für sie hatte, in die Augen und strich ihr beruhigend durch die Haare. Glücklicherweise hörte sie auch auf zu zittern. Chiaki lehnte sich zu Maron runter und drückte ihr einen sanften, liebevollen Kuss auf die Stirn. Sie atmete ein und wieder aus, etwas zu schnell und schien zunächst auch etwas Probleme damit zu haben. Schnappte gleichzeitig japsend nach Luft, ihr Brustkorb hob sich hektisch auf und ab. Aber sie konnte atmen. Ihre Augen sahen zu ihm hoch, als er sich etwas aufsetzte und ihr wieder über die Wange strich. Er konnte sehen, dass sie mit jeder Sekunde langsam wieder zur Realität -zu ihm- zurückkehrte. Er wusste nicht, was um ihn herum alles passierte, da er komplett auf sein Mädchen fokussiert war und ihr tief in die Augen blickte. Darauf hoffend, dass sie aus ihren Flashbacks und furchtbaren Erinnerungen rauskam. Was sie Momente später auch schaffte. Ihre Atmung regulierte sich auch allmählich. Er hörte, wie sie hauchleise seinen Namen schluchzte. „Chi-…Chi-a-ki…“ Maron hob schwerfällig ihre Arme, legte sie ihm um den Nacken und umarmte ihn, nutzte ihre letzten Kraftreserven dafür. Schwer atmend legte sie ihren Kopf auf seine Schulter ab, das Gesicht in seine Halsbeuge vergraben. Sachte strich Chiaki ihr über die Haare und streichelte ihr anschließend den Rücken auf und ab. Er spürte, wie sie sich noch mehr beruhigte und jegliche Anspannung in ihrem Körper sich löste. Er hielt ihre Taille fest und legte seinen anderen Arm unter ihre Beine, hob sie anschließend mit hoch als er aufstand. Ihre Arme hingen ihm schlaff um seinen Hals. Ihr Gesicht verweilte in seiner Halsbeuge. Wahrscheinlich war Maron sich der Gesamtsituation bewusst und war zu beschämt allen ins Gesicht zu blicken. Dafür musste er sich nun allen stellen. Schwer seufzend drehte Chiaki sich um. Jeder im Foyer starrte ihn völlig schockiert an. Jeder bis auf fünf Leute. Takumi, Sakura und Miyako wirkten erleichtert, überwältigt und sichtlich verwirrt zugleich. Yamato lächelte neben Miyako mit einem wissenden Lächeln. Chiaki war schockiert und überrascht darüber Kaiki neben Maron’s Vater stehen zu sehen. Und dann begann er zu realisieren, dass Takumi mit ihm am Handy wohl geredet haben muss. Worüber er froh war, denn Maron bräuchte mit Sicherheit ärztliche Hilfe. Kaiki wirkte ebenfalls erleichtert und verwirrt. Aber da war noch etwas anderes in seinen Augen zu sehen. Stolz. TWENTY-SEVEN ------------ TWENTY-SEVEN   Nachdem Maron all ihre Fragen zu den anstehenden Klausuren mit Frau Pakkyaramao geklärt hatte, verließ sie das Klassenzimmer und begab sich langsam nach draußen. Während sie durch die Gänge lief und die Treppen nach unten stieg, dachte sie unentwegt an Chiaki. Sein Verhalten in letzter Zeit war durchaus kurios. Sie war ziemlich überrascht gewesen, als er in der Klasse ihre Hand plötzlich nahm, trotz des Risikos gesehen zu werden. War aber auch gleichzeitig mehr als glücklich darüber. Und irgendwie waren seine Blicke noch intensiver und gefühlvoller als vorher. Völlig in Gedanken versunken lief sie die letzte Treppe zum Foyer herunter, den Blick nachdenklich nach unten gesenkt. „OH SHIT! VORSICHT!“, hörte sie plötzlich jemand rufen. Schritte kamen ihr näher. Viel zu nah. Maron schaute auf und erstarrte. Plötzlich ging alles zu schnell. Ihr Mitschüler, Sagami Kugahara, kam in einer schnellen Rückwärtsbewegung auf sie zugeschossen, versuchte anscheinend etwas zu fangen, was ein Kumpel ihm zugeworfen hatte. Er war ihr viel zu nah um auszuweichen. In der Sekunde, in der er über seine Schulter schaute und ihr entsetztes Gesicht sah, kam sein Ellenbogen mit voller Wucht mit ihrem Gesicht in Berührung. Schmerz breitete sich in ihrer Nase aus, ihr Blickfeld verschwand und alles wurde weiß. Der Schlag warf sie zu Boden. Was danach geschah, wusste Maron nicht mehr. Es war alles zu viel. Sie wurde schon mal so hart ins Gesicht geschlagen. Mehrmals. Immer und immer wieder. Der Schmerz fühlte sich zu vertraut an. Und die Flashbacks und die Bilder schlugen mit Gewalt auf sie ein, nahmen von ihr Besitz. Mit einem Schlag war sie nicht mehr im Schulfoyer - sondern in ihrem alten Zimmer, hunderte von Kilometer von hier entfernt, eingesperrt im dunklen Ankleidezimmer. Sie konnte die Schreie spüren, die aus ihrer Brust kommen. Aber sie konnte nichts hören, außer dieses laute Rauschen in ihren Ohren. Gleichzeitig durchlebte sie nochmal die schmerzhaftesten Momente ihres Lebens. Manchmal konnte Maron spüren, dass jemand sie berührte, was sie zusammenzucken ließ und noch mehr in die Erinnerungen zurückdrängte. Sie schrie und weinte und kam einfach nicht raus, war in ihrem Kopf gefangen. Sie wusste nicht, was draußen um ihren Körper herum geschah. Es fühlte sich wie Stunden an, dass sie in dem dunklen Raum gefangen war. Oder auf dem kalten Boden lag. Irgendwann war sie sich nicht mehr sicher, welche der beiden Realitäten echt war. Ihr ging der Gedanke durch den Kopf, dass sie noch immer in der Dunkelheit gefangen war und das Monster noch draußen in ihrem Haus rumlief, während ihr Leben in Momokuri nichts als ein Traum gewesen war. Ein Hirngespinst, welches ihr Verstand sich ausdachte, um sie vor dem Schmerz und den Qualen zu schützen. Dem sie auch Glauben schenkte. Es begann Sinn für sie zu machen. Während sie in ihrem Albtraum -in ihrer persönlichen Hölle- gefangen war, lebten alle ihr sorgloses Leben. Sie begann sich zu fragen, was ihr Vater, Miyako und Sakura zu Hause in Momokuri gerade machten. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr stieg die Panik in ihr an. Sie wusste nicht, ob Chiaki real war oder nicht. Schließlich kannte sie ihn zu damaligen Zeiten nicht. Und die Vorstellung in einer Welt zu leben in der Chiaki Nagoya nicht existierte, zerstörte sie förmlich. Und sie hoffte und wünschte sich so sehr, dass ihr Verstand nur grausame Spiele mit ihr spielte, sich das alles nur ausdachte und man sie aus diesem furchtbaren Ort rausholte.   In dem Moment als Maron alles aufgeben und sich geschlagen geben wollte, spürte sie es. Ein vertrautes Gefühl. Dieses elektrisierende Kribbeln. Ganz minimal und noch weit weg. Aber es war da. Und wenn es da war, dann musste Chiaki existieren. Er war kein Traum. Er war real! Langsam kam das Gefühl näher. Furchtbar langsam. Sie wollte, dass es zu ihr kam. Dass es bei ihr war. Dass er bei ihr war. Maron bettelte und flehte in der Dunkelheit, dass er sie fand, wo auch immer sie war und sie rausholte. Plötzlich konnte sie die Elektrizität in voller Stärke auf ihrer Hand spüren. Das Gefühl breitete sich wie eine sanfte Welle in ihrem Körper aus. Er war da. Chiaki war hier - bei ihr. Ihr Gefängnis verschwamm vor ihrem Blickfeld und es war nur noch dunkel. Sie spürte, wie sie kurz hochgehoben und wieder abgesetzt wurde. Das laute Rauschen in ihren Ohren ließ nach, wurden zu einem sanften Summen. Auf einmal konnte sie ihren Körper wieder spüren. Sie versuchte die Skepsis in ihrem Inneren zu unterdrücken, die ihr sagte, dass nichts von dem echt war. Plötzlich konnte sie die vertraute Wärme auf ihrer Wange fühlen. Dieses warme, elektrisierende Gefühl brachte sie schließlich aus der Dunkelheit heraus. Vage konnte sie seine Stimme vernehmen. Langsam traute sie sich ihre Augen zu öffnen. Und dann sah sie ihn. Chiaki. Er war wirklich hier, bei ihr. Er war real. Und er hatte sie gerettet. Sie sah in seine starken und zugleich sanften Augen, kämpfte dagegen an von der Dunkelheit wieder verschluckt zu werden. Er blickte sie mit so viel Gefühl an, Maron konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Sie sah wie Chiaki sich zu ihr nach vorne lehnte und ihr einen sanften Kuss auf die Stirn gab. Diese Geste brachte ihre letzten Sinne wieder. Das Summen in ihren Ohren verebbte und sie konnte wieder hören. Und das einzige was sie hören konnte war ihr eigenes Schluchzen. Sie schnappte angestrengt nach Luft, während er sanft auf sie herabsah und nicht aufhörte sie zu streicheln. Nach einer Weile konnte sie den Schmerz in ihrem Gesicht richtig spüren sowie das Brennen in ihrer Lunge, wenn sie versuchte zu atmen. Sie wollte ihre Hand heben, doch das einzige was sie schaffte war ein Fingerzucken. Ohne den Blick von Chiaki abzuwenden, versuchte Maron immer wieder ihre Hand zu heben bis sie es schließlich schaffte. Das einzige was sie jetzt wollte war ihn zu umarmen, sich bei ihm mit allem was sie hatte zu bedanken und ihm nah zu sein. Irgendwie schaffte sie es ihre Arme um seinen Nacken zu legen, sich hochzuziehen und ihr Gesicht erschöpft auf seine Schulter abzulegen. Noch immer atmete sie schwer und zitterte leicht. Chiaki strich ihr mit seinen Fingern sanft über den Rücken, was sie beruhigte. Maron atmete tief durch, sog seinen Duft in sich ein. Sie wollte ihm durch die Haare streicheln oder ihn küssen. Aber sie war so erschöpft, ihr ganzer Körper fühlte sich schlaff an. Sie merkte, wie Chiaki sie festhielt und sich mit ihr zusammen vom Boden erhob. Sie hatte für den Moment keine Kraft selbst zu stehen oder sich ordentlich festzuhalten. Im nächsten Moment spürte sie, wie er sich versteifte und die Erinnerungen kamen mit einem Mal wieder. Sie waren in der Schule. Und höchstwahrscheinlich nicht allein. Maron vergrub ihr Gesicht weiter in seine Halsbeuge. Dann überkam sie die Erkenntnis. Nämlich, dass Chiaki seine wichtigste Regel, was sie beide betraf, gebrochen hatte. Für sie. *** Chiaki funkelte jeden der Schaulustigen mit verengten Augen an, die alle keinen verdammten Grund hatten, immer noch hier zu sein und sah wie sie langsam verschwanden. Er hielt sein Mädchen fest an sich und sah zu Kaiki rüber. „Sie ist verletzt“, sagte er ihm, sichtlich angepisst darüber und konnte es kaum erwarten den Verantwortlichen zu finden, der ihr Leid verursacht hat. Kaiki wandte sich an Takumi, der immer noch verblüfft dreinblickte und mit einem fassungslosen Ausdruck zu Maron in Chiaki’s Armen sah. „Ich brauche dein Einverständnis für ‘ne Untersuchung“, sagte er ihm in einem sachlichen Ton. Sofort sah Chiaki rot. „Du kannst sie nicht anfassen“, entkam es ihm schroffer als notwendig war. Alle bis auf Yamato erblassten etwas bei seinem Tonfall und blickten ihn mit großen Augen erschrocken an. Er verstand nicht, wieso sie überhaupt so schockiert waren. Es war doch offensichtlich, dass das nur wieder schlimmer machen würde. Kaiki wirkte keineswegs angegriffen. „Schon gut. Ich bin mir sicher, du kannst mir helfen?“ Er blickte ihn fragend an und dann zu Takumi. Chiaki nickte, wusste zwar nicht wie viel er helfen konnte, aber würde mit Sicherheit sein Bestes geben wollen. Takumi räusperte sich und nickte schließlich zustimmend. Sakura lächelte erleichtert. Chiaki schaute zu Yamato und Miyako rüber. Er hoffte innerlich, dass sein Freund seine Freundin irgendwie wegbringen würde, bevor diese eins und eins zusammenzählte und eventuell erkannte, wie nah Maron und er sich wirklich standen und vielleicht noch nach etwas suchte, um ihn zu kastrieren. Aber er konnte in Miyako’s Gesichtsausdruck sehen, dass sie sich weigerte zu gehen und Maron besorgt anschaute. Yamato stand gelassen neben ihr, wischte sich mit der Hand über die Tränenflecke auf seiner Uniform. „Ich bin mir sicher man wird mir das Krankenzimmer zur Verfügung stellen“, sagte Kaiki zu niemand bestimmten gewandt. Chiaki nickte, rückte Maron in seinen Armen etwas, sodass er einen besseren Halt um sie hatte und ging voraus. Die anderen folgten ihm Richtung Krankenzimmer. Die Schulschwester stand an der Tür als er vor dem Krankenzimmer ankam, wollte wahrscheinlich helfen. „Sie können gehen. Wir haben schon einen richtigen Arzt“, entgegnete Chiaki trocken, war sich sicher, dass sein Mädchen im Moment von niemanden -selbst von einer Frau nicht- angefasst werden wollte, als von ihm. Die Schulschwester stemmte die Hände in die Hüfte, funkelte ihn beleidigt an und ging, schloss hinter sich laut die Tür. Er rollte entnervt mit den Augen. Anschließend ging er zu eines der Betten, an dem Kaiki schon stand. Chiaki hörte, wie die anderen sich auf Stühlen am anderen Ende des Raumes hinsetzten. Vorsichtig setzte er Maron auf die Bettkante ab. Nahm ihre Schultern und drückte sie sanft von sich. Widerwillig nahm sie ihren Kopf von seiner Schulter. Er hielt sie für einige Momente stabil bis er sich sichergehen konnte, dass sie sich von selbst aufrecht halten konnte. Er betrachtete ihr Gesicht. Ein Auge war angeschwollen, die Nase zerschrammt und Blut war auf einer Gesichtshälfte verteilt. Langsam ließ Chiaki ihre Schultern los, stellte sicher, dass sie nicht doch noch zusammenbrach. Was sie nicht tat. „Tut es weh?“, flüsterte er besorgt, blickte ihr liebevoll in die Augen. Maron presste sich die trockenen Lippen zusammen, sah zu ihm auf. „Ein bisschen…“, antwortete sie mit kratziger Stimme. Er zuckte beim Klang ihrer Stimme etwas zusammen. Sie hörte sich an als hätte sie stundenlang geschrien. Sie versuchte sich zu räuspern. „Danke...“ Im nächsten Moment nahm sie seine Hand in ihre und legte sie auf ihrem Schoss, strich sachte über seine Haut. „Nichts wofür du dich bedanken musst“, entgegnete Chiaki mit einem sorglosen Schulterzucken, drehte seine Hand, um nach ihrer zu greifen und strich sanft mit dem Daumen über ihre Knöchel.   Sein Mädchen hatte für ihn dasselbe gemacht. Er dachte an die eine Nacht vor knapp zwei Monaten zurück, in der sie ihn im Grunde genommen aus seinem Albtraum, in der er gefangen war, rausgeholt hatte - trotz des Risikos selbst einen Zusammenbruch zu erleiden. Maron lächelte schwach auf ihre verbundenen Hände herab und blickte anschließend über seine Schulter zu den besetzten Stühlen hinter ihm. Ihr Blick wanderte wieder zu ihm zurück. Und für einige Sekunden tauschten sich stumme Blicke aus. Er verstand auch direkt, was in ihr vorging. Sein Mädchen war besorgt darüber, dass jeder sehen konnte wie ungezwungen sie miteinander umgingen. Er konnte erkennen, dass sie zögerlich seine Hand hielt, etwas rot wurde und immer wieder nervös zu den Leuten hinter ihm schaute. Er spürte die Blicke der anderen im Nacken und verdrehte innerlich stöhnend seine Augen. Die Katze ist jetzt aus dem Sack. Wen zum Teufel interessiert’s noch? Ihn nicht. Chiaki hielt ihre Hand fester und Marons Lippen zuckten zu einem kleinen Lächeln hoch.   Sie hörten wie Kaiki sich räusperte. Widerwillig wandte Chiaki seinen Blick von seinem Mädchen ab und sah zu ihm rüber. Er stand einige Schritte von ihnen entfernt und hielt ihm ein Handtuch entgegen, wahrscheinlich um damit ihr Gesicht sauber zu machen. Sowie eine kleine Flasche Wasser. Kaiki war offensichtlich etwas besorgt darüber Maron zu nah zu sein. Chiaki lehnte sich zu ihm rüber, nahm ihm das Tuch ab und bedankte sich mit einem Nicken. Das Handtuch war schon etwas feucht und warm. Er wandte sich wieder seinem Mädchen zu, gab ihr die Wasserflasche, worauf sie ein paar Schlücke nahm und die Flasche dann beiseitelegte. Ihre Haare klebten ihr teilweise noch auf dem Gesicht. „Miyako“, sagte er, ohne sich umzudrehen, „Hast du irgendetwas, um ihre Haare zurückzubinden?“ Während hinter ihm Bewegungen zu hören waren, begann er mit dem Tuch übers Maron’s Stirn zu wischen. Einen Augenblick später spürte er ein Tippen auf seiner Schulter. Chiaki drehte seinen Kopf und sah Miyako, die ihm ein Haargummi entgegenhielt. Und ausnahmsweise funkelte sie ihn nicht feindselig an. Stattdessen blickten ihre Augen ihn mit einem dankbaren Ausdruck an. Er zog leicht argwöhnisch die Brauen zusammen, nahm das Haargummi und drehte sich wieder zu seinem Mädchen um. Er legte das Handtuch auf ihrem Schoss ab, bevor er all ihre Haare aus dem Gesicht nahm. Nachdem er ihre Haare mit einer Hand am Nacken beisammen hatte, band er sie nach einigen Schwierigkeiten unbeholfen zusammen, worauf sie amüsiert lächelte. Anschließend nahm er das Handtuch wieder und säuberte ihre blutige Wange. Vorsichtig wischte Chiaki drüber, hatte Angst ihr wehzutun. Gedanklich schmiedete er immer noch Mordpläne für den verantwortlichen Bastard. „Wer war’s?“, fragte er leise. Maron räusperte sich. „Sagami“, antwortete sie. Seine Hand, welches das Tuch hielt, verkrampfte sich zu Faust, dennoch zwang er sich behutsam ihr Gesicht weiter zu behandeln. „Okay“, sagte er nur. Jetzt hatte der Bastard einen Namen. Und ein Gesicht, welches er brechen konnte. „Es war ein Unfall, Chiaki“, sprach Maron mit schwacher Stimme auf ihn ein. „Klar...Unfälle passieren“, erwiderte er in einem trockenen Unterton. Unfälle passieren überall. Besonders bei all den Treppen in der Stadt... „Nein.“ Ihre Stimme riss ihn aus den Gedanken. „Versprich es mir.“ Maron blickte ihn mit einem mahnenden Blick an, als wüsste sie, was in seinem Kopf vorging. Chiaki schnaubte verächtlich, denn er konnte keine Versprechen machen, wenn es um das Wohlbefinden von solchen minderwertigen Vollidioten ging. Sie reichte nach seiner freien Hand. Er lehnte sich etwas zurück, um ihr in die Augen zu sehen. „Bitte“, bat sie ihn und sah ihn mit einem Blick in den Augen an, bei welchem er nie Nein sagen konnte. Er stöhnte leise auf. „Na gut“, murrte er. „Ich versprechs.“ Vielleicht könnte er Yamato darum bitten, dass er den Typen „ausversehen“ die Treppen runterschubsen soll… Sein Freund musste Maron schließlich nichts versprechen. „Nein, du bittest auch niemand anderen darum deine Mordpläne durchzuführen“, rollte Maron mit ihren Augen. Chiaki blickte sie wie ertappt an. Verdammt, sie kannte ihn zu gut! Seufzend gab er sich geschlagen. Der Mistkerl kann seinem Mädchen durchaus dankbar sein, dass er noch lebend davonkommt. Sie nickte zufrieden.   „Also...Chiaki.“ Takumi ergriff nach einer kurzweiligen Stille das Wort. „Du und Maron, kennt ihr euch gut?“ Seinem Ton zu urteilen, kannte er schon die Antwort auf seine Frage, wollte dennoch das der Angesprochene es laut sagte. Chiaki richtete seine Aufmerksamkeit weiterhin auf das Blut auf Maron’s Gesicht. „Ja“, antwortete er wahrheitsgetreu, wollte ihren Vater nicht anlügen. „Oh.“ Takumi versuchte überrascht zu klingen. „Ich habe euch beide noch nie zusammen gesehen.“ Der Satz klang mehr nach einer Frage nach dem Warum. Chiaki verkniff es sich laut aufzustöhnen, wollte nicht respektlos ihm gegenüber rüberkommen. Er rieb weiter ihre Wange, als er ausweichend antwortete: „Das tun die wenigsten.“ Es war nicht unbedingt gelogen. Um weitere Fragen zu umgehen, beschloss er, dass Maron’s Gesicht sauber genug für eine Untersuchung war. „Fertig“, sagte er, legte das schmutzige Handtuch neben sie auf das Bett ab und drehte sich zu Kaiki um. Dieser streckte seinen Hals, um einen guten Blick auf ihr Gesicht zu haben. „Maron, hast du irgendwelche Probleme beim Atmen mit der Nase?“, fragte er. Sie atmete durch die Nase tief durch und schüttelte verneinend den Kopf. Kaiki nahm ihre Antwort nickend zur Kenntnis, den Hals weiterhin ausgestreckt. Man sah ihm an, dass er sie gerne normal untersuchen möchte. „Chiaki, versuch ihre Nase nach irgendwelchen Brüchen abzutasten.“ Chiaki sah mit einem entschuldigenden Blick auf sein Mädchen herab und begann ihre Nase abzutasten. Maron zuckte bei seiner Berührung zusammen – und er ebenfalls. Er hatte geahnt, dass es wehtun wurde. Aber er machte weiter, suchte nach irgendwelchen Brüchen. Sie hielt tapfer durch, hielt sich krampfhaft am Bettlaken unter ihr fest. „Nichts“, verkündete Chiaki, nachdem er nichts an Brüchen fand und nahm ihre Hand, strich ihr liebevoll sowie entschuldigend über den Handrücken. Kaiki nickte wieder. „Hast du irgendwelche Sehprobleme, Maron?“, fragte er. Sie schüttelte mit dem Kopf und sah Chiaki mit einem kleinen Lächeln in die Augen. „Sie sollte in Ordnung sein“, sagte Kaiki, „Aber um sicher zu gehen, könnte ich Röntgen-“ „Nein!“, rief Maron direkt, schüttelte heftig mit dem Kopf. „Keine Krankenhäuser!“, flehte sie, sah von Chiaki zu ihrem Vater nach hinten. Takumi muss ihre Bitte zugestimmt haben, denn sie entspannte sich sofort wieder. Unterdessen schrieb Kaiki sich ein Schmerzmittelrezept auf. Nach einigen Minuten waren sie schließlich bereit zu gehen. Chiaki half seinem Mädchen vom Bett runter und hielt sie fest, als sie vor Erschöpfung etwas schwankte. „Ich denke...“, setzte Takumi an und alle drehten sich zu ihm um. Er stand an der Tür, eine Hand auf der Klinke ruhend, tauschte mit Kaiki einen kurzen Blick aus. „Wenn wir zu Hause sind, sollten wir vier uns ein wenig unterhalten.“ Er deutete mit seinen Blicken auf Maron und Chiaki. Kaiki nickte zustimmend. Beide Väter wirkten im Moment nicht aufgebracht oder verärgert, oder ähnliches, vielmehr eher neugierig. Chiaki strich sich leise stöhnend über das Gesicht. Maron seufzte nur erschöpft. Sakura blickte leicht schmunzelnd drein, während Miyako enttäuscht darüber zu sein schien nicht beim Verhör dabei sein zu können. Chiaki führte Maron nach draußen und zu Takumi’s Wagen. Er öffnete ihr die Tür, zeigte allen, dass er ein Gentleman sein konnte. Er lächelte ein kleines, selbstzufriedenes Grinsen. Kaum hatte Maron auf den Beifahrersitz Platz genommen, beugte Chiaki sich zu ihr runter, scherte sich nicht drum, was die anderen dachten und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Sie lehnte ihren Kopf in den Sitz zurück und strahlte ihn mit erschöpften Augen an. Momente später hatten alle das Schulgelände verlassen. * Stille. Es herrschte beklemmende Stille in Kaiki’s Büro. Chiaki rutschte unbeholfen in seinem Ledersessel rum, brachte das Material zum Quietschen, worauf Kaiki und Takumi ihn mit prüfenden Blicken beäugten. Maron rutschte neben ihn ebenfalls in ihrem Sessel rum, stoppte und sah mit einem nervösen Blick zu ihm rüber. Da Yamato mit Miyako gefahren war, konnte Chiaki sofort nach Hause fahren. Nun saßen er und sein Mädchen da - waren dieser furchtbaren Stille ausgesetzt. Alles was er hören konnte, war das Zirpen der imaginären Grille. Kaiki saß auf seinem Bürostuhl hinter seinem Tisch, während Takumi an der Kante angelehnt davorstand. Mit verschränkten Armen vor der Brust, blickte er schweigend zwischen Maron und Chiaki hin und her. Chiaki seufzte leise und drehte seinen Kopf wieder zu seinem Mädchen um. Sie presste sich nervös die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sein Herz zog sich jedes Mal zusammen, wenn er ihr geprelltes Gesicht sah. Natürlich war sie immer noch unbeschreiblich schön - aber der Anblick tat trotzdem weh. Ihre Körperhaltung war angespannt und man konnte sehen, dass diese Stille ihr mehr als unangenehm war. Als ob die Situation allein nicht schon unangenehm genug war. Er streckte seinen Arm noch ihr aus, überbrückte die Distanz zwischen ihren Sesseln und nahm ihre Hand von ihrem Schoss. Beruhigend drückte Chiaki ihre Hand. Maron drehte sich mit einem Lächeln zu ihm um, als er mit dem Daumen über ihre Haut strich und entspannte sich etwas, ehe sie sich wieder zu ihren Vätern wandte. Beide blickten ungläubig auf ihre verbundenen Hände zwischen den Sesseln. Kaiki machte den Mund auf, schloss ihn jedoch wieder, den Blick weiterhin stirnrunzelnd auf ihre Hände fixiert. Wartend stützte Chiaki seinen freien Arm auf die Armlehne ab, das Kinn in seine Handfläche abgelegt. Schließlich ergriff Takumi das Wort. „Wie...?“ Er verstummte, starrte weiterhin auf ihre Hände. Chiaki überraschte genau diese eine Frage nicht, hatte sie so in etwa erwartet. Maron seufzte neben ihn. „Wie kann er mich berühren, fragst du jetzt?“ Ihre Stimme war immer noch furchtbar kratzig, klang fast schmerzhaft. Chiaki rieb mit etwas mehr Druck über ihren Handrücken. Takumi wandte sich nickend zu seiner Tochter. Maron schaute ihn direkt an. „Er ist anders“, sagte sie, drückte Chiaki's Hand und drehte sich anschließend zu ihm um, lächelte ihn warm an. Chiaki konnte nichts anderes als zurücklächeln, denn er liebte die Tatsache, dass er anders war. Er sah zu Takumi, der ihn teilweise prüfend und teilweise kritisch beäugte, die Augenbrauen streng zusammengezogen, als würde er versuchen zu erkennen, was anders war. Eventuell konnte Chiaki ein Fünkchen Neid erkennen, worauf er leicht schluckte. „Es ist so“, sagte er nüchtern. Wollte gar nicht erst versuchen ihnen dieses elektrisierende Etwas zu erklären. Das blieb privat zwischen ihm und seinem Mädchen. Selbst wenn Chiaki es versuchen wollte zu erklären, könnte er es nicht. Takumi schaute ihn missbilligend an. Doch Chiaki wollte nicht näher auf das Wie eingehen, gab das Maron auch stumm zu verstehen. Es gab nun mal Dinge, die nicht erklärbar waren und zu denen er auch keine Antworten wüsste. Kaiki räusperte sich. „Wie lange seid ihr zwei schon…?“ Er verstummte, blickte beide hilfesuchend an. Freunde? Vertraute? Fast-Liebende? Chiaki wusste selbst nicht, wie er diese Frage beantworten sollte. Auf keinen Fall wollte er ihren Vätern was von ihren Schlaf-Arrangements wissen lassen, dass würde nur noch mehr Chaos anrichten. Ebenso wollte er auch mit ihnen nicht über ihre Beziehung bzw. Beziehungsstatus reden. Nicht bevor er seinem Mädchen sagen konnte, dass er sie liebte und beide ihre Beziehung für sich selbst definieren konnten. Er musste das so schnell wie möglich mit Maron klären. „Wir haben uns im November kennengelernt“, sagte Chiaki und setzte sich aufrecht. „Ich denke, das waren alle wichtigen Fragen, oder?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte er noch schnell hinzu: „Denn ich bin mir sicher, Maron möchte sich gerne etwas ausruhen-…“ Er warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, sah ihre mit Blut befleckte Schuluniform. „-und bestimmt Duschen gehen wollen. Sie hatte schon genug Stress für heute.“ „Eine Dusche wäre wirklich schön…“, hörte er Maron murmeln. Er drehte sich zu ihr um, die sich den Kopf hielt und erschöpft nickte. „Ich kam noch nicht dazu die Tabletten zu nehmen…“, fügte sie hinzu. Heimlich warf sie ihm ein süßes Lächeln zu. Er drückte ihre Hand, wollte sie am liebsten zu sich heranziehen und einen sanften Kuss auf den Handrücken drücken. Aber natürlich würde er das nicht vor ihren Vätern machen. Das würde nur noch mehr Fragen aufwerfen, die er noch nicht beantworten konnte. „Moment“, warf Takumi irritiert ein. „Wir sind noch nicht fer-“ „Na schön“, fiel Kaiki ihm seufzend ins Wort und für einen Moment tauschten sich beide Väter einige stumme Blicke aus, schienen wortlos miteinander zu kommunizieren, wie es weitergehen soll. „Ich denke, ich kann dieses Gespräch auch mit Chiaki allein fortsetzen.“ Damit fiel sein Blick auf Chiaki, der mit den Augen rollte. Er konnte seinem Vater ansehen, dass er es kaum erwarten konnte ihn zur Rede zu stellen. „Entschuldige, dass wir dich hier festhalten“, sagte Kaiki an Maron gewandt. Takumi kniff sich mit den Fingern schnaubend zwischen die Augen, hätte es bevorzugt das Gespräch (/dieses Verhör) hier und jetzt weiterzuführen, um Chiaki eventuell noch bei Gelegenheit fertig zu machen. Aber solange Chiaki noch nicht mit seinem Mädchen geredet hatte, konnte er selbst die eine bestimmte Frage nicht beantworten. „Es wäre verdammt nett, wenn ich zunächst einen Moment allein mit Maron hätte“, sagte er, konnte die Ungeduld in seiner Stimme nicht verbergen. Kaiki, der eher darauf brannte all seine Fragen endlich stellen zu können, sah mit hochgezogener Augenbraue zu Takumi. Dieser erdolchte Chiaki mit seinen Blicken, eher er sich schließlich mit einem fragenden Blick an Maron wandte. Als würde er fragen, ob es okay für sie war sie mit ihm allein zu lassen. Chiaki verkniff es sich die Augen zu verdrehen und laut zu schnauben, als er das realisierte. Hatte er sich nicht als vertrauenswürdig genug erwiesen? Maron nickte enthusiastisch auf die stumme Frage ihres Vaters, wollte ebenfalls unbedingt ein wenig mit Chiaki allein sein. Seufzend drückte Takumi sich vom Tisch ab, während Kaiki dabei war aufzustehen, als Chiaki beide stoppte. „Wir werden draußen sein“, teilte er ihnen mit, stand vom Ledersessel auf und zog sein Mädchen mit hoch. Er wartete gar nicht darauf, dass die Erwachsenen noch irgendwas sagten, führte Maron einfach aus dem Büro und ging mit ihr die Treppen runter. Sie hielt seine Hand fest, folgte ihm schweigend. Am Treppenansatz kamen ihnen Shinji und Natsuki entgegen, die Lehrbücher in den Armen hielt, womöglich zusammen für Prüfungen lernen wollten. (Fast hätte er vergessen, dass die beiden auch noch existierten.) „Maron??“, kam es von Natsuki überrascht. „Was machst du-“ Verblüfft sowie verwirrt traten beide beiseite, als Maron und Chiaki sie wortlos passierten und schnappten hörbar nach Luft als sie ihre verbundenen Hände sahen. „M-M-Moment mal! Wie geht das?!“, hörte man Shinji perplex sagen. Doch Chiaki lief mit seinem Mädchen ungestört nach draußen.   Er führte sie zum Park mit den Picknickbänken. Es war mal was anderes mit ihr bei Tag hier zu sein und den Fluss klar vor sich zu sehen. Chiaki drehte sich zu Maron um, nahm ihre Taille, hob sie hoch und setzte sie auf dem Tisch ab, sodass sie ihm auf Augenhöhe war. Die späte Nachmittagssonne schien ihr ins Gesicht und der Fluss plätscherte neben ihnen. Ihrem Gesichtsausdruck nach war sie erleichtert über die Privatsphäre. Chiaki stand zwischen ihren Beinen, strich ihr sachte die Haare aus dem Gesicht. Er zog sich seine Jacke aus und legte sie Maron über die schmalen Schultern. Es war zwar nicht so kalt wie die letzten Tage, aber dennoch winterlich kühl und er befürchtete, dass sie frieren würde. „Wie fühlst du dich?“, fragte er sanft. „Müde... erschöpft“, sagte sie, sah zu ihm auf und steckte ihre Arme in die Ärmel, versank aufgrund ihrer Größe förmlich in seiner Jacke. Er seufzte als er feststellte, dass sie erst in mehr als fünf Stunden schlafen konnte. Solange musste sie noch durchhalten. Maron senkte ihren Blick und schob sich die Ärmel etwas hoch. „Naja... Ich habe schon Schlimmeres erlebt.“ Dieser Fakt ließ sein Blut wieder aufkochen. Aber er wollte nicht darauf rumsitzen und wechselte daher das Thema. „Das wird gleich ein ziemliches Verhör später“, sagte Chiaki mit einem leichten Schmunzeln und nahm ihre beiden Hände in seine. Maron nickte. „Ich habe schon einen Vorgeschmack davon bekommen, auf der Fahrt nach Hause mit meinem Vater.“ Sie lächelte etwas, schüttelte den Kopf. „Ähnlich wie vorhin, habe ich ihn mit vorgetäuschten Kopfschmerzen letztendlich abgewimmelt“, kicherte sie schläfrig. „Das mit der Dusche und den Tabletten war nicht gelogen…“ Chiaki grinste sie an. Im nächsten Moment versuchte sie sich zu räuspern und sah ihn mit einem traurigen Gesichtsausdruck an. „Es war so viel schlimmer als die anderen Male.“ Maron sah ihm in einer Art und Weise in die Augen, als würde sie ihn darum bitten, dass er verstand. Er verstand und nickte. „Ich bin dir so dankbar, dass du mich gefunden hast“, sagte sie leise, lächelte matt. „Tut mir leid, dass ich uns jetzt solche Probleme berei-“ „Bullshit“, schnitt er ihr das Wort ab, „Scheiß auf die anderen.“ Er sah sie mit verengten Augen an, war etwas beleidigt darüber, dass sie sich überhaupt entschuldigte. „Die spielen alle keine Rolle. Sollen sie all ihre Fragen stellen.“ Sie mussten schließlich nicht antworten, wenn sie nicht wollten. Chiaki’s Züge besänftigten sich und er blickte in ihre großen, braunen Augen. Er ließ eine Hand los und strich ihr eine Strähne sanft von der Stirn. „Ich würde das, ohne mit der Wimper zu zucken, wieder tun“, gab er ehrlich zu. Er würde es wirklich wieder und immer wieder tun. Maron lächelte ihn an, als er sich zu ihr nach vorne lehnte und seine Lippen sanft auf ihre drückte. Vorsichtig umfasste er ihre Wange, passte darauf auf ihr nicht wehzutun. Dieses elektrisierende Gefühl zwischen ihnen war intensiver denn je. Er zog sich für einen Moment zurück, lehnte seine Stirn an ihrer. Ihre Lippen waren nur Millimeter voneinander entfernt, berührten sich kaum. Er öffnete seine Augen und ihre Blicke trafen sich. Sein Mädchen blickte ihn mit so viel Liebe an, dass er beschloss ihr endlich auch seine zeigen zu können. „Weil ich dich liebe, Maron“, wisperte er gegen ihre Lippen und blickte ihr tief in die Augen, um ihr zu zeigen, dass er es ehrlich meinte. Ihre Augen wurden bei seinem Liebesgeständnis riesengroß und sie zog scharf Luft ein. Und dann passierte es. Ihr Gesicht leuchtete auf und ihr strahlendes Lächeln ließ die Sonne hinter ihm vergleichsweise blass aussehen. Und wie ihre Augen vor Freude glänzten - da müsste er vor Glück zurücklächeln. Kleine Freudetränen entkamen ihren Augen, die er ihr mit einem Finger wegwischte. Maron sprang vom Tisch runter, warf sich ihm um den Hals und drückte ihre Lippen auf seine. Chiaki versuchte sie sanfter zurück zu küssen, hatte immer noch Angst ihr wehzutun, aber sie schien das für den Moment nicht zu interessieren. „Sag es nochmal!“, sagte sie inmitten von Küssen. „Ich liebe dich.“ „Nochmal.“ „Ich liebe dich, Maron.“ „Nochmal.“ Er sah sie an. „Ich bin verdammt nochmal in dich verliebt, Maron Kusakabe.“ Sie attackierte erneut seine Lippen, schlang ihre Arme fest um seinen Nacken, zog ihn näher zu sich heran, erdrosselte ihn fast. „Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um es zu sagen“, sagte er, „Es tut mi-“ „Egal“, unterbrach sie ihn, „Spielt keine Rolle mehr, wie lange du gebraucht hast.“ „Jetzt werde ich nicht aufhören es zu sagen“, grinste er. Erneut trafen ihre Lippen aufeinander. Er kicherte gegen ihre Lippen und löste sich von ihrem Todesgriff. Denn es gab noch eine wichtige Sache, die er unbedingt tun musste und auch endlich konnte. Er fischte die Lederkette unter seinem Shirt heraus, an dem der Claddagh-Ring hing. Er löste die Kette von seinem Hals und holte mit einem Lächeln den Ring raus. Maron realisierte, was er vorhatte und ihre Augen begannen noch mehr zu leuchten, ihr Lächeln wurde noch breiter. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, stecke Chiaki sich den Ring an den Ringfinger der rechten Hand, mit der Spitze des Herzes zu ihm gezeigt. So wie man es tragen muss, wenn das Herz des Tragenden bereits vergeben ist. Chiaki lächelte breit, während Maron vor Freude fast auf und ab hüpfte und im nächsten Moment ihn wieder stürmisch küsste. Nach einigen Momenten beendete er kichernd den Kuss, war mehr als glücklich über ihre Reaktion. Ihre Wangen waren rosarot und womöglich schmerzte ihr Gesicht vom Lächeln, aber sie schien das nicht zu stören. Er blickte über ihre Schulter, bemerkte wie ihre Väter zwischen den Häusern wartend draußen standen. Innerlich stöhnte er entnervt auf. Maron drehte sich um, blickte für einen Augenblick nach hinten und wieder zu ihm zurück. Ihr Lächeln war verschwunden, worüber er die Stirn runzelte. Sie biss sich unsicher auf die Lippe. „Was sagen ich, wenn alle fragen was wir sind?“ Chiaki ging einen Schritt zurück. Er nahm ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren. „Sag ihnen, dass sie nicht so neugierig sein sollen, sonst versohlt dein Freund ihnen den Hintern“, grinste er schief. Ihr Lächeln kehrte sofort wieder zurück. Und ihre Augen strahlten bei dem Genuss ihn ihren Freund nennen zu können. Ihm ging es nicht anders, war mehr als glücklich darüber, dass sie nun wirklich sein Mädchen war. Im wahrsten Sinn des Wortes. TWENTY-EIGHT ------------ TWENTY-EIGHT   Während beide sich auf den Weg zurück machten, konnte Maron nicht aufhören mit dem Daumen über den Ring an Chiaki’s Finger zu streichen. Beide konnten nicht aufhören zu lächeln. Einige Meter von ihren Vätern entfernt blieben sie stehen und Maron gab Chiaki seine Jacke wieder. Er drückte ihr zum Abschied einen leichten Kuss auf die Wange. Anschließend schloss sie sich Takumi an und ging mit ihm nach Hause. Sie fühlte sich wie auf Wolke sieben, trotz des furchtbar anstrengenden Tages. Schließlich hatte Chiaki ihr vor wenigen Momenten seine Liebe gestanden - ihr gesagt, dass er sie liebte. Selbst das aufkommende Verhör konnte ihre Stimmung nicht vermiesen. „Also…ich schätze mal, Chiaki Nagoya ist dein Freund?“, riss die Stimme ihres Vaters sie wieder ins Hier und Jetzt zurück. Gerade standen sie vor der Tür und er hatte seine Hände in die Hosentaschen gesteckt, machte keine Anstalten die Tür zu öffnen. Oh, es fängt schon an…, ging es Maron etwas erstaunt durch den Kopf. Sie nickte auf seine Frage bejahend. „Und ich schätze mal, es ist was Ernstes zwischen euch?“, fragte Takumi mit hochgezogener Augenbraue. Wieder nickte sie, diesmal mit einem selbstsicheren Gesichtsausdruck und einem Lächeln. Takumi lehnte sich an die Tür an und sah Maron fragend an. „Wieso hast du nichts gesagt?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir…wollten auf den richtigen Zeitpunkt warten, schätze ich“, log sie spontan. „Für uns war das alles auch ziemlich neu…“ Er nahm ihre Antwort schweigend zur Kenntnis und nickte verstehend. „Bist du sauer?“, fragte Maron zaghaft. „Weil ich dir nichts von Chiaki erzählt habe?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, neigte unschlüssig den Kopf. Seine Schultern hoben sich einmal auf und wieder ab. „Eher enttäuscht als sauer“, antwortete er.   „Tut mir leid…“, entschuldigte Maron sich. „Ich weiß, dass du vielleicht deine Skepsis hast. Aber du musst wissen… Er bedeutet mir viel“, sagte sie leicht verlegen. Takumi zog eine Braue hoch. „Und er macht dich glücklich?“ „Ja. Mehr als glücklich.“ „Hmm.“ Er sah mit einer undurchdringlichen Miene zu den Nachbarn rüber. „Ich kann sehen, wie viel du ihm bedeutest. Und wie sehr er dich liebt…“ Diese Tatsache zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen und sie nickte erneute. Seufzend nickte Takumi akzeptierend. „Okay. Lass uns reingehen. Sakura und Miyako warten bestimmt schon.“ Damit öffnete er die Tür und sie gingen nacheinander ins Haus rein. Maron zog ihre Brauen hoch. Das war’s? Keine weiteren Fragen? Nicht dass es ihr was ausmachte... Sie war ziemlich erschöpft und konnte es kaum abwarten, bis es zehn war und sie sich mit Chiaki endlich schlafen legen konnte. Sie folgte ihrem Vater ins Wohnzimmer, wo Sakura und Miyako schon warteten. Beide lächelten Maron zu, als sie ins Zimmer kam. Sie fühlte sich etwas mies, dass sie allen solche Sorgen bereitet hatte. Sie lächelte zurück und kündigte an, dass sie duschen gehen würde. Die ganze Zeit schon sehnte sie sich nach einer schönen, heißen -sehr heißen- Dusche. Eine halbe Stunde später kam sie frisch geduscht und in gemütlichen Hausklamotten aus dem Bad, fühlte sich um weitem besser. Ihre Schuluniform hatte sie in die Waschmaschine getan. Sie ging ins Wohnzimmer und nahm neben Miyako auf der Couch Platz. Maron beobachtete, wie Takumi und Sakura miteinander redeten. Anschließend sagte er allen, dass er nochmal ins Büro müsste und schnell was zu erledigen hätte. Maron bekam noch mit wie er zu Sakura „Du übernimmst hier?“ sagte und sie darauf schmunzelnd nickte. Verwundert sah Maron beide mit zusammengezogenen Augenbrauen an und warf Miyako einen fragenden Blick zu, die einfach nur schulterzuckend lächelte. Einige Momente später war ihr Vater schließlich aus der Tür. „Miyako-Schatz?“, rief Sakura aus dem Flur. „Holst du die Sachen?“ Sie stand im nächsten Moment an der Wohnzimmertür und gab ihrer Tochter einen wissenden Blick. Miyako nickte eifrig, stand auf und verschwand aus dem Zimmer. „Wie fühlst du dich?“, fragte Sakura fürsorglich an Maron gewandt, „Brauchst du deine Medikamente?“ Sie schüttelte den Kopf. Medikamente würden sie nur noch mehr müde machen. Und sie wollte noch durchhalten, bis sie heute Abend bei Chiaki war und die dann nehmen. Ihr Gesicht tat zwar weh, aber es war ertragbar… Kurze Zeit später kam Miyako mit einer großen Picknickdecke und einer riesigen Box Eiscreme mit drei Löffeln zurück. Maron blinzelte Mutter und Tochter leicht perplex an, die es sich auf der Decke im Schneidersitz gemütlich gemacht haben und sie anschauten. Wortlos klopfte Sakura auf die freie Fläche. Oh Nein…, stöhnte sie in Gedanken, als die Realisation eintraf. Anscheinend wird das Verhör im Girly-Style fortgeführt. Ob wir danach noch gegenseitig die Fingernägel lackieren, dachte Maron sich sarkastisch und rutschte seufzend vom Sofa auf die Decke herunter. Sie vermutete, dass ihr Vater Sakura übernehmen ließ, weil sie beim Thema Jungs mehr weibliches Feingefühl mitbrachte. Sie beobachtete, wie Miyako die Eiscreme-Box, welche in der Mitte lag, aufmachte und ihr und Sakura einen Löffel jeweils gab. Maron schaute beiden dabei zu, wie sie sich jeweils einen großen Löffel vom Inhalt nahmen und tat es ihnen nach. Ein leises Seufzen entkam ihr bei den genüsslich süßen Geschmack. Nach dem ersten Löffel durchbrach Sakura auch das Schweigen: „Also…“, sagte sie lang gezogen, ohne aufzusehen und schaufelte sich erneute einen Löffel voll Eis. „Also?“, entgegnete Maron, sah ebenfalls nicht auf und löffelte sich Eis in den Mund. „Chiaki Nagoya?“ Sakura nippte an ihrem Löffel und sah Maron erwartungsvoll an. Miyako hatte ihre Freundin ebenfalls mit ihrem Blick fixiert. Maron seufzte. „Was ist mit ihm?“, sagte sie ausweichend, erwiderte von keinem den Blickkontakt. „Ihr scheint euch sehr nah zu sein…“, sprach Sakura ruhig weiter. „Er ist mein Freund.“ Maron zuckte sachlich mit den Schultern, doch sie spürte wie ihre Wangen sich rosarot färbten. Sie sah, wie Miyako ihr Mund auffiel. Sakura nickte mit einem sanften Lächeln. „Wieso hast du nie von ihm erzählt?“ „Wir hatten auf den richtigen Zeitpunkt gewartet“, gab sie dieselbe Antwort wieder, wie bei ihrem Vater, „Bis wir selbst mit der neuen Situation vertraut wurden, weiß du...“ „Willst du mich veraschen?!“, platzte es aus Miyako heraus und Maron zuckte überrascht zusammen. Sie blickte zu ihr auf und sah wie aufgebracht Miyako war. „Sowas bescheuertes! Ich dachte, du bist meine Freundin! Wir sind fast Schwestern! Du solltest mit mir über alles reden können! Ich erzähl dir schließlich auch alles!“ Sakura versuchte ihre Tochter zu beruhigen. „Miyako“, mahnte sie. Maron blickte schuldig zu Boden als sie realisierte, dass ihre Freundin mehr verletzt als wütend war. „Entschuldige, Miyako…Ich wollte dich nicht hintergehen, oder so… ganz ehrlich“, sagte sie, „Ich wollte nur nicht, dass du austickst, wenn ich dir von ihm erzähle…“ „Wieso zum Teufel sollte ich austicken?“, fragte Miyako irritiert, warf ihre Hände in die Höhe. Maron schnaubte. „Na, weil du Chiaki verabscheust.“ Daraufhin schnaubte auch Miyako. „Der Typ ist auch unausstehlich“, sagte sie nüchtern. Maron sah sie mit verengten Augen missbilligend an. „Sag sowas nicht. Du kennst ihn nicht mal richtig“, verteidigte sie Chiaki. Miyako stieß einen verächtlichen Laut aus. „Wusstest du, dass dein Freund für ‘ne Zeit lang Drogen genommen hat? Illegale Drogen.“ „Ja. Genauso wie dein Freund, falls du das nicht weiß“, konterte Maron schlagfertig. Daraufhin konnte Miyako für einen Moment nichts erwidern. Ihr Mund klappte direkt wieder zu. Sakura mischte sich schließlich ein. „Ich denke, jeder kann seine Meinung über einen Menschen haben. Aber man sollte Chiaki zumindest hoch anerkennen, was er heute für Maron getan hat.“ Sie sah Miyako mit erhobener Augenbraue an. Miyako’s Züge besänftigen sich und sie sah zu Boden. „Stimmt…“, murmelte sie und blickte Maron entschuldigend an. Diese schenkte ihr ein mattes Lächeln. „Wie hat er das überhaupt gemacht?“, fragte Miyako, neigte neugierig den Kopf zur Seite. Maron nippte an ihrem Löffel. „Seine Berührungen sind...anders“, antwortete sie achselzuckend. Sakura räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der Mädchen wieder auf sich zu ziehen. „Und wie nah genau seid ihr euch, Maron?“, fragte sie interessiert, lächelte warm und löffelte sich wieder Eis raus. Die Angesprochene machte ein nachdenkliches Gesicht, überlegte kurz, wie sie die Frage am besten beantworten konnte. „Nun...Wir reden viel miteinander“, erwiderte sie schulterzuckend. „Und wir sind bisher nur einmal ausgegangen“, merkte Maron an, bezog sich dabei auf ihr erstes und einziges Date. „In Inaba“, fügte sie hinzu, als sie die verdutzen Blicke von beiden bemerkte. Sakura nickte daraufhin verstehend. „Und wie ist Chiaki in deiner Nähe so?“ Maron lächelte leicht. „Er ist sehr liebevoll und fürsorglich und… er sorgt immer dafür, dass es mir gut geht und ich mich wohl fühle.“ Es gab wahrscheinlich nicht viele Leute, die diese Seiten von Chiaki kannten und sie wusste, dass alle den falschen Eindruck bekommen würden, wenn sie dies nicht klarstellte. Sakura lächelte verzückt. „Ja, ich denke, diesen Eindruck habe wir alle vorhin auch bekommen.“ Sie kicherte leise auf und Maron erwiderte ihr Lächeln nickend. „Oh. Mein. Gott!“, kam es von Miyako urplötzlich. „Die Haare!“ Sie sah Maron mit riesigen Augen an. „Wegen ihm hast du dir wieder die Haare gemacht, oder?“ Maron senkte wie ertappt ihren Blick zur Decke runter und spürte wie ihre Wangen verräterisch rot wurden. „Oh mein Gott...! Und ich dachte die ganze Zeit, dass du machst eine Typveränderung.“ Miyako schlug sich die Handfläche auf die Stirn. „Ich hätte mir denken sollen, dass ein Typ dahinter steckte...“ Maron spürte, wie ihr Gesicht noch heißer wurde. Sie sah, wie Miyako schief grinsend zu ihr aufschaute. „Und ihm gefällt’s anscheinend?“ Verdutzt blinzelte Maron sie für einen Moment an, ehe sie zur Antwort auf die Frage nickte. Auf einmal fing Miyako zu lachen an. „Oh man, jetzt macht so einiges Sinn! Du bist den zwanzig Flirttechniken nachgegangen, oder?“ Pure Neugier spiegelte sich jetzt in ihren Augen wider. „Erinner’ mich nicht an diese dämliche Teenie-Zeitschrift“, murmelte Maron und hielt sich kopfschüttelnd den Kopf. „Und nein, nicht alle zwanzig“, fügte sie etwas lauter hinzu. „Nur ein oder zwei...“ Murmelnd sah sie wieder zur Decke herunter, wollte am liebsten im Erdboden verschwinden. „Ooooh!“ Miyako’s Grinsen wurde noch breiter und sie rückte näher zu Maron heran. „Gehörten die Augentechniken auch dazu? Hast du sie so angewendet, wie ich es dir gezeigt habe? Wie hat er reagiert?“ Völlig perplex über diesen plötzlichen Verlauf des Gesprächs brachte Maron nur ein unverständliches Stammeln heraus. Wenigstens schien Miyako die Tatsache, dass Chiaki ihr Freund war, akzeptiert zu haben - zumindest erschien es ihr so. Unterdessen stand Sakura amüsiert lächelnd auf und ließ die Mädels im Wohnzimmer allein. „I-Ich...ehm, also...“, brabbelte Maron, blickte sich hilfesuchend um. Plötzlich hörte sie, wie die Haustür aufging und ihr Vater wieder nach Hause kam. „Oh! Es ist schon spät. Ich sollte das Abendessen vorbereiten“, sprudelte es schnell aus ihr heraus, blickte auf die Uhr und stand auf, flüchtete schnell aus dem Wohnzimmer. „Du bist mir einiges an Erzählstoff schuldig, Süße!“, rief Miyako ihr hinterher. „Ich will alle wichtigen Details wissen!“ Kopfschüttelnd kicherte Maron leise in sich hinein, ohne sich umzudrehen. *** Einige Zeit vorher war Chiaki mit Kaiki in die Villa reingegangen, nachdem er sich von seinem Mädchen verabschiedet hatte. Als er ein letztes Mal zu ihr rüber schaute, konnte er sehen, wie sie und ihr Vater draußen vor der Tür miteinander redeten. Anscheinend hat das Verhör bei ihr schon angefangen. Seufzend stieg Chiaki die Treppen hoch. Ihm entging es nicht, wie Shinji und Natsuki ganz oben im zweiten Stockwerk über das Geländer gebeugt waren und neugierig runterschauten. Kopfschüttelnd rollte er entnervt mit den Augen. Sollten die Beiden ihre Informationen von Miyako oder dem Quassel-Netzwerk der Schule bekommen – ihm war es egal. Er und Kaiki kehrten ins Büro zurück. Chiaki setzte sich auf denselben Sessel wie vorhin wieder hin, während Kaiki gegenüber auf seinem Bürostuhl Platz nahm. Er stützte seine Unterarme auf dem Schreibtisch ab, lehnte sich etwas zu Chiaki vor und faltete die Hände zusammen. „Was ist sie für dich?“, fragte Kaiki prompt. In solchen Situationen hatten sie eine Keine-Lügen-Regel. Auch wenn diese Situationen vorher für gewöhnlich Schulsuspendierungen, Drogen und einer Verhaftung umfassten. Für den Moment hatte Chiaki kein Problem mit dieser Regel - zumindest was diese eine bestimmte Frage anging. „Sie ist mein Mädchen“, sagte er, zuckte gelassen mit den Schultern. Kaiki neigte den Kopf und sah ihn mit skeptisch zusammengezogenen Brauen an. „Freundin, also?“ Chiaki verstand nicht, wieso er so skeptisch war. Als ob die Vorstellung, dass er eine Freundin hatte, so schwer zu begreifen war. Er nickte einmal bejahend. Auch wenn er es bevorzugte sie sein Mädchen zu nennen. Kaiki nickte und lehnte sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck zurück. „Wie ernst ist es?“, fragte er mit gewisser Sorge in der Stimme. Chiaki rollte mit den Augen, hatte eine klare Vermutung auf was er hindeuten will. „Ich f*ck sie nicht, wenn du das fragst“, stellte er klar. Erleichtert atmete Kaiki aus und entspannte sich in seinem Stuhl. Chiaki strich sich seufzend durch die Haare, als er einsah, dass dies der erste Gedanke von den meisten sein wird. Kaiki lehnte sich in seinem Stuhl etwas weiter zurück. „Es ist ein bisschen kurios, dass du sie berühren kannst“, begann er zu sagen, blickte mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zur Decke. Chiaki kannte diesen Ausdruck. Er wollte wissen Wie, aber da die Details darüber für Chiaki’s Geschmack ein wenig zu privat waren, schwieg er. „Ich weiß nicht wieso ihr beide es geheim gehalten habt und ich werde auch nicht fragen“, sagte Kaiki in einem ruhigen Ton. „Ich schätze, es geht mich auch nichts an.“ Er sah von der Decke zu ihm hin, beäugte ihn aufmerksam. „Ihr seid damals beim Dinner zusammen gekommen, richtig?“, fragte er mit einem kleinen Lächeln. Verwundert über die Schlussfolgerung zog Chiaki seinen Augenbrauen leicht zusammen und realisierte anschließend, dass es die erste Nacht war, in der er durchgeschlafen hatte. Und natürlich waren seinem Vater die Veränderungen in seinen Launen und seiner Stimmungslage nicht entgangen. Er nickte, ließ ihn in den Glauben, dass sie an dem Tag zusammen kamen. Mit einem mitfühlenden Ausdruck lächelte Kaiki in sich hinein. „Sie muss ein besonderes Mädchen sein, um so einen Einfluss auf dich zu haben.“ Wieder nickte Chiaki. Maron war wirklich ein besonderes Mädchen. Selbst wenn es nur am Schlaf lag, dass er sich drastisch verändert hatte, so hatte sie dennoch mehr Einfluss auf ihn gehabt als alles andere. Kaiki sah wieder zur Decke hoch, schwenkte ein wenig im Stuhl hin und her. Unterdessen entspannte Chiaki sich etwas in seinem Sessel und streckte die Beine aus. Geduldig wartete er auf die nächste Fragenrunde. „Hast du schon mal sowas gesehen, was sie heute erlebt hat?“, kam es von Kaiki interessiert. Wollte offensichtlich etwas mehr Einblick über die beiden haben. Chiaki seufzte leise, beschloss ihm den kleinen Einblick zu geben. „Einmal“, antwortete er, fummelte nebenbei an einer losen Naht an der Armlehne rum. „Nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie mich berühren konnte, hatte sie es bei Shinji in der Cafeteria probiert“, erzählte er mit monotoner Stimme. Unter keinen Umständen würde er ihm erzählen wie sie herausgefunden hatte, dass sie ihn berühren konnte. Bei den Erinnerungen von ihrem Versuch mit Shinji schüttelte Chiaki den Kopf. „Es war ziemlich dumm“, murmelte er. Kaiki warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. „Und es war eine weniger heftige Episode“, sagte er. Es war mehr eine Aussage als eine Frage. Womöglich hatte Shinji ihm von dem Vorfall bereits erzählt. Chiaki nickte zur Bestätigung. „Ja...“ Damals erschien es schon heftig, aber bei weiten nicht vergleichbar mit dem, was er heute erlebt hatte. „Unter der Schülerschaft werden die als ‚Schräge, emotionale Zusammenbrüche‘ betitelt“, merkte er an, machte mit seinen Fingern Anführungsstriche. Er fand, dass die Bezeichnung besser passte als einfach nur „Episode“. Plötzlich richtete Kaiki sich in seinem Stuhl gerade und sah ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck an, hatte seine Chefarzt-Haltung eingenommen. „Was Maron hat, ist nicht irgendein schräger Zusammenbruch.“ Chiaki musste bei seinem bitterernsten Ton etwas schlucken. „Das ist ein schwerwiegender Fall von Posttraumatischer Belastungsstörung begleitet von Androphobie und Haphephobie als Stressoren.“ Mit blanker Miene starrte Chiaki ihn an, hatte nur die Hälfte von dem Satz eben verstanden. Er machte sich eine gedankliche Notiz alles später zu Googlen. Fast hätte er ihn gefragt, wie die letzten beiden Fachbegriffe geschrieben werden. Kaiki lehnte sich wieder zurück, ging vermutlich davon aus, dass er seine Diagnose verstanden hat. „Und was heute passiert ist, war noch viel mehr“, sprach er in dem ernsten Ton weiter. Für einige Momente war es still und Chiaki wartete ungeduldig darauf, dass er weitersprach. „Was heute passiert ist, war nur die Spitze vom Eisberg. Eine Prise Hysterie zusammen mit einer kurzen psychotischen Störung.“ Sofort schnellte Chiaki seinen Kopf in seine Richtung, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sie ist nicht psychotisch.“ Kaiki stieß einen schweren Seufzer aus, schüttelte den Kopf. „Ich sage nicht, dass sie psychotisch ist, Chiaki“, entgegnete er sachlich, „Aber auf dem Weg nach Hause hatte sie Takumi ihre psychotische Episode beschrieben.“ Chiaki funkelte ihn immer noch an, mochte es nicht, dass er sein Mädchen als psychotisch bezeichnete. „Sie hatte den Bezug zur Realität verloren.“ Kaiki blickte ihn ernst an. „Hat sie dir erzählt, dass sie gedacht hatte Momokuri wäre ein Hirngespinst ihrer eigenen Fantasie gewesen?“ Wie denn? Wir hatten gerade mal genug Zeit gehabt, damit ich ihr meine Liebe gestehen konnte, dachte Chiaki sich zunächst, als er schließlich die Worte seines Vaters richtig registrierte und auf dessen Frage den Kopf schüttelte. „Sie hatte ihrem Irrglauben mehr geglaubt als der Realität.“ Kaiki zuckte mit den Schultern, als wäre das Fakt genug, um sie als psychotisch zu bezeichnen. Chiaki blickte ihn finster an, worauf er defensiv die Hände hoch hob. „Ich versuche nur sicherzugehen, dass du die Schwere ihrer Situation begreifst.“ Chiaki schnaubte. „Ich kenne sie besser als du denkst“, entgegnete er. Das Kaiki sich benahm, als würde er Maron wie jedes andere Mädchen behandeln, nervte ihn. „Habe ich gesehen“, hörte er ihn sagen. Für einige Moment, ließ Chiaki sich das Gesagte durch den Kopf gehen. Wie Kaiki wohl reagieren würde, wenn er ihm erzählte, dass er ebenfalls mal einer psychotischen Episode nahe war. Denn, wenn er Albträume hatte und in ihnen feststeckte, verlor er auch den Bezug zur Realität. „Die Aktion heute in der Schule war ziemlich beeindruckend“, riss Kaiki ihn aus den Gedanken. Mit hochgezogener Augenbraue sah Chiaki ihn an, fragte sich, wieso er immer noch so eine große Sache daraus machte. „Es ist nur so, dass solche psychotischen Episoden für gewöhnlich den Patienten bis zu Tage beeinflussen können. Manchmal sogar Wochen“, erklärte Kaiki mit einer Mischung von Faszination, Unglauben und Ernsthaftigkeit in der Stimme. Chiaki’s Augen weiteten sich schockiert, wollte sich gar nicht vorstellen, wie sein Mädchen sowas Heftiges für Wochen durchlitt. Kaiki schenkte ihm ein verständnisvolles Lächeln. „Tja, wie du siehst… hättest du ihr nicht geholfen, wäre sie in genau diesem Moment unter Beruhigungsmittel stehend im Krankenhaus.“ Nun verstand Chiaki auch, wieso ihr Vater ihn wirklich angerufen hatte. Er neigte leicht den Kopf, zog nachdenklich die Brauen zusammen. Er war mehr als furchtbar glücklich darüber, dass er sie da rausholen konnte – gleichzeitig versuchte er ihre Gemeinsamkeiten zusammenzubringen. Er fragte sich, wenn Maron nach dem Dinner nicht zu ihm gekommen wäre, ob er am Ende auch unter Beruhigungsmitteln gestellt im Krankenhaus gelandet wär. Er hatte keinen blassen Schimmer. Aber die Vorstellung war ihm nicht geheuer, bereitete ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. „Es gibt einige Dinge, die du über Maron wissen musst, Chiaki, ehe du irgendwie mit ihr weitergehst in der Beziehung“, sagte Kaiki. Chiaki seufzte schnaubend, war sich dem voll und ganz bewusst und gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen weiter zu sprechen. Kaiki räusperte sich und lehnte sich etwas über den Schreibtisch vor, behielt seine ernste Chefarzt-Haltung weiter ein. „Konditionen, wie Maron die hat, sind unglaublich unvorhersehbar. Sie können sich mit der Zeit von selbst bessern – oder gegebenenfalls mit passender, ordentlicher Therapie…“ Kaiki hielt inne, ließ seinen Blick zu seinem Computerbildschirm schweifen. „Obwohl, man hatte mir gesagt, dass alle möglichen Versuche erfolglos waren…“ Seufzend sprach er an Chiaki gerichtet weiter: „Maron hatte bisher weitere medizinische Versorgungen für ihre Kondition verweigert und sich für diesen risikoreichen Weg entschieden. Immer auf Messers Schneide stehend.“ Kaiki sah Chiaki eindringlich an und hob erwartungsgemäß eine Augenbraue. Er rollte schnaubend mit den Augen. „Und?“, sagte er nur. Ihm war klar, dass sie beide abgefuckt waren und die Chancen, dass er sich besserte waren genauso gering. Erneut seufzte Kaiki schwer, lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. Währenddessen widmete Chiaki sich wieder der losen Naht an seiner Armlehne. „Redest du mit ihr darüber?“, hörte er Kaiki fragen. Chiaki presste sich die Lippen zusammen und sah zur Seite aus dem Fenster raus. Er und Maron hatten seit langem nicht mehr über ihre Vergangenheiten geredet - wollten es auch nicht, sahen kein Bedürfnis darin den Schmerz immer wieder aufleben zu lassen. „Du kannst mit ihr über das Feuer reden, nicht wahr?“, fragte Kaiki auf einmal. Chiaki erstarrte, mied seinen Blick. Sein Vater kannte natürlich nur die groben, allgemeinen Fakten, wohingegen Maron weitaus mehr wusste. Er sah zu ihm auf und nickte einmal zur Bestätigung. Hoffte gleichzeitig innerlich, dass er nicht mehr weiter nachhakte. Kaiki’s ernster Gesichtsausdruck besänftigte sich langsam und ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Wenn das so ist…Etwas sagt mir, dass ihr beide einander gut tun werdet“, sagte er mit demselben stolzen Ausdruck auf dem Gesicht, welches er auch Stunden zuvor in der Schule trug. Chiaki wusste nicht, was er darauf erwidern sollte und nickte einfach nur. Auf einmal klopfte es an der Tür und Shinji lugte mit dem Kopf rein. „Ehm…Stör ich? Unten ist jemand, der mit dir reden will, Chiaki“, sagte er, kratzte sich den Nacken. Der Angesprochene sah Kaiki fragend an, der gelassen nickte. „Ich denke wir sind für heute fertig“, sagte er, worauf Chiaki sich erleichtert von seinem Sessel erhob und aus dem Büro ging. „Wer ist denn unten?“, fragte er. „Ehm…Nun-“ Ohne auf Shinji’s Antwort zu warten, ging Chiaki einfach an ihn vorbei und stieg die Treppen runter. Abrupt blieb er stehen, als er Takumi im Wohnzimmer auf der Couch sitzen sah, die Arme wartend vor der Brust verschränkt. Chiaki machte gedanklich ein Stoßgebet, als dessen hartblickende Augen auf ihn trafen. „Setzt dich doch“, sagte Takumi mit autoritärer Stimme und deutete auf den Hocker ihm gegenüber. „Ja, Sir.“ Es war etwas surreal, dass Chiaki sich von seinem Nachbar sagen ließ, wo er in seinem eigenen Haus sitzen soll, aber er tat wie ihm geheißen. Dann war es für einige Zeit still zwischen ihnen und Chiaki konnte das Ticken der Wohnzimmeruhr sowie sein nervöses Herz schlagen hören. Unruhig klopfte er mit seinen Fingern auf den Knien, während Takumi ihn mit diesem ausdruckslosen, teilweise beängstigenden Blick anstarrte. Chiaki versuchte dessen Blick so gut es ging standzuhalten. „Wusstest du, dass dein Vater und ich mal Mitglieder des regionalen Schützenvereins waren?“, fragte Takumi unerwartet in einem nahezu beiläufigen Ton, ein Bein über das andere gelegt. Wieder musste Chiaki schwer schlucken. „Nein…sir?“, antwortet er unsicher. Takumi nahm die Antwort nickend zur Kenntnis. „Gute, spaßige Zeiten… und lass mich dir sagen, ich habe nie ein Ziel verfehlt. Irgendwo müsste ich auch noch meine Ausrüstung haben…“ Nicht wissend, was und ob er was sagen sollte, nickte Chiaki einfach nur. „Was ich im Grunde genommen sagen will ist, tu meiner Tochter weh und du bekommst es mit mir zu tun“, sagte Takumi, blickte ihn todernst an. „Haben wir uns verstanden?“ Einige Male nickte Chiaki bejahend und räusperte sich. „Ich schöre, ich werde Maron mit Respekt behandeln. Eher würde ich mich in den Fluss schmeißen, als ihr wehzutun.“ „Gut.“ Takumi stand auf, legte ihm eine Hand auf die Schulter und packte fest zu. Chiaki versuchte bei dem Druck seines Griffs nicht zusammen zu zucken - vergeblich. „Und solltest du mein Mädchen schwängern, sorge ich dafür, dass dies das einzige Kind sein wird, was du jemals haben wirst“, sagte Takumi in einem bedrohlich ruhigen Ton. Chiaki schaute zu ihm auf, sah schon sein ganzes, kurzes Leben vor seinem geistigen Auge vorbeirasen. „J-Ja, Sir“, stammelte er. „Gut.“ Damit ließ Takumi ihn los und setzte ein freundliches, unbesorgtes Lächeln auf, als wäre nie was gewesen. „Wir werden uns dann wahrscheinlich öfter begegnen als vorher. Nun denn, bis demnächst.“ Mit den Worten ging er aus dem Haus. Chiaki sah ihm noch einige Momente nach, war sichtlich froh darüber noch zu leben und ging anschließend in sein Zimmer hoch. *** Maron war froh, dass man sie immer noch kochen ließ und nicht zu Bettruhe verdonnerte. Sie brauchte es, um sich wach zu halten. Heute machte sie Gratin für alle. Und insbesondere für Chiaki. Schließlich hatte er ihr seine Liebe gestanden und das mindeste was Maron für ihn tun konnte, war sein Lieblingsessen zu machen. Mit einem verliebten und gleichzeitig müden Lächeln schob sie die Kartoffelmasse in den Ofen. Das Abendessen verlief erstaunlicherweise relativ normal ab. Miyako redete wie ein Wasserfall über die anstehenden Klausuren und den Lernstoff, beschwerte sich ohne Punkt und Komma. Maron konnte nichtsdestotrotz ihre neugierige Blicke auf sich spüren. Man konnte ihr ansehen, dass sie vielmehr lieber mit ihr über was anderes als über die Schule reden wollte. Aber sie wusste, dass Miyako sich zurückhalten wird mit ihren Fragen, bis sie beide mal so richtig allein waren. In Gedanken stellte sie sich einige passende Antworten zusammen, um nur das Nötigste preiszugeben. Währenddessen unterhielten sich die Erwachsenen über irgendwelche politischen Themen. Anscheinend versuchten alle die Stimmung locker und normal wie möglich zu halten. Nach dem Essen fand Maron schließlich auch heraus wieso, als ihr Vater ihr ein wenig beim Aufräumen half. Während er das dreckige Geschirr auf die Arbeitsplatte abstellte, sortierte sie alles in die Spülmaschine ein. „Dr. Nagoya und ich hatten heute eine Diskussion“, fing Takumi an zu sagen, starrte auf die offene Spülmaschine herunter. „Über alternative Therapiebehandlungen.“ Während er das sagte, mied er Maron’s Blickkontakt. Sie hatte soeben eine Schüssel in die Spülmaschine getan und hielt abrupt inne. Im nächsten Moment richtete sie sich gerade und schüttelte ihren gesenkten Kopf. „Nein“, sagte sie, die Hände fest zu Fäusten geballt. Das war eine Diskussion, die sie nicht mit ihm haben wollte. „Es tut mir leid was heute passiert ist, Papa. Aber...“ Maron sah mit einem flehenden Ausdruck zu Takumi auf. „Ich will das nicht“, sagte sie leise und doch bestimmt. Er seufzte schwer und lehnte sich mit dem Rücken am Rand der Arbeitsplatte an. „Du weißt, dass ich deine Entscheidung darüber immer respektiere“, sagte er in einem sanften, fürsorglichen Ton, blickte sie entschuldigend an, „Aber ich muss es immer mal versuchen.“ Maron schüttelte stur den Kopf und räumte wortlos die Spülmaschine fertig ein, gab ihrem Vater zu verstehen, dass all seine Versuche erfolglos waren und das Thema sich für sie erledigt hat. Ein weiteres Seufzen war von ihm zu hören - ein Indiz, dass er sich geschlagen gab. Takumi mag vielleicht der Auffassung sein, dass sie einmal die Woche in irgendeine Praxis gehen und dort über ihre Gefühle reden würde. Aber Maron wusste, wie es dort ablaufen wird. Man würde sie triggern und dann würde man sie einweisen. Und dann würde man sie mit Sicherheit mit Medikamenten vollpumpen, um sie zu besänftigen, bis sie ohne Verstand nur noch vor sich hinvegetierte. Nein, danke – darauf konnte sie verzichten. Das Leben, was sie jetzt führte, bei dem sie normal leben konnte und mit welchem sie sich wohl fühlte, war ihr hingegen tausend Mal lieber.   Als zehn näher rückte, war Maron so ausgelaugt, sie konnte ihre Augen kaum offen halten. Sie konnte es kaum erwarten bei Chiaki endlich ihre Schmerztabletten zu nehmen und sich hinzulegen. Bevor sie aus dem Haus ging, überprüfte sie ein weiteres Mal ihre Zimmertür, stellte mit aller Vorsicht nochmal sicher, dass es abgeschlossen war und sie den Schlüssel in ihrer Tasche hatte. Normalerweise war sie nicht so übervorsichtig, aber sie befürchtete, dass jemand heute Nacht sich nach ihr erkunden könnte. Anschließend schulterte Maron sich ihren Rucksack auf den Rücken und lief ihren gewohnten Weg rüber. Als sie zu Chiaki’s Balkon aufsah, stand er überraschenderweise draußen und blickte zu ihr runter. Seine Anwesenheit brachte ihr einen kleinen Energieschub, um die Wand zu erklimmen. Oben hielt er ihr seine Hand entgegen und half ihr über das Geländer (auch wenn das nicht nötig gewesen wäre). Als Maron schließlich festen Boden unter den Füßen hatte, sah sie zu Chiaki auf, blickte in seine Augen. „Hi…“, begrüßte sie ihn. „Hi“, erwiderte er schief lächelnd. Er drückte ihre Hand und zog sie ins Warme rein. Anschließend schob er ihr die Kapuze runter, was ihr ein breites, freudiges Lächeln aufs Gesicht zauberte, trotz ihrer Erschöpfung. Chiaki ging einen Schritt auf sie zu, nahm vorsichtig ihr Gesicht in beide Hände und berührte sanft ihre Lippen miteinander. Er schien noch immer besorgt darüber zu sein ihr wehzutun, wenn er den Kuss intensivierte. Als ob sie das davon abholen würde ihn richtig zu küssen… Weshalb Maron ihre Arme hob, seinen Nacken umfasste und ihn noch enger zu sich heranzog, den Kuss dabei vertiefte. Er seufzte leise, küsste sie innig. Strich ihr gleichzeitig mit dem Daumen einer Hand über die Wange, während die andere Hand auf ihren Rücken ruhte. Nach einigen Moment löste er sich von ihr, blickte ihr liebevoll in die Augen. Maron lächelte ihn an, während Chiaki ihre Hand nahm und sie zu seinem Bett führte. Sie entpackte ihren Rucksack und zog sich Jacke und Schuhe aus, ehe sie neben ihm Platz nahm. „Wir können auch ins Bett gehen“, sagte er sanft und besorgt zugleich. Sie verzog leicht schmollend das Gesicht. „Aber ich habe dein Lieblingsessen gemacht“, sagte sie und nickte auf die Essensbox in ihren Händen herab. Für einen Moment wusste Chiaki selbst nicht, für was er sich entscheiden sollte, worauf sie kicherte. Schließlich nahm er die Box entgegen und lächelte erfreut als er das Gratin sah. Im nächsten Moment stand Maron kurz auf, um ihre Tabletten aus dem Rucksack zu holen. Chiaki beobachtete sie dabei, wie sie eine Tablette nahm und mit seinem Glas Wasser herunterschluckte. Sie stieg wieder aufs Bett und setzte sich mit einem Grinsen wieder neben ihn hin, lehnte ihren Kopf an seine Schulter an, während er aß. „Also“, fing er langsam an zu sagen, trank einen Schluck Wasser und stellte sein Glas wieder auf den Nachttisch ab. Maron blickte mit einem müden Lächeln zu ihm auf. „Die Schule wird morgen interessant werden“, merkte er grinsend an. Maron verdrehte ihre Augen und schnitt eine Grimasse. „Wenn du mit ‚interessant‘ furchtbar erniedrigend und unangenehm meinst, dann Ja“, sagte sie, die Stimme voller Sarkasmus. Er zog seine Brauen zusammen, nahm seine Gabel in die andere Hand und legte ihr seinen Arm um die Taille, drückte sie leicht. „Ich lasse nicht zu, dass jemand dir zu nahekommt. Vorher müssen die eh an mir vorbei.“ Die Tatsache, dass sie sich in der Schule nicht mehr verstecken mussten, brachte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Ein Gedanke ging ihr durch den Kopf, wodurch ihr Lächeln noch breiter wurde. „Was grinst du so?“, fragte Chiaki amüsiert, blickte neugierig auf Maron herab, deren Gesicht sich allmählich rosa verfärbte. „Habe mir nur vorgestellt, dich vor Yashiro’s Augen zu küssen“, gestand sie leise. Chiaki lachte belustigt auf. „Ja, das wäre genial.“ Er sah sie mit einem hämischen Grinsen an. „Natürlich müssen wir am besten noch dafür sorgen, dass Shikaidou mitzuschaut.“ Maron kicherte nickend. Diese Beiden werden garantiert grün vor Neid. „Hast du eigentlich irgendjemanden hier von erzählt?“, fragte Chiaki plötzlich und machte mit der Gabel eine kreisende Bewegung in den Raum. „Wäre ich sonst hier?“, erwiderte sie. Er nickte verstehend, Erleichterung zeichnete sich in seinen Augen ab. „Du etwas?“, zog Maron trocken eine Augenbraue hoch. „Wärst du sonst hier?“, wiederholte er ihre Worte. Beide wussten, ihren Eltern von den Schlafproblemen zu erzählen, würde alles nur verkomplizieren. Es dauerte nicht lange, bis Chiaki fertig gegessen hatte und beide auch direkt ins Bett gingen. Nachdem Maron sich umgezogen hatte und auf Chiaki wartete, schlüpfte sie mit einem seligen Seufzen unter die Decke, genoss das weiche, wohlige Gefühle der Matratze und der Laken um ihren Körper. Als Chiaki wieder rauskam, sprintete er nahezu zum Bett. Maron war sich nicht sicher, ob er es entweder kaum erwarten konnte sie in seine Arme zu halten oder dass sie endlich Schlaf bekam. Wahrscheinlich eine Mischung von beidem. Bevor er sich richtig hinlegte, machte er noch das Licht aus und zog sie schließlich sanft zu sich. Maron wollte wie gewohnt ihr Gesicht an seine Brust anschmiegen, was allerdings ihrer Nase weh tat. Sie sah zu Chiaki auf. Dieser verstand sofort, erwiderte leicht schmunzelnd ihren Blick. Er legte sich auf den Rücken hin, einen Arm unter ihren Kopf geklemmt, den anderen Arme sachte um ihre Taille und positionierte sie so, dass sie mit ihrer Wange auf seiner Brust ruhte. Zufrieden kuschelte Maron sich an ihn ran, lauschte den kräftigen Schlägen seines Herzes und hob ihre Hand zu seinen Haaren hoch, strich ihm sanft durch die Strähnen. Ein genüssliches Seufzen war von ihm zu hören und sie spürte, wie Chiaki ihr einen sanften Kuss auf den Kopf drückte. „Ich liebe dich“, hauchte er in ihre Haare, drückte so sie noch etwas zu sich. Maron lächelte müde, verhakte ihre Beine mit seinen. „Ich liebe dich auch“, wisperte sie ihm zurück. Kurze Zeit später schlief sie in den Armen ihres Freundes ein.       ---------------------------------- Ich habe keine Ahnung, ob ich Kaiki’s Diagnose richtig dargelegt habe…bin privat nicht im psychologischen Bereich zuständig :b Dr. Google ist mein Freund und Helfer ^^ kann also gut sein, dass ich da aufs fettnäpfchen trete..   Nun denn, bis zum nächsten Mal 😊   TWENTY-NINE ----------- TWENTY-NINE   Mit einem schmerzenden Gefühl im Gesicht wachte Maron am nächsten Morgen auf, als der Wecker klingelte. Stöhnend öffnete sie ihre Augen, während Chiaki unter ihr sich regte und den Wecker ausmachte. Anschließend wandte er sich wieder zu ihr und rutschte etwas runter, sodass sein Gesicht auf selber Ebene mit ihrem war. Prüfend inspizierten seine Augen den Schaden des gestrigen Schlags. Er verzog zischend das Gesicht. Maron stöhnte erneut. „Sieht es so schlimm aus?“, sagte sie mit rauer Stimme und zog sich die Decke über den Kopf, damit er ihr entstelltes Äußeres nicht sehen musste. Er versuchte ihr die Decke wieder runterzuziehen, sie ließ aber nicht locker. „Hör auf dich zu verstecken. Du siehst wunderschön aus“, hörte sie ihn sagen. Zögernd lugte sie aus der Decke raus, nur soweit, um zu sehen, dass Chiaki auf einem Ellenbogen gestützt vor ihr lag. „Wirklich?“, fragte sie ungläubig. Er rollte mit den Augen. „Ja.“ Damit schob er ihr die Decke komplett runter. Anschließend strich er mit einem Finger die Konturen ihres Gesichts entlang. „Du bist immer wunderschön“, sagte er in einem Ton, welches sie rot werden ließ. „Selbst mit ‘nem blauen Auge“, fügte er grinsend hinzu. „Nun beeil dich und beweg dein Hintern aus dem Bett.“ Maron lächelte verlegen und rollte seufzend mit den Augen, ehe sie letztlich aufstand und sich ins Bad begab. Sie stand vor dem Waschbecken und bereute es sofort in den Spiegel geschaut zu haben. Ihr Gesicht sah, ähnlich wie gestern, immer noch furchtbar aus. Die Schwellungen haben zwar deutlich nachgelassen, dennoch waren die Verfärbungen klar und deutlich zu sehen. Stöhnend wandte sie sich vom Spiegel ab und zog sich um. Zu Hause musste sie daran denken, nochmal eine Tablette zu nehmen. Als sie wieder rauskam und alles fertig gepackt hatte, stand Chiaki wartend neben der Balkontür. Maron ging auf ihn zu. Er lächelte verschlafen auf sie herab, legte seine Arme um sie und zog sie zu sich heran, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Sie lächelte gegen seine Lippen, küsste ihn zum Abschied noch auf die Wange und ging anschließend nach draußen.   Zu Hause verlief der Morgen anders ab als Maron es gewohnt war. Während sie das Frühstuck vorbereitete, kam Takumi zu ihr und teilte ihr mit, dass er zur Schule fahren würde, um mit der Schulleitung über ihren Vorfall zu reden. Gleichzeitig versuchte er ihr einzureden heute zu Hause zu bleiben. Aber da Freitag war, wollte sie den letzten Schultag der Woche einfach hinter sich bringen. Sie konnte dafür das Wochenende dazu nutzen, um sich zu erholen. Ob sie heute zur Schule ging oder bis Montag wartete - es würde keinen Unterschied machen. So und so wird es unangenehm und furchtbar demütigend werden. Selbst Chiaki konnte die Blicke und das Getuschel nicht stoppen. Auch wenn sie sich mittlerweile daran gewöhnt hat, so tat es ihr leid, dass er sich das Ganze jetzt ebenfalls antun musste… Als Maron sich in ihre Schuluniform umzog, holte sie noch ihr Make-Up raus und versuchte die Blutergüsse im Gesicht zu kaschieren. Da jeder über die gestrigen Ereignisse reden wird, musste sie die Spuren davon nicht noch zur Schau stellen. „Argh...“, zischend tupfte sie sich die Foundation aufs Gesicht, zuckte vor Schmerz jedoch immer wieder zusammen. „Brauchst du Hilfe?“ Maron drehte sich zu Miyako um, die auf sie zu kam und ihr den Make-Up-Schwamm abnahm. Vorsichtig verteilte ihre Freundin die hautfarbene Creme aufs Gesicht. Anschließend strich sie mit Puder noch ein bisschen drüber. Nach einigen Momenten lächelte Miyako zufrieden und Maron betrachtete sich im Spiegel. Wenn man genauer hinsah, konnte man die leichten Verfärbungen auf der Haut erkennen. Aber für den flüchtigen Beobachter war sie schlicht und einfach Maron Kusakabe, das verrückte Mädchen. „Danke, Miyako“, sagte sie mit einem aufrichtigen Lächeln und ging mit ihr runter. Im Flur wartete schon ihr Vater, der ihr Gesicht für einen Moment ansah und anerkennend nickte. Anschließend fuhr Maron mit ihm zur Schule, während Miyako mit ihrem eigenen Wagen hinterherfuhr.   Die ganze Fahrt über sank sie tiefer und tiefer in ihrem Sitz runter, spürte die Nervosität in ihr hochsteigen und hoffte, dass der Tag schnell zu Ende ging. Es war noch recht früh als sie im Schulgelände ankamen, wodurch glücklicherweise noch keine Schüler zu sehen waren. Zusammen mit ihrem Vater betrat Maron das Schulgebäude und lief mit ihm zum Büro des Schuldirektors. Auf dem Weg hatte sie Chiaki eine SMS geschrieben, für den Fall, dass sie die erste Stunde verpassen würde und er sich nicht wundern soll, wo sie war. Als sie das Büro betraten, waren neben dem Rektor auch die meisten ihrer Lehrer anwesend. Und sie wirkten alle…angespannt. Maron und Takumi setzten sich auf die freien Stühle gegenüber vom Schreibtisch des Rektors hin. Augenblicke später begrüßte der Direktor alle und eröffnete die Diskussion, welche Maron mit morbidem Interesse verfolgte. Die Erwachsenen sprachen über den Vorfall und ihre Probleme, als wäre sie gar nicht anwesend. Takumi begann dabei Wörter in den Raum zu werfen, die sie persönlich verabscheute. Alles medizintechnische Fachbegriffe für ihre Kondition, die Maron selbst in Gedanken nicht mal aussprechen konnte, ohne sich zu verhaspeln. Mit Entsetzen musste sie sich mitanhören, wie die Lehrer anfingen alternative Bildungsalternativen wie Privatunterricht zu empfehlen. Was total absurd war. „Vollkommen ausgeschlossen“, sagte Takumi, die Arme vor der Brust verschränkt, gab allen mit seiner Haltung zu verstehen, dass das Thema abgehakt war. Ließ auch keine weiteren Argumentationsmöglichkeiten zu. Mit einem überforderten Gesichtsausdruck rieb sich der Rektor die Stirn und machte den Vorschlag, dass man den Sitzplan ändern würde und dass die Lehrer eventuelle „Anpassungen“ für Maron machen werden. Sie verzog das Gesicht. Solche sogenannten Anpassungen würde nur noch mehr Aufmerksamkeit bedeuten, da man sie anders behandeln würde. Noch mehr Gesprächsstoff für ihre Mitschüler... Schließlich kamen die Erwachsenen zum Punkt Notfallsituationen. „Sollte es zukünftig zu irgendwelchen Vorkommnissen kommen“, fing Takumi in einem autoritären Ton an zu sagen, worauf Maron schwer schlucken musste. „Dann erlauben Sie  Chiaki Nagoya, dass er sich in jeder erdenklichen Weise um Maron kümmert. Sie haben da mein sofortiges Einverständnis.“ Maron schnellte ihren Kopf zu ihrem Vater, blickte ihn mit großen Augen an. Konnte nicht glauben, was er gerade gesagt hatte. Ihre Lehrer wirkten alle schwer überrascht, ehe sie zustimmend nickten. Wussten wahrscheinlich auch nicht, was sie darauf einwenden sollten. „Da Chiaki Nagoya Maron’s Sitznachbar ist, würde das auch heißen, dass man auch für ihn den Sitzplan ändern müsste-“, begann Frau Pakkyaramao zu sagen, als Maron ihr ins Wort fiel: „Nein.“ Sie blickte verunsichert in alle Gesichter, fragte sich ob sie überhaupt ein Mitspracherecht hatte. „E-Entschuldige, aber ich würde gern mit ihm dort sitzen, wo wir es auch gewohnt sind“, sagte sie an den Rektor gewandt und sah anschließend hilfesuchend zu ihrem Vater. Takumi nickte und sah den Direktor mit einem vielsagenden Blick an, der nach einigen Momenten mit einem Seufzen ebenfalls akzeptierend nickte. Es dauerte nicht lange bis die Besprechung endlich zu Ende war und sie das Büro des Rektors verließen. Takumi verabschiedete sich von Maron, gab ihr jedoch mit einem Blick zu verstehen, dass sie immer noch mit ihm nach Hause fahren konnte. Sie lächelte kopfschüttelnd, winkte ihm zum Abschied zu und beobachtete, wie er das Schulgebäude verließ. Momente später ertönte die Schulglocke und die erste Unterrichtsstunde war zu Ende. Schüler strömten aus ihren Klassenzimmern raus. Maron stand noch immer vor der Tür des Rektors und blickte seufzend zu Boden, konnte schon die Blicke auf sich spüren. Konnte auch schon das Geflüster hören. Plötzlich spürte sie ein vertrautes Kribbeln. Ein Arm schlang sich in der nächsten Sekunde um ihre Schultern und sofort entspannte ihr Körper sich. Ein Lächeln bildete sich automatisch auf ihre Lippen und sie schaute auf. Chiaki stand neben ihr, grinste sie schief an. „Na“, sagte er und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. „Na“, begrüßte sie ihn zurück, die Wangen verlegen rot. Er strich ihr sachte ein paar Strähnen hinters Ohr und umfasste mit einer Hand ihre Wange. „Du heilst schnell“, schmunzelte er, worauf sie kichernd die Augen verdrehte. In dem Moment bemerkte Maron die Gesichtsausdrücke ihrer Mitschüler um sie herum. Die meisten versuchten zu laufen, in ihren Handys zu tippen und gleichzeitig über den Anblick, wie Chiaki Nagoya die Wange des verrückten Mädchens hielt, zu gaffen. Sie spürte, wie er mit dem Daumen liebevoll über ihre Haut strich und sah wieder zu ihm auf. Sichtlich genervt funkelte er die Leute an. „Macht ein Foto! Dann habt ihr mehr davon!“, rief er der Masse entgegen, wodurch die meisten schnell wegschauten und eilig an ihnen vorbei liefen. (Wenigstens kam keiner wirklich auf die dumme Idee ein Foto zu machen… sonst hätte er es mit Chiaki zu tun gehabt.) Er drehte sich wieder zu Maron um, die seufzte. „Ich bin das Ganze allmählich gewöhnt“, sagte sie achselzuckend und lächelte ihn an. Dies bedeutete natürlich nicht, dass sie sich wohl damit fühlte. „Irgendwann hören die auch auf. Denke ich...“ Chiaki seufzte, murmelte etwas Unverständliches in sich hinein und ließ seinen Arm von ihren Schultern zu ihrer Taille herunterwandern. „Komm, der Unterricht fängt gleich an“, sagte er und führte sie durch die Gänge Richtung Klassenzimmer. Mit Chiaki an ihrer Seite war es für Maron einfacher ihre Mitschüler zu ignorieren. Das Einzige was für sie zählte, war die Liebe und Fürsorge, die er für sie ausstrahlte und wie er sie schützend an sich drückte. Letztendlich war es ihr egal was alle dachten. Solange Chiaki bei ihr war, war ihr alles egal. *** Während sie durch die Schulkorridore liefen, erzählte Maron ihm leise von dem Meeting beim Rektor und was alles besprochen wurde. „Oh man...“, konnte Chiaki nur kopfschüttelnd kommentieren. Gleichzeitig stierte er jeden, an denen sie vorbei gingen, an. Und das Getuschel war überall zu hören. Es war wirklich lächerlich. Schon als er in der Schule ankam und die erste Stunde ohne sein Mädchen verbringen musste, bemerkte er die Blicke seiner Mitschüler und wie sie ihre Köpfe zusammensteckten. Maron hatte höchstwahrscheinlich die Chance gehabt heute zu Hause zu bleiben, um den ganzen Unsinn zu vermeiden. Aber er wusste, wie sein Mädchen tickte. Zumindest schien sie neben ihn völlig entspannt zu sein, ließ sich von der ganzen Aufmerksamkeit nichts anmerken. Als sie ihre Klasse betraten war es für einige Momente totenstill im Zimmer. Dreißig Paar große Augen waren auf ihn und sein Mädchen gerichtet. Ohne seinen Klassenkameraden weiter Beachtung zu schenken, ging Chiaki mit Maron zu ihren Tischen und setzte sich hin. Keine Sekunde später kam auch der Lehrer und begann den Unterricht. Maron rutschte sofort etwas näher zu Chiaki ran. Er nutzte die Gelegenheit und nahm ihre Hand unter ihren Tischen, verschränkte ihre Finger miteinander und ließ sie nur los, wenn er was schreiben musste. Selbst unter den penetranten Blicken der Klasse schien Maron ziemlich entspannt neben ihn zu sein, zu seinem Erstaunen.   Schließlich stand nach der dritten Stunde die Mittagspause an. Zusammen lief das Paar zur Cafeteria. Chiaki war sich unschlüssig darüber, wo er mit ihr sitzen soll. Ihrem Tisch oder seinen? Letztendlich beschloss er sie zu seinem Tisch zu bringen. Wenn Miyako und Yamato mit ihnen zusammensitzen wollen, konnten sie das machen. Und wenn Shinji und Natsuki ebenfalls dazustoßen wollten, dann würde er sie auch nicht davon abhalten. Auch wenn er eigentlich keine Lust darauf hatte. Maron war zunächst ein wenig überrascht, als er sie zu seinem Tisch brachte, machte jedoch keine Einwände. Sie lächelte sogar peinlich berührt als Chiaki ihr den Stuhl rauszog. Mit einer leichten Röte im Gesicht setzte sie sich hin und packte ihr Essen aus, während er sich auf dem Platz neben ihr niederließ. Für einen Moment wandte Chiaki seinen Blick von ihr ab und sah wie jeder in der Cafeteria sie anglotzte. Kopfschüttelnd verdrehte er seine Augen, murmelte einige unverständliche Flüche und rückte mit seinem Stuhl näher zu Maron ran. „Ab nächste Woche gehen wir aufs Dach essen“, flüsterte er ihr zu. Sie nickte zustimmend. Er hob seine Hand, ließ sie unter ihren Haaren gleiten und strich mit seinen Fingern sanft über ihren Nacken. Sie neigte zufrieden lächelnd ihren Kopf in seine Richtung. Kichernd kraulte er ihr weiter den Nacken und aß schweigend mit ihr zu Mittag. Miyako und Yamato kamen Minuten später in die Cafeteria. Ein Anflug an Panik war für einen Moment auf Miyako’s Gesicht zu sehen, als sie ihren leeren Tisch sah. Erstaunlicherweise waren Natsuki und Shinji noch nicht da. Ihr Blick schweifte zu seinem Tisch rüber. Selbst am anderen Ende des Raumes konnte Chiaki ihr genervtes Schnauben sehen. Amüsiert kichernd sah er Miyako dabei zu, wie sie sich mit Yamato dem Tisch näherte. Maron sah zu den beiden auf, als sie sich gegenüber von ihnen hinsetzten und nickten ihnen zur Begrüßung zu. Die ganze Zeit über ließ Miyako Chiaki nicht aus den Augen, fixierte ihn mit einem stechenden Blick. Immer mal wanderte ihr Blick zu seiner Hand auf Maron’s Nacken, als wolle sie nicht, dass er sie anfasste. Es war für eine Weile still am Tisch. Plötzlich wandte Miyako sich mit einem ernsten Ausdruck an Maron. „Schlaft ihr beide miteinander?“ In dem Moment verschluckten Maron und Chiaki sich fast an ihrem Essen. Yamato versuchte sich ein Kichern zu verkneifen. Chiaki wusste, dass sie Sex meinte und nicht dem eigentlichen Schlafen, weshalb er auch den Kopf schüttelte. Gleichzeitig versuchte seine Atemwege wieder frei zu bekommen. Miyako sah ihn mit verengten Augen skeptisch sowie misstrauisch an. Maron warf ihr einen scharfen, vielsagenden Blick zu. Für eine Weile tauschten die Mädels sich einige stumme Blicke aus, schienen wortlos miteinander zu argumentieren, bevor Miyako sich mit verschränkten Armen augenrollend in ihren Stuhl zurücklehnte. Gab sich anscheinend geschlagen. „Natsuki und Shinji verbringen die Pause heute übrigens in der Bibliothek“, teilte sie Maron trocken mit, „Haben nach der Pause einen Test, für den sie pauken.“ „Na dann viel Erfolg den beiden“, nahm Maron die Information kauend zur Kenntnis. Miyako hatte scheinbar keine Probleme sich am neuen Tisch anzupassen. Für die nächsten vierzig Minuten war sie im Grunde genommen die Einzige, die redete. Yamato, Maron und Chiaki waren eher die ruhigen Typen, hörten einfach zu. (Oder taten so als würden sie zuhören.) Sie begann aufgeregt mit Yamato über ihre Valentinstagspläne zu diskutieren. Dabei war der Quatsch doch noch über einen Monat hin! Chiaki bemitleidete seinen Freund. Inmitten all der Diskussionen über irgendwelche Valentinstagsgeschenke und Blumen, spürte er eine Hand auf seinem Knie. Chiaki drehte sich zu seinem Mädchen um, die gedankenverloren über sein Knie strich und mit der anderen Hand aß. Ihre Blickte trafen sich und sie schenkte ihm ein süßes Lächeln. Grinsend kraulte er ihr den Nacken und drückte ihr einen leichten Kuss auf die Schläfe.   Nach der Mittagspause hatten sie ihre letzte Unterrichtseinheit: Sport. Da brauchte Chiaki sich eigentlich keine Gedanken darüber zu machen, dass irgendein Vollpfosten seinem Mädchen zu nahe kam. Schließlich war der Sportunterricht bei ihnen geschlechtergetrennt. Dennoch kam er nicht drum rum sich Sorgen um Maron zu machen. Schließlich konnten Yashiro und ihre Hyänen sie in irgendeiner Weise in die Enge treiben und sie fertig machen und er konnte nichts dagegen tun. Gemeinsam lief er mit ihr Richtung Sporthalle, blieb einige Meter vor den Umkleiden stehen. „Darfst du überhaupt Sport machen?“, fragte er sie mit hochgezogener Augenbraue. Maron zuckte mit den Schultern und lehnte sich an die Wand hinter ihr an. „Wahrscheinlich werde ich die ganze Zeit der Lehrerin aushelfen und Bälle einsammeln.“ Im nächsten Moment sah Chiaki wie ein paar Klassenkameraden, darunter Yashiro und Hijiri, ihnen langsam entgegenkamen und sich womöglich das Maul über sie zerrissen. Seufzend drehte er sich wieder zu seinem Mädchen um, die flüchtig zu der Gruppe rüberschaute und ihn anschließend mit einem vielsagenden Blick ansah. Er konnte den Ausdruck in ihren Augen nicht deuten. Eine Mischung aus Liebe, Entschlossenheit und irgendetwas anderem war in ihnen zu sehen. Fragend zog er eine Braue hoch. Ein verschwörerisches Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. „Weißt du“, fing Maron an zu sagen und zog ihm am Kragen näher zu sich heran. „Wenn die schon den ganzen Tag über uns reden werden, können wir ihnen ja noch mehr Redestoff fürs Wochenende geben“, sagte sie und drückte anschließend ihre Lippen auf seine. Chiaki brauchten einen peinlichen Moment, um das Gesagte vollständig zu registrieren, ehe ihm ein raues Kichern entkam und er gegen ihre Lippen grinste. Mit Freude erwiderte er den Kuss, fuhr mit seinen Fingern durch ihre Haare und umfasste ihren Hinterkopf. Instinktiv presste er sich näher an sie heran, küsste sein Mädchen innig, bewegten seine Lippen heiß auf ihren. Nach einigen Momenten trennten sie sich atemlos voneinander. Er öffnete seine Augen und sah, wie Maron verlegen grinste und sich unschuldig auf die Unterlippe biss. Als hätte sie ihn nicht eben dazu verleitet mit ihm vor ihren Klassenkameraden rumzumachen. Amüsiert lächelnd drehte er sich kurz um und sah die schockierten Gesichter seiner Mitschüler. Er musste sich zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen. Besonders Yashiro’s und Hijiri’s Gesichtsausdrücke waren einfach zu wegschießen. Chiaki wandte sich grinsend wieder seinem Mädchen zu, nachdem alle endlich in die Umkleide verschwunden und sie beide die Letzten draußen waren, gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. „Pass auf dich auf“, flüsterte er ihr zu, ehe beide sich schließlich zum Sportunterricht begaben.   Neunzig Minuten später wartete Chiaki draußen vor den Umkleiden und hoffte, dass man sein Mädchen in Ruhe gelassen hatte. Er brauchte auch nicht lange warten bis sie rauskam. Tränenfrei. Erleichtert seufzte er aus, ging auf seine Freundin zu und schlang seine Arme um sie. Maron sah mit einem Gesichtsausdruck zu ihm auf, den er nicht deuten konnte. Anschließend setzte sie ihr künstliches Lächeln auf. Chiaki zog kritisch seine Augenbrauen zusammen. „Alles gut?“, fragte er, während er mit ihr Richtung Schulparkplatz lief. Maron nickte einige Male eifrig, sagte jedoch nichts. Er vermutete stark, dass sie log. Innerlich fragte er sich schon, ob er Yashiro -oder wen auch immer- in den Arsch treten soll. Er stoppte für einen Moment als sie auf dem Parkplatz angekommen waren und hob mit seinen Fingern sachte ihr Kinn. „Wenn du willst, kannst du mit mir zusammen nach Hause fahren. Yamato kann mit Miyako fahren“, schlug Chiaki vor. Er hoffte dabei, dass Maron ihm sagen würde was sie beschäftigt, sobald sie allein waren. Ihre Augen weiteten sich. „Nein!“ Überrascht wich er bei ihrem Ton zunächst etwas zurück und blickte sie verwundert an, war ein wenig traurig und verletzt über ihre Abweisung. Mit einem entschuldigenden Blick schaute Maron zu Boden, strich sich nervös ein paar Strähnen aus dem Gesicht und blickte sich im Parkplatz um. „Was ich sagen will ist... ich würde gerne etwas mehr Zeit mit Miyako allein verbringen“, sagte sie mit einem ehrlichen Ausdruck in den Augen. Zumindest schien sie ihn in dem Aspekt nicht anzulügen. Er nickte akzeptierend und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. „Dann bis heute Abend“, flüsterte er. Maron lächelte ihn nickend an. Damit begaben sie sich ohne Weiteres nach Hause ins Wochenende.   Als Chiaki zu Hause ankam, war er froh, dass Shinji noch Basketballtraining hatte. Er würde garantiert nicht aufhören ihn mit Fragen zu durchlöchern, die Chiaki nicht beantworten wird. Gerade als er sich in sein Zimmer hochbegeben und entspannen wollte, klingelte es an der Tür. Stöhnend drehte er sich auf den Treppen um, lief runter und schwang genervt die Tür auf. Miyako stand mit verschränkten Armen vor ihm und musterte ihn mit einem herablassenden Blick. „Was?“, fragte er, sichtlich irritiert über ihr plötzliches Erscheinen. Doch anstatt ihm zu antworten, gewährte sie sich Einlass in die Villa. Mit einem genervten Knurren knallte Chiaki lautstark die Tür hinter sich zu - um sie wissen zu lassen, dass sie eigentlich nicht willkommen war. Nicht, dass es sie was kümmerte. Als würde ihr das Haus gehören, steuerte Miyako gezielt aufs Wohnzimmer zu und setzte sich gemütlich auf die Couch hin. Chiaki stand mit verschränkten Armen vor ihr, ungeduldig darauf zu wissen, was sie von ihm wollte. Kichernd verdrehte Miyako ihre Augen. „Entspann dich. Ich bin nicht hier, um dich zu kastrieren, oder so“, lächelte sie ihn frech an, „Da Takumi es nicht getan hat, werde ich es auch nicht tun.“ Schnaubend nahm Chiaki auf den nächstgelegenen Stuhl Platz und schaute sie erwartungsvoll an. Miyako schürzte ihre Lippen und erwiderte seinen Blick mit einem ernsten Ausdruck. „Maron liebt dich, weißt du“, begann sie in einem ruhigen Ton zu sagen. Der Hauch eines Lächelns bildete sich auf seinen Lippen und er nickte bejahend. Er wusste, dass sie ihn liebte. „Ich liebe sie auch“, entgegnete er ihr ehrlich und zuckte mit den Schultern. Chiaki beobachtete, wie Miyako’s Augen sich überrascht weiteten. Wieso überrascht es alle, dass er Gefühle besaß?! Er seufzte. „Nicht, dass es dich was angeht“, sagte er ihr, strich sich mit einer Hand durch die Haare und blickte zur Seite. „Ich habe Maron noch nie so glücklich gesehen, wie mit dir“, hörte er Miyako mit deutlichem Erstaunen in der Stimme sagen. Seine Mundwinkel zuckten nach oben. Er mochte den Gedanken, dass er sein Mädchen glücklich machen konnte. Plötzlich richtete Miyako sich gerade und blickte ihm direkt in die Augen. „Ich will, dass du folgendes tust, Chiaki“, setzte sie mit einem selbstgefälligen Lächeln an. „Du wirst morgen Abend zum Essen kommen und dich unseren Eltern als Maron’s Freund offiziell vorstellen.“ Sie sprach in einem Ton, als würde sie nichts anderes erwarten als das er mitmachte. Sie stand auf und ging auf ihn zu. „Du wirst höflich und respektvoll sein... Oh, und du wirst Maron Blumen bringen“, wies sie ihn mit einem entschiedenen Nicken an. Er starrte sie mit offenem Mund an. Fassungslos darüber, dass sie ihm Anweisungen gab, was er machen soll und wie er mit seiner eigenen Freundin umzugehen hat. Miyako schenkte ihm ein süßes, unschuldiges Lächeln und hopste zur Tür. „Wir sehen uns morgen um Fünf!“, winkte sie ihm über die Schulter und verließ die Villa, ließ einen sichtlich verdutzten Chiaki im Wohnzimmer zurück.   Später am Abend ließ er sich erschöpft auf sein Sofa fallen, war froh darüber endlich mal seine Ruhe zu haben. All die Aufmerksamkeit heute war wirklich anstrengend gewesen. Eben hatte er Shinji leider Gottes noch angetroffen, der ihn mit seinen Fragen nahezu in die Enge getrieben hatte, als er in der Küche sich was zu Trinken holen wollte. „Ja, sie ist meine Freundin. Und nein, ich f*ck sie nicht“, brachte Chiaki ihm knapp entgegen und flüchtete schnell in sein Zimmer, ehe Shinji ihn weiter befragen konnte. Er wusste wirklich nicht, wie sein Mädchen das aushielt... Von jeden so angestarrt zu werden. Als würden die Leute darauf warten, dass was Schräges passiert. Chiaki hoffte inständig, dass es mit der Zeit irgendwann nachließ. Er dachte darüber nach, wie gedankenverloren Maron nach dem Sportunterricht gewirkt hatte. Er hoffte, dass sie mit ihm darüber reden würde. Als Chiaki endlich das Klopfen an seiner Balkontür vernahm, steuerte er mit schnellen Schritten darauf zu und ließ sein Mädchen hastig ins Warme rein. Sie drehte sich mit einem liebevollen Lächeln zu ihm um, als er ihr die Kapuze vom Kopf runterschob. Er umfasste mit einer Hand ihre Wange, strich mit dem Daumen über ihre Haut -wusste ganz genau, dass sie das mochte- und küsste sie sanft. Sie schlang ihre Arme um ihn und drückte ihn näher zu sich ran, erwiderte den Kuss innig. Momente später zog er sich zurück. Mit einem langen Seufzen drehte Maron sich um, ohne ihm in die Augen zu sehen. Er neigte mit zusammengezogenen Augenbrauen stutzig den Kopf. Er ließ sich auf seinem Bett nieder und sah seinem Mädchen dabei zu, wie sie Jacke und Schuhe auszog und sich zu ihm gesellte, beobachtete dabei aufmerksam ihre Gesichtszüge. Er begann zu essen, während sie sich wortlos neben ihn an seiner Schulter anlehnte. Chiaki erzählte ihr von Miyako’s Spontanbesuch, doch sie schon ihn nur mit halbem Ohr zuzuhören, sagte nichts. Für eine Weile herrschte einfaches Schweigen zwischen ihnen. Er ließ sie nicht aus den Augen, hielt Ausschau nach irgendwelchen Anzeichen von Kummer oder Unbehaglichkeit in ihrem Gesicht. „Sag mir was heute in Sport passiert ist“, durchbrach Chiaki nach einigen Minuten die Stille zwischen ihnen, legte das Essen beiseite und drehte sich zu ihr um. Kurz schaute Maron ihn an, ehe sie seinen Blicken auswich und zur Bettdecke unter ihnen runterstarrte. „Ist bescheuert...“, murmelte sie, strich mit dem Finger unsichtbare Muster auf dem Stoff. „Bullshit“, erwiderte er. „Nichts was dich bedrückt ist bescheuert.“ Sie sah zu ihm auf und ihre Augen trafen auf seine. Wartend zog Chiaki eine Augenbraue hoch. Maron presste sich zögernd die Lippen zusammen. „Es geht mich nichts an, oder so...“, sprach sie leise, begann mit einigen langen Strähnen ihrer Haare zu spielen. „Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst“, versicherte er ihr. Ein langer Seufzer entkam ihr. „Ich musste mir einiges in den Umkleiden anhören“, fing Maron leise murmelnd an. „Okay…?“ Chiaki neigte seinen Kopf, wartete darauf, dass sie weitersprach. Er musste sich auch einiges von seinen Klassenkameraden anhören. Dumme, hirnlose Sprüche, „dass er sich jetzt wohl die Verrückte nageln würde“. Es hatte ihn einiges an Selbstbeherrschung gekostet, diese Idioten nicht zu verprügeln. Es vergingen um die zehn Sekunden bis die nächste Frage ihren Lippen entkam: „Yashiro war nicht die Einzige mit der du geschlafen hast, oder?“ Chiaki blinzelte sie einige lange Momente an, fragte sich innerlich von wem sie das gehört hatte und wen er dafür killen musste. Aber wenn er ehrlich mit sich war, dann hätte er ihr es selbst sagen sollen. (Stattdessen musste sie von seinen Frauengeschichten immer im Sportunterricht erfahren.) Die ganze Zeit sprach er davon, dass sie ehrlich mit ihm sein soll und gleichzeitig war er derjenige, der ihr vieles vorenthielt. „Oh“, brachte er nur entgegen, wollte es am liebsten verleugnen, konnte es aber nicht. Maron sah ihn mit undurchdringlichen Augen an. „Wie gesagt, es geht mich nichts an und es ist mir eigentlich auch egal“, murmelte sie. Ihrem Ton zu urteilen war ihr es nicht egal. Chiaki strich sich innerlich fluchend durch die Haare, verzog mit einem säuerlichen Ausdruck das Gesicht. „Wenn ich den ganzen Scheiß ändern könnte, würde ich es machen“, seufzte er, ohne ihr in die Augen zu blicken. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass er sich über seine Frauenvergangenheit schämte. Als er zu Maron aufschaute, sah er wie sie auf ihren Lippen kaute und seinen Blickkontakt mied. „Wie viele?“, fragte sie kaum hörbar. Schwer seufzend fuhr er sich über das Gesicht. „Mit Yashiro: vier“, antwortete er ihr wahrheitsgemäß. „Waren alle nur einmalige Sachen!“, fügte er schnell hinzu. Sie nahm die Antwort nickend zur Kenntnis. Er konnte ihr ansehen, wie es in ihrem Kopf arbeitet. „Wie gesagt, es spielt keine Rolle... ist schließlich schon passiert“, sagte sie mit leiser Stimme und blickte auf ihr Schoß herunter. „Es ist nur...“, sie verstummte kopfschüttelnd. Es vergingen einige stille Sekunden. „Was denn?“, fragte er, blickte sie gespannt an. Er hatte keine Ahnung von Beziehungen und es frustrierte ihn zutiefst, dass er nicht deuten konnte, was seine Freundin so beschäftigte. Sie sah ihm in die Augen. „Ich bin nicht wie diese Mädchen“, sagte sie. Irritiert blickte Chiaki sie an. Alle diese Mädchen waren schlampige Tussen gewesen – wer will das bitte sein? Er wusste, dass sie ihre Komplexe hatte. Aber das war nun wirklich albern. „Du bist tausendmal schöner, umwerfender, wundervoller und besser als diese Schlampen“, sprach er sanft und eindringlich auf sie ein. „Du brauchst dich gar nicht erst mit ihnen zu vergleichen.“ „Und dennoch sind die alle mir eine bestimmte Sache voraus“, murmelte sie kaum hörbar. Maron presste sich ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und schüttelte den Kopf. „Ich sagte doch, es ist bescheuert“, murmelte sie und sah weg, malte wieder unsichtbare Muster auf der Decke. Chiaki sah seine Freundin sprachlos an. „Hast du Angst, dass du mir nicht reichst und ich dich nicht so will wie die?“, fragte er ungläubig. Ihr Gesichtsausdruck beantwortete ihm seine Frage. Seine Augen besänftigen sich. Er rutschte zu seinem Mädchen hin und nahm sie auf seinen Schoß. Er nahm ihr Gesicht, zwang sie ihm in die Augen zu schauen. Liebevoll blickte Chiaki sie an, strich ihr sachte über die Wange. „Du hast recht. Es ist bescheuert“, sagte er ihr. Sie verzog eine Grimasse. „Ich weiß...“, seufzte sie augenrollend. „Vergiss es einfach“, murmelte sie, die Wangen verlegen rot. Nur war das eine Sache, die er nicht so einfach vergessen konnte. „Schau mich an“, sagte er sanft, strich ihr liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht. Ihre Augen wanderten zu ihm hoch. Im nächsten Moment nahm er ihr Kinn und zog sie zu sich ran, versiegelte ihre Lippen miteinander. Sie war zunächst etwas überrascht, erwiderte den Kuss jedoch, schlang ihre Arme um seinen Nacken. Er neigte seinen Kopf, intensivierte den Kuss und hörte sie genüsslich seufzen. Ihre Zunge spielte mit seiner und ihm entkam ein raues Stöhnen. Seine Hände wanderten zu ihrer Hüfte runter und drückte sie näher zu sich ran, sodass sie seine Erregung unter sich spüren konnte. Leise keuchte sie auf und er löste sich von ihr. Tief blickte er in ihre Augen. „Wie du merkst“, hauchte er und berührte seine Stirn mit ihrer, „Ich will dich. Sehr. Allerdings halte ich mich zurück.“ Maron zog fragend ihre Brauen zusammen. „Warum?“ Er seufzte leise. „Weil ich nicht will, dass du dich unwohl fühlst“, antworte er ihr. Sie entfernte sich etwas und sah ihn mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck an. „Wirklich?“ Er nickte. Er hatte immer versucht sich zurückzuhalten und seine Lust nach ihr zu unterdrücken, aus genau den eben genannten Grund. Wollte auch warten, dass sie beide an einem Punkt in ihrer Beziehung ankamen, um die nächste Ebene überhaupt in Betracht zu ziehen. Er wollte sie. Ohne Frage. Nur hielt er sich aus Respekt und Rücksicht vor ihr zurück. Maron schüttelte kichernd den Kopf. „Chiaki. Seit Osaka schmeiße ich mich förmlich an dich ran“, sagte sie mit einem Schmunzeln. Seufzend sah er sie ernst an. „Du lässt dich zu sehr vom Moment mitreißen.“ Er blickte ihr fest in die Augen. „Was nicht bedeutet, dass du bereit für das alles bist.“ Maron verengte verärgert ihre Augen. „Ich bin kein Kind, Chiaki.“ Sie drehte sich mit verschränkten Armen etwas von ihm weg. Er musste sich stark zusammenreißen, um nicht zu grinsen. Sie war so süß, wenn sie versuchte sauer auf ihn zu sein. Maron blickte ihn an. „Nur weil du mehr Erfahrung in Sache-… S-Sex-“ Sie stolperte förmlich über das Wort, wurde sogar rot, was sie noch süßer macht, „Gibt es dir nicht das Recht zu urteilen, wann ich bereit bin.“ Nun kann Chiaki sich ein Kichern doch nicht mehr verkneifen, fing an laut aufzulachen. Sie haute ihm auf den Arm, blickte ihn sichtlich angepisst an. „Sorry.“ Er legte seine Arme um ihre Taille und vergrub sein Gesicht in ihre Halsbeuge, versuchte angestrengt einen weiteren Lachanfall zu unterdrücken. „Du bist so süß, wenn du wütend bist“, kicherte er. Maron sagte nichts, aber er konnte ihr Augenrollen förmlich hören. Chiaki drückte ihr einen Kuss an den Hals und blickte ihr wieder in die Augen. „Versteh doch, dass ich versuche die Dinge langsam anzugehen“, sprach er eindringlich auf sie ein, „Wir brauchen nichts zu überstürzen.“ Ihre Haltung entspannte sich und sie nickte seufzend, warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. Sanft strich er ihr durch die Haare und lächelte. „Ich liebe dich, mein Engel.“ Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Du glaubst gar nicht, was für eine Wirkung du auf mich hast“, flüsterte er mit tiefer Stimme. „Allein der Gedanke dich zu küssen genügt... Das Gefühl deiner Lippen auf meinen. Die Art und Weise wie du schmeckst. Die Geräusche, die du machst. Alles.“ Er war ihr so nah, er konnte spüren, wie Maron’s Atmung sich etwas beschleunigte. „Wenn du mich küsst... Dann ist es als wäre ich in Flammen.“ Sanft und gefühlvoll küsste er ihren Mund. Sie erwiderte den Kuss liebevoll. „Dieses Gefühl reicht mir“, flüsterte er gegen ihre Lippen, strich mit seinen Fingern sanft über ihre Wange. „Fürs erste“, fügte er mit einem rauen Kichern hinzu, zwinkerte ihr zu. Wieder nickte Maron mit einem leisen Seufzen, umarmte ihn und vergrub ihr Gesicht in seinen Nacken. „Ich liebe dich auch“, wisperte sie. Mit seinem Mädchen in seinen Armen legte Chiaki sich hin, strich ihr in einem sanften Rhythmus über die Haare. Er spürte, wie ihre zierlichen Finger ihm durch den Kopf strichen. Er vermutete, dass sie genauso müde war wie er, weshalb er nach einigen Minuten das Licht auch ausmachte. Er drückte sie fest an sich und nach einigen Momenten waren beide in den Schlaf weggedriftet. THIRTY ------ THIRTY   Seufzend strich Chiaki sich zum womöglich hundertsten Mal durch die Haare und blickte sich im Laden um. Blumen. Blumen ohne Ende. Soweit das Auge reicht. Es gab sie in verschiedenen Farben und Formen und doch sah der Großteil für ihn gleich aus. „Also, Mission Nummer zwei: Blumen für Maron holen“, sagte er an Yamato gewandt. Da er keine Ahnung von Blumen hatte und wusste, dass sein bester Freund von seiner (unausstehlichen, diktatorischen) Freundin mal einen ausführlichen Crash-Kurs über die Blumensprache und allem Drum und Dran bekam, hatte er ihn zum Floristen mitgeschleppt. „Warte, was war Mission Nummer eins?“, fragte Yamato verwirrt. „Hierher zu kommen“, antwortete Chiaki, seufzte frustriert und blickte sich ratlos im Laden um. Yamato entfernte sich einige Schritte und blieb vor einem Eimer voller roter Rosen stehen. Chiaki zog eine Augenbraue hoch. „Rosen?“, fragte er trocken. Ziemlich Klischee. Besonders rote. Selbst Chiaki wusste, dass Miyako nicht zufrieden damit sein wird. „Miyako wird nicht zufrieden mit denen sein“, sprach Yamato seine Gedanken aus und schüttelte den Kopf. „Rote Rosen allein reichen nicht.“ Chiaki rollte mit den Augen. Er fand es lächerlich, dass er überhaupt darauf achten musste, was die von seinem Mitbringsel hielt. Als ob Maron es interessierte, ob Rosen zu kitschig sind, oder nicht. „Hey.“ Yamato winkte ihm zu einem anderen Gang. Chiaki folgte ihm, neugierig darüber wie gut er ihm wirklich helfen könnte. Er stand vor einem Korb mit bläulich gefärbten Blumen und nahm sich eine raus. „Das sind Hortensien. Die sind außergewöhnlich schön.“ Er nahm sich eine weitere, violette Blume aus einem anderen Korb raus. „Genauso schön sind aber auch Nelken.“ Yamato blickte auf die Blumen herab und sah dann zu Chiaki. „Am besten holst du für Sakura blaue und violette Blumen. Diese Farben stehen für Respekt, Würde und Charme“, sagte er in einem sachlichen Ton, drückte ihm die beiden Blumen in die Hand. „Moment...wieso für Sakura??“, brachte Chiaki nur verwirrt entgegen. „Ich rate dir einfach, dass du allen einen Strauß holst“, erwiderte Yamato, „Das wird Miyako mit Sicherheit nicht von dir erwarten.“ Damit lief er durch den Laden weiter, schaute sich die Auswahl an Blumen an. „Miyako denkt wahrscheinlich ich wüsste es nicht, aber Gänseblumen sind ihre Lieblingsblumen.“ Yamato war vor den besagten Blumen stehen geblieben und nahm sich eine raus. „Diese mischst du am besten mit anderen gelben und orangen Blumen. Vielleicht auch gelbe Rosen.“ Er nahm sich von denen eine raus. „Diese Farben steht für Freundschaft, Leichtherzigkeit und Familie. Außerdem ist gelb Miyako’s Lieblingsfarbe. Damit kassierst du bestimmt Pluspunkte.“ Erneut bekam Chiaki die Blumen von seinem Freund in die Hand gedrückt. „Am wichtigsten ist natürlich Maron’s Strauß.“ Yamato hatte im nächsten Moment schon drei Blumen rausgeholt. „Weiße Lilien. Die werden mit wahrer Liebe, Unschuld, Licht und Reinheit in Verbindung gebracht. Das sind elegante Blumen. Ähnliches gilt auch für die weiße Iris.“ In der einen Hand hielt er die weißen Blumen hoch und in der anderen noch eine rote. „Rote Tulpen sind eine gute Alternative zu roten Rosen. Die stehen demnach auch für Liebe, allerdings weniger für Leidenschaft, sondern für tiefe Zuneigung und emotionale Verbundenheit.“ Mit den Worten schloss er seinen Vortrag ab, gab Chiaki die Blumen und grinste mit einem blasierten Lächeln. Sein Gegenüber starrte ihn mit großen Augen entgeistert an. „Yamato...Alter-“, fing Chiaki an. „Wenn du so weiterredest, schrumpft dir dein Penis noch ab.“ Yamato haute ihm beleidigt den Ellenbogen in die Rippen. „Arschloch“, murrte er. Leise kicherte Chiaki belustigt in sich hinein. Minuten später hatten sie mit einer Mitarbeiterin drei Bouquets zusammengestellt und verließen den Laden. „Da du Maron’s Vater schlecht Blumen geben kannst, ohne dass es merkwürdig rüberkommt, würde ich sagen, dass du ihm guten Sake oder Wein besorgst“, hörte Chiaki Yamato sagen, während sie durch die Einkaufsstraßen liefen. Er warf nur stöhnend den Kopf zur Seite. „Musstest du diesen Quatsch auch machen? Dich offiziell bei der Familie vorstellen?“, fragte er in einem abwertenden Ton. „Müssen nicht“, schmunzelte Yamato. „Schön, dass ich die Pistole an die Brust gedrückt bekomme“, murmelte Chiaki genervt. „Deine Freundin hat doch echt einen Knall...“ „Stell dich nicht so an. Es wird schon nicht so schlimm werden.“ Yamato stupste ihn von der Seite mit der Schulter an. „Sei einfach du selbst und sag ab und an was nettes.“ „Was nun? Ich kann nicht beides“, entgegnete Chiaki augenrollend. „Du bist manchmal echt anstrengend“, stieß Yamato ihn wieder von der Seite an. Nach einiger Zeit hatte Chiaki eine hochwertige Flasche Sake für Takumi besorgt. Er bedankte sich bei seinem besten Freund und begab sich nach Hause.   Als Chiaki um vier nach Hause kam, hatte Shinji direkt einen Lachanfall bekommen und Kaiki sah ihn mit hochgezogener Augenbraue fragend an, als er mit den drei Bouquets und der Sake-Flasche an ihnen vorbeiging. „Frag nicht“, murmelte er, ohne stehen zu bleiben, schüttelte entnervt den Kopf und begab sich nach oben in sein Zimmer. Dort zog er sich um und machte sich für den Abend fertig, achtete besonders darauf ordentlich und präsentabel auszusehen. Auch wenn er es nicht wirklich zugeben mag, so wollte er doch Eindruck schinden. Zumindest bei Takumi und Sakura – Miyako’s Meinung war ihm egal. In schwarzer Jeans und einem einfachen weißem Hemd sowie einer Jacke drüber, ging Chiaki um fünf aus dem Haus raus. Er ging zu den Nachbarn rüber, erdolchte mit seinen Blicken Miyako’s hässlich-gelben Blumenstrauß und klingelte anschließend an der Tür. Wenigstens wird er ein paar Stunden bei seinem Mädchen sein (auch wenn er sie nicht viel später wiedersehen wird). Vielleicht wird der Abend doch nicht so schlimm werden. Sakura öffnete ihm glücklicherweise die Tür. Sie lächelte ihn erfreut an und trat beiseite, um ihn reinzulassen. Er begrüßte sie höflich, blieb im Flur kurz stehen und hielt ihr mit einem freundlichen Lächeln ihren Strauß entgegen. Sakura machte zunächst überrascht große Augen, bevor ein riesiges Lächeln sich auf ihrem Gesicht ausbreitete. „Oh Chiaki, das wäre aber nicht nötig gewesen. Danke“, nahm sie den Strauß entgegen und strich ihm über den Rücken. Im nächsten Moment kam Takumi in den Flur. „Chiaki. Nett dich wiederzusehen.“ Chiaki schüttelte ihm die Hand und reichte ihm die Tüte mit der Sake-Flasche. Takumi bestaunte den Inhalt. „Nicht schlecht“, nickte er anerkennend. „Danke, Chiaki. Wärst du nicht minderjährig, würde ich dich fragen, ob du mit mir einen Schluck probieren möchtest. Aber vielleicht frage ich demnächst deinen Vater...“, sagte er und grinste erfreut. „Komm, zieh die Jacke aus und fühl dich wie Zuhause“, kam es von Sakura. Erleichtert über ihre Reaktionen lächelte Chiaki zurück, hing seine Jacke in der Garderobe ab und folgte beiden ins Wohnzimmer. Miyako saß mit Handy in der Hand auf der Couch, hatte nebenbei Fernsehen geschaut und stand mit einem schmalen Lächeln auf, als er das Zimmer betrat. Er verdrehte sichtbar die Augen, kam auf sie zu und hielt ihr ihren dämlichen Strauß vor die Nase. „Für mich?“ Zu seinem Erstaunen schien Miyako ehrlich überrascht zu sein, jegliche Feindseligkeit in den Augen war für den Moment wie weggeblasen. In der nächsten Sekunde nahm sie den Blumenstrauß dankend entgegen, roch kurz daran und blickte mit einem Lächeln auf die Blumen herab, strich mit den Fingern sachte über die Gänseblumen. Sie liebte die Blumen. Chiaki grinste mit einem selbstgefälligen Lächeln auf sie herab. Miyako’s Lächeln fiel sofort wieder, als sie sein Gesichtsausdruck bemerkte und legte den Strauß mit gespielter Gleichgültigkeit beiseite. „Maron ist in der Küche“, sagte sie ihm, ließ sich plumpsend wieder auf der Couch nieder und schaute mit Takumi desinteressiert die Nachrichten. Kopfschüttelnd rollte Chiaki mit den Augen, drehte sich um und verließ das Zimmer. Im Flur kam ihm Sakura entgegen. „Du kannst ruhig reingehen“, flüsterte sie, deutete hinter sich auf die Küche. „Frag sie aber nicht, ob sie Hilfe braucht“, fügte sie mit einem kleinen Schmunzeln hinzu. „Vertrau mir.“ Damit verschwand sie ins Wohnzimmer. Chiaki musste selbst schmunzeln und steuerte auf die Küche zu, wo sein Mädchen garantiert in ihrem Element sein wird. Er blieb an der Tür stehen, konnte sie am Herd stehen sehen. Und obwohl sie ihm den Rücken zugewandt hatte, raubte sie ihm den Atem. Maron trug schwarze Leggings, die ihre Kehrseite ideal zur Geltung brachten. Dies kombiniert mit einem langen, enganliegenden Shirt, dessen Ärmel bis zum Ellenbogen gingen. Die welligen Haare hatte sie lose mit einer großen Klammer hochgesteckt. Chiaki lehnte sich verliebt lächelnd mit der Schulter am Türrahmen an, hielt ihren Strauß noch in der Hand und beobachtete sein Mädchen dabei, wie sie etwas im Topf rührte. Es roch furchtbar gut und lecker. Maron drehte etwas ihren Kopf und er konnte ihr wunderschönes Seitenprofil sehen. Ein paar lose Strähnen umspielten vereinzelt ihr Gesicht. Er konnte erkennen, dass sie Kopfhörer in den Ohren trug. Sie summte ein Lied aus seiner Playlist mit, nickte rhythmisch den Kopf und schwang ihre Hüften - tanzte fast beim Kochen. Sie so sorglos, so unbeschwert zu sehen, war süß und schön zugleich. Auf einmal hörte Maron auf zu summen und kicherte sanft. „Du darfst ruhig zu mir kommen, Chiaki. Ich beiße schon nicht“, sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen, nahm ihre Kopfhörer von den Ohren. Kichernd betrat Chiaki die Küche. Er legte die Blumen auf der Arbeitsplatte ab und ging auf sein Mädchen zu, umarmte sie von hinten. Maron kicherte leise, kochte unterdessen ungestört weiter. Er drückte ihr lächelnd einen Kuss auf die Wange und legte sein Kinn auf ihre Schulter ab, blickte auf den Topf herab – sowie auf ihren Ausschnitt. Sofort schaute Chiaki zur Wand hoch, trat sich gedanklich in den Hintern, dass er sein Mädchen wie ein Volldepp angaffte. „Du siehst hübsch aus“, flüsterte er, wandte seinen Kopf ihrem Gesicht zu. „Danke“, murmelte sie verlegen. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Schick siehst du aus.“ Chiaki schenkte ihr ein charmantes Grinsen. Maron’s Wangen färbten sich rosarot und sie fixierte den Topf vor sich. Sie trug wieder Make-Up, weshalb er nicht genau erkennen konnte, wie weit der Bluterguss auf ihrem Gesicht schon geheilt war. Auf einmal drehte sein Mädchen ihren Kopf zu ihm um. „In fünf Minuten ist das Essen fertig“, lächelte sie ihn an und drückte ihm einen süßen Kuss auf die Lippen. Chiaki nickte grinsend, ließ sie für einen Moment los und reichte hinter sich nach dem Blumenstrauß. Er räusperte sich kurz, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Maron wandte sich fragend zu ihm um und blinzelte überrascht, als ihr Blick auf die Blumen fiel. „Oh!“ Wie bei Sakura und Miyako, bildete sich in der nächsten Sekunde ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Ein riesiges, freudiges, wunderschönes Lächeln. Sie ging auf ihn zu, nahm ihm den Strauß aus seinen Händen und roch an ihnen. Anschließend sah sie durch ihre dichten Wimpern zu ihm auf. „Danke. Die sind wunderschön“, sagte sie peinlich berührt. Im selben Moment kam Sakura in die Küche, lächelte beide vergnügt an und führte Chiaki ins Esszimmer. Dort setzte er sich schräg gegenüber von Miyako hin, die mit einer aufgesetzten, gleichgültigen Miene neben ihrer Mutter Platz nahm und seinen Blicken auswich, während Takumi zu seiner Rechten am Kopfende des Tisches saß. Im nächsten Augenblick kam Maron mit dem Essen, stellte alles auf dem Tisch ab. Sofort stand Chiaki auf und zog Maron’s Stuhl neben ihn raus. Er konnte Miyako’s Augenrollen förmlich hören. Maron setzte sich mit einem verlegenen Lächeln und geröteten Wangen hin. Ein kleines, selbstzufriedenes Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und er nahm neben seinem Mädchen wieder Platz.   Für die ersten Minuten verlief das Essen ziemlich ruhig ab. Nur das klirrende Geräusch vom Besteck war zu vernehmen. Nach einiger Zeit zwang Chiaki sich dazu das Eis zu brechen und fragte Takumi über dessen Arbeit, versuchte mit ihm ein Gespräch aufzubauen - mit dem Gedanken, dass dies bestimmt einen netten Eindruck hinterlassen würde. Takumi ging auch ohne Probleme darauf ein, erzählte von seinen derzeitigen Architekturprojekten und er hörte aufmerksam zu. Sakura schloss sich der Konversation an, sprach mit ihnen auch über allgemeine Themen und fragte Chiaki unter anderem was seine Pläne nach dem Schulabschluss wären, worauf er allerdings noch keine Antwort hatte. Dies sagte er ihr auch. „Halb so wild. Ihr seid gerade Mal siebzehn. Da muss man sein Leben noch nicht bis zum Ende geplant haben“, lächelte Takumi. „Irgendwann kommt dann die Erleuchtung.“ Währenddessen unterhielt Maron sich ein wenig mit Miyako. Scheint wirklich nicht so schlimm zu sein, wie befürchtet..., ging es Chiaki durch den Kopf und trank einen Schluck aus seinem Glas Wasser. Er merkte, wie seine innere Anspannung über den Abend mit der Zeit nachließ. „Da fällt mir ein“, fing Sakura plötzlich an und wandte sich ihm wieder zu, „Ich habe von Kaiki gehört, dass du aus Yokohama kommst“, sagte sie in einem neugierigen Ton. Sofort bereute Chiaki seinen vorigen Gedanken wieder und senkte seinen Blick, als wäre sein Wasserglas das Interessanteste was er je gesehen hat. Krampfhaft hielt er das Glas in seiner Hand fest und nickte einmal bejahend. „Wie war es dort aufzuwachsen?“, fragte Sakura interessiert. Chiaki schluckte, ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals. Diese eine Frage brachte zu viele Erinnerungen in ihm hoch - mehr als ihm lieb war. Er presste sich die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Kurz“, antwortete er mit monotoner Stimme. Der Appetit war ihm mit einem Schlag vergangen, aber er zwang sich dazu weiter zu essen. Er wünschte sich, dass sie das nicht angesprochen hatte. Sakura schien das zu bemerken, blickte ihn verwundert an, worauf Takumi mit ihr einen stummen, vielsagenden Blick austauschte. Sie wandte sich schließlich an Miyako und redete mit ihr über irgendeinen Krimi-Film, welchen sie vor kurzen mal zusammen gesehen haben. Takumi warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, welches Chiaki mit einem gekünstelten Lächeln wegnickte. Er spürte Maron’s Hand auf seinem Bein und wie sie ihm beruhigend über das Knie strich. Bis zu dem Moment hatte Chiaki gar nicht gemerkt, wie angespannt er war. Er versuchte sich bei ihrer liebevollen Berührung so gut wie möglich zu entspannen. Während Takumi, Sakura und Miyako immer noch über ihren Film sprachen, drehte Chiaki sich zu seinem Mädchen um. Maron sah ihn mit großen, besorgten Augen an. Er schenkte ihr ein aufgesetztes Lächeln, wandte seinen Blick von ihr ab und konzentrierte sich aufs Essen – auch wenn ihm eigentlich mehr übel war, als das er noch Hunger hatte. Für den Rest des Abends wurde er in keine weiteren Gespräche mehr verwickelt, worüber er insgeheim froh war. Nichtsdestotrotz bedankte Chiaki sich nach dem Essen höflich bei Takumi und Sakura für die Einladung – auch wenn sie ihn technisch gesehen nicht wirklich eingeladen haben. Ihren Gesichtsausdrücken zufolge schien sein Verhalten am Essentisch keinen negativen Eindruck hinterlassen zu haben, zu seinem eigenen Erstaunen. Chiaki verabschiedete sich noch bei Maron mit einem Kuss auf den Kopf und ging schließlich. *** Mit Sorge sah Maron ihrem Freund noch einige Momente hinterher. Selbst von hinten im Halbdunkeln konnte sie sehen, wie versunken Chiaki in seinen Gedanken war. Die ganze Zeit schon, wollte sie mit ihm über das, was eben passiert war, reden. Sie wusste aber, dass es besser war, wenn sie bis zehn wartete und mit ihm in seinem Zimmer allein war. Ein wenig war Maron auch sauer auf Sakura, weil sie seine Vergangenheit angesprochen hatte. Natürlich konnte sie nicht wissen, dass dies bei ihm Tabuthema war. Aber wenn Maron ehrlich mit sich war, so wusste sie selbst nicht genug darüber, um zu verstehen was genau ihn aus dem Konzept gebracht hatte. Als Maron wieder reinging, war sie besorgt darüber, dass die anderen sie wegen seines Verhaltens fragen würden. Glücklicherweise taten sie das nicht. Nur gelegentlich kamen Kommentare von den Erwachsenen wie höflich und nett Chiaki war. Darüber lächelte Maron erleichtert in sich hinein. Als alle endlich ins Bett gegangen waren und sie sich umzog, dachte sie unwillkürlich an den gestrigen Sportunterricht zurück. Sie hatte sich zum Umziehen wie immer in eine Kabine zurückgezogen und kam offensichtlich nicht drum herum das Geläster der anderen Mädchen mitzuhören. Hauptsächlich ging es darum, dass in deren Augen Chiaki’s Frauengeschmack den Bach runtergegangen sei. Namen von irgendwelchen Mädels, die Maron nicht kannte, fielen und dass er anscheinend mit ihnen geschlafen haben soll. Nicht nur störte es sie, dass sie nichts von diesen sogenannten Eroberungen wusste - auch die Tatsache, dass Yashiro und all diese Mädels ihrem Freund intimer waren als sie selbst, bereitet ihr ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Der Neid, der in ihr hochkam, war durchaus bescheuert. Denn schließlich hatte sie sein Herz und alles andere war Nebensache. Trotzdem überkam sie die Angst, dass sie nicht genug für ihn sein wird. Dass er sie am Ende nicht wollen würde... Kopfschüttelnd haute Maron sich mit beiden Händen auf die Backen. Mädchen, hör auf zu nörgeln! Ihr habt darüber geredet!, mahnte sie sich in Gedanken.   Um zehn lief sie nach draußen und kletterte in Rekordzeit Chiaki’s Balkon hoch. Als er ihr aufmachte, bereitete sein Gesichtsausdruck ihr nach wie vor Sorgen. Die meisten Menschen würden es womöglich nicht merken, aber sie konnte die Anzeichen von Kummer in seinem Gesicht sehen. In seinen Augen. Maron kannte den Ausdruck in seinen Augen. So einen ähnlichen Blick trug er, wenn er ihr damals von seinen Albträumen erzählt hatte. Aber da er seit knapp einen Monat keinen Albtraum mehr hatte, vermutete sie, dass dieser Ausdruck aus alten Erinnerungen zurückzuführen war. Chiaki lächelte sie dennoch an, als wäre nichts gewesen und gab ihr einen sanften Kuss. Maron küsste ihn liebevoll zurück. Immer noch mit einem betretenen Lächeln entfernte er sich von ihr und ließ sich auf sein Bett nieder, wo sein offenes Skizzenbuch mit Stift schon drauf lag. Da sie beide bei Maron Zuhause schon zu Abend gegessen hatten, hatte Maron ihm auch nichts mitgebracht, sah es auch als nicht notwendig an. Während er zeichnete, holte sie sich zur Beschäftigung ein Buch aus ihrem Stapel raus. Maron beschloss ihm etwas Abstand zu geben, hatte sich daher nicht direkt neben ihn gesetzt. Er sah nicht zu ihr auf, als sie sich gegenüber von ihm hinsetzte, war voll und ganz in seiner Zeichnung vertieft. Unauffällig spähte sie zu Chiaki rüber, wollte einen Blick auf die Zeichnung erhaschen. Es war seine Mutter. Maron biss sich schweigend auf die Lippe, öffnete ihr Buch und wog in Gedanken ab, wie sie das Gespräch mit ihm anfangen soll. Ihre Augen schweiften unkonzentriert über die Zeilen hin- und her. Sie versuchte zu lesen, aber immer wieder erwischte sie sich dabei, wie sie zu Chiaki aufsah und ihn im Stillen beim Zeichnen beobachtete. Seine Brauen waren streng zusammengezogen, eine Strähne fiel ihm das Gesicht runter und sein Blick war konzentriert auf die Seite vor ihm fixiert. Sie schaute ihm dabei zu, wie der Stift in seiner Hand über das Blatt auf und ab glitt. Seit sie hier war, hatte er noch kein Wort mit ihr gewechselt. Plötzlich, ohne Vorwarnung, sah Chiaki von seiner Zeichnung auf und ihre Blicke trafen sich. Schnell blickte Maron zu ihrem Buch runter, beschämt darüber, dass sie ihn so schamlos angestarrt hatte. Sie schaute zaghaft zu ihm hin und lächelte ein nervöses Lächeln. Wortlos legte sie ihr Buch beiseite und breitete ihre Arme vor ihm aus. Seine Mundwinkel zuckten etwas nach oben. Er klappte sein Skizzenbuch zu, legte es ebenfalls beiseite und rückte zu ihr hin. Als er ihr nah genug war, legte sie ihre Arme um ihn und zog ihn mit sich auf die Kissen runter. Sanft strich Maron ihm durch die weichen Haare, während er seine Wange auf ihrer Schulter ruhen hatte. Sie blickte zu Chiaki herunter, der ihren Blick zwar erwiderte, aber noch immer in Gedanken verloren zu sein schien. Für eine Weile lagen sie da, in völliger Stille. Sie war besorgt um ihn. Hatte Angst, dass seine Erinnerungen ihn innerlich zerfraßen. Es gab vieles, was sie aus seiner Vergangenheit -aus seinem anderen Leben- noch nicht verstand. Und noch nicht wusste. Sie hatte nur Vermutungen, aber keine richtigen Details. Im Grunde genommen wusste sie gar nichts über sein Leben vor dem Feuer. Sie wusste nicht, wie seine Kindheit und wie schlimm seine Mutter wirklich war. Der Drang all diese Dinge wissen zu wollen, war groß. Maron nahm tief Luft, nahm ihren Mut zusammen und hoffte innerlich, dass er sich ihr öffnen würde und nicht abblockte. „Erzähl mir bitte von deinem anderen Leben“, durchbrach sie wispernd das Schweigen, blickte ihn sanft an und strich ihm zärtlich durch die Haare. Sie merkte, wie Chiaki sich in ihren Armen für einen Moment versteifte und sah, wie ein Fünkchen Schmerz in seinen Augen aufblitzte, ehe er seufzend seine Augen schloss. Sie wusste, dass er verstand von welchem Leben sie sprach. Ihre Hand wanderte von seinen Haaren zu seiner Wange runter, strich ihm mit dem Daumen sanft über die Haut. Gerade als Maron ihm sagen wollte, dass er ihr nichts erzählen musste, öffneten sich seine Augen. Ihr Mund schnappte wieder zu, als er sie direkt ansah. Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Was komplett Unschuldiges, Verletzliches war in ihnen, was sie vorher noch nie in Chiaki gesehen hatte. Er war immer der Stärkere von beiden gewesen, beschützte sie vor allem Unheil. Doch in dem Moment wirkte er wie ein kleiner, verlorener Junge. „Meine Kindheit war perfekt...“, fing er an, ohne Regung in der Stimme. Selbst seine Stimme hatte was ungewohnt Unschuldiges. Maron brauchte einen Moment, um seine Aussage zu registrieren. „Erzähl mir mehr“, bat sie ihn sanft, strich ihm weiterhin über die Wange. Es dauerte einige Sekunden bis Chiaki ihr mit einem nostalgischen Lächeln davon erzählte, dass sie eine glückliche Familie waren, was für ein guter Vater sein Stiefvater war und dass seine Mutter damals einen großen Garten besaß. „Sie ließ mich im Sommer immer Löcher graben“, erzählte er mit einem leisen Kichern. „Ich habe meine besten Klamotten immer dreckig gemacht.“ Maron konnte sich selbst ein Lächeln schwer verkneifen bei der Vorstellung. Gegen ihre Erwartungen hatte er eine glückliche Kindheit. Keine schlechte. Und die Tatsache, dass Chiaki sich dazu zwang diese Zeiten zu vergessen, gerade weil sie so schön waren, tat ihr weh im Herzen. Womöglich, weil er glaubte, diese guten Erinnerungen nicht verdient zu haben... Sie wollte seine Stimmung nicht verschlechtern, aber ihre Liebe zu ihm steigerte ihre Sorge und ihre Neugier. Insbesondere die Neugier über ein bestimmtes Ereignis. „Was passierte als du sieben warst?“, wisperte sie zögerlich. Sein Lächeln erstarb langsam und der Schmerz kehrte in seinen Augen wieder. „Es war ihr Geburtstag“, offenbarte er leise mit erstickter Stimme. Ihr Finger auf seiner Wange stoppte für einen Moment. Maron blickten ihn bestürzt an, als sie realisierte, was dies bedeutete. „Arata war mit mir daheim, hatte mich von der Schule abgeholt und meine Mutter musste noch arbeiten.... Wir wollten was Großes für den Abend vorbereiten“, sprach er mühevoll weiter, seine Stimme klang so fern und war gleichzeitig mit Schmerz gezeichnet. Ihr Herz zog sich zusammen. Er atmete tief durch. Sie wollte ihn davon abhalten weiterzureden, konnte den schmerzhaften Anblick von ihm nicht ertragen. Tränen schimmerten in seinen Augen. „Ich kann mir keine Kerzen mehr ansehen, ohne an diesen Tag zu denken...“ Seine Worte waren kaum noch zu hören. Tränen entkamen seinen Augen und Maron sah sprachlos dabei zu, wie sie ihm das Gesicht herunterliefen. Sie selbst hatte Tränen in den Augen, rückte näher zu ihn heran, soweit es noch möglich war und umarmte ihn fest. Chiaki vergrub sein Gesicht in ihre Schulter, schlang seine Arme enger um sie. Tröstend strich Maron ihm über den Rücken. Sie wusste immer noch nicht, wie genau das Feuer ausgelöst wurde. Vermutlich war es ein Unfall gewesen, schließlich hatte er gesagt, dass er es nicht gelegt hatte. Aber dass er sich trotzdem für den Tod seines Stiefvaters verantwortlich machte und sich dafür hasste keine Hilfe geholt zu haben, brach ihr das Herz. Sie befürchtete, dass sein Selbsthass und seine Schuldgefühle umso größer wären, wenn er was mit dem Feuer zu tun gehabt hätte und dass er sich nie im Leben verzeihen würde. Wenn sie ehrlich mit sich war, so konnte sie ihn verstehen. Oftmals hatte sie Momente, in der sie sich dafür hasste, dass sie nicht früher schreien, schneller rennen oder stärker sein konnte, um ihre Mutter zu retten... Liebevoll hielt sie Chiaki in den Armen, es fühlte sich wie Stunden an. Gelegentlich gab Maron ihm sanfte Küsse auf den Kopf. Er war vollkommen ruhig, während er stille Tränen weinte, die sich in ihr Shirt einsogen. Nach einer Weile sah er plötzlich zu ihr auf, drückte ihr einen kleinen Kuss an den Hals. Sie spürte, wie er tief ein- und ausatmete und seinen Kopf an ihre Halsbeuge kuschelte. „Lass uns morgen von hier verschwinden“, sagte er und drückte sie enger an sich, wobei Maron ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen verwirrt ansah. „Nur du und ich. Den ganzen Tag. Einfach weg von all dem Schwachsinn hier“, sprach er weiter, klang dabei fast wie der Alte und blickte zu ihr auf. Maron sah mit einem warmen Lächeln auf Chiaki herab und nickte zustimmend. Sie hatten zwar die Nächte immer zusammen, aber tagsüber die gemeinsame Zeit mal in Ruhe zu genießen war einfach nicht möglich, ohne dass Leute jedes ihrer Bewegungen analysierten. Ebenso waren sie beide in letzter Zeit ziemlich viel Druck ausgesetzt gewesen. Vor dem Hintergrund war ein schöner Tag zu zweit daher genau das, was sie brauchten. So einen schönen Tag, ähnlich wie zu ihrem Date vor Weihnachten. Zufrieden seufzend kuschelte Chiaki sich wieder an Maron’s Schulter an. Summend strich sie ihm weiterhin durchs Haar und Momente später schliefen sie seelenruhig ein. THIRTY-ONE ---------- THIRTY-ONE   Am nächsten Morgen schien es Chiaki besser zu gehen. Zumindest war das Maron’s erster Eindruck. Sie beobachtete ihn dabei, wie er sich schläfrig durch die Haare fuhr. Da sie allerdings nicht viel Zeit hatte, um über die gestrige Nacht nachzudenken oder mit ihm darüber zu reden, stand sie vom Bett auf, zog sich schnell um und packte ihre Sachen zusammen. Anschließend drehte sie sich nochmal zu ihm um. Ihre Blicke trafen sich. Chiaki lag noch immer im Bett, blinzelte müde. Seine Augen waren gerötet und man konnte ihm ansehen, dass er geweint hatte. Aber das Lächeln was er Maron schenkte, als sie zu ihm kam, war ehrlich und frei von jeglichem Kummer. Er setzte sich auf, um ihr einen liebevollen Kuss auf die Wange zu drücken. Anschließend hielt er ihr Gesicht sachte in beide Hände, strich über ihre Wangenknochen, küsste sanft ihre Lippen und lehnte seine Stirn an ihrer. Lächelnd zog Maron sich zurück, war froh drüber, dass es ihm besser ging. Chiaki lehnte sich mit einem müden Lächeln in sein Kissen zurück. „Ich hole dich gegen zehn ab“, kündigte er mit verschlafener Stimme an. Maron’s Lächeln wurde bei der Tatsache, dass er weiterhin mit ihr heute ausgehen wollte, noch breiter und sie nickte enthusiastisch. „Und pack was zu essen ein“, fügte er hinzu, ehe sie ging. Nickend winkte Maron ihm zum Abschied zu. Sie verließ sein Zimmer mit einem erleichterten Gefühl und hoffte, dass sie gestern ihm ein bisschen dabei helfen konnte, den Schmerz aus der Vergangenheit zu verarbeiten. Chiaki hatte schließlich auch all ihre Bürden immer auf sich genommen – es fühlte sich gut an, dass auch mal für ihn zu tun.   Takumi nahm die Info, dass sie heute ausgehen würden mit einem simplen Nicken zur Kenntnis, schien keine Einwände zu haben. Miyako war hingegen heiß darauf zu wissen, wohin sie gingen und was sie machen würden. Zu blöd, dass Maron selbst keine Antworten auf ihre Fragen hatte. „Was soll das heißen, du hast keine Ahnung?“, kam es von Miyako verständnislos. Gerade saß sie auf Maron’s Bett, während Maron durch ihren Kleiderschrank wühlte und augenrollend mit den Schultern zuckte. Ihr persönlich war es egal, wohin sie gingen, solange sie an Chiaki’s Seite war. „Weißt du schon, was du anziehst?“, hörte sie Miyako fragen. Wieder zuckte Maron mit den Schultern, holte einen dicken, elfenbeinfarbenen Rollkragenpullover raus und schmiss es zur weiteren Überlegung aufs Bett. Auf einmal stand Miyako neben ihr, schob ein paar Sachen im Schrank hin und her und holte einen hellgrauen Rock mit passenden Winterstrumpfhosen raus. „Das passt“, sagte sie und hielt ihr die Sachen mit dem Pullover entgegen. Maron verzog unschlüssig das Gesicht. „Das steht dir bestimmt super“, merkte Miyako lächelnd an. „Mhmm... okay“, nickte Maron nach einigen Sekunden, nahm die Sachen entgegen und zog sich um. Mit einem kritischen Blick betrachtete sie sich schließlich im Spiegel. Das Outfit stand ihr wirklich gut, gab sie innerlich zu. Gemütlich und doch in gewisser Weise elegant und süß. [x] Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem zufriedenen Lächeln hoch. Sie trug Make-Up auf ihr Gesicht auf, um ihr immer noch vorhandenes Veilchen zu verdecken und schminkte sich zusätzlich noch ein wenig die Augen und die Lippen. Anschließend machte sie sich wie gewohnt noch die Haare – Miyako half ihr etwas dabei. Nachdem Maron mit ihrem Äußeren fertig war, machte sie noch schnell ein paar Sandwiches, welche sie mitnehmen würde. Einfach und simple. Diese packte sie in eine große Tasche ein, zusammen mit zwei Flaschen Wasser und ein paar Snacks. Um zehn klingelte es auch an der Tür. „Ich mach schon!“, rief Maron durchs Haus und verabschiedete sich bei allen. Aufgeregt schnappte sie sich ihre Jacke und schulterte sich ihre Tasche über. Sie öffnete die Tür und sah Chiaki lächelnd vor sich stehen. Er sah wie immer umwerfend aus, trug einen grauen Pullover mit Hemd unten drunter und die passende Jacke drüber, kombiniert mit schwarzer Jeans. „Hey“, er beugte sich zu ihr runter, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und nahm ihr die Tasche ab. „Wunderschön siehst du aus“, sagte er mit einem Hauch von Faszination in der Stimme. „Danke“, kam es von ihr peinlich berührt und nahm seine freie Hand. „Du siehst auch gut aus.“ Grinsend verschränkte Chiaki seine Finger mit ihren, drückte ihre Hand und ging mit ihr zu seinem Auto, öffnete ihr die Tür. Gespannt darauf, wo sie hinfahren würden, stieg Maron ein und schnallte sich an. Ohne weitere Worte fuhr er los. Die Fahrt verbrachten sie in einem angenehmen Schweigen, nur die Musik aus der Anlage war zu hören. Es war ein schöner, sonniger Wintertag. Der blaue Himmel war frei von Wolken und Maron genoss das warme Gefühl der Sonne auf ihrem Gesicht. Chiaki hatte sich unterdessen eine Sonnenbrille aufgesetzt, als sie mal an einer Ampel standen. Es dauerte einige Minuten bis Maron feststellte, dass sie aus Momokuri rausfuhren. „Wo fahren wir denn hin?“ Sie konnte sich die Frage nun doch nicht verkneifen. „Wirst du schon sehen“, kam es als Antwort. War zu erwarten. Chiaki grinste, den Blick weiterhin auf die Straße gerichtet. Augenrollend sah sie wieder aus dem Fenster raus. Nach einer halben Stunde hielten sie schließlich vor einem Wald mit einem großen Hügel an. Mit hochgezogener Augenbraue sah Maron Chiaki an, als er den Motor ausmachte, den Schlüssel raussteckte und seine Sonnenbrille ablegte. „Wir müssen da entlang“, sagte er nüchtern und deutete mit dem Finger auf den Hügel. „Okay...?“ Mit einem fragenden Gesichtsausdruck sah sie zwischen ihn und den Hügel hin und her. Sie stiegen beide aus dem Wagen aus und liefen Hand-in-Hand los. Neugierig sah Maron sich in alle Richtungen um. Es war eine schöne Gegend. Voller Natur. Die Stadt war hinter ihnen nur noch in weiter Ferne zu sehen. Schnee lag auf dem Boden, welches im Glanz der Sonne glitzerte und unter ihren Füßen mit jedem Schritt knirschte. Zum Glück hatte sie ordentliche Stiefel an, die für so einer Wanderung geeignet waren. „Wie lange laufen wir?“, fragte sie, nachdem sie schon eine Weile gelaufen sind. „Nicht lange“, antwortete Chiaki, schulterte sich neben ihr die Tasche auf die Seite. Innerlich hoffte Maron, dass sie bald ankamen, denn der Weg wurde allmählich steiler und anstrengender. Nach einigen Minuten war sie schon schwer am Atmen, während Chiaki entspannt neben ihr herlief. „Sind... wir... irgendwann...da?“, brachte sie halb schnaufend, halb hechelnd und sichtlich genervt heraus. Kurz ließ Maron seine Hand los, blieb stehen und stützte sich erschöpft auf ihren Knien ab. „Sorry“, hörte sie Chiaki entschuldigend sagen. „Jetzt sind wir da.“ Sie schaute zu ihm auf und erblickte eine schöne, moderne Hütte hinter ihm, welches an einem See lag. Ihre Kinnlade klappte auf. Die Szenerie vor ihr sah so idyllisch und perfekt aus, wie aus einem Urlaubsmagazin. „Die gehört Kaiki“, erklärte Chiaki, der sich mit einer Hand über den Nacken fuhr, „Im Grunde genommen gehört die auch irgendwie mir und Shinji. Zumindest können wir die jederzeit nutzen und... naja, ich habe mir einfach den Schlüssel genommen und jetzt sind wir hier.“ Seine Wangen färbten sich verlegen rosa. „Ich dachte, wir können hier uns entspannen, die Ruhe genießen.“ Es dauerte einen Moment bis Maron sich wieder fasste. „Wunderschön...“, lächelte sie breit. „Es ist wunderschön hier.“ Ein erleichtertes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Chiaki nahm ihre Hand und führte sie in die Hütte. Von Innen sah sie genauso aus, wie man sich eine moderne Waldhütte vorstellen würde. Holzdecken und Holzwände waren zu sehen. Sie standen in einem großen Raum mit elektrischem Kamin, welches mit Fellteppichen und Polstermöbeln bestückt war. Eine kleine, offene Küche war zu sehen. Große Fenster boten einem den perfekten Ausblick zum See. „Bad ist dort“, hörte sie Chiaki sagen, der auf eine Tür zeigte und gleichzeitig ihr die Jacke abnahm. „Wenn man hier übernachten will, kann man einfach die Couch zu einem Bett rausziehen. Decken und Kissen gibt es in Überzahl.“ Er ging zum Sicherheitskasten und betätigte ein paar Schalter. „Wow...“ Erneut war Maron sprachlos. Sie ging zur Mitte des Raumes und ließ sich auf den weichen Teppich zwischen Kamin und Couch nieder, blickte sich fasziniert um. „Ich wiederhol mich, aber ich sage es nochmal: es ist wunderschön hier.“ Ihr Blick blieb schließlich auf dem großen Fenster zu ihrer Rechten haften und sie schaute mit einem faszinierten Lächeln zum See raus. Chiaki stellte ihre Tasche ab und setzte sich neben sie hin. „Ich bin froh, dass es dir gefällt“, sagte er und küsste liebevoll ihren Mund. Eine Hand strich fürsorglich ihren Rücken auf und ab, ein angenehmer Schauer überkam sie. „Ist dir kalt? Ich könnte den Kamin anmachen.“ Maron schüttelte warm lächelnd den Kopf. Nichtsdestotrotz stand Chiaki kurz auf, holte eine große Decke aus einer Bank heraus und legte sie ihnen beiden um die Schultern, als er sich wieder neben sie hinsetzte. Unterdessen hatte Maron die Sandwiches ausgepackt. „Bist du eigentlich oft hier?“, fragte sie neugierig. Er schüttelte den Kopf. „Früher hatte Kaiki uns des Öfteren hierhergebracht und hatte versucht mit uns zu fischen, damit ‚wir Stadtkinder ein bisschen mehr von der Natur mitbekommen‘“, sagte er mit verstellter Stimme und lachte belustigt. „In den letzten paar Jahren ist aber keiner von uns mehr hier hoch gekommen. Einmal oder zweimal im Jahr schickt Kaiki jemanden hoch, um hier sauber zu machen und nach dem Rechten zu sehen.“ Maron nickte verstehend. „Nun…wenn es ihm nichts ausmacht, dann können wir doch des Öfteren hier hoch kommen und nach dem Rechten sehen“, sagte sie kichernd, „Und passen darauf auf, dass kein Reh eingebrochen ist.“ Chiaki schmunzelte. „Der Schlüssel für die Bude hängt offen und für jeden sichtbar bei uns im Flur rum. Kaiki wird also schon gesehen haben, dass er weg ist und solange alles ganz bleibt, wird er nichts dagegen haben“, sagte er. „Und wenn du mit mir hierherkommen willst, können wir das jederzeit machen“, fügte er hinzu, küsste ihre Schläfe. Nickend lehnte Maron sich an seine Schulter an. „Das wäre perfekt…“ Die Vorstellung, dass sie hier ihren eigenen Rückzugsort hatten, war perfekt. Gemütlich aßen die beiden ihr Mittagessen, genossen die Aussicht, redeten und lachten ausgelassen. Es war schön - einfach sie selbst sein zu können, ohne sich von anderen Menschen beobachtet zu fühlen. Und dieser Ort war durchaus perfekt zum Abschalten. Nach einiger Zeit hatten beide fertig gegessen und sind etwas nach hinten gerutscht, sodass sie mit den Rücken an der Couch gelehnt waren. Maron kuschelte sich an Chiaki’s Seite an, während er einen Arm auf ihrer Taille ruhen hatte. Für die nächsten Minuten erzählte Chiaki ihr von seinem Einkauf beim Floristen mit Yamato. Lachend hielt sie sich jedes Mal den Bauch, wenn er anfing seinen Freund zu zitieren und nachzuäffen. Teilweise konnte sie Miyako in den Worten raushören. Und die Vorstellung, dass sie sich mit Yamato mal wirklich zusammen hingesetzt hatte und ihm einen Vortrag über Blumen und deren Bedeutungen gab, war einfach nur urkomisch. Chiaki lachte mit ihr, warf seinen Kopf sorglos an die Couch hinter ihnen zurück. Nach einigen Augenblicken schaffte Maron es sich etwas wieder zu beruhigen, wischte sich kichernd einige Lachtränen weg. „Ich fand die Blumen auf jeden Fall alle sehr bezaubernd“, sagte sie, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und entspannte sich neben ihn. Er drückte sie enger an sich. Für den Moment war Maron so glücklich, wie seit langem nicht mehr. Sie verbrachte wie jedes andere normale Mädchen Zeit mit ihrem wunderbaren Freund. Und sie realisierte, dass sie das sein konnte, wenn sie mit Chiaki allein war: Ein ganz normales Mädchen. Und sie genoss jede Sekunde davon.   Für eine lange Weile sagte keiner mehr was. Genossen einfach die Ruhe und die Nähe voneinander. Maron spürte, wie Chiaki mit den Spitzen ihrer Haare um ihre Taille spielte. Seufzend schloss sie ihre Augen, kuschelte sich noch näher an ihn ran, legte ihre Wange an seine Halsbeuge ab. Sie spürte, wie er mit der anderen Hand ihr Kinn hob. Sie öffnete ihre Augen und blickte direkt in seine, die sie liebevoll anblickten. Sie wusste nicht, ob er sich zuerst zu ihr runtergelehnt oder ob sie sich zu ihm vorgebeugt hatte – denn im nächsten Augenblick berührten sich ihre Lippen. Zunächst ganz sanft. Und dann fester. Innig küssend, brachte sie ihre Hände zu seinem Nacken hoch, presste ihre Gesicht an seines. Seine Hand wanderte von ihrem Kinn zu ihrem Hinterkopf, während die andere auf ihrem Rücken ruhte. Die Decke rutschte ihnen von den Schultern runter und langsam ließ sie sich rücklings auf den weichen Teppich fallen. Er achtete mit seiner Hand auf ihrem Hinterkopf darauf, dass sie sich nicht wehtat. Ihre Münder hörten nicht auf einander zu liebkosen. Er war auf einem Ellenbogen über sie gestützt und presste sich enger an sie. Beide konnten sich ein Seufzen schwer unterdrücken. Ihre Hand wanderte von seinem Nacken zu seiner Brust und sie konnte sein Herz durch den Stoff seiner Klamotten spüren. Seufzend strich sie mit ihrer Zunge über seine Unterlippe, als sie sich für einen kurzen Moment trennten, ehe er sie mit Leidenschaft wieder küsste. Sie spürte wie seine Hand um ihre Taille langsam nach vorne wanderte und zunächst auf ihrem Bauch ruhte. Atemlos keuchte sie in seinen Mund, bewegte ihre Lippen gierig auf seinen, spielte mit seiner Zunge. Ein raues Stöhnen war von ihm zu vernehmen. Er schob mit einem Finger ihren Rollkragen runter und begann kleine Küsse auf ihren Hals zu verteilen, worauf sie aufseufzte. Anschließend versiegelte er erneute ihre Lippen miteinander, küsste sie als wäre sie sein Sauerstoff. Langsam und vorsichtig wanderte seine Hand von ihrem Bauch etwas weiter hoch. In dem Moment, als seine Hand ihre Brust berührte und etwas Druck ausübte... überkam sie ein irrationaler Anflug an Panik, welches ihr Inneres zusammenziehen ließ und sie stieß ihn abrupt von sich, haute dabei ausversehen ihre Hand hart gegen sein Kinn. Ein Schmerzenslaut war von ihm zu hören. „Argh!“ Leicht zitternd schnappte Maron nach Luft und setzte sich auf. Mit erschrocken großen Augen starrte Chiaki sie an, hielt sich das Kinn. In seinem Gesicht spiegelte sich dieselbe Verwirrung wider, wie sie gerade empfand. „S-S-Sorry...“, brachte sie angestrengt hervor. Noch immer rang sie nach Luft, versuchte diese Panik in ihrem Inneren zu lösen. Seine Augen wanderten von ihrem Gesicht zu ihrer Brust runter und wieder hoch. Er ließ seine Hand fallen und sein Gesichtsausdruck wurde noch bestürzter. „Shit. Maron, das tut mir so leid“, sprudelte es schnell aus ihm heraus. Besorgt blickte er sie an. Chiaki streckte seine Hand nach ihr aus, stoppte jedoch, als hätte er Angst davor sie zu berühren und es noch schlimmer zu machen. Maron schüttelte den Kopf, versuchte tief durchzuatmen. Sie zog ihre Knie an, senkte ihren Kopf tief runter und zählte gedanklich bis fünfzig, konzentrierte sich darauf ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen. Sie hatte keine Flashbacks, aber dieses nervenaufreibende, irrationale Gefühl von Hilflosigkeit machte sie fertig. Es war so dumm und frustrierend, ihr war zum Heulen zumute. Es dauerte nicht lange bis Maron wieder normal atmen konnte. Sie wusste, dass es nicht so ein Zusammenbruch war, wie sie es sonst immer hatte. Eher wie eine verminderte Version davon. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie sich traute zu Chiaki aufzublicken, der mit einem besorgten Gesichtsausdruck vor ihr saß. „E-E-Entschuldige...“, stotterte sie, senkte beschämt ihren Kopf. „Habe ich dir wehgetan?“ Er ignorierte ihre Frage, war voll und ganz auf sie fixiert. „Geht es dir gut?“ Er blickte sie entschuldigend an. „Ich hätte dich vorwarnen sollen, oder so... Es tut mir so leid, Maron.“ Seine Stimme war mit Reue gezeichnet. Sie sah ihm in die Augen und schnaubte kopfschüttelnd. Ihre Finger begannen im Fell des Teppichs rumzufummeln. „Mir war klar was passierte…und was du vorhattest, Chiaki“, sagte sie säuerlich und rollte mit den Augen. „Glaub mir, ich wollte es. Es war nur-“ Maron verstummte, presste sich verbittert die Lippen fest zusammen, als die Frustration überhand nahm. „Es war nur mein bescheuerter Kopf...“, knurrte sie, sah frustriert zu Boden und versuchte sich die anbahnenden Tränen zurückzuhalten. „Oh...“, hörte sie Chiaki sagen, nachdem er realisierte, was sie meinte. „Shit, ich hätte daran denken sollen...“, sprach er eher zu sich selbst, als an sie gewandt. Einige stille Sekunden später seufzte er tief aus. „Wie sehr ich mir wünsche, dieses Stück Abschaum eigenhändig umzubringen“, murmelte er leise, strich sich knurrend durch die Haare. Maron blickte mit einer ausdruckslosen Miene zu ihm auf. Selbst in ihren glücklichsten Momenten schaffte dieses Monster es sie heimzusuchen und ihr Leben zu ruinieren. Das Universum musste sie wirklich hassen… Chiaki rückte näher zu ihr heran und sah sie mit einem tröstenden Lächeln an. „Mach dir nichts draus“, sprach er sachte auf sie ein, strich ihr sanft eine Strähne hinters Ohr. Er legte seine Hand auf ihre, drückte sie leicht und strich ihr mit dem Daumen über die Haut. Seine Berührungen besänftigten sie ausnahmsweise nicht. „Das vergeht mit der Zeit bestimmt. Und garantiert passiert normalen Mädchen sowas ähnliches, wenn sie so berührt werden.“ Maron schnellte ihren Kopf in seine Richtung, blickte ihn mit verengten Augen wütend an. Seine Worte und die Realität trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie war weit entfernt von normal, dass wussten sie beide. Was machte sie sich auch was vor. Sein Lächeln fiel und er blinzelte sie verwirrt an. „Pfff!“ Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust, wandte sich verbittert von ihm ab, „Normale Mädchen...“ *** Chiaki könnte sich ins Gesicht schlagen als er sah, wie Maron ohne Weiteres aufstand und sich mit ihrer Jacke nach draußen begab. „Fuck…“ Er begann zu realisieren, wo sein Fehler war, stand schnell auf und lief ihr hinterher. „Maron, warte!“ Er war ein Idiot. Wollte sie trösten und haute am Ende den dümmsten Satz raus, den er ihr sagen konnte. Mit dem Rücken zu ihm gewandt, stand sie draußen. „So habe ich das nicht gemeint! Glaub mir doch“, flehte er, als er nur noch wenige Schritte hinter ihr war. Sie schnaubte, hatte die Arme immer noch vor sich verschränkt, drehte sich nicht zu ihm um. Chiaki strich sich schwer seufzend durch die Haare. Er wusste, dass Sex und Intimität für sie eine große Sache war. Er wusste aber auch, dass sie bei weitem noch nicht bereit dafür war - dies hatte sich jetzt auch bestätigt. (Ein Teil von ihm wollte ihr sowas wie „Ich hab’s dir doch gesagt“ sagen, aber das wäre unsensibel und würde sie noch wütender machen.) Er wollte sie nicht verletzten. Aber wenn er ehrlich mit sich war, dann war es doch wahr. Sie war nicht normal. Er auch nicht. Und was bedeutet normal überhaupt? Wer setzt die Standards? Und was war so toll daran normal zu sein, dass sie sich jetzt so ärgerte? Wenn er so darüber nachdachte, dann wusste er die Antwort zu seiner Frage schon: nämlich die einfache Tatsache, kein normales Mädchen zu sein. Es ärgerte sie, dass sie anders war. Und selbst in seiner Gegenwart war ihr die Normalität, nach der sie sich immer sehnte, verwehrt. „Du weißt, dass du perfekt für mich bist. Ich liebe dich und alles andere spielt keine verdammte Rolle“, versuchte er auf Maron einzusprechen, ging auf sie zu, nahm sanft ihre Hand. Klar, es wäre schön intimere Sachen mit ihr zu machen, sie zu berühren und mit ihr eventuell weiterzugehen. Aber sie war so viel mehr für ihn. Er liebte sie. Vom ganzen Herzen. Sie erweckte mit einem Blick allein Gefühle in ihm, bei denen er nie gedacht hätte, sie zu empfinden. Bei ihr war Sex und alles drumherum Nebensache. Seine Aussage ließ Maron unberührt. Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und sah wieder weg. Chiaki kannte den Ausdruck auf ihrem Gesicht, in ihren Augen. Sie fühlte sich wie ein Freak. Normalerweise würde er ihr seine Makel zeigen, um sie besser fühlen zu lassen. Doch in dem Bezug gab es nichts, was er ihr bieten konnte. Es war wie zu der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, wo sie ihn trösten wollte, aber nicht wusste wie. Wortlos schüttelte Maron seine Hand ab und ging den Hügel runter, wollte anscheinend nach Hause. Es waren gerade mal zwei Stunden vergangen, seit sie hier oben angekommen waren und eigentlich hatte Chiaki sich vorgestellt, noch ein paar Stunden länger mit ihr in der Hütte zu verbringen... Natürlich konnte er sich das jetzt abschminken. Er holte noch schnell ihre Tasche, schloss die Hütte ab und folgte ihr schnellen Schrittes nach unten zum Auto. Wie ein Gentleman machte er ihr die Tür auf, doch diese Geste ließ nicht mal ihre Mundwinkel ansatzweise hochzucken. Während der Heimfahrt warf er ihr immer wieder besorgte Seitenblicke zu. Kein einziges Mal erwiderte sie seinen Blickkontakt. Sie blickte starr aus dem Fenster raus, mit denselben frustrierten Ausdruck auf ihrem Gesicht - beobachtete schweigend die Bäume und Autos, die an ihnen vorbeiziehen. Zu Hause angekommen, reichte er nach ihr und strich sanft mit seiner Hand über ihren Nacken. Sie ließ still seufzend ihre Schultern sinken. Er begleitete Maron noch zur Tür, sagte ihr, dass er sie liebte und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. Zumindest zauberte ihr das ein kleines, halbes Lächeln auf die Lippen.   Den Rest des Nachmittags verbrachte er damit zu grübeln. Versuchte einen Weg zu finden, sie in irgendeiner Weise aufzuheitern. Und irgendwie kam es schließlich dazu, dass er vor seinem PC hing und sich über ihre Kondition schlau machte. Denn er musste zugeben, dass er ein ignoranter Schwachkopf in der Hinsicht war. Er behauptete zwar immer von sich, dass er alles über sein Mädchen wüsste und wie man sie behandelte, aber in Wahrheit hatte er gar keine Ahnung. Zumindest von den medizinischen und psychologischen Aspekten. Es dauerte nicht lange bis Chiaki mit unzähligen Tabs vor seinem Bildschirm saß. Es war alles sehr verwirrend. Mindesten ein Tab hatte er immer auf, um die medizintechnischen Fachbegriffe nachzuschlagen. Und dann musste er selbst für die Erklärungen ein Wörterbuch zur Hilfe holen. Letztendlich verbrachte er den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend vor dem Bildschirm, las sich eine Vielzahl von Medizinseiten über PTBS und ihren Phobien durch. Es fing mit unschuldiger Neugier an und irgendwie trieb ihn Interesse über diese Themen weiter an. Er war so vertieft in seiner Recherche gewesen, dass er gar nicht bemerkte wieviel Zeit vergangen war, als sein Mädchen schließlich an seiner Balkontür klopfte. Sofort schaltete Chiaki seinen PC aus und machte Maron die Tür auf. Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln, welches immer noch etwas bedrückt wirkte. Wenigstens schien es ihr etwas besser zu gehen. Er ließ sein Mädchen rein, umarmte sie und küsste sie liebevoll. Sie erwiderte den Kuss sanft, umarmte ihn zurück. Ihre Lippen trennten sich und sie lehnte seufzend ihren Kopf an seine Schulter an. „Entschuldige wegen heute“, wisperte Maron reumütig. Chiaki strich ihr sachte über den Kopf. „Kein Grund dich zu entschuldigen.“ Erneut war ein schwerer Seufzer von ihr zu vernehmen. Sie sah zu ihm auf und schenkte ihm ein Lächeln, welches ihre Augen nicht erreichte. Er neigte seinen Kopf. „Du bist immer noch aufgebracht.“ Zuerst zuckte sie mit den Schultern und nickte anschließend zur Bestätigung. Sanft nahm er ihre Hand und führte sie zu seinem Bett, setzte sich zusammen mit ihr auf die Bettkante hin. „Warum?“, fragte er sanft. Maron sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an, ehe sie seufzend wegsah. „Du weißt doch warum...“ „Ich will trotzdem von dir hören warum.“ Er blickte ihr eindringlich in die Augen, hielt weiterhin ihre Hand. Frustriert kaute sie für einen Moment auf ihre Unterlippe. „Es ist nur...“, setzte sie langsam an, „Die Tatsache, dass ich uns daran hindere den nächsten Schritt zu gehen, frustriert mich... Bis jetzt war zwischen uns alles normal gewesen und dann das! Und ich verstehe einfach nicht, woher diese Reaktion -diese Panik- kommt.“ „Ich würde sagen, du hast Angst vor mir“, erwiderte Chiaki ruhig, hielt nach wie vor ihre Hand und strich liebevoll mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Ich habe keine Angst vor dir“, entgegnete Maron direkt. „Nicht bewusst.“ „Gar nicht.“ Er neigte wieder seinen Kopf, sagte nichts, sah ihr dabei zu, wie sie genervt schnaubte und ihren Kopf wegdrehte. „Hey...“, sagte er nach einigen stillen Momenten, nahm ihr Gesicht in beide Hände und drehte sie wieder zu sich hin. „Sag: was willst du?“ Sie blickte ihn direkt an. „Dich.“ „Du hast mich.“ Seine Augen trafen auf ihre. „Du hast mein Herz. Du besitzt meine Seele.“ Mit großen Augen blinzelte sie ihn an. „Ich liebe dich, Maron. Ganz gleich, was du tust und wie du tickst. Ich liebe dich, egal was ist.“ Seine Worte scheinen im Vergleich zu heute Nachmittag Wirkung auf sie zu haben. Ihre braunen Augen blickten ihn berührt an. Sie schluckte. Sanft strich er über ihre beiden Wangen. „Du bist stärker als du denkst. Lass die Angst nicht Herr von dir sein. Sei dein eigener Herr.“ Sie nickte. „Und egal was ist“, sprach er weiter, „Ich werde bei dir sein und dir bei allem beistehen und helfen. Diese Sache werden wir auch gemeinsam überwinden, okay?“ Wieder nickte sie. Lächelnd küsste er sie sanft. „Wir können es versuchen“, wisperte er gegen ihre Lippen, „Wir können es schrittweise versuchen. Immer einen Schritt nach dem anderen. Es besteht keine Eile.“ Er drückte ihr einen weiteren Kuss auf den Mund. „Wenn du dich unwohl fühlst“, er blickte ihr in die Augen, „Dann sag ‚Stopp‘.“ Ein leises Kichern entkam ihm. „Oder verpass mir einen Kinnhaken.“ Sie lächelte verlegen in sich hinein. „Egal wie. Stopp mich, wenn es dir ansatzweise unangenehm wird. Hast du verstanden, Maron?“ Sie nickte verstehend. „Und reg dich nicht auf, wenn es wie heute Nachmittag nicht klappt, okay?“ Wieder ein Nicken. „Okay“, sagte sie leise, schenkte ihm ein hoffnungsvolles Lächeln was auch diesmal ihre Augen erreichte. *** Maron sah wie Chiaki sie mit aller Liebe, die er für sie hatte, anlächelte. Seine Worte ersetzten all die Frustration und Verbitterung, die sie den halben Tag verspürt hatte, mit einem gewissen Fünkchen Hoffnung. Und er hatte auch recht. Sie durfte sich nicht von ihrer Angst und ihrer Panik unterkriegen lassen. „Lass uns was Simples probieren“, sagte er plötzlich und rutschte zur Mitte des Bettes hin. „Komm her“, klopfte er auf die Stelle vor ihm. Maron gehorchte, blickte ihn neugierig an. Sie saß ihm gegenüber. „Schließ deine Augen“, sagte er ihr und sie tat es. „Ich möchte, dass du dich uns an einem Ort vorstellst, den du liebst.“ Sie nickte. „In der du dich sicher fühlst.“ Während er sprach, manifestierte sich der Raum vor ihrem geistigen Auge. Im Grunde genommen befand sie sich in ihrem Kopf dort, wo sich ihr Körper jetzt gerade auch aufhielt. „Wo sind wir?“, hörte sie seine sanfte Stimme fragen. „Dein Zimmer.“ „Wirklich?“, fragte er ungläubig, klang ehrlich überrascht. Sie nickte. „Ich liebe es und fühle mich wohl darin“, erwiderte sie mit einem Grinsen. „Okay. Wo in meinem Zimmer befindest du dich jetzt?“ „Einfach... mitten im Raum stehend, schätze ich.“ „Und wo bin ich?“ Sie sah Chiaki klar und deutlich, an der Balkontür angelehnt. „An der Balkontür angelehnt“, sagte sie ihm - obwohl… Jetzt waren sie in ihrem Kopf nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Mit einer warmen, samtigen Stimme sprach er weiter: „Es ist dunkel draußen. Ist Licht an?“ „Die Nachttischlampe“, zuckte sie mit den Schultern. „Okay. Ich steh an der Balkontür. Soll ich auf dich zugehen?“ „Ja“, sagte sie, ihre Atmung beschleunigte sich etwas. „Und was dann?“ „Wie?“ Ihre Brauen zogen sich zusammen. „Ich dachte, du übernimmst die Führung hier.“ „Ich denke, du solltest auch ein Mitspracherecht haben“, sagte er mit leichter Belustigung. „Wie viel Spielraum habe ich denn? Wie sehen meine Optionen aus?“ „Du könntest ein Poesiebuch lesen, während ich allein in einer Ecke mit Wachsmalkreide male, nehme ich an.“ Sie konnte förmlich hören, wie Chiaki mit den Schultern zuckte. „Oder wir beschmieren uns mit Marmelade, wandern über die Dächer der Stadt und beten den Mond an. Lass deine Fantasie spielen.“ Maron rollte hinter ihren verschlossenen Lidern die Augen. „Fein“, sagte sie, „Du nimmst meine Hand und führst mich zum Bett.“ „Klingt schon mal nach was“, hörte sie ihn grinsen. „Was dann?“ „Du setzt dich und bringst mich mit runter.“ „Wo bist du?“, fragte er. „Du ziehst mich auf deinem Schoss herunter.“ „Wo sind deine Beine?“ „Um deine Hüfte.“ „Nun“, sagte Chiaki, seine Stimme wurde etwas rauer, „Es wird interessant. Also, ich sitze auf der Bettkante und habe dich rittlings auf meinem Schoss sitzen. Meine Arme sind um dich gelegt, damit du nicht fällst. Was trage ich?“ „T-Shirt“, antwortete sie lächelnd. „Kein Anzug?“ „Wie James Bond?“ „Ja.“ „Zu viele Schichten“, schüttelte sie schmunzelnd den Kopf. Obwohl – bei der Vorstellung von Chiaki in einem Anzug, die Haare wild abstehend und seine Fliege offen um den Kragen hängend, musste sie schlucken. Ihr wurde heiß. Ein tiefes, raues Kichern war von ihm zu vernehmen. „Okay, ich trage ein T-Shirt. Und unten rum?“ „Einfache Sweatpants“, sagte sie. „Die sind recht dünn, weißt du.“ Dem war sie sich bewusst. „Japp“, grinste sie, rutschte etwas näher in seine Richtung. Ihre Knie streiften sich minimal. „Okay“, sagte er, „Und was trägst du?“ „Keine Ahnung. Einen Raumanzug. Wen interessiert’s?“ „Ich denke, es sollte anschaulich und lebhaft wie möglich für dich sein“, entgegnete er. „Also, was trägst du?“ „Kapuzenpulli und ebenfalls Sweatpants, denke ich.“ „Irgendwas unten drunter?“ „Ich laufe für gewöhnlich nicht ohne Unterwäsche herum.“ „Für gewöhnlich?“ „Nur zu speziellen Anlässen.“ „Gott. Ich meinte unter dem Pulli.“ „Ah...Ein Tanktop, schätze ich.“ „Welche Farbe?“ „Weißes Top. Schwarzer Pulli. Graue Hose“, fasste sie ungeduldig zusammen. „Ich wäre bereit fortzufahren.“ Ein amüsiertes Lachen war von ihm zu hören. Sie bemerkte, wie er näher zu ihr heranrückte. Konnte seinen heißen Atem an ihrem Ohr spüren. „Zu dem Part, wo ich mich zurücklehne und dich mit mir runterziehe?“ Ihr Atem blieb fast hängen. „Und du über mir bist“, sagte er, die Stimme tief und rau. „Zu dem Part, wo meine Hände dir die Haare aus dem Gesicht streichen? Und meine Finger deinen Rücken auf und ab wandern, an deiner Hüfte verweilen?“, wisperte er gegen ihre Haut. „Und dann sage ich dir, dass ich mir jedes deiner Konturen und Kurven ins Gedächtnis einprägen will und-“ Maron ließ ihn nicht weiterreden, schnitt ihm mit ihren Lippen auf dem Mund das Wort ab. Im nächsten Moment saß sie auf seinen Schoss und er fiel nach hinten. „Sagte ich nicht, dass wir das Schrittweise angehen“, wisperte er gegen ihre Lippen. „Hmmm“, kam es von ihr nur und versiegelte ihre Lippen zu einem innigen Kuss. Seufzend rollte er sich mit ihr auf die Seite. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, zog ihn zu sich heran. Eine Hand von ihm begann langsam ihren Rücken auf und ab zu fahren. Mit sanften Berührungen strich er ihr über die Schulter und dem Arm, während er sie küsste. Sie fuhr eine Hand über seine Muskeln. Ein angenehmer Seufzer war von ihm zu hören. Nach einigen Momenten konnte sie fühlen, wie seine Fingerspitzen über den Ansatz ihrer Brust glitten. Ähnlich wie heute Nachmittag, spürte sie diesen minimalen Anflug an Panik in ihrem Inneren. Sie zog scharf Luft ein. „S-Stopp“, flüsterte sie atemlos. Sofort befand sich seine Hand wieder auf ihrem Rücken. Sie versuchte sich die Frustration wegzuschlucken, öffnete ihre Augen und blickte direkt in seine. Es dauerte einige Momente bis das Gefühl nachgelassen hatte. „Bist du okay?“, flüsterte er besorgt. Sie nickte, atmete einige Male tief durch und lächelte. „Küss mich“, bat sie ihn und er tat es. Es fühlte sich wie Stunden an, dass sie eng umschlungen da lagen, sich küssten und einander berührten. Beziehungsweise es versuchten. Mit jedem Berührungsversuch wurde das unangenehme Panik-Gefühl weniger und an manchen Momenten war sie sich nicht sicher, ob es da war, sagte ihm dennoch vorsichtshalber, dass er stoppen sollte. Nach einiger Zeit war gar nichts mehr zu spüren und als seine Hand sich mit gewissem Druck auf ihre Brust legte, konnte sie sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Maron öffnete ihre Augen und sah, dass Chiaki sie ebenfalls schief anlächelte. Seine Lippen trafen wieder auf ihre und presste er sich noch enger an sie heran, als noch möglich war. Sie konnte ihn hart gegen ihr Bein spüren. Ein Stöhnen entkam seiner Kehle. Seine Lippen wanderten federleicht über ihre Wange, zu ihrem Hals herunter, verweilten darauf. Während sie sich in dem warmen Gefühl seiner Lippen auf ihrer Haut verlor, spürte sie, wie er langsam anfing sie zu massieren. Sie keuchte und seufzte. Es fühlte sich gut an. Was für andere Frauen keine große Sache war, war für sie ein Erfolgserlebnis. Sie wusste, dass sich das am nächsten Tag wieder ändern konnte und der ganze Prozess wieder von vorne gehen würde. Ebenso würde es an anderen Körperstellen wahrscheinlich genauso schrittweise ablaufen. Aber es war für sie ein Hoffnungsschimmer. Ihre Küsse wurden mit der Zeit sanfter und zärtlicher. Die Müdigkeit überkam sie allmählich. „Wir sollten schlafen gehen“, wisperte Chiaki, die Lippen rot geschwollen und lehnte seine Stirn an ihrer an. Maron nickte und beide standen auf, um sich bettfertig zu machen. Minuten später lag sie unter der Decke in seinen Armen, konnte die Augen kaum noch offen halten. „Ich liebe dich“, hauchte sie ihm zu. Er küsste ihren Mund, ihre Nasenspitze und ihre Stirn. „Ich liebe dich auch.“ Seine Arme schlangen sich fest um ihre Taille. Mit einem müden Lächeln war sie schließlich eingeschlafen.   THIRTY-TWO ---------- THIRTY-TWO   Drei Wochen vergingen. Die Schule war wie immer. Klausuren und Tests wurden geschrieben und der Alltag nahm seinen Lauf. Sie waren nach wie vor noch Thema Nummer eins unter der Schülerschaft, aber Chiaki hatte das Gefühl, dass die Blicke und das Geflüster bereits nachgelassen hatten. Oder er hatte sich schon so daran gewöhnt, dass er alles ausblendete und es ihm nur so vorkam. Letztendlich war es ihm auch egal, solange er sein Mädchen bei sich hatte. Wie sie ausgemacht hatten, verbrachten sie die Mittagspause seit dem Montag der ersten Woche ab sofort auf dem Dach. Oben standen ein paar Tische und Stühle rum, auf denen sie sitzen und essen konnten. Chiaki hatte erwartet, dass er mit seinem Mädchen seine Ruhe oben haben würde. Aber leider Gottes hatte Maron Miyako gesagt, wo sie sich aufhalten werden, weshalb sie und Yamato ebenfalls aufs Dach kamen und sich zu ihnen gesellten. Und anscheinend hatte man auch Natsuki und Shinji Bescheid gegeben, die am Ende ebenfalls dazustießen. Fast hätte Chiaki es in Erwägung gezogen sich einen neuen Unterschlupf zu suchen... Wenigstens waren es nur sie sechs hier oben und die restliche Schülerschaft blieb ihnen für die sechzig Minuten erspart. Maron war deutlich entspannter und glücklicher mit der Konstellation, was ihn wiederrum glücklich und zufrieden stimmte. Für die meiste Zeit quatschten Miyako und Natsuki über belanglose Sachen (warfen Chiaki gelegentlich kühle, abfällige Blicke zu, die er mit einem genervten Augenrollen entgegen nahm), während Shinji irgendwelche sinnlose Kommentare machte, dumme Witze riss und Yamato sich darüber amüsierte. Ab und an steuerte Maron was in den Konversationen der Mädels bei. Sie war zwar immer noch ruhig und zurückhaltend, aber mit der Zeit wurde sie gesprächiger und sie begann auch mehr mit den Jungs zu reden. Chiaki lehnte sich neben sie gelassen (und größtenteils auch gelangweilt) in seinem Stuhl zurück, kraulte ihr nebenbei den Nacken. Selten gab er in all den Diskussionen seinen Senf dazu. Hauptsächlich, weil er keine Lust hatte, was zu sagen.   An einem Tag wurde es jedoch interessant. Miyako sprach über irgendeine Band, die sie liebte, während alle am Tisch saßen und aßen und mit halbem Interesse zuhörten. Sie begann ohne Punkt und Komma über die Musik zu schwärmen und machte auf ihrem Handy sogar eines ihrer Lieblingslieder an. Schon nach dem ersten Ton bluteten Chiaki’s Ohren. „Gott! Wie kann man sich sowas freiwillig anhören“, kommentierte er laut. Yamato zog mit Belustigung scharf Luft ein, da er ihre ach-so-tolle Lieblingsband so gesehen beleidigte. Miyako drehte ihren Kopf in seine Richtung, schaute ihn wie auf den Schlips getreten entgeistert an. Maron sah besorgt zwischen Chiaki und Miyako hin und her, als würde sie sich auf den dritten Weltkrieg einstellen. Aber auch Neugier war in ihrem Gesichtsausdruck mitunter gemischt. Shinji und Natsuki beobachteten gespannt das Geschehen am Tisch. „Oh verzeih mir, oh allwissender Meister der Musikwelt“, sagte Miyako voller Spott und Sarkasmus. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen vor der Brust zurück und sah Chiaki mit hochgezogener Augenbraue herausfordernd an. „Was ist den bitte akzeptable Musik für dich?“ Chiaki schenkte ihr ein selbstgefälliges, großspuriges Grinsen. Und damit begann die längste Konversation, die er je mit Miyako hatte. Er teilte ihr seine Vorstellung von akzeptabler Musik mit, zeigte ihr seine Playlist auf dem Handy und zu seinem Erstaunen, zeigte sie ihm im Gegenzug ihre Playlist. Er musste zugeben: ihr Musikgeschmack war nicht schlecht, trotz einiger Geschmacksverirrungen. Alle anderem am Tisch verfolgten die Interaktion mit großem Erstaunen mit und waren auch sichtlich geschockt, dass er und sie sich über etwas einig waren, was sie beide mochten. Seitdem Tag funkelte Miyako ihn auch nicht mehr feindselig an oder kam ihn mit herablassenden Blicken entgegen. Sie lächelte Chiaki sogar mit einem netten, schiefen Lächeln an, als die Mittagspause endete und sie mit Yamato Händchen haltend in ihre Klasse ging. Chiaki wusste nicht, was er selbst darüber denken und halten sollte. Sie waren jetzt nun nicht die allerbesten Freunde, oder ähnliches, aber sie kamen zu einem gewissen Verständnis. Maron war mehr als glücklich darüber, dass sie beide miteinander auskamen, konnte den Rest des Schultages nicht aufhören zu grinsen. Vor dem Hintergrund gab Chiaki sich selbst das Versprechen zu versuchen mehr mit Miyako klarzukommen.   Überhaupt, seit er mit den anderen jetzt jeden Tag die Mittagspausen verbrachte, hatte sich das Verhältnis zu ihnen stark verändert. So kam es an einem Nachmittag irgendwie dazu, dass er mit Shinji eine Art Bindungserlebnis hatte. Chiaki war gerade dabei gewesen sich etwas zu trinken in der Küche zu holen als er Shinji aus dem Wohnzimmer lautstark fluchen hörte. Er wusste, dass der andere am Zocken war und normalerweise würde er ihn ignorieren und sich wieder in sein Zimmer zurückziehen, aber aus unerfindlichen Gründen überwiegte die Neugier. Hinter der Couch stehend, schaute er Shinji beim Zocken zu, wie er unzählige Male versuchte einen Endgegner zu besiegen. Dasselbe Spiel spielten Chiaki und Yamato auch und diesen Endgegner hatte er vor nicht allzu langer Zeit mit Müh besiegt bekommen. „Alter, Fick dich!! Fick dich doch einfach! Was ist das für ein Drecksboss?!“ Und wieder verloren. Der wievielte Versuch war das? Der zehnte? Chiaki hatte schon aufgehört zu zählen. Shinji war drauf und dran den Controller auf Boden, an die Wand oder durch den Fernsehbildschirm zu schmeißen. Chiaki’s Anwesenheit hatte er noch nicht bemerkt. „Alter! Wie kriegt man dieses Drecksvieh besiegt?!“ „Spring auf dessen Rücken“, kam es als Tipp von Chiaki. Shinji drehte sich erschrocken um, blinzelte ihn überrascht an. „Woher weißt du das?“ Er zuckte nur mit den Schultern. „Wie gesagt, spring auf dessen Rücken und versuch dann auf dessen Kopf einzuprügeln.” Gerade als Chiaki gehen wollte, hielt Shinji ihn am Ärmel fest. „Warte, warte, warte! Du muss mir zeigen, wie das geht!“ „Was soll ich dir zeigen? Spring einfach auf dessen Rücken!“ „Wie denn, wenn es die ganze Zeit sich bewegt und mich angreift und mich mit einem Schlag tot macht?!“ Mit einigen unverständlichen Flüchen setzte er sich neben Shinji auf die Couch hin und gab ihm genervt Anweisungen zum Spiel. Doch selbst nach einer halben Stunde war noch kein Erfolgserlebnis zu sehen. „Bin ich zu blöd-“ Ja, bist du, dachte Chiaki sich. „-oder ist das Spiel einfach nur behindert?“, schnauzte Shinji frustriert. „Auf welcher Schwierigkeitsstufe spielst du überhaupt?“ „Critical.“ Die höchste Schwierigkeitsstufe. Kein Wunder, dass er nach einem Schlag immer stirbt. „Und nein, ich habe keine Lust alles auf Beginner-Modus zu wiederholen. Ich habe hunderte von Spielstunden da reingesteckt!“ Chiaki kniff sich stöhnend zwischen die Augen. „Komm. Hol den zweiten Controller und ich helf’ dir“, sagte er, „Das kann man sich doch nicht mit ansehen…“ Damit saßen die beiden für die nächsten drei Stunden vor der Konsole und zockten zusammen. Zwischendurch fragte Shinji nach Tipps zu diversen Nebenmissionen oder nach Kampfstrategien, die Chiaki ihm auch gab. Irgendwann kam Kaiki nach Hause und war sichtlich erstaunt darüber, die beiden zivilisiert im Wohnzimmer vorzufinden. Für gewöhnlich waren sie schnell genervt voneinander und motzten sich an, hatten sich früher ziemlich oft gestritten. Aber für den Moment war alles ziemlich entspannt. Das Zocken mit Shinji machte insgeheim auch Spaß und so schlecht war seine Gesellschaft nicht. Nach einer Weile hatten die beiden den Endgegner besiegt bekommen und Chiaki sah seine Pflicht als erfüllt an, begab sich wieder in sein Zimmer zurück. Shinji hatte sich noch mit einem kumpelhaften Schulterklopfen bedankt, zusammen mit dem Angebot, dass sie dies nochmal wiederholen könnten, worauf er mit einem „Mal sehen“ mit den Schultern zuckte.   Der eine Zock-Tag war durchaus mal was anderes gewesen. Denn in letzter Zeit verbrachte Chiaki seine Nachmittage für gewöhnlich damit weitere Recherchen über Maron’s Kondition zu betreiben, wenn er seine Schulsachen erledigt hatte. Er fand auch einige unheimliche Parallelen zwischen dem, was er las und seinen eigenen Angewohnheiten, aber er versuchte sich voll und ganz auf Maron’s Symptome zu fokussieren. Er versuchte die genaue Ursache ihrer Reaktionen zu seinen Berührungen herauszufinden. Ob es am PTBS oder an den Phobien lag. Eventuell fand er nach einigen Quellen heraus, dass die Phobien Begleiterscheinungen zu PTBS sind. Und dass das Gehirn -der Verstand- einem zu ungewollten Reaktionen zwingt. Je mehr Chiaki darüber las und lernte, desto mehr er fand das Ganze ziemlich faszinierend. Die Art und Weise wie das Gehirn und der Verstand arbeitet und zu bestimmten Situationen und Traumas reagierte. Er begann Maron und ihrer Kondition mit jedem Tag immer mehr zu verstehen. Nach einiger Zeit begann er schließlich zu anderen Themen abzuweichen, die nichts mit ihrer geistigen Erkrankung zu tun hatte. Zu denen Chiaki selbst aber Bezüge fand. Und wenn er ehrlich mit sich war, war er den Leuten in all den Beispielfällen ähnlicher als er sich selbst eingestand.   Für zwei bis drei Stunden, bevor Maron um zehn kam, verbrachte er seine Abende mit Kaiki in dessen Arbeitszimmer. Für gewöhnlich spielten sie eine Partie Schach und unterhielten sich über diverse medizinische Themen, die bei Chiaki neuerdings zunehmend an Interesse gewonnen hatten. Kaiki gefiel das sehr. Insbesondere wenn Chiaki von sich aus ein medizinisches Thema ansprach leuchteten seine Augen vor Freude auf und sie würden ewig lang darüber reden. Er versuchte die Konversationen dabei so neutral und sachlich wie möglich zu halten, wollte auf keinen Fall auf Maron’s Konditionen mit ihm eingehen. Er wusste, dass Kaiki neugierig über sie war, sich jedoch aus Respekt mit seinen Fragen zurückhielt. Chiaki verstand, dass er eventuell nur helfen wollte, nichtsdestotrotz vermied er es mit ihm über seine Freundin zu reden. Wenn es um psychologische Themen ging, warf Kaiki ab und an interessante Fakten und Theorien ein, die er von Dr. Anzai gehört hatte. Jedes Mal wenn er von ihr sprach, wollte Chiaki am liebsten fragen in was für einem Verhältnis sie genau zueinanderstanden. Aber er wollte nicht zu neugierig sein – im Grunde genommen ging es ihn auch nichts an, wartete einfach ab bis irgendwann der Tag kam, indem er sie ihnen vorstellen würde. Zum Ende des Abends war Kaiki immer derjenige, der die Schach-Partie gewann.   Eine Woche nachdem Chiaki bei Maron’s Familie eingeladen war, beschloss sie auch bei ihm zum Dinner zu kommen und sich Kaiki „offiziell“ vorzustellen. Und wie er von seinem Mädchen nicht anders erwarten konnte, wollte sie auch kochen. Chiaki hätte die Alternative eingeworfen, dass sie einfach in ein Restaurant essen gehen könnten, aber sein Mädchen ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. An dem Samstag kam sie gegen vier mit einer vollen Einkaufstüte in den Händen. Er nahm die ihr sofort ab. Sie trug an dem Tag ihre Haare natürlich glatt und sie war in einer einfachen Bluse mit Shorts und Strumpfhose gekleidet. Wunderschön, wie immer. Im Wohnzimmer begrüßte sie alle freundlich. Kagura war auch dabei gewesen, damit Maron ihn auch kennenlernen konnte. Chiaki war dennoch besorgt darüber, ob sie sich auch wirklich wohl mit allem fühlen wird, aber sie schien relativ entspannt neben ihn zu sein. Womöglich weil er immer an ihrer Seite war. Anschließend zeigte er ihr die selten benutzte Küche. Dort machte Maron als erstes alle Schränke und Schubladen auf, schaute nach wo alles sich befand. Danach arbeitete sie mit so viel Geschicklichkeit darin, als wäre sie bei sich zu Hause. Chiaki stand an der Kücheninsel angelehnt da und sah ihr fasziniert beim Kochen zu. Nach einer Weile hatte er allerdings keine Lust mehr ihr bei der Arbeit zuzusehen und wollte helfen. Und er musste sie nahezu anflehen ihr beim Schneiden zu helfen. „Ich werde einfaches Gemüseschneiden schon nicht verkacken, Maron.“ Sie beäugte ihn skeptisch. Zögernd gab Maron ihm ein Messer und ein Schneidebrett. Sie schaute ihm aufmerksam dabei zu, wie er das Messer in die Hand nahm und die Klinge an das Gemüse ansetzte. „Du hältst das Messer falsch“, sagte sie und richtete seine Finger um den Griff richtig. „Und so schneidest du dir noch die Finger ab“, damit korrigierte sie noch seine andere Hand. Chiaki sah Maron unsicher an und wieder runter, fing an zu schneiden. „Nicht so groß! Versuch die kleiner zu schneiden“, kam es von ihr. Er versuchte es, schnitt vorsichtig und achtsam weiter. Nur viel zu langsam. Seufzend schob Maron ihn mit ihrer Hüfte beiseite, nahm ihm die Sachen ab und schnitt flink alles zurecht. Chiaki kicherte belustigt. Dies war sein erster und letzter Versuch als Küchenassistenz, aber wenigstens ließ sie ihn den Tisch decken. Anschließend holte er die anderen. Mit großen Augen sahen Kaiki, Shinji und Kagura auf das Essen herab, das Wasser lief ihnen im Mund zusammen. Alle nahmen auf ihren Stühlen Platz und bedankten sich bei Maron herzlichst fürs Kochen. Kaiki überschüttete sie mit Komplimenten über ihre Kochkünste und sagte gleichzeitig, dass sie nicht so viel Aufwand hätte bringen müssen. Mit einem schüchternen Blick winkte sie ab. „Es war wirklich kein Problem für mich, Dr. Nagoya. Ich liebe es zu kochen“, sagte sie achselzuckend, nahm einen Bissen und lächelte verlegen. „Bitte nenn mich Kaiki“, erwiderte er lächelnd. Maron zögerte für einen Moment und nickte anschließend. „Kaiki.“ Der Rest des Abends verlief relativ gut ab. Ein bisschen Small-Talk hier und da. Man konnte sich nicht beschweren. Nach einer Stunde waren sie fertig und Maron verabschiedete sich höflichst von allen. Chiaki hatte sie wie ein Gentleman natürlich noch nach Hause begleitet, auch wenn er sie wenige Stunden später wiedersah.   Die Nächte mit ihr konnte er kaum abwarten. Sie gehörten schon immer zu seiner Lieblingstageszeit, wenn er sie mit seinem Mädchen verbrachte. Wenn sie zusammen allein in seinem Zimmer waren, konnte sie beide einfach sie selbst sein. Maron würde sich sorglos an ihn ankuscheln und mit ihm über den Tag reden. Und wenn sie nicht miteinander redeten, würden sie einen Film... oder Stunden damit verbringen sich zu küssen - miteinander rumzumachen bis sie müde wurden. Sie versuchten, wie besprochen, es schrittweise anzugehen, sich langsam heranzutasten – im wahrsten Sinne des Wortes. Er würde seine Hände zunächst über ihre weniger sensiblen Körperstellen gleiten lassen. Arme, Rücken, Bauch, Taille, Beine... Sein Mädchen mochte es, wenn er sie berührte. Ihre Hände würden sich auch auf Wanderschaft begeben. Meist auf seinem Rücken, seiner Brust und an den Seiten. Manchmal aber auch etwas weiter runter. Anschließend würde er sich langsam an ihren sensiblen, intimeren Stellen heranwagen. Es war ein langwieriger Prozess, aber es funktionierte irgendwie. An manchen Stellen brauchten sie einige Tage länger, bis er sie ohne Angstattacke berühren konnte. An machen weniger. Mit der Zeit wurde es auch hitziger zwischen ihnen. Trauten sich mit den Händen unter den Klamotten zu fahren. Erlaubten sich den Haut-auf-Haut-Kontakt. Es fühlte sich gut an.   Er liebte die Geräusche, die er ihr entlocken konnte. Insbesondere wenn er vage mit seinen Lippen über ihre freie Hautstellen, über ihre Narben, strich. Und wie sie unter seinen Berührungen vor Lust erschauderte. Er liebte es. Nichtsdestotrotz blieben die Klamotten an. Auch wenn Chiaki zugegeben oft Momente hatte, wo er am liebsten ihr Shirt über den Kopf ziehen wollte. Aber er hielt sich ihr zuliebe zurück, hatte ihr schließlich eindringlich gesagt, dass sie es nicht überstürzen sollten. Da musste er sich letztendlich auch dranhalten. Außerdem stellte er auch immer sicher, dass sie ihm den Takt vorgab. Neben ihrer Desensibilisierung versuchten sie zur selben Zeit auch zu erkundeten, was sie mochten und nicht mochten. Beispielsweise hatte Maron die Tendenz ihre Hände in seinen Haaren festzukrallen, was er zwar mochte, aber nur solange sie ihm nicht alle Haare aus dem Kopf riss. Sie wusste, dass er auf seinem Nacken unterhalb des Ohres seine Stellen hatte, mit der sie ihn in den Wahnsinn bringen konnte. Schon die kleinste Berührung mit ihren Lippen ließ ihn erschaudern, brachte ihn schon nahezu um den Verstand. Trotz allem achtete er darauf, dass er mehr um sie ging als um ihn. Fokussierte sich voll und ganz auf sein Mädchen.   Aber es gab auch Nächte, wo die beiden sich nicht wie hormongesteuerten Teenagers attackierten. Nächten, die von den Geistern ihrer Vergangenheit überschattet wurden. An einem Abend, als Chiaki dabei war mit Kaiki eine Runde Schach zu spielen, fing sein Vater an, wie aus dem Nichts und ohne Vorwarnung, seine Mutter zu erwähnen. Machte einen Kommentar darüber, dass sie früher auch des Öfteren Schach gespielt haben. Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, verstummte Kaiki direkt wieder, warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. Unterdessen starrte Chiaki mit regloser Miene auf das Brett, während die Erinnerungen, die bei der einfachsten Erwähnung von ihr, hochkamen. So sehr er auch versuchte, sie zu unterdrücken, so nahmen sie doch von seinem Verstand Besitz. All die Jahre hatte er kein Wort über sie verloren... wieso ausgerechnet jetzt? Ohne Weiteres war Chiaki aufgestanden und ließ Kaiki im Arbeitszimmer zurück. Damit war die restliche Nacht für ihn ruiniert gewesen. Als Maron kam, schien sie sofort zu merken, dass etwas nicht stimmte. Er aß schweigend ihr Essen, wollte danach sich sein Skizzenbuch nehmen und die Erinnerungen, die in seinem Kopf spuckten, loswerden. Doch stattdessen brachte sie ihn dazu sich hinzulegen und bettete seinen Kopf auf ihren Schoß, strich ihm in einen liebevollen Rhythmus durch die Haare. Anschließend begann sie sachte Fragen über ihn und seiner Vergangenheit zu stellen. Etwas über die Art und Weise, wie sie ihn hielt und liebevoll auf ihn einsprach, brachten ihn schließlich dazu sich ihr nach einer Weile zu öffnen. Er erzählte ihr Dinge, die er noch niemanden erzählt hatte und über die er nicht mal nachdenken konnte, wenn er unter anderen Menschen war. Dinge, die so viele Jahre zurücklagen. Er wollte sauer auf sie sein, dass sie ihn all diese Fragen stellte. Aber er konnte es nicht. Denn ihr das alles zu erzählen, war viel besser als es zu zeichnen. Danach fühlte er sich tausendmal besser und am nächsten Morgen konnte er sich wieder aufs wesentliche fokussieren. Ähnlich wie er hatte auch sein Mädchen ihre Tage, in der alles Scheiße war. Die konnte Chiaki ganz leicht an ihrem gekünstelten Lächeln immer erkennen. Genauso wie er, wurde sie schweigsam und wirkte in sich gekehrt, während sie sich an seiner Schulter anlehnte. Sanft würde er Maron darum bitten ihm zu sagen was los war. So erzählte sie ihm einmal, dass sie Miyako und Sakura auf der Wohnzimmercouch liegen sah und in Erinnerungen schwelgten über Miyako’s Kindheit. Nachdem sie diesen Mutter-Tochter-Moment gesehen hatte, fehlte ihr ihre Mutter noch mehr. Nachdem Maron zu Ende gesprochen hatte, fing sie an zu weinen. Sein Mädchen weinen zu sehen, brach ihm jedes Mal das Herz. Tröstend hatte Chiaki sie in seine Arme genommen und strich ihr sanft über den Rücken. Für eine Weile hatte Maron sich an ihm ausgeheult, während er sie hielt. Manchmal brauchten sie beide diese Nächte, in der sie sich von den Schattenseiten ihrer Existenz, ihrer eigenen Dunkelheit, für ein paar Stunden verschlingen lassen. Umso heller erschienen dann die Morgen danach. Dann waren alle Tränen versiegt, jegliche Bürden waren weg und sie konnten sich wieder auf sich konzentrieren, ohne weiter darüber nachzudenken. Dann konnten sie wieder lachen und alles war gut.   THIRTY-THREE ------------ THIRTY-THREE   „Hach! Endlich ist diese Klausurenwelle vorbei und wir haben endlich mal wieder Zeit ordentlich abzuhängen.“ Maron sah zu Miyako, die es sich auf ihrem Sitzkissen gemütlich machte und nickte zustimmend. „Ja. Es dauert auch nicht mehr lange und dann ist das Schuljahr auch um“, kam es von Natsuki, die auf dem Bett lag und in einer Modezeitschrift blätterte, „Und dann habt ihr noch ein Jahr vor euch, während Shinji und ich den ersten Abschluss in der Tasche haben.“ „Vorausgesetzt, Shinji hat alle Prüfungen gemeistert“, scherzte Maron. „Er soll besser zu Gott beten, dass er alles bestanden hat“, rollte Natsuki mit den Augen. Alle drei befanden sich gerade in Miyako’s Zimmer und verbrachten den Nachmittag zusammen. Sie sprachen über alles Mögliche und lachten viel. Maron genoss diese Zeit unter Mädels sehr, hatte sowas Normales sichtlich vermisst. Entspannt steckte sie ihre Beine auf dem Teppichboden aus und lehnte sich mit dem Rücken ans Bett hinter ihr an. Unterdessen erzählte Natsuki von ihrer ersten Begegnung mit Kaiki. „Als Shinji mich damals Kaiki -ich meine Dr. Nagoya- als seine Freundin vorgestellt hatte, war das Erste was er gesagt hatte: Konntest du dir nicht jemand besseres aussuchen?“ Schockiert starrten Maron und Miyako sie mit offenem Mund an. Natsuki hielt kichernd eine Hand hoch. „Moment, ihr habt den Rest noch nicht gehört“, sagte sie, „Shinji entgegnete daraufhin: Sag doch nicht sowas! Ich liebe sie!“ „Awww“, entkam es Miyako grinsend. „Und dann sagte Kaiki an ihn gewandt: Ich hatte mit ihr geredet.“ Damit kriegten die Mädels sich vor Lachen nicht mehr ein. „Ihr hättet Shinji’s Gesicht sehen sollen.“ „Herrlich“, kommentierte Maron kichernd, wischte sich ein paar Lachtränen weg. „Ich dachte für einen Moment schon ernsthaft, er würde sowas Gemeines zu dir sagen.“ Natsuki winkte ab. „Ach… Er hatte mich im ersten Moment schon als Schwiegertochter akzeptiert.“ Bei der Bemerkung neigte Maron ihren Kopf, fragte sich innerlich, ob Kaiki sie auch so akzeptierte. „Er ist auch ziemlich gechillt. Wenn ich nicht dazu komme bei meinem Frauenarzt mir ein neues Pillenrezept zu holen, mach ich es einfach bei ihm“, sprach Natsuki weiter. „Bei ihm habe ich mir auch mal ein Rezept verschreiben lassen“, merkte Miyako schmunzelnd an. Maron blickte zwischen beiden neugierig hin und her. „Also funktioniert Pille für euch beide?“, fragte sie interessiert. Sie hatte sich selbst schon Gedanken über Verhütung gemacht, hatte sich auch schon nach einer Frauenärztin erkundigt. „Joah, nur die regelmäßige Einnahme ist nervig. Aber zumindest kommt deine Tage dann punktgenau“, antwortete ihr Natsuki schulterzuckend. „Ich überlege zukünftig auf Kupferkette oder Spirale -oder ähnliches- zu wechseln.“ „Ich bin soweit zufrieden mit denen. Wir haben babyfreien Sex und meine Haut ist irgendwie reiner geworden.“ Miyako kicherte leise, lehnte sich in ihrem Sitzkissen zurück und holte ihr Handy raus. „Aber über sowas brauchst du dir ja keine Gedanken machen“, sagte sie zu Maron mit einer abwinkenden Handbewegung. Diese zog irritiert ihre Augenbrauen zusammen. „Wieso?“, fragte sie. Miyako schaute sie an. „Na, du und Chiaki habt doch kein Sex.“ „Fürs erste.“ Maron verdrehte ihre Augen. „Was nicht bedeutet, dass es vollkommen ausgeschlossen ist.“ Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Wir gehen es langsam an“, sagte sie nüchtern. Eigentlich ging es die anderen auch nichts an. „Dann würde ich die Zeit dazu nutzen, es dir zweimal zu überlegen“, entgegnete Miyako abschätzig, schaute nebenbei auf ihr Handy. „Vertrau mir.“ Maron sah sie konfus an. „Erwartest du von mir, dass ich für immer Jungfrau bleibe?!“, fragte sie entgeistert und fassungslos zugleich. Miyako’s Züge verhärteten sich, sie erwiderte ihre Blicke nicht. „Wenn es Chiaki Nagoya ist, mit dem du es treiben willst – dann ja!“, antwortete sie bissig, fixierte den kleinen Bildschirm in ihrer Hand. „Mhmm“, kam es von Natsuki, die sich weiterhin ihrer Zeitschrift widmete - es klang wie eine Zustimmung. Maron stieß einen ungläubigen Laut aus. „Und du bist auch die Richtige, um mir einen Keuschheitsvortrag zu halten“, erwiderte sie sarkastisch. Miyako sah augenrollend von ihrem Handy auf, packte es weg. „Yamato und ich sind anders.“ „Ach echt?“, schnaubte Maron trocken. Scheiß Doppelmoral. Genervt verengte Miyako ihre Augen. „Yamato ist kein schwanzgesteuerter Arsch wie dein Freund.“ Maron seufzte schwer. „Ich dachte, du und Chiaki kommt miteinander klar…“, sagte sie, hatte sich schon mit den Gedanken angefreundet, dass die beide zumindest freundlich zueinander sein konnten. Miyako machte einen spöttischen Laut und schüttelte ihren Kopf. „Nur weil er Charme und einen anständigen Musikgeschmack hat, heißt das noch lange nicht, dass ich mich zurücklehne und zuschaue, wie er dich ruiniert.“ „Ruiniert?!“ „Ja, und dir weh tut.“ Verständnislos schüttelte Maron ihren Kopf, versuchte die aufkeimende Wut herunterzuschlucken. „Nur zu deiner Info: Chiaki liebt mich. Er würde mir nie weh tun.“ „Behauptet er von sich“, erwiderte Miyako. Maron atmete frustriert ein und aus. „Du hast doch keine Ahnung, Miyako“, murmelte sie. „Okay.“ Miyako richtete sich in ihrem Kissen gerade, blickte sie todernst an. „Dann sag mir eins: wie wird er denn reagieren, wenn er deine Narben sieht?“ Natsuki sah von ihrer Zeitschrift auf, beobachtete vorsichtig das Geschehen vor ihr. Maron’s Hände ballten sich zu Fäusten. Sie wollte ihr am liebsten sagen, dass er ihre Narben schon längst gesehen hatte. Aber das würde zum einen nur noch mehr Fragen aufwerfen und zum anderen Miyako womöglich nur noch mehr aufregen. „Siehst du?“, kam es von Miyako, als Maron nichts sagte. Sie sah Maron mit einem Blick an, als würde sie alles besser wissen. „Der wird mit Sicherheit angewidert sein und dich von der Bettkante stoßen. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ Maron presste sich bei den harten Worten die Lippen fest zusammen. „Du kennst ihn doch gar nicht“, sagte sie ihr schließlich nur, schüttelte entnervt den Kopf. Natsuki setzte sich aufrecht, gewann dadurch Maron’s Aufmerksamkeit und sah sie finster an. „Wir kennen ihn lang genug, um zu wissen, dass er schroff, egoistisch und herzlos sein kann“, sagte sie in einem abweisenden Ton. „Er gehörte schon immer zur abgefuckten Sorte. Und die bedeuten immer Ärger.“ Maron blickte sie wütend an. „Das ist nur eine Version von Chiaki, die ihr beide euch aus Bequemlichkeit zusammengestellt habt“, sagte sie mit Gift in der Stimme, war sichtlich angepisst auf beide. Es nervte sie, wie oberflächlich ihre Freundinnen waren und dass keine von beiden ansatzweise interessiert war ihn näher kennen zu lernen oder ihn besser zu verstehen. Natsuki seufzte unberührt. Miyako warf schnaubend ihre Hände in die Höhe und schaute sie genauso angepisst an. „Fein! Mach was du willst! Tu nur allen -und dir selbst- den Gefallen und benutzt Kondome! Wer weiß, was der Typ sich schon alles eingefangen hat!“, sagte sie höhnisch, „Und komm ja nicht zu mir angerannt, wenn Chiaki Nagoya allen Leuten erzählt, dass er es mit dem Freak von nebenan getrieben hat!!“ Maron zuckte schockiert zusammen. Ihre Worte trafen sie wie ein Schlag in die Magengrube. Besonders das eine, was sie abgrundtief verabscheute. Mit verschränkten Armen funkelte Miyako sie unentschuldigt an. Der Drang auf sie loszugehen, ihr kräftig eine zu scheuern und losheulen zu wollen, war groß. Aber Maron tat das Nächstbeste. Sie erhob sich vom Boden und steuerte auf die Tür zu. Sie hatte wirklich gedacht, dass die beiden anders wären…aber im Grunde genommen waren sie wie alle anderen auch. Für einen Moment blieb Maron vor der Tür noch stehen, blinzelte sich aufgebracht die Tränen weg und drehte sich zu Miyako und Natsuki um. Was sie jetzt sagen wird war nicht fair gegenüber Chiaki, aber die beiden hatten weitaus Schlimmeres von sich gegeben. „Chiaki ist abgefuckt“, begann Maron mit ruhiger, fester Stimme zu sagen, obwohl ihre geballten Hände vor Wut zitterten. Dass Miyako bei der Aussage zustimmend nickte, ignorierte sie. „Aber ihr wärt das auch, wenn ihr als Kind zuschauen musstet, wie euer Stiefvater im lebendigen Leib verbrannte“, platzte es aus ihr heraus. Mit einem befriedigenden Gefühl beobachtete Maron, wie die Augen der beiden sich langsam schockiert weiteten und ihre Gesichter an Farbe verloren. „Und ihr wärt noch abgefuckter, wenn eure Mutter nach dem Vorfall euch verstießt und eines Tages ohne ein Wort einfach verschwindet“, sprach sie spitz weiter. Miyako’s Arme fielen ihr sprachlos zur Seite runter, während Natsuki sie mit völligem Entsetzen anstarrte. Aber Maron war noch nicht fertig. „Aber was versteht ihr denn schon davon? Leute, wie ihr, seid viel zu sehr mit euch selbst und eurem ach-so-normalen, oberflächlichen Leben beschäftigt. Was noch abgefuckter ist.“ Erneut bahnten sich die brennenden Tränen in ihren Augen an, die ihre Sicht verschwammen. „Im Übrigen: Chiaki ist der Einzige in dieser gottverdammten Stadt, der mich vom ersten Moment an nie wie ein Freak behandelt hat“, sagte sie mit Gift in der Stimme an Miyako gewandt. Ohne auf irgendeine Reaktion von den beiden zu warten, machte Maron auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer raus. Sie lief die Treppen runter, schnappte sich von der Garderobe ihre Jacke und zog sie sich an. Unterdessen hatten die Tränen sich ihren Weg nach draußen gebahnt, rannten ihre unkontrolliert das Gesicht herunter. Genervt wischte Maron sie sich mit der Hand weg. Sie schlüpfte in ihre Stiefel und lief mit stampfenden Schritten nach draußen, knallte hinter sich die Tür laut zu.   Gezielt lief sie zu den Nachbarn rüber. Es gab nur eine Person, der ihre Bitterkeit, ihre Wut und ihre Tränen besänftigen konnte. Aus Gewohnheit wäre sie fast zur Gitterwand rübergegangen als ihr einfiel das es Mitten am Tag war. Stattdessen ging sie zur Tür, klingelte einige Male ungeduldig. Da die Chancen, dass Chiaki ihr öffnen würde, bei fünfzig Prozent waren, ging sie vorsichtshalber einen Schritt von der Tür zurück. Es vergingen einige Augenblicke und in dem Moment als Maron erneut klingeln wollte, schwang die Tür auf. Shinji blickte sie überrascht an und seine Augen weiteten sich bei ihrer verheulten Erscheinung noch mehr. „C-Chiaki...?“, brachte Maron mit erstickter Stimme hervor, schniefte und biss sich nervös auf die Lippe. Shinji starrte sie für einen Moment verdutzt an, ehe er nickte. „Ich geh ihn holen“, sagte er, schaute kurz nach hinten über seine Schulter und sah anschließend wieder zu ihr. „Du kannst ruhig reinkommen und hier unten warten...“ Er rieb sich unbeholfen den Nacken. Maron nickte und atmete erleichtert aus, als Shinji sich nach oben begab und aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Sie ging einen Augenblick später rein, schloss hinter sich leise die Tür. Sie lief einige Schritte durch den Flur und blieb im Wohnzimmer letztlich stehen. Es war ruhig in der Nagoya-Villa. Nervös zupfte Maron an ihren Ärmeln rum, während sie auf Chiaki wartete. Noch immer waren ihre Emotionen total durch den Wind und sie lief unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Ihr Kopf schnellte hoch als sie Schritte vernahm, die sich ihr näherten. Chiaki blieb mit einem verwirrten Gesichtsausdruck vor ihr stehen. Eine Sekunde später weiteten sich erschrocken seine Augen, als er ihr Gesicht genauer betrachtete. Ehe er irgendwas sagen konnte, schmiss Maron sich in seine Arme. Sie brauchte dringend eine Umarmung. Sie schlang ihre Arme fest um seine Taille und vergrub ihr Gesicht in seine Brust. Chiaki brauchte einen perplexen Moment, um ihre Umarmung zu erwidern. Schützend legte er seine Arme um sie und strich ihr beruhigend durch die Haare. Er gab ihr einen zarten Kuss auf den Kopf. Sein Gesicht verweilte dort. Er atmete ihren Duft tief ein, während sie ihn fester an sich drückte. „Was ist passiert?“, flüsterte er besorgt in ihre Haare, strich ihr dabei fürsorglich über den Rücken. Maron schüttelte bei den Erinnerungen über den Streit stumm den Kopf. Tränen stiegen ihr wieder hoch und ein Schluchzer entkam ihr. Sie spürte, wie Chiaki sie noch fester umarmte. Er stellte keine weiteren Fragen. Für eine Weile standen sie da. Er hielt sie in seine Arme, während sie still an seine Brust sich ausweinte. Ein Klopfen an der Tür schreckte beide zusammen. „Maron?“, war Miyako’s dumpfe Stimme zu hören. Maron spürte, wie Chiaki sie losließ und stampfend zur Tür ging. Sein Rücken war zu ihr gewandt, dennoch konnte sie an seiner Haltung erkennen, dass er sauer -stinksauer- war. „Ihr!! Ich hätte mir denken können, dass ihr beide verantwortlich dafür seid! Was zum verdammten Teufel habt ihr beide angestellt?!“, motzte er Miyako und Natsuki an, die beide etwas blass wurden, als sie ihn sahen. Maron realisierte, dass sie den beiden seine Vergangenheit ausgeplaudert hatte und dass sie immer noch darüber geschockt sein mussten. Miyako und Natsuki schluckten schwer, blickten schuldig drein und sahen an ihn vorbei. Maron wich ihren Blicken aus, stand einige Schritte von der Tür entfernt hinter Chiaki, der mit verengten Augen zwischen ihnen hin und her sah. „Maron?“ Miyako’s Stimme war ein leises, unsicheres Wispern. „Es tut mir furchtbar leid.“ Reue war in ihrem Ton zu hören. Es klang nach einer ehrlichen Entschuldigung. Unschlüssig presste Maron sich die Lippen zusammen. „Ich komm gleich nach Hause“, murmelte sie nach einige Momenten, hatte immer noch keinen von beiden in die Augen gesehen. Für einige Sekunden war es still bis Schritte zu hören waren, die sich entfernten. Seufzend drehte sie sich zu Chiaki, der die Tür hinter sich schloss und sie mit hochgezogener Augenbraue fragend ansah. Kopfschüttelnd ging Maron auf ihn zu und umarmte ihn. „Sorry, dass ich einfach so hereingeplatzt bin“, murmelte sie. „Quatsch“, rollte er mit den Augen, „Du kannst kommen, wann immer du willst.“ Er strich ihr über die Haare und legte anschließend seine Hand auf ihre Wange, blickte sie liebevoll an. Und die Liebe in seinen Augen ließ jegliche Bitterkeit in ihr verblassen. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn innig. Er küsste sie sanft zurück. Sie lächelte gegen seine Lippen, fühlte sich deutlich besser. „Du wirst mir nicht sagen, was die beiden angerichtet haben, oder?“, hörte sie Chiaki fragen. Seinem Ton zu urteilen, wusste er die Antwort auf seine Frage schon. Maron blickte ihn entschuldigend an und schüttelte den Kopf. Seufzend drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und sie bedankte sich bei ihm mit einem liebevollen Lächeln.   Einige Minuten später hatte Maron sich von Chiaki verabschiedet und lief rüber zu sich nach Hause. Sie fühlte sich besser, war auch froh drum. Sie wollte die Nacht bei ihm auch nicht mit ihrer schlechten Laune vermiesen. Zu Hause steuerte sie direkt auf Miyako’s Zimmer zu. Maron wusste und verstand, dass Miyako sich nur um sie sorgte. Dass sie Chiaki nicht gut genug kannte und vertraute. Womöglich hatte sie auch etwas überreagiert. Worauf Maron auch überreagierte, weil es schließlich um denjenigen ging, den sie liebte. Als sie die Tür aufmachte, sah sie, wie Miyako mit Natsuki auf dem Bett saß und ihren Kopf an ihre Schulter angelehnt hatte. Sie hatte geweint. Beide sahen zu ihr auf. Miyako wischte sich mit ihrem Ärmel schniefend die Tränen weg, blickte sie reumütig sowie entschuldigend an. Maron ließ seufzend ihre Schultern fallen und nahm zwischen ihnen auf dem Bett Platz. Wortlos umarmte sie Miyako stürmisch. Diese schlang ihre Arme fest um sie, erwiderte die Umarmung innig. „Es tut mir so leid, Maron“, schniefte sie traurig. „Ich habe das nicht so gemeint. Ganz ehrlich“, entschuldigte sie sich. „Ich nehme alles wieder zurück.“ Nebenbei drückte sie Maron fast die Luft weg. „Entschuldigung angenommen“, brachte sie mühevoll zusammen. Miyako atmete erleichtert aus und lockerte ihren Griff, ließ sie jedoch nicht los. Natsuki räusperte sich und Maron drehte ihren Kopf soweit es ging zu ihr um. „Mir tut es auch leid...“, sagte sie, senkte beschämt ihren Blick. Auch ihre Entschuldigung nahm Maron mit einem matten Lächeln an. Nach einer Weile lungerten alle drei auf dem Bett, hatten den Fernseher an, achteten jedoch nicht wirklich darauf und sagten nichts. Miyako hatte ihren Kopf auf Maron’s Schulter ruhen, während diese ihren Kopf an ihren angelehnt hatte. Natsuki hatte sich an Maron’s anderen Seite angelehnt und schaltete durch die Kanäle rum. Einige Zeit später durchbrach Miyako schließlich das Schweigen: „Ist ihm das alles wirklich passiert?“, fragte sie leise. Maron starrte geistesabwesend auf den Fernseher und nickte knapp, hoffte gleichzeitig, dass sie nicht weiter über seine Vergangenheit nachfragen wird. Sie fühlte sich schon schuldig genug. Miyako seufzte kopfschüttelnd, ihre kurzen Haare kitzelten Maron’s Schulter. „Wie furchtbar...“ „Und traurig“, ergänzte Natsuki. Maron nickte seufzend. Wenn sie wüssten wie furchtbar und traurig es wirklich war... „Tut mir den Gefallen und behalt das für euch“, sagte sie nach einige stillen Momenten, wandte ihren Blick vom Fernseher ab und sah beide in die Augen. Sie nickten. „Natürlich.“ „Klar.“ Danach schauten sich die drei eine Comedy-Sendung an, die gerade lief und nach einigen Minuten war immer mal ein leises Kichern zu hören. „Übrigens“, kam es von Natsuki an Maron gewandt, „Solltest du dich für Pille entscheiden, kann ich dir die Marke von meinen empfehlen. Die sind niedrig dosiert an Hormonen.“ Maron und Miyako sahen sie für einen Moment verdutzt an, ehe sie lachend losprusteten. Die bedrückte Stimmung ließ damit nach. Die drei Mädels setzten damit ihr Gespräch vor dem Streit fort. Anschließend begannen sie Witze über die Sendung zu reißen und konnten wieder herzhaft lachen.   THIRTY-FOUR ----------- THIRTY-FOUR   „Eine Übernachtung?“ Maron sah, wie Chiaki sie mit hochgezogener Augenbraue anschaute und nickte. Während er am Essen war, hatte sie ihm soeben von der Übernachtung erzählt, die Miyako und Natsuki morgen bei Natsuki Zuhause planten und dass beide sie gefragt haben, ob sie Lust hatte dabei zu sein. „Und du willst dabei sein?“, fragte Chiaki immer noch mit hochgezogener Augenbraue. Maron zuckte zunächst mit den Schultern und nickte anschließend bejahend. „Das letzte Mal, als du mit den beiden allein warst, kamst du heulend zu mir“, sagte er in einem trockenen Ton. Seufzend rollte sie mit den Augen. Es waren einige Tage vergangen, seit ihrem Streit und der Versöhnung mit den Mädels. Sie hatte ihm nach wie vor noch nicht gesagt, weshalb sie sich gestritten hatten, aber ihm war bereits aufgefallen, dass Miyako und Natsuki netter zu ihm waren, was ihn wiederrum stutzig machte. „Ich bin mir sicher, dass sich das nicht nochmal wiederholen wird“, versicherte Maron ihm. Chiaki blickte sie mit verengten Augen skeptisch an. „Okay“, nickte er schließlich. „Abgesehen davon, dass ich den beiden seitdem einen Tag nicht trauen kann...“, fing er an zu sagen, „Hast du an das Hauptproblem gedacht?“, fragte er und sprach, ohne auf ihre Antwort zu warten, weiter: „Es wird das erste Mal seit Osaka wieder sein, in der wir nicht schlafen können. Wie hast du dir das vorgestellt?“ Maron seufzte. „Naja, ich kann schlecht von Natsuki aus zu dir rüber laufen. Von daher bleib ich einfach wach, schau ihnen beim Schlafen zu und les’ vielleicht ein Buch“, erwiderte sie achselzuckend. Daraufhin stieß er einen missmutigen Laut aus. „Wieso macht ihr das überhaupt bei Natsuki? Bei euch daheim geht’s doch auch.“ „Ihre Eltern sind ab morgen über das Wochenende weg. Sturmfreie Bude, verstehst du.“ Chiaki verdrehte schnaubend die Augen. Maron seufzte. Sie verstand, dass ihm das leichter fallen würde, wenn sie immer noch nebenan wäre und sich gegebenenfalls rüber schleichen konnte. „Es wird nur eine Nacht sein“, sagte sie sanft. „Eine Nacht ohne Schlaf wird uns schon nicht umbringen. Außerdem-“ Sie nahm seine Hand und lächelte ihn liebevoll an. „Ich könnte mich in ein anderes Zimmer verziehen und wir könnten telefonieren. So könnten wir stimmlich einander Gesellschaft leisten. Oder per Video-Anruf. Je nachdem.“ Chiaki’s Mundwinkel zuckten nach oben. „Du weißt, dass mir das nicht reichen wird“, sagte er mit tiefer Stimme und beugte sich zu ihr nach vorne, sodass sein warmer Atem auf ihrem Gesicht kitzelte. „Du weißt, dass ich dich lieber ganz für mich allein haben will.“ Maron spürte, wie die Röte ihr ins Gesicht stieg. „E-Es ist nur eine Nacht“, sagte sie und drückte ihm einen süßen Kuss auf die Lippen. Sie spürte, wie eine Hand sich um ihren Nacken legte and anfing zu kraulen. Chiaki sah sie liebevoll und fürsorglich zugleich an. „Du weißt, dass ich mir immer Gedanken um dich mache.“ Lächelnd schüttelte Maron zuversichtlich den Kopf. „Es wird schon nichts passieren.“ „Na schön.“ Resigniert strich Chiaki sich durchs Haar. „Dann werde ich die Nacht vor meinem Handy verbringen und darauf warten, dass du anrufst.“ Er schenkte ihr sein schiefes Lächeln, worauf sie warm zurücklächelte und ihn küsste. Mit einem rauen Kichern erwiderte er den Kuss gefühlvoll, nahm sie in seine Arme und zog sie enger zu sich, sodass sie auf seinem Schoss saß. Der Kuss wurde nach kurzer Zeit fordernder und er gewährte sich mit seiner Zunge Einlass. Sie seufzte leise. Ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken und sie presste sich noch näher an ihn ran. Nach einer Weile spürte sie, wie er sich langsam nach hintern fallen ließ und sie mit runterzog, ohne dass ihre Lippen sich für eine Sekunde trennten. Er lächelte gegen ihre Lippen. Während sie über ihm war, begannen seine Hände auf ihren Rücken sich auf Wanderschaft zu begeben. Strichen ihr zunächst sachte an den Seiten auf und ab. Dann begaben sie sich weiter runter zu ihrer Hüfte, ihrem Po und ihren Oberschenkeln. Im nächsten Moment konnte sie fühlen, wie seine Hände unter ihr Shirt schlüpften und seine Finger zärtlich über ihren Bauch und Taille strichen. Ein angenehmer Schauer überkam sie. Vor einigen Tagen war dieser Hautkontakt für sie noch nicht möglich gewesen. Jetzt genoss sie jede Sekunde davon. Ihre Lippen bewegten sich heiß und gierig auf seinen. Im nächsten Moment zog sie ihr Gesicht etwas zurück und begann die Stelle unterhalb seines Ohres zu liebkosen. Er erschauderte etwas, lachte leise und seufzte genüsslich. Sie lächelte, liebte es, wenn sie ihm solche Reaktionen entlocken konnte. Er nahm mit einer Hand ihr Kinn und küsste sie innig, leidenschaftlich. Seine Hände verweilten auf ihrer Hüfte. Sie konnte seine Erregung unter sich spüren, was sie noch mehr anregte. Inmitten von Küssen, rutschte sie etwas zur Seite runter, sodass sie nur halb auf ihm lag und begann ihre Hand über seine Brust zu streichen. Anschließend verschwand ihre Hand unter seinem Shirt, fuhren die Muskeln mit federleichten Berührungen nach. Ein raues Seufzen war von ihm zu hören und seine Lippen begannen ihren Hals hinabzuwandern. Es war furchtbar heiß im Zimmer. Sie setzte sich etwas auf und zog sich ihren Pullover aus. Seine Augen weiteten sich und er sah sie für einige Sekunden ehrfürchtig an. Lächelnd lehnte sie sich wieder zu ihm vor, küsste ihn und nahm den Saum seines Shirts in ihre Hände. Mit einer schnellen Bewegung hatte sie ihm das Kleidungsstück über den Kopf gezogen. Er legte seine Arme um sie und grinste sie schief an. Sein Grinsen allein brachte sie jedes Mal zum Schmelzen. Er begann kleine Küsse auf ihren Schultern zu verteilen, schob dabei den Träger ihres BHs etwas runter. Strich mit den Lippen sachte über ihr Schlüsselbein. Küsste jede ihrer Narben. Anschließend verweilte er etwas länger auf ihrem Nacken. Küsste und liebkostete sie mit seinen Lippen, seiner Zunge, biss sanft mit seinen Zähnen zu. Sie stöhnte genussvoll. Sie wusste, dass dies Spuren hinterlassen wird, die sie zumindest mit ihren Haaren verdecken konnte. Seine Hände strichen über ihren Rücken und mit Geschick öffnete er ihr den BH, zog ihn ihr aus. Sie blickte ihn unsicher an, wollte sich mit ihren Armen verdecken, aber er stoppte sie. „Du bist wunderschön“, sagte er ihr. „So unglaublich schön.“ Seine Lippen strichen wieder über ihre Schultern. Sie bekam eine Gänsehaut. Vorsichtig drückte er sie auf die Matratze runter, während seine Lippen wie Feuer auf ihrer Haut brannten. Sie wanderten weiter runter, den Pfad zwischen ihren Brüsten entlang zu ihrem Bauchnabel. Gerade als er sich weiter runter zum Bund ihrer Hose begeben wollte, versteifte Maron sich und ihre Atmung stockte. Chiaki bemerkte dies und entfernte sich sofort von ihr. Dieses Panik-Gefühl dauerte nicht mehr so lange an, wie ganz am Anfang, weshalb sie sich nach einigen Sekunden wieder entspannte. Sie atmete einmal tief durch und seufzte. Mit Verständnis in den Augen blickte Chiaki sie an, nahm ihre Hand und verschränkte ihre Finger miteinander. „Es ist schon spät“, sagte er sanft lächelnd. Morgen wird ein langer Tag für sie beide. Maron nickte, stand auf und begab sich ins Bad. Minuten später hatten beide sich umgezogen und waren unter die Decke geschlüpft. Chiaki nahm sie, wie immer in seine Arme und sie kuschelte sich lächelnd an seine Brust an. Momente später waren sie auch eingeschlafen.   Es war Freitag. Gerade verließ Maron mit Chiaki das Schulgebäude und lief mit ihm zum Parkplatz. Anders als sonst würde sie heute nicht mit Miyako, sondern mit Chiaki nach Hause fahren. Wenn sie sich schon nicht nachts sehen konnten, würden sie zumindest den Nachmittag zusammen verbringen. Abends würde er sie anschließend zu Natsuki fahren. Sie steuerten auf sein Auto zu, er machte ihr die Tür auf und sie ließ sich seufzend auf den Beifahrersitz nieder, lehnte sich mit geschlossenen Augen in die Lehne zurück. Auch wenn sie keinen langen Schultag hatte, so hatten ihr die letzten neunzig Minuten Sport doch zu schaffen gemacht. „Alles gut?“, hörte sie Chiaki fragen, der eingestiegen war und den Schlüssel einsteckte. „Ja“, antwortete Maron ihm und öffnete ihre Augen, „Meine Arme und Beine fühlen sich nur K.O. an. Und ich bräuchte zu Hause eine Dusche.“ „Du könntest bei mir duschen“, grinste er frech. Sie verdrehte mit hochroten Wangen kopfschüttelnd ihre Augen. Gerade als Chiaki sich nach vorne wandte und den Motor starten wollte, schnitt er eine Grimasse. Maron folgte seinem Blick und prustete lachend los. Gegenüber von ihnen waren Miyako und Yamato, die heftig vor ihrem Wagen miteinander rummachten und sich nicht darum scherten, dass sie sich in der Öffentlichkeit befanden. „Ekelhaft…“, kommentiert Chiaki nur, als er schnell an ihnen vorbeifuhr. Maron lachte belustigt auf. „Lass sie doch.“ Soweit sie weiß, werden Miyako und Natsuki den Nachmittag auch mit ihren Freunden verbringen. „Müssen trotzdem nicht allen eine kostenlose Show bieten“, entgegnete er kopfschüttelnd und machte Musik an. Einige Minuten später waren sie in ihrer Straße angekommen. „Ich bin in einer halben Stunde bei dir.“ Maron nahm ihre Tasche von der Rückbank und drückte Chiaki einen Kuss auf die Wange, ehe sie ausstieg und nach Hause lief. Dort nahm sie eine schöne, entspannte Dusche und drehte zum Schluss das Wasser für drei Sekunden kalt, um wieder etwas munter zu werden. Was auch gut funktionierte. Anschließend trocknete sie sich ab, föhnte ihre Haare und packte ihre Sachen für die Übernachtung ein. Mit ihrer Tasche begab sie sich schließlich zu den Nachbarn rüber. Sie klingelt einmal und kurze Zeit später öffnete Chiaki ihr die Tür. Auch er sah frisch geduscht aus. „Es ist wirklich ungewohnt dich hier unten reinzulassen“, merkte er an. „Schon“, stimmte Maron kichernd zu und trat ein. Sie könnte mit einer Hand abzählen, wie oft sie tagsüber in der Villa war. Chiaki nahm ihr die Tasche von den Schultern ab, nahm mit seiner freien Hand die ihr und lief mit ihr die Treppen zu seinem Zimmer hoch. Dort machten die beiden es sich auf seinem Bett gemütlich, hörten entspannt Musik und verbrachten die Stunden damit einfach miteinander zu reden. An einem Punkt hatte Chiaki sein Skizzenbuch rausgeholt und Maron ließ sich verspielt grinsend nach hinten auf die Kissen fallen und begann zu posieren. „Zeichne mich wie deine französischen Mädchen“, sagte sie in einem theatralischen Ton. Er lachte spöttisch. „Ich hasse diesen Film.“ Maron setzt sich auf. „Als wir letztens Titanic geschaut haben, hattest du Tränen in den Augen.“ „Heuschnupfen.“ „Es ist Winter. Du hast kein Heuschnupfen.“ Kopfschüttelnd fixierte er sein Skizzenbuch. „Es macht keinen Sinn, wieso die Alte nicht Platz für den Typen gemacht hat. Da war so viel Platz auf dieser Scheiß-Tür.“ „Neuste Erkenntnisse sagen, dass Jack trotzdem zu Tode erfroren wäre“, grinste Maron amüsiert. Augenrollend begann Chiaki zu zeichnen. Neugierig sah Maron ihm dabei zu, war immer fasziniert davon ihn beim Zeichnen zu beobachten. Mit nur wenigen Strichen hatte er die Umrisse ihres Gesichtes skizziert und man konnte schon klar erkennen, dass sie das war. „Was machst du heute Nacht eigentlich?“, fragte sie interessiert, während er in seinem Element war. „Außer vor dem Handy sitzen und auf einem Mitternachtsanruf von mir warten“, fügte sie schmunzelnd hinzu. „Für gewöhnlich hätte ich dasselbe gemacht, wie jede Nacht vorher auch“, sagte Chiaki und nickte auf seinem Skizzenbuch runter. „Nur hatte Yamato mich dazu überredet mit ihm und Shinji heute Nacht zu zocken. Er wird später hierherkommen“, seufzte er augenrollend. „Kaiki hat heute Nachschicht. Von daher...“ Maron lächelte ihn warm an. Sie wusste, dass er eher der Einzelgänger-Typ war und womöglich keine Lust darauf hatte, aber sie war dennoch froh drum, dass er heute Nacht nicht allein, sondern unter Freunden sein wird.   „Wir müssen langsam los“, sagte sie, als es fast halb sechs war. Um 18 Uhr hatten die Mädels ausgemacht sich bei Natsuki zu treffen. „Ja, ja“, hört sie Chiaki sagen, während sie sich Jacke und Schuhe anzog. Maron nahm ihre Tasche und wartete darauf, dass er sich fertig machte. Er ließ sich unendlich viel Zeit. Wollte die Zeit mit ihr soweit es ging hinauszögern. Sie verdrehte lächelnd ihre Augen. Gemeinsam verließ das Paar die Villa, stiegen ins Auto ein und fuhren los. Bei Natsuki angekommen, begleitete Chiaki Maron noch zur Tür, wartete mit ihr sogar noch, nachdem sie geklingelt hatte. „Hi“, kam es von Natsuki, die ihr die Tür aufmachte und zur Begrüßung umarmte. Keinen Moment später drängte sich Miyako vorbei und umarmte Maron herzlich. Diese erwiderte die Umarmungen kichernd. Anschließend wandten die Mädels sich Chiaki zu. „Du kannst ruhig gehen. Deine Freundin ist bei uns in guten Händen“, sagte Natsuki. Er lächelte ein mattes Lächeln, die Hände in seine Jackentaschen vergraben. „So wie sie das letzte Mal bei euch in guten Händen war?“ Das Lächeln von Natsuki und Miyako erstarb etwas. Maron rollte ihre Augen. „Ich bin gleich da“, sagte sie beiden, die verstehend nickten und ins Haus verschwanden. Im nächsten Augenblick legte sie ihre Arme um ihren Freund und drückte ihm einen lieben Kuss auf die Lippen. „Sei nicht immer so nachtragend“, sagte sie ihm. Wortlos hoben sich seine Schultern auf und ab und er küsste sie liebevoll. „Wir hören voneinander?“ Sie nickte und winkte ihm zum Abschied noch zu, ehe sie sich rein begab. Drinnen kamen Natsuki und Miyako direkt wieder auf sie zu. Natsuki gab ihr schnell eine Tour durch das Haus. Anschließend zerrten beide Mädchen sie kichernd ins Wohnzimmer. Da war schon eine riesige Matratze mit Decken und Kissen auf dem Boden. Der Wohnzimmertisch war komplett mit Getränken und Snacks bedeckt. Maron legte ihre Tasche auf dem Sofa ab, wo auch Miyako ihre Sachen gelagert hatte. Natsuki machte alle Fenster und Vorhänge zu, machte Musik an und drehte sich anschließend zu den anderen um. „Jetzt machen wir es uns alle gemütlich und ziehen uns in unsere Pyjamas um. Und keine Sorge, wir sind hier unter Mädels“, lächelte sie. Maron sah für einen Moment Miyako und Natsuki dabei zu, wie sie sich umzogen, ehe sie ihnen den Rücken zukehrte und sich ihr Oberteil über den Kopf zog. Auf einmal hörte sie die beiden laut Luft schnappen. Maron verzog das Gesicht. Gerade als sie ihr Schlafshirt anziehen wollte, um die Narben schnell zu verdecken, hörte sie Miyako fragen „Was hast du da auf dem Nacken?“ - und hielt leicht verwirrt inne. „Ist das ein Knutschfleck?!“, kam es von Natsuki amüsiert. Shit. Maron fluchte innerlich. Fast hatte sie den Fleck, den Chiaki ihr gestern Nacht verpasst hatte, vergessen. Und wieso musste er auch so riesig sein?! Sie hatte Chiaki schon dafür angemeckert, worauf er nur mit Stolz und Belustigung grinste. Am Morgen hatte sie den Fleck mit Make-Up verdeckt, damit ihre Klassenkameradinnen es nicht sehen und sich das Maul darüber zerreißen mussten, wenn sie in Sport ihre Haare hoch machte. Beim Duschen musste sich das Make-Up gelöst haben und zu der Zeit war der Fleck sowieso in Vergessenheit geraten. „I-Ich bin gefallen!“, stammelte sie. Natsuki und Miyako zogen ungläubig eine Augenbraue hoch. „Auf dem Nacken?!“ Mit hochroten Wangen blickte Maron ihre Freundinnen an, die es sich auf der Matratze gemütlich gemacht haben und breit grinsten. Ihr Gesicht wurde noch heißer und sie wollte im Erdboden verschwinden. „Da war jemand schön beschäftigt gewesen, in den letzten fünf Stunden“, zwinkerte Natsuki ihr verschmitzt zu. Miyako kicherte. Wohl eher letzte Nacht, dachte Maron sich, presste sich die Lippen zusammen, verkniff es sich die Worte auszusprechen. Ließ die beiden besser in den Glauben, dass der Fleck von heute Nachmittag stammte. „Und?“, kam es von Miyako grinsend, „Wie schaut’s bei dir und Chiaki aus?“ „W-Was meinst du?“, entgegnete Maron als Gegenfrage, zog sich fertig um und setzte sich auf die Matratze hin. „Na, wie weit seid ihr denn schon? Ist er dir schon runtergegangen? Bist du ihm schon runtergegangen? Egal, ob mit Mund oder Hände“, fragte Miyako genauso beiläufig, wie als würde sie nach dem Wetter fragen. Natsuki hielt sich lachend den Bauch. Maron lief feuerrot an. „I-Ich sag euch nichts!“, sagte sie, hielt sich verlegen ein Kissen vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. Besonders bei den letzten beiden Fragen, wurde ihr noch heißer und ihr Verstand begann schon Bilder vor ihrem geistigen Auge einzupflanzen. Oh Gott...! Denn soweit waren sie bisher noch gar nicht. Gestern Nacht war womöglich das erste Mal seit Weihnachten, in der sie sich oberkörperfrei gezeigt haben. „Maron, entspann dich. Ich mach doch nur Spaß.“ Miyako’s kichernde Stimme warf sie ins Hier und Jetzt zurück. Sie strich ihr verspielt über das Knie. „Du musst mir natürlich nichts sagen.“ Erleichtert ließ Maron ihr Kissen auf ihr Schoss sinken. „Lust auf ein Spiel?“, fragte Natsuki vergnügt. „Klar!“, nickte Miyako zustimmend. „Was für ein Spiel denn?“, fragte Maron neugierig. Natsuki holte ihr Handy raus und zeigte ihnen eine App. „Das Spiel heißt ‚Würdest du lieber‘“, sagte sie. „Im Grunde genommen werden dir zwei Möglichkeiten oder Situationen vorgegeben und du müsstest dich entscheiden.“ „Klingt witzig“, schmunzelte Maron. Die drei setzten sich im Dreieck hin und legten sich noch Getränke und Snacks zurecht. „Okay. Ich fange an.“ Natsuki hielt ihr Handy hoch, tippte einmal auf dem Bildschirm und begann zu lesen: „Würdest du lieber eine Million gewinnen oder deine beste Freundin die Million gewinnen lassen?“ „Beste Freundin“, antwortete Maron. „Ich auch“, stimmte Natsuki zu. „Ich würde lieber gewinnen“, grinste Miyako, „Und dann teile ich das Geld mit euch“, fügte sie augenzwinkernd hinzu. „Ich bin dran.“ Sie nahm Natsuki’s Handy, tippte und las vor: „Würdest du lieber für immer die Wahrheit sagen müssen oder für immer lügen?“ Für einige Momente war es still, jeder verzog grübelnd das Gesicht. „Ist beides schwierig“, sagte Maron. „Lügen. Immer die Wahrheit zu sagen und zu hören ist auch nicht gesund.“ „Kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?“, fragte Miyako stirnrunzelnd. Sie zuckte mit den Schultern. „Bestimmt. Es wird ja niemand erfahren, dass ich immer lüge, wenn ich sowieso nie die Wahrheit sage.“ „Aber die Wahrheit kann immer über andere Wege kommen.“ Erneut zuckte Maron mit den Schultern. „Ich bin für die Wahrheit“, sagte Miyako. „Lieber für immer eine ehrliche Haut als für immer ein notorischer Lügner zu sein.“ „Wahrheit“, sagte Natsuki nach einigen nachdenklichen Momenten. Maron reichte nach dem Handy, hatte sichtlich Spaß an dem Spiel und las die nächste Frage: „Würdest du lieber jemanden heiraten, den du liebst oder jemanden, der dich liebt?“ „Soll das in beiden Fällen unerwidert sein?“, fragte Natsuki zur Klarstellung. „Also einseitige Geschichten?“ „Denke ja.“ „Oh, wow. Wieder so eine schwierige Frage“, sagte Miyako, tippte sich nachdenklich den Zeigefinger aufs Kinn. „Es ist seelenzerschmetternd mit jemandem zusammen zu sein, der nicht dasselbe empfindet, wie du... aber wer würde dann sein Leben mit einem Menschen verbringen wollen, den er nicht liebt?“ „Jemanden heiraten, den ich liebe“, entschied Maron sich, „Ich würde ihn am Ende für mich schon gewinnen“, lächelte sie achselzuckend. Natsuki kicherte. „Der Gedankengang gefällt mir. Aber wenn ich so überlege: wenn man jemanden heiratet, der einen liebt, dann kann man sich auf jeden Fall auf dessen Treue verlassen.“ „Was nützt mir das, wenn ich denjenigen nicht liebe? Dann würde ich nur dessen Gefühle ausnutzen und das will ich nicht“, entgegnete Maron. „Hmmm.“ Natsuki neigte unschlüssig den Kopf. „Jemanden heiraten, den ich liebe“, kam es von Miyako als Antwort. Es dauerte einige Momente bis Natsuki sich entschied. „Jemanden heiraten, den ich liebe. Ich werde den so lange auf den Sack gehen bis er mich zurück liebt. Bis der Tod uns scheidet.“ Daraufhin mussten die anderen beiden zustimmend lachen. Die nächsten paar Stunden verbrachten die Mädels damit sich Fragen zu stellen und über die Entscheidungsmöglichkeiten zu diskutieren und sich zu amüsieren. Es wurde viel gelacht. Fotos wurden auch gemacht. Nach einiger Zeit beschlossen sie einen Film anzuschauen. Irgendeine romantische Komödie. Gähnend schaute Maron auf den Bildschirm und dann auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Sie gähnte erneut, blinzelte einige Male stark und merkte so richtig, wie ausgelaugt und müde sie eigentlich war. Ihre Augen wurden mit jeder Minute immer schwerer und schwerer. Verdammt!, ging es Maron durch den Kopf, während sie sich die Augen rieb. Der Film war witzig, aber selbst bei den allerlustigsten Momenten brachte sie nur ein müdes Kichern zustande. Sie versuchte sich dennoch wach zu halten, machte immer mal irgendwelche Kommentare über den Film. Ab und an erwiderten Miyako und Natsuki was darauf, aber für die meiste Zeit war es ruhig unter ihnen. Gelegentlich hörte sie die anderen gähnen und lachen. Ab und an machte sie das Gelächter wieder munter. „Hast du das gerade gesehen?“, lachte Miyako, stupste sie mit dem Ellenbogen von der Seite an und zeigte auf den Fernseher. Maron nickte einige Male, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was soeben geschehen war. Sie kniff sich die Augen zusammen und atmete tief durch. „Alles gut?“, fragte Natsuki sie. Wieder nickte Maron. „Wenn du müde bist, sag Bescheid.“ „Ich bin nicht müde.“ Maron richtete sich auf ihrem Platz etwas aufrecht und sammelte all ihre Konzentration zusammen. „Wie weit sind wir eigentlich?“ „Bei der Hälfte ungefähr“, antwortete Miyako. Konfus blinzelte Maron den Fernseher an. Sie hatte bisher nichts -rein gar nichts- vom Film mitbekommen. *** „Alter, spring! Weich aus!“ „Shit, ich bin tot!“ „Warte, ich heil dich!“ „Nützt eh nichts. Die Zeit ist abgelaufen und wir haben wieder verloren.“ Stöhnend warf Chiaki seinen beiden Mitspielern einen entnervten Blick zu. „Schau nicht mich an“, sagte Shinji mit erhobenen Händen, wobei er in einer Hand seinen Controller hielt. „Ich bin nicht derjenige, der das Spiel nicht draufhat.“ „Hey!“, entgegnete Yamato beleidigt, „Ich bin nun mal nicht so geübt darin wie ihr.“ „Alles nur faule Ausreden.“ Seufzend kniff Chiaki sich zwischen die Augen. „Komm, nächste Runde“, sagte er und nickte zum Fernseher. Den ganzen Abend verbrachten die Jungs schon damit in Shinji’s Zimmer zu zocken. In der Zeit sah Chiaki immer wieder mal auf sein Handy, machte sich Gedanken um sein Mädchen, konnte gleichzeitig ihren Anruf kaum erwarten. Nach einigen Stunden war Yamato der Erste, der auf einer Seite des Ecksofas eingenickt war. Chiaki und Shinji spielten noch eine Weile, doch nach einiger Zeit zeigte sich auch bei Shinji die Müdigkeit. „Wenn du so weiter gähnst und den Mund aufreißt, saugst du den Fernseher noch ein“, kommentierte Chiaki trocken. Shinji winkte die Aussage kommentarlos ab. „Ich glaube, ich mach für ein paar Minuten eine Pause und schau dir zu“, sagte er, legte den Controller beiseite. Shinji rutschte etwas nach hinten, hatte einen Arm hinter sich auf die Sofalehne abgestützt und den Kopf in seine Hand abgelegt. Unterdessen spielte Chiaki einfach weiter. Er war zwar müde, aber es hielt sich in Grenzen. Schließlich hatte er jahrelange Übung darin wach zu bleiben. Minuten später hörte er neben sich ein lautes Schnarchen. Shinji war in seiner sitzenden Position eingeschlafen. Leise kicherte Chiaki in sich hinein. Er blickte auf die Uhr. Fast eins. Er nahm sein Handy, blickte auf den kleinen Bildschirm und überlegte sich, ob er seinem Mädchen eine SMS schreiben sollte. Plötzlich fing es an zu klingeln. Er blickte mit einem achtsamen Blick zu den anderen, aber die beiden schienen fest zu schlafen. Er sah Maron’s Namen auf dem Display und lächelte. Während er abnahm, stand er vom Sofa auf und wollte sich in ein anderes Zimmer begeben. „Hey-“, fing er an zu sagen, doch in der nächsten Sekunde fiel sein Lächeln und er blieb nach einem halben Schritt abrupt stehen, als er die Stimme am anderen Ende erkannte. „Natsuki?!“ Wie aufs Stichwort schreckte Shinji hoch, blickte verschlafen zu ihm rüber. „Hab ich gerade Natsuki gehört?“ Chiaki ignorierte ihn und versuchte Sinn aus ihrem gehetzten Redefluss zu machen. „Ich schwöre, wir haben nichts gemacht! Wir hatten einen Film geschaut und irgendwann ist Maron als Erste eingeschlafen-“ Den Rest hörte er schon nicht mehr. „Ich bin gleich bei euch“, sagte er und legte auf, begab sich auch direkt aus dem Zimmer. „Hey, wo gehst du hin?“, kam es von Shinji, halb verschlafen und halb wach. „Und wieso ruft meine Freundin dich mitten in der Nacht an?!“ „Keine Zeit für Erklärungen. Es muss zu Maron.“ „Warte, wir kommen mit!“ Daraufhin kickte Shinji Yamato wach, der zusammenzuckte, vom Sofa runterrollte und auf den Boden fiel. „Alter!“, beschwerte dieser sich. „Beweg deinen Arsch hoch. Wir gehen zu den Mädels rüber.“ „Nicht wir, sondern ich”, wendete Chiaki ein, hatte sich seine Jacke aus seinem Zimmer geholt, übergezogen und war dabei sich seine Schuhe anzuziehen. „Wenn du schon zu deiner Freundin rüber gehst, wollen wir auch zu unseren Mädels“, entgegnete Shinji, der sich auch schon seine Jacke geschnappt hatte und Chiaki die Treppen nach unten folgte. Yamato trottete halb-wach hinterher. Chiaki hatte keine Lust weiter zu diskutieren und begab sich nach draußen zu seinem Wagen. Die anderen liefen ihm einfach hinterher. Yamato stieg in den Beifahrersitz ein, während Shinji mittig auf der Rückbank saß. In null Komma nix schaltete Chiaki den Motor an und fuhr los. Trotz der späten Uhrzeit waren die Straßen noch ziemlich befüllt. Was ihn nervte. Es war still im Auto bis Yamato nach einigen Momenten das Wort ergriff: „Albtraum?“, fragte er, wandte seinen Kopf zu Chiaki. Dieser hatte seinen Blick auf die Straße fixiert. „Hm-Mh.“ „Oh.“ „Darf ich bitte auch erfahren, was los ist?“, kam es von Shinji auf der Rückbank, der mit einem erwartungsvollen Blick Chiaki ansah. Yamato warf Chiaki einen fragenden Blick zu. Er seufzte entnervt und gab Shinji anschließend eine möglichst kurze, knappe Zusammenfassung vom Gesamtproblem. „Ah...Okay“, sagte Shinji nur, nachdem er fertig war. Mit hochgezogener Augenbraue blickte Chiaki ihn über den Rückspiegel an. „Okay? Mehr hast du nicht zu sagen?“, fragte er ungläubig. „Nö.“ „Kein Kommentar dazu, dass Maron sich seit über zwei Monaten in mein Zimmer rein- und rausschleicht und dass sie bei mir geschlafen hat? Oder überhaupt die Tatsache, dass ich sie jede Nacht im Bett hatte und das noch bevor wir zusammenkamen?“ „Alter. Was genau ihr im Bett treibt, interessiert mich nicht die Bohne.“ Shinji schaute mit einem ruhigen Ausdruck aus dem Fenster und zuckte mit den Schultern. „Wenn das die einzige Möglichkeit für euch ist mit dieser abgefuckten Situation klarzukommen, dann ist das halt so. Ich habe da schließlich nichts zu entscheiden“, sagte er mit einem weiteren Schulterzucken, „Keine Sorge. Ich werde meine Klappe halten, falls du dich das fragst.“ Ihre Blicke trafen sich und Chiaki nickte. „Ich meine, dass ihr gar nicht schlafen könnt und so... Es ist schräg. Erklärt aber wahrscheinlich auch, wieso du früher immer so ein elender Miesepeter warst“, sprach Shinji locker weiter, „Naja... ich habe meine eigenen Erfahrungen in dem Gebiet. Wenn auch nicht persönlich.“ Verwirrt warfen Chiaki und Yamato ihm über den Rückspiegel verwunderte Blicke zu. *** Das Erste was Maron hörte, war ein Schrei. Das Zweite was sie hörte war, wie jemand ihren Namen rief. Sie spürte eine Hand, die sie vorsichtig und doch bestimmt an der Schulter fasste. Wieder war ein Schrei zu hören. Einen Augenblick später realisierte sie, dass der Schrei von ihr kam. Und das Miyako sie hielt und auf sie einsprach. Erschrocken riss Maron ihre Augen auf. Ihr Blick war tränenverschleiert, dennoch schaute sie sich orientierungslos um. Sie sah Miyako und Natsuki vor sich knien. Im nächsten Moment kamen auch die Erinnerungen wieder. Oh fuck!, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich schnell aufsetzte und sich die Tränen mit der Hand wegwischte. Dennoch liefen sie unkontrolliert weiter. „Maron“, hörte sie Miyako sanft sagen. „Ich habe Chiaki mit deinem Handy angerufen. Er ist unterwegs“, flüsterte Natsuki. Maron schüttelte innerlich fluchend den Kopf. Die Tränen wollten nicht aufhören. Sie merkte erst jetzt, dass sie am ganzen Leib zitterte. „Bist du okay?“, fragte Miyako besorgt. Sie ließ ihre zitternde Hand sinken und sah ihr in die Augen, schluchzte und schniefte. „Mir gehts gut“, wisperte sie heiser. „Du hast geschrien...“ „M-Mir geht’s gut...“ „Du weinst…“ „…Mir geht es gut…“ „Nein, dir geht’s nicht gut.“ Damit rutschte Miyako zu ihr heran und umarmte sie, strich ihr fürsorglich über den Rücken. Maron lehnte ihren Kopf an ihre Schulter an, schluchzte und weinte noch mehr. Sie spürte, wie Natsuki ihr sachte über den Kopf strich. „Was war den passiert?”, fragte Miyako nach einer Weile, nachdem Maron sich etwas beruhigt hatte. Sie hatte ihren Blick nach unten gerichtet. „B-Bin eingeschlafen...“, murmelte sie kaum hörbar. „...Ich versteh nicht-“ „Hatte einen Albtraum.“ „Oh...“, hörte sie Miyako sagen, „Aber es war nur ein Traum. Kommt bestimmt nicht wie-“ „Die kommen wieder.“ „Versuch dich trotzdem nochmal schlafen zu le-“ „Nein, nein, nein, nein“, unterbrach Maron sie kopfschüttelnd. „Ich kann nicht schlafen. Ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht... Nicht ohne Chiaki.“ „Was-“ Ehe Miyako fragen konnte, sprudelte alles aus Maron heraus. Alles. Sie erzählte ihnen von ihrem ersten richtigen Treffen mit Chiaki. Wie sie sich jede Nacht draußen bei den Picknickbänken im Park getroffen hatten. Von ihren Albträumen. Von seinen Albträumen. Bis hin zu dem Punkt, wo sie beide zum ersten Mal zusammen durchschliefen, sowie von ihrer Routine der letzten Monate. Sprachlos hörten die beiden ihr zu. Als sie zu Ende gesprochen hatte und zu ihnen aufsah, blickte Miyako sie mit großen Augen und halboffenen Mund an. „Gott... wieso hast du mir nichts gesagt?“ „Hättest du genauso ruhig reagiert, wie jetzt, wenn ich dir von Anfang an gesagt hätte, dass ich mich jede Nacht zu den Nachbarn rüber schleiche?“ Maron zog eine Augenbraue hoch. Miyako biss sich auf die Lippen. „Nein, aber... das hört sich schlimm an. Nicht schlafen zu können...“ „Deshalb brauchen Chiaki und ich einander...“, sagte Maron und schaute sie ernst an. „Versprich mir bitte, dass du unseren Eltern nichts sagst“, bat sie Miyako fast flehend. Diese schien für einige Momente mit sich selbst zu hadern, ehe sich schließlich nickte. „Ich verspreche es.“ Währenddessen schenkte Natsuki ihnen ein müdes, verständnisvolles Lächeln. „Ich habe auch Erfahrungen mit Albträumen... Von daher kann ich dich verstehen“, sagte sie, zu Maron’s Überraschung. Im nächsten Moment klingelte es an der Tür, wodurch alle drei etwas zusammenzuckten. „Das sind die Jungs.“ Natsuki stand auf und verließ für einen Moment das Wohnzimmer. Währenddessen standen Maron und Miyako von der Matratze auf. Keinen Augenblick später kam Chiaki rein und Maron fand sich in seinen Armen wieder. Gerade als sie was sagen wollte, fiel er ihr ins Wort: „Wag es ja nicht, dich zu entschuldigen.“ Daraufhin kicherte sie leise in seiner Brust, konnte es sich nicht verkneifen und umarmte ihn noch fester. „Ich habe ihnen alles gesagt“, wisperte sie ihm kaum hörbar ins Ohr zu. „Alles?“, fragte er leise zurück. Sie nickte. „Alles alles.“ Für einen Moment zog sie ihn in eine hintere Ecke des Zimmers und erzählte ihm schnell und leise, wie sie auch letztens den Mädels alles ausgeplaudert hatte. „Entschuldige…“, schniefte sie schuldbewusst. Er seufzte. „Schon okay.“ Sie spürte, wie er ihr einen kleinen Kuss auf den Kopf drückte. Natsuki kehrte mit Shinji und Yamato wieder ins Wohnzimmer zurück und Momente später saßen alle auf der Matratze, hatten es sich gemütlich gemacht. Die Mädels waren alle an ihren Freunden angekuschelt. Chiaki hatte seine Arme weiterhin um Maron gelegt, während sie vor ihm saß und ihren Rücken an seine Brust angelehnt hatte. „Was meintest du vorhin mit ‚Ich habe auch Erfahrungen mit Albträumen‘?“, fragte sie an Natsuki gerichtet, war immer noch sichtlich verwundert über die Aussage. Natsuki tauschte mit Shinji einen vielsagenden Blick aus, ehe sie tief ein- und ausatmete. „Vor vier Jahren, während wir in der Mittelstufe waren und bevor ich mit Shinji zusammenkam, hatte ich mal einen Freund aus der Oberstufe. Ich war vierzehn und er war siebzehn.“ „Ich erinnere mich“, kam es von Miyako. „Das war aber doch nur für ein paar Monate, oder?“ „Zwei Monate“, bestätigte Natsuki ohne Emotionen, den Blick leicht gesenkt. „Zwei unerträgliche Monate“, kommentierte Shinji. „Reinste Folter.“ Maron schmunzelte etwas. Sie vermutete, dass seine Gefühle für Natsuki für eine Zeit lang unerwidert waren. Natsuki seufzte. „Long story short. Ich war mit ihm und seinen Freunden auf einem Festival. Die hatten sich irgendwie Alkohol ergattert und waren am Ende auch ziemlich betrunken. Es ging bis spät in die Nacht, aber ich wollte schon nach Hause. Auf dem Weg hatte er mich plötzlich in eine Gasse gezerrt und... mich bedrängt und... naja.“ „Oh Gott.“ Maron stieß fassungslos Luft aus. Chiaki und Yamato blickten sichtlich bestürzt und geschockt drein. Miyako hatte Tränen in den Augen. „Hat er dich...?“ Natsuki schüttelte ihren Kopf. „Er hatte es vor, aber-“ Sie schenkte Shinji ein kleines Lächeln. „Shinji kam dazwischen. War in der Nähe, hatte meine Schreie gehört und ihm kräftig eine verpasst.“ „Mehr als nur einmal“, merkte er an, die Stimme kühl und hart. „Wir hatten Anzeige erstattet“, erzählte sie weiter. „Offensichtlich war es dann auch aus gewesen.“ „Gott…“, entkam es Miyako fassungslos. „Wieso hast du mir nie was davon gesagt? Und wieso haben meine Freundinnen überhaupt dauernd Geheimnisse vor mir?!“ „Sorry...“, murmelten Natsuki und Maron wie aus einem Mund und warfen ihr entschuldigende Blicke zu. „Auf jeden Fall hatten mich für Wochen, Monate Albträume geplagt. Ich wachte verheult auf und hatte einfach nur Angst.“, sprach Natsuki mit monotoner Stimme weiter. „Jede Nacht hatte ich Shinji angerufen und er hatte solange mit mir telefoniert bis ich wieder eingeschlafen bin.“ „Zumindest kannst du danach wieder schlafen“, merkte Maron tonlos an. Natsuki blickte zu ihr und Chiaki auf. „Ja“, nickte sie, „Irgendwann hörte es auch auf. Aber ich wollte euch nur wissen lassen, dass ich euch verstehen kann.“ Sie schenkte ihnen ein verständnisvolles Lächeln. „Wenn auch nicht im selben Ausmaß wie ihr.“ Maron nickte, während Chiaki still seufzte.   Für einige Momente war es still im Zimmer. Man sah allen an, dass sie müde waren, aber keine wollte Anstalten machen schlafen zu gehen. „Und?“, durchbrach Yamato das Schweigen. „Was hattet ihr Mädels so gemacht?“ „Ehmm… gegessen, gequatscht, Film geschaut“, zählte Miyako mit einer Hand auf, „Oh - und ‚Würdest du lieber‘ gespielt.“ „Klingt cool. Lust auf ein Spielchen?“, fragte er in die Gruppe. Ohne große Einwände stimmten die anderen zu. Natsuki schaltete die App an und las die erste Frage: „Würdest du lieber einen Arm oder ein Bein verlieren?“ Sofort kam von den meisten die Antwort „Arm“. „Schätze mal, keiner hat Lust auf Krücken oder Rollstuhl“, sagte Shinji, nahm sich das Handy und las die nächste Frage: „Würdest du lieber in die Vergangenheit oder in die Zukunft reisen wollen?“ Hier teilten sich die Meinungen bei der Hälfte. Maron las als nächstes vor: „Würdest du lieber wissen wollen, wann du stirbst oder wie du stirbst?“ „Hmmmm“, ging es kollektiv durch die Runde. „Ach du Schande“, sagte Miyako, „Definitiv nicht wann.“ „Aber was ist, wenn ich herausfinde, dass ich vom Auto überfahren werde?“, kam es von Yamato, „Dann bin ich für den Rest meines Lebens ein nervöses, paranoides Wrack, wenn ich jedes Mal raus gehe.“ „Es sei denn, du stirbst friedlich im Schlaf“, entgegnete Shinji, „Wenn das mein Schicksal ist, hätt’ ich nichts dagegen es zu wissen. Ich nehm‘ wie.“ Miyako und Natsuki sagten wie. Yamato und Chiaki entschieden sich für wann. „Ich bin für wann“, sagte Maron, „Da kann ich mich auf den Tag X einstellen und würde die Zeit mit den Menschen, die ich liebe, bestmöglich genießen wollen.“ „Das hast du schön gesagt“, grinste Chiaki sie schief an, worauf sie verlegen rot anlief. Für einige Zeit lief das Spiel so weiter. Teilweise waren die Fragen ziemlich lächerlich und es wurden humorvolle Diskussionen über die Entscheidungsmöglichkeiten geführt, die die Stimmung aufheiterten. Irgendwann wechselten die sechs zu einem Kartenspiel um. Maron hatte seit langem nicht mehr so viel Spaß unter Freunden gehabt. Sie blickte von ihren Karten zu Chiaki rüber -sah wie er mit Natsuki über etwas lachte- und lächelte. Freute sich, dass er es ebenfalls genoss. Ehe alle sich versahen war es morgen und der Tag brach langsam an.   --------------------------------- Wie sehen eure Antworten in „Würdest du lieber“ aus? 😊   Meine Antworten: Million - ich Wahrheit jmd, de ich liebe Arm Zukunft Sterben - Wann Liebe Grüße, bleibt gesund und ein schönes Wochenende! mairio THIRTY-FIVE ----------- THIRTY-FIVE   „Wessen beknackte Idee war es überhaupt Eislaufen gehen zu wollen?“, murmelte Chiaki, während er Hand-in-Hand mit Maron in den Park ging, um sich mit den anderen zu treffen.  „Meine.“ Sie grinste ihn schief an, worauf er seufzte und die Klappe hielt.  Einige Zeit war seit der Übernachtung/dem Spieleabend bei Natsuki vergangen. Seitdem wurde viel in der Gruppe gemacht. Und wenn das Paar mal ihren Tag zu zweit verbringen wollten, was Chiaki meist lieber war, zog er sich mit seinem Mädchen in der Hütte zurück - genossen dort mit ihr die Ruhe.   Ihm war es immer noch nicht ganz geheuer, dass Shinji, Miyako und Natsuki jetzt nahezu über alles Bescheid wussten. Musste sich noch daran gewöhnen, aber solange keiner sie verriet, fand er sich damit ab. Wartend standen ihre vier Freunde vor dem Park und winkten ihnen zu, als sie sich näherten. In den letzten Tagen hatte es viel geschneit und über das Wochenende wurde auch ein Winterfest im großen Stadtpark von Momokuri veranstaltet.  Es gab eine Eisbahn zum Eislaufen, auf einem Hügel konnten Kinder Schlitten fahren und überall waren Stände, die warme Mahlzeiten und Getränke anboten. Gemeinsam steuerte die Gruppe auf die Eisbahn zu und liehen sich Schlittschuhe aus. Die Eisbahn war eine große, viereckige Fläche und außerhalb des Randes befand sich ein DJ, der mit Guter-Laune-Musik die Stimmung aufheiterte. Zusammen begaben sich alle auf die Eisfläche. Während die Mädels mit Leichtigkeit über das Eis glitten, waren die Jungs eher wackelig auf den Beinen.  Chiaki hielt sich eisern an Maron fest, während sie langsam und nahe der Absperrung sich fortbewegten.  „Willst du mal probieren selbst zu fahren?“, fragte sie mit einem amüsierten Lächeln.  „Vergiss es. Ich weich nicht von deiner Seite“, entgegnete er, bezog sich dabei nicht nur auf das Eislaufen und drückte ihre Hand. Maron’s Wangen färbten sich rot und sie lächelte verlegen, als sie das realisierte.  Für eine Weile glitten sie zusammen über das Eis, ab und an passierten sie die anderen. Jedes Mal, wenn Shinji oder Yamato hinfielen, klammerte Chiaki sich noch fester an sein Mädchen, wollte nicht dieselbe Blamage erleiden wie sie. Miyako und Natsuki lachten unterdessen ihre Freunde aus.  Die Mädels schienen sich in jeglicher Hinsicht zu amüsieren.  Einige Zeit verging. „Ich bekomm langsam Kohldampf“, sagte Chiaki. Maron blickte ihn an und nickte. „Schauen wir mal, was es in den ganzen Ständen so gibt“, lächelte sie.  Sie sagten den anderen Bescheid und verließen anschließend die Eisfläche, zogen sich ihre Straßenschuhe an und liefen los.  Chiaki zog sein Mädchen näher zu sich heran und legte seine Hand auf ihrem unteren Rücken.  Nach einigen Metern blieben die Beiden vor einem Stand stehen.  Der Stand war von oben bis unten mit Schneeflocken, künstlichen Eiszapfen und Schneemännern dekoriert und alles war in einem Eisblau gefärbt. Selbst das Essen und die Getränke.  Soweit man es erkennen konnte, wurden warme Süßwaren, wie Waffeln und Kakao angeboten.   „Da?“, fragte Maron mit einem belustigten Lächeln und deutete mit dem Finger auf den Stand.  „Nein. Da sieht es aus, als hätte Jack Frost persönlich drüber gekotzt“, sagte er halb scherzhaft, halb abschätzig und schüttelte entschieden den Kopf. Sie lachte.  „Komm. Gehen wir weiter“, sagte Maron und führte den Weg, „Vielleicht finden wir irgendwo was Gutes zu Essen. Ansonsten kehren wir zu den anderen zurück.“ Doch Chiaki hörte nicht mehr zu, seine Aufmerksamkeit war auf einen Jungen mit dessen Mutter gerichtet, die wenige Meter von ihnen entfernt waren. Die Mutter erschien aufgebracht, schimpfte mit den Kleinen, während der Junge trotzig mit den Füßen stampfte und die Hände fest zu Fäusten geballt hatte. Abrupt blieb Chiaki stehen und beobachtete sie. „Komm! Wir müssen weiter!“, sagte die Mutter, begann ihren Sohn am Arm zu packen und zu zerren. „Nein!!“, weigerte er sich, „Mama! Ich will noch eine Schoko-Waffel!“ „Du hattest eben schon eine. Jetzt bekommst du nichts mehr!“  „Mama!“ Der Junge quengelte. Für einige Momente ging es so hin und her. Die meisten Leute um sie herum gingen ihnen aus dem Weg, machten einen Bogen um die beiden. Irgendwann fing der Junge an zu weinen. „Du blamierst mich noch!!“, entkam es genervt und merklich angepisst von der Mutter. Noch immer zerrte sie am Arm des Jungen, während er sich nicht vom Fleck bewegen will. Als nächstes hob sie ihre Hand und holte aus. In dem Moment sah Chiaki ein Bild vor Augen und die Geräusche um ihn herum verblassten. Sein Magen fühlte sich schwer an und teilweise wurde ihm übel. Maron drehte sich mit großen Augen zu ihm um. „Chiaki?“  Ehe er sich versah, war er bei der Mutter und dem Jungen, stoppte die Frau am Handgelenk. Die Frau wich überrascht zurück, sah ihn mit großen Augen entgeistert sowie überrascht an.  „Entschuldigen Sie bitte?!“, entkam es ihr empört, „Was wollen Sie von mir?! Und lassen Sie mich gefälligst los!“ „Sie daran hindern, Ihrem Kind zu schaden“, sagte er mit verengten Augen. „Mama!“ Der Junge klammerte sich an seine Mutter und blickte Chiaki verängstigt an. Als Chiaki realisierte, dass der Kleine Angst vor ihm hatte, ließ er abrupt die Mutter los und ging einen Schritt zurück.  Die Frau sagte irgendwas, beschwerte sich, aber sie wurde von dem Rauschen in seinen Ohren übertönt.  Maron war plötzlich an seiner Seite, erwiderte etwas, schien ihn im Schutz zu nehmen. Er hörte nicht, was sie sagte. Seine Augen blickten sich in alle Richtungen um, trafen auf schockierte, verstörte Gesichter.  Er konnte hier nicht bleiben. Er musste hier weg.  Er machte auf dem Absatz kehrt und ging schnellstmöglich davon. *** „Chiaki, warte!“ Maron sprintete ihrem Freund hinter her, als er etwas abseits von den Menschen hinter ein paar Bäumen stehen blieb. Sie nahm seine Hand, blickte ihn besorgt an.  „Was war los? Bist du okay?“, fragte sie. Wie versteinert blickte er in die Ferne, hatte ihr den Rücken zugewandt. Er seufzte und drehte sich mit einer reglosen Miene zu ihr um. Sie schluckte schwer, als sie den Ausdruck in seinen Augen erkannte. Der Ausdruck, der ihr immer Sorgen bereitete. „Lass uns zu den anderen zurückkehren“, sagte Chiaki mit tonloser Stimme, „Vergiss einfach, was vorhin passiert ist.“ Damit ging er los, während Maron ihm noch für einen Moment hinterher sah. Denn was eben geschehen war, konnte sie nicht einfach vergessen.  Mit einem teils ernsten, teils besorgten Gesichtsausdruck folgte sie ihm, schloss sich den anderen wieder an. Für den Rest des Nachmittags sprach Chiaki kein Wort mehr, distanzierte sich von allen. Den Blicken ihrer Freunde zu urteilen, schienen alle zu merken, dass etwas nicht stimmte. Sie fragten jedoch nicht nach und beschlossen nach nicht allzu langer Zeit nach Hause zu gehen.   Maron war sichtlich besorgt um ihn, konnte den ganzen Abend lang nicht aufhören aus dem Fenster zu schauen und zu seinem Zimmer rüber zu starren.  Um zehn stand sie nervös vor seiner Balkontür, hoffte innerlich sehr, dass seine Laune sich in den letzten paar Stunden etwas gebessert hatte. Zu ihrer Enttäuschung war dem nicht so.  Als Chiaki ihr die Tür aufmachte, trug er nach wie vor diesen verlorenen Ausdruck in seinen Augen, der ihr jedes Mal das Herz brach.  Für eine Weile saß Maron mit ihm auf dem Bett und blickte ihn besorgt an, während er schweigend ihr Essen aß.  „Ich möchte mehr über deine Mutter wissen“, durchbrach sie schließlich die Stille, als er fertig gegessen hatte.  Chiaki warf ihr einen kurzen, undurchdringlichen Blick zu und seufzte schwer, ehe er sich hinlegte und seinen Kopf auf ihrem Schoss betete. So wie sie es in letzter Zeit immer taten, wenn ihn etwas aus der Vergangenheit plagte. Sanft strich Maron ihm durch die Haare, während er für einige Moment mit einem gedankenverlorenen Ausdruck zur Decke starrte.  „Sie hatte ein schönes Lächeln“, begann er zu sagen, fuhr sich mit einer Hand durch ein paar Strähnen.  Wie wahr..., dachte Maron sich, als sie an die Skizzen von seiner Mutter zurückdachte. Es ist auch dein Lächeln. „Ich weiß noch, wie sie gelächelt hatte, als ich ihr mal eine herzförmige Karte zum Muttertag gebastelt habe.“ Maron konnte sich bei der Vorstellung ein warmes Lächeln nicht verkneifen. „Es ist merkwürdig, dass ich mich an ihr Lächeln erinnern kann... denn das Erste was ich immer vor mir sehe, wenn ich an sie denke, ist ihr weinendes Gesicht.“ Er senkte seinen Blick. „Sie weinte viel, seit… jenem Tag. Egal, ob ich auch im Zimmer war oder nicht.“ Kurz hielt er inne, atmete tief ein und wieder aus. „Manchmal hatte sie ihre ‚guten‘ Tage, wo sie fast wieder die Alte war. In der sie fast wieder die tollste Mutter der Welt war, die man sich als Kind vorstellen konnte. Aber für die meiste Zeit war sie traurig, schenkte mir kaum Beachtung. Ich ließ sie in Ruhe, weil sie mir Angst bereitet hatte, wenn sie weinte.“ Maron schluckte als ihr die nächste Frage auf der Zunge lag. „Was passierte denn, wenn du sie nicht in Ruhe gelassen hast?“ Chiaki presste sich die Lippen fest zusammen, schloss für einen Augenblick schweigend seine Augen und drehte sich zur Seite, das Gesicht zu ihr gewandt. Er öffnete seinen Augen und Anzeichen von Schmerz breitete sich in seinen Zügen aus. Sie dachte an sein Verhalten von heute Nachmittag zurück, hörte nicht auf ihm sachte durch die Haare zu streichen. „Hatte sie dir weh getan?“ Ihre Stimme war ein leises Flüstern. Maron spürte, wie Chiaki sich für einen Moment versteifte. Er öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder. Tränen schimmerten in seinen Augen, die er mit einem schweren Seufzer wieder schloss. Seine Arme schlangen sich wortlos um ihre Mitte. Sein Schweigen reichte ihr als Antwort. Ohne weiteres umarmte sie ihn zurück, rutschte etwas runter, um mit ihm auf selber Höhe zu sein. Sie legte ihre Arme fest um ihn, während er seinen Kopf jetzt auf ihrer Schulter ruhen hatte und still weinte. Maron kämpfte selbst mit den Tränen, zwang sich jedoch für ihn stark zu sein. Sie hasste es ihn so gebrochen zu sehen. Umso mehr hasste sie seine Mutter. Die Frau, die ihn so gebrochen hatte. Die Frau, die ihn früher jede Nacht in den Schlaf gesummt hatte. Die Frau, die es ihm erlaubt hatte, Löcher im Garten zu graben und dabei seine Klamotten zu ruinieren. Die Frau, die ihm so viel bedeutete. Die er trotz allem geliebt hatte – wie jedes Kind seine Mutter liebte. Die nach dem tragischen Vorfall sein einziger Anker war. Und die ihn trotz allem einfach im Stich ließ. Hatte ihn von sich gestoßen und für immer geschädigt. Während Maron Chiaki hielt und ihm Trost spendete, wollte sie diese Frau am liebsten ausfindig machen und zur Rede stellen. Sie wollte diese Frau fragen, wie sie ihm sowas antun konnte. Sie wollte dieser Frau in die Augen sehen und versuchen zu verstehen wieso. Aber was sie nach dem heutigen Tag am aller meisten wollte, war diese Frau aufzuspüren und ihr ins verdammte Gesicht zu spucken. THIRTY-SIX ---------- THIRTY-SIX   „Zieh das an.“ Maron sah Miyako mit großen Augen an, nachdem diese kurz durch ihren Kleiderschrank gewühlt hatte und ihr nun ein rotes Set Spitzenunterwäsche entgegenhielt. „I-I-Ich...“, stotterte sie verlegen, das Gesicht tomatenrot. Sie schüttelte den Kopf. Miyako sah sie mit hochgezogener Augenbraue schief an. „Wozu hast du dir das letztens, als wir shoppen waren, gekauft, wenn du es nicht anziehen willst? Außerdem wolltest du meine Hilfe bei der Outfitsuche.“ „Ich weiß nicht, ob...“ Maron verstummte, wusste nicht, was sie darauf entgegenbringen sollte. „Es ist Valentinstag“, sagte Miyako in einem nüchternen Ton, „Der perfekte Anlass, um deinen Freund so richtig zu verführen.“ Sie zwinkerte ihr mit einem vielsagenden, nahezu frechen Grinsen zu. Maron’s Gesicht wurde nach roter, als es schon war. Glich farblich wahrscheinlich schon dem Unterwäscheset vor ihrer Nase. „Wenn du das sagst…“, murmelte sie, beäugte die Sachen. Sie war sich nicht sicher, ob sie und Chiaki wirklich schon so weit waren. Klar, im Vergleich zu vor einem Monat haben sie riesige Fortschritte gemacht. Er konnte sie an nahezu allen sensiblen Bereichen ihres Körpers berühren… Mit und stellenweise auch ohne Klamotten. Aber ob sie wirklich schon bereit war? Sie hoffte ja. Sie wollte ihn. Und sie wusste, dass er sie auch will. Besonders in den letzten Tagen hatte sie das Gefühl, dass ihre Begierde zueinander immens gestiegen war. Miyako drückte ihr das Unterwäscheset in die Hand. Maron sah, wie sie weiter in ihrem Kleiderschrank rumwühlte. „Hier“, sagte Miyako und holte ein rotes Kleid heraus. „Nicht zu sexy, nicht zu langweilig und dennoch elegant.“ Augenrollend nahm Maron ihr mit einem kleinen Lächeln das Kleid ab und zog es sich kurz über. Es war ein kurzes, langärmliges Kleid, welches ziemlich einfach geschnitten war. [X] „Gut“, grinste Miyako sie im Spiegelbild an, worauf sie verlegen lächelte und sich wieder ihre Haussachen anzog. Maron’s Handy begann auf dem Nachttisch kurz aufzublinken. Eine SMS von Chiaki. Sie öffnete die Nachricht und schmunzelte etwas. „Und? Was schreibt der Lover?“, fragte Miyako neugierig. „Kaiki hätte eben angerufen und gemeint, dass er bis Morgen auf der Arbeit feststecken würde.“ Maron hatte die vage Vermutung, dass dies allerdings nur eine Ausrede war. Ob Dr. Anzai auch auf der Arbeit feststeckte?, ging es ihr amüsiert durch den Kopf. „Perfekt!“ Miyako kicherte belustigt. „Unsere Eltern denken ja, wir übernachten bei Natsuki, da ihre Eltern das Wochenende wieder mal weg sind. Doch in Wahrheit werde ich bei Yamato sein und du bei Chiaki. Und den einzigen Besuch den Natsuki erwarten würde, wäre von Shinji.“ Maron lächelte in sich hinein, spürte, wie allmählich die Aufregung über den Abend in ihr hochstieg.   Um sechs war es schließlich soweit, dass Takumi und Sakura in ein Restaurant ausgingen, die Mädels sich brav von ihnen verabschiedeten und selbst anschließend sich für den Abend fertig machten. Maron bereitete noch ihr großes Valentinstagsdinner vor, welches sie mittags schon vorgekocht hatte und packte alles in einige Tupperwaren-Boxen ein. Miyako schaute ihr dabei zu, quatschte nebenbei mit ihr. Danach zogen sie sich um. Maron zog sich zuerst die Unterwäsche an und betrachtete sich unsicher darin im Spiegel. „Du siehst heiß aus“, versicherte Miyako, die ebenfalls in aufreizender Unterwäsche dastand. Im Vergleich zu dem was sie trug, war Maron’s Set noch unschuldig. Mit geröteten Wangen zog sie sich das rote Kleid über und dazu dünne, dunkle, halterlose Strümpfe. Sie strich mit den Händen über den Stoff des Kleides. „Hübsch hübsch“, hörte sie Miyako sagen. Maron sah zu ihr auf. „Du siehst auch nicht schlecht aus“, gab sie ihr das Kompliment zurück, lächelte sie schief an. Miyako drehte sich zufrieden in ihrem Outfit im Kreis und wandte sich anschließend dem Spiegel zu, um sich Haare und Make-Up zu machen. Maron tat es ihr nach. Nach einiger Zeit verließen sie das Haus und verabschiedeten sich mit einer Umarmung voneinander. Während Miyako zu ihrem Auto ging, lief Maron zu den Nagoyas rüber. Es war ziemlich ungewohnt so „früh“ zu Chiaki rüberzugehen, da es noch nicht zehn war. Ausnahmsweise ging sie auch zur Vordertür, da sie in einem Kleid schlecht klettern konnte. Und da war sie wirklich froh, dass Kaiki vermeintlich auf der Arbeit feststeckte und sie beide die Villa für sich haben werden.   Maron klingelte an der Tür und ein paar Momente später öffnete Chiaki sie ihr. Er lächelte sie mit seinem charmanten, schiefen Lächeln an, als er sie ins Warme rein ließ. Im nächsten Moment befand Maron sich in seinen Arme und seine Lippen lagen auf ihre. Liebevoll küsste sie ihn zurück, bemerkte anschließend, wie Chiaki ihre Tasche von den Schultern nahm und seine Lippen von ihren trennte. Er sah sie mit belustigtem Gesichtsausdruck an, als er das Gewicht der Tasche bemerkte. „Horten wir für den nächsten Winter?“, fragte er, „Nicht, dass ich was dagegen hätte“, fügte er augenzwinkernd hinzu. Dieses Augenzwinkern brachte ihr Herz zum Flattern. „Es ist ein besonderer Anlass“, entgegnete Maron, nahm seine Hand und ging mit ihm in sein Zimmer hoch. Dort packte sie ihren Rucksack aus und stellte alles auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa ab. Chiaki sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, als er die ganzen Boxen sah. „Du weißt schon, dass das für eine Person ein bisschen zu viel ist, oder?“ Maron rollte ihre Augen. „Ich habe auch für zwei gekocht“, erwiderte sie mit einem süßen Grinsen. Seine Augen leuchteten auf und ein breites Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. „Ich gehe was zu Trinken holen“, sagte er und verließ kurz das Zimmer. Unterdessen packte Maron fertig aus, legte alles ordentlich zurecht. Anschließend erhob sie sich, um sich Schuhe und Mantel auszuziehen. In dem Moment kam Chiaki wieder ins Zimmer rein, ihre Blicke trafen sich und seine Augen wanderten für einige langen Sekunden ihren Körper auf und ab, blieben dabei etwas länger auf ihren Beinen haften. Schnell blickte er zur Seite, die Wangen leicht gerötet und räusperte sich. Er ging auf sie zu, stellte eine Flasche Soda mit zwei Gläsern auf dem Tisch ab, machte Musik an und ließ sich daraufhin auf dem Teppichboden nieder. Maron spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Sie nahm gegenüber von ihm Platz und öffnete die Boxen, verteilte sie zwischen ihnen. Chiaki strich sich einmal durch die Haare, sah ihr dabei zu und lächelte erfreut. Anschließend begannen sie zu essen. Für eine Weile aßen sie in einem angenehmen Schweigen, nur die Klänge der Musik füllte den Raum. „Schmeckt wie immer super“, durchbrach er schließlich die Stille zwischen ihnen. „Das freut mich“, lächelte Maron mit halbvollem Mund. Chiaki sah grinsend zu ihr auf und sah sie für einige lange Sekunden an. Sie spürte, wie sie wieder rot wurde, ehe er seinen Blick von ihr abwandte und weiter aß. *** Wie konnte man nur so perfekt sein? Das Kleid. Die langen Beine. Die Haare. Die rosanen Wangen. Die großen, braunen Augen. Die roten Lippen. Ihr gesamtes Wesen. Chiaki konnte sich an seinem Mädchen einfach nicht satt sehen - könnte es wahrscheinlich auch nie. Doch er zwang sich dazu sich auf ihr leckeres Essen zu fokussieren und mit ihr irgendwelche belanglose Gespräche führen, sonst würde er den ganzen Abend damit verbringen sie wie ein Volldepp anzustarren. Zu seiner Überraschung hatte sie heute sogar Dessert gebracht. Während Chiaki seinen Pudding aß, kam er nicht drum rum Maron schamlos dabei zu beobachten, wie sich ihre roten Lippen um den Löffel legten. Sein Herz klopfte auf. Er schüttelte unmerklich seinen Kopf, räusperte sich leise und wandte seinen Blick schnell wieder ab. Als sie fertig waren, half er Maron die Boxen aufzuräumen. Anschließend standen sie beide auf, Chiaki nahm ihr Handgelenk und zog sie lächelnd zu sich. In der nächsten Sekunde waren seine Lippen auf ihren. Eine Hand war auf ihrem Nacken, während die andere auf ihrer Wange lag. Er spürte, wie sein Mädchen lächelte. Sie küsste ihn gefühlvoll zurück, schlang ihre Arme um seine Taille, zog ihn näher zu sich. Ihre Lippen waren so weich und warm, bewegten sich heiß auf seinen. Nach einer Weile öffneten sie sich und gewährten ihm Einlass. Sie schmeckte süß. Seine Zunge berührte ihre. Ein raues Seufzen entkam ihm. Auch von ihr war ein Seufzen zu hören. Sein Daumen auf ihrer Wange strich ihr sanft über die Haut. Mit einem Lächeln löste er sich von ihr und blickte ihr liebevoll in die Augen. Er beobachtete, wie sie ihre Zunge über ihre Lippe strich - was seine Hormone verrücktspielen ließ. Er lehnte seine Stirn zu ihrer herunter und nahm ihre Hände in seine, verschränkte ihre Finger ineinander. „Ich habe ein Geschenk für dich“, wisperte er. Maron neigte ihren Kopf, zog ihre Brauen leicht zusammen. „Du weißt, dass Valentinstag für den Kommerz kreiert wurde, um den Kauf von Blumen und Grußkarten in die Höhe zu bringen und um den Umsatz im ersten Quartal zu steigern.“ „Awww.“ Chiaki grinste amüsiert. „Hör auf mich mit Faktenwissen über die Umsatzentwicklung im ersten Quartal zu verführen“, sagte er und stupste ihre Nase. Leise seufzend rollte Maron mit den Augen, während er sich zu seinem Nachttisch umdrehte und ihr Geschenk rausholte. „Ich habe kein Valentinstagsgeschenk für dich“, hörte er sein Mädchen mit Bedauern sagen, als er sich wieder zu ihr umdrehte, das Geschenk in seiner Hand hinter seinem Rücken versteckt. „Ich auch nicht“, zuckte er mit den Schultern und grinste, als sie ihn verwirrt anblickte. „Ich habe nur zufällig ein Geschenk, welches ich dir zu Valentinstag gebe“, sagte er, strich ihr sanft eine wellige Strähne aus dem Gesicht, worauf sie lächelnd die Augen verdrehte. Chiaki kicherte leise. „Schließ deine Augen“, sprach er sanft. Sie gehorchte, schloss seufzend ihre Lider. Er ging um Maron herum, sodass er direkt hinter ihr stand. Für einen Moment hielt er inne und sah auf die silberne Kette in seiner Hand herab. Als Anhänger war ein Herz mit Engelsflügeln und darin ein zweites Herz zu sehen. [X] Chiaki wusste sofort, dass er es ihr holen wollte, als er es sah. Sie war sein Engel und sein Herz gehörte ihr. Er schob mit einer Hand sachte ihre Haare auf eine Seite und band ihr die Kette vorsichtig um den Hals. Seine Finger verweilten noch etwas auf ihrem Nacken, ehe sie über ihre Schultern die Arme herunterglitten und sich um ihre Hände legten. „Du kannst die Augen öffnen.“ Chiaki sah, wie Maron ihren Kopf leicht senkte und mit einer Hand den Anhänger hochhob. „Sie ist wunderschön!“, hauchte sie, ein Lächeln war aus ihrem Ton zu vernehmen. Lächelnd beugte er sich herunter, um ihr einen Kuss an der Stelle zwischen Schulter und Nacken zu drücken. „Nicht so wunderschön, wie du“, erwiderte er, drehte seinen Kopf zu ihr und versiegelte in dem Moment, in der Maron sich ebenfalls zu ihm drehte, ihre Lippen zu einem innigen Kuss. Sie seufzte, als sich ihre Lippen berührten und lehnte sich mit dem Rücken noch mehr an seine Brust an. „Jetzt fühle ich mich noch mieser, dass ich kein Geschenk für dich hab“, murmelte sie gegen seine Lippen. Seine Arme legten sich um sie. „Du bist Geschenk genug für mich.“ Er küsste ihre Wange und strich anschließend wieder mit seinen Lippen über ihren Hals. Verteilte dort zarte Küsse.   Seine Hände tasteten sich zum Reißverschluss des Kleides hoch und zogen es nach unten. Unterdessen ließen seine Lippen nicht von ihrer warmen Haut ab. Er streifte ihr den Stoff von den zarten Schultern, holte ihre Arme aus den Ärmeln und ließ das Kleid locker zu Boden gleiten. Er zog scharf Luft ein. „Gott, du machst mich noch fertig, Maron“, brachte er hervor, als er von oben auf sein Mädchen herabsah. Sie raubte ihm echt noch dem Atem. Das Einzige was er nur noch sah war Rot und Spitze. Er atmete tief durch, schloss seine Augen und im nächsten Moment waren seine Lippen wieder auf ihren, küsste sie leidenschaftlich. Sie keuchte leise, als sie sich lösten und er wieder ihren Hals liebkostete. Behutsam dirigierte er sie so, dass sie sich zusammen auf sein Bett niederließen und sein Mädchen auf dem Bauch lag. Auf Knien und Händen war er über sie gestützt. Unter Küssen wanderte er ihren Hals und Nacken herab zu ihrem Rücken. Sanft küsste er jede einzelne ihrer Narben, strich mit den Fingerspitzen über ihre Haut. „Mein Engel…“, wisperte er, während er ihre dickeren Narben auf ihren Schulterblättern zärtlich küsste. Sie erschauderte unter seinen Berührungen. Sanft Chiaki fuhr den Stoff ihres BHs entlang und drehte sie mit einer Handbewegung um. Fuck, ging es ihm durch den Kopf, während sich ihr Anblick in sein Gedächtnis einbrannte. Er schluckte schwer. Seine Augen trafen auf ihre. Mit einer Mischung aus Verlangen und Nervosität blickte Maron ihn an. Sah dennoch furchtbar verführerisch aus. Er war wie erstarrt, wollte es nicht wagen seinen Blick von ihr abzuwenden. Langsam setzte sie sich auf. Dies löste ihn aus seiner Starre, er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie liebevoll, strich sanft über ihre Wangenknochen. „Du siehst so verflucht sexy aus“, wisperte er gegen ihre Lippen, die Stimme tief und rau, ehe er den Kuss fortsetzte. „Gut, dass es dir gefällt“, murmelte sie verlegen lächelnd und küsste ihn leidenschaftlich zurück. Ihre Arme legten sich auf seinen Schultern ab und sie rückte zu ihn heran, setzte sich auf seinem Schoß. Er seufzte in ihren Mund, hielt sie an der Hüfte fest. Auch ihrer Kehle entkam ein unterdrücktes Stöhnen. Er wusste, dass sie ihn hart unter sich spüren konnte. Seine Zungenspitze strich ihr über die Unterlippe. Ihre Lippen öffnete sich und sie neigte leicht seinen Kopf, um ihm besseren Einlass zu gewähren. Ihre Zungen trafen aufeinander, spielten und tanzten miteinander. Sie presste sich noch mehr an ihn heran, verlagerte ihre Hüfte und seine Erregung unter ihr wuchs. Ihre weichen Lippen brannten wie Feuer auf seinen und ihre Hände strichen ihm über die Brust und an den Seiten. Für einen Moment löste Maron den Kuss und ehe Chiaki sich versah, hatte sie ihm sein Shirt über den Kopf gezogen, warf es irgendwo beiseite und drückte ihn an den Schultern nach hinten auf die Matratze runter. Er sah sie mit großen Augen leicht überrascht an. Sie sah auf ihm herab und ein warmes, verspieltes Lächeln bildete sich auf ihrem wunderschönen Gesicht. Sie sah so verführerisch sexy aus, es machte ihn wahnsinnig. Eine sanfte Röte umspielte ihre Wangen. Die Lippen waren rot geschwollen. *** Maron sah, wie seine Augen sie mit einem verschleierten Blick ansahen. In nichts als ihrer Spitzenunterwäsche und ein paar Strümpfe saß sie auf ihn. Die Luft zwischen ihnen knisterte förmlich. Ihre Finger strichen ihm im Rhythmus sanft durch die Haare. Seine Hände ruhten auf ihrer Hüfte, rührten sich nicht und dennoch verursachten sie in ihrem Inneren ein Feuerwerk. Seine Augen blickten eindringlich in ihre. Er hatte keine Ahnung, was für eine Wirkung er auf sie hatte, wenn er sie so ansah. Mit Lust. Und Verlangen. Und auch… mit Liebe und Fürsorge. Seine Augen schweiften zu ihren Lippen herunter. Ihr Herzschlag sowie ihre Atmung beschleunigten sich. Mit einer Hand strich sie Chiaki sachte über die Brust, stoppte für einige Momente über sein Herz. Sie konnte sein Herzschlag unter ihren Fingerspitzen fühlen. Ohne ihren Blickkontakt abzubrechen, setzte er sich langsam auf. Im nächsten Moment küsste er sanft ihren Hals und nahm schließlich von ihren Lippen Besitz. Keuchend erwiderte sie den Kuss. Währenddessen tasteten sich ihre Hände weiter herab zu seiner Jeans. Gerade als sie den Knopf öffnete und den Reißverschluss runterzog, hatte Chiaki ihre Handgelenke genommen und sie rücklings auf die Matratze gedrückt. „Hier geht es nicht um mich“, sprach er mit rauer Stimme in ihr Ohr und blickte sie mit dunklen Augen an. Maron starrte zurück, biss sich auf die Lippe und nickte stumm. Auch wenn sie ihn auch berühren wollte, so überließ sie ihn die Führung. Sein Gesicht blieb gefasst, während eine Hand auf ihrer Wange lag und die andere im Rhythmus ihr an den Seiten auf und ab streichelte. Seine Lippen senkten sich auf ihr Schlüsselbein, küssten die Narben auf ihrem Dekolleté. Seine Hand wanderte zu ihrer Brust hoch, massierten sie über dem Stoff des BHs. Sie keuchte erregt auf. Seine Berührungen hinterließen ein Feuer auf ihrer Haut. Langsam wanderte seine Hand von ihrem Oberkörper zu ihrer Hüfte und anschließend ihr Bein hinab, strich einige Male über den Oberschenkel. Zur selben Zeit verteilte er auf ihrem Bauch federleichte Küsse, die sie am ganzen Körper erschaudern ließen. Danach trafen seine Lippen wieder auf ihre und fanden sich auf ihrem Hals und Dekolleté erneut wieder. Sanft knabberte er an ihrer Haut und besänftigte die Stellen mit seinen Lippen und seiner Zunge. Sie seufzte atemlos. Ihre Hände krallten sich in seinen Haaren fest. Unterdessen streifte er ihr mit seiner Hand den Strumpf vom Bein ab, fuhr daraufhin die nackte Haut hoch und runter. Dieselbe Prozedur machte er auch mit dem anderen Bein. Innerlich war sie froh, dass er ihr die Dinger ausgezogen hat, denn ihr war extrem heiß. Sie wünschte sich, dass er ihr auch noch die letzten beiden Kleidungsstücke auszog, doch das tat er nicht. So sehr sie ihn mit ihren Augen auch anflehte.   Die Hand auf ihrem Bein wanderte ganz langsam hoch zu ihrem Slip, sein Daumen strich sachte über dem Rand des Stoffes. Was ihr ein Kribbeln auf der Haut verursachte. Ihre Brust hob sich schnell auf und ab. Ihre Atmung wurde noch schneller. Sie sah ihm in die Augen. Seinem Gesichtsausdruck nach, versuchte er die Kontrolle aufrecht zu erhalten. Nichtsdestotrotz konnte Maron sehen, wie Chiaki schluckte, während er ihren Blick standhielt. Seine andere Hand lag nach wie vor auf ihrer Wange, strich ihr mit dem Daumen liebevoll über die Haut. Ihre Finger legten sich um seinen Nacken und sie zog ihn für einen weiteren Kuss zu sich. Seufzend trafen ihre Zungen aufeinander. Plötzlich spürte sie, wie seine Hand zwischen ihren Beinen war und seine Finger über ihre mit Spitze bedeckte Mitte strichen. Überrascht zog sie scharf Luft ein. Er stoppte sich, zog seine Hand zurück, strich ihr zärtlich über das Knie. Besorgt sah er auf sie herab. Sie gab ihm wortlos zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Keine Panik- oder Angstattacke. Sanft strich sie ihm durch die Haare und küsste ihn. Nach einer Weile rutschte seine Hand von ihrem Oberschenkel wieder zwischen ihre Beine. Abrupt brach sie den Kuss ab und keuchte bei seinen Berührungen. Erneut strichen seine Finger über ihre sensibelste Stelle. Zunächst ganz leicht und mit jedem verstrichenen Moment übte er mehr und mehr Druck aus. Maron schnappte erregt nach Luft, warf ihren Kopf ins Kissen zurück. Er hatte sein Gesicht in ihre Halsbeuge vergraben, stöhnte sanft. Auch seine Atmung ging etwas schneller. Ihre Beine öffneten sich noch etwas mehr und sie verlagerte ihre Hüfte. Sie wimmerte leise, schlang ihre Arme fest um ihn, drückte ihn noch enger an sich. Sie konnte seinen schnellen Herzschlag auf ihrer Brust spüren. Ihr Herz klopfte genauso schnell. Das Verlangen in ihr wuchs und ihr Verstand war völlig benebelt von Chiaki’s Präsenz. Sie wusste nicht auf was sie sich konzentrieren sollte: seine Hand zwischen ihren Beinen oder seinen Lippen auf ihren Hals. Alles an ihn berauschte ihre Sinne. Seine Hand auf ihrer Wange fand sich auf ihrer Brust wieder, strich über den Stoff des BHs sowie über die Wölbungen. Ein Stöhnen, welches von seinen Lippen unterdrückt wurde, entkam ihr. Die Küsse und Berührungen wurden immer fordernder und intensiver. Dennoch konnte sie fühlen, dass er sich zurückhielt. Sie hingegen wollte mehr. Wollte mehr von ihm spüren. Er würde sie jedoch nicht soweit kommen lassen, war womöglich immer noch der Ansicht, dass sie noch nicht bereit war. Es war zwar liebevoll und fürsorglich von ihm. Aber gleichzeitig auch nervig. Von daher musste Maron die Initiative ergreifen. Ihre Hände wanderten von seinen Haaren zu seiner Gürtellinie herab. Da seine Hose schon offen war, brauchte sie ihre Hand nur in seine Boxershorts reinzuschieben. In dem Moment in dem sie ihn umfasste, zog Chiaki scharf Luft ein. Er zog sein Gesicht zurück, sodass er nur wenige Zentimeter über sie war. Sein heißer Atem kitzelte auf ihrem Gesicht. Seine Hand auf ihrer Mitte hörte allerdings nicht auf sie zu streicheln. Maron blickte ihm in die dunklen, mit Lust verschleierten Augen und sah seinen zwiegespaltenen Gesichtsausdruck. Dies stoppte sie jedoch nicht ihre Hand im selben Rhythmus, wie er, zu bewegen. Erneut zog er scharf Luft ein und seine Lider zuckten. Die Hand auf ihrer Brust rutschte herunter und hielt sich am Bettlaken fest. Seine Lippen pressen sich fest zusammen und die Muskeln in den Kiefern spannten sich an. Sie wusste, dass es ihm gefiel und dennoch schien er im Konflikt mit sich zu stehen. *** Er konnte deutlich ihre Erregung durch den dünnen Spitzenstoff unter seinen Fingern spüren, die von Sekunde zu Sekunde immer mehr zunahm. Gleichzeitig waren die Geräusche, die ihr entkamen wie Musik in seinen Ohren. Ihre Augen spiegelten ihre Lust deutlich wider. Und dann war ihre Hand, die sich einfach so in seine Boxershorts geschlichen hatte und… sich so verdammt gut um ihn herum anfühlte. Als sie noch gleichzeitig ihre Hüfte unter seiner Hand bewegte, war es fast um ihn geschehen. Es erinnerte ihn daran, was sein Mädchen wollte… und was er wollte. Und all diese Aspekte brachten ihn am Rande des Wahnsinns. Er war im inneren Konflikt mit dem hormongesteuerten Teenager in ihm. Gleichzeitig fesselten ihn ihre wunderschönen Augen, die ihn mit Liebe und Verlangen ansahen. Wie auf Autopilot, küsste Chiaki ihre verführerisch roten, geschwollenen Lippen. Und seine Hand schlüpfte unter ihrem Slip. Sie keuchte inmitten des Kusses, stöhnte laut in seinen Mund. Ihre freie Hand griff sich in seinen Haaren fest. Er stöhnte ebenfalls, zum einen wegen dem Gefühl ihrer Finger um ihn und zum anderen wegen dem Gefühl von ihr unter seinen Fingern. Es fühlte sich alles gottverdammt gut an. Sie fühlte sich gottverdammt gut an. Atemlos lehnte er seine Stirn an ihrer an, schloss seufzend seine Augen. Sein Mädchen hatte keine Ahnung, was für eine Wirkung sie auf ihn hatte. Oder vielleicht doch... Wie auch immer - sie machte ihn noch wirklich wahnsinnig. Er öffnete seine Augen, während er ein Finger langsam in sie einführte – machte sich teilweise darauf gefasst, dass Maron ihn von sich stoßen würde. Doch stattdessen flatterten ihre Augen zu und ein genüssliches Seufzen entkam ihrer Kehle. Er hielt für einen kurzen Moment inne und führte seine Handlungen anschließend fort. Sie war so warm. So verdammt warm und heiß. Nach einer Weile fügte er noch einen zweiten Finger hinzu. Ihre Atmung ging immer schneller, ihr Stöhnen wurde lauter. Sie wimmerte seinen Namen. Ihre Münder kollidierten, bewegten sich gierig aufeinander und schluckten die jeweiligen Geräusche das anderen. Er löste seine Lippen von ihren und vergrub sein Gesicht in ihre Halsbeuge, nippte an ihre bereits geröteten Hautstellen. „Fuck…Maron… Ich will dich so sehr“, sprudelte es atemlos aus ihm heraus. Sie stöhnte, rang gleichzeitig angestrengt nach Luft. „Du hast mich“, hauchte sie, „Nimm mich.“ Er stieß einen angestrengten Laut aus. Ein Teil von ihm -der hormongesteuerte Teenager in ihm- wollte ihren Worten nachgehen. Ein anderer Teil zögerte. Er wusste, dass sie sicher und safe sein werden. Maron hatte sich vor einiger Zeit bereits darum gekümmert. In der Hinsicht waren sie zumindest vorbereitet. Sie wollte es...aber waren sie wirklich schon so weit? Oder war es nur instinktive Lust, die sie antrieben? Seine Gedanken fuhren Achterbahn. Der verantwortungsvolle Teil in ihm, sagte, dass er sich besser zurückhalten zu sollte, dass er Rücksicht vor Maron nehmen sollte. Was ist, wenn sie am Ende doch noch nicht bereit war? Außerdem... Er wusste, dass es wehtun wird. Dass es bluten wird. Und das wollte er seinem Mädchen irgendwie nicht antun. Er wollte ihr nicht wehtun. Konnte es nicht. Er wollte ihre Unschuld nicht verunreinigen. Innerlich fluchend schüttelte er gegen ihre Schulter seinen Kopf. „Bitte“, bat sie ihn wimmernd. Er weigerte sich. Seine Finger nahmen an Tempo zu. Sie rekelte sich unter ihm, hob ihre Hüfte instinktiv an und biss sich stöhnend auf die Unterlippe. Er konnte die Frustration in ihrer Stimme hören. Sowie den Drang nach Erlösung. Er konnte spüren und hören, wie sie ihrem Höhepunkt näherkam. Allerdings versuchte sie es hinauszuzögern. Unterdessen hatte sie ihre Hand aus seiner Hose rausgeholt, hielt sich stattdessen krampfhaft an seinen Schultern fest. Ihre Muskeln begannen sich anzuspannen. „Lass los“, flüsterte er heiser gegen ihren Nacken. Sie stöhnte und wimmerte, schüttelte atemlos ihren Kopf. „Fuck... Maron.“ Er brachte seine Lippen zu ihrem Ohr. „Komm für mich“, sprach er mit tiefer, rauer Stimme. Im nächsten Moment zuckten all ihre Muskeln zusammen und verkrampften sich. Sie vergrub ihr Gesicht in seinen Nacken und der erotischste Lustschrei, den er jemals gehört hatte, entkam ihren Lippen. Anschließend ließ sie ihn los und fiel erschöpft in die Kissen zurück. Seufzend entzog Chiaki sich von ihr, legte sich neben sie, hatte seine Arme um sie gelegt und strich ihr sanft ein paar Strähnen aus dem Gesicht.   Maron rührte sich für eine Weile nicht, atemlos hob sich ihre Brust auf und ab. Ihre Augen glänzten zufrieden. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Plötzlich schnellte ihr Kopf zu ihm. Sie funkelte ihn an, schnappte sich ein Kissen und schlug ihn damit fest ins Gesicht. Chiaki nahm ihr irritiert das Kissen ab. „Was ist nur verflucht nochmal los mit dir?!“, meckerte Maron ihn an. Seine Augen weiteten sich schockiert. Er rutschte zu ihr heran und nahm sie in seine Arme. Sie schob ihn jedoch genervt von sich. Was ihn beunruhigte und auch etwas in Panik versetzte. Seinen nervösen Blick schien sie zu bemerken, denn ihre Züge besänftigten sich. Seufzend senkten sich ihre Schultern. „Worauf warten wir denn?“, fragte Maron, blickte ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „...Auf den richtigen Moment?“, antwortete Chiaki nach kurzem Zögern unsicher. Sie verdrehte ihre Augen. „Es wird nie den richtigen Moment geben“, entgegnete sie in einem frustrierten Ton, „Besonders nicht, wenn du zu sehr damit beschäftigt bist dir selbst einzureden, dass der richtige Moment noch nicht gekommen sei.“ „Du bist noch nicht bereit“, sagte er, versuchte sein Hauptargument ihr entgegenzubringen. Und damit meinte er nicht, dass sie nicht bereit für Sex war, sondern eher die Schmerzen, die beim ersten Mal verbunden sind. Dies sagte er ihr auch. Maron warf ihm einen scharfen Blick zu und sie verengte ihre Augen. „Ich weiß, was auf mich zukommt. Ich bin kein kleines Kind“, sagte sie, „Ich meine… schön und gut, dass du dich um mein Wohlergehen sorgst. Nichtsdestotrotz habe ich es satt, dass du mir die Entscheidung abnimmst.“ Sie setzte sich auf, lehnte sich mit dem Rücken ans Kopfende des Bettes an. Er tat es ihr nach, zog dabei die Bettdecke mit hoch und legte sie ihnen über. Er schlang seinen linken Arm um ihre Taille und zog sie zu sich ran. Seufzend legte Maron ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Chiaki strich sich mit einer Hand seufzend durch die Haare. „Ich respektiere deine Entscheidungen. Wirklich“, sprach er eindringlich auf sie ein, „Allerdings finde ich es nicht richtig, dass du es so verdammt eilig damit hast. Als wärst du nur scharf darauf, es unbedingt hinter dich bringen zu wollen.“ Ihre Augen weiteten sich und sie senkte ihren Blick, schüttelte kaum merklich ihren Kopf. Ein bedrückter Ausdruck breitete sich auf ihrem wunderschönen Gesicht aus. Gedankenverloren nahm sie seine rechte Hand in ihre, verschränkte ihre Finger fest miteinander. Sie nahm ihre verbundenen Hände zu ihren Lippen und küsste zärtlich den Claddagh-Ring um seinen Ringfinger. „Das ist es nicht“, flüsterte sie sanft. Schweigend wartete Chiaki darauf, dass sein Mädchen weitersprach, die geistesabwesend mit dem Ring um seinen Finger spielte. Für eine lange Weile war es still im Zimmer, bis er Maron leise seufzen hörte. „La vie est éphémère. Notre temps est compté“, sprach sie in einem bedrückten Ton. Es klang nach Französisch. Würde sie nicht so traurig klingen, hätte er ihr ein Kompliment dafür gegeben, sie in einer sexy Fremdsprache reden zu hören. Fragend blickte Chiaki sie an, wollte wissen, was sie gerade gesagt hatte und was es mit dem Gesamtthema zu tun hatte. Sie erwiderte seinen Blickkontakt nicht. Ihre Augen waren auf ihre verschränkten Finger gerichtet und blickten zur selben Zeit irgendwie in die Leere. „Meine Mum hatte mal Pläne gehabt nach Frankreich auszuwandern, sobald ich mit der Schule fertig bin“, begann Maron zu erzählen. Ein nostalgisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Chiaki hört ihr aufmerksam zu, als sie weitersprach: „Auf jeden Fall wollte sie schon mal frühzeitig Französisch lernen und sie hatte versucht mich in ihre Kurse mitzuschleppen.“ Ein leises Kichern war von ihr zu hören. „Außerdem fand sie es ‚cool‘-“ Sie machte mit ihren Fingern zwei Anführungszeichen. „-wenn wir geheime Konversationen führen würden, die niemand verstand.“ Ihr Lächeln fiel etwas. „Ich bin nie mitgegangen“, flüsterte sie tonlos. „Sie war so enttäuscht darüber allein dorthin zu gehen, dass ich mich schrecklich deswegen gefühlt habe“, fuhr Maron mit einem geplagten Gesichtsausdruck fort, worauf Chiaki sie noch enger zu sich herandrückte. Ihre Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln hoch. „Wie dem auch sei, ich habe letztendlich ebenfalls Französisch gelernt. Aber heimlich.“ Sie grinste ihn schief an. „Ich lernte monatelang durch Bücher, dem Internet und Youtube, nur damit ich sie überraschen konnte.“ Er sah liebevoll auf sie herab, grinste zurück. „Ich hatte was Großes... Öffentliches dafür geplant. Vielleicht in unserem Lieblingscoffeeshop…Die Barista, die immer unsere Bestellungen vermasselte, auf Französisch beleidigen - und hoffen, dass sie nichts verstand.“ Sie kicherte. Anschließend erstarb ihr Lächeln in der nächsten Sekunde wieder und trauriges Seufzen entkam ihr. „Ich habe auf den richtigen Moment gewartet...“, wisperte sie in einem monotonen Ton. „Ich habe zu lange gewartet...“ Mit einem bitteren, traurigen, herzzerbrechenden Ausdruck blickte sie zu ihm auf und wieder runter. „Und nun wird sie nie erfahren, dass ich Französisch kann.“ Einige Male strich sie mit dem Daumen über seinen Ring. „La vie est éphémère. Notre temps est compté“, flüsterte sie nach einigen ruhigen Momenten wieder. Ihre Augen trafen auf seine, während sie die Frage beantwortete, die ihm schon beim ersten Mal auf der Zunge brannte. „Das Leben ist vergänglich. Unsere Zeit läuft ab“, übersetzte sie seufzend. „Le bonheur est de courte durée. Glück ist nur von kurzer Dauer.“ Chiaki blickte Maron an. Verstand, was sie ihm damit sagen wollte. Sein Mädchen war zum ersten Mal nach langer Zeit richtig glücklich und ihre größte Angst war, dass es nicht anhalten würde. Er konnte sie verstehen, weil er auch so empfand. Dass eines Tages der Moment kommen würde, in der alles zunichtegemacht wird. Wenigstens beruhte ihre Motivation nur nicht auf ihrer niemals endenden Quest nach Normalität, wie er befürchtet hatte. Er blickte ihr in die Augen, sah all ihre Gefühle, die sich in ihnen spiegelten. Liebe. Lust. Glück. Und die Angst, dass ihnen die Zeit davonrennen würde. „Okay“, seufzte er. Ihre Augenbrauen schossen überrascht hoch. „Aber nicht heute“, fügte er schnell hinzu. „Vielleicht in ein paar Tagen“, zuckte er mit den Schultern. „Und dann nur, wenn es sich richtig anfühlt“, sagte er ihr. Sie lächelte und nickte zustimmend. Zufrieden seufzend rutschte er mit ihr auf die Matratze runter. Sie kuschelte sich lächelnd an ihn an.   Eigentlich hatte er noch ein gewisses Problem in der Hose und dass sein Mädchen teilweise auf ihn lag, machte es nicht besser. Die ganze Zeit schon überlegte er, wie er es diskret lösen konnte. Sie verlagerte ihr Gewicht, was ihn zusammenzucken ließ. Maron bemerkte dies und sah ihn mit einem gewissen Funkeln in den Augen an, den er nicht deuten konnte. „Vertraust du mir?“, fragte sie. Chiaki zog etwas perplex seine Brauen zusammen. „Natürlich“, erwiderte er sanft. Sie biss sich zögernd auf die Unterlippe. Dann beugte sie sich zu ihm herunter, nahm seine Lippen in ihre, küsste ihn leidenschaftlich. Ihre Lippen senkten sich zu seiner Kieferpartie runter, begannen unter Küssen seinen Hals herabzuwandern. Sie verweilte für eine lange Weile dort, küsste und liebkostete ihn an den Stellen, die ihn besonders aus dem Verstand brachten. Ihre Haare kitzelten auf seiner Haut. Anschließend fühlte er, wie ihre Lippen über seiner Brust streiften. Ihre Blicke trafen sich, als sie ihre Lippen sanft auf die vernarbte Haut drückte. Sie hätte auch die Stellen küssen können, die nicht vernarbt und grotesk waren, aber das tat sie nicht. Sein Mädchen fand seine Narben nicht abscheulich. Sie liebte sie, weil sie ein Teil von ihm waren. Genauso wie er ihre Narben liebte. Liebevoll bedeckte sie ihn mit zärtlichen Küssen, was ihm eine angenehme Gänsehaut bereitete. Seine Hände strichen ihr sanft die Haare aus dem Gesicht, während sie sich zu seinem Bauch herab begab. Seufzend flatterten seine Augen zu. Wenige Augenblicke später spürte er, wie ihre Finger seine offene Jeans streiften und sich in den Bund seiner Boxershorts einhakten. Seine Augen schnappten auf und er setzte sich etwas auf, stützte sich mit den Ellenbögen auf der Matratze ab. Sie stoppte sich, sah vorsichtig zu ihm auf. „Was zum Teufel machst du da?!“, platzte es aus ihm heraus. Maron zog eine Augenbraue hoch. „Nach was sieht es wohl aus?“ Chiaki’s Augen weiteten sich noch mehr. „Nein…?“ „Was soll das heißen ‚Nein‘??“ „I-I-Ich meine, d-du musst nicht...“ „Ich will aber.“ Sie blickte ihm fest und entschlossen in die Augen. Ihre Finger befanden sich nach wie vor am Bund seiner Hosen und ihm wurde furchtbar heiß. Er blickte sie an und ließ sich stöhnend wieder auf den Rücken fallen, strich sich mit einer Hand über das Gesicht. Er atmete tief ein und wieder aus. Diese Frau brachte ihn eines Tages noch um. „Okay...“, seufzend verdeckte er seine Augen mit dem Unterarm. Der andere Arm lag locker neben ihm. Schweigend wartete er auf ihr nächstes Vorgehen. Er spürte ihre warmen Lippen auf seinem Mund, auf seiner Brust, über sein Herz, auf seinem Bauch. Ihre Finger begannen an seiner Boxershorts und seiner Jeans zu ziehen. Er hob seine Hüfte leicht an und sie zog ihm die Sachen nur soweit runter, um ihn aus der Enge zu befreien. Zuerst spürte er die kühle Luft im Raum, dann ihre warmen Hände um ihn und dann ihren heißen Atem. Und dann ihre warmen Lippen. „Oh fuck!“, keuchte er, stöhnte lauter als beabsichtigt auf. Seine beiden Hände schoben ihr sachte die langen Haare vom Gesicht und er schloss mit einem weiteren Stöhnen wieder seine Lider. Eine Hand blieb auf ihren Haaren, während die andere sich ans Laken festkrallte. Seine Atmung beschleunigte sich. Derweil genoss er das Gefühl ihrer Lippen um ihn. Ab und an hörte er ihr gedämpftes Seufzen und Stöhnen, was ihn noch mehr erregte. Und die Geräusche, die ihm entkamen, schienen sie noch mehr anzuregen. Sie nahm an Tempo zu. Nach einiger Zeit spürte er, wie er sich sein Höhepunkt näherte. Wortlos gab er mit seiner Hand auf ihrem Kopf zu verstehen, dass sie aufhören sollte. Was sie nicht tat. Stattdessen folterte sie ihn noch mehr. Stöhnend warf er seinen Kopf nach hinten. „Runter“, brachte er atemlos hervor, war drauf und dran zu kommen. Er sah zu ihr herab. Mit einem intensiven Ausdruck in den Augen schaute sie zu ihm auf, blickte durch ihre dichten Wimpern zu ihm hindurch. Gott, dieses Mädchen brachte ihn wirklich noch um! „Shit!“ Bei diesem erotischen Anblick, den er nie in seinem Leben vergessen wollte, war es schließlich um ihn geschehen. Keuchend und stöhnend ließ er sich fallen, seine Hand in ihren Haaren verkrampfte sich für einen Moment. Sie ließ ihn los und zog sich von ihm zurück. Er konnte spüren, wie sie auf seinem Bein saß, während er nach Atem rang. Für eine gefühlte Ewigkeit rührte sich keiner von beiden. Nach einiger Zeit spürte Chiaki wie Maron ihm die Hosen hochzog. Er hob seine Hüfte leicht an, um ihr dies zu erleichtern. Nachdem seine Jeans wieder saß, öffnete Chiaki seine Lider. Nervös und leicht beschämt blickte er zu Maron, die zurückstarrte. Ein stolzes, selbstzufriedenes Lächeln umspielte ihre feuchten Lippen und sie leckte mit ihrer Zunge kurz drüber. (Mit Recht konnte sie stolz sein. Bester Blow Job seines Lebens.) Seufzend erwiderte er ihr Lächeln mit einem müden Grinsen. Sie beugte sich zu ihm herunter, drückt ihm einen Kuss auf die Lippen und stand schließlich vom Bett auf, schnappte sich auf dem Boden ihre Tasche und verschwand ins Bad. Zeit Schlafen zu gehen. Chiaki war froh darüber, brauchte nach dem heutigen Abend unbedingt Schlaf. Er stand vom Bett auf, ging in sein Ankleidezimmer und zog sich im Handumdrehen um. Sie legten sich beide ins Bett. Er schaltete alles aus, nahm Maron anschließend in seine Arme und drückte sie gegen seine Brust. Mit dem Gesicht in ihren Haaren atmete er ihren Duft tief ein- und wieder aus. Ihre Hände strichen im sanft über den Kopf. Sie flüsterte ihm zu, dass sie ihn liebte. „Ich liebe dich auch“, wisperte er leise zurück, seine Finger spielten etwas mit der Kette um ihren Hals. Nach wenigen Sekunden merkte er, dass Maron eingeschlafen war. Lächelnd gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. Kurze Zeit später fielen auch ihm die Augen zu. THIRTY-SEVEN ------------ THIRTY-SEVEN   „Ich muss wirklich langsam los“, kicherte Maron, küsste Chiaki einige Male, der sie in seinen Armen hielt. Er küsste sie zurück und ließ sie anschließend widerwillig los. „Bis später.“ Sie winkte ihm mit einem Grinsen zum Abschied zu und lief nach draußen. Seit sie aufgewacht war, konnte sie sich das Dauergrinsen auf ihrem Gesicht nicht verkneifen. Ein wohliges, zufriedenes Gefühl benebelte sie. Womöglich lag es an der gestrigen Valentinsnacht. Bei den Erinnerungen wurde Maron direkt wieder heiß und als sie daran dachte, was sie für ihn getan hatte, wurde ihr noch heißer und die Röte auf ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. „Da scheint jemand eine erfolgreiche Valentinsnacht gehabt zu haben“, begrüßte Miyako sie gähnend, die in der morgendlichen Dunkelheit neben ihrem Auto wartete. Die beiden Mädchen hatten ausgemacht sich in der Früh zu treffen, um gemeinsam nach Hause zu gehen, um den Eindruck zu erwecken, dass sie die gestrige Nacht auch zusammen waren. Auch wenn Takumi und Sakura um sechs Uhr morgens höchstwahrscheinlich noch schliefen, so wollten sie vorsichthalber doch frühzeitig nach Hause kommen. „Erfolgreich ist relativ“, entgegnete Maron augenrollend, die Wangen noch roter als sie schon waren. Fragend zog Miyako eine Augenbraue hoch, worauf Maron kopfschüttelnd seufzte. „Wir hatten gestern nicht...“ „Nicht?“ „Ne.“ Maron strich sich durch die Haare. „Aber es war trotzdem schön“, sagte sie nickend. „Na das ist doch die Hauptsache“, zuckte Miyako schmunzelnd mit den Schultern, holte ihre Tasche aus dem Auto und ging mit ihr zusammen zur Tür. Maron entging es nicht, wie erschöpft die Kurzhaarige aussah. Von dem zerzausten Haaren und die verträumten Dauergrinsen abgesehen. „Hast du gestern nicht geschlafen?“ Miyako’s Grinsen auf ihrem Gesicht wurde noch breiter. „Nö“, sagte sie nur und kicherte. „Okayyy“, entgegnete Maron in einem amüsierten Unterton, wollte mehr auch nicht wissen.   Die Mädchen gingen nacheinander ins Haus rein, versuchten dabei möglichst leise zu sein, um ihre Eltern so früh nicht zu wecken. Sie gingen sich duschen und hingen anschließend zusammen in der Küche ab, während Maron das Frühstück vorbereitete. „Hmmm. Oh man, duftet das lecker“, kam es von Miyako, als die ersten Pfannkuchen brutzelten. „Ich habe auch mega Kohldampf.“ „Ich frage mich wieso“, erwiderte Maron in einem amüsierten Ton und kicherte leise. „Miyako? Maron?“ Überrascht zuckten beide bei Sakura’s Stimme zusammen, die in die Küche reinkam. „Oh. Morgen, Mama“, lächelte Miyako. Sakura hielt sich gähnend eine Hand vor den Mund. „Morgen, Schatz.“   Im nächsten Moment betrat Takumi die Küche, fuhr sich müde die Hand über das Gesicht. „Was macht ihr beiden schon so früh hier?“, fragte er, setzte sich neben Sakura hin, „Wir haben erst in ein oder zwei Stunden mit euch gerechnet.“ Er blickte zunächst Maron und dann Miyako mit hochgezogener Augenbraue fragend an. Beide Mädchen zuckten mit den Schultern. „Natsuki hatte keine Lust mehr auf uns“, scherzte Miyako, „Wie war bei euch der Abend gestern so?“, fragte sie in einem überschwänglichen Ton, versuchte das Thema zu wechseln. Währenddessen konzentrierte Maron sich aufs Frühstück, stellte die fertigen Pfannkuchen auf dem Tisch ab und kochte allen Kaffee. „Ach...“, sagte Takumi mit einer abwinkenden Handbewegung und warf Sakura ein Lächeln zu. Diese erwidert das Lächeln mit einem verlegenen Blick, die Wangen rosa gefärbt. Verwundert blickten Maron und Miyako zwischen ihnen hin und her. „Wir müssen euch was sagen“, fing Sakura an, stützte ihren beiden Ellenbogen auf dem Tisch ab. Takumi legte einen Arm um ihre Schultern. „Also gestern Abend-“, begann er zu sagen als Miyako laut aufschnappte, vom Stuhl aufsprang, sich über den Tisch beugte und die Hand ihrer Mutter nahm. „Oh mein Gott!“, kreischte sie aufgeregt beim Anblick des schönen Ringes am Ringfinger. Maron fiel die Kinnlade runter. Takumi räusperte sich. „Uhm... Ja, genau…“, lachte er, nicht wissend was er noch sagen sollte. Sakura grinste beide Mädchen breit an. „Wir werden heiraten!“ Kreischend hüpfte Miyako um den Tisch und umarmte zuerst ihre Mutter und dann Takumi. „Oh mein Gott! Herzlichen Glückwunsch!!“ Sie kam auf Maron zu und umarmte auch sie innig, drückte ihr fast die Luft ab. „Wir werden Schwestern!“ „Wow!“, brachte Maron zunächst nur zustande, war sichtlich sprachlos. „Du meine Güte… Wow!“ Sie sah zwischen Takumi und Sakura hin und her, freute sich ehrlich für die beiden. Sie wollte auf ihrem Vater zugehen und ihn umarmen. Doch sie konnte nicht. Und in dem Moment war ihr wieder etwas zum Heulen zumute. Frustriert und beschämt biss sie sich auf die Lippe. Sie und Takumi sahen sich für einen Moment mit stummem Verständnis an. „Ich freu mich so für euch!“, sagte Maron ihm mit einem aufrichtigen Lächeln und ging auf Sakura zu, um wenigstens ihr eine Umarmung zu geben. „Ganz ehrlich!“ Sakura erwiderte die Umarmung, drückte sie ganz fest. „Danke, Maron.“ Sie drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. Danach frühstückten die Vier. Im Gespräch ging es hauptsächlich darum, wie der Antrag ablief. Alle paar Sätze war ein schwärmerisches Seufzen von Miyako zu hören, die das Ganze einfach nur romantisch fand. Maron hörte nur gespannt zu und grinste. Nach dem Frühstück half Sakura ihr beim Aufräumen. Gerade standen sie vor dem Waschbecken, Sakura wusch das Geschirr, welches nicht mehr in die Spülmaschine passte und Maron trocknete es ab. „Maron.“ „Hm?“ „Freust du sich wirklich für mich und deinem Vater?“ Verdutzt über die Frage blickte Maron sie mit gerunzelter Stirn an. „Natürlich. Sakura, du und Papa… ihr seid füreinander geschaffen“, sagte sie und meinte es auch. „Danke.“ Sakura lächelte ein erleichtertes Lächeln. „Das bedeutet mir viel, Maron.“ Maron nickte. „Maron“, setzte Sakura nach einigen stillen Momenten an. „Ich will dich wissen lassen, dass ich Korron -ich meine deine Mutter- niemals ersetzen werde“, sagte sie sanft. Betreten sah Maron kurz nach unten und wieder zu ihr, nickte mit einem wissenden Lächeln. „Nichtsdestotrotz liebe ich dich, wie meine eigene Tochter“, sprach Sakura sachte weiter. Gerührt über diese Worte, legte Maron das Geschirrtuch kurz ab und umarmte sie. Denn ihr ging es genauso. Auch wenn niemand ihre Mutter ersetzten konnte, so war Sakura, in der Zeit seit sie hier war, zu einer Mutterfigur herangewachsen. Sakura legte fürsorglich ihre Arme um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, nachdem sie sich lösten. Danach machten sie zusammen das Geschirr fertig sauber. Der Rest des Tages verlief relativ normal ab. Nur Miyako löcherte ihre Mutter und Takumi mit Hochzeitsfragen zu. Ein Termin wurde noch nicht angesetzt, da sie es in Ruhe angehen wollen würden. Trotzdem war Miyako drauf und dran die Hochzeit zu planen, was alle im Haus herzlich amüsierte.   Sieben Tage vergingen. Das Wochenende ging um und die Schule lief wie im Fluge. Und die Nächte waren auch wie immer. Maron und Chiaki hingen einfach nur miteinander ab und redeten stundenlang über alles Mögliche und Nichts. An irgendeinem Punkt würde sie engumschlungen in seinen Armen liegen und sie würden sich besinnungslos küssen. Seine Hände würden ihr über den Körper streichen, während ihre sich ebenfalls auf Wanderschaft befanden. Dennoch hielten sie sich zurück. Sie respektierte seine Bitte auf das richtige Gefühl abzuwarten. Zu Valentinstag war Maron sichtlich frustriert mit Chiaki gewesen, konnte einfach nicht verstehen, wieso er sich immer noch querstellte, obwohl der Tag und alles Drumherum perfekt war. Sie konnte allerdings verstehen, dass er sich wie immer Gedanken um sie machte. Dafür liebte sie ihn auch, aber letztendlich musste sie ihm ihre Ansichten zu verstehen geben. Wodurch er Einsicht auch zeigte. Zugegeben – vielleicht hatte sie ihm auch viel Druck gemacht. Zumindest hatte er ihr versprochen, dass sie nicht mehr lange warten würden…   Es war Samstag. Maron merkte sofort wieder, dass Chiaki etwas beschäftigte, nachdem er ihr die Balkontür aufgemacht hatte. Sie wusste, dass er seinem Vater im Krankenhaus einen kurzen Besuch abgestattet hatte und mit ihm zu Mittag dort aß. Man hatte Maron gefragt, ob sie mitkommen wollte, aber sie hatte dankend abgelehnt. Allein der Gedanke an den Krankenhausgeruch verursachte ihr Übelkeit. Gerade als sie Chiaki fragen wollte, was los war, schnitt er ihr das Wort ab. „Ich möchte nicht darüber reden“, sagte er in einem abweisenden Unterton und setzte sich seufzend auf sein Bett hin, strich sich mit einer Hand durch die Haare. „Keine Sorge. Mir geht es gut.“ Maron sah ihn mit zusammengepressten Lippen und einem besorgten Blick an, nickte resigniert und setzte sich zu ihm dazu. *** Während er aß, konnte er die ganze Zeit über Maron’s besorgte Blicke auf sich spüren. Dabei hatte sie gar keinen Grund sich Sorgen zu machen. Ihm ging es wirklich gut. Zumindest besser als vor ein paar Stunden. Seufzend schweiften seine Gedanken für einige Augenblicke zu dem Mittagessen mit Kaiki zurück. Er hatte sich darauf eingelassen, weil er mit ihm eine bessere Vater-Sohn-Beziehung haben wollte. Shinji und Kagura standen Kaiki nahe und Chiaki wollte das auch. Sowas Normales, Spaßiges. Am Anfang lief es auch gut. Kaiki hatte einige lustige Stories über ein paar cholerische Patienten erzählt und was heute im Krankenhaus noch so anstehen würde. Nach einer ruhigen Weile bemerkte Chiaki, wie Kaiki ihn mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen ansah. Chiaki erkannte diesen Blick sofort. Mit einem Mal war die anfänglich gute Laune weg und eine angespannte Stille herrschte für einige Sekunden in der Luft. Er stieß einen genervten Laut aus, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und wandte sich von seinem Gegenüber ab. In den letzten Tagen war Kaiki noch neugieriger als sonst. Und das nervte einfach. „Lass gut sein.“ Konnten sie nicht für ein paar angenehme Stunden einfach nur Spaß haben? „Du weißt doch gar nicht, was ich sagen will“, entgegnet Kaiki ruhig und dennoch mit einer Spur von Enttäuschung in der Stimme. „Wir wissen beide ganz genau, womit du jetzt ankommen willst“, sprach Chiaki spitz, erwiderte seinen Blick nicht. Er hörte Kaiki schwer seufzen. „Ich will dich nur besser verstehen. Und ich denke, dass es dir helfen kann darü-“ „Helfen womit?“ Chiaki schnaubte spöttisch und sah ihn mit verengten Augen an. „Und das Einzige was du über mich verstehen brauchst ist, dass ich meine Ruhe haben will.“ Er warf die Hände in die Höhe. „Alles ist gut! Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Also lass die Scheiß-Vergangenheit doch einfach verfickt nochmal ruhen.“ Mit zusammengepressten Lippen, blickte Kaiki ihm in die Augen. „Wenn das so ist, warum bist du dann jedes Mal so unruhig?“ Daraufhin konnte Chiaki nichts sagen. Wusste einfach nicht, was er darauf erwidern konnte. Außerdem-… Er war ihm keine Antwort schuldig. Er hatte ein Recht dazu bestimmte Dinge, die privat waren, mit seinem alten Herrn nicht zu teilen. Kaiki wusste, dass er mit Maron über seine Mutter reden konnte. Reichte das nicht?! Anscheinend nicht. Chiaki presste sich die Kiefer zusammen und sah ihn mit einem stechenden Blick an. „Lass mich verflucht nochmal in Ruhe“, knirschte er mit den Zähnen, stand anschließend auf und ging nach Hause. Dort verbrachte er den Rest des Tages mies gelaunt in seinem Zimmer und zeichnete. Mit der Zeit ließ diese innere Anspannung nach und mit Maron’s Erscheinen war dieses Gefühl so gut wie weg. Nichtsdestotrotz wusste sein Mädchen natürlich direkt das was los war. Sie kannte ihn zu gut. Verstand ihn ohne Worte. Und dafür liebte er sie. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen als Chiaki zu ihr sah. Sie neigte etwas verwundert den Kopf und lächelte schüchtern zurück. Er legte die nun leere Essensbox weg und nahm sein Mädchen mit einem Seufzen in die Arme. Vergrub dabei sein Gesicht in ihre duftenden Haare. Sie umarmte ihn erfreut zurück, drückte ihm einen Kuss an den Hals. Er küsste ihren Kopf, strich ihr liebevoll über die Haare. Für eine Weile verharrten sie so. Chiaki rutschte mit seinem Gesicht zu ihrer Halsbeuge herab, seine Lippen steiften dort geradeso ihre Haut. Maron zuckte zusammen und begann zu kichern. Er grinste amüsiert. Sein Atem kitzelte sie an der Stelle auf der Haut – und dem war er sich bewusst. „Das kitzelt“, kicherte sie, versuchte aus seiner Umarmung wegzukommen. „Ich will dich doch nur liebhaben“, sagte er in einem unschuldigen Ton und hielt sie fest. „Du kitzelst aber!“ „Gar nicht wahr.“ „Doch!“ Sie kicherte noch mehr. Zusammen fiel Maron mit ihm rücklings auf die Matratze. Chiaki grinste sie schief an und begann sie an den Seiten nun wirklich zu kitzeln. Maron krümmte sich unter ihm vor Lachen. Ihr Kopf schlug von einer Seite zur anderen und sie versuchte seine Handgelenke zu packen, um ihn zu stoppen. Lachtränen entkamen ihren Augenwinkeln und ihr Gesicht lief rot an. Seine Finger stoppten. Er stützte sich über sie und lächelte sie mit einem frechen Grinsen an. Ihre Blicke trafen sich und für einige unendliche Momente verloren sie sich ineinander. Maron strich ihm wie gebannt eine Strähne von der Stirn, während er von ihrer Schönheit gefesselt war.   Er legte eine Hand auf ihrer Wange, strich mit dem Daumen drüber. Chiaki beugte sich zu ihr runter und versiegelte ihre Lippen miteinander. Jede Zelle in seinem Körper fühlte sich an als würden sie Feuer fangen, sobald Maron ihn berührte. Er liebte dieses Gefühl. Ihre Arme legten sich um seinen Nacken, sie neigte ihren Kopf und öffnete genüsslich seufzend ihren Mund. Seine Zunge passierte ihre und ein tiefes Keuchen entkam ihm. Zuneigung und Liebe begann sich mit jeder Sekunde zu verstärken und vermischte sich immer mehr mit Lust und Verlangen. Seine Hände begannen über ihren Körper zu fahren. Zärtlich küssten seine Lippen die ihre. Sie zog ihm sein Shirt aus, worauf er ihres entfernte. Er wollte ihre Haut unter seinen Fingern fühlen sowie ihre Nähe spüren. Sie umfasste mit beiden Händen sein Gesicht und küsste ihn wieder innig. Er löste seine Lippen von ihren, küsste ihre Wangen und ihren Hals. Seine Halskette ruhte immer noch über ihrem Herzen, als er sich weiter runter begab. Ihre Finger verschränkten sich miteinander und sie nahm ihre verbundenen Hände zu ihren Lippen und küsste sanft ihren Ring an seinem Finger. Im nächsten Moment rollten sie sich so, dass er auf dem Rücken lag. Sie küsste seine Narben und er lehnte seinen Kopf in die Kissen zurück. Seufzend glitten seine Finger durch ihre Haare. Ihre Hände strichen zärtlich über seine Haut. Ihre Berührungen waren so sanft wie Engelsfedern. Er erschauderte. Liebte es. Plötzlich richtete sie sich aufrecht, reichte hinter sich, öffnete ihren BH und warf ihn irgendwo beiseite. Er sah sie mit Ehrfurcht an, während sie schüchtern und unsicher den Blick senkte und sich auf die Lippe biss. Was irrsinnig war, denn sie war so unglaublich schön. Alle Wörter der Welt wären nicht genug, um sie und ihre Schönheit beschreiben zu können. Er sagte ihr das auch, setzte sich auf, nahm sachte ihr Kinn und nahm ihre weichen Lippen in seine. Anschließend küsste er liebevoll ihre Narben, sowie sie es bei seinen getan hat. Die Großen, die Kleinen, die Gezackten. Auf ihrer Brust, ihren Schlüsselbeinen, ihren Rippen. Er überschüttete jede einzelne von ihnen mit zärtlichen Küssen. Sachte strichen seine Finger über die Narben auf ihren Rücken. Ihre Hände fanden sich in seinen Haaren wieder. Maron erschauderte seufzend unter seinen Berührungen. Liebte es. Beide rollten sich wieder so, dass Chiaki über ihr war. Er küsste sich von ihrem Oberkörper zu ihrem Bauch heran. Seine Hände wanderten ebenfalls runter, fuhren kurz über ihre Beine und zogen ihr im Anschluss die Jeans aus. Auf den Oberschenkeln waren ebenfalls Narben, die er mit Küssen bedeckte. Ihre Finger strichen ihm durch seine Haare. Ihre Atmung beschleunigte sich mit jedem weiteren Moment. Er sah zu ihr auf. Seine Augen trafen auf ihre, die ihn sehnsüchtig anblickten. Er beugte sich zu ihr hoch, küsste sie leidenschaftlich, während seine Hände auf ihren Beinen ruhten und sich langsam zu ihrer heißen Mitte begaben. Sie keuchte atemlos auf. Er merkte, wie sie ihm die Hose öffnete und runterschob. Er kickte die Hose von sich. Wenige Augenblicke später strich sie ihm mit ihrer Hand über den dünnen Stoff der Boxershorts. Er legte stöhnend seinen Kopf auf ihrer Schulter ab. Atmete tief ein und aus. „Ich liebe dich“, hauchte sie liebevoll in sein Ohr. Er hob seinen Kopf, lehnte seine Stirn an ihrer an und blickte ihr intensiv in die Augen. „Ich liebe dich auch“, wisperte er mit rauer Stimme und küsste sie besinnungslos, während seine Finger sie streichelten. Sie rekelte sich unter ihm, seufzte und keuchte. Sie lösten sich voneinander und blickten sich in die Augen. Ein Lächeln zierte ihr wunderschönes Gesicht. Süß und verführerisch zugleich. Ihre Augen waren dunkel vor Begierde. Und als wäre seine Liebe zu ihr nicht schon groß genug gewesen, wuchs sie noch mehr an. Er liebte sie so sehr. Sein Mädchen. Sein Engel. Er wollte sie. So sehr. Dieses Gefühl, dieses Verlangen nach ihr war unerträglich. Und diesmal… fühlte es sich richtig an. Seine Finger hakten sich in den Bund ihres Slips ein. Er sah zu ihr auf, fragte sie stumm mit seinen Augen. Maron nickte, hob ihre Hüfte leicht an. Langsam zog Chiaki ihr schließlich das letzte Kleidungsstück aus, ohne den Blickkontakt abzubrechen und warf es irgendwo zu den restlichen Klamotten im Raum. Für einen Moment sah er mit Bewunderung, Faszination, Lust und Liebe auf sie herab, ehe er seine Liebkosungen fortsetzte und ihre roten Lippen leidenschaftlich küsste. Die Geräusche, die bei seinen Berührungen ihren Lippen entkamen, waren so verdammt sexy. Sein Verlangen nach ihr wuchs ins unendliche. Er begab sich mit seinen Lippen langsam weiter runter zu ihrem Nacken, ihren Brüsten, ihrem Bauch, ihrer Hüfte. Ihren Knien und Beinen. Mit lustverschleierten Augen blickte er sie an und küsste sie - nur nicht auf den Mund. Sie bebte und stöhnte heftig auf. Ihre Finger krallten sich in seinen Haaren fest. Dies regte ihn noch mehr an. Nach einer langen Weile begannen ihre Muskeln sich schließlich zu verkrampfen, die Hände in seinen Haaren ballten sich zu Fäusten und sie stöhnte laut seinen Namen. Gott, sie sah so verdammt sexy aus, wenn sie kam. Er zog sich die Boxershorts aus, den Blick achtsam auf sie gerichtet. Sein Mädchen gab ihm mit ihren Blicken zu verstehen, dass es okay war. Schließlich war nichts als nackte Haut zwischen ihnen und sie erkundeten unter Küssen und Zärtlichkeit ihre Körper. Keine Narbe blieb ungeküsst. Jeder Zentimeter Haut wurde mit Liebe behandelt. Nach einer Weile positionierte er sich wieder über sie, zwischen ihren Beinen. Mit roten Wangen, roten Lippen und dunklen Augen sah Maron liebevoll zu Chiaki auf. Dünner Schweiß glitzerte auf ihrer Haut. Wunderschön. Einfach nur unbeschreiblich schön. So gut und rein. Manchmal fragte er sich echt, wie er sie verdient hat... Er küsste sie mit all der Liebe, die er für sie besaß. Wisperte ihr wiederholt zu, dass er sie liebte. Sie flüsterte die Worte zurück. Sie blickten einander tief in die Augen, tauschten sich gefühlvolle Küsse aus, während er langsam und vorsichtig die letzte Barriere überwand. Sie schnappte nach Luft, ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz und kleine Tränen entkamen ihren Augen. Er stoppte sich, legte ihr sanft eine Hand auf die Wange und küsste die Tränen weg. Ihm tat es im Herzen weh, dass er ihr mit seiner Liebe Schmerz zufügte. „Bist du okay?“, fragte er vorsichtig. Sie nickte kaum merklich, dennoch rührte sich für einige Momente keiner. Er wartete bis sich ihre Atmung reguliert hatte. Sie ummantelte seine Hand, welche auf ihrer Wange lag, mit ihrer und gab ihn zu verstehen, dass er weitermachen soll. Was er tat. Sie keuchten und stöhnten beide gleichzeitig auf. Ihre Arme schlangen sich fest um ihn, zog ihn noch enger an sich. „Ich liebe dich so sehr, mein Engel“, wisperte er, küsste sie und fing zunächst an sich langsam zu bewegen, versuchte so liebevoll wie möglich zu sein. „Chi-a-ki…“, hauchte sie immer wieder seinen Namen. Zaghaft fing sie an sich unter ihm zu bewegen und fand nach einiger Zeit auch ihren Rhythmus. Immer und immer wieder flüsterte sie unter Stöhnen seinen Namen. Ihre Beine hatten sich mittlerweile fest um seine Hüfte gelegt. Fordernd legten sich seine Lippen auf ihrer und er erhöhte das Tempo. Ihr Stöhnen wurde lauter. Sie ließen sich beide komplett fallen, gaben sich ihrer Leidenschaft und ihren Gefühlen hin. Nach einer unendlichen Weile verkrampfen sich all ihre Muskeln und sie kam erneut. Diesmal noch intensiver als vorher. Was ihn über den Rand brachte. Stöhnend vergrub er sein Gesicht in ihren Nacken. Atemlos verteilte er Küsse auf ihrem Hals, ihrem Gesicht, ihre halboffenen Lippen. Strich ihr sachte ein paar feuchte Strähnen von der Stirn. Überwältigt blickte sie ihn schwer atmend an. Nachdem er sich von ihr entfernt hatte, kuschelte sie sich glücklich an ihn ran, presste ihr Ohr an sein schnell schlagendes Herz. Sanft strich er mit den Fingerspitzen über ihre Schulter. Für einige Minuten lagen sie eng umschlungen im Bett, wollten einander nicht loslassen. Bis Maron letztendlich als Erste aufstand und mit ihrer Tasche ins Bad verschwand. Unterdessen ging er in sein Ankleidezimmer und zog sich an. Sie machten sich bettfertig und gingen zusammen schlafen. * Chiaki wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber etwas riss ihn aus seinem tiefen, friedlichen Schlaf. Ein Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Im nächsten Moment war ein Geräusch zu vernehmen. Er und Maron schossen erschrocken hoch. Sie klammerte sich an ihn und stieß einen angsterfüllten Schrei aus. Er wollte ihr die Hand vor den Mund legen, doch dann bemerkte er die Silhouette im dunklen Raum. Jemand war in seinem verdammten Zimmer. Er befreite hastig seine Arme aus Maron’s Griff, reichte nach seiner Nachttischlampe und schaltete sie an. Der Raum wurde in einem sanften Licht erhellt. Während Maron sich schreiend an ihn presste, wandte er sich dem Eindringling zu. War im Grunde genommen bereit denjenigen fertig zu machen. Die Überraschung und der Schock war groß, als er Kaiki als den Eindringling erkannte. Er stand mitten im Raum, die Hände über die Ohren gehalten. Mit erschrocken großen Augen blickte Kaiki zu ihnen rüber. Auch wenn sie gerade ein riesiges Problem dastehen haben, so wandte Chiaki sich zunächst Maron zu, um sie zu besänftigen. Er nahm sie in seine Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken, versicherte ihr leise, dass alles okay wäre. Seine Worte drangen durch sie hindurch und ihr Schrei verebbte. Verwirrung spiegelte sich ihrem Gesicht wider. Sie zitterte in seinen Armen und drehte langsam ihren Kopf in Kaiki’s Richtung. Chiaki musste schwer schlucken, als er dessen fassungslos schockierten Gesichtsausdruck sah. In dem Moment wusste er, dass sein Mädchen und er angearscht waren. THIRTY-EIGHT ------------ THIRTY-EIGHT   Schweigend saßen Chiaki und Kaiki sich in dessen Büro gegenüber, starrten sich an. Zwanzig Minuten ging das so, warteten darauf, dass einer von ihnen das Eis brach. Chiaki würde nicht nachgeben. Kaiki wusste das. Doch er zog das Schweigen dennoch für Sekunden, Minuten hinaus. Starrte ihn mit einem undurchdringlichen Blick an. Nur das Ticken der Uhr füllte die Stille im Raum. Die Anspannung zwischen ihnen hing dick in der Luft. Während Chiaki seinen Blicken standhielt und sich innerlich auf das kommende Verhör gefasst machte, dachte er an Maron, die von ihrem Vater abgeholt wurde. Er hoffte, dass sie okay war. Er wusste, dass sie es nicht sein wird. Er fragte sich, was sie Takumi sagen wird. Er wusste selbst noch nicht, was er Kaiki sagen wird. Er vermutete, dass diese Konfrontation jetzt in viele verschiedene Richtungen gehen konnte. Er könnte ehrlich sein und auspacken, um eventuell mit Gnade aus der Scheiße rauszukommen. Oder er könnte hier auf diesem Ledersessel sitzen und ihn totschweigen. Letztendlich kam Chiaki zu dem Schluss, dass alles was aus seinem Mund käme in Kaiki’s Augen abgefuckt und falsch wäre. Für unendliche Minuten zog sich das Schweigen weiter hin. Das Ticken der Uhr ging ihn allmählich auf die Nerven. Am liebsten wollte er das Ding aus dem Fenster schmeißen. Er versuchte gegenüber Kaiki ruhig und gefasst zu wirken. Doch wenn er ehrlich war, so hatte er doch Schiss vor dem was kommen mag. Nach einigen Momenten durchbrach Kaiki endlich das Schweigen. „Wie kam Maron in dein Zimmer?“, fragte er geradewegs, die Arme autoritär vor seiner Brust verschränkt. Der völlig reglose Ausdruck dominierte nach wie vor sein Gesicht. Chiaki biss sich auf die Lippe. „Sie kletterte das Pflanzengitter zu meinem Balkon hoch“, antwortete er wahrheitsgetreu. Er wandte seinen Blick von Kaiki ab und sah zum Fenster raus. „Wie lange geht das mit euch beiden schon so?“ Es war wirklich beängstigend, wie Kaiki’s Gesicht keinerlei Regung zeigte. So hatte Chiaki ihn noch nie gesehen. Für einen minimalen Moment wog er seine Antworten ab und entschied sich letztlich für den ehrlichen Weg. „Seit dem Dinner letzten November“, gestand er leise und wandte sich wieder dem Fenster zu. „Jede Nacht?“ „Ja.“ „Okay. Was hatte sie jede Nacht in deinem Zimmer zu suchen?“ Am liebsten wäre Chiaki ihn angefahren und hätte ihm gesagt, dass ihn nichts davon anging. Aber er war müde… und sah keinen Weg drum rum. „Ich… kann ohne Maron nicht schlafen“, sagte er leise. Er schaute kurz zu Kaiki rüber und sah, wie er eine Augenbraue kaum merklich hob. „Was genau meinst du damit?“ Verständnislosigkeit und Verwirrung war in seiner Stimme zu vernehmen. Chiaki blickte starr nach draußen. „Erklär es mir.“ „Als ob das, was ich sage, wichtig wäre.“ „Es ist mir wichtig“, sprach Kaiki in einem eindringlichen Ton auf ihn ein. Chiaki drehte sich zu ihm um und sah, dass er nicht mehr mit verschränkten Armen vor ihm saß, sondern die Unterarme auf dem Schreibtisch abgestützt hatte und ihn bittend anblickte. Er wusste, dass Kaiki sich um ihn sorgte. Aber er wusste auch, dass, egal was er jetzt sagen wird, die Situation nicht besser machte. Und nichts zu sagen, würde alles womöglich nur noch schlimmer machen, als es schon war. Innerlich fluchend fasste Chiaki seinen Entschluss. Und erzählte ihm alles. Denn er betete darum, dass er mit Ehrlichkeit noch halbwegs heil davonkommen konnte. Mit monotoner Stimme und ohne ihm in die Augen zu sehen, er erzählte ihm von den Albträumen, versuchte bei dem Wort keine Grimasse zu verziehen, sowie von der nächtlichen Routine, die sein Mädchen und er sich aufgebaut hatten. Wie sie jede Nacht seinen Balkon hochkletterte, wie sie einander Gesellschaft leisteten und zusammen Schlafen ging. Wie er sie immer in seinen Armen hielt, um sie sicher fühlen zu lassen. Wie erholt und gut sie beide sich am nächsten Morgen immer fühlten. Und wie sie jeden Morgen die Wand wieder runterkletterte und sich der ganze Ablauf in der darauffolgenden Nacht jedes Mal wiederholte. Im Grunde genommen gab Chiaki ihm all ihre nächtlichen Aktivitäten wieder. Nur die intimen Details ließ er natürlich aus. Kein Grund noch mehr Öl ins Feuer zu werfen, welches zwischen beiden Häusern brodelte. Nachdem er zu Ende sprach, war es für eine erstickend lange Weile still im Raum. Er traute sich nicht zu Kaiki rüberzuschauen. Ein tiefes, bestürztes Seufzen war von ihm zu hören, was Chiaki dazu brachte seinen Blick vom Fenster abzuwenden. Er sah, wie Kaiki die Ellenbögen auf dem Tisch hatte, sich mit beiden Händen die Stirn hielt und leise mit sich selbst sprach. „Unglaublich...Insomniker…“, murmelte er fassungslos, „All die Jahre... wie konnte ich das nicht sehen...“ Mit einem schockierten, verständnislosen und zugleich enttäuschten Gesichtsausdruck sah er zu Chiaki auf. „Wieso hast du mir nie was von den Albträumen erzählt? Das ist eine ernste Ange-“ Chiaki stieß einen spöttischen Laut aus. „Ich muss dir nicht alles erzählen.“ „Das was ihr macht ist nicht gut. Ihr braucht beide ernsthafte Hilfe!“ „Das Einzige was ich brauche ist Maron!”, entgegnete Chiaki stur, „Da fällt mir ein, was zum Teufel hattest du überhaupt in meinem Zimmer verlor-“ „Das ist mein Haus!“, fiel Kaiki ihm ins Wort, schlug mit einer Hand auf dem Tisch. Seufzend strich Chiaki sich durch die Haare, überdachte seine Taktik. „Kannst du bitte einfach drüber hinwegsehen?“, fragte er in einem flehenden Ton. Kaiki blinzelte irritiert. „Bitte? Das würde es uns einfacher machen“, bettelte er ihn mit den Augen an. Zu seiner Überraschung prustete Kaiki und stieß ein humorloses Lachen aus. „Bist du auf Drogen??“, fragte er irritiert. Er stand auf, beide Hände auf dem Tisch abgestürzt. „Ich bin dein Vater. Glaubst du ernsthaft, ich kann das alles ignorieren?!“, sprach er fassungslos. Chiaki blickte ihn stirnrunzelnd an, verstand das Hauptproblem nicht. Er hatte ihm alles geschildert. Die Lösung war doch eindeutig. Und es verstieß in keinerlei Weise irgendwo das Gesetz, dass zwei Jugendliche zusammen in einem Bett schlafen konnten. „Weder ich werde das ignorieren können, noch Takumi!“ Chiaki verzog finster sein Gesicht, als er an den mörderischen Ausdruck von Maron’s Vater zurückdachte, als er sie abgeholt hatte. Kaiki strich sich eine Hand durchs Haar. „Du kannst dich glücklich schätzen, wenn man dir nach heute Nacht erlaubt Maron wiederzusehen.“ „So ein Bullshit!“ Daraufhin stand Chiaki auf und schlug seine Hand auf dem Tisch. Nun standen sich beide in gleicher Position gegenüber. „Nein, was Bullshit ist, dass du in den letzten drei Monaten ein Mädchen in mein Haus schleichen lässt!!“ Kaiki’s Gesicht war rot vor Wut. Diesmal war es Chiaki der humorlos lachte. „Und jetzt?! Wollt ihr, dass einer von uns die Schule wechselt?“, fragte er mit Spott, „Zu blöd nur, dass ich der Einzige in der ganzen verfickten Stadt bin, der ihr bei ‘ner Panikattacke helfen kann! Du und Takumi, ihr wisst beide, dass Maron mich braucht.“ Er blickte ihm fest in die Augen. „Ihr könnt mich nicht davon abhalten sie zu sehen“, sagte er herablassend und richtete sich gerade, die Arme vor sich verschränkt. Darauf konnte Kaiki nichts erwidern, was Chiaki ein befriedigendes Gefühl bereitete. Denn er wusste, dass er Recht hatte. „Außerdem werde ich achtzehn in zwei Wochen“, fügte er hinzu und zog eine Augenbraue hoch. „Dann kann ich aus deinem Haus ausziehen.“ Er würde das machen. Natürlich nicht ohne Maron. Sie würde erst in ein paar Monaten achtzehn werden. Solange mussten sie es noch hier aushalten. Kaiki erbleichte etwas, die Lippen waren zu einem harten Strich zusammengepresst. Wortlos setzte er sich wieder auf seinem Bürostuhl hin und es wurde still zwischen ihnen. Chiaki verkniff sich ein triumphierendes Grinsen. Nach einigen Sekunden machte er auf dem Absatz kehrt und ging, ließ seinen Vater im Büro zurück. Er hielt ihn nicht auf. *** Tränen liefen ihr stumm die Wangen herunter, während Maron auf ihrem unbenutzten Bett saß und ihrem Vater dabei zu sah, wie er in ihrem Zimmer hin und her tigerte. Er kochte merklich vor Wut. Seit er sie abgeholt hatte, hatte er kein Wort mit ihr gesprochen. Nach einigen Momenten blieb Takumi stehen und wandte sich zu ihr. „Ich will die Wahrheit, Maron“, sagte er mit fester, autoritärerer Stimme. Sie schluckte schwer. Ihr Hals schnürte sich zusammen und sie brachte keine Worte heraus. „Ich meine, ich war selbst jung und verliebt und abenteuerlustig“, setzte Takumi an, „Aber ich hätte nie gedacht, dass du so mein Vertrauen missbrauchst!“ Er atmete tief durch, kniff sich mit Daumen und Zeigefinger zwischen die Augen. Maron zog ihre Augenbrauen hoch, als sie realisierte, dass er dachte, dass sie aus Spaß rüber geschlichen war. Sollte sie ihn in den Glauben lassen? Oder war die Wahrheit die bessere Option? Sie wusste nicht, was Chiaki seinem Vater sagen wird... ebenso konnte sie nicht einschätzen, inwiefern ihre Väter sich darüber austauschen werden. Ihr Kopf schwirrte. So und so gab es für sie und Chiaki kein Zurück aus dieser misslichen Lage. „Hatte er dich dazu überredet?“, hörte sie ihren Vater fragen. Verneinend schüttelte Maron den Kopf. „So ist das nicht...“, brachte sie erschöpft heraus, wischte sich mit der Hand die Tränen weg. Auf keinen Fall wollte sie Chiaki in eine schlechte Position bringen. Ihr Vater hasste ihn womöglich so schon. Takumi zog eine Augenbraue hoch, die Arme vor sich verschränkt. „Wie ist es dann?“, verlangte er zu wissen, sah mit einem erwartungsvollen Blick auf sie herab. Seufzend gab Maron sich geschlagen. Es war entweder alles oder nichts. Mit einem tiefen Atemzug öffnete sie ihren Mund und alles sprudelte heraus. Für die nächsten zehn Minuten erzählte sie ihm von ihren Albträumen, den nächtlichen Erinnerungen, die sie immer peinigten, sobald sie die Augen schloss. Takumi blieb vollkommen still und behielt eine ausdrucklose Miene bei. Während Maron ihm ihre Träume wiedergab, sah sie wie Realisation in seinen Augen aufflackerte, als er die Puzzlestücke zusammenfügte und erkannte, wie stark sie ihre Probleme heruntergespielt hatte. Nachdem Maron nicht mehr in der Lage war über die Albträume in einer ruhigen Stimmlage zu reden, begann sie von Chiaki und wie sie mit ihm ruhig schlafen konnte zu erzählen. Wie er ihr das Gefühl von Sicherheit gab. Als sie fertig war, blickte sie zögernd zu ihrem Vater auf, dessen Augen schockiert groß waren. Nervös wartete Maron darauf, dass er alles Gesagte verarbeitet hatte. Es herrschte für viele Momente eine angespannte Stille bis Takumi’s Gesichtsausdruck sich wandelte. Die Wut, die schon vorher da war, war nun verstärkt in seinen Augen zu sehen und seine Züge verhärteten sich noch mehr. „Das hast du mir alles vorenthalten?“, fragte er mit beängstigend ruhiger Stimme. „Es ist meine Aufgabe, dir mit diesen Dingen zu helfen, Maron. Nicht Chiaki’s.“ Sie biss sich schweigend auf die Lippen. Was sollte sie sagen? Dass sie seine Hilfe nicht wollte? Die Wahrheit war, dass ihr Vater nichts für sie tun konnte. Warum sollte sie ihn mit einem Problem belästigen, dass er nicht lösen konnte? „Ich werde einen Termin bei einem Psychologen machen“, kam es von Takumi entschieden, worauf Maron rotsah. Sie wollte das nicht und würde sich auch nicht darauf einlassen. „Nein! Du kannst mich nicht dazu zwingen!!“ Er konnte das nicht. Dem war sie sich sicher. Takumi sah sie für einen Moment an. „Wenn deine Mutter hier wäre…“, murmelte er und fuhr sich frustriert über das Gesicht. Weitere unendliche Sekunden verstrichen, in der Maron sich fragte, ob es überhaupt noch möglich war aus diesem Schlamassel rauszukommen. Die Antwort war Nein. Plötzlich machte er ein finsteres Gesicht, worauf sie überrascht zusammenzuckte. „Es werden sich einige Dinge hier ändern“, sprach er mit regloser Stimme, lief ein paar wenige Schritte auf und ab. „Ich habe dir zu viele Freiheiten gegeben, die du schamlos ausgenutzt hast.“ Er blieb vor ihr stehen und sah ihr in die Augen. „Du wirst Chiaki ab sofort nicht mehr sehen. Bis auf die Schule, will ich dich nicht mehr in seiner Nähe haben.“ Bei den Worten setzte ihr Herz aus. Wie erstarrt saß Maron geschockt auf ihrem Bett und die Tränen liefen ihr erneut herunter. Unterdessen listete Takumi weitere Regeln auf, wie zum Beispiel, dass sie ab 20 Uhr Küchenverbot hätte. „Und was eine Therapie angeht – darüber reden wir beide noch.“ Sie schüttelte ihren Kopf, zog ihre Beine an und vergrub weinend ihr Gesicht in die Knie. Sie wollte nichts mehr hören. Ihr Vater seufzte und das Letzte was sie vernahm, waren seine Schritte, die den Raum verließen, sowie das Schließen der Tür. Schluchzend ließ Maron sich auf das Kopfkissen nieder. Sie dachte an ihr Gespräch mit Chiaki an Valentinstag zurück. Sieben Tage war es her. Sieben Tage. Und ihr Glück war abgelaufen.   THIRTY-NINE ----------- THIRTY-NINE   Es kam Maron vor wie Stunden, seitdem ihr Vater sie in ihrem Zimmer allein ließ, sie in ihrem Bett lag und leeren Blickes in den Raum starrte. Es war das zweite Mal, dass sie so richtig darauf lag. Gemütlich war ihr Bett nicht. Viel zu plüschig und viel zu weich. Die Laken fühlten sich auch falsch an. Sie wollte Chiaki’s Bett. Sie kannte jede Vertiefung und jede Feder der Matratze und sie wusste, wie man sich auf ihr richtig drauflegte. Das Gefühl auf ihrem Bett war einfach nur fremdartig und falsch. Egal auf welcher Seite, ob rechts oder links, sie sich wendete. Sie versuchte ihn neben sich vorzustellen, doch es half nichts. Es war dunkel in ihrem Zimmer. Trotz der Nachttischlampe, die viel zu schwach war. Unheimliche Schatten breiteten sich im Raum aus. Und es war unheimlich still. Maron spürte, wie ihr Körper sich instinktiv anspannte. Ein Teil von ihr war noch immer verbittert und wütend über die Gesamtsituation. Ein anderer, irrationaler Teil von ihr bekam Angst. Sie wusste nicht, wovor sie Angst hatte, da sie im Grunde genommen wusste, dass ihr nichts passieren konnte und dieses Zimmer für sie grundsätzlich sicher war. Aber dieses Gefühl des absoluten Unbehagens bekam sie einfach nicht los, selbst als sie ihren zitternden Körper unter dem Schutz der Decke vergrub. Maron fing an sich zu wünschen, dass es bereits Montag war. Sie brauchte Chiaki. Ihr Vater sprach nur davon, dass sie sich außerhalb der Schule nicht sehen konnten. Sie wussten alle, dass sie ihn brauchte. Schließlich wurde der Schulverwaltung auch klare Anweisungen gegeben, dass Chiaki sich im Notfall um sie kümmern sollte. Sie brauchte ihn aber nicht nur da. Sondern auch hier. Jetzt. In dieser schaurigen Einsamkeit. Ein plötzliches Geräusch ließ Maron zusammenzucken. Sie brauchte einen Moment, um zu registrieren, dass ihr Handy klingelte. Sie nahm es von ihrem Nachttisch und ihr Körper entspannte sich etwas, als sie Chiaki’s Namen auf dem Display sah. Es war ein Video-Anruf. „Hallo“, nahm sie schniefend ab, setzte sich auf, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand an und justierte die Frontkamera. „Hey“, kam es von seiner samtigen Stimme und sie sah seinen besorgten Gesichtsausdruck auf ihrem Bildschirm. Automatisch bildete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht als sie ihn sah, auch wenn sie sich wünschte ihn in Person vor sich zu haben. „Ich wollte sichergehen, dass du okay bist“, sagte Chiaki, worauf Maron nickte und sich die getrockneten Tränen auf ihrer Wange wegwischte. „Ich hätte mich am liebsten in dein Zimmer reingeschlichen, um mich deswegen zu versichern… aber dann wäre womöglich die zweite Hölle ausgebrochen“, rollte er mit den Augen. Sie nickte zustimmend. „Und dein Vater hätte noch mehr Grund gehabt mich zu kastrieren.“ Kopfschüttelnd kicherte Maron leise. Er schaffte es trotz allem sie immer wieder zum Lachen zu bringen. „Wie angepisst war er denn?“, hörte sie ihn fragen. Seufzend gab Maron ihm alles wieder, was sich vor wenigen Stunden in ihrem Zimmer abgespielt hatte. Schweigend hörte er mit einem ausdruckslosen Gesicht zu. „Bei mir lief es nicht viel anders ab“, murmelte er, die Augenbrauen grimmig zusammengezogen und erzählte anschließend von seiner Auseinandersetzung mit Kaiki. Danach war es für einige Sekunden still zwischen ihnen. Sehnsüchtig blickte Maron ihn über den Bildschirm an. „Ich vermisse dich“, wisperte sie leise, als ihr wieder Tränen in die Augen stiegen. Seine Mundwinkel zuckten wehleidig nach ob. „Schule“, sagte er in einem tröstenden Ton, versuchte optimistisch zu klingen. „Hmmm...“ Sie seufzte schwer, strich sich ein paar feuchte Strähnen aus dem Gesicht. „Ich verstehe es einfach nicht. Was genau hat es für einen Sinn, dass sie uns trennen? Wir haben ihnen gesagt, dass wir einander brauchen zum Schlafen. Dann müssen die doch verstehen, dass sowas uns somit mehr schadet als gut tut...“ Verständnislos warf Maron ihre freie Hand in die Luft. „Also, ich vermute stark mal, dass es zum Teil was dem persönlichen Groll von deinem Vater mir gegenüber zu tun hat“, sagte Chiaki in einem leichten Unterton. „Aber ich denke, dass es vielleicht auch eine Art Taktik ist, um dich -oder uns- zur Therapie zu bringen.“ Maron machte ein konfuses Gesicht und neigte irritiert den Kopf. „Wahrscheinlich denken unsere alten Herren, dass wir vor Erschöpfung irgendwann nachgeben“, erklärte er. „Ahh...“ Chiaki lachte spöttisch auf. „Was natürlich schwachsinnig ist“, sagte er abwertend und schüttelte den Kopf. „Ja“, stimmte Maron ihm zu. Für eine Weile sagte niemand mehr was. Ihre Blicke schweiften entweder durch den Raum oder zum Display. Unruhig strich Maron sich durch die Haare, ehe sie niedergeschlagen ihre Augen senkte. „Wenn du willst, können wir jede Nacht so miteinander reden“, schlug Chiaki vor. „Nehmen wir uns ein Beispiel an Shinji und Natsuki.“ Sie seufzte. „Das ist nicht dasselbe.“ Gerade wollte sie unbedingt in seine Arme sein und die Welt vergessen. „Besser als nichts. Ich hätte ehrlich gesagt noch erwartet, dass dein Vater dir das Handy wegnimmt.“ „Sag das nicht zu früh“, schmunzelte Maron. Er kicherte ein raues Kichern. Sie sah, wie er den Kopf zur Seite drehte und nach draußen sah. Sie blickte ebenfalls aus dem Fenster. Der Morgen brach allmählich an. Leicht erstaunt darüber, dass plötzlich die Zeit so schnell verging, wandte Maron sich wieder Chiaki zu und lächelte. Vielleicht war die Telefonier-Lösung doch nicht so schlecht. Zumindest gab es ihr das Gefühl, dass er bei ihr war. Ein bittersüßes, trauriges Lächeln haftete auf seinem Gesicht. „Ich werde jetzt auflegen“, sagte er resigniert. Sie nickte. „Ich liebe dich“, wisperte sie müde. „Ich liebe dich auch“, sagte er und im nächsten Moment war ihr Bildschirm schwarz. Währenddessen erhellte sich der Himmel und die morgendlichen Sonnenstrahlen brachen durch die Dunkelheit durch. *** Chiaki und Kaiki sprachen kein Wort mehr miteinander. Es beruhte auf Gegenseitigkeit. Besonders Chiaki war extrem angepisst. Kaiki hätte in dieser Nacht nicht in seinem Zimmer sein sollen. Die Tür war abgeschlossen gewesen und er wusste das, weil er jeden Abend immer sichergestellt hatte, dass sie auch verschlossen war, bevor Maron kam. Was bedeutete, dass Kaiki einen Schlüssel benutzt hatte, um reinzukommen. Und sich einfach Zugang verschafft hatte. Was Chiaki nicht verstand war das wieso, doch Kaiki weigerte sich ihm zu sagen, was er in seinem Zimmer wollte. Er sprach nur davon, dass es sein Haus sei und er als Erwachsener, ein Recht dazu hätte in seine Privatsphäre einzudringen. So ein Bullshit, dachte Chiaki sich. Welchen Grund er auch immer hatte, in seinen Augen war das einfach nur ein mieser Vertrauensbruch, weshalb er unter anderem wütend auf ihn war. Ironischerweise war Kaiki aus denselben Gründen auch auf ihn wütend. Dass er sein Vertrauen gebrochen hatte. Worauf Chiaki nur abschätzig mit den Schultern zuckte. Gerade war er draußen auf seinem Balkon rauchen. Es war verdammt lange her, dass er eine Zigarette geraucht hatte. Seit der Zeit in der sein Mädchen in Osaka war. Es war auch das erste Mal, dass sie wieder richtig getrennt waren... Die Zigarette tat gut, entspannte ihn ein wenig und befreite seinen Kopf etwas. Er dachte an Maron, wollte sie unbedingt sehen. Sich versichern, dass es ihr gut geht. Er sah zu den Nachbarn rüber, hatte überlegt das Gitter runter zu klettern und sich in ihr Zimmer, welches das einzige Fenster, welches in der Dunkelheit erleuchtet war zu schleichen. Aber bei ihrem Glück waren die Chancen nicht gering, dass sie wieder erwischt werden und alles nur noch schlimmer machen. Einmal die Nacht reichte vollkommen. Weshalb er auf die digitale, virtuelle Alternative zurückgriff und sein Mädchen anrief. Chiaki konnte sofort erkennen, dass sie Angst hatte. Sich in dem Zimmer, welches sie nicht mal mochte, unwohl fühlte. Er war froh, dass er Maron -wenn auch nicht persönlich- Trost spenden konnte. Nichtsdestotrotz fand er die Gesamtsituation einfach nur bescheuert. Dass Takumi ihr es nicht mal erlaubte nachts die Küche zu benutzen, erschien ihm extrem. Es war Maron gegenüber auch nicht fair. Kochen war immer etwas, was sie von ihrer Angst und ihrer Unruhe ablenkte und jetzt wurde ihr dies genommen. Bescheuert und verdammt unfair.   Chiaki verbrachte den ganzen Sonntag eingebunkert in seinem Zimmer. Auf keinen Fall wollte er Kaiki in irgendeiner Weise antreffen. Er begann mit dem Gedanken zu spielen, sich jede Nacht zu seinem Mädchen hinauszuschleichen, sobald sich die Situation ansatzweise beruhigt hatte. Sie dann in seine Arme zu nehmen und ihr Sicherheit zu geben. Doch kaum hatte er den Gedankengang zu Ende gedacht, war von draußen Lärm zu hören. Und ehe Chiaki sich versah, entdeckte er Kaiki mit zwei Arbeitern draußen, die das Gitter an der Wand entfernten. In dem Moment, als Kaiki zu seinem Fenster hochsah, funkelte Chiaki ihn wütend an und zog die Vorhänge wieder zurück. Großartig. Jetzt konnte man sich weder rein- noch rausschleichen. Ganz große Klasse. Er hatte wirklich keinen Bock mehr. Wollte nicht mehr hier sein, in diesem Haus leben. Er wollte raus aus diesem Haus, aus dieser Stadt - einfach nur weg von allem sein. Aber er würde sein Mädchen nicht im Stich lassen. Sie hielt ihn hier – in diesem Haus, in dieser Stadt. Sie war der einzige Grund. Sie war immer der Grund. Sein Grund für alles.   In der Nacht auf Montag hatten beide wieder über Telefon miteinander geredet. Für einige Stunden hatte er sich versucht mit Zeichnen abzulenken, bis er sie gegen Mitternacht anrief. Größtenteils hatte Chiaki sich über Kaiki’s Aktion mit dem Gitter aufgeregt, worauf Maron nur seufzend eine Anmerkung gemacht hatte, dass sie es von ihrem Zuhause aus hören und sehen konnte. Selbst durch die Kamera im schwachen Licht konnte er ihre blutunterlaufenen Augen erkennen. Sie sah müde und fertig aus, was ihm im Herzen weh tat. Als er anschließend sagte, dass er den ganzen Tag nicht aus seinem Zimmer rauskam und dementsprechend auch noch nichts gegessen hatte, bekam sie allerdings ein säuerliches Gesicht. Verlangte von ihm, dass er seine Gesundheit nicht vernachlässigen und sofort was zu essen sich holen soll. Daraufhin konnte er sich ein kleines, amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen und tat wie ihm geheißen. Ging schnell runter, um sich in der Küche was Essbares zu holen und direkt wieder hoch, um mit ihr weiterzureden - hatte dabei noch sichergestellt, dass alle im Haus -insbesondere Kaiki- am Schlafen waren. Er konnte seinem Mädchen einfach nicht Nein sagen. Ein zufriedener Ausdruck bildete sich auf Maron’s Gesicht als er wieder vor dem Bildschirm auftauchte, was ihn automatisch zum Lächeln brachte. Umso mehr sehnte er sich nach ihr. Konnte es kaum erwarten sie in der Schule endlich wieder in seine Arme nehmen zu können. Gegen fünf Uhr morgens, zwei Stunden bevor beide zur Schule fuhren, legten sie auf, weil Maron ab dem Zeitpunkt wieder in die Küche konnte und daher auch direkt kochen wollte. In der Zwischenzeit machte Chiaki sich für die Schule fertig. Er merkte allmählich, wie der Schlafmangel an ihn zehrte. Er war verdammt müde. Wie gewohnt, fuhr er zu Yamato und holte ihn ab. Dessen mitleidigen Blicken zu urteilen, musste Miyako ihn bereits über die aktuelle Lage berichtet haben. „Tut mir leid, Kumpel...“, sagte Yamato, als er sich auf dem Beifahrersitz hinsetzte. Chiaki entgegnete darauf nichts, fuhr wortlos zur Schule weiter. Ein großer Teil von ihm war nach wie vor angepisst. Ein kleiner Teil von ihm war einfach nur müde. Und ein weiterer Teil von ihm konnte es kaum erwarten sein Mädchen endlich wiederzusehen. Im Schulgelände angekommen, parkte er seinen Wagen in die nächste freie Lücke, die Miyako’s Wagen am Nächsten war, welches ebenfalls im Parkprozess sich gerade befand. Er stieg aus und zur selben Zeit öffnete sich Maron’s Tür. Sie stieg aus und ihre Blicke trafen sich. Sofort zogen sich ihre Mundwinkel zu einem glücklichen Lächeln hoch. Bei dem Anblick ihres Lächelns, wie sie zu ihm lief und sich in seine Arme warf, konnte Chiaki sich selbst ein Lächeln nicht verkneifen. Er schlang seine Arme fest um sie, eine Hand verwirrte sich in ihren Haaren und er vergrub sein Gesicht in ihren Nacken. Tief atmete er ein und aus, zog ihren Duft in sein ein. Sie umarmte ihn so fest, dass sie ihm wahrscheinlich die Luft wegdrücken konnte. Für eine Weile standen sie da, ihre Körper eng aneinandergepresst, genossen das Gefühl des anderen. Für eine Weile konnten sie so tun, als würde der Rest der Welt für die paar Momente nicht mehr existieren. Leider erinnerte die Schulglocke die Beiden schließlich daran, dass die Welt um sie herum noch existierte und brachte sie in die Realität zurück. Chiaki spürte, wie Maron in seinen Armen schwer seufzte. Er drehte sein Gesicht in ihren Hals und küsste die warme Haut dort. Anschließend hob er leicht seinen Kopf und berührte ihre Lippen mit seinen. Es war ein langsamer, sinnlicher Kuss. Am liebsten hätte er ihn für einige Momente länger hinausgezögert, aber leider Gottes mussten sie in den Unterricht. Sie trennten sich voneinander und er blickte in ihre blutunterlaufenen, dennoch schönen Augen. Der Drang war groß sein Mädchen zu fragen, was sie von Schwänzen hielt. Sie konnten in sein Auto steigen und irgendwohin fahren. Vielleicht zur Hütte, doch da fehlte ihm im Moment der Schlüssel. (Außerdem würde Kaiki das bemerken.) Sie brauchten auch gar nicht irgendwo aussteigen und könnten im Auto bleiben. Sich auf der Rückbank zusammen hinlegen und ein Nickerchen machen. Vielleicht auch noch ein bisschen Rummachen. Warum nicht? Das Auto war direkt hinter ihm. Sie konnten einfach einsteigen und verschwinden. Er hatte seine Kreditkarten, Bargeld und sein Sparkonto konnte er daheim auch eventuell noch holen. Sowie andere Utensilien, wie Decken. Sie konnten endlich allein sein. Weg von all der Scheiße. Während seine Durchbrenn-Fantasien sich in seinem Kopf selbstständig machten, sah Maron ihn mit einem schläfrigen und dennoch liebevollen Blick in die Augen. Leise seufzend drückte er ihre einen Kuss auf die Stirn. „Wir kommen noch zu spät zum Unterricht“, murmelte er, verschränkte ihre Finger miteinander und lächelte sie an. Sie nickte nur, drückte seine Hand und lief mit ihm zusammen in ihre Klasse. So groß der Wunsch auch war dem Ganzen hier zu entfliehen, so war es womöglich doch besser zu bleiben. Sie würden bleiben und ihr Bestes dafür geben, dass es irgendwie doch funktionierte. Es würde fast so wie vorher sein, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Nur dass sie tagsüber in den sechs bis acht Stunden zusammen sein werden - und nicht nachts. Er wird sich mit der Müdigkeit, den Albträumen sowie den kaputten Erinnerungen abquälen für sie. Er wird dafür sorgen, dass es funktionierte für sie. Er würde für sie beide -und insbesondere für sein Mädchen- stark bleiben.   FORTY ----- FORTY   Es war drei Uhr morgens. Sonntag, der erste März. Chiaki konnte den Wind vor dem Haus heulen hören, als er sein Kissen an sich drückte. Eine Woche war bereits vergangen. Es war eine lange Woche. Es war ebenso auch ein langes Wochenende. Und heute war die erste Nacht, in der er ohne sein Mädchen geschlafen hatte. Er wusste noch, dass er zuvor sich mit Lesen und Zeichnen beschäftigt gehalten hatte und um Mitternacht sein Mädchen anrufen wollte – sowie sie es die letzten Tage auch gemacht hatten. Stattdessen musste er irgendwann eingeschlafen sein und war dann drei Stunden später zu dem lebhaftesten Albtraum, den er bisher jemals hatte, aufgewacht. Es war natürlich nicht das allererste Mal, dass er ohne sie geschlafen hatte. Am Mittwoch und Freitag hatte Chiaki versucht ein bis zwei Stunden Schlaf nach der Schule zu bekommen. Wie zu erwarten, waren auch da die Träume einfach nur abgefuckt. Aber die waren noch lange nicht so extrem, wie in der Nacht. Noch immer raste sein Herz. Und er versuchte einige tiefe Atemzüge zu nehmen, um sich einigermaßen zu beruhigen. Drückte instinktiv das Kissen an sich. Er war sich nicht sicher, ob er den schwachen Geruch von Blumen, Kekse und Zitrone sich einbildete, oder nicht – aber es half nicht. Es war nicht dasselbe, wie wenn sie hier war. Schweißgebadet lag Chiaki allein in seinem Bett und stieß einen erstickten, frustrierten Schrei ins Kissen aus. Er befreite seine Beine von der Decke, setzte sich auf, und strich sich die Hände über das feuchte Gesicht. Er hasste es zu weinen. Es war ein Zeichen von Schwäche und machte seine Augen noch schwerer. Was das Ganze nicht einfacher machte. Schwer atmend stand er auf und ging in sein Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Anschließend öffnete er sein Medizinschrank und holte seinen Vorrat an Amphetaminen raus, welche noch vom letzten Mal übrig waren. Allerdings würde das auf Dauer nicht ausreichen, weshalb er sich eine gedankliche Notiz machte demnächst wieder Kaiki’s Inventar zu plündern, sobald sich die Möglichkeit ergab. Er nahm einen Schluck vom Wasserhahn und schluckte eine Tablette. Sofort breitete sich ein befriedigendes und zugleich erleichtertes Gefühl in ihm aus. Auch wenn er darauf achten sollte, die Tabletten nicht zu missbrauchen, so gaben sie ihm ein sicheres Gefühl. Für einige Sekunden stand Chiaki verloren im Bad, nicht wissend, was er als nächstes machen sollte. Letztendlich durchquerte er sein Zimmer, schnappte sich seine Jacke und ging zur Balkontür. Für einen minimalen Moment hielt er inne, starrte auf seine zitternde Hand auf der Klinke, bevor er die Tür öffnete und in die dunkle Nacht trat. Ein heulender Wind ließ die Äste und Zweige der Bäume hin und her wehen, während er sich gegen das Geländer lehnte und eine Zigarette anzündete. Instinktiv schweiften seine Augen immer zu einem Ort rüber, wenn er draußen auf seinem Balkon stand. Maron’s Fenster. Was ihn daran erinnerte, dass sein Mädchen seit über drei Stunden auf einen Anruf von ihm wartete. Leise fluchend klemmte er sich die Zigarette zwischen die Zähne, suchte er in seinen Taschen und seinem Zimmer sein Handy, fand es nach einigen Momenten unter einem Kopfkissen. Drei verpasste Anrufe von Maron. Shit, ging es Chiaki durch den Kopf, als er sah, dass er ihr Sorgen bereitet hatte. Seufzend rief er sie an, strich sich mit der freien Hand durch die Haare, nahm die Zigarette wieder zwischen die Finger und ging wieder raus. Sein Blick war auf das schwach beleuchtete Fenster fixiert. „Chiaki“, hörte er Maron’s sanfte Stimme im nächsten Augenblick sagen. Sorge und Erleichterung war in ihrem Ton zu vernehmen. „Hey“, sagte er entschuldigend und lächelte verlegen. „Sorry, dass ich mich erst jetzt melde...“ Er versuchte einen unbeschwerten Ton aufzusetzen, war sich allerdings nicht sicher, ob ihm das gelang. Seiner Vermutung nach Nein. Maron seufzte schwer. „Schon okay. Ich bin froh, deine Stimme zu hören... und dass du okay bist.“ Okay war relativ. Ihrem Ton nach zu urteilen, verstand sie, was los war. Offensichtlich. Sie saßen beide schließlich im selben Boot. „Keine Kamera heute?“, fragte sie nach einigen ruhigen Sekunden plötzlich. „Nein, heute nicht...“ „Gut.“ Chiaki konnte sie lächeln hören. „Ich sehe eh furchtbar aus.“ „Du siehst wunderschön aus.“ „Woher willst du das wissen? Du siehst mich doch gar nicht.“ Daraufhin konnte er nur belustigt kichern. Auch von ihr war ein leises, müdes Lachen zu hören. „Ich weiß, dass du wunderschön bist.“ „Naja... Dicke, fette Augenringe gehören nicht unbedingt zu jedermanns Schönheitsstandards. Es sei denn, man schmeißt mich mit den Pandas im Zoo zusammen“, sagte Maron halb-nuschelnd und gähnte. Zugeben, mit den Augenringen hatte sie nicht übertrieben (dennoch war sie in seinen Augen wunderschön). Über den Verlauf der gesamten Woche, konnte er beobachten, wie sich ihr Zustand verschlechterte. Ihre Schritte wurden träge und schleppend, wodurch er sie noch mehr an sich stützte beim Laufen. Von außen steckte sein Mädchen es mit einem Lächeln schulterzuckend weg, aber ihm konnte sie nichts vormachen. So wie sie, konnte Chiaki ihr immer direkt anmerken, wann sie das letzte Mal geschlafen hatte. Die Angst war in ihren Zügen zu sehen und das leichte Zittern war in ihrer Stimme zu hören. In der Schule war sie dann noch angespannter als sonst und sie zuckte leichter bei jedem Geräusch zusammen. Sie sah aus, wie ein wandelnder Zombie und man müsste förmlich blind sein, um das nicht zu sehen. Er verstand einfach nicht, was ihre Väter sich dabei dachten. Nur um sie beide zur gottverdammten Therapie zu bringen? Kaiki sollte als Chefarzt deutlich besser wissen das sowas nichts bringt. Aber was seinen Vater anging, da war sowieso alles fragwürdig. Ihn vermied Chiaki nach wie vor wie die Pest, sprach kein Wort mit ihm. Er stellte auch immer sicher, dass sie sich nie über den Weg liefen. Zum Glück ist das Haus so riesig. Nur gestern stand Kaiki hinter ihm in der Küche, ohne dass er es mitbekommen hatte. Unabsichtlich hatte Chiaki eine Beleidung (bestehend aus zwei Worte und acht Buchstaben) in seine Richtung gemurmelt, welche eigentlich an die Mikrowelle ging, mit der er sich einige Reste warm machen wollte. Der Drang war da, sich zu ihm umzudrehen und sich wütend über das überteuerte Küchengerät zu beschweren, aber das hätte ihn nur verrückt aussehen lassen. Weshalb Chiaki ohne Weiteres mit seinem halbwarmen Essen an Kaiki vorbei ging und sich wieder in sein Zimmer flüchtete. Gleichzeitig war er irritiert darüber, dass er versehentlich das Schweigen zwischen ihnen gebrochen hatte.   Während Chiaki mit seinem Mädchen telefonierte und sie mit allen möglichen Gesprächsthemen beschäftigt hielt, war seine Zigarette bereits verglüht und er war wieder in sein Zimmer reingegangen. Er steckte seine Kopfhörer an, setzte sich aufs Bett, lauschte ihrer engelsgleichen Stimme und machte nebenbei sein Skizzenbuch auf, blätterte darin rum. Seitdem die Albträume wiederkehrten, hatte er versucht sie in seinen Zeichnungen zu verarbeiten - doch irgendwie hatte er stattdessen sein Mädchen gezeichnet. Um genauer zu sein ihre sinnlich vollen Lippen. Oder ihre zierlichen Hände. Oder die seidigen Strähnen ihrer braunen Haare. Zuerst war er ein wenig frustriert darüber, dass er die Träume und Erinnerungen nicht mehr aufs Blatt bringen konnte... aber eventuell erkannte er, dass es vielleicht besser so war. Außerdem liebte er es sein Mädchen zu zeichnen. Unzählige Seiten -schwarz und weiß- waren bereits mit ihr gefüllt. Auf seinem Ledersofa sitzend. Oder mitten im Zimmer stehend. Und es gab hunderte, kleine Körperteile und Details, die nur darauf warteten auf dem Papier gebracht zu werden. Bilder von ihren gemeinsamen Nächten erschienen dabei vor seinem geistigen Auge... Gepaart mit ihrer sanften Stimme in seinem Ohr... Er vermisste sie neben sich zu haben. Er vermisste die Art und Weise, wie sie ihn in ihre Arme nahm, wenn ihn die Vergangenheit einholte. Er vermisste es, wie sie ihm sanfte, tröstende Worte zuflüsterte und damit seine Dämonen austreiben konnte. Er vermisste das Gefühl ihrer zarten Hände in seinen Haaren. Er sagte ihr das – unterbrach dabei ihren Redefluss über irgendein Make-Up Desaster, den Miyako anscheinend am Wochenende hatte. Maron stockte für einen Augenblick und sagte sehnsüchtig, dass sie ihn ebenfalls vermisste. Beiden entkam ein Seufzen. „Sorry, das wollte ich unbedingt gesagt haben“, sagte er, „Also, wie ging es weiter mit Miyako und ihrem Lippenstift... Herpes... Dilemma...?“ Eigentlich interessierte es ihn nicht, er wollte sein Mädchen nur reden hören. Kichernd erzählte Maron weiter, während Chiaki eine freie Seite in seinem Buch aufschlug und sein Stift in die Hand nahm. Er begann eine Skizze von ihr auf dem Bett. Stellte sich vor, wie sie aussah, während sie erzählte. Er konnte sie klar vor sich sehen. Den Kopf auf das Kissen, die Haare ausgefächert, ein süßes Lächeln auf ihren vollen Lippen. Ihr Körper in der Decke eingewickelt. Mit Leichtigkeit glitt sein Stift über das Papier. Er ließ keine Details aus. Ihr runder Bauchnabel, ihre nackte Schulter, und die Art, wie ihr Haar in sanften Wellen über sein Kissen fielen und-... Gott... seine Sehnsucht nach ihr war einfach unermesslich. Er konnte die Schule kaum erwarten. * Nachdem sie aufgelegt hatten, ging Chiaki duschen und machte sich für die Schule fertig. Dabei schluckte er noch eine Tablette. Eigentlich sollte er keine weitere nehmen. Aber als er sich die Zähne putzte und auf ihre zurückgelassene Zahnbürste starrte, bemerkte er, wie ein Anflug von Müdigkeit ihn übermahnte. Weshalb er beschloss, dass er mehr brauchte. Um wacher und achtsamer für sie zu sein. Er ging schnellen Schrittes aus dem Haus, ignorierte Kaiki in der Küche, der mit Shinji noch am Frühstücken war. Mit einem mürrischen Gefühl in der Brust fuhr Chiaki los, holte Yamato ab und begab sich mit ihm zur Schule. Dieser warf ihm immer wieder stumme Blicke zu. Dieselben Blicke, die auch ihre anderen Freunde ihnen dauernd zuwarfen. Die Chiaki wiederum das Gefühl gaben als würde er ersticken. Er wollte einfach nur seinen Frieden. Miyako’s Wagen war bereits da, als er auf dem Parkplatz sich neben sie hinstellte. Yamato und er stiegen fast zeitgleich aus. Im nächsten Moment schwang die Beifahrertür auf und Maron sprang förmlich in seine Arme. Lächelnd drückte Chiaki sein Mädchen an sich. Sie kicherte schwach, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und anfing ihr Gesicht mit kleinen Küssen zu bedecken. Ihre Wangen, ihre Nase, ihre Lider, ihr Kinn, ihre Lippen. Liebevoll lächelte Maron ihn an, als sie ihre Arme um seine Taille wickelte. Er nahm ihre Hand in seine und begann sie von den Autos wegzuführen. Im Schulgebäude legte er seinen Arm um ihre Taille und lief mit ihr Richtung Klasse. Sie setzten sich auf ihre Plätze hin und ließen sich dann für die nächsten drei Einheiten von den Lehrern über irgendein langweiliges Zeug berieseln, was Chiaki nach dem Ertönen der Pausenglocke nicht wiedergeben könnte. Er konnte spüren, wie die Müdigkeit und dieses Taubheitsgefühl mit jeder Stunde zunahm. Geräusche traten in den Hintergrund und wurden mit einem unverständlichen Rauschen ersetzt. Es war wieder mal schwierig den Unterricht mitzuverfolgen und wenn er zu Maron rüber schaute, konnte er sehen, dass es ihr nicht anders ging.   In der Mittagspause liefen sie zusammen zum Dach. Vielmehr ließ Maron sich nahezu von Chiaki mitziehen, der sie an der Taille festhielt, weil sie kaum Energie zu Laufen hatte. Wie sonst auch, waren die beiden die Ersten am Tisch und genossen die kurzen Momente, wo sie mal allein waren. Maron packte ihre Tasche aus, stellte dabei eine Box für sich und eine Box für ihn auf dem Tisch ab. Chiaki machte ein missbilligendes Gesicht. „Gott, Maron. Ich sagte dir doch...Du musst das nicht machen.“ Im Grunde genommen sagte er ihr das so gut wie jeden Tag. Denn seitdem sie sich nachts nicht mehr sahen, brachte sie ihm nun jeden Tag ein Lunchpaket mit. Seufzend fuhr Chiaki sich durch die Haare. „Du weißt, dass ich es liebe für dich zu kochen“, rollte Maron mit den Augen. Er starrte auf ihre Augenringe, die im Licht der Sonne noch dunkler erschienen als sonst. „Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“ Er vermutete, dass sie das gesamte Wochenende über kein Auge zugemacht hatte. Sie zuckte zur Antwort mit den Schultern, presste sich schweigend die Lippen zusammen. Seufzend öffnete er seine Box, wandte seinen Blick von seinem Mädchen jedoch nicht ab. Beobachtete, wie ihre Augen immer kleiner wurden und die Lider ihr im Sekundentakt zufielen. So konnte es nicht weitergehen! Dann kam ihm ein Einfall. Er reichte nach dem freien Stuhl zu Maron’s Linken, schob es zu ihr. Mit einem Ruck legte er ihre Füße auf dem freien Stuhl ab. „Komm her.“ Sachte drückte er sie seitlich runter, sodass ihr Kopf auf seinem Schoss lag. Perplex sah Maron zu ihm auf, blinzelte ihn verwirrt an. „Du hast eine Stunde zum Schlafen“, sagte Chiaki sanft, zog sich seine Jacke aus und legte sie ihr drüber, damit ihre Augen von der Sonne geschützt waren. Ohne weitere Fragen zu stellen, drehte Maron sich zur Seite und rückte mit dem Kopf näher zu ihn heran. Sanft strich er ihr mit den Fingern über die Schultern und ein leises Seufzen war von ihr zu hören. Es dauerte nicht lange, bis er merkte, dass sie tief und fest eingeschlafen war. Eine Stunde war nicht viel. Aber immer noch besser als gar nichts. Und wenn er sie jeden Tag auf seinem Schoss schlafen ließ, sollte es erträglicher für sie werden. Es gab ihm ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass er ihr zumindest fünf Stunden ruhigen Schlaf in der Woche geben konnte. Shinji, Natsuki, Miyako und Yamato kamen aufs Dach und schauten verwundert, als sie sich auf ihre Plätze hinsetzten. Chiaki gab mit einem Finger vor den Mund nur stumm zu verstehen, dass sie leise sein sollten. Seine andere Hand hörte nicht auf seiner schlafenden Freundin über Rücken und Schulter zu streicheln. Er spürte ihren sanften Atem und sah wie sich ihre Schultern gleichmäßig auf und ab hoben. Es war beklemmend still am Tisch. Keiner sprach ein Wort. Seufzend wandte Chiaki sich seiner Box zu, nahm die Gabel in die Hand und aß einen Bissen. Yamato räusperte sich, warf Maron dabei einen vorsichtigen Blick zu, aus Angst sie zu wecken. „Willst du nicht auch ein Nickerchen halten?“, fragte er, „Wir können hier aufpassen.“ Kopfschüttelnd verneinte Chiaki. „Geht schon“, murmelte er. Miyako legte ihre Ellenbögen auf dem Tisch ab und kämmte sich mit den Fingern durch ihre kurzen Haare, blickte ihm in die Augen. „Danke“, sagte sie, senkte ihren Blick niedergeschlagen auf ihr Essen. Auch sie wirkte müde. Natürlich nicht so müde, wie er und Maron war. Man sah ihr an, dass sie sich Sorgen um Maron insbesondere machte. Ihren Erzählungen nach verbrachte Miyako jeden Abend mit ihr in ihrem Zimmer und quatschte sie bis in die späten Stunden das Ohr über alles Mögliche zu, um die Zeit zu überbrücken. „Nichts zu danken“, sagte Chiaki. Er tat was er konnte, damit es seinem Mädchen besser ging. Wenn er in die Gesichter der anderen schaute, so stellte er fest, dass alle die Situation mitnahm. Shinji muss mit der dicken Luft, die Zuhause herrschte zurechtkommen. Im Hause Kusakabe/Toudaiji war das Familienleben auch ziemlich angespannt. Und Yamato und Natsuki bekamen den Stress ihrer Partner und Freunde sichtlich zu spüren. Es war alles einfach nur ätzend. Die gesamte Pause verlief ruhig ab. Nur ab und an wurden ein paar Worte ausgetauscht. Womöglich aus Rücksicht vor Maron, um ihren friedlichen Schlaf nicht zu stören. Die sechzig Minuten endeten leider schnell. Bevor die Glocke ertönte, hatten die anderen ihr Zeug eingepackt und waren schon in ihre Klassen gegangen. Widerwillig weckte Chiaki seine Freundin. Er nahm die Jacke von ihrem Kopf und schüttelte sie sanft an der Schulter. Sie schlug orientierungslos ihre Augen auf, blinzelte gegen das Sonnenlicht und setzte sich aufrecht, während er sich seine Jacke anzog. Gähnend rieb Maron sich die Augen. Er konnte sich selbst ein Gähnen nicht verkneifen. Sie blickte ihn an, lächelte traurig und dankbar zugleich. „Wie war das Essen?“, fragte sie, während sie sich etwas streckte. „Verdammt lecker.“ Grinsend drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen und stand auf. Sie packten beide hastig ihre Sachen und gingen in ihr Klassenzimmer. FORTY-ONE --------- FORTY-ONE   Sorgfältig verteilte Maron die süße Creme über den Kuchen. Es war Samstag. Für jeden anderen ein stinknormaler Tag. Für sie war heute aber ein besonderer Anlass. Es war nämlich Chiaki’s Geburtstag. Und der Gedanke, dass er höchstwahrscheinlich den Tag erschöpft, müde und launisch in seinem Zimmer eingebunkert verbrachte, stimmte sie traurig. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihr Freund so seinen Geburtstag verbrachte. Gähnend hielt Maron sich eine Hand vor dem Mund. Die Wochenenden würden wieder anstrengend werden. Seit dem Montag hatte Chiaki sie immer dazu gebracht, die eine Stunde in der Mittagspause zu schlafen. Es war nicht viel, aber es machte alles etwas erträglicher. Diese Stunden werden ihr an den beiden Tagen vom Wochenende nun fehlen und sie konnte förmlich spüren, wie ihr Körper nach Schlaf schrie. Sie war einfach nur erschöpft. Seufzend schaltete Maron neben sich die Kaffeemaschine an und machte sich wieder eine Tasse. Gleichzeitig widmete sie sich dem Kuchen und begann mit dem Spritzbeutel ein paar Sahnedekorationen zu machen. Für einen Augenblick hatte sie überlegt, eine Kerze in die Mitte zum Schluss zu stecken. Doch den Gedanken verwarf sie sofort wieder, als sie sich in Erinnerung rief, dass er Kerzen hasste. Aus verständlichen Gründen... Nachdem Maron mit der Sahne fertig war, streute sie schließlich ein paar Schokoraspeln auf die Oberfläche. Es war ein Schokoladekuchen. Und sie konnte sich das Lächeln auf seinem Gesicht ganz gut vorstellen, wenn er den Kuchen sah und aß. Es war so lange her, dass Maron ihn wirklich aufrichtig lächeln sah. Er lächelte sie morgens zwar an, wenn sie sich auf dem Parkplatz trafen oder wenn sie im Unterricht flüchtig zu ihm rüber sah. Aber sie wirkten alle angespannt. Nicht natürlich und echt. Es war nicht das Lächeln, was sie gewohnt war. Und sie brauchte es: sie brauchte Chiaki und sein Lächeln mehr als den Schlaf, um selbst wieder aufrichtig lächeln zu können.   Eine Stimme riss Maron aus den Gedanken. „Gibt’s heute Kuchen?“ Sie presste sich die Lippen zusammen, schaute nicht zu ihrem Vater auf, der sich gegenüber von ihr am Tresen hingesetzt hatte und den Kuchen neugierig beäugte. Sakura war mit Miyako gerade einkaufen, weshalb sie mit ihm allein Zuhause war. Stunden zuvor hatte sie wage mitbekommen, wie die beiden Erwachsenen sich stritten…Maron hatte das Gefühl, dass sie sich in letzter Zeit öfters streiten. Weshalb der Haussegen noch schiefer hing, als es schon war. Seit zwei Wochen hatte Maron kein Wort mit ihm geredet. Nun war der Zeitpunkt gekommen, in der sie das Schweigen wohl oder übel brechen musste. „Der ist für Chiaki“, sagte Maron, „Es ist sein Geburtstag.“ Sie sah zu Takumi auf, der ihren Blick mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck erwiderte. „Redest du wieder mit mir?“, fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie seufzte, schluckte sich die innere Wut weg. „Ja.“ Der Hauch eines Lächelns war auf seinem Gesicht zu sehen, welches jedoch wieder verschwand, als er auf den Kuchen herunterblickte. „Miyako könnte ihn ihm später rüberbringen, wenn sie wieder da ist.“ „Ich will den Kuchen ihm selbst überbringen“, verlangte Maron bestimmt. „Du kennst die Regeln“, erwiderte er, worauf sie ihn mit verengten Augen anstierte. „Diese Regeln sind bescheuert!“ „Genauso bescheuert wie der Stunt, den du monatelang durchgezogen hast“, entgegnete Takumi schnaubend, sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen verärgert an. Maron stieß einen frustrierten Laut aus. Für einige Momente war es still zwischen ihnen, bis ihr Vater wieder das Wort ergriff. „Ich hatte übrigens letztens einen Anruf von der Schule bekommen“, sagte er mit tonloser Stimme. Sofort kramte Maron in ihrem Gedächtnis nach, ob sie im Unterricht mal eingeschlafen war. Aber sie war sich sicher, dass dem nicht der Fall war. „Man sagte mir, dass du nicht aufpasst und dass deine Noten in den Keller gehen“, sagte Takumi. Schweigend nahm sie die Informationen zur Kenntnis. Er fuhr sich seufzend eine Hand über das Gesicht. „Und wenn ich dich so vor mir sehe... Du bist geradezu geschwächt vor Erschöpfung.“ Maron zog müde eine Augenbraue hoch. „Würde alles nicht passieren, wenn ich ordentlich schlafen könnte“, sagte sie trocken. „Chiaki ist aber nicht die Lösung für das Problem“, erwiderte Takumi darauf. Sie war da gegenteiliger Meinung. „Ihr braucht beide professionelle Hilfe.“ Die sie nicht wollte. Stur blickte Maron zur Seite, wich den ernsten Blicken ihres Vaters aus. „Denkst du mir gefällt es, dich so unglücklich zu sehen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich will nur, dass du erkennst, dass eine Therapie nur zu deinem Besten ist.“ Ein schweres Seufzen war von ihm zu hören, welches eine Spur von Verzweiflung mit sich trug. Da beschloss Maron, dass dies ihr vielleicht zu Nutzen kommen konnte „Wenn du mich Chiaki sehen lässt-“, sie nickte zum Kuchen runter, „-dann überlege ich es mir.“ Sie verschränkte mit einem überlegenen Gefühl die Arme vor die Brust, verkniff sich dabei ein Lächeln. Es war ein Kompromiss auf das Takumi eingehen müsste. Gegen ihre Erwartung schüttelte er entschieden den Kopf. „Tut mir leid. Dem kann ich nicht zustimmen.“ Maron blickte ihn verwirrt an. „Warum?!“ Zum ersten Mal seit sie hier wohnte, kam sie dem Thema Therapie entgegen und er lehnte ab?! „Weil du es nicht ernst meinst“, antwortete Takumi ihr, „Außerdem traue ich Chiaki nicht.“ Irritiert blinzelte Maron ihn an. „Warum? Chiaki liebt mich. Er würde mir nicht wehtun“, beharrte sie. Ihr Vater hatte doch gesehen, wie Chiaki mit ihr umging. War der Vorfall in der Schule damals nicht schon Beweis genug? Er liebte sie so sehr, er könnte ihr nicht mal ein Haar krümmen. „Es gibt mehr als nur einen Weg jemanden wehzutun, Maron“, sagte er mit tonloser Stimme. Sein Gesicht verfinsterte sich. „Du hattest physische Schmerzen erlitten, die… jenseits meiner Vorstellungskraft liegen. Du hattest emotionale Schmerzen erlitten, durch den Verlust deiner Mutter.“ Er seufzte und schüttelte leicht den Kopf. „Und Chiaki...“ Takumi blickte Maron direkt in die Augen. „Chiaki durchlitt dieselben Schmerzen.“ Maron war für einen Moment erstaunt darüber, dass ihr Vater von Chiaki’s Vergangenheit Bescheid weiß und fragte sich wieviel er wusste. „Kaiki hatte mir eine gekürzte Version von dem gegeben, was er wusste“, beantwortete Takumi ihre stumme Frage. Nun war sie wütend auf Kaiki, dass er über sowas Sensibles einfach so mit ihrem Vater sprach - ohne Chiaki’s Einverständnis. „Ich verstehe, dass er eine... schwierige Kindheit hatte und weiß auch, dass er kein schlechter Mensch ist“, sprach er weiter, „Aber genau das, macht ihn zu einer schwierigen Person. Seine Ansichten zu dem was richtig und was falsch ist, sind völlig verzerrt.“ Wütend funkelte Maron ihren Vater an. „Das stimmt doch nicht-“ „Das größte Problem ist, dass ihr beide zu sehr klammert, Maron“, fiel Takumi ihr ins Wort. „Ihr seid beide verloren und geschädigt und klammert aneinander um Hilfe.“ Er atmete tief aus, kniff sich mit Daumen und Zeigefinger zwischen die Augen. „Aber ihr könnt einander nicht helfen. Nicht so wie ihr es euch vorstellt. Nicht wenn ihr euch weigert euch selbst zu helfen.“ Augenrollend sah Maron weg. War der festen Überzeugung, dass er falsch lag. Chiaki half ihr so viel…genauso wie sie ihm. Sie helfen sich in dem sie einander halfen! Keiner von ihnen konnte ihre Dynamik auch nur ansatzweise verstehen. „Ich weiß, dass du dir das noch nicht eingestehen willst. Aber du wirst schon sehen.“ Er blickte sie mit einem wissenden Ausdruck an. „Ich will mich nicht mit dir streiten, Maron“, ein erschöpftes Seufzen entkam ihm, „-aber ich muss das versuchen, was richtig ist. Und das wäre dich zur Therapie zu bringen und dich vor Ärger fernzuhalten.“ Und dann wurde es wieder still zwischen ihnen. Frustriert sah Maron auf den Kuchen. Sie konnte ihren Vater verstehen und gleichzeitig…wollte sie ihn nicht verstehen. Er war nicht in der Situation, um wirklich zu verstehen, was wirklich das Richtige für sie war. Sie wollte alles Gesagte mit einem abfälligen Schnauben abtun. Aber wenn sie ehrlich mit sich war, so wollte sie sich auch nicht mit ihm streiten. Hatte keine Kraft mehr dafür. Eine Träne lief ihr die Wange herunter. „Bitte…“, schniefend blickte Maron ihren Vater an, „Lass mich ihm den Kuchen bringen. Und ich versichere dir: ich überlege es mir wirklich mit der Therapie.“ Es war weder eine Lüge, noch die Wahrheit – in dem Moment, war sie einfach nur verzweifelt. Seine Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen. „Jeder verdient einen Kuchen zu seinem Geburtstag… auch Chiaki“, murmelte sie. Unschlüssig blickte Takumi zwischen ihr und den Kuchen hin und her. Nach einer Weile gab er sich seufzend geschlagen. „Fein.“ Maron lächelte breit und hupfte vor Freude auf und ab. Glücklich darüber, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. „Danke!“ Sie drehte sich kurz weg und holte einen Kuchenbehälter raus, packte den Kuchen vorsichtig ein. „Ich werde nur zehn Minuten brauchen“, sagte sie Takumi, der schwer seufzend sein Handy in die Hand genommen hatte. „Bleib solange wie Kaiki es erlaubt.“ Ihr Lächeln wurde noch breiter. Sie nahm den Behälter in beide Hände und wollte gerade gehen, als Takumi’s Stimme sie aufhielt. „Das ist eine einmalige Sache, Maron.“ Seine Augen trafen auf ihre. „Ich hoffe du hältst dein Wort.“ Sie verkniff es sich das Gesicht zu verziehen und nickte stattdessen. Anschließend ging sie zur Tür und lief nach draußen. *** Kaiki war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, als man ihm von Maron’s Besuch mitteilte. Als er dem Mädchen die Tür aufmachte, lächelte sie ein nervöses, schüchternes Lächeln. Zumindest würde ein Außenstehender, der ihre psychische Verfassung nicht verstand, es als Schüchternheit abstempeln. Dann sah er den Behälter mit dem Kuchen in ihren Händen. Er wusste natürlich, dass heute Chiaki’s Geburtstag war. Er fühlte sich dazu verleitet dem armen Mädchen zu sagen, dass Chiaki Geburtstagskuchen nicht mochte. Ein einziges Mal hatte er ihm einen Kuchen zum Geburtstag gekauft. Kaiki hatte unzählige Stunden am Telefon mit einem sehr bekannten Konditor verbracht, um den perfekten Kuchen für den damals Elfjährigen zu bringen. Mit Kerzen und allem Drum und Dran. Als Chiaki ihn jedoch sah und auf die brennenden Kerzen starrte, wurde er nahezu grün im Gesicht. Anschließend war er ohne Weiteres gegangen, ließ den Kuchen ungerührt. (Letztendlich wurde er von Shinji und Kagura angeschnitten und aufgegessen.) Kaiki hatte versucht mit den Jungen zu reden, wollte verstehen, was los war. Doch Chiaki blockte ab. Nichtsdestotrotz war dies das erste und letzte Mal, dass er ihm einen Geburtstagskuchen gekauft hatte. Seitdem haben sie aus Chiaki’s Geburtstagen keine große Sache mehr gemacht. Jetzt machte Maron genau das, was in diesem Haushalt seit Jahren nicht mehr gemacht wurde. „Dr. Nagoya“, sagte sie nur, nannte ihn wieder beim Titel. „Bitte nenn mich Kaiki“, korrigierte er sie. In Anbetracht dessen, dass sie die letzten drei Monate jede Nacht unter seinem Dach verbracht hatte, waren Formalitäten womöglich erst recht nicht mehr nötig. Maron ging nicht darauf ein, als sie eintrat und ihm nur einen kleinen, flüchtigen Blick zuwarf. Kaiki konnte erkennen, dass sie sich unwohl in seiner Nähe fühlte. Mit nur wenigen Worten führte er Maron ins Esszimmer und teilte ihr mit, einen Moment zu warten. Dann ging er die Treppen zu Chiaki’s Zimmer hoch. Er machte sich darauf gefasst, dass Chiaki ihn anschweigen und ignorieren würde. Seit zwei Wochen ging das nun so. In diesen vierzehn Tagen konnte Kaiki beobachten, wie sein Sohn sich selbst und seine Gesundheit stark vernachlässigte. Seine Augen wurden vom mangelnden Schlaf immer dunkler. Die Wangen wirkten immer eingefallener. Und es entging ihm auch nicht, wie er sich auf den Treppen manchmal festhalten musste. Er war Arzt – und sein Vater. Natürlich sollte das alles ihm nicht entgehen. Und dennoch fühlte er sich so hilflos mit dem Jungen. *** Chiaki lag gerade auf seinem Sofa, genoss die Ruhe und ließ die neuste Tablette an Amphetaminen, die er vorhin genommen hatte, auf sich wirken, als es plötzlich an seiner Zimmertür klopfte. Augenrollend stöhnte er auf, ging davon aus, dass es Shinji sein musste, der ihm zum Geburtstag gratulieren wollte. In den letzten Tagen fand er sich immer öfter in dessen Zimmer wieder, verbrachte die nächtlichen Stunden damit mit seinen Adoptivbruder zu zocken. Die banalen Gespräche mit Shinji brachten ihn auf andere Gedanken und taten auch etwas gut. Wieder klopfte es. Konnte der Idiot die dämlichen Geburtstagsgrüße nicht einfach durch die Tür sagen?! Denn jetzt gerade wollte Chiaki einfach nur seine Ruhe. Er stand genervt auf, ging auf die Tür zu und riss sie auf. Für einen Moment blinzelte er überrascht sein Gegenüber an. „Na sowas aber auch. Ich glaub’s ja nicht“, sagte er, die Stimme triefte vor Spott, „Ich habe mir das Klopfen nicht eingebildet.“ Kaiki stand seufzend im Flur, die Hände in den Taschen vergraben. „Funktioniert dein Schlüssel nicht mehr?“, fragte Chiaki mit hochgezogener Augenbraue sarkastisch. Das waren die meisten Wörter, die er seit zwei Wochen mit ihm gewechselt hatte. Kaiki blickte ihn für einen Moment an, ehe er schließlich seine Sprache wiederfand. „Maron-“, fing er an zu sagen und gewann direkt Chiaki’s Aufmerksamkeit und Interesse, „-wartet unten im Esszimmer auf dich.“ Kaiki ließ seinen Blick Richtung Treppe schweifen und dann wieder zu ihm. Sofort drängte Chiaki sich an ihn vorbei und ging nach unten. Ein vertrautes Gefühl überkam ihm. Es war wie ein unsichtbarer Faden, welcher in seiner Brust zerrte und ihn zu seinem Mädchen führte. Schließlich kam sie in sein Blickfeld, gekleidet in ihrem übergroßen schwarzen Kapuzenpulli und Jeans und hatte ein müdes Lächeln auf ihrem wunderschönen Gesicht haften, welches sein Herz aufklopfen ließ. So überrascht er über Maron’s Besuch war, so verschwendete er dennoch keine Sekunde damit auf sie zu zugehen und sie in seine Arme zu nehmen. Leise kichernd schlang Maron ihre Arme um seine Taille, schmiegte ihr Gesicht an seine Brust. Er konnte Kaiki’s achtsame Blicke auf sich spüren, aber er ignorierte dessen Anwesenheit. Während Chiaki sie festhielt, vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren. Dann drehte er seinen Kopf und flüsterte so leise in ihr Ohr, dass Kaiki ihn nicht hören konnte: „Bist du wegen guten Benehmens entlassen?“ Maron schüttelte seufzend ihren Kopf. „Ist ‘ne einmalige Sache.“ Chiaki konnte spüren, wie die Wut und Frustration wieder hochkamen. „Für wie lange darfst du bleiben?“ „Solange, wie dein Vater es erlaubt“, sagte sie, blickte zu ihm auf und nickte leicht mit dem Kopf dorthin, wo Kaiki einige Meter von ihnen entfernt, stand. „Ich bin hier, um dir was zu geben.“ Sie entfernte sich aus seiner Umarmung und drehte sich kurz zum Tisch hinter ihr um. Im nächsten Augenblick wandte sie sich wieder ihm zu und hatte etwas in den Händen. Seine Augen wurden riesig als er den Kuchen sah. „Happy Birthday“, sagte Maron mit einem süßen, liebevollen Lächeln. Dasselbe Lächeln was auch ihm automatisch ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Ein richtiges Lächeln, welches immer nur ihr galt und er seit Tagen nicht mehr gelächelt hatte. *** Kaiki stand am Türrahmen angelehnt da und beobachtete die beiden Jugendliche. Er sah, wie Chiaki mit einem riesigen Lächeln, welches er noch nie so bei ihm gesehen hatte, auf den Kuchen und Maron herabsah und sich mit ihr zusammen am Tisch hinsetzte. Seufzend blickte Kaiki leicht verbittert zu Boden, war ein wenig frustriert und neidisch darüber, dass Maron genau die Reaktion bekam, die er sich von seinem Sohn damals erhofft hatte. Offensichtlich fiel sie in eine komplett andere Kategorie als jeder andere Mensch in Chiaki’s Leben. Die beiden hatte Kaiki’s Präsenz komplett vergessen. Und eigentlich sollte er sie womöglich auch für eine Weile allein lassen, doch aus unerfindlichen Gründen blieb Kaiki an Ort und Stelle stehen, beobachtete die beiden. Maron schnitt den Kuchen an, gab Chiaki ein Stück, welches er mit Freude aß. Sie rutschten etwas näher zueinander heran und seine freie Hand fand unter dem Tisch ihre. Sie redeten in einem leisen, gedämpften Ton miteinander, weshalb Kaiki nicht hören konnte, über was sie sprachen. Wahrscheinlich ging es ihm auch nichts an. Mit einer Mischung von Faszination und Neid beobachtete er sie. Er war fasziniert über den Einfluss, den dieses Mädchen auf seinen Sohn hatte. Wie einfach er sich ihr öffnen und sie ihn zum Lächeln bringen konnte. Gleichzeitig war er auch neidisch darüber. Kaiki konnte sich nicht entsinnen, jemals diese Version von Chiaki gesehen zu haben, bevor dieses Mädchen in sein Leben kam. Er hatte alles versucht, um zu ihm durchzudringen. Jahrelang hatte er versucht diese Mauer, die er aufgebaut hatte zu durchbrechen. Er hatte sich sogar mit Kollegen über Methoden ausgetauscht, wie man zu schwer traumatisierten Kindern und Jugendlichen durchdringen kann. Man brauchte kein Experte in dem Gebiet zu sein, um zu erkennen, dass Chiaki durchaus schwer traumatisiert war. Kaiki versuchte mit viel Geduld sein Vertrauen zu gewinnen. Hatte darauf gewartet, dass er sich ihm vielleicht irgendwann öffnete. Er bleib über die Jahre geduldig – so geduldig, wie es den Umständen entsprechend ging. Doch dann kam Maron nach Momokuri und so ganz plötzlich ließ Chiaki seine Mauer fallen. Nicht nur fand er in ihr eine Vertraute..., sondern auch viel mehr. Es war eigentlich ein positives Zeichen. Dennoch kam Kaiki nicht drum rum dieses Fünkchen Neid zu verspüren. Aber er akzeptierte die Beziehung zunächst, mit der Hoffnung, dass Chiaki sich mit Maron’s Hilfe auch ihm öffnen würde. Dem war leider nicht der Fall. Zusammen mit den Erkenntnissen über ihre Schlaflosigkeit, kam Kaiki eventuell zu der Realisation, dass diese Abhängigkeit von den beiden doch nicht so gut war, wie es zunächst den Anschein hatte. Zumindest auf Dauer nicht. Nur leider würden sie das von selbst nicht erkennen wollen. Selbst jetzt in dieser Entzugsphase nicht. Ein leises Kichern riss Kaiki aus den Gedanken. Er beobachtete, wie Maron und Chiaki in ihrer eigenen Welt waren, noch etwas näher heranrückten und ihre Stirn aneinander lehnten. Er räusperte sich, riss die beiden wieder in die Realität zurück und erschreckte das arme Mädchen dabei völlig, die seine Anwesenheit womöglich komplett verdrängt hatte. „Ich denke, Maron sollte jetzt womöglich nach Hause gehen.“ *** Chiaki drehte sich zu Kaiki um, funkelte ihn mit einem entgeisterten Blick an. Auch Maron blickte finster zwischen ihnen hin und her. Er drückte ihre Hand fest in seine, wollte offensichtlich noch nicht, dass sie ging. „Warum?“, fragte er irritiert. Kaiki senkte seinen Blick und rieb sich den Nacken. „Chiaki, bitte. Jetzt mach keine Szene draus“, wich er ihm aus. Chiaki war durchaus bereit eine Szene jetzt zu machen, doch Maron stand stattdessen auf und nahm die leere Box in die Hand. „Ist schon okay“, murmelte sie und lächelte ein Lächeln, welches ihre Augen nicht erreichte. Nein, ist es nicht, dachte Chiaki sich verbissen, während er sie zur Tür begleitete. Er sah, wie Maron merklich vor Kaiki zurückwich als sie an ihn vorbeiging. „Dr. Nagoya“, sagte sie nur schroff zum Abschied. Dieser öffnete den Mund, wollte sie womöglich wegen der Anrede wieder korrigieren, aber sie hatte schon auf dem Absatz kehrt gemacht und war gegangen. Es war offensichtlich, dass sie genauso sauer auf ihn war, wie Chiaki. Nur war Chiaki richtig angepisst. Ohne Kaiki eines Blickes zu würdigen, begab er sich wieder in sein Zimmer zurück. Er konnte es kaum erwarten von hier auszuziehen. FORTY-TWO --------- FORTY-TWO   Maron und ihr Vater sprachen mehr oder weniger wieder miteinander. Zumindest kamen sie seit ihrem Gespräch zu einem Art Waffenstillstand. Chiaki’s miese Laune zog sich nach seinem Geburtstag über das Wochenende hin. Maron konnte es an seiner distanzierten Stimme hören. Und wenn sie ihn darum bat, die Kamera anzumachen, konnte sie es auch an seinen Blicken erkennen. Seine Züge hatten was Hartes, Nachdenkliches und dennoch Wütendes. Sie konnte sich vorstellen was in ihm vorging. Und dennoch wollte sie gleichzeitig wissen, was für dunkle Gedanken in seinem Kopf schwirrten. Doch sie verkniff sich die Fragen, wollte ihn nicht bedrängen und noch mehr reizen oder aufregen. Trotzdem machte sie sich Sorgen. Nicht nur um sein Verhalten. Sondern um die Tatsache, dass ihm noch nichts von dem Versprechen erzählt hatte, dass sie ihrem Vater mehr oder weniger unbewusst gab – und wie seine Reaktion darüber sein wird.   Gerade fuhr Maron mit Miyako zur Schule, sprach mit ihr über dieses Dilemma. „Hast du dir nun wirklich Gedanken über eine Therapie gemacht?“, fragte Miyako interessiert. „Nein.“ Seufzend lehnte Maron ihren Kopf nach hinten, rieb sich die Schläfen. „Ich will das nicht… aber ich habe Dad leider Gottes mein Wort gegeben“, murmelte sie augenrollend. „…Ich will dir nichts einreden, aber wieso probierst du es nicht einfach? So machst du deinen Vater glücklich. Und wer weiß-“ Miyako hob eine Schulter auf und ab, während sie sich auf die Straße konzentrierte. „Vielleicht hilft es dir am Ende wirklich.“ Gähnend hielt Maron sich eine Hand vor dem Mund, rollte leicht den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht…“, nuschelte sie, „So und so muss ich mit Chiaki darüber reden.“ „Der wird garantiert ausrasten“, merkte Miyako an und verzog ihren Mund. Maron strich sich schwer seufzend durchs Haar. „Ausrasten wäre die Untertreibung des Jahrhunderts...“ In der Schule angekommen, traf sie Chiaki wie immer auf dem Parkplatz und lief mit ihm zur Klasse. Den Unterricht versuchte sie bestmöglich mitzuverfolgen, aber es war wirklich schwierig gegen die Müdigkeit anzukämpfen, wenn die Lehrer über solche eintönigen Themen redeten. Sie schaute zu ihrer Linken, sah wie Chiaki gedankenverloren Richtung Fenster rausblickte und etwas in seinem Heft kritzelte. Seufzend drehte Maron sich im nächsten Moment wieder zur Tafel um. Die ersten Stunden vergingen und sie begaben sich zusammen in die Mittagspause. Mit einem Arm um ihre Taille, lief Chiaki mit ihr durch die Gänge. Während sie liefen, redeten sie leise miteinander. „Weiß du-“, fing er an zu sagen, „Sobald ich ausgezogen bin-“ „Was?“ Maron schnellte ihren Kopf zu ihm hoch. Diese Worte warfen sie etwas aus der Bahn. Seufzend führte Chiaki sie durch die strömende Menge. „Ich bin jetzt achtzehn. Ich muss mir den Quatsch, wie am Samstag, nicht nochmal antun, wenn ich aus dieser Bude raus bin“, erklärte er. Bestürzt blickte Maron ihn an. „Du brauchst wahrscheinlich nicht so weit gehen“, sagte sie, „Ich habe meinem Vater mehr oder weniger mein Wort gegeben, es mir mit der Therapie zu überlegen und dann werden sie uns schon in Ru-“ Er unterbrach sie, in dem er abrupt stehen blieb. Verwirrt weiteten sich seine Augen. „Was?!“ Als Maron den Mund aufmachte, um sich genauer zu erklären, setzte Chiaki sich plötzlich wieder in Bewegung, führte sie schnellen Schrittes raus in den Schulhof. Dabei liefen sie an Natsuki und Shinji vorbei, die sich gerade aufs Dach begaben und ihnen verdutzt hinterher schauten. Er führte sie in den hintersten Teil des Hofes. Sie erkannte die Stelle wieder. Es war dieselbe Stelle, zu der sie geflüchtet war, nachdem sie Shinji versucht hatte die Hand zu schütteln und einen Zusammenbruch erlitt. Es war eine recht ruhige, ungestörte Stelle auf dem Schulgelände. „Du überlegst eine Therapie zu machen?“, fragte Chiaki entgeistert, stellte sich mit beiden Händen an den Hüften vor ihr auf. Maron blickte ihn an, schüttelte ihren Kopf. „Nein, also-.... ich meine.... Es war die einzige Möglichkeit, damit er am Samstag einwilligte. Aber wenn ich es wirklich durchziehe, dann-...uhm…“ Sie verstummte, als sie seinen fassungslosen Gesichtsausdruck sah. Mit zusammengezogen Augenbrauen sah er sie an, machte den Mund auf und wieder zu. „Nein“, sagte er hart, „Fuck nochmal, Nein!“ Chiaki strich sich mit beiden Händen durch die Haare. „Vergiss es! Genau das wollen sie doch!“ „Uhm... Ja, offensichtlich“, erwiderte Maron leicht perplex. Seufzend lehnte sie sich an die Wand hinter sich an. „Als würden sie denken, dass es mich mit Glitzer und Regenbögen auf magischer Weise heilt und mich zu einem normalen Mädchen macht“, rollte sie sarkastisch mit den Augen. Er murmelte etwas unverständliches in sich hinein, strich sich erneut durch die Haare und sein Blick wurde noch furioser. „Genau und weißt du, was das ganze perfekt machen würde? Wenn die Therapie funktioniert, du dich besserst und dann deinen Horizont erweiterst. Wenn du dann andere Männer berühren kannst und feststellst, dass du mit jemand anderen, der weniger abgefuckt im Kopf ist, besser dran bist.“ Scharf zog Chiaki Luft ein, begann auf der Stelle auf und ab zu tigern. Seine Hand fuhr sich unruhig durch die Haare. „Genau das würde wahrscheinlich passieren“, sagte er so leise, Maron hätte es fast nicht gehört. Sie stieß ein ungläubiges Schnauben aus, konnte es nicht fassen, dass er so etwas Absurdes glaubte. „Was zu Teufel redest du da?“ Sie versuchte nicht einmal ihre Frustration über seine völlig unbegründete Paranoia zu verbergen. Als ob sie einfach zur Therapie hingeht, geheilt wird und urplötzlich jemand „besseren“ findet. Das Szenario allein klang so lächerlich, sie wollte eigentlich darüber lachen. Sie wollte ihm verständlich machen, dass der Kompromiss keine Verschwörung gegen ihre Beziehung war, sondern eher ein Mittel zum Zweck. Als sich ihre Blicke wieder trafen, blieben die Worte ihr für einen Moment jedoch im Hals stecken. Seine Augen hatten diesen verletzlichen Ausdruck bekommen, welchen sie nicht ertragen konnte.    „Denk darüber nach“, seufzte Chiaki, ein Hauch von Bitterkeit schwang in seinem Ton mit. „Ich meine, was bin ich wirklich, Maron? Ich bin sowas wie der letzte Mann auf Erden für dich.“ Er sah weg, sodass sie seine Emotionen in seinen Augen nicht sehen konnte. „Das kann nicht dein Ernst sein!“, brachte Maron ungläubig hervor, starrte ihn irritiert an. Hörte er sich selbst noch reden? Nach allem, was sie zusammen durchgemacht haben... dachte er wirklich so? Und als er immer noch ihren Blick vermied, wusste sie, dass er es tatsächlich ernst meinte - was sie wütend machte. Denn es war einfach nur lächerlich. „Das ist doch wirklich bescheuert und dumm, Chiaki.“ Sein Kopf schnellte entsetzt zu ihr hin. „Genau…es ist bescheuert und dumm“, zischte er ebenfalls wütend und bitter, „Alles ist verfickt nochmal bescheuert und dumm!“ Er zeigte urteilend mit dem Finger auf sie. „Jedes Mal, wenn du dich minderwertig gefühlt hast, musste ich mein Bestes geben, damit du dich besser fühlst.“ Chiaki verengte seine Augen zu Schlitzen. „Aber wenn ich mich mal so fühle, dann bekomme ich nur gesagt, dass es bescheuert und dumm ist! Na, schönen Dank auch!“ Er warf seine Hand hoch und ließ sie neben sich fallen, drehte sich mit einem frustrierten Laut weg. „Wenn das so ist, hätte ich dir auch immer sagen können, dass all deine Sorgen, Ängste und Unsicherheiten bescheuert und dumm sind.“ Maron starrte ihn mit offenem Mund an, fühlte sich einfach nur furchtbar. Denn er hatte Recht. Ihre Unsicherheiten erschienen ihm womöglich genauso lächerlich und dennoch war er nie frustriert mit ihr gewesen. Bleib geduldig, um sie des besseren zu belehren. Auch mit ihrem Wunsch nach Sex blieb er gelassen, obwohl sie diejenige war, die sich Gedanken darüber und ihm wahrscheinlich Druck gemacht hatte. Er tat alles für sie. Und das Einzige was sie bringen konnte, war seine Unsicherheit auf die mieseste Art und Weise einfach abzuwinken. Ihre Schultern sanken und sie starrte mit einem schlechten Gewissen auf seinen Hinterkopf. Seufzend versuchte Maron die Erschöpfung beiseite zu schieben, sich in seine Lage zu versetzen und den besten Weg zu finden, ihm seine Ängste zu nehmen.   Sie drückte sich von der Wand ab, überbrückte mit einem Schritt die Distanz zwischen ihnen. Seine Schultern waren steif vor Anspannung und die Augen geschlossen. Maron nahm sein Gesicht sanft zwischen ihre Hände, drehte seinen Kopf zu sich und berührte seine Lippen mit ihren. Für den ersten Moment zeigte er keinerlei Regung, weshalb sie sich enger an ihn drückte. Sie nahm seine Unterlippe zwischen ihre Lippen, knabberte leicht daran. Mit einem scharfen Atemzug öffnete Chiaki seinen Mund und ihre Zungen berührten sich. Gleichzeitig konnte sie seine Hände auf ihrer Taille fühlen und ihre Körper pressten sich noch mehr aneinander an. Sie stöhnten und keuchten beide auf. Der Kuss war fordernd und nahezu aggressiv. Weit entfernt von süß, liebevoll und sanft. Maron spürte, wie sie sich bewegten und im nächsten Moment stand sie wieder mit dem Rücken an der Wand. Seine Lippen hatten sich keinen Augenblick von ihrem getrennt. Ihre Finger waren in seinen Haaren, krallten sich an ihnen fest. Atemlos stöhnte er in ihren Mund. Sie könnte alle möglichen Emotionen in den Küssen spüren. Lust, Zuneigung, Liebe… am allermeisten jedoch ungezügelte Frustration. Ihre und seine. Stöhnend küsste sie ihn aggressiv zurück, versuchte ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn wollte. Wie sehr sie ihn brauchte. Abrupt löste er seine Lippen plötzlich von ihr, lehnte seine Stirn atemlos an ihrer an. Eine Hand war um ihre Hüfte gelegt, die andere war an der Mauer neben ihren Kopf abgestützt. Sie blickte in seine Augen. Etwas Dunkles war in ihnen, was sie in seinen Augen noch nie gesehen hatte. Sein Blick wanderte zu ihren geschwollenen Lippen herunter. Keinen Augenblick später kollidierten ihre Lippen wieder miteinander. Er küsste sie hart und mit einer Dominanz, welche ihre Beine schwach werden ließ. Sie küsste ihn im selben Maße zurück, verlor sich in den Gefühlen. *** Chiaki konnte nichts anderes fühlen, sehen, hören, schmecken außer Maron. Sie war vollkommen an seinen Körper gepresst. So warm, sanft und zart… alles seins. Sie war sein Mädchen. Auf keinen Fall sollte sich das ändern. Es war seine größte Angst. Dass sie erkannte, dass sie ohne ihn vielleicht besser dran wäre. Dass sie mit jemand Normalen zusammen sein könnte, den sie ohne Probleme mit nach Hause bringen und ihrem Vater vorstellen konnte. Dass sie eventuell erkannte, dass sie so einen Mistkerl, wie ihn, nicht brauchte. Es war etwas, was Shinji in einer gemeinsamen Zock-Nacht mal ganz beiläufig in den Raum geworfen hatte und Chiaki seitdem nicht mehr losließ. „Was würdest du machen, wenn Maron in -sagen wir mal- zehn Jahren endlich dazu fähig ist ändere Männer zu berühren?“ Chiaki brachte darauf ein abwertendes, gleichgültiges Schnauben entgegen. „Als ob das jemals passieren würde“, hatte er gesagt und danach direkt das Thema gewechselt. Wahrscheinlich hatte sein Adoptivbruder es noch nicht mal mitbekommen, wie sehr diese eine Frage, ihn eigentlich erschütterte. Denn tief in seinem Inneren wusste Chiaki, dass diese Möglichkeit bestand. Dass sie eventuell geheilt werden konnte. Und die Vorstellung ließ ihn keine Ruh. Maron stritt es stur ab, war so geblendet von der Tatsache, dass er ihre einzige Option war, dass sie es einfach nicht sah. Er war alles, was sie hatte. Allerdings war sie auch alles, was er hatte. Im Vergleich zu ihr, hatte er Optionen... die er nicht wollte. Er wollte sie. Sie war sein. Allein die Vorstellung, dass irgendein anderer Bastard an ihrer Seite wäre, ließ ihn rotsehen. Unwillkürlich bildeten sich Bilder vor seinem geistigen Auge. Hände, die sie berührten, die nicht seine waren. Lippen, die sie küssten, die nicht seine waren. Ihre mit Liebe gefüllten Augen, die ihm nicht gelten würden. Ein Stöhnen war von Maron zu hören, als Chiaki sich an sie drückte, sie hart küsste und ihre Hände über ihren Kopf hielt. Das Geräusch weckte seine Sinne. Und gerade in dem Moment, fühlte er sich wacher als je sofort. Wacher und fokussierter als die Tabletten und Drogen ihn jemals zuvor werden ließen. Lebendiger. Atemlos löste er für ein paar Momente seine Lippen von ihren, küsste ihre Wange, ihren Hals. Atmete ihren Duft tief ein. Seine Hände umfassten sie an den Seiten und er küsste erneut mit rücksichtsloser Hingabe.   Er verabscheute sich dafür, dass er sie weiterhin so grob und fordernd küsste. Aber er konnte dieses Bedürfnis nicht stoppen. Und sie wollte nicht, dass er aufhörte. Maron schlang ihre Beine um seine Hüfte und legte ihre Arme fest um seinen Nacken. Unterdessen küsste Chiaki hungrig ihre Lippen, wanderte daraufhin keuchend unter Küssen ihre Kieferpartie und ihren Hals hinab. Alles in ihm brannte vor Lust, Frustration, Verzweiflung. Adrenalin schoss ihm durch den Körper. Ihre Lippen fanden sich auf seinem Nacken wieder und er spürte ihre Zähne, die fest zubissen und ihn markierten. Er wollte sie auch markieren. Mit seinen Zähnen in ihren Nacken zubeißen, möglichst sichtbare Spuren hinterlassen, um letztlich das Vergnügen zu haben, dass jeder es dann sehen konnte. Jeder sollte wissen, dass sie bereits jemand gehörte. Sie war sein.   Nach einer Weile rutschten sie beide langsam zusammen zu Boden runter, klammerten sich krampfhaft aneinander. „Geh nicht“, wisperte Maron kaum hörbar in seinen Nacken. Sie wollte nicht, dass er auszog. Dass er von ihr wegzog. Sie wollte, dass er blieb. Und bei dem Klang ihrer bettelnden Stimme, konnte Chiaki ihren Wunsch einfach nicht abschlagen. Er nickte einmal. Erleichtert atmete sie durch die Nase aus, ließ ihn langsam los und lehnte sich keuchend an die Wand hinter ihr an. Atemlos lehnte Chiaki seine Stirn an ihrer an. Ihr Atem kitzelte auf seiner Haut. Nun war er dran. Er hatte kein Recht, sie darum zu bitten es nicht zu tun. Es war selbstsüchtig. Aber es war auch selbstsüchtig von ihr, ihn darum zu bitten zu bleiben. „Keine verfickte Therapie“, sagte er, wenige Millimeter von ihren Lippen entfernt. Maron nickte, ohne zu zögern. Versprach es ihm. Seufzend legte Chiaki seine Hände auf ihre Wangen, strich sanft über ihre Haut. Dann küsste er sie zärtlich. So wie er es vorhin hätte tun sollen. So wie sie es verdient hat. Sachte und langsam küssten seine rot geschwollenen Lippen die ihren. Entschuldigte sich mit der sanften Geste bei ihr. Für die restliche Mittagspause saßen die beiden hinter dem Schulgebäude. Hielten sich in den Armen und machten einander Versprechen, dass sie nicht gehen würden. FORTY-THREE ----------- FORTY-THREE   „Du wirkst ziemlich gestresst in letzter Zeit.“ Kaiki blickte seine Begleitung an. Er hatte sich mit Dr. Anzai zum Abendessen verabredet und gerade wartete er mit ihr auf das Taxi, welches er ihr zum nach Hause fahren bestellt hatte. „Midori“, fing er mit einem aufgesetzten Lächeln an, steckte seine Hände in die Manteltaschen, „Ich leite ein Krankenhaus. Offensichtlich ist das mit viel Stress verbunden.“ Midori blickte ihn schmunzelnd und skeptisch zugleich an. „Mein Gefühl sagt mir, dass es nichts mit der Arbeit zu tun hat.“ Er erwiderte darauf nichts. In dem Augenblick kam endlich das Taxi und Kaiki hielt ihr die Tür auf. „Wenn du darüber reden willst, ich habe immer ein offenes Ohr“, sagte Midori mit einem Augenzwinkern, als sie einstieg. Kaiki gab ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange. „Komm gut nach Hause“, sagte er ihr nur und sah anschließend wie das Taxi davonfuhr. Seufzend ging er ebenfalls los. Doch anstatt nach Hause zu gehen, begab er sich in eine Bar, wo er sich mit Takumi treffen würde. Während er sich auf dem Weg dahin machte, dachte er nach. Zu viele Dinge gingen ihm derzeit durch den Kopf. Besonders dominierend: seine Sorgen um seinen Sohn. Er dachte unwillkürlich an die Vergangenheit zurück, erinnerte sich an sein erstes Aufeinandertreffen mit Chiaki. Er erinnerte sich daran, als er den Anruf damals bekam und ohne mit der Wimper zu zucken nach Yokohama fuhr. In der Behörde angekommen, sah er auch direkt den Jungen abseits von all den Erwachsenen auf einem Stuhl sitzen und mit leeren Blick auf den Boden starrte. Kaiki konnte nicht anders, als darüber erstaunt zu sein, wie groß er in den letzten zehn Jahren geworden war. Nach kurzem Zögern ging er auf ihn zu. „Hallo Chiaki“, sagte er und der Junge sah mit einem argwöhnischen Blick zu ihm auf und drehte den Kopf direkt wieder weg. Kaiki wusste nicht, wie er anfangen sollte, weshalb er sich erstmal neben ihn hinsetzte. „Ich weiß nicht, ob du-“ „Ich weiß, wer du bist“, fiel ihm Chiaki ins Wort. „Jeder hier sagte mir bereits, dass mein Vater auf dem Weg sei“, sagte er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme, verdrehte seine Augen. „Der Vater, den ich nicht mal kenne und noch nie kennengelernt habe.“ Kaiki schluckte, fuhr sich mit der Hand beschämt über den Nacken. „Okay…Ich weiß, dass die jetzigen Umstände, um einander kennenzulernen nicht gerade die Besten sind...“ Chiaki stieß einen schnaubenden Laut aus. „Wieso hast du dich nie Blicken lassen?“ Schwer seufzend strich Kaiki sich durch die Haare. „Es ist eine lange, sehr lange und komplizierte Geschichte. Kyoko -deine Mutter-... und ich, wir hatten unsere Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, ob du von unserer Scheidung, von dem Erziehungsrechtsstreit und sonstigem juristischen Kram hören willst. Denn sonst würden wir bis morgen noch hier sitzen.“ Sichtlich irritiert und verwirrt blickte Chiaki ihn an, ehe er sich umblickte und das Gesicht verzog. „Ich will hier weg…“, murmelte er kaum hörbar, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Kaiki lächelte ihn an, hatte mit mehr Widerstand gerechnet und nickte. „Komm.“ Damit standen sie auf und Kaiki klärte die letzten notwenigen Details mit der Behörde. Anschließend liefen sie zusammen aus dem Gebäude raus und begaben sich zu seinem Auto. „Kagura und Shinji werden sich bestimmt freuen dich kennen zu lernen“, sagte Kaiki nachdem beide eingestiegen waren, sich angeschnallt haben und er den Motor startete. „Wer?“ „Oh. Meine beiden Jungs.“ Chiaki warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu. „Und deine Frau? Wird die sich freuen?“ Für einen Moment war Kaiki verwirrt bis er verstand, was der Junge meinte. „Oh! Nein, es gibt keine Frau.“ Konfus blinzelte Chiaki ihn an. „Die beiden habe ich vor ein paar Jahren aus einem Waisenheim adoptiert“, erklärte Kaiki. Chiaki nickte verstehend. „Ich bin mir sicher, dass du Momokuri mögen wirst. Ist nicht so groß, wie Yokohama, aber eine tolle Stadt mit viel Natur in der Umgebung“, sagte Kaiki aufmunternd. Geistesabwesend nickte Chiaki und blickte aus dem Fenster. Er blinzelte einige Male, gähnte und die Lider wirkten schwer. Sofort drehte Kaiki das Radio leiser. „Du kannst ruhig schlafen“, sagte er in einem fürsorglichen Ton. „Ich wecke dich, wenn wir da sind.“ Zu seiner Verwunderung sah Chiaki ihn mit schreckgeweiteten Augen an und schüttelte energisch den Kopf. „Ich bin nicht müde.“ Kaiki war ein wenig verwundert über die Reaktion, dachte sich zu dem Zeitpunkt allerdings nichts dabei und nickte verstehend. „Okay. Wenn irgendwas ist, dann sag Bescheid.“ Kurze Zeit später war ein knurrender Magen zu hören. Kaiki warf Chiaki, der rot im Gesicht wurde, einen etwas amüsierten Seitenblick zu. „Ich… ehm, hab Hunger. Können wir was essen?“, fragte er fast schüchtern. „Sicher.“ Nach wenigen Minuten bog Kaiki in die nächste Raststätte ab, welches ein Fast-Food-Restaurant besaß. Dort bestellte er für Chiaki und für sich jeweils ein Menu und gemeinsam setzten sie sich an einem freien Tisch hin. „Hier“, sagte er und beobachtete mit einem Lächeln, wie die Augen des Jungen leuchtend groß wurden. Sofort schnappte Chiaki sich den Burger, wollte gerade zubeißen, stoppte sich allerdings. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. „Ehm, Danke…D-D-…V-“ Chiaki biss sich auf die Unterlippe und senkte seinen Blick. Kaiki verstand was in ihm vorging. „Du kannst ruhig Kaiki zu mir sagen“, sagte er warm lächelnd. Chiaki sah zu ihm auf und nickte anschließend. „Danke, Kaiki.“   Kaiki war in der Bar angekommen und blickte sich flüchtig um. Takumi war noch nirgends zu sehen. Seufzend setzte er sich an den Tresen und bestellte beim Barkeeper ein Getränk. Dieses stand nach wenigen Augenblicken vor ihm. Er schwenkte langsam sein Glas und trank einen Schluck. Seufzend stützte er wartenden den Ellenbogen auf dem Tresen ab und blickte gedankenverloren auf sein Getränk herab. Seine Gedanken schweiften zu dem Streit zurück, den er mit Chiaki vor einigen Wochen hatte, als er ihn zum Mittagessen im Krankenhaus eingeladen hatte. Er dachte daran, wie er erneut versuchen wollte mit ihm über Kyoko zu reden. Insbesondere über die Eventualität sie aufzusuchen und eventuell mit ihr abzuschließen. Vor einer Weile hatte Kaiki tatsächlich schon einen Privatdetektiv engagiert, um seine Ex-Frau zu finden. Kaiki konnte nicht anders, als mit Chiaki darüber reden zu wollen – in der Hoffnung, dass sein Sohn sich ihm öffnen würde. Einerseits fühlte er sich auch schrecklich, dass er in letzter Zeit so aufdringlich über das Thema war und dafür sorgte, dass Chiaki abblockte und ihn wegstieß. Andererseits wollte Kaiki ihn auch dazu ermutigen, dass er ihm Sachen anvertrauen konnte - die er stattdessen jedoch Maron, an Stelle von ihm, anvertraute. Kagura war kurz nachdem Chiaki weg war, reingekommen, fragte besorgt was los sei, nachdem er den Jüngeren so aufgebracht aus dem Büro stampfen sah. Es war interessant, wie unterschiedlich seine drei Jungs waren. Kagura war durch und durch der große, verantwortungsvolle Bruder, mit dem jeder klarkam und der für jeden da sein wollte. Shinji war der extrovertierte Typ, ein wandelndes Vitamin D und voller Energie. Er könnte mit seiner Persönlichkeit jeden zum Lächeln bringen. Chiaki war dagegen komplett anders. Vom ersten Moment an, als Kaiki mit ihm sprach, war klar, dass Chiaki eher eine sehr introvertierte und analytisch denkende Person war. Er ging alles genau durch und basiert seine Entscheidungen auf Grundlage von Beobachtungen und seinen eigenen persönlichen Überzeugungen. Er war scharfsinnig und setzte sich für das ein, was ihm wichtig war. Aufgrund seiner zurückhaltenden, verschlossen Art, war ihm auch seine Privatsphäre wichtig. Die Kaiki missachtet hatte – auch wenn er es insgeheim nicht bereute. Dennoch wollte er sich entschuldigen. Vielleicht hätte er auf den nächsten Tag damit warten können, aber irgendwie wollte er es unbedingt in derselben Nacht noch machen. Eventuell wollte Kaiki auch noch einen weiteren Versuch wagen mit Chiaki über seine Mutter zu reden. Hatte die Hoffnung gehabt, dass er ihm vielleicht eher zuhören würde, wenn er weniger energiegeladen und schlafgetrunken war. Von daher hatte ihn sein Weg direkt zu Chiaki’s Zimmer geführt. Nachdem er merkte, dass die Tür verschlossen war, hatte Kaiki kurz darauf den Ersatzschlüssel geholt und dann leise aufgeschlossen. Es war stockdunkel und es war eine Weile her, seitdem Kaiki das letzte Mal in Chiaki’s Zimmer war. Er hatte gehofft ohne großen Lärm sich hindurch zu tasten, doch sein Bein traf laut gegen ein Möbelstück und das nächste was er vernahm, war ein Schrei. Es dauerte einige Momente als Kaiki realisierte, dass es ein weiblicher Schrei war und Augenblicke später wurde der Raum vom weichen Licht der Nachttischlampe erleuchtet. Und dann folgte das eine schließlich zum anderen...   Seit der einen Nacht waren nun drei Wochen vergangen. Das Verhältnis zu seinem Sohn war schlechter als jemals zuvor. Während Chiaki ihm in der Zeit bestmöglich aus dem Weg ging, versuchte Kaiki ihn bestmöglich im Auge zu behalten, wenn er zu Hause war. Seine körperliche Gesundheit hatte sich deutlich verschlechtert. Er hatte merklich abgenommen. Und Kaiki wusste, dass Chiaki nicht viel schlief. Obwohl ihm die Folgen von Schlafentzug bekannt waren, so konnte er nicht viel dagegen tun. Im Hintergrund betrieb Kaiki nachts seine Recherchen, um ein besseres Verständnis für Chiaki aufzubauen. Und je mehr er darüber las, desto mehr erkannte er, dass die Anzeichen die ganze Zeit über da waren. Seit dem Tag, in der er ihn antraf, hatte er Schlaf schon vermieden. Kaiki konnte nicht fassen, dass er es geschafft hatte sowas Kritisches vom ersten Tag an völlig zu übersehen. Chiaki hatte es lange genug erfolgreich versteckt, so viel war sicher - aber dies entschuldigte nicht sein Versagen als Vater und Arzt. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass er es mit etwas Größerem zu tun hatte, als mit dem bloßen Trauma seiner Brandnarben. Er wusste nicht viel von dem Vorfall, aber er kannte seine Narben offensichtlich, da er ihn im Laufe der Jahre wiederholt wegen verschiedener Gründe behandeln und untersuchen musste. Das Einzige, was Kaiki darüber wusste, war dass der Mann, der seinen Sohn aufwachsen sah, tragisch umkam. Ihm wurde Chiaki’s Krankenberichte gewährt, aber es wurde kaum etwas Besonderes erwähnt. Seine Recherche über Schlafstörungen milderten seine Sorgen nicht, und je weiter Kaiki sich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr geriet er in Panik darüber, was Chiaki seinem Körper unterzog. Schlafmangel war beängstigend und schädlich. Experimenten zufolge konnte der menschlichen Körper für nicht mehr als acht bis zehn Tage ohne Schlaf auskommen. Kaiki konnte nicht einschätzen, wie viel Chiaki schlief beziehungsweise wie viele Stunden Schlaf er seit der einen Nacht in den letzten drei Wochen hatte - aber die Fakten allein alarmierten ihn. In all seinen Jahren im Krankenhaus hatte er noch nie sowas erlebt. Er hatte milde Fälle von Patienten, die aufgrund von Stress unter Schlafmangel litten und bei denen er Schlaftabletten verschreiben würde. Aber noch nie hatte er es erlebt, dass jemand sich dermaßen freiwillig dem Schlaf entzog. Er realisierte irgendwann inmitten seiner Recherchen, als er Chiaki’s und Maron’s Konditionen gedanklich miteinander verglich, dass der Schlafentzug letztendlich ein Nebeneffekt war. Schlafentzug war ein Nebeneffekt von den Albträumen. Und die Albträume waren ein Nebeneffekt von...was anderem. Nicht nur Erinnerungen. Sondern Traumas. Auch wenn Kaiki’s medizinisches Allgemeinwissen umfangreich war, so war Psychologie nicht seine beste Stärke. Er beruhte sich oft auf Quellen und dem Wissen von Kollegen aus dem Fachbereich. Kaiki war sich sicher, dass Chiaki unter Posttraumatischer Belastungsstörung litt und wahrscheinlich war ihm selbst das noch nicht ganz bewusst. Was Kaiki wieder zu seinem Ausgangsproblem brachte: dass er nicht wusste, wie er ihm helfen konnte. Er hatte über seine Alternativen und Möglichkeiten nachgedacht, aber da Chiaki nun volljährig war, lagen alle möglichen Entscheidungen -darunter auch medizinischer Hinsicht- in dessen alleiniger Verantwortung. Maron war zwar noch minderjährig, aber selbst bei ihr konnte man ihr eine Behandlung nicht aufzwingen. Zwangseinweisungen waren in beiden Fällen keine Option. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass beide bisher keine Gefahr für sich und andere darstellten und rechtlich gesehen kein Bedarf daher bestand. (Außerdem wäre das zu hart...) Von daher hatte Kaiki keine andere Wahl als zu warten. Denn bald, sehr bald hoffentlich, würde der Tag kommen, in der Chiaki ihn brauchte. Er hoffte es sehr. Und wenn dieser Tag kam, wäre Kaiki bereit, ihm jede mögliche Alternative an Hilfe anzubieten. Jede.   Das Knarzen eines Hockers warf Kaiki wieder ins Hier und Jetzt zurück und er sah, wie Takumi schwer seufzend neben ihm Platz nahm. „Sitzt du schon lange hier?“, begrüßte er ihn. Kaiki zuckte mit den Schultern und sah Takumi dabei zu, wie er sich ebenfalls einen Drink beim Barkeeper bestellte. Ein schweres Seufzen entkam ihm und er fuhr sich einmal durch die Haare. Kaiki neigte stutzig seinen Kopf. „Du siehst...“ „Enttäuscht aus?“ „Frustriert würde ich es nennen.“ „... Das trifft es auch.“ Im nächsten Moment bekam Takumi sein Getränk und er trank einen Schluck. „Geht es um Maron?“, fragte Kaiki in einem beiläufigen Ton, schwenkte sein Glas ein paar Male langsam im Kreis. Takumi rollte seine Augen. „Um wen sonst“, entgegnete er. „Ich hatte wirklich gehofft, dass sie ihr Wort halten würde...“ Er senkte seinen Blick auf sein Glas herab und sah anschließend zu Kaiki. „Aber ich schätze mal, dein Junge hatte sie mal wieder umgestimmt.“ Kaiki presste sich die Lippen zusammen, da ihm dessen Unterton nicht entging. Für einige Sekunden war es still zwischen den Beiden. Nur die Hintergrundgeräusche der anderen Gäste in der Bar waren zu hören. „Wieso machen wir das überhaupt?“, fragte Kaiki mit tonloser Stimme. „Wieso lassen wir es zu, dass unsere Kinder von Tag zu Tag immer mehr kaputt gehen? Wir haben gesehen, wie sie sich gegenseitig helfen können…“ Es war nicht zu leugnen, dass sie einander guttaten. Seit Chiaki Maron kennengelernt hatte, war er offener ihm gegenüber, als er es in den letzten sieben Jahren je erlebt hat. Und laut Takumi begann Maron ab dem Zeitpunkt in der sie sich kannten, wieder aufrichtig zu lachen. Die beiden gaben einander ein Stück Normalität wieder zurück. „Und sie zu trennen…Es war doch offensichtlich, dass sie sich gegen uns aufspielen.“ „Ich weiß es auch nicht. Ich weiß gar nicht mehr, was ich mache.“ Takumi seufzte frustriert. „Ich will, dass Maron sich bessert. Aber das kann sie nicht, wenn sie so abhängig von deinem Jungen ist.“ Er blickte ihm in die Augen. „Dasselbe empfindest du doch auch für Chiaki.“ Schweigend nippte Kaiki an seinem Glas. „Weshalb ich will, dass sie sich von ihm fernhält...“, hörte er Takumi noch sagen. Unter normalen Umständen würde alles bestimmt anders gehandhabt werden. Aber man konnte sie nicht wie normale Teenager behandeln. Kaiki warf ihm einen Seitenblick zu. „Was würde Korron dazu sagen?“, fragte er ihn interessiert. Bei der Erwähnung seiner verstorbenen Ex-Frau versteifte Takumi sich. Sekunden, Minuten verstrichen, in der er mit einem reglosen Ausdruck in sein Glas blickte und nichts sagte. „Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher“, gestand er und schwieg für einige weitere Momente. „Maron erinnert mich so sehr an Korron“, kam es dann von ihm plötzlich. „Sie gleichen sich in so vielen Aspekte... nicht nur äußerlich, sondern auch charakterlich. Unabhängig und stur.“ Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Glas, während Kaiki ihm gespannt zuhörte. „Korron würde, wie jede Mutter das Wohlergehen ihres Kindes in den Vordergrund stellen. Ich denke, sie würde meine Entscheidungen verstehen.“ „Gehört Maron’s Glück zu ihrem Wohlergehen nicht auch dazu?“ „Klar.“ „Hast du sie in den letzten drei Wochen glücklich gesehen?“ Mit hochgezogener Augenbraue sah Kaiki Takumi an, der seinen Blicken auswich und mit einem finsteren Ausdruck auf sein Glas schaute. „Offensichtlich nicht”, presste er hervor. „Aber früher oder später wird sie schon lernen, dass sie ihr Glück nicht auf eine einzige Person festnageln kann. Besonders nicht so jemand instabilen, impulsiven-“ „Chiaki würde ihr nichts zuleide tun“, unterbrach Kaiki ihn mit harter Stimme. Takumi warf ihm einen skeptischen Blick zu, den er erwiderte. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte er. „Kannst du wirklich von dir aus sagen, dass du ihn kennst? Dass du ihn wirklich kennst?“ „Ja“, antwortete Kaiki, ohne zu zögern und sah ihn verärgert an. Takumi wirkte nicht überzeugte. Tief atmete Kaiki ein und aus, stand von seinem Sitz auf und legte dem Barkeeper auf dem Tresen ein paar Scheine hin. „Weiß du...“, sagte er an Takumi gewandt, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Ich denke, Korron würde sich im Grab umdrehen. Vielleicht tut sie es gerade auch.“ Mit den Worten verließ er die Bar und begab sich nach Hause.   FORTY-FOUR ---------- FORTY-FOUR   Chiaki runzelte die Stirn, starrte mit verengten Augen konzentriert auf seine Schulunterlagen. Gerade lag er auf dem Bett und versuchte Geschichtsaufgaben zu machen, die daraus bestanden Fragen über Jeanne d’Arc und dem Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England zu beantworten. Morgen würde auch ein kleiner Test darüber stattfinden. Es war verdammt spät. Oder früh. Nicht, dass es von Bedeutung war. Wann wurde Jeanne d’Arc festgenommen und zum Scheiterhaufen verurteilt? Alle möglichen Jahreszahlen schwirrten in seinem Kopf, aber er hatte keine Ahnung. Theoretisch könnte er das nachschlagen, aber da dies zur Übung für den morgigen Test gelten soll, zwang er sich bestmöglich ohne Hilfsmittel auszukommen. Genervt schrieb er sich irgendwelche Daten auf, riet auf gut Glück und machte mit der nächsten Frage weiter. Ein Kichern war über seiner Schulter neben seinem Bett zu vernehmen, worauf er entnervt mit den Augen rollte. „Das ist nicht richtig“, grübelte Maron leise, während sie auf seine Antwort auf dem Papier starrte. Er zog eine Augenbraue hoch und drehte seinen Kopf, um sie besser zu sehen. „Würden Sie mich bitte erleuchten, Miss Besserwisserin?“, fragte er neckend. Für die meiste Zeit sprach er mit ihr in einem neckenden Ton. Allerdings ging sie ihm insgeheim die letzten zwei Stunden seltsamerweise mächtig auf die Nerven. Sie schürzte für einige Augenblicke nachdenklich ihre vollen Lippen, bevor sie seufze. „Ich kann mich nicht an die Daten erinnern... ich denke nur, dass deine Antwort nicht richtig ist“, sagte sie achselzuckend und trat von seinem Bett weg, um zum Sofa zu gehen. Chiaki seufzte scharf, wollte über ihre mangelnde Hilfsbereitschaft eine Bemerkung machen, als seine Augen jedoch unwillkürlich auf ihre langen Beine fielen. Während sie achtsam über sein schmutziges Durcheinander auf dem Zimmerboden trat, schaute er gebannt zu, wie der Rock ihres roten Kleides bei jedem Schritt geschmeidig hin und her schwang. Chiaki schüttelte seinen Kopf, versuchte sich aufs Lernen zu konzentrieren. „Wie sagtest du, kamst du nochmal hier rein?“, murmelte er abgelenkt, während seine Augen über die Passagen seines Geschichtsbuches flogen. Er versuchte, den Drang zu unterdrücken, aufzustehen und die schmutzigen Sachen vom Boden zu entfernen. Maron’s sanftes Kichern hallte in seinen Ohren wider. „Gar nicht“, antwortete sie ihm einfach. Dass sie seine Frage auswich, frustrierte ihn, aber er ließ es gut sein. Sein Mädchen leistete ihm schließlich Gesellschaft – da konnte er nicht angepisst auf sie sein. Auch wenn ihr plötzlicher Besuch ziemlich überraschend kam. Chiaki kam von der Küche wieder, hatte sich einen Energy Drink geholt und wollte sein leeres Handy aufladen gehen, als er sie plötzlich in seinem Zimmer vorfand. So wunderschön und sexy in Rot. Und das Lächeln, welches sie ihm zur Begrüßung schenkte. Die Sehnsucht nach ihr war so groß, Chiaki wollte auf sie zugehen, umarmen und küssen… doch Maron hielt stoppend ihre Hände vor sich hoch, ehe er ein Haar von ihr berühren konnte. Er war sichtlich verwirrt und enttäuscht, aber sie versicherte ihm, dass nichts sei und sie nur Abstand bräuchte. Was ungewöhnlich war, aber er respektierte ihren Wunsch. Gab ihr den Abstand, den sie wollte. Zumindest für heute Nacht. Für eine Weile versuchte er weitere Übungsfragen zu beantworten, aber von Mal zu Mal steigerte sich die Gewissheit, dass er den Test durchfallen würde. Was ihn noch mehr nervte. Maron seufzte laut vom Sofa aus, gewann dadurch seine Aufmerksamkeit. Chiaki blickte zu ihr rüber. „Mir ist langweilig“, sagte sie, klang sichtlich gelangweilt und zwirbelte eine lockige Strähne ihrer glänzenden, braunen Haare um ihren Finger. Sie hatte dasselbe rote Kleid vom Valentinstag an und Chiaki war sich sicher, dass sie es nur anhatte, um ihn abzulenken. Und er würde sich selbst belügen, wenn er behaupten würde, dass es nicht funktionierte. Ihre Haare waren zur Hälfte hochgesteckt und die Kette, die er ihr geschenkt hatte, hing ihr über der Brust. Chiaki versuchte seinen Blick von Maron abzuwenden – wollte sie nicht wie ein hirnloser Volldepp angaffen. Was mäßig gelang. Frustriert und genervt fuhr er sich über das Gesicht. Ihr war langweilig. Und er hatte eigentlich keine Lust mehr auf Lernen. Sie könnten Besseres tun. „Weißt du, Maron“, setzte er an, schielte zu ihr rüber, „Wir könnten jederzeit ein Nickerchen machen, oder so.“ Maron blickte ihn an und ließ ihre Locke fallen. „Besser nicht. Sonst haben wir noch mehr Probleme, als wir schon haben“, sagte sie seufzend, ihre Augen blickten auf ihr Schoß herunter. Chiaki seufzte ebenfalls schwer. „Du hast Recht“, sagte er, „Außerdem sollte ich wohl die Zeit noch dafür ausnutzen“, fügte er hinzu, deutete auf seine Unterlagen und setzte sein schiefes Lächeln auf. Sie blickte durch ihre dichten, langen Wimpern hindurch und ihre roten Lippen kräuselten sich süß. Das schiefe Lächeln, welches sie ihm schenkte, galt nur ihm allein. Und er würde alles für dieses Lächeln machen. Überhaupt würde er alles für sein Mädchen machen. Ein Grund, weshalb er immer noch hier in diesem Haus ist und blieb.   Gerade war es fast so, wie zu alten Zeiten. Er auf seinem Bett, sie auf seinem Sofa. Chiaki versuchte seine Augen auf seine Unterlagen zu fixieren. Denn das Erste, was ihm in den Sinn kam als er Maron sah, war... Schlaf. Es war Mitternacht und er verband sie direkt mit Schlaf. Und zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass er sie benutzen wolle. Nicht nur für den Schlaf, aber auch die Ablenkung, die Liebe und Zuneigung, die sie mit sich brachte. Was ihm direkt ein schlechtes Gewissen bereitete. Er wollte sie nicht für all diese Dinge ausnutzen. Und da sie sowieso nicht von ihm angefasst werden wollte, beruhte er sich daher auf Abstand. Er war froh drum, dass sein Mädchen überhaupt da war, dass er sie hatte und sie bei ihm war. Auf einmal war ein leises, melodisches Summen von ihr zu hören. Chiaki drehte seinen Kopf. Er sah, wie Maron ihre Hände zu ihren Haaren hochbrachte und zwei kleine Haarspangen entfernte. Ihre Haare fielen nun komplett frei herunter. Mit einem befreiten Seufzen kämmte sie sich mit den Fingern durch die Haare, die in wilden Wellen ihr schönes Gesicht umspielten. Diese Geste hatte nahezu zu was Verführerisches an sich, was ihn sichtlich faszinierte. Fast bekam er nicht mit, wie Maron die Spangen mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck auf den Boden fallen ließ. „Dieses Zimmer hatte auch mal bessere Tage gehabt“, kommentierte sie mit Bedauern in der Stimme, während sie sich entspannt auf dem Sofa zurücklehnte. Chiaki blickte zu seinen Papieren. „Ich... hatte keinen Besuch erwartet“, erwiderte er etwas verlegen. Ihm war bewusst, dass es hier aussah wie in einem Saustall. Kein Grund, dass noch unter die Nase zu reiben. „Ich könnte für dich aufräume-“ „Nein!“ Er räusperte sich, strich sich beschämt durch die Haare, ohne ihren Blick zu erwidern. „Sorry... uhm, nein, danke.“ Sein Mädchen hatte schon genug für ihn getan. Da fehlte es noch, dass sie für ihn sein Zimmer aufräumte. Seufzend verstummte sie und er versuchte sich wieder zu konzentrieren. Konzentration! Hundertjähriger Krieg...Frankreich gegen England.... König Karl VII...Jeanne d’Arc... Ach, Shit... Frustriert stöhnte er auf. Ein amüsiertes Kichern war zu hören. Chiaki sah zu Maron rüber, die mit Belustigung und leichter Überlegenheit ihn angrinste. „Da du über den Hundertjährigen Krieg so gut vorbereitet bist-“, fing er an zu sagen, zog eine Augenbraue hoch, „Dann könntest du doch für zwei schreiben, oder?“, fragte er schief grinsend. Sie schnaubte. „Ich helfe dir nicht beim Spicken“, schüttelte sie den Kopf, faltetet ein Bein unter dem anderem zusammen. Schmollend blickte Chiaki sie an, war gleichzeitig fasziniert von ihren Augen. Sie sahen erholt aus. Keine dunklen Ringe waren zu sehen. Er fragte sich, ob sie vorher geschlafen hatte, als ihr Kichern seine Gedankengänge unterbrach. „Tja. Pech, Nagoya“, grinste sie ihn frech an, ein Ellenbogen an der Sofalehne hinter sich abgestützt. „Das kommt davon, wenn man sich so viel ablenkt“, lächelte sie nahezu verführerisch, zwinkerte ihm zu. Chiaki lächelte sie mit einem schmalen Lächeln leicht irritiert an, als sie ihn ‚Nagoya‘ nannte. Das war ziemlich untypisch von ihr. Aber anstatt sich noch mehr Gedanken darüber zu machen, widmete er sich wieder seinem Lehrbuch. „Das merke ich mir fürs nächste Mal, wenn du wieder in Mathe meine Hilfe willst“, entgegnete er mit einem Grinsen und sah, wie sie schwer mit den Augen rollte. Für einige Momente blätterte Chiaki durch sein Buch, versuchte die gelesen Infos im Kopf zu behalten und schielte wieder zu Maron rüber. „Apropos Ablenkungen“, setzte er mit tiefer Stimme an, „Dein Kleid bringt Erinnerungen hoch, die seeehr ablenkend sind“, grinste er sie verschmitzt an. Ihre braunen Augen, die in seine blickten, verdunkelten sich und sie richtete sich wortlos auf dem Sofa gerade. Ihre langen Wimpern warfen Schatten auf ihre zarten Wangenknochen. Und ihre roten Lippen formten sich zu einem verruchten Grinsen, welches seine Hormone verrücktspielen ließ. Sie sah so... anders aus. So frech und herausfordernd... Seine Augen weiteten sich überrascht, als sie plötzlich aufstand, den Reißverschluss hinter sich runterzog und das Kleid zu Boden rutschen ließ. Seine Kinnlade fiel runter, als er das rote Spitzenset sah, welches sie ebenfalls zu Valentinstag getragen hatte. Und diese Figur! „Du sagtest, das Kleid lenkt dich ab“, sagte Maron achselzuckend und machte es sich wieder auf dem Sofa gemütlich. Es auszuziehen macht es nicht besser!!!, wollte er ihr entgegenbringen, aber das Einzige was er zustande brachte, war sie mit offenem Mund verdattert anzustarren. Das war so unfair. Sie wusste, dass er sie nicht anfassen durfte, nicht küssen durfte – und nun saß sie in sexy Unterwäsche vor ihm, mit einem hinterhältigen Grinsen auf ihrem wunderschönen Gesicht. Räuspernd riss Chiaki seinen Blick von ihr los, versuchte seine Hormone wieder in den Griff zu bekommen. Mit Mühe versuchte er das letzte bisschen Konzentration noch zusammenzutragen, aber mittlerweile war er sich sicher, dass er diesen Test durchfallen wird.   Er war sich nicht sicher wann Maron am nächsten Morgen gegangen war. Für einige Momente war er ins Bad gegangen und als er zurückkehrte, war sie einfach verschwunden – und die Morgensonne brach durch seine Fenster hindurch. Irritiert strich Chiaki sich eine Hand durchs Haar, sah zu Boden und überlegte ob er das Chaos beseitigen sollte. Für den Fall, dass sie heute Nacht wiederkommen würde… Er beschloss sich das bis nach Hause noch zu überlegen. Er machte sich für die Schule fertig, nahm vorsichtshalber noch eine Tablette und war aus dem Haus, bevor Kaiki ihm auch nur einen Blick zuwerfen konnte. Seit seinem Geburtstag hatte er wieder aufgehört, mit ihm zu reden. Mag eventuell kindisch sein, aber er hatte genug von dessen Spielchen. Wie sonst auch, holte Chiaki Yamato ab, der ihn über irgendeinen neuen Film zuquatschte. Chiaki hörte nur mit halbem Ohre zu. Zum einen musste er sich auf die Straße konzentrieren, zum anderen ließ ihn der gestrige Anblick von seinem Mädchen nicht los. Auf dem Schulparkplatz angekommen, fragte er sich, ob sie immer noch Abstand und nicht von ihm angefasst werden wollte. Glücklicherweise kam Maron direkt auf ihn zu, als sie ausstieg – wie jeden Morgen. Er runzelte leicht die Stirn, als er bemerkte, dass sie anders aussah als vor wenigen Stunden. Nicht so erholt. Ihr Gesicht war blasser, die Augen wiesen dunkle Schatten auf. Sie sah genauso müde aus, wie die letzten Tage auch. Maron umarmte ihn lächelnd, was automatisch ihm ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er schlang seine Arme um ihre Taille und vergrub sein Gesicht in ihre Haare. Obwohl er den nächtlichen Besuch genossen hatte, war es dennoch unerträglich gewesen sie nicht berühren zu können. Er lächelte erleichtert, während sie ihn losließ. „Wozu hast du ein Handy, wenn du es nicht benutzt?“, fragte Maron mit einer Spur von Sarkasmus in der Stimme und kicherte etwas. Chiaki zog eine Augenbraue hoch. Hatte sie sich bei ihm gemeldet, nachdem sie zu Hause angekommen war? „Sorry“, lächelte er sie entschuldigend an, „Liegt ohne Akku noch auf dem Nachttisch.“ Dank ihrem Spontanbesuch hatte er komplett vergessen es aufzuladen. „War bei dir heute Morgen alles in Ordnung?“, fragte er besorgt, betete darum, dass sie von ihrem Vater nicht erwischt wurde. Das wäre das Letzte, was sie noch brauchten. Maron schürzte ihre Lippen und neigte leicht den Kopf. „Ja“, antwortete sie ihm mit einem gleichgültigen Schulterzucken. Erleichtert atmete er aus. Sie brauchte keinen Abstand mehr und sie wurde nicht erwischt. Perfekt. Breit lächelnd nahm Chiaki ihre Hand und ging mit ihr in die Klasse. Ihre trägen Schritte beunruhigten ihn. So schlecht erschien sie ihm letzte Nacht nicht… Kopfschüttelnd warf er dieses Gefühl beiseite. Die ersten Stunden bis zur Mittagspause vergingen und wie erwartet, hatte er den Geschichtstest verhauen. Scheiß drauf. Zusammen mit Maron ging er mit ihr in den Hof raus, zu ihrem gemeinsamen Platz hinter der Schule. Sie verbachten die Pause seit dem einen Tag öfters dort, genossen die Ruhe. Ab und an gesellten die beiden sich auch wieder zu den anderen auf dem Dach dazu, aber größtenteils wollten sie ein bisschen Zweisamkeit haben. Seufzend setzte Maron sich auf dem Boden und lehnte sich an die Wand hinter ihr an. Sie sah so erschöpft aus. Chiaki überlegte, ob er sie dazu überreden soll, die Pause zu schlafen. Doch stattdessen setzte er sich nur neben sie hin und nahm die Bentobox, die sie ihm wieder mal gemacht hatte, dankend an. Sie strich sich eine Hand durchs Haar und ihm entging es nicht, wie stumpf und glanzlos sie heute wirkten im Vergleich zu letzter Nacht. „Wie fandst du den Test?“, fragte Maron nach einigen Bissen neugierig. Kauend verdrehte Chiaki seine Augen. „Als ob du es dir nicht denken könntest.“ Er schloss seine Box, legte es beiseite und rückte näher zu ihr heran. Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Du warst ganz schön gemein letzte Nacht“, flüsterte er mit tiefer, rauer Stimme, lächelte und nahm sachte ihr Kinn, drehte ihren Kopf zu sich. Maron blinzelte ihn leicht amüsiert an, runzelte die Stirn. „Was meinst-“, fragte sie fast kichernd, aber er unterbrach sie indem er seine Lippen auf ihre legte und sein Mädchen innig küsste. Überrascht und dennoch liebevoll erwiderte sie den Kuss. Gestern noch so frech und selbstbewusst… und heute so schüchtern und zurückhaltend, dachte er sich belustigt, während er eine Hand ihr auf die Wange legte und den Kuss vertiefte. Sein Arm um ihre Schultern rutschte zu ihrer Taille herunter und ihre Zungen kamen seufzend miteinander in Berührung. Zufrieden grinsend lächelte er gegen ihre Lippen, als er ihre Hände auf seinem Nacken spürte. FORTY-FIVE ---------- FORTY-FIVE   „Du warst so gemein letzte Nacht“, wisperte Chiaki erneut, als er unter Küssen ihren Nacken herab wanderte. „Ich hoffe, du kannst es mit deinem Gewissen vereinbaren, dass ich wegen dir durchgefallen bin“, murmelte er, während Maron seufzend durch seine Haare strich. Doch seine Worte verwirrten sie. „Was?“ Sie drückte ihn etwas von sich und blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen konfus an. Seine dunklen Augen trafen auf ihre. „Wovon zum Teufel redest du da?“ Grinsend zog Chiaki eine Braue hoch und senkte seine Lippen wieder zu ihrem Hals. „Tu nicht so als könntest du dich nicht an deinen Striptease erinnern“, kicherte er leise gegen ihre Haut. „Was??“ Überrascht und noch verwirrter drückte Maron ihn wieder von sich. Sie verstand nur Bahnhof. „Stopp, Stopp, Stopp“, sagte sie ihm, hielt beide Hände vor sich hoch, worauf er sie losließ und sich ein bisschen von ihr entfernte. Ein frustrierter Laut entkam ihm, während er sie mit verengten Augen teilweise irritiert, teilweise genervt ansah. Maron runzelte bei seinem frustrierten Gesichtsausdruck die Stirn. „Was ist letzte Nacht passiert?“, fragte sie ihn ruhig und sachlich, reichte nach seiner Hand. Er schnaubte, während er ihr erlaubte seine Hand zu nehmen. „Du hast dich in mein Zimmer reingeschlichen, hattest dein Valentinstagkleid an und es ausgezogen... klingelt da was?“, sagte er schroff, sah ihr in die Augen und zog eine Augenbraue hoch. Maron blickte ihm für einige Momente in die Augen, um festzustellen, ob er sie irgendwie auf den Arm nahm oder ob sie schon so schläfrig war, dass sie seine Worte einfach nur falsch verstand. Aber seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, meinte er es ernst. Chiaki schaute sie immer noch mürrisch an. „Chiaki“, setzte sie langsam an, hatte keinen Schimmer was los war, „Ich habe mein Zimmer letzte Nacht nie verlassen.“ Sachte rieb Maron mit dem Daumen über seinen Handrücken. Trotz ihrer Verwirrung versuchte sie sachlich und ruhig zu bleiben. Er runzelte skeptisch die Stirn, während Maron’s Gesichtsausdruck unverändert blieb. „Verarsch mich nicht“, sagte er mit einer gewissen Härte in der Stimme, die sie zusammenzucken ließ und zog seine Hand zurück. „Ich verarsch dich nicht“, beharrte Maron, fühlte sich leicht gekränkt, dass er ihr nicht glaubte. Chiaki schnaubte ungläubig. Irritiert und frustriert gab sie ihm all ihre Aktivitäten von letzter Nacht wieder: „Ich war seit neun Uhr in meinem Zimmer. Ich habe für den Test gelernt. Ich habe versucht dich auf dem Handy zu erreichen. Ich habe drei Kapitel meines Buches gelesen. Den Lernstoff wiederholt bis die Sonne aufging. Ich habe mein Zimmer nie verlassen, Chiaki.“ Ihre Stimme bekam nach jedem weiteren Satz einen alarmierenden Unterton, als sie sah, wie sich seine Züge verhärteten. Wut blitzte in seinen Augen auf. Plötzlich sprang er auf und funkelte sie an. „Du lügst“, beschuldigte er sie, „Du bist eine verdammte Lügnerin, Maron.“ Dann machte Chiaki auf dem Absatz kehrt und war um die Ecke verschwunden. Maron brauchte einige Momente, um sich von ihrer Schockstarre zu lösen. Hastig begab sie sich auf die Beine und versuchte ihm zu folgen. Doch er war nirgends zu sehen und einen Blick auf den Parkplatz sagte ihr, dass sein Wagen weg war. Sie sprintete zum Dach zu den anderen hoch.   „Du willst was?!“, fragte Miyako verwirrt.   „Bitte! Es geht um Chiaki“, zischte Maron ungeduldig. Miyako presste sich zögernd für einige Sekunden die Lippen zusammen, ehe sie ihren Autoschlüssel aus der Tasche holte. „Wenn ich nur einen Kratzer sehe, bringe ich dich um“, sagte sie und drückte ihr den Schlüssel in die Hand. Mit einem flüchtigen Danke lief Maron los und begab sich zum Parkplatz, stieg in Miyako’s Wagen ein. Nach einigen Startschwierigkeiten fuhr sie los. Das Adrenalin in ihren Adern sowie ihre innere Unruhe über die Situation, lenkte sie derweil von ihrer Müdigkeit ab. In ihrer Straße angekommen, war sie erleichtert darüber Chiaki’s Wagen auf seinem Parkplatz zu sehen. Kein anderer Wagen war zu sehen, da alle noch arbeiten waren. Sie parkte den Wagen in ihre Einfahrt und stieg aus, rannte zu den Nagoya’s rüber. Gerade als Maron klingeln wollte, bemerkte sie, dass die Eingangstür nicht richtig zu war. Ohne Weiteres ging sie rein. Es war beunruhigend still im Haus und sie war sich sicher, dass Chiaki sich in seinem Zimmer befand. Schnell stieg sie die Treppen zum zweiten Stock hoch, nahm dabei zwei Stufen auf einmal. Schweratmend war sie oben vor seiner Zimmertür angekommen. Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust. Die Tür war einen Spalt offen und sie konnte das Geräusch von fallenden Blättern hören. Maron legte ihre Handfläche auf die Tür, nahm tief Luft und schob sie auf.   „Chiaki?“ Vorsichtig trat Maron ein. Er war auf seinen Knien und wühlte auf dem Boden durch ein Haufen Klamotten und unzähliger anderer Sachen rum. Kurz erwiderte Chiaki ihren Blick, nahm ihre Anwesenheit brummend zur Kenntnis. Unbeholfen stand Maron da, sah ihm dabei zu, wie er etwas auf dem Boden suchte. Sie blickte sich in dem vertrauten Raum um, in dem sie seit über drei Wochen nicht mehr war. Es war für seine Verhältnisse recht chaotisch und unaufgeräumt, aber da er kaum Besuch hatte, war es verständlich, dass er sich so gehen ließ. Mit einem sehnsüchtigen Blick sah sie zu seinem Bett, seufzte leise. Es sah so einladend und weich aus... Maron richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Chiaki, der nun unter dem Bett nachzuschauen schien. „Nach was suchst du?“, fragte sie vorsichtig, knetete nervös mit ihren Händen. Sie hoffte, dass er ihr sein merkwürdiges Verhalten erklären konnte, ehe sie sich vor Sorge das Schlimmste ausmalte. Entschlossen schaute Chiaki unter seinem Bett, suchte und schüttelte genervt den Kopf. Seine Haare standen in alle Richtungen ab. Er ging zum Sofa, sah da unten nach und tastete den weichen Teppich ab. „Diese... dämlichen-“, murmelte er, setzte sich auf, schnippte mit den Fingern und überlegte angestrengt. Er kniff sich die Augen zusammen, als würde er versuchen sich an etwas zu erinnern. „Diese...uhm...Haar-…dinger.“ Maron runzelte die Stirn. „Haar...gummi?“, half sie ihm nach, während er seine Suche fortsetzte und unter den Klamotten auf dem Boden schaute. Chiaki schüttelte seinen Kopf. Sie ging in ihrem müden Hirn alle möglichen Haaraccessoires durch. „Uhm, Haarklammer…Haarreifen…Haarspange?“ „Ja!“, sagte er leicht außer Atem, blickte sie an. In dem Moment rappelte Chiaki sich auf und drehte sich zu ihr um. „Diese dämlichen Haarspangen.“ Maron wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte. Warum suchte er nach Haarspangen? „Wessen Haarspangen?“, fragte sie schließlich in einem unsicheren Ton. Frustriert warf er seine Hände in die Höhe. „Deine!“ Verwirrt über die Antwort blinzelte Maron ihn an. „Die, die du gestern Nacht getragen hast, Maron.“ Sie war sich sicher, dass sie gestern keine Haarspangen getragen hatte - geschweige denn in diesem Zimmer. „Du hattest sie gestern rausgetan und irgendwo auf den Boden geworfen“, sprach Chiaki überzeugt weiter, während er erneut den Boden absuchte. Seine Augen hatten fast was Manisches an sich. Was ihre Sorgen nicht minderte. Sie wusste, dass sie letzte Nacht nicht hier gewesen war. Und was war, wenn jemand anderes hier gewesen war? Und er war so verwirrt, dass er diejenige mit ihr verwechselte? Der Gedanke verursachte ihr einen Stich im Herzen. „W-Wo war sie-… ich meine, wo war ich denn?“, fragte Maron leise, versuchte die Eifersucht und Angst in ihrem Ton nicht anmerken zu lassen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte Chiaki sich zu ihr um. „Du warst da.“ Er deutete auf dem Sofa und ging hastig zu ihr, packte sie an den Oberarmen. „Genau da. Kannst du dich nicht erinnern?“ Der wilde Ausdruck in seinen Augen beunruhigte Maron so sehr, sie hätte fast nachgegeben und gesagt, dass sie sich erinnern würde. Aber sie konnte und wollte ihn nicht anlügen, weshalb sie den Kopf schüttelte. Enttäuscht ließ Chiaki sie los, setzte sich seufzend aufs Bett und strich sich resigniert mit beiden Händen über den Kopf. „Einer von uns beiden hat nun komplett den Verstand verloren“, lachte er humorlos auf. Maron wusste, dass sie es nicht war. Das stand außer Zweifel. Sie war zwar müde und hatte des Öfteren kein Zeitgefühl mehr, aber die Erinnerungen von letzter Nacht waren klar und deutlich in ihrem Gedächtnis gespeichert. Plötzlich sprang Chiaki vom Bett auf, steuerte auf das Sofa zu, packte es an und zog es von der Wand weg, um dahinter zu suchen. Die Situation wurde noch absurder. „Chiaki, ich war nicht hier“, sagte Maron mit fester Stimme, während er das Sofa umkippte und begann alle Möbel zu verrücken. Chiaki hörte nicht auf sie, was sie frustrierte. „Wann war das letzte Mal, dass du geschlafen hast?“, fragte sie scharf, worauf er abrupt innehielt. Für einige viele Momente war er still, ehe er sich zu ihr wandte. „Ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern“, gestand er leise. Ihr Herz zog sich zusammen, als er sich vor ihr auf dem Boden niederließ, zu ihr aufsah und in die Augen schaute. Er wirkte so verloren. Sie kniete sich vor ihm hin, wusste nicht, was sie tun konnte, damit er sich besser fühlte. „Vielleicht…“, flüsterte Maron leise und blickte sich nervös in dem unordentlichen Zimmer um, vermied seinen Blick. Sie hatte eine wage Vermutung, was mit ihm womöglich los war. „Vielleicht hattest du-…“ Sie suchte angestrengt nach den richtigen Worten, um ihn nicht aufzuregen, zu kränken oder zu beleidigen. „Halluzinationen… weißt du…“ Leise entkamen diese Worte ihre Lippen und sie blickte starr auf ihre Hände herab. Nach einigen Sekunden sah sie zu ihm auf – und wenn sie ehrlich mit sich war, überraschte sein Gesichtsausdruck sie nicht. Sie würde wahrscheinlich dasselbe Gesicht machen, wenn er sie als verrückt abstempeln würde. Denn Chiaki sah sie mit verengten Augen frustriert, beleidigt sowie entgeistert an. „Ich und Halluzinationen?“, schnaubte er ungläubig und fing an spöttisch zu lachen. „Verwechselst du da nicht was, Maron?“ Sie schluckte schwer, ihre Augen weiteten sich. „Kaiki hatte mir alles über deine Episode in der Schule erzählt“, sagte Chiaki und stand auf, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Überrascht blickte Maron zu ihm auf. „Du bist diejenige, die in der Vergangenheit den Hang zur Realität verloren hatte, Maron. Ich nicht.“ Maron ließ sich das nicht gefallen. Wütend presste sie ihre Kiefer zusammen, stand auf und erwiderte seinen zornigen Blick mit ihren. Sie wusste, wo sie letzte Nacht war. Er war derjenige der den Hang zur Realität verlor. Er war derjenige, der offensichtlich an den Folgen vom Schlafmangel litt. War er auch nicht derjenige, der Drogen nahm? Chiaki begann sie auf eine Weise zu beäugen, die sie gut kannte. Die sie schon bei gewöhnlichen Passanten hasste - geschweige denn bei ihrem eigenen Freund. Er schaute sie an, als wäre sie verrückt. „Und du kannst von dir behaupten, du bist weniger verrückt als ich?!“, fuhr sie ihn an, ging einen Schritt auf ihn zu. Er schnaubte abschätzig, ging ebenfalls einen Schritt auf sie zu. „Von uns beiden bist du eindeutig der größere Freak, Maron.“ Da war es. Das eine Wort, was sie so sehr verabscheute. Und es fiel gerade ihm über die Lippen. War direkt an sie gerichtet. Chiaki hatte sie wahrhaftig ein Freak genannt. Schockiert und verletzt schaute Maron ihn an. Seine Augen blickten unentschuldigt in ihre. Er hatte es also ernst gemeint. Tränen bahnten sich in ihren Augen an, die sie verbissen zurückhielt. Ohne nachzudenken hob sie eine Hand und schlug mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, ihm ins Gesicht. Ein scharfer Schmerz war zu spüren, als ihre Handfläche auf seine Wange traf und der Schlag hallte im ganzen Raum wider. Sein Kopf schnappte zur Seite und für einen Moment sah sie überrascht auf ihre Hand. Sie hatte Chiaki geschlagen, konnte es nicht fassen. Maron sah von ihrer Hand zu ihm auf. Er rieb sich seine rote Wange und starrte erstaunt zurück. Sie ließ ihre Hand langsam fallen, hielt seinen Blicken stand. Leid tat es ihr nicht. *** Chiaki konnte es nicht fassen. Sie hatte ihn geschlagen. Sie hatte ihn wahrhaftig geschlagen. Zugegeben, er hatte die Ohrfeige verdient. Sie so zu beleidigen war unter aller Sau. Er wusste, dass es sie verletzte und ein kleiner Teil von ihm hasste sich auch das gesagt zu haben. Ein größerer Teil von ihm scheute sich nicht davor die Wahrheit auszusprechen. Dieser mentale, instabile Scheiß war ihr Ding - nicht seins. Chiaki hatte sich auf bittere Tränen vorbereitet, die unvermeidlich folgen würden, nachdem Maron erkennen würde, dass er Recht hatte. Er hätte sie getröstet. Schließlich machte es ihm nichts aus, wenn sie manchmal Schwierigkeiten hatte, echte Erinnerungen von Wahnvorstellungen zu unterscheiden. Er liebte sie dennoch. Zu seiner Überraschung hatten ihre Augen einen festen, entschlossenen Blick und ihre Hand traf in der nächsten Sekunde auf sein Gesicht. Und es war nicht mal eine mickrige Ohrfeige gewesen. Sondern ein kräftiger Schlag, welcher einen stechenden Schmerz auf seiner Wange hinterließ. Und dieses Gefühl hatte nahezu was... Prickelndes... Belebendes an sich. Er fand ein Fünkchen Gefallen an diesem Gefühl, welches sich mit seiner Irritation und Wut mischte. Er sah Maron an, rieb sich seine Wange. Ihre sonst so sanften, braunen Augen blickten wütend und voller Energie in seine. Sie sah stolz, selbstbewusst und stark aus - und in genau dem Moment erinnerte sie ihn daran, wie sie letzte Nacht aussah. Nur widersprachen ihre dunklen Augenringe, die stumpfen Haare und ihre trockenen Lippen dem gestrigen Bild von ihr. In seinem Kopf drehte es sich. Er kniff sich die Augen zusammen und versuchte bei all den Widersprüchen Sinn zu finden.   Was war real? War diese Maron, die vor ihm stand, real? Oder war es die von letzter Nacht? Oder waren beide real und sie wusste es nicht? Verarschte sie ihn einfach nur? Chiaki wusste gar nichts mehr und es war vollkommen abgefuckt, dass er bei sowas offensichtlichem so verwirrt war. Er hatte sie auf dem gottverdammten Sofa gesehen. Sie stand vor ihm, in ihrem Kleid und der Kette um ihren Hals und all dem Rot. Er konnte mit vollkommener Klarheit noch wiedergeben, wie ihr Haar über ihre Schultern fiel, wie samtweich ihre seidige Stimme war. Und wie ihre roten Lippen sich zu diesem verruchten Grinsen formten, hatte sich klar in seinem Kopf eingebrannt. Sie war hier gewesen. Sie war real gewesen. Definitiv.   Und jetzt? War diese Maron auch real? Chiaki öffnete seine Augen und musterte sie misstrauisch. Sie sah real aus. Und der Schlag sowie der beigefügte Schmerz auf seinem Gesicht war definitiv real. „Nimm es zurück“, hörte er Maron sagen. Was zurücknehmen?, fragte er sich für einen kurzen Moment, ehe es ihm wieder einfiel. „Nein“, sagte Chiaki, ließ seine Hand fallen und sah ihr fest in die Augen, „Denn die Wahrheit zu verleugnen nützt nichts.“ Ohne den Blickkontakt abzubrechen, ging Maron einen weiteren Schritt auf ihn zu. Erneut blitzte Wut in ihren Augen auf. Ehe er sich versah, hob sie ihren Arm und wieder war auf seiner Wange der stechende Schmerz zu spüren. „Wenn hier jemand was verleugnet, dann bist du es“, sagte Maron, die Stimme leise und scharf zugleich. Ehe er sich stoppen konnte, fing Chiaki an zu lachen. Allmählich gefiel ihm diese Maron. Stark und wild. So unpassend es in dem Augenblick auch war, so machte sie ihn an. Entgeistert und verwirrt über seine Belustigung, starrte sie ihn mit geweiteten Augen an. „Bist du fertig?“ Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, während sein Lachen verebbte. „Nein.“ Kopfschüttelnd ging er auf sie zu. „Fertig sind wir noch lange nicht.“ Er packte sie am Handgelenk, zog sie zu sich heran. Sie versuchte sich dagegen zu sträuben, fluchte ihn an und schlug erneut auf ihn ein. Scheuerte ihm mächtig eine. Er ließ es geschehen, kicherte leise ein tiefes, raues Lachen. Anschließend nahm er ihr anderes Handgelenk und ihre Lippen trafen aufeinander. Sie biss ihm fest auf die Unterlippe. Es tat weh und blutete wahrscheinlich sogar, aber er zog sich nicht von ihr zurück. Stattdessen drückte er sie mit dem Rücken gegen das Bücherregal, welches am nächsten war und vertiefte den Kuss. Es wackelte beim harten Aufprall und Bücher fielen herunter. Ein atemloses Keuchen war von ihr zu hören, als er seinen Körper an ihren presste und sie küsste ihn schließlich mit gleicher Aggressivität zurück. Ihre Hände krallten sich in seinen Haaren fest und nahm seine blutige Unterlippe in ihre. Stöhnend öffneten sich seine Lippen und ihre Zungen berührten sich. Wie auf Autopilot begannen seine Hände an ihren Klamotten zu zupfen und zu ziehen. Ungeduldig zog er ihr schließlich die Uniform aus. Unterdessen bemerkte er, wie sie ihm die Jacke von den Schultern schob, mit beiden Händen sein Hemd anpackte und es aufriss. Knöpfe und Klamotten fielen zu Boden. Das einzige was er noch an hatte, waren seine Hosen. Kurz löste Chiaki den Kuss und öffnete atemlos seine Augen. In weißer Unterwäsche stand schweratmend Maron vor ihm. Unschuldig Weiß und Baumwolle. Das komplette Gegenteil zu gestern. Und dennoch konnte er sie auch in verführerisch Rot und Spitze vor sich sehen. Mit dem verruchten Lächeln auf den roten Lippen, als sie ihr Kleid auszog. Seine Augen waren auf ihre verführerisch roten Lippen fixiert, über die gerade ihre Zunge strich. Wie gestern, blickten ihre dunklen, verschleierten Augen in seine. Plötzlich nahm sie sein Gesicht in beide Hände und presste ihre Lippen auf seine, nahmen von ihnen Besitz. Ihre Zähne trafen aufeinander. Instinktiv drückte er sie mit seinem Körper noch mehr gegen das Regal. Ihr Kopf traf hart dagegen, womöglich tat es weh, aber sie beschwerte sich nicht. Seine Hände fuhren ihren Seiten entlang und stoppten auf ihrem Po. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüfte und er nahm sie problemlos hoch. Ein unterdrücktes Stöhnen war aus ihrem Mund zu hören, als er seinen harten Unterleib gegen ihren rieb. Ohne ihre Lippen voneinander zu trennen, trug Chiaki sie zu seinem Bett. Die Decken und Kissen darauf störten, weshalb er sie mit einem Arm achtlos runterschob und Maron anschließend auf die freie Matratze drückte. Er begann ihren Hals zu küssen, biss an bestimmten Stellen zu, was sie aufkeuchen ließ. Ihre scharfen Fingernägel gruben sich in seinen Rücken. Ein scharfer Schmerz war auf seiner Haut zu spüren, was in der aggressiven Lust unterging. Der Träger ihres BHs rutschte Maron von den Schultern. Mit den Zähnen schob er ihr den anderen Träger runter und er begann ihre freien Hautstellen zu liebkosen. Auf einmal drehte Maron ihn so, dass sie auf ihm saß. Sie entfernte den BH, legte ihre Arme um seinen Nacken und küsste ihn fordernd und hart. Biss sogar wieder zu. Währenddessen strichen seine Hände über ihren nackten Oberkörper. Ihre beiden Küsse und Berührungen hatten nichts Zärtliches, Liebevolles an sich. Spiegelten keinerlei Zuneigung wider. Viel mehr waren sie gezeichnet mit Wut und Aggression. Gezeichnet von gefühlloser Intimität. Sie versuchten einander zu dominieren. In Besitz zu nehmen. Ihre Zähne sanken sich in seinen Hals und er spürte den prickelnden Schmerz des Bisses. Blinzelnd sah Chiaki zu seinem Mädchen auf. Sie sah aus wie sein Mädchen… und irgendwie auch nicht. Ein Teil von ihm wollte aufhören, ein anderer wollte es nicht – konnte es nicht. Es war als wäre sein Verstand von seinem Körper abgekapselt. Seine Hände machten sich selbstständig, als er ihr den Slip auszog oder ihr dabei half seine Hosen auszuziehen. Was war nur los mit ihm? Er verlor die Kontrolle über sich selbst. Er spürte ihre Hände und Lippen. Er spürte ihren Körper auf ihn, ihre Wärme, die ihn umhüllte - aber es fühlte sich nicht richtig an. Vielleicht verlor er wirklich den Verstand. FORTY-SIX --------- FORTY-SIX   Es mussten ein paar Stunden vergangen sein, als Maron aufwachte. Ein, zwei…oder drei? Vielleicht sogar vier? Das Erste, was sie registrierte, war, dass die Sonne tiefer stand, einen kräftigen Orangeton angenommen hatte und die Schatten in dem verwüsteten Zimmer länger waren. Das Zweite war, dass Chiaki nicht mehr neben ihr lag. Maron wandte ihren Kopf zur Seite und sah, wie er mit dem Rücken zu ihr gewandt auf der Bettkante saß und nicht bemerkte, dass sie wach war. Er hatte sich seine Boxershorts schon wieder angezogen, das Gesicht in seine Hände vergraben. Das Dritte war der Schock, der sich in ihrer Brust festsetzte, als sie seinen Rücken betrachtete und realisierte, was geschehen war. Tiefe, rote Kratzer waren an den Schulterblättern zu sehen, die von ihren Nägeln stammten. Sie rückte näher zu ihn heran, betrachtete sein Seitenprofil. Die Wangen waren von ihren Schlägen gerötet, Blut klebte ihm am Mundwinkel und Bissspuren zeichneten sich auf seinem Hals ab. Fassungslos hielt Maron sich eine Hand vor dem Mund und drehte sich von ihm weg. Ihr wurde schlecht. Sie hatte ihm geschlagen und wehgetan. Sie war nicht besser als seine gottverdammte Mutter. Was für ein Recht hatte sie gehabt? Sie war wütend auf ihn gewesen. Furchtbar wütend auf seine verletzenden Worte. Aber das rechtfertigte nichts. Ihre Emotionen und Gedanken gingen mit einem Mal auf Hochtouren. Maron wusste, dass der Schlafmangel Grund für alles war. Sie hätte ihm dabei helfen sollen, für ein paar Stunden mehr zu schlafen. Dann würde es ihm auch besser gehen. Doch stattdessen machte sie alles nur noch schlimmer. Ließ sich noch dazu auf den Sex ein. Sie wusste nicht, was sie da weitergetrieben hatte. Es wäre gelogen, wenn sie behaupten würde, dass sie es nicht wollte. Die Sehnsucht nach ihm und seinen Körper überwog. Jegliche Vernunft war abgeschaltet gewesen, als ihre Lippen aufeinandertrafen und wurden von den körperlichen Bedürfnissen und Instinkten ersetzt. Ihre Sinne waren so benebelt gewesen, dass sie die Schmerzen davon gar nicht wahrnahm. Weder Liebe noch Genuss war beim Sex vorhanden gewesen. Dennoch wollte sie es, ging ihren Instinkten nach. Sie hatte ihn letztendlich auch nur benutzt. Ein lauter Schluchzer entkam ihrer Brust, welches Chiaki von seiner Starre löste. Er drehte seinen Kopf zu Maron um. Sein Gesicht war leichenbleich und ein panischer Ausdruck lag in seinen Augen. „Maron-“ Sie wandte sich abrupt von ihm ab. Konnte ihm nicht in die Augen blicken. Zu beschämt war sie von ihren Taten. „I-Ich...“, stammelte sie schnell, rappelte sich auf und suchte ihre Klamotten. „Ich muss gehen.“ Mit den Worten zog sie sich in Handumdrehen an. Sie hörte, wie er aufstand. „W-Was?“, entkam es ihm hauchleise. „Ich kann hier nicht bleiben.“ Ein Schluchzen entkam ihrer Brust und die Tränen fielen unkontrolliert herunter. „I-Ich kann hier nicht bleiben“, wiederholte Maron immer und immer wieder, bis sie schließlich weinend aus seinem Zimmer rausrannte und ihn in dem Chaos zurückließ. *** Sie hasste ihn. Sie musste ihn hassen. Weshalb sonst würde sie nicht bleiben wollen. Wenn Chiaki in ihrer Haut stecken würde, würde er sich auch hassen. Er konnte nicht glauben, was sie getan hatten. Was er getan hat. Schließlich hatte er es in die Wege geleitet. Er war der Auslöser. Er hatte sie provoziert. Sie ohne Einverständnis geküsst und dominiert. Und er hatte nichts getan, um sich zu stoppen. Das Blut in seinen Adern gefror, als er die Spuren auf ihrem Körper sah, die Abdrücke seiner Hände und Finger, wo er zu fest zugepackt hatte. Er hatte ihr wehgetan. Schon wieder. Er wollte sich entschuldigen. Für alles, nicht nur für die Verletzungen. Doch Maron wies ihn entschieden ab. Und er konnte nichts machen, außer dazustehen und dabei zuzusehen, wie sie vor ihm wegrannte. Ihn verließ. Sie musste ihn hassen. Definitiv. Genauso wie er sich selbst hasste. Sein Herz fühlte sich an, als wurde es in tausend Stücke gerissen. Der Schmerz in seiner Brust war qualvoll. Wenn er es nicht besser wüsste, wäre er davon ausgegangen, dass er einen Herzinfarkt erlitt. Es fühlte sich an, als wäre ein Laster über ihn drübergefahren und würde mit seinem gesamten Gewicht auf seinen Lungen stehen. Er konnte nicht atmen. Er konnte nicht klarsehen. Sein Herz hämmerte in seinen Ohren. Blut strömte zu schnell in seinen Kopf und ihm war heiß und schwindelig. Er fühlte sich, als würde er ersticken. Er konnte nichts als diesen immensen, unerträglichen Druck auf seinen Körper spüren, der ihn auseinanderzubrechen schien. Alles andere fühlte sich taub an. Er fiel zurück, sein Kopf war gegen die Wand gelehnt. Chiaki versuche sich zu beruhigen, seine Atmung zu beruhigen. Er versuche klar zu denken. Das ist kein Herzinfarkt, sagte er sich. Er wusste es besser. Er hatte eine Panikattacke. Der Schmerz verschlang ihn richtig. Es war etwas, außerhalb seiner Kontrolle. Und er wusste nicht, wie er sich dieses Mal helfen konnte. Er wusste nicht, ob er stark genug war, um dagegen anzukämpfen - ob er noch die Kraft dazu hatte.   Gerade als er auf dem Boden zusammenbrach, auf dem Rücken lag und seine Hand gegen den Schmerz an seine Brust presste, öffnete sich die Tür. Für einen minimalen Moment spürte er sein Herz neustarten. Chiaki hob hoffnungsvoll seinen Kopf. „Hey, Chiaki!“ Stöhnend ließ er seinen Kopf wieder fallen. Ausgerechnet der... „Chiaki?“ Schritte waren zu hören, die in das Zimmer eintraten. „Alter, was ist denn hier passiert? Warum steht alles kreuz und quer? Und was machen die Decken und Kissen auf dem Boden?“ Stille. „Hier sieht es wirklich aus hätte eine Bombe eingeschlagen.“ Und da war er. Sein Schuh war direkt neben Chiaki’s Kopf. Verdutzt starrte Shinji auf ihn herab. „Hey.“ Es war alles, was Chiaki im Moment zustande brachte. Shinji blickte ihn perplex an. „Was zur Hölle machst du auf dem Boden? Wo sind deine Klamotten?“ Er blinzelte. „Warte-…hast du geweint?“ Chiaki schloss seine feuchten Augen, betete darum zu Sterben. „Was ist los?“ Shinji’s Stimme war plötzlich näher als vorher. Er musste sich neben ihn runtergekniet haben. „Alter, was ist los mit dir?“ „Kann nicht atmen“, wisperte Chiaki. „Was meinst du damit, du kannst nicht atmen?“ Er schlucke schwer. „Bitte. Geh.“ „Uhm...Nein“, sagte Shinji. „Ich sehe doch, dass du leidest.“ „Das nennt man Panikattacke.“ Chiaki versuchte zu atmen. „Und ich hätte gern meine Ruhe.“ „Oh Shit.” Shinji stand auf. „Warte - ich schau, ob Kaiki in seinem Büro was hat.“ „Bad“, erwiderte Chiaki. Für einen Augenblick runzelte Shinji die Stirn und ging anschließend in sein Bad. „Alter! Hast du Kaiki’s Vorrat ausgebeutet?!“ Hätte Chiaki die Kraft dazu, hätte er mit den Augen gerollt. Einen Moment später kam Shinji mit den richtigen Medikamenten wieder, zu seiner Erleichterung. „Die hier, oder?“ Chiaki nickte. Er hatte diese Medikamente noch nie genommen. Er hatte sie für Maron geholt, für den Fall, dass sie sie bräuchte... Nie kam es ihm in den Sinn, dass er sie mal bräuchte. „Brauchst du Wasser?“ Chiaki verneinte kopfschüttelnd. Mit zittrigen Händen öffnete er die Packung. Er konnte sich nicht an die richtige Dosis erinnern, weshalb er willkürlich einfach drei Pillen in den Mund nahm, hart zubiss und den abscheulich bitteren Geschmack auf seiner Zunge willkommen hieß. Einige Minuten später, nachdem die Medikamente ihre Wirkung zeigten, löste sich auch der imaginäre Laster von seiner Brust. Seine Lungen konnten wieder arbeiten. Chiaki fühlte sich schlaff, erschöpft. Und träge. Er zog sich auf die Beine hoch, stolperte und schwankte etwas. „Willst du mir jetzt sagen, was hier los ist?“, hörte er Shinji fragen, der ihn immer noch anstarrte, die Arme vor sich verschränkt. Er war so müde. Ein Lachen baute sich in seiner Brust auf und er wusste nicht, woher es kam. Chiaki schaffte es das Lachen zu unterdrücken, aber konnte sich dennoch nicht das dämliche Lächeln verkneifen. „Verprügel’ mich einfach“, sagte er. Sorge breitete sich bei der Aussage auf Shinji’s Gesicht aus. Diese Medikamente verlangsamten seine Sinne. Chiaki hoffte, dass er nicht zu viele von ihnen genommen hatte. „Hey“, sagte Shinji sanft, „Was ist passiert?“ Kopfschüttelnd schloss Chiaki seine Augen. „Was ist passiert?“ Nun lachte er wirklich. „Was ist passiert, was ist passiert...“ Er öffnete lang genug seine Augen, um zu sagen: „Maron hasst mich.“ „Was?“ „Japp. Ich denke, dass tut sie...“ Chiaki stoppte, runzelte die Stirn, tippte sich mit dem Finger aufs Kinn. „Ich kann mir vorstellen, dass sie deswegen vorhin abgehauen ist und geweint hat.“ „Aber-… Warum? Warum hat sie geweint?“ Wieder musste Chiaki lachen. „Weil ich-“, sagte er und zeigte auf sich, „-ein Arsch bin.“ „Erzähl mal was Neues“, erwiderte Shinji scherzhaft. Chiaki lächelte amüsiert. Lustig. Wirklich lustig der Kerl. „Ich brauch ein neues Shirt“, murmelte er, fühlte sich plötzlich in einer ganz anderen Art und Weise taub. „Hmm?“ Er schaute sich um, kniff sich die Augen zusammen. Verschränkte die Arme vor seiner nackten, vernarbten Brust. „Siehst du irgendwo ein sauberes Shirt?“ Shinji zog leicht belustigt eine Augenbraue hoch. „Alter, bist du high?“ Lachend winkte Chiaki ab. „High? Mit Koks und so hab ich doch aufgehört.“ Er hob belehrend einen Finger. „Denn Drogen sind schlecht - wie Doctor Daddy K uns beigebracht hat.“ „Aw, ich wusste gar nicht, dass du Grübchen hast.“ Shinji deutete kichernd auf sein Gesicht. „Sehr süß.“ „Halt die Fresse.“ Chiaki zog seine Brauen zusammen. „Und hau ab.“ Shinji lachte. „Ich glaub, du hast ein paar Pillen zu viel genommen“, sagte er und hob die Packung vom Boden auf. „Hier steht, du sollst eine alle drei Stunden nehmen.“ Erneut lachte er laut auf. „Scheiße, man. Würdest du gerade nicht leiden, würde ich dich filmen. Das ist Comedy pur!“ Genervt zeigte Chiaki ihm den Mittelfinger. „Ich bin müde. Also, verschwinde.“ „Erst wenn du mir sagst, was zwischen dir und Maron passiert ist.“ Shinji lehnte sich an die nächstliegende Wand an. Chiaki ignorierte ihn, hielt immer noch Ausschau nach einem Shirt. Fand auch schließlich eins und zog es sich an. „Du hast es verkehrtherum angezogen“, merkte Shinji an. Chiaki erstach ihn mit seinem Blick, ließ sich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Er fühlte sich einfach nur kraftlos. Er spürte, wie sich das Gewicht auf einer Seite verlagerte. „Warum sind die Decken und Kissen auf dem Boden?“, fragte Shinji verwundert. Chiaki schielte zu ihm hoch. „Was glaubst du wohl?“ Es dauerte eine Sekunde bis- „Oh... Oh! Eww!“ Shinji sprang angewidert vom Bett runter. Diesmal schaffte Chiaki es mit den Augen zu rollen. Er beobachtet, wie Shinji sich wieder an die Wand stellte und seinen Blick durch den Raum kurz schweifen ließ. „Ist Sex bei euch beiden immer so…zerstörerisch?“ „Keine Ahnung. War das zweite Mal gewesen.“ „Oh.“ „War garantiert auch das letzte Mal.“ „Warum?“ „Weil Maron mich hasst.“ „Ich glaube nicht, dass sie das tut, aber ich frage nochmal: warum?“ Seufzend strich Chiaki sich eine Hand durch die Haare. „Weil ich alles kaputt mache“, offenbarte er schließlich. „Ich habe sie verletzt…ihr wehgetan…für Sex benutzt…“ Er verstummte kurz. „Ich habe massiv verkackt“, sagte er in einem resignierten Ton. Shinji nickte verstehend und sagte für eine lange Weile nichts. Chiaki schloss schweigend seine Augen. Er spürte, wie der Rausch und das Taubheitsgefühl der Pillen allmählich nachließen. „Weißt du, Kumpel“, begann Shinji zu sagen und ging aufs Sofa zu, setzte sich auf Maron’s gewohnten Platz hin. „Ich sage mal das, was dir höchstwahrscheinlich nicht gefällt, aber mir und allen anderen durch den Kopf geht: Du und Maron - ihr macht euch gegenseitig kaputt. Ihr fuckt euch gegenseitig ab. Klar, ihr helft euch gegenseitig, ist eigentlich auch schön - aber das ist keine Dauerlösung für eure Probleme! Ihr seid wie ein Pflaster füreinander, welches die Wunde überdeckt. Aber nicht das vollwertige Allheilmittel, verstehst du? Denn offensichtlich sind eure Wunden nach wie vor da, heilen nicht und entzünden sich weiter (im metaphorischen Sinne versteht sich).“ Er stoppte kurz, seufzte. „Aber ihr seid beide in eurer eigenen, kleinen Welt und seht das nicht.“ Chiaki sah zu ihm rüber. Seine Augen weiteten sich. „Ich weiß, alles ist abgefuckt. Und es war wahrscheinlich nicht die beste Lösung euch beide zu trennen“, fuhr Shinji fort, „Aber ganz ehrlich: Ihr seid beide abgefuckt. Ihr seid beide abgefuckt im Kopf. Nicht nur Maron.“ Er blickte ihm hart in die Augen. „Du auch. Und solange ihr nichts unternehmt, um das zu ändern, werdet ihr abgefuckt bleiben.“ Er hatte Recht. Er hatte so verdammt Recht. So gern Chiaki alles dem Schlafentzug, den Halluzinationen, oder irgendjemanden in die Schuhe schieben wollte – so lag die Schuld doch bei ihm. „Was soll ich tun?“, fragte er kaum hörbar. „Wie kann ich mich bessern?“ Shinji’s Augen besänftigten sich. Er stand auf und lief zur Balkontür, machte sie auf, ließ ein bisschen frische Luft rein. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, seufzte er. „Ich bin leider auch nicht allwissend.“ Chiaki fluchte. „Gott-“ „Nope. Lass den alten Herrn da oben in Ruhe. Der wird dir nicht helfen können. Du bist auf dich allein gestellt.“ Leicht frustriert stöhnte Chiaki auf. Wozu gab Shinji ihm diesen erleuchtenden Vortrag, wenn er ihm nicht mal einen Rat geben konnte? Plötzlich durchbrach Shinji wieder die Stille zwischen ihnen. „Erinnerst du dich an letzten Sommer? Wo ich für ein zwei Wochen in einem Basketball-Camp in Niigata war?“ Chiaki nickte bejahend. Er konnte sich erinnern, dass Kaiki eine riesige Sache draus gemacht hat und Kagura aus irgendwelchen Gründen, angepisst auf seinen kleinen Bruder war. Aber zu der Zeit hatte ihn das alles wenig interessiert. Er sah, wie Shinji sich die Lippen zusammenpresste und für eine Weile ausdruckslos in die Luft starrte. Schließlich trafen sich ihre Blicke. „Nun, ich war in Niigata, aber nicht wegen des Camps“, gestand Shinji leise, als würde er nicht wollen, dass jemand mithörte, „Das war nur ein Vorwand, den Kaiki mir gegeben hat.“ * Es war 20:56. Das Einzige was Chiaki wahrnahm, war das Ticken der Uhr, während er im Kaiki’s Büro die Sekunden runterzählte bis dieser nach Hause kam. Es war merkwürdig, wie die Dunkelheit dieses monotone Geräusch verstärkte. Aber es gab viele Dinge, die merkwürdig waren. Dass er nach einer gefühlten Ewigkeit wieder in diesem Büro saß, war merkwürdig. Dass er Shinji zu Maron rübergeschickt hatte, damit er ein Auge auf sie werfen und sicher gehen soll, dass sie okay war, war merkwürdig. Er hatte Chiaki versprochen zu bleiben, bis sich alles geklärt hatte. Dass Chiaki auch noch Natsuki um einen speziellen Gefallen angerufen hatte, war ebenfalls merkwürdig. Aber von dem, was Shinji ihm erzählte, war sie die Einzige, die dafür wahrscheinlich geeignet war. Es war alles einfach sehr merkwürdig. Die Uhr tickte und tickte. Schließlich hörte er um neun das Öffnen der Haustür und dumpfe Fußstapfen, die die Treppen hochstiegen. Kaiki rief nach ihm und Shinji, doch Chiaki antwortete ihm nicht, rührte sich nicht. Er hatte sonst die Befürchtung, dass die Emotionen ihn überladen würden und dass er seine Vorsätze über Bord werfen würde. Er versuchte sie daher so gut es ging abzuschalten. Er hörte, wie Kaiki erneut nach ihnen rief und mit schnelleren Schritten die Treppen zum Obergeschoss hochging. Womöglich schaute er in ihre leeren Zimmer nach und sah das Chaos in seinem. Wieder hörte er seinen Namen rufen, mehr Panik und Unruhe war in seiner Stimme zu vernehmen. Im nächsten Moment hörte er, wie sich Schritte dem Büro näherten. Ein schockierter Laut war von Kaiki zu hören, als er die Tür öffnete und Chiaki sah. „Würdest du mir bitte erklären, was zur Hölle oben passiert ist? Und wo in aller Welt ist Shinji?“, fragte er und durchquerte den Raum. Chiaki konnte keiner der Fragen beantworten. Bei beiden ging es um Maron und an sie durfte er im Moment nicht denken. Sonst würde er wieder von seinen Emotionen überwältigt werden. „Gott, Chiaki...“ Kaiki blickte ihn erschrocken an, als er sein Gesicht genauer betrachtete. Man musste zugeben: Maron konnte harte -sehr harte- Schläge verteilen. „Was ist passiert?“ Chiaki presste sich zögernd die Lippen zusammen. Einige stille Momente vergingen. „Würdest du bitte was sagen?“, bat Kaiki ihn mit einem alarmierenden Ton. Jetzt oder nie. „Ich...“ Er hatte die Worte in den letzten zwei Stunden oft genug in seinem Kopf geübt. „Ich brauche deine Hilfe.“ Kaiki’s Augen weiteten sich für einen Moment, ehe er sich fasste. Chiaki konnte sich vorstellen, dass er lange auf genau diese Worte von ihm gewartet hatte. „Natürlich. Sag mir, was du brauchst“, sagte Kaiki, war deutlich bereit ihm zu helfen. Chiaki nahm tief Luft und sprach seine Bitte aus. Kaiki hörte sie sich genauestens an, machte erneut große Augen. Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, blickten sie sich für einige Sekunden an. „Bist du dir auch wirklich sicher?“, fragte Kaiki in einem ernsten, vorsichtigen Ton. Chiaki nickte. „Ich muss damit abschließen“, sagte er kaum hörbar. Wieder wurde es still zwischen ihnen. Chiaki spürte, wie die Nervosität in ihm stieg. Er könnte es verstehen, wenn er ihm die Bitte abschlagen würde. Zu seiner Überraschung nickte Kaiki einmal und sagte: „Okay“. Er ging zu seinem Tisch und suchte in einer Schublade nach etwas. Anschließend holte er einen Umschlag heraus, legte es auf dem Tisch ab. Stirnrunzelnd blickte Chiaki auf dem Umschlag und dann wieder zu Kaiki. „Wie du siehst... Bin ich vorbereitet“, gestand er, „Darüber wollte ich mit dir letztens reden und war deswegen damals-...du weißt schon.“ Chiaki nickte verstehend, blickte stumm auf dem Umschlag herab. Keiner sagte mehr was. Wortlos fing Kaiki an die Wunden zu behandeln, während Chiaki Löcher in den Umschlag starrte. *** „Alles okay?“ Wie oft hatte Maron diese Frage schon in den letzten drei Stunden gehört? Nichts war okay. Dennoch zwang sie sich immer wieder zu einem Lächeln und nickte. Gerade befand sie sich mit Miyako und Shinji im Wohnzimmer, schauten sich irgendeine Serie im Fernsehen an. Vorher hatten sie zu dritt Abend gegessen. Takumi und Sakura wurden zu einem Geschäftsessen eingeladen, weshalb sie etwas später kommen würden. Irgendwann kamen Natsuki und Yamato dazu, hingen ebenfalls im Wohnzimmer ab. Maron hatte wenig Interesse daran, das Geschehen im Fernsehen oder die Gespräche ihrer Freunde mitzuverfolgen. Ihr Kopf war ganz woanders. Nebenan bei Chiaki, um genau zu sein. Der ganz allein in dem Haus war. Die Schuldgefühle ihrer Taten von heute Nachmittag schwoll wieder in ihr an, zerfraßen sie und blendeten die Stimmen um sie herum aus. Sie hatte keine Energie mehr, um weiter vorzutäuschen, dass alles „okay“ sei. Immer wieder bemerkte Maron die Seitenblicke ihrer Freunde auf sich. Alle hatte schließlich mitbekommen, wie sie und Chiaki von der Schule abgehauen waren. (Und sie konnte sich vorstellen, dass ihr Vater von der Schule einen Anruf bereits erhalten hat über ihr Schwänzen.) Miyako hatte schon gefragt, was passiert war, aber Maron ließ die Frage unbeantwortet. Sie hatte allerdings das Gefühl, dass Shinji Bescheid wusste. Schon als er reinkam, beäugte er sie mit einem achtsamen Blick, ließ seine Augen über ihre langen Sachen schweifen. Als wüsste er, dass sie die geröteten Stellen auf ihrer Haut versteckte. Es irritierte sie. Überhaupt war seine plötzliche Anwesenheit irritierend für sie gewesen. Er meinte zu Miyako, er würde nur hier abhängen wollen, aber Maron hatte das Gefühl, dass mehr dahintersteckte. Letztendlich nahm sie seinen Spontanbesuch mit einem Schulterzucken hin und hatte für ihn mit zu Abend gekocht. Teilweise hatte sie erwartet, dass Shinji nach dem Essen gehen würde, aber zu ihrer Verwunderung war er immer noch da. Yamato und Natsuki kamen irgendwann auch noch dazu und jetzt saßen sie alle zusammen da.   Das Klirren von Schlüsseln war plötzlich zu hören und alle drehten ihren Kopf Richtung Tür. „Oh!“, kam es von Sakura überrascht und amüsiert zugleich, die mit Takumi reinkam. „Hallo, alle zusammen.“ Die Gruppe begrüßte die beiden zurück. „Alles okay bei euch?“, fragte Sakura lächelnd. Da war die Frage schon wieder, dachte Maron sich augenrollend. Zum Glück wurde sie an die Gruppe gestellt und Miyako antwortete mit einem „Alles gut“ und einem Daumen hoch. „Maron“, rief ihr Vater vom Flur aus. Sie schluckte. „Es ist zu spät das heute Abend zu machen, aber morgen würde ich gern mit dir reden.“ Seinem Ton zu urteilen, war er nicht erfreut. Und sie ging stark davon aus, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag und er einen Anruf von der Schule erhalten hatte. Na super..., ging es ihr innerlich stöhnend durch den Kopf. Auf einmal klingelte das Telefon. Sakura kam ins Wohnzimmer rein und nahm ab. Im nächsten Moment runzelte sie leicht verwundert die Stirn und sie gab das Telefon Takumi, der fragte wer dran war. Er nahm ihr mit einem fragenden Blick das Telefon ab. Als Kaiki’s Name fiel, sah Maron neugierig auf. Ob Chiaki wegen dem Schwänzen auch in Schwierigkeiten steckte? Das freundliche Lächeln auf Takumi’s Gesicht fiel, jegliche Gesichtszüge entglitten ihm und seine geweiteten Augen trafen im nächsten Moment auf ihre. Sie versteifte sich. Oh-oh. Mit einem bestürzten Gesichtsausdruck hörte Takumi, dem was ihm am anderen Ende gesagt wurde zu. Gelegentlich war ein „Oh“ und „Okay?“ zu hören. Maron war so auf ihren Vater fixiert, dass sie einige Moment brauchte, um zu bemerken, dass alle Gespräche um sie herum verstummt waren. Natsuki und Shinji wichen ihren Blicken aus. Yamato sprach leise etwas zu Miyako und ihr Gesicht bekam denselben bestürzten Ausdruck wie Takumi’s. Was zum Teufel war nur los? Maron kam sich vor, als würde man sie von einem großen Geheimnis ausschließen. Was sie nervte. „Jetzt?“, fragte Takumi nun verwirrt, „Kann das nicht bis morgen-“ Er brach ab und hörte weiter zu. Anschließend legte er auf und wandte sich zu ihr. Sakura sah besorgt zwischen ihm und Maron hin und her. „Was ist los?“, fragte sie. Maron war sich nicht sicher, ob die Frage an ihn oder an sie gerichtet war. „Maron, ich glaube-“, setzte er an und hielt kopfschüttelnd inne, als müsste er nochmal neu anfangen. Er blickte zögernd nach draußen zu den Nagoyas rüber. „Was ich sagen will ist-“ Plötzlich klingelte Maron’s Handy. Überrascht schreckte sie auf, nahm es in die Hand und nahm ab, ohne zu schauen, wer anrief. „Ha-Hallo?“ „Hey…“ Ihr Herz machte einen Sprung. „Können wir reden? Ich warte im Park auf dich.“ „W-Was?“, stammelte Maron verwirrt, doch er hatte schon aufgelegt. Sie sah aus dem Fenster raus und dann zu ihrem Vater. Als wüsste er, wer eben dran war und was eben gesagt wurde, nickte Takumi mit dem Kopf nach draußen und sagte zu ihr nur: „Geh.“ Maron ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie stand blitzschnell auf, zog sich in einer Bewegung ihre Schuhe an und lief durch die Hintertür raus.   Chiaki saß auf seiner Seite ihrer Bank. Zögernd näherte sie sich ihm und nahm auf ihrer Seite Platz. Er trug seine Lederjacke und schenkte ihr ein kleines Lächeln. Für einige Momente fühlte Maron sich wie in alten Zeiten zurückversetzt. Er war müde, erschöpft und das zeigte sich. (Die paar wenige Stunden Schlaf heute Nachmittag waren offensichtlich nicht genug gewesen – falls er überhaupt geschlafen hatte.) Sie blickte ihn nervös an, während er seinen Blick auf den Tisch fixiert hatte. Sie wollte die Distanz zwischen ihnen schließen, aber sie konnte nicht. Es war als wäre eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen. Trotz ihrer Anspannung und Nervosität beruhigten sie die sanften Geräusche des Flusses. „Es tut mir furchtbar leid!“, platzte es aus ihr heraus. Erschrocken stellte Maron fest, dass sie aus seinem Zimmer verschwunden war, ohne sich für ihre Taten zu entschuldigen. Chiaki drehte sich mit einem leicht verwunderten Ausdruck zu ihr um. „Ich hätte dich nicht schlagen sollen…Dadurch ist alles eskaliert“, sprach sie weiter und senkte ihren Blick. Er krauste die Stirn. „Nein...“, schüttelte Chiaki mit dem Kopf. „Ich muss mich entschuldigen... wegen mir ist alles eskaliert. Wegen mir allein.“ „Trotzdem war ich nicht mit unschuldig. Dafür entschuldige ich mich.“ „Du entschuldigst dich mal wieder zu viel.“ Sie kicherte leise, worauf er mit einstimmte. „Ich weiß.“ Beide verstummten. „Wir sind beide ziemlich abgefuckt“, sagte er nach einer Weile, mit einem schwermütigen Lächeln. Maron erwiderte dieses Lächeln. „Ja...das ist wahr.“ Für einige Momente lauschten beide das angenehme Plätschern des Flusses. Die anfängliche Anspannung zwischen Ihnen hatte sich etwas gelöst. „Was ist los, Chiaki?“, wisperte Maron schließlich und das kleine Lächeln auf seinem Gesicht erstarb. Er biss sich auf die Lippe, vermied mit einem nervösen Ausdruck ihren Blick. Geduldig wartete sie darauf, dass er sprach. Nach einigen Minuten, bevor ihr Geduldsfaden endgültig gerissen war, ließ er einen langen, schweren Seufzer aus. Erschöpft ließ er den Kopf hängen. „Ich bin so verdammt müde, Maron“, sagte er, ohne zu ihr aufzusehen. Seine Stimme klang kraftlos, als würde er einen endlos langen Kampf aufgeben. Ihr Herz brach bei seinem Anblick. Sie rutschte langsam zu Chiaki rüber, überwand die Distanz zwischen ihnen und legte ihre Arme um ihn. Sie umarmte ihn so fest, wie sie konnte. Er versteifte sich für einen Moment, ehe er zögerlich die Umarmung erwiderte. Seufzend legte er seinen Kopf auf ihrer Schulter ab und drückte ihr einen leichten Kuss an die Schläfe. „Ich werde gehen“, sagte Chiaki leise in ihre Haare, strich mit den Fingern sachte über ihren Rücken. Maron blinzelte verwirrte, versuchte seine Worte zu verstehen. „Im Sinne von...du ziehst aus?“, fragte sie. Würde ihrer Ansicht nach Sinn ergeben. Sie konnte von ihm nicht verlangen, dass er wegen ihr in dieser aufwühlenden Umgebung blieb. So ärgerlich das auch war, so könnte sie lernen damit umzugehen. Sein Kopfschütteln unterbrach ihre Gedankengänge. „Nein, dass meinte ich nicht.“ Chiaki hob seinen Kopf und ihre Blicke trafen sich. Maron’s Augenbrauen zogen sich noch mehr zusammen. Er atmete tief durch. „Ich werde nach Yokohama fahren.“ Maron brauchte einen Moment, um das Gesagte zu registrieren. „Warum?“, war das Einzige was sie entgegenbringen konnte. Sein Griff um ihre Taille verstärkte sich. Sekunden verstrichen bis Chiaki den Mund aufmachte und weitersprach: „Ich will meine Mutter suchen gehen.“ FORTY-SEVEN ----------- FORTY-SEVEN   Maron sprach für eine lange Weile kein Wort. Unterdessen erzählte Chiaki ihr von seinem Gespräch mit Shinji. Wie dieser sich letztes Jahr auf einer Selbstfindungsquest befand und nach seinen leiblichen Eltern gesucht hatte. Aber nichts davon wollte in ihren Kopf ankommen. Noch immer war sie geschockt von der Tatsache, dass Chiaki gehen wollte. „Wi-Wie lange?“, fragte Maron. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Er biss sich unsicher auf die Lippe. „Ich weiß es nicht.“ Das war keine akzeptable Antwort für sie. „Du weißt es nicht?!“ Sie wollte wütend, zornig, verärgert klingen, doch stattdessen brach ein erbärmlicher Schluchzer durch. Seine Augen mieden ihre, waren wieder auf seine Hände fixiert. „Ich komme mit dir“, sagte sie aus Verzweiflung. Er schüttelte seinen Kopf, ehe sie weitersprach. „I-Ich kann mit meinem Vater reden und-“ „Nein, Maron“, sagte Chiaki in einem entschiedenen Ton und sah Maron an. „Wir wissen beide, dass du nicht mitkommen kannst.“ Er hatte Recht und sie wusste das. Resigniert presste sie sich die Lippen zusammen. „Was genau erhoffst du dir?“, fragte Maron nach einer Weile, „Was ist..., wenn sie dich wieder abweist?“ Sie konnte den Schmerz kurz in seinen Augen aufblitzen sehen. „Vielleicht wird sie das“, sagte Chiaki mit tonloser Stimme und zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen.“ Sie wusste, dass diese Gleichgültigkeit nur Fassade war. Sie konnte nicht nachvollziehen, was er sich bei dieser Idee gedacht hatte. Wenn diese Frau ihn wieder verletzten wird, würde Maron in dem Falle mit Sicherheit mitkommen wollen und ihr ins Gesicht spucken. Oder ins Gesicht schlagen. Was auch immer ihr als Erstes in den Sinn kommen würde. Sie blickte in seine Augen, sah darin die Entschlossenheit in seiner Entscheidung. Sie realisierte, dass dies eine Sache war, die Chiaki allein tun musste. Da konnte sie ihm nicht helfen. Und das schmerzte sie, bereitete ihr Angst. Ob er sich genauso gefühlt hatte, als sie nach Osaka ging? Maron hoffte, dass ihre Angst sich nicht in ihren Augen widerspiegelte, während sie in seine sah. „Bevor das neue Schuljahr beginnt“, bat sie ihn, versuchte gefasst zu klingen, auch wenn sie das Beben in ihrer Stimme nicht komplett verbergen konnte. Drei Wochen sollten genug sein, damit er im Klaren mit allem kommt - oder? Chiaki nickte, eine feuchte Strähne fiel ihm dabei ins Gesicht. Es hatte vor einer Weile zu regnen angefangen. Maron hob ihre Hand und strich die Strähne wieder zurück. „Versprech’ es mir“, flüsterte sie. „Ich bin zum Anfang des neuen Schuljahres zurück. Versprochen“, versicherte er ihr mit Gewissheit und Ehrlichkeit in der Stimme, doch das beruhigte sie kein bisschen. Sie nickte dennoch und Chiaki erhob sich langsam von der Bank. Sie war wie eingefroren. „Bist du sicher, dass es nicht bis morgen warten kann?“, wisperte Maron leise. Er war zu müde, und es war zu regnerisch und zu spät für ihn, um sicher zu fahren. „Schlaf doch ‘ne Nacht drü-“ „Nein, Maron“, fiel er ihr ins Wort. „Bitte mach es nicht noch schwieriger als es schon ist“, bat Chiaki sie kraftlos. Seufzend gab sie sich geschlagen und stand ebenfalls auf. Seine starken Arme legten sich um sie und seine Lippen fanden ihre Stirn, küssten sie sanft. Maron weigerte sich Abschied zu nehmen und Chiaki schien ihre Ansicht zu teilen, denn er tat es auch nicht. Stattdessen hielt er sie fest an sich und küsste ihre Tränen, die unkontrolliert herunterrannten, weg. „Ich liebe dich“, wisperte er. Schniefend brachte sie ein Lächeln zustande und flüsterte „Ich liebe dich auch“ zurück. Chiaki ließ sie los, zog sich auf einmal seine Lederjacke aus und legte sie ihr über. „Du erkältest dich sonst noch“, sagte er. Maron nickte und schloss ihre Augen. Sie spürte einen letzten Kuss auf ihrer Wange, eher er sich von ihr entfernte und ging. Sie hörte seine Schritte, die sich immer weiter entfernten. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es entzwei geteilt werden. Nach einer Weile war nichts als der Regen zu hören und sie öffnete ihre Augen. Sie war allein in der feuchten Dunkelheit. Ihr zitternder Körper fühlte sich steif an, aber sie schaffte es ihre Beine zu bewegen. Ihre Arme schlüpften in die Ärmel von Chiaki’s Jacke und sie zog es sich enger um ihren Oberkörper. Sie wollte nach Hause, doch ihr „Zuhause“ war gerade in seinem Auto weggefahren – auf den Weg zu der Person, die ihn mehr verletzen konnte als Maron es jemals könnte. Sie entschied sich für die zweitbeste Option. Sie verließ den Park und steuerte gezielt auf die Villa zu. Es entging ihr nicht, dass Chiaki’s Auto nicht mehr in der Einfahrt stand. Sie klopfte laut an der Tür. Vage konnte sie Stimmen hören, die auf der anderen Seite des Grundstückes nach ihr riefen, aber Maron ignorierte sie. Momente später machte Kaiki ihr auf, seine müden, traurigen Augen trafen auf ihre. Ohne was zu sagen, trat er beiseite, um ihr Einlass zu gewähren und schloss hinter sich die Tür. Sie tauschten sich einen stummen Blick aus, welcher tausend Bände sprach. Ihre gemeinsame Sorge und Liebe zu Chiaki brachte sie zu einem Verständnis. Vielleicht hatte Kaiki deswegen nichts eingewendet, als sie begann die Treppen zum zweiten Stock hochzusteigen. Das Schlafzimmer dort war für Maron das Nächste was sie als Zuhause bezeichnen konnte. Sie wusste sofort, dass Kaiki sie nicht nach Hause schicken würde – egal, was ihr Vater oder sonst irgendwer sagte. Sie hatte nicht vor zu gehen bis Chiaki ebenfalls nach Hause kam.   Die Nacht von Chiaki’s Abreise war wahrscheinlich die längste ihres Lebens. In all den Nächten, in der sie aufblieb, war keine mit dieser wirklich vergleichbar. Nachdem Maron in Chiaki’s Zimmer eingetreten war und sich das Chaos ansah, wusste sie sofort was getan werden musste. Sie fing an, die Papiere und Blätter vom Boden aufzusammeln, als es plötzlich an der Tür klopfte. Sie hatte mit ihrem Vater gerechnet, der sie nach Hause holen wollen würde, aber zu ihrer Überraschung standen ihre vier Freunde da. Alle bis auf Shinji machten beim Zustand des Zimmers große, entsetzte Augen. Maron stand mitten im Raum, immer noch durchnässt vom Regen. Schließlich beugten Natsuki und Miyako sich runter und halfen ihr, die Sachen vom Boden aufzuheben. Seufzend rieb Shinji sich den Nacken und rückte mit Yamato die Möbel wieder zurecht, schoben sie an die richtige Stelle. „Wollen wir das Bett beziehen?“, fragte Miyako, die den Schreibtisch aufräumte. Maron schnellte ihren Kopf zu ihr hin, hielt eine große Ladung an Klamotten in ihren Armen. „Ich mache das Bett“, sagte sie ohne Emotionen. Sie wollte in dem Ankleide-/Abstellzimmer die Wäsche in den Korb tun und neue Laken und Bettwäsche holen gehen, blieb vor dem kleinen Raum jedoch zitternd stehen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Ihre zittrigen Hände ballten sich zu Fäusten. Sie konnte nicht eintreten. Natsuki schien ihr Dilemma zu bemerken, nahm ihr die Sachen ab und sagte sanft: „Du kannst die alte Bettwäsche schonmal abziehen, während ich die neue für dich hole.“ Maron nickte, sah ihr dabei zu, wie sie in den kleinen Raum eintrat und das Licht anmachte. Es war der einzige Bereich in Chiaki’s Zimmer, den sie noch nie gesehen hatte. Sie streckte ihren Hals, versuchte von ihrem Punkt aus genug zu sehen. Es sah aus wie ein normaler begehbarer Kleiderschrank: durchschnittlich groß, sauber, Klamotten hingen an den Seiten, Schuhe lagen aufgereiht unten, Boxen und Kartons waren zu sehen. Maron verspürte einen irrationalen Anflug von Neid und Bitterkeit bei der Tatsache, dass Natsuki sich in diesem Raum befand und nicht sie. Es frustrierte sie – was auch gleichzeitig bescheuert war... Kopfschüttelnd wandte Maron sich ab, versuchte die negativen Gefühle wegzuschütten. Sie ging zu seinem Bett, entfernte die alten Laken und bezog es mit der neuen Wäsche, die Natsuki ihr hingelegt hatte. Zum Sonnenaufgang waren sie alle schließlich fertig und das Zimmer sah fast so aus, wie vorher. Ihre Freunde verabschiedeten sich nacheinander von ihr. Miyako war die Letzte, die ging und hüllte sie in eine warme Umarmung. „Das ist für dich... von meiner Mom.“ Maron sah, wie Miyako eine Tasche hervorholte, die draußen im Flur stand. Sakura musste wohl einige Sachen für sie gepackt haben. „Du wirst nicht nach Hause kommen, oder?“, fragte Miyako sie, nachdem sie ihr die Tasche abnahm. Schwach lächelnd schüttelte Maron ihren Kopf. Miyako runzelte die Stirn. „Vielleicht ist es gut, dass du und Takumi etwas Abstand voneinander habt“, sagte sie, lächelte traurig und verschwand mit einem kleinen Winken. Maron schloss die Tür und lehnte sich erschöpft mit dem Rücken dagegen an, ließ die Tasche in ihren Händen achtlos fallen. Die weichen Orangetöne des Sonnenaufgangs badeten das Zimmer in ihren Farben. Sie zog sich Chiaki’s Lederjacke und ihren Pullover aus, kickte sich die Schuhe weg und ging auf die Kommode zu. Sie öffnete die Schublade und holte sich ein weißes T-Shirt und eine Baumwollhose raus. Die Sachen waren ihr offensichtlich zu groß, aber auch tröstend weich und gemütlich. Sie ging in sein Bad und putzte sich mit ihrer roten Zahnbürste, die immer noch da war, die Zähne. Sie ging ins Bett, schlüpfte unter die weiche Decke und ließ sich von dessen Wärme umhüllen, schmiegte ihren Kopf ans Kissen an. Es gab keine Beschäftigung mehr für ihre Hände und ihren Verstand, weshalb sie den Schmerz erlaubte sie zu verschlingen. * Maron ging für den Rest der Woche nicht in die Schule, verschanzte sich den ganzen Tag in Chiaki’s Zimmer. Sie schlief in seinem Bett, stürzte sich bewusst in einen Albtraum nach dem anderen. Schweißgebadet und am ganzen Leib zitternd wachte sie mit Schrecken immer wieder auf, aber irgendwie schaffte sie es sich wieder in den Schlaf zu zwingen. Es ließ die Zeit schneller vergehen. Mal wachte sie am helllichten Tag auf, wenn die Sonne alles erleuchtete. Mal wachte sie mitten in der Nacht auf, was die Angst in ihrer Brust verstärkte. In diesen Momenten kam ihr das Zimmer, welches ihr immer das Gefühl von Sicherheit gegeben hatte, so merkwürdig fremd vor. Dabei hatte sie unzählige Nächte hier geschlafen... Nur nicht allein. Sie fühlte sich völlig taub, verspürte nicht mal das Gefühl von Hunger. Nur ab und an trank Maron ein paar Schlucke vom Wasserhahn im Bad. Das Einzige was in ihrem Inneren dominierte, war diese Leere.   Am dritten Tag nahm ihre Isolation zu ihrer Enttäuschung ein Ende. Maron bekam nicht mit, dass jemand das Zimmer betreten hatte. Sie lag wie die restlichen Tage auch im Bett und starrte ausdruckslos in die Leere. Plötzlich wurde an der Decke gezogen und sie rollte erschrocken aus dem Bett raus, landete mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. „Gott... Hast du hier mal gelüftet?“ Natsuki rümpfte die Nase und machte seufzend die Balkontür auf, um frische Luft reinzulassen. Irritiert setzte Maron sich auf und funkelte sie an. „Ich werde nicht nach Hause gehen. Versuch es gar nicht erst“, sagte sie mit schwacher Stimme und stieg wieder aufs Bett. „Ja, ja, ja“, rollte Natsuki mit den Augen und setzte sich neben sie auf die Bettkante hin. „Du durchgehst deine rebellische Teenager-Phase und dein Geliebter hat dich verlassen. Du führst das Leben eines Einsiedlers. Blablabla.“ Schnaubend wandte Maron ihren Kopf ab. Natsuki rückte näher zu ihr heran, ein sanftes Lächeln haftete auf ihrem Gesicht. Argwöhnisch blickte Maron sie an. „Maron“, begann Natsuki zu sagen und rümpfte erneut die Nase. „Du stinkst“, lachte sie schallend auf. „Ich schlage dir vor, dass du deinen Arsch hochnimmst und duschen gehst, ehe ich dich körperlich dazu zwinge.“ Maron starrte sie mit verengten Augen und offenen Mund an. „Ich gebe dir zehn Sekunden“, sagte Natsuki amüsiert und blickte auf ihre nicht-vorhandene Uhr auf ihrem Handgelenk. Genervt stand Maron auf und stampfte ins Bad. Auf dem Weg ging sie an ihre unberührte Tasche vorbei, die Sakura für sie gepackt hatte. Laut schlug sie die Badezimmertür zu und entledigte sich ihren nach Schweiß riechenden Sachen. Sie stieg unter die Dusche, schaltete das Wasser an und nahm sich, ohne zu zögern, Chiaki’s Shampoo und sein Duschgel. Sein vertrauter Duft stieg ihr direkt in die Nase. Sie machte sich sauber und wusch ihre Haare. Das heiße Wasser entspannte ihre Muskeln und ein klein wenig war Maron Natsuki dankbar, dass sie sie mehr oder weniger zum Duschen gezwungen hatte. Nach einer Weile stellte Maron das Wasser ab und nahm eines seiner großen Badetücher, um es sich umzuwickeln. Zugegeben, sie fühlte sich gut. Besser als in den letzten Tagen. Sie ging kurz raus und holte sich aus der Kommode ein paar neue Sachen. Natsuki hatte den Inhalt aus ihrer Tasche auf dem Sofa verteilt, was Maron jedoch ungeachtet ließ. Sie kehrte ins Bad zurück und zog sich an. Als sie wieder rauskam, sah sie, wie ihre Freundin das Bett neu bezog. Allerdings schien sie ihre Schwierigkeiten zu haben. Maron’s Lippen zuckten zu einem Lächeln hoch und sie begann ihr zu helfen. „Weißt du, die anderen machen sich ziemliche Sorgen um dich“, durchbrach Natsuki das Schweigen zwischen ihnen, während beide das Bettlaken unter die Matratze klemmten. „Warum kam keiner, um nach mir zu sehen?“, fragte Maron teilnahmelos. Natsuki zuckte, ohne sie anzusehen, mit den Schultern. „Das ist womöglich meine Schuld. Ich habe allen gesagt, dass man dich in Ruhe und Trübsal blasen lassen soll.“ „Und was genau gibt dir das Recht dazu mein Befürworter zu sein?“ Sie waren mit dem Bett fertig. Ohne auf ihre Frage einzugehen, klopfte Natsuki ihre Hände ab und packte Maron am Handgelenk. „Komm. Wir essen jetzt was“, kündigte sie an und verließ mit ihr das Zimmer. Sichtlich überrascht und verwirrt protestierte Maron, ließ sich allerdings trotzdem mit nach unten ziehen. Es war leer im Haus. Weder Kaiki noch Shinji waren zu sehen oder zu hören. Natsuki führte sie ins Esszimmer, wo eine große Papiertüte auf dem Tisch stand. „Ich habe uns Kartoffelauflauf besorgt“, sagte sie, holte den in Alufolie verpackten Inhalt heraus. Perplex ließ Maron sich auf einen Stuhl fallen, den Blick aufs Essen gerichtet. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, so hatte sie nun doch Hunger. Natsuki musste ihren Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sie kicherte leise und setzte sich mit ihrer Portion gegenüber von ihr hin. „Iss“, sagte sie und hielt ihr eine Gabel vor die Nase. Maron nahm ihr das Besteck ab, stach in ein Kartoffelstückchen und führte es in ihren Mund. Kauend nahm sie einen weiteren Bissen. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Chiaki hatte mich darum gebeten“, kam es plötzlich von Natsuki mit halb-vollem Mund. Überrascht sah Maron zu ihr auf, stoppte zu kauen. „Um genauer zu sein, hatte er mich darum gebeten, auf dich acht zu geben“, fuhr Natsuki fort, den Blick auf ihr Essen gerichtet. „Als Shinji beschloss seine leiblichen Eltern zu suchen, hatte er ziemlich Zoff mit Kagura gehabt“, begann sie zu erzählen. „Weil Kagura den Sinn darin nicht sah. Die Sache ist allerdings: Kagura hatte noch Erinnerungen von ihnen, Shinji aber nicht. Er wollte daher unbedingt wissen von was für Leuten er herkommt... wollte sie kennenlernen... ging eine Identitätskrise durch…“ Sie machte eine abschweifende Handbewegung, nahm einen Bissen von ihrem Auflauf. „Es regte mich auf“, gestand Natsuki schließlich. „Als er ging, fühlte ich mich so... Ich fühlte mich als wäre das, was ich ihm im Leben bot, nicht genug. Es machte mich wütend und traurig zugleich.“ Natsuki sah zu Maron auf und ihre Blicke trafen sich. „Wie auch immer. Chiaki dachte sich bestimmt, dass ich dich am ehesten Verstehen werde, weshalb er mich darum bat nach dir zu sehen.“ Maron ließ ihre Gabel sinken. Denn ihre Worte trafen sie härter, als sie es erwartet hätte. Denn genauso wie Natsuki es dargestellt hatte... so fühlte sie sich auch. Als würde das, was sie ihm bot nicht genug sein. Ein Schluchzer entkam ihr und Natsuki sah sie mit einem alarmierten Ausdruck an. „Nicht weinen!“ Aufs Stichwort kamen die Tränen, die sich seit Tagen angestaut hatten und rannten Maron das Gesicht herunter. Genauso sprudelten die Worte aus ihr heraus. All ihre Sorgen. All ihre Ängste. „Ich habe Angst um ihn“, gestand sie ihr. Ihr eigener Schmerz wurde mit der Angst überlappt, dass Chiaki irgendwo war und dass seine Hoffnungen zunichte gemacht werden, während sie hilflos zurückblieb. Unter Tränen erzählte Maron auch von ihrer Auseinandersetzung, dass sie ihn geschlagen hatte und wie schuldig sie sich nach der Eskalation gefühlt hatte. Wortlos hörte Natsuki ihr zu, hatte sich in zwischen neben sie gesetzt und nahm sie in ihre Arme. Heulend lehnte Maron ihre Stirn an ihre Schulter an. „Sei stark. Für dich und für ihn“, flüsterte Natsuki ihr nach einer Weile zu. Maron nickte kaum merklich. Alles was sie tun musste, war durchzuhalten... bis er nach Hause kam. FORTY-EIGHT ----------- FORTY-EIGHT   Chiaki hatte sich schon immer einen Roadtrip mit Maron vorgestellt. Zusammen in seinem Auto durch das Land fahren, über Gott und die Welt reden, an Rastmomenten die vorbeifahrenden Autos beobachten... „Hat sich doch erfüllt“, erklang neben ihm eine amüsierte, sing-sang Stimme. Seine Kiffer pressten sich zusammen. Nein, nicht so. So, hatte er es sich nicht vorgestellt. Insbesondere nicht mit dieser Maron. Er schloss seine Augen, lehnte sich in seinem Sitz zurück und atmete tief durch. Sie war nicht hier. Sie konnte nicht hier sein. Diese Worte sagte er sich einige Male in Gedanken auf. Chiaki öffnete seine Augen, die direkt auf Maron’s trafen. „Ja, ich bin hier“, wisperte sie mit einem Grinsen, strich sich über ihr rotes Kleid und lehnte sich in den Beifahrersitz zurück. „Nein, bist du nicht“, entgegnete er genervt. Sie schnaubte. Diese Maron -Halluz-Maron, wie er sie auch nannte- ging ihm mächtig auf den Sack. Als sie das erste Mal auf seinem Beifahrersitz auftauchte, war er mitten am Fahren gewesen und hätte fast sein Auto gecrasht. Nun beschloss sie einfach, wie aus dem Nichts aufzutauchen... so ganz sporadisch. So nervtötend. „Halt die Klappe“, fuhr Chiaki sie spitz an. Ihre roten Lippen formten sich zu einem Schmollmund und sie lehnte ihren Kopf gegen das Fenster an. „Du verletzt meine Gefühle“, flüsterte sie, senkte ihren Blick zu ihren Händen auf ihrem Schoß und legte wie immer eine gute Show ab. Denn dieser Ausdruck auf dem Gesicht seines Mädchens brach ihm immer das Herz, aber Chiaki rief sich immer wieder in Erinnerung, dass dies nicht Maron war. Sie hatte keine Gefühle, die verletzt werden konnten. Chiaki wandte seinen Blick von Halluz-Maron ab und sah auf die Gebäude vor ihm. „Das ist gerade ein ganz schlechter Zeitpunkt für mich. Komm wieder, wenn ich was Spitzes gefunden habe, um mir die Augäpfel rauszustechen.“ Geistesabwesend schweifte sein Blick über die Straße. Es war noch ziemlich früh, aber die Straßen Yokohama’s füllten sich langsam. „Tsk… Chiaki“, sagte Halluz-Maron missbilligend und legte ihre Füße auf das Armaturenbrett ab. Er funkelte sie mit einem Seitenblick an, was sie zu amüsieren schien. „Musst du mit deiner eigenen Psyche so gemein sein?“, grinste sie ihn mit einem wissenden Lächeln an, während er versuchte ihre Präsenz zu ignorieren. Er war verrückt - und mit der Sekunde wurde es immer schlimmer. Sie kam auch immer wieder zurück. Nachdem er aus Momokuri rausgefahren war, nahm Chiaki die erste Ausfahrt zum Rasten, um für ein paar Stunden in seinem Wagen zu schlafen. Ihm war voll und ganz bewusst, dass er in diesem instabilen Zustand nicht fahren konnte. Danach hatte er ohne Pause es nach Yokohama geschafft. Seit seiner Ankunft, versuchte er den Schlaf wieder bestmöglich zu vermeiden. Offensichtlich hatte der Schlafentzug seine Tücken. Sie … war eine dieser Tücken. „Wir sind nicht verrückt“, verteidigte Halluz-Maron sich, zog ihre Füße wieder an. „Verrückte Leute wissen nicht, dass sie verrückt sind. Was sie noch verrückter macht“, erklärte sie, „Trifft nicht auf uns zu.“ Sie kicherte und begann irgendwelche angefangenen Sätze zusammenhanglos zu sagen. Chiaki warf ihr einen genervten Seitenblick zu. Die meiste Zeit verbrachte sie damit mit sich selbst zu reden. Obwohl... Hieß das nicht, dass er das auch tat? Er hatte keine Ahnung. Es war verwirrend. Er wusste, dass er abgefuckt war. Ihr Kichern verebbte und es wurde wieder angenehm ruhig im Auto. Chiaki nutzte die Gelegenheit, um sich wieder aufs wesentliche zu fokussieren und blickte zu dem Gebäude vor ihm auf. Heute würde er dahingehen und es endlich machen... Keine Ausreden mehr. Seit fünf Tagen war er in Yokohama, hatte in einem billigen Hotel „übernachtet“. Er hatte mit ihr noch nicht geredet – obwohl er drei Tage gebraucht hatte, um sie zu finden. Es war überraschend einfach gewesen mit den Informationen, die Kaiki ihm gegeben hatte. Anscheinend wohnte sie seit drei Jahren in einer kleinen Wohnung in dem mehrstöckigen Hochhaus vor ihm. Heute wird es sein erster Versuch sie zu sehen. Die anderen Tage hatte er sich nicht mal in die Nähe des Gebäudes getraut. Unzählige Gedanken und Szenarios gingen ihm durch den Kopf, während Chiaki aus der Windschutzscheibe starrte. Er dachte an Shinji’s Erzählung von seinen Erfahrungen zurück. „Ich war dann da... und hatte mit der Zeit festgestellt, dass mein Platz im Leben in Momomkuri ist“, hatte er gesagt. „Alles was ich brauchte, war schon hier. Ich musste es nur für mich selbst herausfinden.“ Chiaki fand es erstaunlich, wie einfach Shinji Akzeptanz gefunden hatte. Das wollte er auch. Das Gefühl von Akzeptanz. Ein Teil von ihm wusste, dass sie furchtbar zu ihm gewesen war und dass es einfacher wäre, sie einfach loszulassen. Am besten entschuldigte er sich für alles und ging, bevor er ihr neues Leben noch ruinierte. „Warum rufst du mich nicht an?“ Halluz-Maron’s Stimme riss ihn aus den Gedanken. Chiaki atmete tief ein und aus, seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad. Wieso sprach sie das immer wieder an? „Ich kann nicht, okay?“, schnauzte er sie an und wandte sich von ihr ab. Abgesehen davon, dass er seit seiner Abreise sein Handy ausgeschalten hatte (und das Ding jetzt womöglich sowieso leer war) … er konnte es einfach nicht. Nicht nur Maron, sondern überhaupt mit jemand in Kontakt zu bleiben. Nicht, solange er hier nicht fertig war... „Und nun verschwinde“, fügte er hinzu, kämpfte damit sie zu ignorieren. Sie tauchte auch immer zu den unpassendsten Momenten auf und er war nicht in Stimmung zu diskutieren. „Aber du willst, dass ich bleibe“, sagte sie und zwirbelte eine Locke um ihren Finger. „Du willst mit mir reden.“ Er hasste es, wenn sie Recht hatte. „Ich bin fertig mit dir zu reden“, entgegnete er laut und drehte sich zu ihr um. Sie war weg. * Nervös trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad. Immer wieder atmete er tief durch, beobachtete die Leute, die rein- und rauskamen und wurde noch unruhiger, wenn er eine Frau rauskommen sah. Bisher hatte er sie noch nicht gesehen. Stunden vergingen in denen Chiaki in seinem Auto saß und damit kämpfte auszusteigen und in das Gebäude reinzugehen. Gerade als er eine Hand auf die Klinke legte, sah er ein Gesicht, welches ihm vertraut war und gleichzeitig auch nicht. Er hatte hunderte von Nächte verbracht dieses Gesicht zu zeichnen. Doch in den wenigen Momenten, in der er eben sie sah, wirkte das Gesicht blasser, dünner, eingefallener. Dennoch war er sich sicher, dass es dieselbe Person war. Sie kam aus dem Gebäude raus und kehrte einige Minuten später mit einer Einkaufstüte wieder. Erneut stieg die Nervosität in ihm hoch. Als es schließlich fast Mittag war, hatte Chiaki seinen Entschluss gefasst. Wenn er es jetzt hinter sich brachte, konnte er in der Nacht noch nach Momokuri zurückfahren. Mit einem schweren Seufzen und einer zitternden Hand öffnete er die Tür und stieg aus dem Wagen aus. Er zog sich seine Jacke enger um sich. Die war nicht so gemütlich, wie seine Lederjacke, die er Maron gegeben hatte... Und der Gedanke an sie ließ sein Herz schwerer werden. Er dachte an ihre duftenden Haare. An ihre rosanen Wangen. An ihr Lächeln. An ihr Lachen... Das Lachen fühlte sich näher an, als wäre es direkt neben seinem Ohr. Es hallte melodisch durch seinen Kopf und seine Lippen kräuselten sich automatisch zu einem Lächeln. Er hob seinen Kopf, drehte sich um und ließ sein Lächeln vor Erleichterung noch größer werden. Da stand sie. Ganz in Rot, mit einem sanften, mitfühlenden Ausdruck auf ihrem perfekten Gesicht. Auch wenn diese Maron nicht echt war, so war er froh, dass eine Version seines Mädchens bei ihm war. Auch wenn die aus seinem verrückten Verstand entsprang. Sie gab ihm den Komfort, den er gerade brauchte. Da konnte er diese Leere, die er bei dem Anblick von ihr in seiner Brust verspürte, ignorieren. Halluz-Maron grinste und kicherte, ehe sie voraus ging. Ihr rotes Kleid schwang geschmeidig hin und her und sie drehte sich zu Chiaki um. „Kommst du?“ Er nahm tief Luft, um seine Nerven zu beruhigen. Er folgte ihr, betrat das Foyer des Hochhauses. Zu seiner Rechten befanden sich eine Menge Briefkäste. Sie waren nach Stockwerken angeordnet. Und den Namen hatte er auch schnell gefunden. Kyoko Nagoya. Mit Herzklopfen stieg Chiaki in den Aufzug, drückte den Knopf zum siebten Stock. Das sanfte Lachen von seinem Mädchen begleitete ihn. Im siebten Stockwerk angekommen, brauchte er nur wenige Meter zu gehen, um an der richtigen Tür zu stehen. Halluz-Maron ging zwei Schritte auf die Tür zu und blickte ihn erwartungsvoll an. Sein Herz klopfte ihm mittlerweile bis zum Hals. Er ging die zwei Schritte zur Tür. Langsam hob er seine Hand, einen Finger über der Klingel schwebend. Seine Augen trafen auf ihre, die ihn sanft und ermutigend anblickten. „Ich liebe dich“, wisperte sie ihm beruhigend zu. Und obwohl er wusste, dass sein eigener Verstand sich das alles nur einbildete, so gaben ihm diese Worte von ihr trotzdem den Mut, den er brauchte. Dreimal betätigte Chiaki kurz die Klingel. Nervös fuhr er sich durch die Haare und steckte seine Hände in die Jackentasche. Ehe er daran denken konnte abzuhauen, öffnete sich die Tür. Sie ging nur einen Spalt weit auf. Dunkle, blutunterlaufende Augen tragen auf seine. Er schluckte schwer, als sich ihre Blicke trafen. Der reglose Ausdruck in ihren Augen wandelte sich langsam in Verwirrung um, während sie in konfus anblinzelte. Im nächsten Moment schwang die Tür auf und sie blickte ihn erschrocken an, schnappte scharf nach Luft. Chiaki war selbst bei der plötzlichen Bewegung zusammengezuckt. „Ka-Kaiki?“, fragte sie verwirrt. Er konnte sich nicht bewegen, geschweige den Kopf schütteln. Aber sie schien ihn zu verstehen. „Oh…“, hauchte Kyoko sprachlos. „Du meine Güte!“ „M-M-Mom...“, brachte er stotternd hervor, ehe sie ihn auf unerwarteter Weise fest in ihre Arme nahm. „Chiaki...!“ Chiaki war zu perplex, um zu reagieren. Wortlos ließ er sich von seiner Mutter umarmen, nicht wissend, wie er damit umgehen sollte. Er blickte über ihre Schulter und sah Halluz-Maron, die ihn angrinste. Sie hob ihre Arme, forderte ihn stumm dazu auf die Umarmung einzugehen. Zögernd hob Chiaki seine Hände und legte sie seiner Mutter um die Taille. Es war keine schöne Umarmung. Ihr dünner, knochiger Körper presste sich an seinen und ein stechender Geruch ging von ihr aus. Für einige Momente verharrten sie so, bis Chiaki sich langsam und vorsichtig von ihr löste. Kyoko nahm plötzlich seine Hand und zerrte ihn in die Wohnung rein. Er blickte noch schnell hinter sich und sah wie Halluz-Maron einfach nur winkte, bevor die Tür zufiel. Seine Mutter begann ihn mit Fragen zu bombardieren, während sie ihn in einen abgedunkelten Raum führte, der mit einem üblen Gestank gefüllt war. „Wie geht es dir? Wo lebst du? Ist Gratin immer noch dein Lieblingsessen?“ Schweigend schaute Chiaki sich in dem kleinen, vollgestellten Raum um. Befand er sich in einem Wohnzimmer? Es war schwer zu erkennen, bei all den dunklen und bräunlichen Flecken an den Wänden und Deckel. Das Sofa sah auch stark verfärbt aus. Staubschichten waren überall zu sehen und Spinnen hingen in den Ecken. Ein paar Flaschen standen auf dem kleinen Sofatisch und prahle Mülltüten lagen verstreut auf dem Boden und an jeder Ecke herum. In was für eine Bruchbude lebte diese Frau? Er konnte sich nicht erinnern, dass sie so ein Messi war… „Kann ich dir irgendwas zu trinken anbieten?“ Sein Blick schweifte wieder zu seiner Mutter runter, die unruhig umherlief und ein paar Flaschen vom Tisch einsammelte. „Ich-“, setzte sie an, hielt jedoch abrupt inne und blickte ihn mit denselben ausdruckslosen Blick an, den er vorhin am Anfang bei ihr gesehen hatte. „D-Du solltest nicht hier sein“, sagte sie plötzlich, als würde ihr genau diese Tatsache gerade in den Sinn kommen. Chiaki biss sich auf die Lippe. „Ich weiß“, sagte er und sah zur Seite. Sein Mädchen schritt summend durch den Raum. Grinsend erwiderte Halluz-Maron seinen Blick und zwinkerte ihm zu.   Er wandte sich seiner Mutter wieder zu. „Ich bin nur gekommen, um mich zu entschuldigen... und dann werde ich gehen“, sagte Chiaki mit monotoner Stimme. „Entschuldigen?“, wiederholte Kyoko, neigte verwirrt ihren Kopf. Er nickte kurz und sammelte all seinen Mut zusammen, um weiterzusprechen. „Dass ich damals alles und dein Leben ruiniert habe... und ich wollte dich wissen lassen, dass es mir leidtut.“ Dass seine Stimme so gefasst klang, überraschte sogar ihn. „Was?“ Ihr Gesicht wurde noch verwirrter. „Wofür genau entschuldigst du dich?“ Er konnte das feuchte Schimmern in ihren Augen sehen und nahm nochmal tief Luft. Wieso konnte sie nicht einfach die Entschuldigung annehmen? Als ob das nicht schon schwierig genug war... „Ich entschuldige mich für das... Feuer und ich entschuldige mich dafür... dass ich nicht geholfen habe...“ Seine Stimme brach und er zitterte. Kyoko erbleichte und sie hielt sich eine Hand vor den Mund, ehe sie mit dem Kopf schüttelte. „Wir sollten uns setzen.“ Sie deutete zum Sofa und in der Dunkelheit des Raumes konnte er gerade so eine feuchte Spur auf ihrer Wange erkennen. Chiaki ging zu dem dunklen Sofa und setzte sich. Halluz-Maron war an seiner Seite, lächelte ihn süß an. Es war für eine Weile still im Zimmer. Chiaki war nicht gewillt das Schweigen zu brechen. „Sag mir, warum du denkst, dass es deine Schuld ist“, sagte Kyoko und ließ ihre Hände auf den Schoß fallen. „Ohje“, kommentiert Halluz-Maron. Seine Lippen pressten sich zu einem harten Strich zusammen. „Ich denke das, weil ich mich verantwortlich fühle.“ Nun zeigte er seine Gefühle, seine Wut und Bitterkeit offenkundig, während er sprach. „Ich war derjenige, der auf die Idee kam, dass wir Kerzen rausholen sollen... inmitten all dem leichtverbrennbaren Zeug drum herum.“ Seine Stimme wurde lauter. Chiaki stand auf, lief ein paar Schritte auf und ab und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. „Und dann habe ich nichts unternommen, um ihn zu helfen. Habe nur tatenlos zugesehen, dass er bei lebendigem Leib verbrannte.“ Er drehte sich zu Kyoko um. „Ist das nicht der Grund, wieso meine eigene Mutter mich ohne ein Wort verlassen hat? Weil sie meine Gegenwart nicht mehr länger ertragen konnte?“ Für einen Moment tat es gut, all diese Sachen ausgesprochen zu haben, doch direkt im nächsten Moment fühlte er sich mies und er setzte sich wieder auf das Sofa hin. „Sorry…“, murmelte Chiaki kaum hörbar und blickte starr zu Boden, traute sich nicht seiner Mutter in die Augen zu sehen. Halluz-Maron war mittlerweile von seiner Seite verschwunden. Minuten vergingen in der niemand was sagte und Chiaki war schon wieder dabei sich einen Fluchtplan zu überlegen. Einfach nach einem Gefühlsausbruch abhauen…warum nicht? Die Stille zog sich in die Länge. Er wurde sichtlich unruhig. Plötzlich war ein Schluchzen zu hören und seine Mutter rutschte näher zu ihn heran. „Oh Gott. Chiaki…“, wisperte sie, „Das Feuer hatte elektronische Ursachen.“ Der Satz brachte ihn aus dem Konzept. Chiaki zog verwirrt seine Augenbrauen zusammen, rückte von ihr weg. Doch sie rutschte weiter zu ihm hin und fuhr fort: „Ich habe dir nie die Schuld gegeben.“ Sie legte eine knochige Hand auf seinem Knie und blickte ihm in die Augen. „Du darfst dich nicht dafür verantwortlich machen. Kein bisschen.“ „Hör- Hör auf zu lügen“, brachte er zustande. „Ich lüge nicht“, sagte sie kopfschüttelnd, weinte noch mehr. „Und nach all den Jahren… du kannst das, was ich sage wahrscheinlich nicht nachvollziehen…aber gerade in diesem Moment fühle ich mich, als hätte ich den Tod mehr verdient als jemals zuvor-“ Abrupt stand Chiaki auf, wollte im Moment einfach nur weg von ihr. Er schoss auf die Tür zu, hörte noch ein erbärmliches „Warte, bitte geh nicht“ von seiner Mutter. Er ignorierte sie, riss die Tür auf, lief die Treppen nach unten und aus dem Gebäude raus. In einem Schwung hatte er sich in sein Auto geflüchtet. Schweratmend hob er seine Hand mit dem Schlüssel. Sie zitterte allerdings so stark, dass er den Schlüssel wieder fallen ließ. Er konnte hier nicht weg. Frustriert schrie er auf und raufte sich durch die Haare. Nach einigen Momenten kletterte er nach hinten und legte sich auf die Rückbank hin, schloss kraftlos seine Augen. Er stellte sich vor, dass er mit seinem Mädchen in seinem Bett war. Wie ihr warmer Körper sich an seinen schmiegte und er in ihre Haare lächelte. Innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen.   Irgendwann am Nachmittag schreckte Chiaki hoch, wachte wie üblich durch einen feurigen Albtraum auf. Mit zitternden Händen rieb er sich die Augen und atmete tief durch, versuchte sich von dem Traum zu erholen. Er brauchte dringend eine Zigarette. Ein Blick nach draußen sagte ihm, dass der Abend allmählich anbrach. Der Himmel ging in einem samtigen Violettton über. Chiaki kletterte zum Fahrersitz und schnappte sich seine Zigaretten und ein Feuerzeug aus dem Handschuhfach. Er stieg aus und zündete sie sich an. Während er einen tiefen Zug nahm, lehnte er sich an sein Auto an. Er hätte die Möglichkeit nutzen können, um zu gehen, jetzt wegzufahren und den ganzen Quatsch hinter sich zu lassen. Aber er tat es nicht. Konnte es nicht. Wenn er ehrlich mit sich war, war er neugierig über das, was seine Mutter gesagt hatte. Er wollte verstehen was damit gemeint war. Und warum sie ging, wenn sie ihm nie die Schuld für alles gegeben hatte. Es machte für ihn keinen Sinn. Alle die Jahre war er vom Gegenteil überzeugt gewesen. Und jetzt war jedes seiner Gedankengänge mit Fragen über Fragen gefüllt. Chiaki setzte sich auf einer kleinen Bank vor dem Wohngebäude hin, rauchte seine Zigarette und beobachtete ausdruckslos die Autos und Menschen. Auf einmal hörte er Schritte, die zögernd auf ihn zugingen. Er drehte sich zu seiner Mutter um. Sie hatte einen leeren und dennoch fragenden Blick in den Augen. „Ich hatte Angst, dass du gegangen bist“, sagte sie, knetete unsicher ihre Hände. Wortlos wandte Chiaki sich wieder der Straße zu und hob zur Antwort seine Hand mit der Zigarette. Kyoko setzte sich neben ihn hin. „Du solltest nicht rauchen“, sagte sie in einem missbilligenden Ton. Er schnaubte und lachte humorlos auf. „Wer bist du? Meine Mutter?“, entgegnete er. Welches Recht hatte sie denn schon, ihm zu sagen, was er machen soll und was nicht... Sie wusste es und sah geknickt auf ihren Schoß herab. Chiaki warf Kyoko einen unauffälligen Seitenblick zu. Sie sah aus wie ein Schatten ihrer Selbst. Glich in keinerlei Weise mehr der Frau, die ihn damals in den Schlaf gesummt hatte. Er konnte sie sich nicht in einer Küche oder den Haushalt machen vorstellen, selbst wenn er es versuche. Sie wirkte einfach wie eine wandelnde Leiche. Verspätet nahm er diesen bestimmten Geruch von ihr wahr und sah, wie sie kaum merklich schwankte. „Du bist betrunken“, merkte Chiaki säuerlich an. Will ihm eines besser über das Rauchen belehren und trinkt dabei selbst... kaum zu fassen! Sie schaute ihn an. „Ich wollte nicht, aber-… es... es war nicht viel...“, stammelte Kyoko leise, ihre Augen bekamen einen beschämten Blick. Er fragte sich insgeheim, wie oft sie „nicht viel“ hatte. Vielleicht war es nicht der passende Zeitpunkt für all seine Fragen, angesichts ihrer mangelnden Nüchternheit, aber die Stille machte ihn unruhig. „Warum?“, fragte er leise, brauchte die Frage gar nicht zu vollenden. Sie seufzte. „Ich weiß nicht, ob du es verstehen würdest...“ „Das ist eine Scheiß-Antwort.“ Er warf seine abgebrannte Zigarette weg. Seufzend drehte Kyoko sich zu ihm um. „Chiaki... Schau mich an“, bat sie ihn traurig. Er tat es. Sie machte den Mund auf, suchte nach Worte und deutete auf sich selbst. „Sieht das nach einer fähigen Mutter für dich aus?“, fragte sie und ihm entging der Selbstekel in ihrer Stimme nicht. „Ich bin ein Wrack. Ich trinke. Jeden Tag... Ich trinke jeden Tag, bis ich nicht mehr denken kann... bis ich bewusstlos werde. Manchmal finde ich mich in meinem eigenen Erbrochenem wieder... während ich mir den Tod wünsche, obwohl ich weiß, dass ich es nicht verdient habe.“ „Gut zu wissen, dass mein Hang zu Überdramatisieren erblich veranlagt ist“, kommentierte Chiaki tonlos. Sie zuckte zusammen. „Zumindest... wenn ich es tue, verletze ich niemanden außer mir selbst“, fügte er bitter hinzu und wandte sich wieder der Straße zu. „...Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass es mir leidtut?“, fragte Kyoko, worauf er schnaubte. „Damals dachte ich... bevor ich dir noch mehr weh tue, dass es besser ist, wenn ich gehe... Ich hatte keine Ahnung, dass du all die Jahre denken würdest...“, sie verstummte. „Mal sehen, ob ich das richtig verstehe-“ Er drehte sich zu ihr um, war angepisst. „Du gibst deine Rolle als Mutter einfach auf..., weil du mir nicht noch mehr wehtun wolltest?! Nein, nein, nein, nein, nein... Willst du mich verarschen?!“ Sie zuckte bei seiner lauter werdenden Stimme zusammen und verzog schmerzlich ihr Gesicht. „Du hattest drei Jahre nach dem Feuer durchgehalten... und dann gibst du einfach auf?!“, sprach Chiaki ungläubig weiter, „Und anstatt mir diese hirnverbrannte, erbärmliche Erklärung zu geben, verschwindest du ohne ein Wort... und erwartest ernsthaft von einem zehnjährigen Jungen, dass er es versteht?!“ Seine Wut steigerte sich mit jedem weiteren Satz. Reuevoll blickte Kyoko zu Boden. „Ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass du mir mit der Aktion mehr wehgetan hast, als du vermeiden wolltest?!“ Als hätten seine Emotionen all seine Kraft weggesaugt, stützte Chiaki seine Arme auf den Knien ab und vergrub sein Gesicht in seine Hände. Ihm wurde schlecht. All die Jahre verbrachte er damit sich selbst zu hassen, nur weil er sich sicher war, dass sie ihn hasste. Wäre er nie davon ausgegangen, dass seine Mutter -die Person, die ihn bedingungslos lieben sollte- ihn hasste, dann hätte er sich eines Tages für den ganzen Scheiß wahrscheinlich vergeben können. Er hätte glücklich und normal sein können...Nicht so kaputt wie jetzt. Diese Frau hatte ihm alles genommen... alles, wovon er der Überzeugung war, es nicht verdient zu haben. Er wollte das alles zurück. Er wollte weinen. Er wollte schreien. Er wollte was kaputt machen... Er wollte...   Er wollte sie fürs Trinken ermahnen, eines Besseren belehren und sich um sie kümmern, während sie sich besserte. Und irgendwie... brach alles zusammen. Sein Körper bebte unkontrolliert, seine Atmung ging unregelmäßig und er konnte die Tränen nicht zurückhalten. Er spürte eine Hand auf seinem Rücken, die versuchte ihm Trost zu spenden... doch es war ihm alles zu viel. All der Schmerz und all die Emotionen, der letzten sieben Jahre schlugen mit Gewalt auf ihn ein und überwältigten ihn. Sie legte ihre Arme um ihn, umarmte ihn und strich ihm beruhigend über den Rücken, während er weinte. Die Geste möge ihr Trost vielleicht geben, aber ihm bot sie überhaupt keinen an, ließ sein Herz unberührt. * Für eine unendlich lange Weile starrte Chiaki auf das leere Blatt Papier herab. Starrte auf die freie, weiße Fläche, die darauf wartete mit Worte gefüllt zu werden. Worte, die er nicht fand. Nicht finden konnte. Er schaute auf, als er ein lautes Geräusch aus dem Flur hörte. Schnell flitzte er raus. Seine Mutter war dort, lehnte sich träge gegen die Wand an und ihre Augen brauchten viele Momente, um seine zu treffen. Chiaki seufzte tief aus, ging auf Kyoko zu, hielt ihren Arm und half ihr ins Schlafzimmer am Ende des Flurs. „Ich wollte nicht... du... nicht hier. Geh“, nuschelte sie, stolperte über ihre eigenen Füße, während Chiaki sie stützte und ins Bett half. Er machte sich einen gedanklichen Vermerk auch das zu reinigen. Ihr dunkles Haar bedeckte ihr blasses Gesicht, als sie anfing was Unverständliches zu murmeln. „Du solltest nicht hier sein“, konnte er heraushören. Augenrollend drehte Chiaki sich um, machte das Licht aus und verließ den Raum, schloss hinter sich lautlos die Tür. Er kehrte zu seinem Platz auf dem Sofa zurück, auf welches er die letzten zwei Nächte geschlafen hatte. Decken und Kissen waren auf einer Seite gestapelt. Er nahm den Stift in die Hand, welcher auf dem Tisch lag und setzte ihn auf dem Blatt an. Tief atmete er ein und wieder aus, begann zu schreiben. Nachdem er fertig geschrieben hatte, verwarf er die Version direkt wieder, nahm ein neues Blatt und setzte den Stift erneut an. Dieses Mal waren die Worte schnell formuliert, er las sie sich nicht nochmal durch. Sorgfältig faltete Chiaki das Papierstück zusammen und schob es in einen Umschlag, versiegelte und frankierte es in einem Stück, bevor er seine Meinung noch änderte. Er ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Die frische Luft war ironischer Weise sehr angenehm. Gedankenlos lief Chiaki die Straßen entlang und hielt an einem Briefkasten an. Er schob den Umschlag in den schmalen Schlitz hinein, ließ es fallen und sah, wie es in der Dunkelheit verschwand. Er wusste, dass sein Versprechen brach... Aber, wenn er ehrlich mit sich war, so hatte er nicht erwartet, dass er es einhalten würde. So scheiße das auch klang. Er würde mit den Konsequenzen leben müssen. FORTY-NINE ---------- FORTY-NINE   Sechs Wochen später:   Geduldig saß Maron in dem Wartezimmer, starrte auf den kleinen, mit Magazinen gefüllten Tisch vor sich. Sie war die Einzige hier und das Einzige was zu hören war, war das Tippen der Mitarbeiterin beim Empfang und das Ticken der Uhr an der Wand. Die sollten sich hier eine Radio zulegen. Schließlich schwang die Tür zum Sprechzimmer endlich auf und Dr. Anzai kam raus. Es war das erste Mal, dass Maron sie richtig sah. (Das erste und letzte Mal war zu Neujahr gewesen.) Sie hatte schöne, schwarze Haare, die nach hinten zusammengebunden waren und ein junges Gesicht, auf welchem ein freundliches Lächeln haftete. Maron erwiderte das Lächeln nicht, stand jedoch von ihrem Sitz auf. „Miss...“ Dr. Anzai sah kurz auf ihr Klemmbrett. „Kusakabe.“ Sie lächelte sie an. „Maron. Ist es okay, wenn wir uns duzen?“ Maron zuckte mit den Schultern. „Ja.“ „Super. Du kannst mich ruhig Midori nennen, wenn du magst.“ Sie nickte und folgte ihr ins Büro. Midori nahm auf einem Sessel Platz, während Maron sich gegenüber von ihr auf das Sofa hinsetzte. „Wie geht es dir?“ Wortlos zuckte Maron wieder mit den Schultern. Midori schrieb sich kurz was auf und sah auf ihre Notizen. „Mal sehen...Du bist hier, weil Kaiki-…ich meine Dr. Nagoya angerufen und den Termin für dich gemacht hatte. In was für einem Verhältnis stehst du zu ihm?“, fragte sie immer noch mit einem Lächeln. Maron spürte, wie sich ihr Körper versteifte. Sie versuchte sich bestmöglich zu entspannen, räusperte sich. „Dr. Nagoya ist ein Freund der Familie“, antwortete sie ihr. „Okay.“ „Und... sein Sohn und ich hatten eine Beziehung...“, offenbarte sie leise. Midori nickte verstehend und schrieb sich wieder etwas auf. „Ihr wart in einer Beziehung?“, sagte sie beim Schreiben, „Und jetzt nicht mehr?“ Sie neigte fragend ihren Kopf. Mit fester Stimme und geballten Fäusten gab Maron ihr die verkürzte Version: „Er war vor sechs Wochen losgezogen, um seine Mutter zu finden und ist seitdem nicht zurückgekehrt.“ Es fiel ihr leichter über die Lippen, als erwartet und sie versuchte ihre Hände zu entspannen. „Ist nicht zurückgekehrt“, murmelte Midori schreibend. „Und ihr kommuniziert nicht mehr miteinander?“ Maron presste ihre Lippen zusammen, verkniff sich einen mürrischen Laut. „Ich hatte nicht erwartet, dass es um Chiaki geht“, sagte sie spitz. Ihre Blicke trafen sich. „Schau, Maron“, begann Midori seufzend zu sagen und kreuzte mit einem ernsten Gesichtsausdruck ihre Beine. „Dr. Nagoya sagte mir bereits, dass du schwierig sein kannst und ich versteh das.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber es gibt wahrscheinlich etwas, dass du über mich wissen solltest: ich nehme meinen Job ernst. Wenn ich eine Reaktion bei der Erwähnung von diesen Chiaki bekomme, befasse ich mich damit. Das ist mein Büro und wir werden die Dinge auf meine Art machen. Ich sitze hier mit dir zusammen, weil Dr. Nagoya mich darum gebeten hat. Aber ich habe kein Interesse daran jemanden zu zwingen mit mir zu sprechen. Es ist eine Verschwendung meiner kostbaren Zeit. Zeit, die ich damit verbringen kann, jemandem zu helfen, der es auch wirklich will.“ Mit einem ernsten Gesichtsausdruck deutete Midori auf die Tür. „Wenn du nicht hier sein willst, dann hält dich auch niemand auf zu gehen.“ Maron schwieg und starrte hinaus aus dem Fenster. Natürlich wollte sie nicht hier sein, aber ihre Füße bewegten sich nicht von der Stelle. Nach einigen Momenten seufzte Midori erneut und Maron drehte sich wieder zu ihr um. „Wie wäre es damit-“, sagte Midori in einem sanfteren Ton, „Wir reden heute miteinander und am Ende der Sitzung werde ich dir meine Einschätzungen geben. Wenn du glaubst, dass sie falsch sind oder bis Freitag immer noch Zweifel hast, dann brauchst du nicht wiederkommen. Okay?“ Maron fragte sich kurz, ob man ihre Abneigung über das Ganze stark ansehen konnte. Sie hatte durchaus Zweifel darüber, ob diese Frau ihr wirklich helfen konnte. Und wenn sie ehrlich mit sich war, so hatte Midori recht. Sie könnte ihre Zeit damit verbringen, jemandem zu helfen, dem geholfen werden konnte, anstatt sich mit ihr im Kreis zu drehen. Es war so oder so eine Zeitverschwendung. Aber sie erinnerte sich daran, dass sie ihre Gründe hatte heute hierherzukommen und daher auch nicht gehen würde. Obwohl sie kein Interesse an ihren Einschätzungen hatte und keine Lust hatte mit ihr über Chiaki zu reden, nickte Maron trotzdem und versuchte sich zu entspannen. „Also“, fuhr Midori fort, „Kommunizieren du und Chiaki miteinander?“ Maron versuchte sich ihren Frust wegzuschlucken. „Gar nicht“, antwortete sie ihr bitter, „Er kommuniziert mit niemanden. Anrufe gehen nicht durch und Nachrichten bleiben ungelesen und unbeantwortet… Das Einzige was ich in den letzten sechs Wochen an Kommunikation von ihm erhalten habe, war ein Brief.“ Sie erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen...der Moment als sie den Brief erhielt.   Sie hatte die erste Woche seit einer Abreise hinter sich gehabt. Noch immer befand sie sich in der Nagoya-Villa, war mit Natsuki und Shinji im Wohnzimmer am Chillen gewesen, während Kaiki in seinem Büro war. Seit Maron hier lebte, hatte sie mit ihm kaum geredet. Wenn höchstens ein „Hallo“, wenn sie sich im Flur oder auf den Treppen begegneten. Plötzlich klingelte es und Miyako’s Stimme war durch die Tür zu hören. „Maron!“ In dem Moment, als sie von der Couch aufstand, kam Kaiki die Treppen runtergelaufen und steuerte auf die Tür zu. Er machte sie auf und Miyako schoss an ihn mit einem schnellen „Hallo“ vorbei. „Miyako, hey“, kam es von Shinji verwundert, „Was machst du hier?“ Maron konnte sehen, dass Miyako etwas in ihrer Hand hielt, als sie das Wohnzimmer betrat und auf sie zuging. Einen Umschlag. Miyako hielt ihr den Umschlag entgegen, blickte ihr unsicher in die Augen. Zögernd nahm Maron ihn an und ihr Herz machte einen Sprung. Es stand kein Absender da, aber sie erkannte die Handschrift sofort. Hastig öffnete sie den Brief, ignorierte die vier Paar Augen, die auf sie gerichtet waren. Als sie den Brief rausnahm und entfaltete, brauchte sie nur drei Sekunden, um ihn zu lesen. „Maron. Ich liebe dich. Ich vermisse dich. Ich brauche mehr Zeit. Es tut mir leid.“ *  „Wie lange ist es her, seitdem du den Brief erhalten hast?“, fragte Midori. Maron presste sich ihre Lippen zusammen, während sie den vertrauten Schmerz in ihrer Brust spürte. „Vor fünf Wochen“, antwortete sie ihr leise. Vor drei Wochen hätte er zurückkommen sollen. Er sollte längst wieder da sein. Er hatte es ihr versprochen... Mit einem weiteren Nicken fuhr Midori fort. „Warum denkst du, ist er nicht zurückgekehrt?“ Maron zuckte mit den Schultern, sah wieder aus dem Fenster raus, während sie sich an das erste Gespräch erinnerte, dass sie mit Kaiki allein hatte.   Nervös stand Maron vor Kaiki’s Bürotür, die offen stand. Kaiki war über seinen Schreibtisch gebeugt, ging ein Stapel Papiere durch und tippte etwas an seinem Computer. Er wirkte konzentriert, wodurch sie es in Betracht zog, ihn zu einem anderen Zeitpunkt zu stören. Gerade als sie gehen wollte, sah Kaiki auf und ihre Blicke trafen sich. Verunsichert blickte sie die Treppen zum Obergeschoss hoch und drehte sich zu ihm zurück, lächelte ein schüchternes Lächeln. Er erwiderte das Lächeln. „Maron“, begrüßte Kaiki sie in einem warmen Ton, nickte ihr zu und lehnte sich langsam in seinem Schreibtischstuhl zurück. Sein Lächeln war warm und freundlich und seine Augen blickten geduldig in ihre. Maron realisierte, dass er ihr Zeit gab, um den Mut aufzubringen, reinzukommen. Es war lächerlich, dass sie sich schwertat. Schließlich lebte sie seit drei Wochen nun hier. Allerdings hatte sie in der Zeit auch nie das Gespräch mit Kaiki gesucht. Nach einer Weile überwand sie sich und trat durch die Türschwelle. Sein Gesicht erhellte sich bei ihrem Fortschritt. Sie ging auf den Ledersessel zu, auf dem sie damals nach dem Vorfall in der Schule schon mal gesessen hatte und nahm darauf Platz. Nun musste Maron nur noch den Mut aufbringen mit ihm zu reden. Sie war noch nie mit Chiaki’s Vater alleine in einem Raum, fiel ihr auf. Anstatt seiner Arbeit weiter nachzugehen, lächelte Kaiki sie nach wie vor freundlich und mit einem geduldigen Blick an. Maron atmete einige Male tief durch. „W-Wie... geht es dir?“, fragte sie leise. „Ganz gut, Maron. Wie geht es dir?“, antwortete er in einem herzerwärmenden Ton. Sie entspannte sich etwas mehr. „Den Umständen entsprechend“, murmelte sie. „Es tut mir leid, dass ich dich störe“, fügte sie hinzu. Ihr tat es wirklich leid, dass sie so viel von seiner Zeit in Anspruch nahm. Kaiki zuckte mit den Schultern, streckte sich etwas und lehnte sich mit beiden Händen hinter dem Kopf zurück. „Du störst nicht, Maron. Ganz ehrlich“, entgegnete er, „Wenn überhaupt, es ist eine willkommene Ablenkung von dem langweiligen Papierkram. Es ist nicht einfach ein Krankenhaus zu leiten.“ Er begann etwas Amüsantes über das Krankenhaus und seiner Arbeit zu erzählen, worauf sie leise kichern musst. Es war für einen weiteren Moment still, bevor Maron sich dazu entschied nicht mehr um den heißen Brei reden zu wollen und das anzusprechen, wofür sie hier war. „Ich will wissen wo Chiaki’s Mutter ist.“ Überrascht schossen seine Augenbrauen nach oben. „Darf ich fragen wieso?“, fragte Kaiki in dem allwissenden, elterlichen Ton, der sie nervte. Mit verengten Augen sah sie ihn an. „Findest du es nicht merkwürdig, dass Chiaki sich in den letzten drei Wochen nicht gemeldet hat?“ „Maron...“ Er schüttelte resigniert seinen Kopf. „Wenn Chiaki sich bei uns melden will, dann wird er es auch tun“, sprach er mit ruhiger Stimme. „Aber was ist, wenn er das nicht kann, weil etwas passiert ist?!“ „Was könnte passiert sein?“ „Nun, mal sehen...“, sagte Maron in einem sarkastischen Ton. „Autounfall, Überfälle, Gebäudesturz, plötzlicher Virusausbruch... Flugzeuge, die vom Himmel fallen. So ziemlich alles könnte passiert sein und wir würden es nie erfahren, Kaiki! Stört dich das nicht ein bisschen?“ Erneut seufzte er schwer, sah für einen Moment betreten nach unten und wieder zu ihr. „Tut mir leid, Maron, aber ich bin mir sicher, dass Chiaki seine Gründe hat.“ „Er hätte längst zurück sein sollen! E-Er hatte es mir versprochen.“ „Ich befürchte, dass Chiaki einfach noch nicht nach Hause will...“ „Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Maron ihn argwöhnisch. Kaiki rieb sich für einen Moment die Augen. „Seine Kreditkarte“, antwortete er ihr, „Ich kann den Aktivitäten seiner Kreditkarte folgen und in den letzten zwei Wochen sind einige Ausgaben vermerkt. Einige ungewöhnliche Einkäufe sind dabei, aber das meiste ist typisch für Chiaki: Essen, Zigaretten, Zeichenutensilien, Benzin...“ Diese Offenbarung brachte ihre Emotionen in einen Zwiespalt. Einerseits war sie erleichtert darüber, dass Chiaki scheinbar in Ordnung war. Andererseits - die Tatsache, dass er sie nicht kontaktierte, ließ sie mit einem Gefühl von Bedeutungslosigkeit in ihrer Brust zurück. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie krampfhaft zurückhielt. „Kann ich die Kontoübersichten haben?“, fragte Maron. Kaiki zog leicht verwundert eine Augenbraue hoch und nickte. „Ich leg dir eine Kopie morgens vor die Tür, okay?“, bot er an, worauf sie zustimmend nickte und sich erhob. „Kannst du mir was versprechen, Maron?“, sagte er plötzlich, bevor sie durch die Tür ging. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck drehte Maron sich um. Seufzend rieb Kaiki sich die Stirn. „Ich möchte, dass du anfängst die... Möglichkeit zu akzeptieren, dass er nicht zurückkehren könnte. Chiaki versucht seinen Platz in der Welt zu finden und das könnte hier bei uns sein... oder es könnte dort bei ihr sein. Du musst diese Möglichkeiten in Betracht ziehen... und dich darauf vorbereiten“, bat er sie mit einem betrübten Blick. Schnaubend verließ Maron sein Büro und rannt in den zweiten Stock hoch. Sie wollte ihm nichts sagen, was sie später vielleicht noch bereuen würde. Denn Chiaki würde nach Hause kommen. Sein Platz war hier. Bei ihnen.   Am folgenden Morgen fand Maron, wie versprochen, einen großen Umschlag vor der Tür. Sie schaute sich die Kontoübersichten genaustens an. Zigaretten, Zeichenbücher, Essen... Haushaltsutensilien, diverse Reinigungsmittel, Bettwäsche... Sie ging die Liste einige Male durch. Ihm musste es wohl wirklich gut gehen. Und es erschien ihr, dass Chiaki sich dort, wo auch immer er ist, niederließ. Womöglich hatte Kaiki recht. Es lag an Chiaki, herauszufinden, wo sein Platz auf der Welt war. Und wenn er nach Hause kommt, sollte es sich richtig für ihn anfühlen. Sie hoffte, dass er es bald herausfinden würde... * „Wie fühltest du dich, als du realisiertest, dass Chiaki vielleicht nicht zurückkommen würde?“, fragte Midori sanft. Maron atmete tief aus. „Zurückgelassen. Abgewiesen. Einsam. Unglücklich. Hilflos. Besorgt“, zählte sie murmelnd auf, vermied ihren Blick, „Keine Ahnung.“ Sie seufzte. „Erst vor kurzem habe ich gelernt diese Eventualität zu akzeptieren“, sagte sie abschließend mit einem Achselzucken. Sie und Kaiki hatten es mittlerweile zur Routine gemacht, dass er ihr jeden Sonntag eine Kopie von Chiaki’s Kreditkartenabrechnungen gab. Während die Wochen vergingen, fand Maron sich regelmäßiger in Kaiki’s Büro vor, führte mit ihm belanglose Gespräche, bevor er ihr die Dokumente gab. Irgendwann legte er ihr die Papiere einfach auf ihrem Sessel hin, aber sie blieb trotzdem für eine Weile, redete und spielte sogar eine Runde Schach mit ihm. Sie war Kaiki das zumindest schuldig. Dafür, dass sie in seinem Haus lebte und private Dokumente von ihm forderte. „Du siehst müde aus“, merkte Midori nach einigen ruhigen Momenten an, worauf Maron nur gleichgültig mit den Schultern zuckte. „Dr. Nagoya hatte erwähnt, dass du Schlafprobleme hast. Ist das wahr?“ Maron seufzte. „Ja…“ Da sie beschlossen hatte ehrlich zu sein, würde sie das auch bleiben. Solange diese Frau ihr eventuell am Ende dabei half das zu bewerkstelligen, wofür sie auch hier war (auch wenn Maron immer noch zweifelte). „Können wir darüber reden?“, fragte Midori. Als Antwort schüttelte Maron verneinend den Kopf. „Nun, worüber möchtest du denn reden, Maron?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Es gibt da etwas Spezifisches, worüber ich mit dir reden will…“, begann Maron zu sagen. Midori nickte. „Nun, da ist dieser begehbare Kleiderschrank…beziehungsweise Ankleidezimmer…“ Während die Wochen vergingen und sie nach wie vor Wut, Bitterkeit und Abweisung über Chiaki’s Abwesenheit verspürte, war gleichzeitig der Drang sehr groß in dieses kleine, verdammte Zimmer reinzukommen. Maron hatte es schon so oft probiert und schaffte es einfach nicht. Es hatte sie unzählige Versuche gekostet, allein die Klinke kurz anzufassen, ohne zu hyperventilieren. Doch den eigentlich Schritt, die Klinke runter zu drücken und einzutreten, bekam sie einfach nicht hin. Logisch gesehen, wusste sie, dass es da drin nichts gab, wovor sie Angst haben müsste. Es befand sich kein Monster dahinter, welche sie da drin einsperren würde. Sie wusste aus der Ferne bereits, wie es da drin aussah und sie wusste, dass es ein harmloses Zimmer war. Aber ihr Körper und ihr Verstand war nicht davon überzeugt. Reagierte mit Herzrasen und Schweißausbrüchen. Es brauchte Stunden, bis Maron sich von einem Fehlversuch beruhigen konnte und sie verbrachte den restlichen Tag damit dieses Zimmer zu verfluchen. Es war der einzige Ort, welches ihr den kleinen Einblick in Chiaki’s Leben verwehrte. Sie wollte sehen, was sich darin befand. Sich ein genaueres Bild machen und nicht nur von außerhalb der Tür. Sie wollte in den Kisten und Boxen, die sich darin befanden, reinschauen. Sie wollte… Sie wollte unbedingt Zugang in dieses Zimmer. Brauchte es. Genauso wie sie Schlaf und seine Zuneigung brauchte. „Ein Ankleidezimmer?“ Fragend legte Midori den Kopf schief. Maron nickte und gab ihr grob ihre Versuche das Zimmer zu öffnen und zu betreten wieder. Bei den Erinnerungen allein wurde ihr Herz schneller und ihre Atmung beschleunigte sich. Midori wartete, bis Maron sich beruhigt hatte, nachdem sie zu Ende gesprochen hatte. „Hast du Angst vor dem, was in dem Zimmer drin ist? Oder da drinnen gefangen zu sein?“ „Beides.“ Bei Midori’s fragenden Blick begann sie ihr alles zu erzählen, was in Osaka passiert war und wie sie anschließend nach Momokuri kam. Ein wenig war Maron froh, dass sie über die wesentlichen Einzelheiten sprachen und nicht über ihre Gefühle darüber. Letztendlich hatte sie doch noch die Schlafprobleme grob angerissen und erläutert. „Dein Vater“, setzte Midori an, während sie sich etwas aufschrieb. „In was für einem Verhältnis steht ihr jetzt zueinander, in Anbetracht dessen, dass du nun bei Dr. Nagoya wohnst?“ Maron verzog ihr Gesicht, als sie an ihre erste Konversation mit ihm zurückdachte, seit sie -im Grunde genommen- nebenan eingezogen war.   Es war Freitagnachmittag. Und Maron musste an dem Tag zu Fuß von der Schule nach Hause laufen, weil Miyako mit Yamato nachsitzen musste, weil die beiden zusammen im Abstellraum das Hausmeisters erwischt wurden. Und da das Universum sie hasste, fing es auch noch an zu regnen. Ihre schlechte Laune hatte damit ihren Tiefpunkt erreicht. Den ganzen Tag schon hatte sie Kopfschmerzen. Womöglich, weil sie heute Morgen ihre Tasse Kaffee vergessen hatte und ihr Körper jetzt nach Koffein schrie. „Soll ich dich fahren?“ Überrascht blieb Maron stehen und drehte sich um, sah den Wagen ihres Vaters am Straßenrand und ihn, mit offene, Beifahrerfenster zu ihr hingebeugt. Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und schüttelte stur den Kopf, ein paar nasse Strähnen fielen ihr ins Gesicht. „Musst du nicht auf Arbeit sein?“ „Ich bin grade für die Arbeit unterwegs und da muss ich sowieso kurz nach Hause.“ „Aha“, sagte sie nur. „Fahr ruhig. Ich laufe.“ Takumi ließ leider Gottes nicht locker. „Komm. Es sind noch um die dreißig Minuten Fußweg. Du erkältest dich sonst noch.“ Mürrisch blickte Maron gerade aus. Es war wirklich noch ein langer Weg, den sie vor sich hatte. Und sie war von oben bis unten bereits durchnässt. Selbst die Kapuze ihrer Jacke half nichts mehr. Fein...!, stöhnte sie innerlich auf. Trotzig ging Maron wortlos auf das Auto zu und stieg ein. Takumi fuhr los und sie wandte sich stur dem Fenster zu. Es herrschte unangenehmes Schweigen im Auto. „Ich hatte gehofft, dir irgendwie mal zu begegnen“, durchbrach er nach einer Weile die Stille. Ihr entging der traurige Unterton in seiner Stimme nicht. Maron sagte nichts. „Weißt du, Maron, obwohl ich in den letzten Wochen ein nervöses Wrack vor Sorge um dich bin, bleibe ich trotzdem geduldig und lasse dich nebenan wohnen. Das Mindeste, was du tun kannst, ist mir mit einem netten Gespräch entgegenzukommen“, sagte Takumi schwer seufzend, während er sich auf die Straße konzentrierte. Maron warf ihm einen scharfen Blick zu. „Worüber genau sollen wir reden? Vielleicht sollten wir damit anfangen, dass du dich nicht mal bemühst mich zu sehen. Besser noch - wir könnten auch darüber diskutieren, wie du meine Beziehung zu Chiaki zerstören wolltest. Aber das wäre kein sehr nettes Gespräch, nicht wahr?“ Takumi verzog bei ihrem kalten, gefühllosen Ton reuevoll sein Gesicht. „Du würdest mich doch nicht sehen wollen“, sagte er. „Ich weiß, dass ich einige schlechte Entscheidungen getroffen habe, als ich dir verboten habe Chiaki zu sehen. Es tut mir sehr leid und ich versichere dir, mir sind meine Fehler bewusst. Ich hoffe, du vergibst mir eventuell.“ Seine Entschuldigung ließ sie kalt. Maron verschränkte ihre Arme, war immer noch sauer. Es wurde wieder still zwischen ihnen. Nur das Trommeln des Regens auf das Auto war zu hören. Plötzlich hielten sie vor einem Café an. „Warte kurz“, sagte Takumi und stieg aus. Augenrollend stützte Maron schlecht gelaunt ihren Kopf an der Seite ab. War zum einen genervt darüber, dass er sie nicht einfach direkt nach Hause fahren konnte und zum anderen, weil sie immer noch Kopfschmerzen hatte. Wenige Minuten später kam ihr Vater wieder, mit einem Kaffeebecher in der Hand. „Hier”, sagte er und stellte den Becher im Getränkehalter zwischen ihnen ab. „Wie bitte?“ Mit einer Mischung von Verwirrung und Argwohn blickte Maron zwischen ihm und dem Becher hin und her, während er den Motor startete und wieder losfuhr. Takumi deutete mit dem Finger auf den Becher. „Der ist für dich“, sagte er nüchtern, als wäre es offensichtlich. „Seit gestern Abend hattest du keinen Kaffee mehr, richtig? Weshalb du jetzt wohl auch Kopfschmerzen hast.“ Maron’s Mund klappte auf. „Woher-…spionierst du mir nach?“ Seine Mundwinkel zuckten zu einem kleinen Lächeln nach oben. „Ich spioniere dir nicht nach, Maron. Ich bin dein Vater. Ich bin für dich verantwortlich. Denkst du wirklich, ich würde mich nicht um dein Wohlergehen sorgen?“ Daraufhin wusste sie nicht, was sie erwidern soll. „Ich weiß, dass du vorgestern die Treppe hoch gestolpert bist und nun einen großen blauen Fleck auf deinem Knie hast. Gestern hattest du einen Caesar Salat als Abendessen gehabt und in der Nacht nur drei Stunden geschlafen“, sprach Takumi weiter. „Woher-“, setzte sie wieder an und verstummte, war sichtlich überrascht. Denn alles was er wiedergegeben hatte, war korrekt gewesen. „Kaiki, Miyako, Sakura und Natsuki geben mir Updates über dich, wenn ich danach frage“, offenbarte Takumi. „Würde ich nicht wissen, dass du bei Kaiki vollkommen sicher bist, hätte ich schon längst eingegriffen“, fügte er hinzu. Fassungslos blickte Maron nach vorne aus der Windschutzscheibe raus, kochte innerlich. All die Zeit dachte sie, dass sie vollkommen unabhängig wäre, aber es stellte sich heraus, dass jeder für ihren Vater sie im Auge behalten hatte. Dass Takumi alles über sie und ihr Leben wusste, nervte sie immens. Es war lästig, ätzend... und irgendwie auch fürsorglich von ihm. Sie kamen endlich in ihrer Straße an. Ohne sich zu ihm umzudrehen oder zu verabschieden, stieg Maron wortlos aus dem Wagen aus, nahm dabei noch den Becher Kaffee mit. Es war noch heiß und wärmte ihre Hände angenehm auf. Unwillkürlich bildete sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen, als sie daran nippte. * „Und wie ist das Verhältnis zu ihm jetzt?“, fragte Midori, ohne von ihren Notizen aufzusehen. „Ich würde nicht sagen, dass es sonderlich gut ist“, erwiderte Maron trocken. „Ich ignoriere ihn nicht mehr und wir wechseln ein paar Worte, wenn wir uns sehen.“ Sie nickte verstehend. „Und wie sieht es mit Miyako und ihre Mutter Sakura aus? Wie ist das Verhältnis zu ihnen jetzt?“ Ohne zu zögern, erzählte Maron ihr, dass sie die beiden öfter sieht als ihren Vater. Es fiel ihr allmählich leichter mit Midori über solche Dinge zu reden. „Wir reden miteinander... und es hat sich eigentlich kaum was verändert“, sagte Maron. „Außer, dass sie mir immer noch Abstand geben“, fügte sie hinzu. „Gleichzeitig fragen sie immer danach, ob wir mehr Zeit wieder miteinander verbringen.“ Für einen Moment schwieg sie, biss sich auf die Lippe. „Aber wenn ich ehrlich bin... fange ich an dieses seltsame Gefühl von völliger Entfremdung von denen um mich herum zu verspüren und ich kann nicht genau sagen warum.“ Zugegeben – sie hatte sehr viel Zeit damit verbracht, in Chiaki’s Schlafzimmer sich einzusperren, während sie auf seine Rückkehr wartete. „Du fühlst dich also entfremdet von ihnen“, sagte Midori leise, die sich mit dem Stift aufs Kinn tippte und auf ihre Notizen herabsah. „Und deine anderen Freunde? Diese Natsuki hast du ein paar Male erwähnt.“ Maron räusperte sich. „Sie und Shinji sind vor zwei Wochen zusammengezogen und fangen mit der Uni an.“ Das Paar war sehr aufgeregt darüber...   „Kann ich helfen?“, fragte Maron zaghaft, stand vor Shinji’s offener Tür. Er und Natsuki packten gerade Klamotten in einen großen Karton ein. „Klar“, antwortete Shinji und zeigte auf seinen Schreibtisch. Die nächsten dreißig Minuten verbrachte sie schweigend damit, seine Bücher und Papiere in eine Kiste zu packen. „Das ist ziemlich viel Zeug“, murmelte sie. „Hmm-Mh“, nickte er nur. Viel zu viel..., dachte Maron sich säuerlich. Nach einiger Zeit drehte sie sich um. „Was ist mit Kaiki?“, fragte sie mit tonloser Stimme. Shinji begegnete ihren Blick mit einem verwirrten Ausdruck, während Natsuki seine Sachen ungestört weiter einpackte. „Was soll mit ihm sein?“ Ihre Hände ballten sich an den Seiten. „Du gehst und lässt ihn hier allein.“ Ihr war klar, dass er zu Uni gehen und einen neuen Lebensabschnitt starten wollte, aber sie konnte die aufkeimende Wut in ihr nicht unterdrücken, über die Tatsache, dass jemand anderes dieses Haus verließ. Shinji schüttelte seinen Kopf. „Ich muss gehen, weißt du? Kaiki wird es gut gehen und wir werden weiterhin in der Nähe sein. Es wird also nicht so sein, dass wir für immer weg sind“, versuchte er Maron zu beruhigen, aber etwas in seinen Worten ließ ihre Wut nur weiterwachsen. „Ach. Dachtest du das auch, als du Chiaki sagtest, dass er gehen soll? Weil du da offensichtlich falsch lagst.“ Ihre harten Worte trafen ihn. Er zuckte sichtbar zusammen und erblasste. Natsuki starrte sie entsetzt an. Maron hatte es ihr nie offenkundig gezeigt, aber ein kleiner Teil von ihr machte ihren Freund für Chiaki’s Abgang verantwortlich. „Hör zu. Ich habe ihm nie gesagt, dass er gehen soll“, sagte Shinji, seine Stimme schwer mit Reue gekennzeichnet. „Nein, aber du bist derjenige, der ihm die Idee gegeben hat! Du bist der Grund, warum er gegangen ist!“, fuhr Maron ihn wütend an. Mit den Worten stürmte sie aus Shinji’s Zimmer raus und flüchtete sich in Chiaki’s. Einige Zeit später klopfte Natsuki laut gegen die Tür und platzte ins Zimmer rein, knallte die Tür hinter sich wieder zu. „Was zum verdammten Teufel glaubst du, wer du bist?!“ Maron schluckte. Sie hatte Natsuki noch nie so wütend gesehen. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie schuldig er sich über die ganze Sache bereits fühlt? Und dann musstest du ankommen und machst es noch schlimmer!“ Natsuki ging auf Maron zu, die auf dem Bett saß, sich beschämt auf die Lippe biss und ihren Blicken auswich. „Wenn du das alles nicht zurücknimmst und dich entschuldigst bis morgen, dann werde ich es dir nicht verzeihen, Maron!“ Maron nickte stumm und vergrub ihr Gesicht in das Kissen, was sie umarmte. Begann zu weinen. Sie wusste nicht, was in sie gefahren war. Ihre Emotionen gingen mit ihr durch. Natsuki’s Gesicht besänftigte sich und sie setzte sich seufzend neben Maron auf die Bettkante hin. „Sorry“, murmelte sie. „Ich mag es nur nicht, wenn man meinen Freund falsch behandelt.“ Maron nickte verständnisvoll und entschuldigte sich bei ihr mit schwacher Stimme. Natsuki akzeptierte die Entschuldigung und umarmte sie innig. Später in der Nacht hatte sie Shinji einen Entschuldigungsbrief geschrieben und es ihm unter die Tür geschoben - war zu beschämt ihm ins Gesicht zu sehen. Gleichzeitig war es auch ein Abschied. * Midori sah sie für eine lange Weile mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck an, nachdem sie zu Ende erzählt hatte. Maron fühlte sich unter ihrem Blick sichtlich unwohl, spielte mit ihren Fingern und rutschte nervös auf dem Sofa hin und her. „Warum bist du hier, Maron?“, fragte sie nach drei Minuten Schweigen, ihr Gesicht blieb unverändert. Maron zog ihre Augenbrauen leicht zusammen. „Ich will in das Ankleidezimmer rein“, antwortete sie wahrheitsgetreu. „Nein“, schüttelte Midori ihren Kopf. „Ich möchte, dass du mir den genauen Moment sagst, als du deine Entscheidung getroffen hast hierherzukommen. Lass dabei nichts aus“, bat sie sie. Maron rollte mit den Augen, tat jedoch wie ihr geheißen und gab ihr die Konversation wieder, die sie mit Kaiki vor drei Tagen hatte.   Es war Sonntag. Maron hatte sich wie gewohnt auf ihrem Platz in Kaiki’s Büro hingesetzt, begrüßte ihn höflich und lächelte sogar etwas, worauf er freundlich zurück lächelte. Insgeheim hatte sie jedoch mal wieder einen schlechten Tag. Keiner ihrer Freunde hatte heute Zeit für sie. Und da es nicht viel gab, womit Maron sich beschäftigt halten konnte, hatte sie letztendlich viele Stunden vor der verfluchten Tür des Ankleidezimmers verbracht und sich gewünscht, dass sie diese irrationale Angst überwinden konnte. Immer wieder versuchte sie es und gab jedes mal auf. Ein verdammter Teufelskreis. Schließlich funkelte sie die Tür für eine lange Weile an, ehe sie sich dazu Zwang aus dem Zimmer raus zu gehen und nach Kaiki’s Gesellschaft zu suchen. Mit der Hoffnung, dass ein Gespräch mit ihm sie vielleicht ablenken würde. Kaiki war wie immer an seinem Schreibtisch vor dem Computer, hatte einen Stapel Papiere vor sich. Den Umschlag mit den Dokumenten hatte er, wie gewohnt, für sie auf ihrem Sitz hingelegt. Maron legte es immer auf der Armlehne beiseite, schaute es sich erst im Zimmer an. Diese Dokumente waren das Einzige, was ihr einen Einblick in Chiaki’s unbekanntes Leben gab. Sie ging die Liste seiner Ausgaben durch und stellte sich vor, was er machte. Fragte sich, was er machte. Es war erbärmlich, aber es war allerdings auch das Einzige in der Woche, worauf sie gespannt war. „Du siehst müde aus.“ Kaiki’s seufzende Stimme riss sie aus den Gedanken. Er wirkte enttäuscht über ihren Mangel an Schlaf. Maron brachte nur ein gleichgültiges Schulterzucken entgegen, vermied seinen Blick. Sie schlief nur, wenn es absolut notwendig war. Er strich sich einmal durch die Haare. „Es ist erschreckend, wie ähnlich ihr beide euch seid.“ Auch wenn sie wusste, was er damit meinte, kam Maron nicht drum herum ihn beleidigt anzuschauen. „Ich bin nicht wie Chiaki“, beharrte sie. Vielmehr war sie das Gegenteil von ihm. Sie war zwar schüchtern und zurückhaltend, aber sie war weder grob noch kaltherzig zu anderen Menschen. Sie hatte zwar Albträume, die sie wachhielten, aber sie rauchte nicht oder nahm Drogen, um ihnen zu entkommen. Sie mochte es, allein in seinem Zimmer zu sein, aber sie verbrachte ihre Zeit nicht damit, sich an die Vergangenheit zu klammern. Nicht wahr? Kaiki blickte Maron entschuldigend an, ehe er begann zu erläutern: „Nicht ganz, aber ihr seid in vielen Aspekten vergleichbar. Ihr Beide habt die gemeinsame Angewohnheit Schlaf zu vermeiden, aber das ist das Offensichtlichste. Ihre beide seid lieber allein, als in der Gesellschaft von anderen. Ihr Beide seid besessen davon, unabhängig von jeglicher Hilfe zu bleiben. An manchen Tagen, wenn ich dich in seinem Zimmer höre, ist es fast so, als wäre er nie weggegangen.“ Mit verengten Augen begegnete Maron seinen Blick. „Das macht uns trotzdem nicht gleich.“ Kurz schürzte Kaiki nachdenklich die Lippen. „Du bist ihm aber von Tag zu Tag ähnlicher“, sagte er, „Unter anderem ist niemanden entgangen, dass du komplett aufgehört hast zu kochen. Was mal zu deinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte.“ Sie blinzelte ihn leicht konfus an. Das war ihr gar nicht aufgefallen. „Shinji vermisst deine Kekse“, merkte er mit einem leichten Kichern an und wurde anschließend wieder ernster. „Deine Freundinnen sprachen auch davon, dass du nicht hundert Prozent du selbst bist.“ Hatte er recht? Wurde sie wirklich zu dieser bitteren Person, die Chiaki verkörperte? Am Arsch!, dachte Maron sich. Ich bin besser! Davon war sie überzeugt. Sie war eine ehrliche Person und wenn sie ein Versprechen machte, dann würde sie es auch halten. Versprechen waren schließlich dazu da, gehalten zu werden und beruhten auf das Vertrauen zweier involvierte Menschen. Chiaki hat sein Versprechen gebrochen. Er hatte ihr Vertrauen demnach nicht verdient. Dementsprechend würde auch sie ihr Versprechen, dem sie ihm gegeben hatte, brechen. Maron blinzelte sich die bitteren Tränen weg und blickte Kaiki direkt in die Augen. „Was ist, wenn ich etwas tue, was uns voneinander unterscheidet?“, fragte sie mit ruhiger Stimme, „Was ist, wenn ich Hilfe will?“ Kaiki’s Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen. „Was ist, wenn ich eine Therapie will?“ Nun gingen seine Brauen überrascht nach oben und ein Anflug von Begeisterung war in seinen Augen zu sehen. „Ich nehme an, dass würde dich von Chiaki unterschieden“, sagte er und bestätigte damit ihre Annahme. Kaiki schien sich seine Freude über ihre Entscheidung bestmöglich verkneifen zu wollen, was ihm jedoch nicht gelang. Maron räusperte sich. „Okayyy“, sagte sie langgezogen, „Was schlägst du vor?“, fragte sie und setzte ein Lächeln auf. „Oh“. Kaiki überlegte für nicht mal eine Millisekunde, ehe er sein Handy in die Hand nahm und wie ein Wasserfall sprach. „Ich kenne einige Kollegen, die spezialisiert sind mit Konditionen, wie deinen. Und ich habe auch direkt jemand in Betracht gezogen, die zu dir passen könnte. Eine Frau natürlich. Und-“ „Warte!“, stoppte sie seinen Redefluss. Kaiki hielt inne, sah Maron an und grinste. „Entschuldige meine Überstürzung. Es kam nur ziemlich unerwartet und ich hatte die Befürchtung, dass du deine Meinung in der nächsten Sekunde ändern würdest.“ Er rieb sich verlegen den Nacken „Natürlich solltest du dir die Zeit nehmen, um es dir genaustens zu überlegen.“ Maron erwiderte sein Grinsen mit einem Lächeln, als sie realisiert, worüber er sich wirklich freute. Nicht nur, würde sie endlich das machen, worauf er und ihr Vater gewartet haben - ihm wird auch noch die Möglichkeit geboten, jemanden zu helfen. Etwas, was Chiaki ihm nie gewährt hatte. Nun würde sie die Person sein, der er helfen konnte. Was ihren Entschluss nur noch mehr festigte. Sie würde anders und besser sein. „Ich bin mir sicher“, versicherte Maron ihm. „Ich werde es durchziehen.“ Nickend versuchte Kaiki sein erfreutes Lächeln zu verstecken. „Und ich vertraue darauf, dass du die richtige Person findest“, fügte sie hinzu, nahm ihren Umschlag und stand auf. Allmählich merkte sie, wie ihre Nerven über die ganze Sache doch auf Hochtouren gingen. „Würde es dir was ausmachen... wenn du das alles für mich einrichtest?“, fragte sie unsicher. Mit einem zuversichtlichen und zugleich stolzen Lächeln nickte Kaiki. Und erneut realisierte Maron, dass er stolz über ihre Entscheidung, über ihren Fortschritt sein musste. Etwas, was er bei Chiaki bisher nicht erleben konnte. Und sie konnte ihm ansehen, dass er wirklich erleichtert darüber war, ihr in irgendeiner Weise helfen zu können. Maron wollte sich sowieso in irgendeiner Weise bedanken, dass sie so lange in seinem Haus wohnte – und es erschien so, dass sie sich damit revanchieren konnte. * Midori lächelte auf ihre Notizen herab. Maron konnte das Lächeln nicht deuten. Sie sah auf die Uhr. Eigentlich wäre ihre Sitzung vor zehn Minuten zu Ende gewesen und sie konnte es kaum erwarten ins Bett zurückzukehren und sich nochmal die aktuellen Kreditkartenabrechnungen anzusehen. Sie las sie sich öfter in der Woche durch. „Okay“, kam es von Midori, die die Beine übereinanderschlug und sie ansah. „Ich bin bereit für meine Einschätzungen.“ „Nur zu“, erwiderte Maron trocken, mit einer einladenden Handbewegung, fragte sich gleichzeitig, wie lange das wohl noch dauern würde. Mit einem eindringlichen und gleichzeitig ernsten Ausdruck schaute Midori ihr in die Augen. „Du wirst dich nicht bessern“, sagte sie schlichtweg. Maron klappte entgeistert der Mund auf, wollte protestieren, doch sie hielt stoppend eine Hand hoch. „Lass mich zu Ende reden“, befahl sie in einem sanfteren Ton. Mit einem mürrischen Blick schloss Maron ihren Mund. „Du wirst dich nicht bessern, weil du es nicht für dich tust. Du bist hier, weil du Chiaki eins auswischen wolltest, indem du dein Versprechen mit ihm brichst und um seinem und deinem Vater eine Freude zu machen. Aber du tust es nicht für dich.“ Midori lehnte sich etwas nach vorne, worauf Maron sich zum Fenster drehte, um ihren Blick auszuweichen. „Diese ganze Besessenheit, die du mit dem Ankleidezimmer hast, ist nur eine Manifestation deiner Gefühle zu Chiaki.“ Bitte was?!, ging es Maron irritiert durch den Kopf. Ernsthaft? Das war einfach nur psychopathisches, hirnrissiges Geschwätz. „Sein Zimmer steht symbolisch für ihn und das Ankleidezimmer da drin ist diese eine kleine Nische, die du nicht betreten kannst. Es ist wahrscheinlich vergleichbar mit dem Teil seines Herzens, welches für seine Mutter reserviert ist, aber darauf will ich nicht näher eingehen“, winkte Midori mit einer Handbewegung ab. Gott sei dank, rollte Maron sichtbar genervt mit den Augen. Konnte sie nicht einfach nur in dieses verfluchte Zimmer wollen? Und diese Frau würde ihr sonst irgendeine Psycho-Methode als Lösung anbieten? Mehr verlangte sie nicht! „Du willst alle anderen dafür verantwortlich machen, dass er gegangen ist, weil du daran gewöhnt bist. Du kannst Noyn die Schuld für alles geben, was mit dir nicht stimmt. Alles. Außer, dass du Chiaki verloren hast. Stattdessen entscheidest du dich, den Nächstbesten die Schuld zu geben, während du die Tatsache ignorierst, dass niemand Schuld hat“, fuhr Midori fort, lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Maron schluckte, mied weiterhin ihren Blick. „Du fühlst dich entfremdet, weil du dich selbst von allen um dich herum entfremdest. Für einen kurzen Zeitraum lässt du sie an dich heran, blockst aber ab, aus Angst diejenigen, die du liebst zu verlieren. So wie Chiaki.“ Maron strich sich ihre Haare nach hinten und war aufgestanden. Sie konnte diesen Einschätzungen nicht widersprechen, aber sie wollte sich den ganzen Quatsch, was sowieso nichts mit dem Ankleidezimmer zu tun hatte, nicht länger anhören. Mit hochgezogener Augenbraue stand Midori ebenfalls auf, seufzte, ging zu ihrem Schreibtisch und holte sich einen Keks aus einer gläsernen Keksdose raus. „Keks?“, fragte sie, nachdem sie einen in den Mund nahm und einen weiteren Maron entgegenhielt. Diese runzelte nur die Stirn und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Die täglichen Kekse, die du einst gemacht hast, waren ein Ausdruck deiner Kameradschaft zu anderen Menschen. Es war etwas Spezielles für dich und obwohl du es vielleicht nicht erkennst, war es umso spezieller für die um dich herum. Die Kekse waren, wie eine Brücke zu deinen Mitmenschen gewesen, die du geschaffen hast. Und ohne diese Brücke, hast du keine Möglichkeit, dich mit ihnen in Verbindung zu setzen oder ihnen zu zeigen, wie du dich fühlst. Deshalb fühlst du dich so entfremdet.“ Ein letztes mal sah Maron das kleine Grinsen auf Midori’s Gesicht, ehe sie aus dem Büro stürmte. Diese Frau hatte doch einen Knall! Aber was will man auch von Psychologen erwarten. Sie wollte doch nur in dieses Zimmer! Das hatte in keinerlei Weise etwas mit Chiaki zu tun!   In der Nacht lag sie hellwach im Bett, war völlig unruhig und zappelig. Lesen lenkte sie nicht ab. Die ganze Zeit verspürte sie so ein Bedürfnis, welches ihr in den Fingern juckte. Sie lief aus Chiaki’s Zimmer raus und schoss im Dunkeln die Treppen herunter. In der Küche angekommen, suchte sie mit zitternden Händen den Lichtschalter. Nachdem sie alles erhellt hatte, begann Maron alle Schränke und Schubladen zu öffnen, holte Töpfe und Pfannen raus. Aufgelöst suchte sie nach etwas, fand es jedoch nicht, was ihren Frust und ihre innere Unruhe noch mehr in die Höhe trieb. Erneut ging sie alle Schränke fieberhaft durch, holte alles geräuschvoll raus. Erschrocken schnappte sie nach Luft, als sie Kaiki in der Tür stehen sah, der verschlafen sich die Augen zusammenkniff. „Was in aller Welt hat diese Aufruhr hier unten zu bedeuten?“, fragte er. Maron hätte normalerweise ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie ihn geweckt und die Ruhe im Haus gestört hatte, aber sie hatte gerade andere Probleme. „Warum ist hier kein Backblech?!“, platzte es aus ihr heraus. Kaiki rieb sich verwirrt die Augen. „Wie bitte?“ „Ein Backblech, Kaiki! Du hast keins!“ Frustriert wandte sie sich wieder den Schränken zu, suchte nach einem Ersatz, um darauf zu backen. Wie konnte es sein, dass es in dieser Küche kein Backblech gab? Wie konnte sie in einem Haus gelandet sein, welches keins besaß? Maron war so in ihrer Tätigkeit versunken gewesen, dass sie gar nicht mitbekam, wie Kaiki sein Handy herausholte und einen Anruf tätigte. In dem Moment, als sie aufgeben und wieder ins Zimmer hochgehen wollte, schreckte sie beim Klingeln der Haustür hoch. Kaiki machte auf und zu ihrer Überraschung kamen ihr Vater mit einer großen Box in den Armen, gefolgt von Sakura, die eine Tüte in den Händen hielt. „Hier.“ Mit einem Klappern stellte beide die Sachen auf die Arbeitsfläche ab. „Ich habe mit Sakura’s Hilfe noch ein bisschen Zeug dazugetan“, sagte Takumi an Kaiki gerichtet, der Maron immer noch einen besorgten Blick zuwarf. Maron unterdessen öffnete die Box und lächelte erleichtert. Sie hatten ihr alles mitgebracht, was sie zum Keksebacken bräuchte. Mit einem verlegenen Lächeln bedankte sie sich bei beiden. „Keine Ursache“, sagte Sakura leicht gähnend, die sich mit den Männern am Tresen hingesetzt hatte. Für die nächste halbe Stunde begann Maron in der Küche zu arbeiten, während die drei Erwachsene ihr schweigend dabei zusahen. Es war ein angenehmes Schweigen im Raum. Die Geräusche der Küchengeräte und der Duft der aufbackenden Kekse erfüllten sie mit einem vertrauten und zugleich beruhigenden Gefühl in der Brust, welches sie seit langem nicht mehr verspürt hatte. Als die Kekse schließlich fertig waren, holte Maron sie raus und gab den Erwachsenen jeweils ein Stück. Es störte niemanden, dass sie noch heiß waren. Sie fühlte sich auf jeden Fall besser. Auch nachdem alle sagten, dass die Kekse ausgezeichnet schmeckten. Maron war sich sicher, dass Midori das in ihrem Kopf eingepflanzt haben musste. Und irgendwie war sie ihr auch dankbar dafür, denn das leere Empfinden in ihrer Brust war nicht mehr so ausgeprägt. Maron setzte sich zu den Erwachsenen am Tresen dazu, versuchte bestmöglich die Verbindung zu ihnen wieder aufzubauen, wie sie konnte. Alle waren höchst erfreut, als sie ihnen mitteilte, dass sie am nächsten Tag Midori zu einer weiteren Therapiesitzung wiedersehen wollen würde. * In den folgenden Tagen hatte Midori mit ihr ausgemacht, dass sie mindestens zweimal die Woche nach der Schule eine Sitzung mit ihr durchführen sollte. Zusammen gingen sie auch die Abschnitte ihres Lebens vor dem Vorfall in Osaka durch und arbeiteten sich langsam zur Gegenwart hin. Wie Kaiki, war Midori sehr geduldig und zeigte auch nie das Bedürfnis Maron triggern zu wollen. Die Therapiestunden mit ihr waren vollkommen anders, als sie sich sowas ausgemalt hatte. Es gab Dinge, die Maron schon befürchtet hatte, wie die Einnahme von Medikamenten, die ihre innere Unruhe und Ängste mindern sollen. Zum Ende einer Sitzung bot Midori ihr auch an Selbstverteidigungskurse zu nehmen - einfach zum Aufbau der allgemeinen Stärke und des Selbstbewusstseins und würde ihr sogar eine Leiterin empfehlen, zu der sie hingehen könnte. „Okay“, stimmte Maron nur zu, ehe sie das Büro verließ und sich nach Hause begab. Es wurde wärmer. Der Winter war längst vorüber und der Frühling brach überall durch. Die Bäume wurden wieder grüner und Blumen brachten Farbe in die grünen Gräser. Gähnend hielt Maron sich eine Hand vor den Mund, während sie Heim ging. Sie hatte die letzten drei Tage nicht geschlafen. Womöglich müsste sie versuchen, für zwei bis drei Stunden die Augen zu zu bekommen. Bei den Nagoya’s angekommen, blickte Maron auf die leere Stelle rüber, wo sonst Chiaki’s Auto immer stand. Die Leere, die durch seine Abwesenheit verursacht wurde, war zwar abgeschwächt, aber nach wie vor existent. Seufzend schloss sie ihre Augen, als sie reinging. Stellte ihn sich neben sich vor, wie er sie reinführte. Seinen Arm auf ihrem Rücken, die Wärme, die er ausstrahlte und ihr Geborgenheit gab. Aber es half alles nichts. Er war fort. FIFTY ----- FIFTY   Maron,   Ich hatte eins Mal die Vorstellung gehabt, dass du mit mir hier wärst. Hier, in dem Ort, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Aber du bist nicht bei mir. Ich vermisse dich. Du fehlst mir.   Ich will dich hier, jetzt, bei mir, mehr als ich dich jemals irgendwo wollte. Ich will dich. Ich will, dass du mir gehörst. Ich will dich fragen, ob du mein bist. Und ich will, dass du „Ja“ sagst. Es ist witzig, aber gleichzeitig auch nicht, wie ich vor nicht allzu langer Zeit dich mein gemacht habe. Bevor wir uns geküsst haben. Ich hatte es einfach getan, unüberlegt. Und dann, nachdem wir uns geküsst haben, wolltest du, dass ich dich zu mein mache. Ich hätte dich fragen können „Bist du mein?“ und du hättest „Ja“ gesagt.   Aber ich kann dich das jetzt nicht fragen. Oder ich könnte, aber ich würde nicht mehr wissen, was du antworten würdest. Und ich wäre auch ein zu großer Feigling. Weshalb ich dir das schreibe, auch wenn du es nie lesen wirst. In der Hoffnung, dass ich diese Gedanken austreiben kann. Bist du mein? Oder sind wir nur zwei abgefuckte Idioten, die einander Versprechungen machten, die wir nicht halten würden?   Du bist nicht mein. Ich habe kein Recht dazu. Aber gerade jetzt fühle ich mich, als würde ich alles dafür geben, um dich zu haben. Du bist wie eine Droge in meinem System. Süß, wie eine verbotene Frucht, bei der man immer mehr will. Aber ich habe nach dieser Entscheidung kein Recht dazu.   Dein Chiaki ...Immer noch * Sonnenlicht kam gefiltert durch den offenen Spalt der schweren Vorhänge rein und badete das Sofa in einem staubigen Strahl. Chiaki schloss schnell seine Augen, als er Schritte hörte, die sich der Haustür näherten. Er behielt seine Atmung ruhig und wusste, dass seine Mutter davon ausging, dass er schlief. Das tat er immer, wenn sie die Wohnung am Morgen verließ. Schlaf vortäuschen. Er wusste, wohin sie ging und er hatte sie auch nur einmal aufgehalten. Fast hätte er sich gewünscht, es nicht getan zu haben. An dem einen Tag hatte er sie dazu gezwungen 24 Stunden ohne Alkohol auszukommen, aber ihr Körper war so abhängig von dem Zeug geworden, dass der Entzug sie handlungsunfähig machte. Sie konnte ihr Glas Wasser nicht heben, ohne das es zitternd über den Rand schwappte und sie konnte den Inhalt nicht einmal runter bekommen, wenn sie es versuchte zu trinken. Weshalb er es aufgab, sie am nächsten Morgen gehen ließ und so tat, als würde er schlafen. Seit acht Wochen war Chiaki nun bei ihr in Yokohama. Sein Verhältnis zu Kyoko war im besten Fall empfindlich. Im schlimmsten Fall nicht existent. Er versuchte sich um sie zu kümmern, doch sie stieß ihn ständig weg und verlangte, dass er ging, damit sie -in ihren Worten- in Ruhe verrotten konnte. Es war das Erbärmlichste, was er je gesehen hatte. Sie hatte nicht gelogen, als sie ihm erzählte, dass sie ihre Tage damit verbrachte, sich in Vergessenheit zu trinken. Er blieb nicht, um ihr dabei zu zusehen, wie sie verkümmerte. Er blieb, weil er ihr helfen wollte. Um eventuell das Leben mit ihr zu bekommen, welches er sich so lange erhofft hatte und weil er daran glauben wollte, dass diese Frau, zu der er aufgesehen hatte, immer noch irgendwo in dieser traurigen Hülle steckte. An dem Tag, als Chiaki den Brief an Maron abgeschickt hatte, war es, als war ein Stück seiner Seele mitgestorben. Nicht nur, hatte er sein Versprechen an sie gebrochen – er wusste nicht mal, wann oder ob er jemals wieder nach Momokuri zurückkehrte. Er konnte sich vorstellen, wie sie den Brief las und er hasste sich dafür, dass er ihr Herz gebrochen hatte. Ein kleiner Teil von ihm fragte sich gleichzeitig, ob sie ohne ihn nicht besser dran war. Schließlich war er immer derjenige gewesen, der sie davon abgehalten hatte besser zu werden. Hatte sie im Grunde genommen vor ein Ultimatum immer gestellt, wenn sie es in Erwägung gezogen hatte einen Therapeuten zu sehen. Rückblickend war es von ihm womöglich auch unverzeihlich, sie so zu kontrollieren und an sich zu binden und er hoffte, dass sie nicht auf ihn hörte. Insbesondere, weil er nicht mehr bei ihr war. Chiaki versuchte diese Gedankengänge nicht mehr weiter fortzuführen. Denn die Vorstellung allein, dass Maron eventuell jemand besseres fand, konnte er nicht ertragen - obwohl er wusste, dass sie es verdient hat. Sie hat Besseres verdient. Das ganze Fiasko bewies es doch nur. Er wusste nur nicht, ob er wollte, dass sie es auch realisierte.   Nachdem er sich dafür entschieden hatte bei seiner Mutter zu bleiben, hatte Chiaki seine Kreditkarte genommen und erstmal alles Mögliche eingekauft, um die Bruchbude, in der sie lebte, auf Vordermann zu bringen. Es war falsch dafür Kaiki’s Geld zu nutzen, aber davon hatte er sowieso genug. Irgendwann würde Chiaki es ihm auf jeden Fall zurückzahlen wollen. Er kaufte Kyoko Essen und zwang sie zu essen, denn das tat sie auch zu wenig. Er hatte ihre Wohnung sauber gemacht, hatte dafür Tage gebraucht. Sie beharrte darauf, dass er aufhören sollte, aber nachdem sie erkannte, dass er nicht hören würde, bot sie kleinlaut an ihm zu helfen – was er immer ablehnte. Für einen Moment hatte Chiaki es in Erwägung gezogen sie woanders hinzuziehen, aber so eklig wie dieser Ort auch war, seine Mutter schien sich hier wohl zu fühlen. Nach einiger Zeit hatte er Boden, Wände und Möbel so stark gereinigt, dass es fast wieder bewohnbar aussah. Neue Bettwäsche, Decken und Kissen hatte er ihr auch geholt. Das Schlimmste war das Bad. Augenrollend musste er sich ihre Entschuldigungen anhören, während er die Fliesen schrubbte und von den schleimigen Substanzen dazwischen befreite. Er wollte nicht wissen, was sich über die Jahre alles darauf festgesetzt hatte. Nach zwei Wochen war er halbwegs zufrieden mit der Wohnung. Die nächste Aufgabe war sie wieder sauber zu bekommen. Es war offensichtlich, dass diese Frau -dieselbe Frau, die ihn immer dazu ermahnt hatte, sich zweimal am Tag die Zähne zu putzen und jeden Tag zu duschen- alles vernachlässig hatte, inklusive ihrer eigenen Hygiene. Zuerst hatte Kyoko sich gesträubt, aber nachdem Chiaki ihr gedroht hatte, sie eigenhändig in die Badewanne zu strecken, gab sie nach. Was ihre Klamotten anging, so ging er in einen Waschsalon am Ende der Straße, um sie zu waschen. Eigentlich warf er mehr weg, als er wusch, denn das meiste konnte man wirklich nur noch in den Müll schmeißen. Er kam sich vor, als würde er sich um ein Kind kümmern, doch all die Aufgaben lenkten seine Gedanken von Momokuri ab. Die Haustür ging auf und seine Mutter kam wieder rein, während er regungslos auf dem Sofa liegen blieb. Chiaki hörte, wie sie den Flur durchquerte, direkt in ihr Schlafzimmer ging und die Tür schloss. Seufzend öffnete er seine Augen, fühlte sich in dem Moment noch nie so distanziert von ihr, wie jetzt. * „Bitte, erzähl es mir“, fragte Kyoko zum dritten Mal diesen Abend, während er und sie am Küchentisch saßen und bestellte Nudeln aßen. Die ganze Zeit fragte sie ihn über sein Leben mit Kaiki, die er in den letzten Wochen immer umgangen war. Ihre Augen waren blutunterlaufen und Chiaki war sich nicht sicher, ob sie wirklich nüchtern war. In dem kleinen Zeitfenster, in der sie mal nicht trank, zwang er sie immer dazu etwas zu essen. Gleichgültig beäugte sie ihr Essen und stocherte mit der Gabel darin rum. Chiaki seufzte entnervt. „Iss dein Essen oder ich erzähl dir nichts.“ Mit den Worten begann sie schnell ein paar Bisse in sich hineinzuschaufeln. Er nahm tief Luft und erzählte ihr mit tonloser Stimme von den letzten sieben Jahre, in der er mit Kaiki lebte und wie gut dieser sich um ihn gekümmert hatte. Ihm fiel auf, dass, je mehr er ihr erzählte, umso mehr sie aß, weshalb er weitersprach. Er erzählte ihr von ihren gemeinsamen Schachabenden und alles Gute, was ihm einfiel. Umging alles Negative ihrer Beziehung. Am Ende hatte sie ihre gesamte Mahlzeit fertig gegessen und sah den leeren Behälter mit gerunzelter Stirn an, als hätte sie ihre einzige Möglichkeit verloren Informationen von ihm zu erhalten. Kyoko räusperte sich. „Kaiki ist ein guter Mann“, murmelte sie mit einem schwachen Lächeln, strich sich die Haare hinters Ohr. Chiaki nickte nur, während er noch aß. „Ich sollte mich eines Tages bei ihm persönlich bedanken..., dass er sich um dich gekümmert hat.“ Bitte nicht!, dachte Chiaki sich direkt, als er den Kopf schüttelte. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wenn Kaiki seine Mutter so antraf. Bei der Vorstellung allein, verzog Chiaki schon das Gesicht. Nach einigen stillen Sekunden ließ sie das Thema seufzend fallen und kehrte in ihr Zimmer zurück. Er schlief in der Nacht nicht, lag hellwach auf dem Sofa und starrte zur Decke hoch. Seine Schlafgewohnheiten waren im Grunde genommen genauso, wie zu der Zeit bevor Maron in sein Leben kam. Würde nur schlafen, um die Symptome nicht wieder ans Limit auszureizen. Der einzige Unterschied war das Halluz-Maron irgendwann, wie aus dem Nichts, auftauchen und ihn wieder auf den Geist gehen würde. Sie war verdammt nervig. Gleichzeitig wollte er unter anderem auch wach bleiben, um sie zu sehen. (Ihm ist klar, dass er verrückt war...) Die darauffolgenden Tage verbachte seine Mutter immer damit ihn beim Abendessen mit Fragen zu durchlöchern. Sie wollte mehr über sein Leben, die Schule und seinen Noten wissen. Jegliche Fragen, ob er jemals zurückkehrte, tat Chiaki mit einem Schulterzucken ab. „Das ist hübsch“, kam es eines Abends plötzlich von ihr. Er blickte sie überrascht an und folgte ihren Blick runter auf seine Hand. Sie schaute auf seinen Claddagh-Ring. Chiaki schwieg, ließ ihre Anmerkung unkommentiert. Auf keinen Fall wollte er mit ihr über sein Mädchen reden. Allein der Gedanke an sie zerriss ihm das Herz in zwei. Er konnte diese gegensätzlichen Sehnsüchte nicht unter einem Hut bekommen. Er wollte alles, wusste gleichzeitig, dass es unmöglich war. Letztendlich sollte er dankbar darüber sein, seine Mutter endlich wieder zu haben... wieso spürte er trotzdem diese anwachsende Wut in seinem Inneren, während er gedankenverloren an dem Ring um seinen Finger drehte?   In dieser Nacht zeichnete er wieder. Es hatte eine Weile gebraucht, bis er einen anständigen Laden finden konnte, der die exakten Skizzenbücher und Stifte, die er benutzte, verkaufte. Draußen war irgendein Festival mit Feuerwerk und allem Drum und Dran im Gange. Das Licht des Feuerwerks erleuchtete das Wohnzimmer sowie auch die Seite, auf der er gerade zeichnete. Darauf war eine ähnliche Szene abgebildet: Maron, die sich zu Silvester das Feuerwerk anschaute und zum Himmel hinaufsah. Seine Augen waren träge und müde, weshalb es schwierig war den Stift präzise zu führen, aber es verging auch schnell wieder. Ein Lächeln huschte ihm über die Lippen, während er sich im Zeichnen verlor. Nach einigen Minuten hörte er neben dem Krachen und Flackern des Feuerwerks ein sanftes Kichern, welches seine völlige Aufmerksamkeit weckte. Mit zusammengepressten Lippen fixierte er das schwarz-weiße Abbild vor sich, konzentrierte sich gleichzeitig darauf mehr von der Stimme zu hören. Ein klein wenig hatte er gehofft, sie wiederzusehen. Vielleicht hatte er es auch geplant... auf jeden Fall war seine Erleichterung deutlich fühlbar, als er sie klar hören konnte. „Hmmm“, summte die Stimme musikalisch und er sah langsam zu der roten Figur auf. Halluz-Maron sah auf seine Skizze herab, während er den Moment dazu nutzte jede Welle ihrer Haare, ihre rosigen Wangen, ihre vollen, roten Lippen sowie ihre sanften, braunen Augen zu bewundern. „Mir gefällt das nicht“, sagte sie, warf ihm einen unzufriedenen Blick zu. Chiaki strich sich durch die Haare, als er auf die Zeichnung schaute. „Ich weiß“, stimmte er ihr zu. Unterdessen lief Halluz-Maron durchs Zimmer. Der Rock ihres Kleides schwang hin und her und ihre blasse Haut wurde von den Farben des Feuerwerks getränkt. Seufzend warf Chiaki das Skizzenbuch beiseite und fokussierte sich auf sie. Halluz-Maron inspizierte jede Ritze und jeden Winkel, die er versucht hatte sauber zu bekommen. „Staubig hier“, kommentierte sie nur und fuhr mit dem Finger über das Sofa. Seufzend rollte er mit den Augen. „Ein Sofa zu reinigen, ist schwieriger als man denkt“, entgegnete er trocken. „Im Internet gibt es bestimmt genug Tutorials für Dummies.“ Na toll, jetzt ließ er sich auch noch von seiner eigenen Halluzination runter machen. Er brauchte dringend Schlaf. „Vergiss es“, sagte er und schloss seine Augen. „Ich will-“ „Chiaki?“ Überrascht schreckte er bei der Stimme hoch und drehte sich zur Tür um. Seine Mutter stand am Türrahmen angelehnt, war offensichtlich betrunken und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Mit wem hast du geredet?“, fragte sie leicht nuschelnd, schwankte etwas nach vorne und richtet sich wieder aufrecht. „Mit niemand“, sagte er stumpf, stand auf, ging auf sie zu und packte sie am Arm, führte sie zu ihrem Schlafzimmer. Skeptisch beäugte Kyoko ihn, doch Chiaki wusste, dass sie sich morgen wahrscheinlich nicht mehr an diesen Moment erinnern würde. Als er wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte, war Halluz-Maron verschwunden. Er legte sich wieder aufs Sofa hin und schloss seine Augen. * Drei weitere Wochen vergingen. Es hatte sich kaum was verändert. Eigentlich so gut wie gar nichts. Seine Mutter war nach wie vor die leere Hülle, wie am ersten Tag und er fühlte sich noch hilfloser als vorher. Chiaki kam sich vor, als wäre er in ihrem Leben bedeutungslos, trotz all der Hilfe, die er ihr bot. Jedes Mal sagte sie ihm, dass er gehen soll, beharrte darauf, dass er sie nicht in diesem Zustand sehen soll. Und mit jedem Mal spürte er diese Wut und Abscheu, gemischt mit Abweisung und Hoffnungslosigkeit. Zur selben Zeit erwischte Chiaki sich immer mehr dabei, wie er Momokuri vermisste.   Es war Juni. Die Temperaturen stiegen weiter an, die Sonne war in den Abendstunden länger auf und seine Mutter hatte heute einen ungewöhnlich guten Tag. Sie hatte sich nicht übergeben, frühstückte bevor sie aus der Wohnung ging und hatte nur eine Flasche gehabt. Am frühen Nachmittag war sie zwar völlig weggetreten, aber zumindest würde sie nichts mehr zum Trinken haben, wenn sie gegen 17 Uhr wieder aufwachte. Es war zwar traurig, dass sowas seine Stimmung heben konnte, aber das tat es. Weshalb Chiaki Pizza holen ging, in der neuen Hoffnung, sich und ihr einen guten Abend zu beschaffen. Er kaufte auch noch einige andere Sachen, wie die Lieblingsschokolade seiner Mutter oder süße Oreo-Kekse. Während Chiaki die Straßen nach Hause lief, fragte er sich, wie es Maron ging und wie sie im neuen Schuljahr klarkam. Der Gedanke an sie bereitete ihm ein kleines, trauriges Lächeln auf die Lippen, welches auch direkt wieder erstarb, aufgrund des Schmerzes in seiner Brust. Zu Hause angekommen begab er sich in die Küche. Auf den Weg dahin bemerkte er im Augenwinkel jedoch, dass jemand im Wohnzimmer auf dem Sofa saß. Sein kleines Lächeln kehrte kurz zurück, als er erkannte, dass seine Mutter sich wahrhaftig im Wohnzimmer befand und nicht in ihrem Schlafzimmer. Etwas, was sie nie tat. Als sein Blick auf Kyoko fiel, löste sein Lächeln sich direkt wieder und er sah rot. „Was zum Teufel tust du da?!“ Sein Skizzenbuch fiel ihr aus den Händen, sie zuckte erschrocken zusammen und sah mit riesigen Augen zu ihm auf. „I-Ich wusste gar nicht, dass du zeichnen kannst“, sagte Kyoko zaghaft, blickte auf das Buch auf dem Boden. In dem Augenblick, in der sie sich herunterbeugen und es aufheben wollte, war Chiaki zu ihr rüber gestampft, hatte das Essen auf den Wohnzimmertisch geschmissen und nahm sein Skizzenbuch an sich, bevor sie wieder darauf Hand anlegen konnte. „Und ich wusste gar nicht, dass du die Privatsphäre anderer nicht respektierst“, entgegnete er mürrisch. „Das ist meine Wohnung und du hast mir kein bisschen Privatsphäre gegeben“, konterte sie, worauf er sie mit verengten Augen ansah. In ihrem Fall war Privatsphäre etwas, was sie sich verdienen musste. Sie schien zu spüren, dass eine Diskussion ihr nichts brachte, weshalb sie resigniert ihren Blick auf ihr Schoss senkte. „Ich wollte dich nicht aufregen. Ich habe nach dir gesucht, nachdem ich aufgewacht war und habe es hier liegen sehen. Ich hätte nicht reinschauen sollen.“ Seufzend wandte Kyoko sich der Pizzabox zu und holte sich ein Stück heraus. Wortlos setzte Chiaki sich neben sie, sein Buch auf seinem Schoss schützend unter dem Arm geklemmt. Er nahm sich ebenfalls ein Stück und aß mit ihr. Sie aß aus freien Stücken und er war froh, dass er sie ausnahmsweise nicht in irgendeiner Weise dazu bringen musste. Nach einigen, langen Momenten des Schweigens kam schließlich die unvermeidbare Frage. „Also...“, kam es von ihr vorsichtig, „Wer ist sie?“ „Niemand“, antwortete Chiaki hastig, mied ihren Blick. „Hmm. Sie sieht für mich bestimmt nicht nach ‚niemand‘ aus.“ Er konnte förmlich spüren, wie seine Mutter ihn prüfend anstarrte. Schweigend aß Chiaki kommentarlos weiter. „Ist sie diejenige, die für den Ring verantwortlich ist?“, fragte Kyoko, mit einer Spur von Neugier in ihrer Stimme. Als er nach wie vor weiterschwieg, seufzte sie frustriert auf. „Liebtest du sie?“, fragte sie sanft. Diesmal erwiderte Chiaki ihren Blick. Es war unmöglich darauf nichts zu erwidern. „Liebe. Nicht Liebte“, korrigierte er sie schroff. Hasste es, dass die Worte in der Vergangenheit ausgesprochen wurden. Etwas blitzte in ihren Augen auf, was auch direkt wieder verschwand. „Wie ist ihr Name?“, fragte sie ihn in einem Ton, bei der er es wirklich in Erwägung zog ihr zu antworten. „Maron“, antwortete Chiaki leise murmelnd. Es war so lange her, seit er ihren Namen das letzte Mal laut ausgesprochen hatte. Ihre Augen leuchteten für einen Moment wieder auf. Sie warf die leere Pizzabox beiseite und drehte sich ihm ganz zu. „Zeig sie mir bitte“, bat Kyoko ihn, blickte unsicher zwischen ihm und dem Skizzenbuch hin und her. Chiaki seufzte, konnte ihr die Bitte einfach nicht abschlagen. Er wischte sich mit einer Serviette die Hände ab und schlug die erste Seite auf. Sie rutschte näher zu ihn heran und legte unerwartet ihr Kinn auf seine Schulter ab. Er versteifte sich für einen minimalen Moment. Diese Geste war das Nächste was sie ihm je an mütterliche Zuneigung zeigte, seit er hier angekommen war. Er sah auf das Buch vor ihnen herab. Das Buch, was sein Herz repräsentierte. In der jede einzelne Seite, jede einzelne freie Fläche mit seinem Mädchen gefüllt war. „Sie mag es zu kochen“, sagte er zu der Zeichnung, in der Maron mit einem entspannten Ausdruck in Kaiki’s Küche zu sehen war, als sie das erste Mal bei ihnen zum Abendessen eingeladen wurde. Seine Mutter hob ihre Hand und fuhr mit dem Finger sachte über die Linien ihres Gesichts. „Sie ist wunderschön, Chiaki“, sagte sie mit einem zufriedenen, sogar erfreuten Lächeln. Bei ihrem Gesichtsausdruck warf er ihr einen leicht ungläubigen Blick zu. „Erzähl mir von ihr“, bat sie ihn leise, erwiderte seinen Blick, ehe sie wieder auf die Seite heruntersah. Erfreut über ihre Freude nickte Chiaki. „Sie ist etwas schüchtern“, begann er zu erzählen und blätterte weiter. „Kann aber unter Menschen, die ihr vertraut sind, aufgehen.“ Die Zeichnung vor ihnen war halbfertig. Wieder strich seine Mutter sachte über die schwarz-weißen Konturen. „Manche würden sagen, dass sie stur ist, aber da liegen sie falsch. Sie ist nur sehr entschlossen. Und eine Kämpferin.“ Kyoko lächelte erneut und sah ihn an. „So wie du.“ Er schnaubte, ließ ihre Aussage unkommentiert. Er blätterte und zog kurz scharf Luft ein, blätterte eine weitere Seite schnell weiter. Eben die Zeichnung war weniger jugendfrei und zeigte ein wenig zu viel von Maron, als er jemand erlauben würde zu sehen. Seine Mutter schmunzelte etwas. Chiaki räusperte sich verlegen und fuhr bei dem Abbild von Maron auf ihrer Picknickbank fort. Sie verbrachten fast zwei Stunden auf dem Sofa, während er ihr sein Mädchen zeigte. Ihr Grinsen ließ keinen Moment nach. Er erzählte ihr von Maron’s Qualitäten und Persönlichkeiten, sprach von den Momenten, die er festgehalten hatte. Ihr erstes Date, ihre Nachmittage in der Hütte, ihre gemeinsamen Erlebnisse mit ihren Freunden... Jedes Mal, wenn Chiaki blätterte, achtete er vorsichtig darauf, dass die nächsten Abbildungen jugendfrei blieben. Nach einer Weile wollte sie Dinge über Maron wissen, die nicht in den Zeichnungen gezeigt werden konnten: warum sie keine anderen Männer anfassen konnte, warum sie diese und jene Narbe hat, warum sie bei ihm geschlafen hatte.... Das würde viel zu viel von Maron’s Vergangenheit preisgeben – und seiner. Aber er erzählte weiter, beantwortete jede ihrer Fragen. Er konnte sich nicht erklären wieso. Mit jeder Antwort kamen drei weitere Fragen von ihr, die er alle beantwortete, da sie alle was mit seinem Mädchen zu tun hatten. Es war falsch mit jemand über all die sensiblen Details von Maron’s Vergangenheit zu reden, der sie noch nicht mal kannte. Aber es fühlte sich auch gut an, mit ihr über diese Dinge zu reden und das ungewohnte Lächeln von seiner Mutter spornte ihn noch mehr an. Einige Zeit später wusste Kyoko so gut wie alles über sein Mädchen. An irgendeinem Punkt hatte sie seine Hand genommen und spielte gedankenverloren mit dem Ring an seinem Finger. „Nun...Was ist passiert?“, fragte sie, lächelte nicht mehr. „Warum bist du nicht bei deiner Maron?“ Chiaki presste sich die Lippen zusammen, blickte stirnrunzelnd auf den Ring. „Sie blieb in Momokuri“, wich er ihr aus. Sie beide wussten die Wahrheit: er war nicht bei seinem Mädchen, weil er bei ihr war. Die Stille streckte sich für einige Momente, bis Kyoko ihn plötzlich von sich schob und ihn aufgebracht ansah. „Du Narr!!“, schrie sie ihn an. Er zuckte überrascht zusammen. Ihre Hände, die sich zusammenballten, zitterten und sie stand vom Sofa auf. „Du hattest alles! Und schmeißt alles für das hier hin?!“ Sie gestikulierte in den Raum. „Wow. Drei Stunden an netten Mutter-Sohn-Momente mit einem Ruck ruiniert“, sagte er spöttisch und angepisst. „Danke.“ Ihre Augen trafen furios auf seine. „Du verstehst es einfach nicht, oder?“ „Nein, weil alles was du tust, einfach nur unverständlich ist.“ „Wie ich lebe ist selbstsüchtig und erbärmlich, aber nicht unverständlich“, sagte sie, worauf er nicht zustimmend die Arme vor der Brust verschränkte. „Das ist eine scheiß-faule Ausrede. Wenn du mich liebst, würdest du dich bessern wollen“, warf er spitz ein, war ebenfalls aufgestanden, „Du würdest mich dich helfen lassen!“ Sie knickte ihren Kopf, ließ ihre angespannten Schultern sinken. Tränen rannten ihr herunter und sie hielt ihre Hände vor das Gesicht. „Ich liebe dich, mein Sohn“, wisperte sie schmerzlich, „…mehr als alles andere auf der Welt. Weshalb ich will, dass du verstehst, dass du mir nicht helfen kannst.“ „Aber ich kann dir helfen! Ich weiß, dass es unmöglich für dich ist, von hier auf jetzt aufzuhören. Aber es gibt Orte... Krankenhäuser und Kliniken, die spezia-“ Humorlos lachte sie auf und unterbrach ihn damit. Sie blickte ihn für einige lange Sekunden an und seufzte kopfschüttelnd. „Ich bin innerlich tot, Chiaki. Nichts und niemand kann mich wiederbeleben“, wisperte sie mit gebrochener Stimme und biss sich auf die Lippe. „Was würdest du denn tun, wenn du eines Tages erfährst, dass deine Maron nicht mehr lebt?“ Bei der Frage ballte Chiaki seine Hände zu Fäusten. „Das ist nicht dasselbe! Und wage es nie wieder-…“ Er stockte, brach ab. Seine Brust schmerzte tief bei der Vorstellung allein und schnürte ihm den Hals zu. Er würde verdammt nochmal sterben, wenn seinem Mädchen etwas zustoßen würde... Er wäre nur noch eine wandelnde, leere Hülle auf Erden. Genau wie seine Mutter es gerade war. So gern er es abstreiten würde, so war es letztendlich doch nur wahr. Das Erstaunlichste von allem war nicht die Tatsache, dass sie seine Hilfe ablehnte (denn das war etwas, woran er sich über die Monate gewöhnt hatte) sondern der Aspekt, wie auffallend vertraut ihm die ganze Situation erschien. Denn Kaiki war in derselben Position wie er, wenn er versucht hatte ihm Hilfe anzubieten, die er immer abgelehnt hatte. Es gab kein schlimmeres Gefühl -kein größeres Leid- als jemanden, der einem viel bedeutet, leiden zu sehen, während gleichzeitig die eigene Hilfe verweigert wird. Er fühlte sich beschissen, dass er Kaiki dieses Leid angetan hatte. Und zum ersten Mal verstand Chiaki seinen Vater auch richtig. Er verstand dessen Verzweiflung und dessen Schmerz darüber, dass er sich nicht bessern wollte. Ohne ein weiteres Wort drehte Chiaki sich um und ließ seine Mutter in der Wohnung zurück. * Ziellos war er durch die Straßen gelaufen, hatte viel nachgedacht. Vor dem Wohnkomplex blieb Chiaki stehen, als er zurückkehrte, blickte zum siebten Stock hoch. „Es ist schon spät“, hörte er die sanfte Stimme seines Mädchens sagen. Chiaki drehte sich um, blickte Halluz-Maron in die Augen. „Wir sollten nach Hause gehen.“  „Nach Hause?“, wisperte er kaum hörbar, den Blick wieder nach oben gerichtet. Tief in seinem Inneren wusste er sofort, von welchem Zuhause sie sprach. Und das er spät dran war... In der Wohnung war das Wohnzimmer leer, sein Skizzenbuch lag verlassen auf dem Sofa. Chiaki durchquerte den Flur zum Schlafzimmer, die Tür war leicht angelehnt. Er machte sie weiter auf, seine Augen fielen sofort auf seine Mutter, die auf der Bettkante saß. Die Lichter waren an und sie hatte eine Flasche in der Hand, als ihr Blicke sich trafen. Die zweite Flasche musste sie an ihn wohl vorbeigeschmuggelt haben. „Du hattest recht“, gab Chiaki zu, gab sich geschlagen. „Ich kann dir nicht helfen.“ Nichtsdestotrotz schmerzte es ihn, ihr dabei zu zusehen, wie sie sich selbst vergiftete. Mit einem leeren Blick starrte Kyoko ihn an, bis ihre Lippen sich zu einem wehleidigen Grinsen verzogen. Traurig schüttelte sie den Kopf, die Augen schimmerten glasig. „Nein... Ich wette aber, dass du jemand anderes helfen kannst“, sagte sie, den Blick auf seine Hand gerichtet. Chiaki sah ebenfalls runter, berührte sachte den Ring. Sie schluckte schwer, stand auf, setzte die Flasche auf dem Boden ab und ging auf ihn zu. Ein trauriges Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen und Tränen rannten ihr das Gesicht herunter. „Du sagst deiner Maron, dass sie besser gut zu dir sein soll“, sagte Kyoko mit erstickter Stimme und ihre Augen leuchteten, als Chiaki sie in seine Arme nahm und sie an sich drückte. Er konnte nicht bleiben, wenn er ihr nicht helfen konnte. Das wussten sie beide. Er vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter, versuchte kläglich das Schluchzen in seiner Brust zu unterdrücken. „Putz dir zweimal am Tag die Zähne“, weinte sie. Er nickte. „Sag immer ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ und halte für Fremde die Türen auf...“ Erneut nickte er, während sie ihm alles an guten Manieren aufsagte, die sie ihm früher beigebracht hatte. „Danke“, flüsterte er und ließ sie los, strich sich mit der Hand über die Augen. Sie sahen sich an und es war klar, für was Chiaki sich bedankte. Er bedankte sich für das Opfer, was sie letztendlich für ihn getan hatte – auch wenn er sieben Jahre gebraucht hatte, um das zu erkennen. Denn schließlich hatte sie alles und ihn aufgegeben, damit er ein besseres Leben führen konnte. Auch wenn vieles, was sie getan hatte falsch war, so hatte es ihn zu den Leuten geführt, die ihn liebten und mit denen er glücklicher werden konnte, als mit ihr. Es war in gewisser Weise selbstsüchtig von ihr, aber er konnte das jetzt verstehen. Und ihr verzeihen. Ihre tränengefüllten Augen blickten in seine und sie verabschiedeten sich mit einer letzten Umarmung. Zeigten einander, dass sie sich immer noch liebten. Sie war immer noch seine Mutter und er war immer noch ihr Sohn. Chiaki drehte sich um, um zu gehen. Kyoko lächelte ein schwaches Lächeln. Während er seine Sachen einsammelte, ließ er sein Skizzenbuch auf dem Sofa, sodass sie immer etwas zum Lächeln hatte, wenn sie sein Mädchen sah. Er eilte aus der Wohnung raus nach unten zu seinem Auto, schmiss seine Sachen rein und setzte sich vor das Lenkrad. Den Schmerz in seiner Brust, dass er seine Mutter verließ, ignorierte er. Er musste sie zu seinem eigenen Besten loslassen. Er fuhr los, ließ ihren Wohnkomplex hinter sich und blickte nicht zurück.   FIFTY-ONE --------- FIFTY-ONE   Mit Maximalgeschwindigkeit und ohne Pausen hatte Chiaki es in drei Stunden nach Momokuri geschafft. Tempomat sei Dank. Die Sonne ging gerade auf, als er endlich ankam. Nervlich war er ein riesiges Durcheinander. Ein Wrack. Die ganze Fahrt über hatte er sich nur darauf fokussiert ans Ziel zu kommen, ohne darüber nachzudenken seine Rückkehr eventuell anzukündigen. Es war gerade neun Uhr – was bedeutete, dass alle entweder in der Schule oder auf der Arbeit waren. Planlos starrte er auf sein Handy auf der Ladestation runter, welches er zum ersten Mal seit zwölf Wochen auflud. Er näherte sich der vertrauten Straße, die ihn zu der vertrauten Nachbarschaft führte. Es hatte sich nichts verändert, außer dass überall mehr Blumen wuchsen, die farbenfroh leuchteten und die Bäume stolz ihre Blätter zeigten. Als er ging, war alles noch kahl und leer gewesen. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, als er abbog und die Villa in sein Blickfeld trat. Genauso wie das Nachbarhaus. Ihm fiel auf, dass das Auto seines Vaters in der Einfahrt stand, neben dem freien Platz, wo für gewöhnlich auch sein Wagen stand. Es war womöglich besser, wenn Chiaki ihn zuerst antraf. Er parkte auf seinen Platz, warf einen Blick auf den Rückspiegel und strich sich eine Hand durch die Haare, die für seinen Geschmack ein paar Zentimeter zu lang geworden sind. Dauernd fielen ihm ein paar Strähnen ins Gesicht. Seine Augen waren immer noch geröteten von dem tränenreichen Abschied und dunkle Ringe zeichneten sich durch den Schlafmangel unter ihnen ab. Tief atmete Chiaki ein und aus. Er war furchtbar nervös Kaiki wieder gegenüberzutreten. Nachdem er sich über die Haare und über die Klamotten gestrichen hatte, stieg Chiaki endlich aus, nahm einen tiefen Atemzug von der frischen Luft. Ein heimisches Gefühl überkam ihm. Ja - er war definitiv zu Hause. Mit Herzklopfen näherte er sich der Villa und klopfte an der Tür. Auch wenn es sein Zuhause war, so wusste er nicht, ob er willkommen war oder nicht. Außerdem wollte er auch nicht einfach so reinplatzen. Nach einigen Sekunden, die sich für ihn wie eine Ewigkeit anfühlten, öffnete sich schließlich die Tür. Kaiki starrte ihn erschrocken und verdutzt an, während Chiaki unbeholfen seine Hände in die Jackentaschen steckte, nicht wissend was er sagen soll. Es war für einige unangenehme Sekunden still bis Chiaki mit dem Ersten, was ihm einfiel das Schweigen durchbrach. „Hi?“ Sein Vater blinzelte ihn nach wie vor verdutzt an. „Hi?“, wiederholte er und seine Lippen zuckten zu einem kleinen Lächeln hoch. „Ich hatte Angst, du würdest arbeiten“, murmelte Chiaki und blickte ihm über die Schulter, schaute fast sehnsüchtig ins Innere der Villa. „Ich werde später Schicht haben“, antwortete Kaiki ihm leicht zerstreut und musterte ihn mit einem kalkulierenden Blick. Dann schnappte er kaum hörbar nach Luft und trat zur Seite. „Entschuldige. Komm doch rein. Bitte“, sagte er mit hastiger Stimme. Chiaki seufzte erleichtert, als er seine Hände aus den Taschen nahm und nach vorne schritt. Kaiki lief voraus und führte ihn ins Wohnzimmer. Es hatte sich soweit nichts verändert. Mit einem schmalen Lächeln wies Kaiki ihn wortlos an, sich aufs Sofa zu setzten, während er den Sessel gegenüber nahm. „Wie geht es dir?“, fragte Kaiki wie beiläufig, aber mit einem achtsamen, vorsichtigen Blick. „Ganz okay“, zuckte Chiaki mit den Schultern. „Dir?“ Er hasste die Art und Weise, wie sie einander wie ein rohes Ei behandelten. „Gut“, nickte Kaiki, rieb sich die Stirn. „Wie lange wirst du in der Stadt sein?“, fragte er auf einmal, schaute ihn direkt an, „Wo wirst du bleiben?“ Chiaki weitete erschrocken seine Augen. „Was bringt dich dazu, zu denken, dass ich nicht hierbleibe?“ „Du hast geklopft“, antwortete er mit hochgezogener Augenbraue, machte mit der Hand eine klopfende Geste in der Luft. Tief atmete Chiaki aus, strich sich durch die Haare. „Ich wusste nicht, ob ich willkommen war“, gestand er. Kaiki stieß einen nahezu traurigen Seufzer aus. „Das war schon immer dein Zuhause, Chiaki...“, erwiderte er, räusperte sich und fasste sich wieder. „Also, was brauchst du?“, fragte er plötzlich. Chiaki machte ein verwirrtes Gesicht. „Geld? Dokumente? Klamotten?“ Kaiki sah ihn mit einer blanken Miene an. „Was...?“ Kopfschüttelnd rieb Chiaki sich den Kopf, als er sah, wie sein Vater schon nach seiner Brieftasche griff. „Mein Gott, ich will dein Geld nicht!“ Er war enttäuscht und verletzt darüber, dass Kaiki ehrlich davon ausging, dass er wegen sowas hier war. „Könnte es nicht sein, dass ich einfach nach Hause kommen wollte?“ Kaiki hielt für einen Moment wie erstarrt inne, ehe er einen entschuldigenden Gesichtsausdruck machte. „Tut mir leid“, sagte er beschämt, lehnte sich an die weiche Lehne zurück. „Ich hätte keine voreiligen Schlüsse ziehen sollen. Ich denke, es ist nur-…“ Seufzend brach er ab und verstummte. Es wurde still zwischen ihnen. Chiaki beugte sich nach vorne, die Ellenbogen auf die Knie abgestützt und sah auf seine verschränkten Hände vor sich herab, als er schließlich sagte: „Mutter ist Alkoholikerin.“ Überrascht, verwirrt sowie schockiert schossen Kaiki’s Augenbrauen hoch. Tief atmete Chiaki durch und begann ihm alles zu erzählen. Alles. Angefangen vom Feuer bis zum heutigen Tag. Er erzählte Kaiki alles aus seiner Sicht und versuchte es auch von Kyoko’s Sicht zu erklären, obwohl Chiaki es leid war, darüber zu reden und bereit war es hinter sich zu lassen. Sein Vater war sichtlich verblüfft, als er über das Feuer und alles, was danach geschah, sprach. Gebannt hörte Kaiki ihm zu, stellte keine Fragen und Chiaki versuchte sein Bestes, um sicherzugehen, dass er am Ende auch keine haben würde. Als Chiaki schließlich zu dem Punkt kam, in der er ihm von seinem Aufenthalt in Yokohama erzählte, weitete sich seine Augen, als er ihm den Zustand seiner Mutter schilderte. Er erzählte ihm, wie er sich um sie gekümmert hatte, ihr helfen wollte und wie sie ihn immer abwies. Wie ein Wasserfall sprudelte einfach alles aus ihm heraus - redete sich jedes Fünkchen Last von der Seele.   Nach ein oder zwei Stunden -Chiaki konnte es nicht genau sagen- gab es nichts mehr, was er noch zu sagen hatte. Er lehnte sich in die Lehne des Sofas zurück, wartete darauf, dass Kaiki etwas sagte. Dieser ging alles Gesagte für einige Moment durch den Kopf durch. Blickte ihn seufzend mit einem durchdringenden und gleichzeitig mitleidigen Ausdruck an. Er richtete sich in seinem Sessel auf. „Danke“, sagte Kaiki in einem aufrichtigen Ton und lächelte ein kleines Lächeln. Chiaki spürte, wie die verlegene Hitze in ihm hochstieg. Kaiki räusperte sich. „Wir könnten später mehr darüber reden, wenn du ausgeruhter bist“, sagte er und fügte hinzu. „Wenn du möchtest.“ Chiaki war sich nicht sicher, was noch darüber zu bereden war, aber er nickte zustimmend. Sie standen beide auf, doch Kaiki hielt noch inne. „Du bist sicher, dass du hier wirklich bleiben willst?“ Stöhnend rollte Chiaki mit den Augen. „Ja. Ich möchte wieder hier leben“, versicherte er ihm und wurde etwas rot. Ein herzerwärmendes Lächeln bildete sich auf Kaiki’s Lippen und er ging auf ihn zu, schloss ihn in eine Umarmung. „Willkommen zu Hause, Sohn.“ Peinlich berührt erwiderte Chiaki die Umarmung. „Dad…“ Sie lösten sich voneinander und sein Vater machte im nächsten Augenblick einen Gesichtsausdruck, den Chiaki nicht deuten konnte. Als hätte er was Wichtiges vergessen. Er beobachtete ihn dabei, wie er die Treppen hochsah. „Ich...uhm, muss noch einen schnellen Anruf machen. Warte kurz“, sagte Kaiki ihm und verschwand nach oben. Chiaki hörte, wie er in sein Büro ging. Stirnrunzelnd sah er ihm hinterher, wartete. Seine Gedanken ging unbewusst an seine Mutter und er fragte sich, wie es ihr ging und was sie gerade tat. Er konnte sich vorstellen, dass sie am Morgen schon was getrunken hatte -so wie sie es immer tat- und sofort stieg das Gefühl von Sorge und Panik in ihm hoch. Millionen von Szenarios gingen ihm durch den Kopf, die größtenteils zwar absurd waren, aber seine Sorgen in keinerlei Weise minderten. Was ist, wenn sie mal die Treppe statt des Fahrstuhls nahm und runterfiel? Was ist, wenn sie an ihrem eigenen Erbrochenen erstickte, wenn sie abends bewusstlos war? Was ist, wenn sie nicht genug aß und verhungerte? Was ist, wenn... Was ist, wenn etwas passiert und er nie davon erfahren würde. Sie hatte niemand, der ihr helfen könnte… Es gab nur eine Möglichkeit, in der er sich versichern konnte, dass man sich um sie kümmern würde. Er bräuchte Kaiki nur darum zu bitten ein paar Anrufe zu tätigen, eine Pflegekraft nach ihr zu schicken und dass man für ihn eventuell auf ihr Wohlergehen achtgab. Chiaki wusste, dass sein Vater dazu nicht Nein sagen würde und dies minderte seine Unruhe immens. Es war das Beste, wenn er den Kontakt zu ihr abbrach und sich voll und ganz auf sein Glück und sein Leben hier konzentrierte... Es minderte dennoch nicht den Schmerz in seiner Brust, dass er seine Mutter zurückgelassen hatte. Ihm fiel auf, dass Kaiki nach einigen, langen Momenten immer noch nicht zurückgekehrt war, worauf Chiaki einfach ebenfalls die Treppen nach oben ging. Er konnte seinen Vater im Büro telefonieren hören, konnte jedoch nicht ausmachen, was er sagte. Er durchquerte den Gang und stieg die zweite Treppe hoch und hielt schließlich vor seiner Tür an. Nachdenklich schaute er auf den Türgriff, bevor Chiaki ihn nahm und die Tür öffnete. Er war nicht wirklich sicher, was er erwartet hatte, als er in sein Zimmer reinschaute. Es sah alles wie immer aus, im Vergleich zu seiner letzten Erinnerung von dem Raum. Alles sah sauber aus, Möbel und Technik standen dort, wo sie immer standen. Aber es wirkte irgendwie auch anders. Chiaki trat in den Raum ein, sah sich um. Es fühlte sich nicht mehr wie sein Zimmer an und das beunruhigte ihn. Neue, weiße Vorhänge hingen vor der Balkontür, sodass es heller drinnen wirkte. Sein Wäschekorb, welcher normalerweise in seinem Ankleidezimmer stand, stand neben der Tür. Verspätet bemerkte er die Schuhe und Klamotten, die vereinzelt im Raum verteilt waren und von denen er wusste, dass sie nicht ihm gehörten. Die Sachen sahen aus als gehörten sie einem Mädchen. Schritte waren hinter ihm zu hörten und er drehte sich um, sah Kaiki im Flur draußen stehen. „Hier hat jemand gewohnt“, sagte Chiaki mit einer Spur von Argwohn in der Stimme. Hatte sein Vater jemanden untergebracht und dieser Person einfach sein Zimmer überlassen? Kaiki fuhr sich eine Hand über das Gesicht. „Ja. Die Sache ist die...“, setzte er an und seufzte. Erwartungsvoll hob Chiaki eine Augenbraue, wollte dringend eine Erklärung, bevor er noch richtig sauer wurde. „Maron wohnt jetzt hier.“   Sprachlos starrte Chiaki seinen Vater an, der sich unwohl zu fühlen schien in seinem -Maron’s(?)- Zimmer und bat ihn wortlos darum, ihm nach unten in die Küche zu folgen. „Was meinst du mit ‚Maron wohnt jetzt hier‘?!“, fragte Chiaki, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. Kaiki stellte ihm ein Glas Wasser hin und er merkte, wie trocken sein Mund sich anfühlte. Dankend nahm er das Glas an und trank ein Schluck, während Kaiki ihm davon erzählt, wie Maron seit der Nacht, in der er ging, in seinem Zimmer gelebt hatte und wie sie sich weigerte zurück nach nebenan wieder zu ziehen. In Chiaki’s Kopf drehte es sich, fassungslos fasste er sich die Stirn. Die ganze Zeit hatte sie sein Zimmer bewohnt und höchstwahrscheinlich auf ihn gewartet. Diese Tatsache erfreute ihn und brach ihm gleichzeitig das Herz. Es freute ihn, weil es bedeutete, dass sie in seiner Nähe sein wollte und es brach ihm das Herz, weil er sie so lange warten ließ. Und jetzt war es unmöglich für ihn zu wissen, ob sie ihm dafür vergeben könnte. Während er in seinen eigenen Gedanken versunken war, war Kaiki für paar Minuten wieder hochgegangen und kehrte mit seiner Arbeitstasche wieder zurück. „Ich muss jetzt los. Wir können heute Abend alles besprechen, wenn Maron auch wieder da ist“, sagte er ihm. „Sie und Miyako haben nach der Schule noch einige Erledigungen zu machen. In der Zwischenzeit kannst du dich ausruhen und-“ Er legte ihm eine vertraute, durchsichtige Plastiktüte mit rotem Zippverschluss hin und lächelte. „-nimm dir einen Keks.“ Während Kaiki aus dem Haus ging, sah Chiaki auf die Kekstüte herab...und lächelte. *** „Konzentration, Maron!“ Maron pustete sich eine schwitzige Strähne von der Stirn und sie schlug wieder auf den Boxsack vor sich ein. Der Geruch von Schweiß, Leder und Gummi dominierte in ihrer Nase. Ihre Hände fühlten sich wie Marshmallows in den Boxhandschuhen an. Sie blickte zur Seite und sah wie Miyako auf ihren Boxsack einprügelte, als hätte es sie persönlich angegriffen. „Augen nach vorne, Maron!“ Sie wandte sich wieder ihrer Kursleiterin zu, nahm tief Luft und versuchte dasselbe zu tun, was Miyako neben ihr tat. Was Midori ihnen empfohlen hatte. Diese Boxkurse waren nicht nur dazu da, damit Maron sich in Form brachte und lernte sich selbst zu verteidigen. Laut Midori sollte es auch dazu dienen Dampf ordentlich abzubauen. Das war nun ihr drittes Mal in dem Kurs. Maron konnte noch nicht sagen, ob es ihr gefiel, aber den gewünschten, stressabbauenden Effekt konnte sie nicht leugnen. Miyako schien soweit Spaß daran zu haben. Yoga gehörte eher zu Maron’s Favoriten, neben Judo. Bei Judo ging es nicht um ihre eigene Stärke, sondern die Stärke des Gegners gegen sich anzuwenden. Eine Glocke läutete das Ende des Kurses ein. Endlich, dachte Maron sich erleichtert. Schnaufend kam Miyako auf sie zu. „Ich werde wirklich gut darin“, grinste sie enthusiastisch. „Klar“, rollte Maron mit den Augen und lächelte ein Lächeln, was sich leer anfühlte. Wahrscheinlich auch leer wirkte. Es gab auch diese andere Leere, die nicht für die Leute, die sie liebte, sichtbar war. Darüber war sie froh, denn diese Last trug sie lieber allein. Zusammen gingen die beiden Mädchen duschen und zogen sich anschließend um. Miyako war eine zu gute Freundin. Nachdem Maron ihr von Midori’s Plänen erzählt hatte -sie in all diese Kurse anzumelden- wollte Miyako sich ihr unbedingt anschließen. Es war süß von ihr und Maron schätzte ihre Unterstützung wert, auch wenn sie das nicht offen zeigte. Die Fahrt nach Hause verlief relativ ruhig ab. Maron blickte aus dem Fenster raus, starrte auf die grünen Bäume, die an ihr vorbeizogen. Es war Juni und das Wetter wurde von Woche zu Woche wärmer. Viele freuten sich schon auf den Sommer. Die Freude konnte Maron nicht teilen. Überhaupt gab es nicht viel, worüber sie sich freuen konnte. „Wollen wir das Wochenende was unternehmen?“, riss Miyako’s Stimme sie aus den Gedanken. Maron zuckte wortlos mit den Schultern, blinzelte müde. Normalerweise unternahmen sie kaum was an den Wochenenden. Meistens machte Maron auch nichts an den beiden Tagen. Morgen war Yoga und das würde sie den halben Tag schon beschäftigt halten. Ihre Existenz war trist und voller Zeitpläne, die sie ablenken und gleichzeitig beschäftigt halten soll. An Montagen waren Midori’s Sprechstunden, dienstags Judo, mittwochs Yoga, donnerstags wieder Sprechstunden bei Midori, freitags Boxen, samstags nochmal Yoga und sonntags hatte sie ihre abendlichen Gespräche mit Kaiki, wo sie auch die Dokumente von ihm abholte. Es war eine leere Schleife von Schule, Büros, Turnhallen, Küche und Schlafzimmer. Und alle um Maron herum boten ihre Unterstützung an, die mehr als großartig war. Sie hasste es nur undankbar zu wirken. Midori hatte viele Stunden damit verbracht den idealen Behandlungsverlauf für ihre Therapie zu konstruieren, damit Maron einen maximalen Nutzen daraus ziehen konnte. Medikamente wurden ihr auch verschrieben. Maron konnte immer noch nicht in das Ankleidezimmer eintreten, aber sie konnte spüren, wie sie sich wohler und besser mit dem Versuch darin fühlte. Auch was ihre Berührungsängste mit Männern anging, so hatte sie gestern einen kleinen Durchbruch, als Yamato sie dazu überredete ihm einen kurzen Faustschlag zu geben. Sie war ein bisschen genervt von ihm gewesen, weil er ihr die ganze Mittagspause seine Faust entgegenhielt und sie sanft ermutigte. Miyako hatte ihn dafür angemeckert, aber er ließ nicht locker. Augenrollend gab Maron nach. Zum einen, damit beide Ruhe gaben und zum anderen, war ein kleiner Teil von ihr schon neugierig. Ganz schnell stieß sie seine Knöchel mit ihrer an und zog ihre Hand zurück, bevor Miyako es überhaupt registrieren konnte. Auch wenn es unangenehm für sie war und alle Alarmglocken in ihrem Kopf Alarm schlugen, so war Maron sichtlich geschockt darüber, als ihre Haut mit seiner für eine Millisekunde in Kontakt kam und sie keine Angstattacke erlitt. Es war ein kleiner Durchbruch, welches sie mit Hoffnung und Freude über ihren Fortschritt füllte. Yamato und Miyako hatten ihr ein breites Grinsen geschenkt, teilten ihre Freude.   Während die Mädchen in ihre Straße einbogen, überlegte Maron sich, was sie heute zu Abend kochen sollte. Plötzlich setzte ihr Herz aus, als sie auf die Einfahrt der Nagoya’s blickte und das vertraute, schwarze Auto sah. Ihre Augen wurden riesig. „Maron?!“ Ehe Miyako richtig anhalten konnte, hatte Maron sich schon abgeschnallt, die Tür aufgerissen und war rausgerannt. Sie sprintete zur Villa. Ihr Herz schlug ihr bis in beide Ohren. Drinnen fand sie Kaiki und ihren Vater in der Küche vor, die mitten im Gespräch waren und abbrachen, als sie ins Haus eintrat. Beide blickten Maron mit Sorge in den Gesichtern an. Sie konnte sich vorstellen, dass sie genauso durcheinander aussah, wie sie sich fühlte. „Ihr seht das Auto auch, oder?“, fragte Maron und deutete nach draußen. Sie hoffte, dass sie nicht halluzinierte und ihren Gesichtern zu folge, tat sie es auch nicht. Gerade als sie sich nach oben begeben wollte, hielt ihr Vater sie auf. „Maron, warte!“ Sie drehte sich zu ihm und Kaiki um. „Wo ist er??“ „Bitte beruhig dich erstmal.“ „Und nimm deine Tabletten“, kam es von Kaiki, der ihr mit einem ernsten Ausdruck ihre Medikamente auf dem Tresen zuschob. Entnervt betrat Maron die Küche, nahm ihre Tabletten und schluckte sie mit dem Glas Wasser, was danebenstand, runter. Keine Sekunde später war sie aus der Küche raus und schoss die Treppen zum zweiten Stock hoch. Die Stimmen hinter sich ignorierte sie. Schweratmend stand sie vor der Tür, nahm einige tiefe Atemzüge und riss sie schließlich auf. Und da stand er. Mitten im Raum. In Jogginghose und einem langärmligen Baumwollshirt. Frisch geduscht. Seine etwas längeren Haare waren noch feucht, die er sich soeben mit einem Handtuch abtrocknete. Wie erstarrt stand Chiaki vor ihr, starrte sie mit riesengroßen, mit dunklen Augenringen gezeichneten Augen erschrocken und teilweise verängstigt an. Dennoch sah er genauso umwerfend aus, wie vor drei Monaten, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er machte den Mund auf, brachte jedoch nichts raus. Maron starrte ihn ebenfalls an, geschockt und fassungslos darüber, dass er wirklich hier war. Ein Teil von ihr schrie danach sich ihm nähern zu wollen. Ihn endlich wieder in ihre Arme nehmen zu wollen und zu küssen. Ein anderer Teil -der größere Teil- schmerzte. Ihr Herz schmerzte und er war schuld. Er hatte es ihr in Stücke zerrissen. Ihre zittrigen Hände ballten sich zu Fäusten. Das Gefühlschaos in ihr löste sich und eine Emotion trat verstärkt in den Vordergrund. Wut. „Raus“, sagte Maron so kalt, wie sie es noch nie von sich erlebt hatte. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, traf ihn das Wort allein so hart wie ein Schlag ins Gesicht. „Maron... bitte, lass-“ „Raus!!“, wiederholte sie, blickte ihm zornig in die Augen. „Dieses Haus hat noch sechs andere Schlafzimmer!! Geh, such dir ein eigenes! Dieses Zimmer ist jetzt meins!! Also, raus! Sofort!!“ Ihre Stimme wurde mit jedem Satz lauter. Sie ging auf seine Kommode zu und machte die Schublade auf und schmiss seine Sachen in seine Richtung. Fassungslos sah Chiaki sie an, während seine Hände seine Sachen auffingen. „Bitte...Können wir nicht reden?“, fragte er flehend, worauf sie kurz innehielt. „Du hattest über drei Monate Zeit zum Reden gehabt“, fuhr Maron ihn an und warf ihm das letzte Kleidungsstück aus der Kommode ihm ins Gesicht. Zugegeben, es würde Sinn machen, wenn sie zumindest sich anhören würde, was er hier wollte. Aber die Wut und die Angst wieder verletzt zu werden, überwog. Sein Gesicht und seine Körperhaltung wirkten angespannt. „Ich wollte doch nur-“ „Einen kurzen Abstecher machen und wieder abhauen?“, unterbrach sie ihn höhnisch. Er zuckte zusammen. „Maron, bitte-“ Chiaki ließ die Sachen in seinen Armen auf den Boden fallen und ging auf sie zu. Sie versteifte sich. „Bitte lass es mich erklären“, wisperte er mit zittriger Stimme, war ihr so nah, dass sie seinen vertrauten Duft riechen und das elektrisierende Kribbeln auf ihrer Haut spüren konnte, ohne dass er sie berührte. Sie schüttelte heftig mit dem Kopf, während er langsam und vorsichtig seine Hand hob und ihr eine Strähne sachte aus dem Gesicht strich. Seine Berührung war so warm und ihr Körper schrie vor Sehnsucht. Es war eine süße Tortur... Er wusste ganz genau, was für eine Wirkung seine Berührungen auf sie hatten. Seine Hand ruhte auf ihrer Wange und er beugte sich zu ihr herunter, lehnte seine Stirn mit ihrer an. „Es tut mir so furchtbar leid“, flüsterte er. Ihm tat es leid? Ihr Gesicht verdunkelte sich. Tat es ihm wirklich leid, einfach zu gehen und sein Versprechen zu brechen? Tat es ihm wirklich leid, sie in den drei Monaten kein einziges Mal kontaktiert zu haben, bis auf den erbärmlichen Brief? Tat es ihm wirklich leid, ihr Herz gebrochen zu haben? Tat es ihm wirklich so furchtbar leid?! Die Wut in ihr stieg wieder hoch. Als auch die Tränen. „Ich war noch nie so kurz davor dich zu hassen, wie jetzt“, wisperte sie mit gebrochener Stimme und stieß ihn von sich. Sein Gesicht erbleichte und er sah sie mit geweiteten Augen schockiert an. „Maron-“ „Raus!!“ Wütend schob sie ihn weg, zerrte ihn gleichzeitig zur Tür raus. „Komm mir nicht unter die Augen!“, schrie sie ihn an, als er endlich im Flur stand. „Maron, bitte...“, packte er ihr Handgelenk. Tränen liefen Chiaki das Gesicht herunter und er fiel vor ihr auf die Knie. Für einen Moment sah Maron fassungslos auf ihn herab. Dieser hoffnungslose, verzweifelte Anblick von ihm war so surreal. Und ließ sie kalt. Augenrollend schüttelte sie seine Hand weg, wandte sich von ihm ab und knallte die Tür vor seiner Nase zu. Drinnen schloss sie sich im Zimmer ein, rutschte zu Boden und weinte stumme, bittere Tränen. FITFY-TWO --------- FITFY-TWO   „Verdammt...“, fluchte Chiaki, nachdem Maron ihm die Tür vor die Nase zugeknallt hatte und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen weg. Er hatte es satt zu heulen. Er hatte es satt alles jedes Mal wieder zu vermasseln. Sie hasste ihn. Diesmal hasste sie ihn wirklich. Ihr Wiedersehen -ihre Reaktion- war schlimmer, als er es sich jemals vorgestellt hätte. Die Tatsache, dass Kaiki ihn zurückgenommen hatte, hatte ihm die falsche Hoffnung gegeben, dass Maron ihn ebenfalls zuhören und verstehen würde. Aber sie tat es nicht und man konnte es ihr nicht verübeln. Er war ein Arsch. Alles was sie gesagt hatte, war wahr. Er ging, ohne ansatzweise mit ihr zu kommunizieren. Wie konnte sie etwas anderes als Hass für ihn empfinden? Sie hatte diese Leere in ihren braunen Augen, als sich ihre Blicke trafen und er wusste, dass er angearscht war. Es erinnerte ihn daran, wie sie in der ersten Nacht aussah, als sie sich kennenlernten: müde, benommen und starr. Existierte - lebte aber nicht. Sie war dünn. Zu dünn. Und blass. Und trotzdem war sie immer noch das wunderschönste Wesen, was Chiaki je gesehen hatte. Ein vertrautes Seufzen, machte ihn auf Kaiki’s Anwesenheit auf der Treppe aufmerksam. Großartig, dachte Chiaki sich, war verbittert darüber, dass sein Vater etwas von dem, was eben passiert ist, gesehen hatte. Er sah nicht zu ihm auf. „Sie hasst mich...“, murmelte er niedergeschlagen. Ein weiteres Seufzen war zu hören. Nur nicht von seinem Vater. „Ich rede mit ihr.“ Überrascht schnellte Chiaki seinen Kopf hoch, blickte mit Angst in den Augen zu Takumi auf. Er war sich sicher, dass ihr Vater ihn diesmal wirklich umbringen würde. Aber zu seiner Fassungslosigkeit hatte Takumi’s Gesichtsausdruck was Ruhiges, Verständnisvolles - nichts Verachtendes, wie Chiaki erwartet hätte. Er verstand es nicht. Schließlich müsste er ihn auch hassen. Schließlich hatte er seiner Tochter weh getan und ihr das Herz gebrochen. Takumi ging zur Tür und klopfte. Er klopfte erneut, während Maron lautstark auf der anderen Seite protestierte. Geduldig wartete er, klopfte wieder nach einigen Momenten. Diesmal war ein Klicken zu hören und Takumi machte die Tür auf, ging rein und schloss sie wieder. Kaiki trat an Chiaki’s Seite, blickte mit ihm auf die Tür. Es war nichts von der anderen Seite zu hören. Plötzlich drang ein wütender, ohrenbetäubender Schrei durch die Wände. „Wollt ihr mich verarschen?!?“   Vier Stunden vergingen und Takumi war immer noch nicht rausgekommen. Was Chiaki mit jeder vergehenden Minute noch mehr beunruhigte. Kaiki hatte versucht ihn dazu zubringen Abend zu essen, welches Sakura vorbeigebracht hatte, aber er hatte keinen Appetit. Zu groß war seine Nervosität. Nach dem Schrei war es wieder ruhig gewesen und Chiaki wusste nicht, ob er die Stille eher bevorzugte. Miyako war er kurz begegnet, die ihn begrüßte und eine Sporttasche vor seinem/Maron’s Zimmer abstellte. „Hat sie bei mir im Auto vergessen“, war die simple Erklärung. Chiaki entschied sich dazu in dem Gästezimmer, welches neben Maron war, für die Nacht zu bleiben. Er verbrachte seine Zeit damit sich zu überlegen, wie er es bei ihr wieder gut machen konnte. Er hatte schließlich alle Zeit der Welt dafür. Sie lebten im selben Haus. Sie konnte ihm nicht für immer aus dem Weg gehen. Und er würde alles für sie tun. Ihr alles geben, was sie brauchte. Ein Glas für sie aufmachen, das Geschirr vom obersten Schrank holen... Sie brauchte nur zu fragen und er würde sich auf jeglicher Art und Weise erniedrigen. Er würde sogar Dreck für sie essen, wenn sie das von ihm verlangen würde. So hoffnungslos, erbärmlich und armselig das alles auch klang... das war nun mal der Effekt, den Maron auf ihn hatte. Mit einem Blick konnte sie ihn auf die Knie zwingen und er würde sich ihr unterwerfen. Es war eine schmale Grenze zwischen Akzeptanz und Entschlossenheit, auf die Chiaki sich befand. Akzeptanz für den deprimierenden Fall, dass Maron vielleicht nie wieder sein Mädchen sein würde. Diese Vorstellung war undenkbar. Und Entschlossenheit für den Fall, dass er eventuell doch noch eine Chance erhielt. Im Übrigen gab es noch so viel, was Chiaki noch wissen wollte. Er hatte in den letzten drei Monaten so unglaublich viel von allem verpasst und jetzt fühlte er sich wie ein Außenseiter, den er ausnahmsweise mal nicht sein wollte. Gegen zehn hörte Chiaki, wie Takumi aus dem Zimmer rauskam und wenige Momente später aus dem Haus ging. Eben lag er noch auf dem Gästebett, im nächsten Moment hatte er sich aufgesetzt und überlegt, ob er zu ihr gehen sollte. Doch er argumentierte mit sich selbst, dass es höchstwahrscheinlich besser war Maron erstmal in Ruhe zu lassen. Es war das einzig Richtige, was er im Augenblick tun konnte. (Auch wenn es Scheiße war.) Letztendlich lag Chiaki auf dem Bett, sah auf dem schwachen Lichtstreifen unter der Tür und hoffte, dass sie eventuell später in der Nacht rauskam. Er wusste nicht, ob sie schlafen würde. Er zumindest konnte das nicht, solange sie noch nicht wieder mit ihm geredet hatte. Chiaki wusste, dass seine Albträume schlimmer sein werden, nachdem er sich dazu entschieden hatte seine Mutter zu verlassen. Er dachte über Maron’s Erinnerungen und Albträume nach, stellte sich anschließend vor, wie sie allein einschlief und verängstigt aufwachte. Und die Vorstellung allein schmerzte in seiner Brust. Er würde zu ihr gehen, wenn dies der Fall war. Er würde die verdammte Tür einbrechen und sich zu ihr legen, um ihr Schlaf zu geben. Wenn man ihn dann umbrachte, war es das zumindest wert gewesen.   Um Mitternacht flatterten seine Augenlider zu und seine ruhige Atmung wiegten ihn nahezu in den Schlaf. Die Fahrt hatte ihn ermüdet. Gerade als Chiaki dachte mit dem Warten aufzugeben, sah er einen Schatten unter seiner Tür, der an ihm vorbei ging. Er schoss sofort hoch, so schnell, dass sein Kopf sich drehte. Er hörte, wie ihre sanften Schritte sich die Treppe hinunterbegaben. Vorsichtig verließ Chiaki das Gästezimmer und entschied sich dazu ihr zu folgen. Leise ging er durch das dunkle Haus, in der Erwartung Maron in der Küche zu finden, aber der Raum war genauso dunkel und leer, wie alles andere. Instinktiv begab er sich nach draußen und sein Herz klopfte stark, als er ihre Silhouette im Park hinten sah. Dieser Ort war bedeutsam für sie -für sie beide- und zum ersten Mal seit ihrer Konfrontation, spürte Chiaki einen Hoffnungsschimmer. Dann erinnerte er sich an ihre Worte von vor ein paar Stunden zurück und wie sie ihm im Grunde genommen sagte, dass sie ihn hasste... Ihm wurde übel. Chiaki schluckte und ging zu ihr, machte sich auf das Ende von allem gefasst. An dem Ort, wo alles begann. Sie stand am Flussufer, blickte auf das strömende Wasser herab, als er ihre Bank erreichte und sich langsam auf seiner Seite hinsetzte. Maron rührte sich nicht, stand mit gefalteten Armen an Ort und Stelle. Mit einem leisen Seufzer drehte sie sich schließlich zu Chiaki um. Sie erwiderte seinen Blick nicht, während sie sich ihm näherte und anschließend einen Baum wählte, an den sie sich anlehnte. Sie wollte eindeutig nicht in seiner Nähe sein, was ihm einen weiteren Stich im Herz verursachte. Dann fiel ihm auf, dass etwas auf dem Tisch lag. Es sah aus wie ein dicker, großer Umschlag. Zögernd reichte Chiaki nach dem Umschlag und öffnete ihn, während Maron starr auf den Fluss schaute. Unzählige Papiere fand er vor und Seiten von seinen Kreditkartenabrechnungen der letzten drei Monate. Er versuchte im Mondlicht alle einzelnen Einkäufe, die er getätigt hatte zu lesen, um ansatzweise eine Vorstellung zu bekommen, was in ihrem Kopf vorging. Allerdings wurde er mit jeder Seite nicht schlauer als vorher. Er hatte keine Ahnung, was sie von ihm wollte. Ihre Gedanken lesen zu können, wäre vom Vorteil… Fragend sah Chiaki zu ihr rüber. Sie erwiderte nach wie vor nicht seinen Blick. „Du hast mich verlassen“, wisperte Maron plötzlich, klang vorwurfsvoll. Ihre Arme um ihren Oberkörper spannten sich an. „Ich bin jetzt hier“, erwiderte er, unfähig ihr zu widersprechen. Abrupt schnellten ihre Augen zu ihm hin, trafen auf seine. „Du kapierst es nicht“, fuhr sie ihn an, „Du hast... mich einfach verlassen. Wenn du mir deinen Ring ins Gesicht geworfen und gesagt hättest, dass es vorbei sei, wäre ich besser dran gewesen!“ Maron atmete einmal tief durch und ihre Stimme wurde trauriger. „Zumindest hätte ich dann-…“ Ihre Stimme brach und sie wandte ihren Blick von ihm ab, zurück zum Fluss. Für einige Moment wusste Chiaki nicht, was er sagen sollte. Was er ihr erwidern sollte, um halbwegs das zu retten, was von ihrer Beziehung noch übrig war. Im Grunde genommen hatte Maron zugegeben, dass sie dachte, dass er alles beenden wollte. Und Gott weiß, wie lange sie das dachte... Es steigerte nur seine Wut und seinen Hass auf sich selbst. Die Tatsache, dass seine Zukunft mit ihr schlicht und ergreifend von dieser Konversation gerade abhängt, ließ ihn nicht besser fühlen. Der Druck war enorm. Vorsichtig wählte er seine Worte bewusst aus, mit der Hoffnung, dass sie ihn verstand. „Nur weil ich weg war, hieß es nicht, dass ich nicht dein war.“ Er wollte sie wirklich fragen, ob sie noch sein war, aber er war noch nicht bereit für die Antwort darauf. Maron stand bewegungslos gegen den Baum gelehnt. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Anzeichen darauf, dass sie sich einen Dreck um seine Worte scherte. „Du bist ein Arsch“, sagte sie. Chiaki senkte seinen Kopf. „Ja...“, stimmte er seufzend zu. „Aber ich versuche keiner zu sein.“ Ihre Haare wehten ihr ins Gesicht und der Drang war groß aufzustehen und ihr die Strähnen zurück zu streichen. „Du hättest mich nicht ausschließen sollen.“ Noch immer weigerte Maron sich Chiaki’s Blicke zu erwidern. „Ich hätte es verstanden, wenn du einfach... angerufen hättest oder so, aber-“ Sie hielt abrupt inne und verstummte, sprach nicht weiter. Das Schweigen zog sich hin und Chiaki war etwas frustriert darüber, dass sie ihren Satz nicht beenden konnte. Er zog es in Erwägung ihr bestmöglich zu erklären, was er durchgemacht hatte und wieso er jetzt hier -bei ihr- war. Er musste sie wissen lassen, dass er sie nicht ausschließen wollte. Mit einem tiefen Atemzug begann er zu sagen: „Als ich in Yokohama war und meine Mutter fand, war sie sehr-“ Sie unterbrach ihn knapp. „Mein Vater hat mir alles erzählt.“ *** „Mein Vater hat mir alles erzählt“, fiel ihm Maron ins Wort, wusste nicht, ob sie sich das alles nochmal anhören konnte. Als Takumi zuvor in ihr Zimmer reinkam, hatte sie erwartet, dass er Chiaki’s Anwesenheit und Gefühle zu ihr kritisieren und ablehnen würde. Das hätte ihr schlechtes Gewissen zumindest beruhigt, dass sie ihn weinend und gebrochen im Flur stehen ließ. Umso größer war ihre Perplexität, als ihr Vater Chiaki in Schutz nahm. „Er hatte viel durchgemacht“, hatte er ihr gesagt und anschließend alles erzählt, was er von Kaiki wusste. Maron verstand seinen plötzlichen Sinneswandel nicht, bis ihr es nach einiger Zeit klar wurde. In dem Moment hatte er nicht die überfürsorgliche Vaterrolle eingenommen, der seine Tochter vor einem Jungen beschützen will, sondern die Rolle eines Vaters, der Mitleid mit einem verlorenen Jungen hatte. Stundenlang musste sie sich anhören, was Chiaki in den letzten drei Monaten durchgemacht hatte. Wie unfähig seine Mutter war, für sich selbst zu sorgen und wie er sich verpflichtet gefühlt hatte, sich um sie zu kümmern. Sie verstand diese Frau nicht. Wie konnte man aus Trauer und Verzweiflung sein eigenes Kind vernachlässigen? Noch immer hasste Maron sie mit jeder Faser ihres Daseins. Sie verspürte kein Mitleid mit dieser Frau. Doch sie verspürte Mitleid mit Chiaki. Sie konnte ihn verstehen, wieso er sich für seine Mutter entschieden hatte. Was sie nicht verstand war, wieso er sich abgeschottet hatte. Noch schlimmer – sie konnte nicht verstehen, wieso er jetzt zurückgekehrt war. Langsam drehte Maron sich zu Chiaki um, der nach wie vor auf seinem Platz auf der Bank saß. Den Blick auf den Tisch gesenkt. Seine Haare waren etwas länger, verdeckten seine Augen vor ihr. „Du wirst wieder gehen“, sagte sie, war sich dem sicher. Sein Kopf schnellte hoch und er sah sie erschrocken sowie verwirrt an. „Du weißt, dass sie da draußen ist und dass sie dich braucht“, erklärte Maron. „Du wirst wieder zu ihr zurückkehren“, flüsterte sie resigniert, konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Lange hatte sie darüber nachgedacht und kam immer zum selben Ergebnis: dass er wieder gehen würde. Chiaki schüttelte verneinend den Kopf, worauf sie ebenfalls den Kopf schüttelte. „Du tust so, als wärst du der Einzige, der jemals seine Mutter verloren hatte“, sprach sie bitter weiter und mit Gift in der Stimme, blickte ihm fest in die Augen. Tränen verschwammen ihre Sicht, die sie sich energisch wegblinzelte. Er zog scharf Luft ein. Es wurde für einige, lange Sekunden still zwischen ihnen. Maron nahm einige tiefe Atemzüge, versuchte ihre Emotionen im Zaum zu halten – was einfacher gesagt war als getan. Monatelang hatte sie sie unterdrückt, selbst bei ihren Gesprächen mit Midori und nun konnte sie sie nicht mehr kontrollieren. Sie wandte ihren Blick von seinen traurig schauenden Augen ab. Er schien zu verstehen, was sie mit ihrer Aussage sagen wollte. „Du würdest dich für deine Mutter entscheiden“, sprach Chiaki sanft, worauf ihr ein lauter Schluchzer aus der Brust entkam. Selbst wenn Maron es leugnen wollte, so konnte sie nicht. Ihre Liebe zu Chiaki war endlos, aber sie würde alles für einen Moment mit ihrer Mutter hinschmeißen. Es war unverzeihlich und selbstsüchtig. Sie konnte sich nicht mal an ihre letzten Worte an ihre Mutter erinnern. Wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte, um wieder das sorglose sechszehnjährige Mädchen sein zu können, die ihre Mutter als ihre beste Freundin hatte, dann hätte sie es getan. Sie hätte alles dafür gegeben und aufgegeben. Weinend rutschte Maron zu Boden, zog ihre Beine an die Brust und schlang ihre Arme fest um die Knie. Sie legte ihre Stirn auf ihre Knie ab, hörte nichts außer ihr eigenes Schluchzen, weshalb sie nicht mitbekam, wie Chiaki aufsprang und auf sie zukam. Sie spürte, wie er sich davon abhielt sie anzufassen. „Es ist okay…“, sagte er tröstend sanft. Maron schüttelte ihren Kopf, sah nicht zu ihm auf. Es war nicht okay. Nach einigen stillen Moment spürte sie, wie er näher zu ihr heranrückte, sich neben sie hinsetzte und nach ihr reichte. Sie wehrte sich nicht, als seine Arme sich um sie legten und ihren Körper in diese vertraute, sehnsüchtige Wärme einbetteten. Sie lehnte sich zu ihm hin, spürte, wie er erleichtert ausatmete und sie anschließend auf seinen Schoß zog. „Es ist okay“, wiederholte Chiaki sanft, strich ihr sachte über den Rücken. Maron spürte, wie er sein Gesicht in ihre Haare schmiegte und tief einatmete. Er drückte sie enger an sich. „Wenn es möglich wäre und ich es dir ermöglichen könnte, würde ich sowieso wollen, dass du dich für sie entscheidest“, sagte er und ihr Schluchzen wurde lauter. Die Tränen stoppten nicht.   Nach einer langen Weile hatte Maron womöglich alle Tränen ausgeheult, die sich in den Monaten angestaut hatten. Gedankenverloren hatte sie ihre Wange an seiner Brust ruhen und starrte auf den Fluss. Noch immer strichen seine Hände ihr im Rhythmus über die Haare und über den Rücken. Der Moment wäre unter anderen Umständen perfekt gewesen. Aber in ihrem Kopf schwirrten noch zu viele Fragen. „Warum hast du mich nicht angerufen... oder mir geschrieben? Oder irgendwas...“ „Ich war verdammt schwach, Maron“, wisperte Chiaki, „Ich bin mir nicht sicher, wie ich es rechtfertigen kann... Es gab womöglich Millionen von Gründen…“ Er seufzte schwer. „Ich wollte dich nicht belasten...“ Still seufzend nahm sie seine Antwort zur Kenntnis. Es war wieder ruhig zwischen ihnen und ihre Augen wurden schwer. „Du irrst dich, als du sagtest, dass ich dich wieder verlassen würde. Denn das werde ich nicht“, versprach Chiaki ihr, „Ich werde das wieder gut machen, du wirst schon sehen. Selbst wenn-...selbst wenn du mich jetzt hasst“, flüsterte er kaum hörbar. Maron verdrehte ihre Augen und presste sich noch näher an ihn ran, als es noch möglich war. „Ich hasse dich nicht“, sagte sie. Ich liebe dich, du melodramatischer Mistkerl, dachte sie sich im Stillen. „Wirklich?“, fragte er unsicher, aber hoffnungsvoll. „Ich hasse nicht dich, Chiaki. Ich hasse es, dass du mir das Herz gebrochen hast.“ Er versteifte sich für einen Moment, ehe seine Arme sich enger um sie legten. „Scheiße... Es tut mir so verdammt leid, Maron. Glaub mir, bitte. Ich wollte nie-…“ Kurz hielt er inne und atmete durch. „Von jetzt an will ich dich immer glücklich machen. Sag mir einfach nur wie und ich werde es tun.“ Er klang erschöpft und müde. Sie seufzte, war selbst vollkommen ausgelaugt. „Ich bin müde. Ich will ins Bett“, kündigte sie an, drehte ihren Kopf zu seiner Brust, atmete seinen Duft ein. Chiaki half ihr auf die Beine, ließ Maron zögernd los. Seine Augen waren immer noch traurig und betrübt, während er sie ansah. Ohne zweimal nachzudenken, nahm Maron seine Hand und führte ihn in die Villa zurück. Schweigend liefen sie nebeneinanderher. Leise betraten die beiden das Haus und sie ließ seine Hand los, als sie die Treppen hochstieg. Unauffällig blickte Maron über ihre Schulter, sah seine Enttäuschung über den Kontaktverlust. Im zweiten Stock angekommen, blieben sie vor der Zimmertür stehen. „Können wir morgen reden?“, fragte Chiaki leise. Maron rollte ihre Augen, nickte. Ein trauriges Lächeln war auf seinen Lippen, ehe es verschwand und mit einer ausdruckslosen Maske ersetzt wurde. „Gute Nacht.“ Gerade als er sich umdrehen wollte, packte sie ihm am Ärmel, zog ihn zu sich zurück. „Moment.“ „Was?“, fragte er verwirrt. Wieder verdrehte sie ihre Augen. „Ich sagte, ich bin müde. Ich will schlafen.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Du sagtest, du würdest alles tun, um mich glücklich zu machen, richtig?“ Seine Augen wurden groß, ehe Chiaki sich unbeholfen durch die Haare fuhr. „Das ist wahrscheinlich keine gute Idee...ich meine-“ Er brach unsicher ab, blickte die Treppen runter. Machte er sich ernsthafte Sorgen darüber? Maron schnaubte spöttisch. „Erstens: Du und ich sind achtzehn.“ Sie machte die Tür auf und zog ihn mit rein. „Zweitens: mein Vater ist nebenan daheim und was er denkt, geht mich ein Scheißdreck an. Und drittens: dein Vater würde womöglich eher ‘ne Party schmeißen, weil wir endlich Schlaf bekommen.“ Sie schmiss Chiaki ein paar seiner Sachen zum Schlafen zu, die noch immer auf dem Boden lagen und drehte sich zu ihm um. Der Schock, das Entsetzen und die Reue in seinem Gesicht überraschte sie. „Ich habe deinen Geburtstag verpasst...“, sagte er fassungslos. Maron nickte, zuckte mit den Schultern und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Den Schmerz an ihrem Geburtstag schluckte sie sich runter. Es war ein unspektakulärer Tag gewesen, in der jeder versucht hatte ihre Stimmung zu heben. Erfolglos. Als Maron aus dem Bad trat, stand Chiaki umgezogen mitten im Raum. Es war so ungewohnt ihn wieder innerhalb dieser vier Wände zu sehen - und gleichzeitig gehörte er hierhin. Als ihre Blicke sich trafen, wurde sie rot. Aus Gewohnheit hatte Maron sich ein T-Shirt und eine Boxershorts von ihm angezogen. Sie fühlte sich wohl in seinen Sachen, aber gerade spürte sie, wie unter seinen Blicken die Hitze ihre Wangen hochschoss. Schnellen Schrittes ging sie zum Bett und schlüpfte unter die Decke. Er folgte ihr. Langsam stieg Chiaki ins Bett, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden und legte sich neben sie hin. „Du weißt“, begann Maron zu sagen, spürte, wie er seinen Kopf zu ihr drehte, „Das macht noch lange nicht alles gut“, warnte sie ihn und schaute ihn an. Seine Augen blickten eindringlich in ihre. „Ich will...Ich will nur keine Missverständnisse“, stellte sie klar, auch wenn alles in ihr nach Schlaf, Komfort und seiner Zuneigung schrie. Chiaki nickte verstehend. In dem Moment, als Maron sich zur Seite drehen wollte, hörte sie ihn flüstern: „Denkst du...uhm...“ Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Denkst du, ich habe noch eine Chance?“ Stirnrunzelnd blickte sie Chiaki an. Sie dachte über die Wahrscheinlichkeit nach, dass Chiaki hier war und sein Versprechen, nie wieder zu gehen, halten würde. Und sie wusste, dass er die Chance hatte. Er hatte jede Chance von ihr. Schließlich hatte er schon ihr Herz und ihre Seele. Es war unmöglich, diese Sehnsucht nach Glück und Liebe zu bekämpfen. Besonders jetzt, wo Maron wusste, wie es ist ohne zu leben. Ohne Glück. Ohne Liebe. Ohne ihn. Auf seine Frage nickte sie nur und er entspannte sich merklich. Erleichtert und dankbar schloss Chiaki seine Augen, drehte sich zu ihr um und legte einen Arm um sie, zog sie zu sich. Das Gefühl seines Körpers an ihren, seines Herzschlages auf ihrem Ohr, war vertraut, wohltuend und richtig. Seine Hände strichen in einem sanften Rhythmus durch ihre Haare. Sie tat dasselbe. Seine Haare fühlten sich weich unter ihren Fingern an. Die Länge war etwas ungewohnt, aber auch beruhigend. Er hatte sich nicht nur äußerlich, aber auch innerlich verändert. Das hatte sie gemerkt. Und sie würde morgen sehen, wie ernst er es mit seinem Versprechen meinte. Maron spürte, wie Chiaki seine Lippen auf ihren Kopf drückte, bevor sie in den Schlaf wegdriftete. Sie lächelte. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sich ihr Lächeln natürlich und ungezwungen an. FIFTY-THREE ----------- FIFTY-THREE   Mit einem zufriedenen Lächeln lag Maron in Chiaki’s Armen, genoss die Wärme und den Komfort in ihnen. Plötzlich war ein Klopfen an der Tür zu hören. Seufzend entfernte sie sich vorsichtig von Chiaki, versuchte ihn nicht zu wecken. Mit leisen Schritten ging sie zur Tür und trat raus in den Gang. „Morgen“, grinste Miyako sie an. „Habe ich euch beim Schmusen gestört?“ Maron verdrehte ihre Augen, erwiderte darauf nichts. Miyako’s Grinsen wurde breiter. „Aww. Ich habe dein ‚Chiaki-Gesicht‘ vermisst”, sagte sie. „War’s das?“, entgegnete Maron genervt. „Naja, eigentlich wollte ich dich abholen, damit wir zum Yoga fahren. Aber ich schätze mal, dass du die Stunde heute ausfallen lassen wirst.“ Miyako zwinkerte ihr zu. „Keine Sorge, ich werde mir was einfallen lassen, um unserer Kursleiterin deine Abwesenheit zu erklären. Nun denn, viel Spaß euch beiden.“ Mit den Worten ging sie winkend davon. So gut gelaunt hatte Maron ihre Freundin seit einer Weile nicht mehr gesehen. Sie schien sich wirklich für sie zu freuen. Lächelnd ging Maron in die Küche runter. Schlafen konnte sie nicht mehr. Sie machte den Kühlschrank auf und holte sich Blaubeeren und Milch heraus, stellte beides auf der Arbeitsplatte ab. Leicht tänzelnd holte sie ihre restlichen Zutaten aus den Schränken und begann zu arbeiten. Es war erstaunlich, was acht Stunden ungestörter Schlaf ausmachen konnten. Midori hatte ihr einmal einen Vortrag über die Wichtigkeit von Schlaf und dessen Bedeutung über die körperliche und geistige Gesundheit gehalten. Damals hatte Maron es mit einem Achselzucken abgetan, war noch nicht bereit mit ihr über ihre Schlafgewohnheiten zu reden. Außerdem hasste sie es, wenn Midori recht hatte. Maron fühlte sich wie damals, als sie das erste Mal mit Chiaki durchgeschlafen hatte. Wie wiederbelebt und neu geboren. Alles war klarer und lebendiger, als wäre ein Schleier von ihren Augen entfernt worden. Ihre Muskeln fühlten sich stärker und ihr Verstand fühlte sich schärfer an. Gut gelaunt machte Maron für Chiaki Pfannkuchen mit Blaubeeren und einen Latte Macchiato. Sie hatte zwar ein kleines Chaos in der Küche angerichtet, als sie fertig war - räumte es jedoch nicht auf, sondern ging mit dem Tablett, auf dem sein Frühstück war, schnurstracks nach oben. Als Maron die Tür erreichte, öffnete sie sie vorsichtig mit ihrem Ellenbogen. Ihre Brauen zogen sich verwirrt zusammen, als sie das Bett leer vorfand. Im nächsten Augenblick war ein Geräusch aus dem Badezimmer zu hören. Erleichtert stellte Maron das Frühstück auf dem Bett ab, setzte sich und wartete. Nach wenigen Momenten öffnete sich schließlich die Badezimmertür. Auch wenn sie Chiaki’s Augen durch die etwas längeren Haare nicht genau sehen konnte, so konnte Maron dennoch erkennen, dass er besorgt und erleichtert wirkte. Er trug noch immer seine Schlafsachen. Sie verspürte den Drang ihm die Finger durch die Haare zu bürsten. Und ihn dann zu umarmen. Zu küssen. Und dann-... „Ich hatte Angst gehabt, dass du weggegangen wärst“, unterbrach seine raue Morgenstimme ihren Gedankengang und er strich sich ein paar Strähnen von der Stirn. Maron schüttelte wortlos den Kopf. Fragend blickte Chiaki auf das Essen vor ihr herab. Sie spürte, wie ihre Wangen rot anliefen und sah verlegen weg. „Du hast letzte Nacht nichts gegessen.“ Maron zuckte mit den Schultern, spielte mit dem Saum seiner Boxershorts, die sie trug. „Oh“, hauchte er, offensichtlich überrascht. „Und ich würde behaupten, dass du in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, nicht genug gegessen hast.“ Die Hitze in ihren Wangen verstärkte sich. „Könne ich bei dir auch behaupten“, murmelte er kaum hörbar. Sie biss sich auf die Lippe, als sie seinen Blick auf sich spürte. Chiaki ging zum Bett, setzte sich ihr gegenüber hin, nahm eine bequeme Position ein. „Das hättest du nicht tun sollen...“, sagte er. Sie versuchte sich die anbahnende Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Aber danke“, fügte er zusätzlich hinzu und lächelte ein kleines, verlegenes Lächeln, welches Maron erwiderte. Gespannt schaute sie ihm dabei zu, wie er seinen Stapel Pfannkuchen anschnitt und ein Stück in den Mund nahm. Seine Augen schlossen und öffneten sich, während er kaute und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Gott, ich habe dein Essen vermisst.“ Er kicherte leicht und schnitt sich einen weiteren Bissen ab, verschlang ihn begeistert. Maron lehnte sich in die Kissen zurück, während sie ihn mit vertrauter Bequemlichkeit beobachtete. Seine warmen Augen leuchteten zufrieden, als er sie ansah. Sein Lächeln wurde breiter. „Hast du keinen Hunger?“, fragte er. Sie schüttelte nur den Kopf, ignorierte ihren knurrenden Magen. Sein Lächeln fiel, worauf sie schnell log: „Ich habe schon gegessen“, um seine Sorgen zu lindern. Er beäugte sie für einen Moment skeptisch. Anschließend schnitt Chiaki ein Pfannkuchenstück ab und hielt ihr es vor den Mund. Seufzend verdrehte Maron ihre Augen, hätte sich denken können, dass er ihre Lüge heraushören konnte, machte den Mund auf und biss zu. Zufrieden kehrte sein Lächeln wieder zurück. Schweigend saßen sie für eine Weile da, auf seinem Bett, während er im Wechsel, sich ein Stück abschnitt und dann ihr. Mit jeder vergehenden Minute wurde Maron nervöser. Überlegte sich, wie sie den Elefanten im Raum am besten ansprechen sollte. Er war drei Monate weg gewesen, die man ihm äußerlich ansah und die sich auch durch die innere Kluft zwischen ihnen bemerkbar machte. Es gab so viel zwischen ihnen, was beredet werden musste. Nicht nur er hatte ihr Rede und Antwort zu stehen, auch sie ihm. „Erzähl mir von Yokohama“, durchbrach Maron leise das Schweigen. Ein schmerzlicher Ausdruck breitete sich in seinen Augen aus. „Ich dachte, du wüsstest alles.“ „Ich will es von dir hören.“ Sie fügte schnell hinzu: „Du muss mir natürlich nichts sagen...“ Chiaki lächelte ein schmales Lächeln und ein paar Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Es juckte in ihren Fingern sie zurückzustreichen. „Ich erzähl es dir. Es ist nur... etwas abgefuckt“, gestand er, verzog beschämt das Gesicht. Seine Augen blickten erschöpft in ihre. „Ich will einfach nur ehrlich mit allem sein...und um ehrlich zu sein, ich habe ziemlich große Angst, dass du weniger von mir denkst“, erklärte er. Maron runzelte die Stirn, blinzelte ihn an, etwas perplex darüber, dass er jemals so etwas denken würde und wohlwissend, dass es ihre eigene Schuld war. „Ich habe es dir schon gesagt, Chiaki“, murmelte sie und wich seinen intensiven Blicken aus. „Nichts könnte mich dazu bringen, dich weniger zu lieben.“ Es war still im Raum und ihre Worte, die sie nicht bereute, hingen in unaussprechlicher Größe zwischen ihnen in der Luft. Es war schließlich nicht gelogen. Sie und er – waren wie ein Set. Der eine war ohne den anderen einfach nur leer und unvollständig. Sie durchleben zwar gerade eine ziemlich große Hürde, aber Maron war optimistisch genug zu glauben, dass sie es überwinden konnten. Ihre Augen fixierten die durchsichtigen Vorhänge der Balkontür, durch das Sonnenlicht sanft reinströmte. Nach einigen Momenten begann Chiaki zu erzählen: „Nun... es dauerte nicht lange, bis ich sie fand...“   Die beiden verbrachten den ganzen Tag auf dem Bett, das Frühstückstablett zwischen ihnen lag mittlerweile auf dem Boden und Chiaki’s Stimme füllte den Raum. Stunden vergingen und die einzigen Male, wo er aufhört zu reden, war, wenn einer von ihnen kurz ins Bad ging. Mit jedem Mal, in der Maron ins Bett zurückkehrte, setzte sie sich unbewusst näher zu ihm heran. Während er sprach, hörte Maron aufmerksam zu, kannte den Kern von allem zwar schon, aber stellte Fragen, wenn sie Unklarheiten hatte. Man merkte Chiaki an, wie unangenehm ihm die Sache war, aber er war ehrlich, beantwortete jede ihrer Fragen. Als er ihr von seinen Halluzinationen von ihr erzählte, war sie geschockt. Sie wusste nicht wirklich, wie sie reagieren sollte und er weigerte sich ihr in die Augen zu sehen. „Die meiste Zeit ging sie mir mega auf den Sack... aber, weißt du... sie sah aus wie du, also...“ Mit leicht geröteten Wangen verstummte Chiaki, rieb sich den Nacken. So verstörend es auch war, so kam Maron nicht drum herum sich irgendwie... geehrt zu fühlen? Es war merkwürdig. Maron realisierte, dass diese Halluzination auch schuld am ganzen Fiasko von vor drei Monaten sein musste, was wiederrum auf den Schlafmangel zurückzuführen war... aber es war alles nun mal geschehen und man konnte es nicht wieder rückgängig machen. Daraufhin begann Chiaki ausgiebig über seine Mutter zu erzählen. „Ich denke, wir hatten eine schwierige Zeit, nach Jahren einander wieder so nah zu sein“, gestand er leise. Maron konnte sich das vorstellen. Er sprach über ihre Trinkprobleme, über ihre heruntergekommene Wohnung und wie er versucht hatte sich um sie zu kümmern. Er sprach darüber, wie er versucht hatte, seiner Mutter zu helfen, sie sich aber nicht besserte. Er erzählte ihr von ihrem letzten gemeinsamen Tag (welcher vorgestern war), wie sie zusammen auf dem Sofa saßen und wie er seiner Mutter von ihr erzählt hatte. Peinlich berührt färbten sich darauf Maron’s Wangen rosarot. Es störte sie nicht, dass Chiaki dieser Frau alles von ihr erzählt hatte. Dieser Moment hatte ihm und seiner Mutter anscheinend was bedeutet und nähergebracht. Trotz all der Schmerzen und der Trauer. Dennoch war die Vorstellung, dass er sein Leben dort in diesem Leid verbringen würde, unerträglich. Letztendlich war Maron froh, dass Kyoko ihn dazu gebracht hatte, sie loszulassen und hierher nach Hause zurückzukehren. Auch wenn es ihm sehr schwergefallen war. Und auch jetzt konnte sie ihm ansehen, wie traurig er über diese Entscheidung war – obwohl ihm bewusst ist, dass dies das Beste für ihn und seine Zukunft war. Maron reichte nach seiner Hand, rückte noch näher zu ihn heran und blickte ihm sanft in die Augen. Tröstend strich sie mit dem Daumen über seinen Handrücken, senkte ihren Blick auf ihre verbundenen Hände. Plötzlich spürte sie seine andere Hand auf ihrer Wange, die ihre sachte eine Strähne hinter das Ohr strich. Sanft sprach und erzählte Chiaki weiter, über seine Gefühle und Ängste, der letzten Monate, während seine Hand zwischen ihnen auf dem Schoß fiel. Am späten Nachmittag ging ihm schließlich der Erzählstoff aus, aber Maron konnte fühlen, wie die Kluft zwischen ihnen sich fast geschlossen hatte. Sie spielte mit dem Ring an seinem Finger, während er sie schweigend dabei beobachtet. Anschließend sah Maron auf die Uhr und seufzte. „So gerne ich auch bleiben will“, sagte sie, gab seiner Hand einen liebevollen Druck. „Ich muss langsam das Abendessen machen.“ Chiaki nickte verstehend. „Ich will meinen Vater auch nicht denken lassen, dass ich ihm aus dem Weg gehe“, murmelte er, sah sie an und strich ihr wieder eine Strähne nach hinten. Seine sanften Berührungen brachten derartige Sehnsüchte in ihr hoch. Maron lächelte und warf sich instinktiv in seine Arme. Er war ein wenig überrascht über die plötzliche Umarmung, legte nach einem Moment seine Arme fest um sie, als sie ihr Gesicht in seinen Nacken vergrub und ihr schließlich die Tränen kam. Leise flüsterte sie ihm zu, wie leid ihr alles tat. Er strich ihr beruhigend über den Kopf, drückte ihr einen leichten Kuss auf die Haare. Sie konnte spüren, wie auch ihm alles leidtat Er verzieh ihr. Sie verzieh ihm. Das leere Gefühl in Maron’s Brust war komplett verschwunden, wurde ersetzt von der vertrauten Wärme in ihrem Herzen. Nach einigen Minuten verließen die beiden Hand-in-Hand das Zimmer und gingen gemeinsam die Treppen herunter. * Heute Abend waren alle bei den Nagoya’s zum Essen eingeladen. Fast alle. Ihre Familie war da. Miyako hatte Yamato einfach mitgeschleppt, der es nicht eilig hatte, zu sich nach Hause zu kommen. Mit einem „Willkommen zurück“ und einer Männerumarmung, hatte er Chiaki begrüßt, als er reinkam. Kagura, Shinji und Natsuki waren dieses Wochenende auch zu Besuch da. Von Shinji bekam Chiaki einen Handschlag und Natsuki schlug ihm in die Brust. „Nochmal so eine Aktion und ich versohle dir richtig den Hintern“, hatte sie ihm zur Begrüßung gesagt, worauf Chiaki leicht verängstigt nickte. Es hätte nur noch gefehlt, dass Midori eingeladen wäre... Maron hätte es garantiert nichts ausgemacht, ihre Therapeutin zum Abendessen am Tisch sitzen zu haben, aber trotzdem wäre es merkwürdig gewesen. Insbesondere, weil sie Chiaki noch von ihrer Therapie erzählen musste. „Das Essen ist mal wieder vorzüglich“, kam es von Kaiki mit erhobenem Glas. Zustimmendes Gemurmel folgte. Maron lächelte dankend. Sie saßen alle am großen Esstisch und für die ersten drei Minuten wurden um sie herum sehr belanglose Gespräche geführt, aber Maron spürte, wie immer wieder die Blicke auf sie und Chiaki fielen. „Also“, sagte Shinji schließlich, lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich. „Da Maron jetzt hier wohnt und anscheinend auch nicht nach nebenan wieder zurückziehen wird-“ Er deutete mit seinen Stäbchen auf sie und Chiaki. „Schlaft ihr auch miteinander?“ Takumi verschluckte sich an seinem Wein. „Ich meine zusammen!“, korrigierte Shinji sich schnell, „Im Bett. Nicht miteinander. Das Schlafen schlafen und nicht das andere schlafen- Au!!!“ Kagura stieß ihn mit den Ellenbogen von der Seite an und Natsuki hatte ihm von der anderen Seite wohl ans Bein getreten. Miyako und Yamato verkniffen sich ihr Lachen. Maron’s Gesicht lief feuerrot an und Chiaki sah aus, als würde er von hier wegwollen. Sie räusperte sich und blickte ihren Vater an. „Wie du dir bestimmt denken kannst, werde ich hierbleiben“, sagte sie in einem sachlichen Ton, „Wir sind schließlich alle Erwachsene hier. Und, klar-“ Maron warf Chiaki einen kurzen Seitenblick zu, den er erwiderte. „Chiaki und ich haben unsere kleinen und größeren Probleme, aber wir versuchen die gemeinsam zu lösen. Keine große Sache.“ Erneut zuckte sie mit den Schultern, fühlte sich leichter und aß weiter. Takumi seufzte nickend. „Benehmt euch einfach und bereitet Kaiki nicht noch mehr Arbeit, als er schon hat“, sagte er mit einem vielsagenden Unterton nur. Maron nickte lächelnd. „Chiaki, wenn du willst, kann ich dir demnächst die Haare schneiden“, kam es von Sakura. „Ich seh’ doch, wie es dich frustriert“, fügte sie in dem Moment hinzu, als er sich zum womöglich dutzendsten Male die Haare aus dem Gesicht strich. Chiaki sah sie an und nickte nach kurzem Zögern zustimmend. „Also...Wann ist eigentlich die Hochzeit?“, fragte Yamato mit einem freundlichen, unschuldigen Lächeln an Takumi und Sakura gewandt. Nun waren alle Blicke auf das verlobte Paar gerichtet, die ein wenig sprachlos auf die plötzliche Frage war. „Genau!“, sagte Miyako mit Ungeduld in der Stimme. „Habt ihr euch endlich schon für ein Datum entschieden?“ „Oh!“, mischte Natsuki sich ein. „Und wird es eine traditionell japanische oder eher eine moderne, westliche Hochzeit? Ich möchte nämlich wissen, ob ich ein Kimono oder ein Kleid kaufen muss.“ „Oder man kombiniert beides“, warf Kagura ein, „Tradition bei der Trauung und Modern bei der Feier.“ Miyako schnappte begeistert nach Luft. „Genau das machen wir!“ „Entschuldige mal“, erwiderte Sakura, blickte ihre Tochter entgeistert an. „Was heißt hier bitte ‚wir‘? Du bist nicht diejenige, die heiratet.“ „Ich bin aber die Tochter der Braut.“ „Was noch lange nicht heißt, dass du die Hochzeit planst, junge Dame.“ „Irgendjemand muss doch mal die Zügel in die Hand nehmen! Da das Brautpaar nach Monaten immer noch keinen Plan hat.“ „Wie wäre es damit, Miyako“, sagte Takumi, „Du erkundigst dich im Internet nach einem guten Hochzeitsplaner und gibst uns die Kontaktdaten. Anschließend gehen wir zusammen als Familie hin und lassen uns beraten“, schlug er vor, sah dabei auch Maron an, die nickte. Miyako klatschte begeistert und quetschte beide anschließend darüber aus, was für Vorstellungen sie für den großen Tag hätten. Nebenbei widmeten sich die Anderen sonstigen Gesprächsthemen zu. Chiaki lehnte sich zu Maron hin. „Pass auf. Miyako, wird dem Hochzeitsplaner garantiert am Ende noch den Job stehlen“, flüsterte er ihr leise ins Ohr, worauf sie herzhaft laut auflachte. Zur leichten Verwirrung aller, die nicht mitbekommen hatten, was eben Lustiges geschehen war. *** Nach dem Abendessen saß Chiaki mit Kaiki in dessen Büro zusammen, spielte eine Runde Schach mit ihm. Gleichzeitig besprach er mit ihm unter anderem die Schule, wie er die verpasste Zeit aufholen sollte und dass mit der Schulleitung auch ein Kompromiss vereinbart wird. Man sah seinem Vater an, dass er sich freute ihn wieder zu Hause zu haben und er kam Chiaki’s Bitte, was seiner Mutter anbelangte auch entgegen. Dass ein Pflegeservice für sie auch bereits schon arrangiert war. Weitere Details dazu würde Kaiki ihm allerdings nicht geben und wenn Chiaki ehrlich mit sich war, wollte er auch keine. Ihr Verhältnis hatte sich deutlich verbessert und sie konnten frei miteinander reden - ohne irgendwelchen Sorgen oder Geheimnisse zwischen ihnen. Es war ein guter Tag. Der erste gute Tag, seit einer Weile für Chiaki. Mit Maron war auch alles besser, im Vergleich zu gestern. Deutlich besser, nachdem sie beide auch die Nacht durchgeschlafen hatten, den halben Tag auf seinem Bett zusammensaßen und er ihr alles erzählt hatte. Sie waren sich wieder nähergekommen und Maron hatte ihn gesagt, dass sie ihn liebte! Es konnte nur noch besser werden! Schritte näherten sich dem Büro, doch Chiaki war im Moment auf seinen nächsten Zug konzentriert, drehte sich nicht um. Kaiki lehnte sich mit einem Grinsen zurück und blickte zur Tür auf. „Ah, Maron.“ Überrascht drehte Chiaki sich um. „Ich habe dich vor einer Weile eigentlich erwartet“, hörte er seinen Vater sagen und er drehte sich verwundert zu ihm um. „Liegt wie immer auf den Tisch breit.“ Kaiki nickte zum Schreibtisch. Erneut drehte Chiaki sich um, beobachtet, wie Maron augenrollend zum Schreibtisch ging, auf dem eine kleine Schale und ein Glas Wasser neben den Papierkram war. Anscheinend waren in der Schale Medikamente gewesen, die Maron schnell mit Wasser runterschluckte. Chiaki war sichtlich verwirrt... und ernsthaft besorgt. Wieso musste sie Tabletten nehmen? War sie krank? Gerade als er den Mund aufmachen und sie fragen wollte, fiel Maron ihm ins Wort. „Müde?“, fragte sie, als wäre nichts gewesen. Perplex schaute Chiaki sie an, drehte sich zu seinem Vater, der mit geneigtem Kopf zwischen ihnen hin und her sah. Sein ernster Gesichtsausdruck bereitete ihm noch mehr Sorgen. „Ich bin müde. Du?“, wiederholte Maron leicht angespannt. Langsam wandte Chiaki sich wieder ihr zu und nickte. Er sagte Kaiki gute Nacht und verließ mit ihr das Büro. Mit nachdenklich gesenktem Kopf ging Maron mit ihm die Treppen hoch. Chiaki nahm ihre Hand, verschränkte seine Finger in ihre. „Was war das?“, fragte er besorgt. „Was war was?“, wich sie ihm aus. Sie waren in seinem Zimmer angekommen, schlossen die Tür und standen sich gegenüber. „Du hast Medikamente eingenommen. Und wie es aussah, musst du die regelmäßig einnehmen“, sagte er möglichst sachlich, versuchte sich die aufkommende Panik nicht anmerken zu lassen. Maron biss sich nickend auf die Lippe, bestätigte somit seine Annahme und sein Gesicht verlor etwas an Farbe. „Es ist okay, wenn es persönlich ist…aber wenn du krank bist, dann sag es mir“, bat er sie. Wenn sie regelmäßig was einnehmen muss, musste es wohl an einer Krankheit liegen. In seinem Kopf ging er schon alle möglichen Krankheiten durch, die ihm bekannt waren. Gerade als er dachte, dass alles nur noch besser werden konnte, machte ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung! Maron blickte ihn mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen an, schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht krank… nicht im klassischen Sinne.“ Sie nahm tief Luft und setzte sich auf die Bettkante hin. „Okay…?“ Chiaki war verwirrt, setzte sich zu ihr dazu. „Dann…spuck es aus, Maron.“ Unsicher wich sie seinen Blicken aus, zupfte nervös an ihren Ärmeln. „I-Ich…kann nicht...“ „Warum nicht?” „Ich, uhm, habe...Angst?“ „Du machst mir gerade Angst.“ „Du wirst ausflippen.“ „Maron…“ Er versuchte seine Geduld nicht zu verlieren. „Ich flipp jetzt schon aus“, sagte er ehrlich, legte seine Hand auf ihre, strich mit seinen Fingern beruhigend über ihre Haut. „Bitte sag es mir“, bat er sie. Maron biss sich zögernd auf die Lippe, nahm durch die Nase tief Luft. „Die Medikamente wurden von…meiner Therapeutin verschrieben“, sagte sie in einem Atemzug und schloss ihre Augen, als würde sie sich auf etwas gefasst machen. Chiaki blickte sie mit großen Augen verdutzt an. Langsam öffnete Maron ihre Augen. „Also…bist du nicht krank?“, fragte er. Sie schüttelte ihren Kopf. Erleichtert seufzte er auf und sein Körper entspannte sich wieder. „Gott, Maron! Mach das nie wieder. Du hast mir Angst eingejagt“, sagte er, fasste sich die Stirn. „Du bist nicht…sauer?“, fragte sie, blickte ihn verwundert an. Chiaki nahm Maron in seine Arme, schüttelte wahrheitsgemäß seinen Kopf. Sie werden zwar darüber reden müssen, aber nicht heute. Er war zu erschöpft und müde. Dies sagte er ihr, drückte ihr anschließend einen sanften Kuss auf den Kopf. Leise kichernd nickte Maron, schmiegte sich an seine Brust an. Die beiden machten sich bettfertig, kuschelten sich aneinander und nahmen ihre vertraute Schlafposition ein. Mit einem leisen Seufzen vergrub Chiaki sein Gesicht in ihre weichen Haare. Wie er ihre Wärme und Sanftheit vermisst hat. Ihre zarten Hände strichen ihm durch die Haare und innerhalb von Minuten waren sie eingeschlafen. Samstag war sein Tag gewesen, in der er sich die Seele vom Leib geredet hatte. Sonntag war Maron dran. Sie saßen sich wie gestern auf dem Bett gegenüber und frühstückten. Ähnlich wie gestern, stand Maron wieder mit einem viel zu aufwendigen Frühstück vor ihm und Chiaki hoffte, dass das nicht jeden Morgen so ablief. „Privat ist Midori ganz in Ordnung. Als Therapeutin auch, aber... naja“, erzählte sie gerade, verzog eine irritierte Grimasse. „Midori aka. Dr. Anzai aka. ...Kaiki’s…Freundin?“ Maron nickte eifrig. „Ursprünglich bin ich nur hingegangen, um dich anzupissen. Und um in dein Ankleidezimmer reinzukommen.“ „Ha?“ „Egal. Auf jeden Fall konnte ich Midori anfangs nicht leiden. Aber so schlecht ist sie gar nicht und zu Kaiki passt sie super. Er hatte sie mir übrigens empfohlen. Und sie ist in ihrem Beruf ziemlich gut“, erzählte sie. In den nächsten zwei Stunden hatte Maron ihm alles über ihre Therapie, ihre Medikamente und ihren Zeitplan erzählt. Chiaki kam nicht drum rum festzustellen, wie sehr sich Maron in den letzten drei Monaten auch verändert hatte. Sie war immer noch das ruhige, schüchterne Mädchen, welches er kennen und lieben gelernt hatte, aber sie wirkte viel... stärker und offener als vorher. Vielleicht hatte die Zeit, in der sie getrennt waren, doch was Gutes gehabt. Wahrscheinlich hatte die Therapie und all die Nebenaktivitäten, wie Yoga und Boxen einen großen Teil dazu beigetragen. Für ihn war es zwar merkwürdig, dass Maron mit jemand (noch) für ihn Fremden so viel über ihre Beziehung sprach, aber er versuchte sich damit abzufinden. Denn wichtiger waren ihre Erfolge und Fortschritte, von denen sein Mädchen ihm mit Freude und Stolz in den Augen erzählte. Das war alles, was für ihn zählte. Lächelnd legte Chiaki seinen Kopf auf ihre Schulter ab. Maron blickte mit einem sanften Blick auf ihn herab, strich mit den Fingern sachte über seinen Nacken. Für eine Weile sagte niemand mehr was und Chiaki genoss einfach die Nähe zu seinem Mädchen. Leise durchbrach Maron plötzlich die angenehme Stille. „Können wir über den Tag reden, als du gegangen bist…?“ Sein Körper versteifte sich. „Müssen wir?“, fragte er. „Wir haben uns damals zwar entschuldigt, für das was geschehen ist, aber nicht wirklich darüber geredet. Es erscheint mir wichtig, weißt du?“ Sie blickten sich in die Augen und er konnte erkennen, dass es Maron wirklich wichtig zu sein schien. Schwer seufzend blickte Chiaki auf ihre Hand herab, die in seiner lag. „Ich habe nichts von dem, was ich gesagt habe gemeint“, sagte er beschämt, „Die Halluzinationen und der Schlafmangel…haben mich verrückt gemacht. Ich habe meinen Frust an dir ausgelassen und war ein ziemlicher Arsch…“ Er hielt inne, dachte daran zurück, wie sie ihm mächtig eine verpasst hatte und seufzte. „Ich hatte die Ohrfeige verdient.“ Maron schüttelte ihren Kopf. „Nein, niemand verdient das, Chiaki“, sagte sie trüb und zog ihre Beine an. „Niemand?“ Er zog eine Braue hoch. „Selbst Hijiri Shikaidou nicht?“ Maron verdrehte ihre Augen. „Du weißt, was ich meine. Ich bin nicht perfekt.“ „Hmm. In meinen Augen bist du-“ „Nein, bin ich nicht.“ Sie hob ihr Kinn, blickte ihm streng in die Augen. „Sag, dass ich nicht perfekt bin. Sag es.“ Er schüttelte stur den Kopf. „Nein.“ Genervt stöhnte Maron auf. „Es muss doch etwas an mir geben, dass dich einfach... nervt.“ Seufzend Chiaki rollte mit den Augen. „Fein“, sagte er und überlegte, suchte nach etwas, was ihn an Maron nervt oder frustriert. Für die ersten Momente hatte er merklich Probleme damit. Während er überlegte, sah er sie an, erwiderte ihren erwartungsvollen Blick. Dann fiel ihm etwas ein. „Du kannst manchmal-“, fing er an und ihre Augen blickten interessiert in seine, „-ein klein wenig ziemlich...unvernünftig sein.“ Er machte sich darauf gefasst, dass sie sauer werden würde, doch stattdessen grinste sie. „Und irrational“, fügte er hinzu. „Ich weiß“, lachte Maron, „Ich bin durchgeknallt!“ Sie kicherte, grinste ihn breit an. „Siehst du? War doch gar nicht so schwer.“ Chiaki neigte leicht schmunzelnd seinen Kopf. „Jetzt bist du dran.“ „Hm?“ „Jetzt bist du dran.“ „Warum? Ich habe dich doch schon einen Arsch genannt. Zählt das nicht?“ „Nein“, verdrehte seine Augen. „Und wiederhol nicht das, was ich dir gesagt habe. Ich weiß schon selbst, dass ich verrückt bin.“ Maron blickte grübelnd nach oben und zur Seite. Amüsiert beobachtete er ihr Gesichtszüge, bis sie schließlich einen Einfall hatte. „Ich hab’ was“, kündigte sie an. „Du bist zu hart mit dir selbst und du glaubst bestimmte Dinge nicht verdient zu haben... was falsch ist. Du hast so vieles verdient und noch mehr“, sagte Maron ihm sanft. Chiaki machte ein erstauntes Gesicht. Womöglich hatte sie sich von der Therapeutin was abgeschaut. „Darf ich was zu meiner Analyse hinzufügen?“, fragte er und sie nickte. „Du sendest oftmals gemischte Signale, die mich ziemlich aus dem Konzept bringen“, sagte er, dachte an den Moment von vor zwei Tagen zurück, wo sie ihn förmlich gehasst hatte sowie an den gestrigen Morgen, wo sie ihm versicherte, dass sie ihn immer noch liebte. Es war verwirrend für ihn. Maron verzog ihr Gesicht zu einer leicht beschämten Grimasse und rollte mit den Augen. „Ich sagte doch, ich bin durchgeknallt“, sagte sie und ließ sich rücklings auf die Matratze fallen. Chiaki sah, wie sie gedankenlos zur Decke starrte und mit ihren Haaren spielte. „Hey.“ Er beugte sich über sie. „Ich denke nicht, dass du durchgeknallt bist“, sagte er sanft, „Du magst zwar nicht perfekt sein, aber für mich bist du das.“ Er legte ihr einen Finger auf die Lippen, als sie etwas erwidern wollte. „Egal, wie durchgeknallt du bist. Für mich bist du dennoch perfekt“, flüsterte er fast. Er fuhr mit seinem Finger ihren Hals herab, traf auf dünnes, kühles Metall auf ihrer warmen Haut. Mit einem erleichterten Lächeln fischte er ihre Kette heraus, die er ihr zu Valentinstag geschenkt hatte. „Was?“ Maron lächelte verwirrt, sah zwischen ihm und dem Anhänger hin und her. „Ich habe sie nie abgenommen.“ Sie blinzelte und blickte durch ihre langen, dichten Wimpern zu ihm auf. Dieser Blick allein, würde ihn immer auf die Knie zwingen. Doch stattdessen beugte Chiaki sich weiter zu ihr herunter und berührte ihre Lippen mit seine. Er ließ ihre Kette los und legte seine Hand auf ihre Wange. Maron küsste ihn liebevoll zurück. Es war ihr erster Kuss, seit er zurückgekehrt war. Und er fühlte sich genauso unglaublich an, wie ihr erster. Sanft küsste er ihre warmen Lippen, während sie ihre Arme um seinen Nacken legte und mit den Fingern durch seine Haare fuhr. Er spürte, wie sie gegen seine Lippen lächelte. „Ich liebe dich“, wisperte sie. „Ich liebe dich auch“, hauchte er zurück, drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen, ehe sie sich voneinander lösten. „Über alles.“ Chiaki ließ sich neben sie nieder, legte seinen Kopf auf ihre Schulter ab, während Maron seine Hand nahm und mit dem Ring an seinem Finger spielte Vollkommen zufrieden lagen die beiden da, auf dem Bett, umhüllt von der angenehmen Stille. Es fühlte sich an, als wäre beiden ein enormes Gewicht von den Schultern genommen worden. Besonders Chiaki fühlte sich um Tonnen leichter in der Brust. Sie hatten immer noch ihre Probleme und Konflikte, aber das konnten sie zusammen überwinden. Keiner von ihnen würde irgendwo weggehen. Er war immer noch ihr total verrückter Freund und sie war sein Mädchen. FIFTY-FOUR ---------- FIFTY-FOUR   „Nein, nein, nein. Guck.“ Yamato nahm das Blatt hoch und Chiaki schaute auf die Stelle, auf die sein Freund zeigte. „Da steht 100 Gramm brauner Zucker. Nicht normalen, weißen Zucker.“ „Was ist der Unterschied??“, fragte Chiaki irritiert, „Es ist Zucker.“ „Die Farbe“, antwortete Shinji. Genervt beschmiss er ihn mit einer kleinen Hand voll Mehl, was jedoch zu einer weißen staubigen Wolke zerfiel. Yamato zuckte ahnungslos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber wenn brauner Zucker dasteht, solltest du braunen Zucker benutzen.“ Chiaki öffnete zum dritten Mal an diesem Samstag alle Schränke in der Küche, suchte ahnungslos. „Finde ihn nicht“, sagte er, strich sich durch die frisch geschnittenen Haare. „Dann benutzt Normalen.“ „Alter, es ist Zucker“, sagte Shinji, warf beide Hände hoch. „Keiner würde den Unterschied herausschmecken!“ Er war das Wochenende wieder zu Besuch da und Natsuki hatte sich den anderen beiden Mädels zum Yoga angeschlossen. „‚Sahne so lange schlagen, bis sie steif ist‘“, las Yamato vor und kicherte. „Hör sich schon etwas versaut an.“ „Ist der dann dafür da, um anzustoßen?“, fragte Shinji, hatte sich die Flasche Weißen Rum geschnappt, welcher auf dem Tresen stand. „Nein. Und wehe ihr fangt an mir meine Zutaten wegzutrinken!“ „Du brauchst nur vier Esslöffel davon“, sagte Yamato. „Den Rest könntest du garantiert für deine Nerven gebrauchen.“ Entnervt stöhnte Chiaki auf, schnappte sich den Zucker und die Flasche und versuchte seine momentanen Tätigkeit weiter nachzugehen. Er konnte hören, wie die anderen beiden sich hinter ihm amüsierten. Die erste Woche nach seiner Rückkehr verging wie im Fluge. Er hatte die letzten Nächte einen Berg voller Hausaufgaben und Hausarbeiten abgearbeitet, die er machen musste, um den verpassten Schulstoff nachzuholen. Bei manchen Sachen hatte Maron ihn sogar geholfen, aber größtenteils wollte er alles allein, bis zu den vereinbarten Abgaben fertigbringen. Entweder das oder ein Jahr wiederholen. Kaiki hatte gehofft, dass er mit seinen Einflüssen einen besseren Kompromiss mit der Schulleitung aushandeln konnte, aber Chiaki störte es nicht. Es war schließlich sein eigenes Verschulden und er müsste dafür arbeiten. Ansonsten hatte die Schule sich nicht verändert. „Was für ein Kuchen soll das überhaupt werden?“, fragte Shinji interessiert. „Apfel-Sahne-Kuchen“, murmelte Chiaki, ohne sich zu ihm umzudrehen, rührte gerade mit dem Handmixer den Teig und versuchte dabei nicht alles in der Küche zu verteilen. Gleichzeitig betete er darum, dass der Kuchen ein Erfolg wird und dass er Maron schmecken würde. Da Chiaki ihren Geburtstag verpasst hatte, wollte er ihr etwas zur Entschuldigung und gleichzeitig als nachträgliches Geschenk machen. Da war ein Kuchen doch perfekt, oder? Schließlich hatte sie ihm auch einen Kuchen geschenkt. Jetzt musste seiner ihm nur noch gelingen. Und hoffentlich verzieh Maron ihm das Chaos in der Küche, denn er würde wahrscheinlich keine Zeit haben noch zu putzen, wenn sie nach Hause zurückkehrte. Offensichtlich war Backen, wie Kochen, nicht seine Stärke. Beides war für ihn einfach eine Wissenschaft für sich. Es war schon fast lachhaft. Die Teigspritzer und das Mehl, die die Wand und sein Shirt bedeckten, bestätigten es nur. Sowie auch der kaputte Handmixer. Vielleicht hätte er ihr etwas zeichnen sollen... „Ich fühle mich, wie ein Trottel“, sagte Chiaki, als er auf sein Shirt runterschaute. Er zog es sich über den Kopf, hatte glücklicherweise noch ein Unterhemd an. „Du siehst auch aus, wie ein Trottel“, schmunzelte Yamato, wich dem vorbeifliegenden Shirt aus, dass Chiaki ihm an den Kopf warf. Kopfschüttelnd rollte Chiaki mit den Augen. Vielleicht brauchte er doch einen Schluck vom Rum. Oder zwei... Er rührte mit einem Schneebesen weiter den Teig und prüfte mit zusammengezogenen Augenbrauen, ob er die richtige Konsistenz hatte. „Und warum willst du nicht, dass wir dir helfen?“, fragte Yamato verwundert. „Weil es... es zu diesen Dingen gehört, die viel mehr etwas Besonderes sind, wenn ich die selbst mache“, antwortete Chiaki ihm, schüttete den Teig vorsichtig in die Form. „Ob Maron das auch so sieht“, sagte Shinji mit einem Seufzen, „Ich denke, sobald sie die Küche erblickt, wird sie erstmal all ihre Judo- und Box-Künste einsetzen, um dich niederzuschlagen.“ Dafür braucht sie keine dieser Künste, dachte Chiaki sich augenrollend. Er hoffte, dass sie bei ihm ein Auge zudrückte.    Zwei Stunden später bestrich Chiaki den hässlichsten Kuchen, den er je gesehen hatte, mit Sahne. Yamato und Shinji schmissen sich vor Lachen weg. Kaiki kam einmal runter, um zu sehen, was es mit dem Gelächter auf sich hat. Sein entsetzter Gesichtsausdruck sprach Bände. „Sie wird das entweder liebenswert oder entsetzlich finden“, sagte er, was Chiaki viel Hoffnung brachte. „Fragst du sie heute?“, fragte Kaiki anschließend in einem leisen Ton. Chiaki nickte genervt und sah, wie sein Vater einen nervösen Blick auf das Chaos warf, als er wieder aus der Küche trat. „Warum-“ Chiaki blickte den Kuchen mit schiefem Kopf mürrisch an, als er die letzten Feinheiten machte. „Warum zerbröckelt der Kuchen so? Der soll nicht in sich zusammenfallen, oder?“ Seine Freunde schauten ihm belustigt zu. „Alter, ich denke, du hättest darauf warten müssen, dass er abkühlt“, merkte Shinji an. Chiaki warf ihm einem scharfen Seitenblick zu, bevor er beim Geräusch der sich schließenden Haustür aufschreckte. Hilfesuchend blickte er die anderen an, aber es war schon zu spät. Lachend kamen Maron, Miyako und Natsuki der Küche näher. Shinji und Yamato sprangen vom Tresen runter und Chiaki blickte panisch auf den Kuchen sowie in die Küche.   „Und die hässliche Hose, die sie a-“ Maron brach abrupt ab, als sie in die Küche kam und ihre Augen wurden riesig. Chiaki fluchte innerlich. Shinji und Yamato traten einen Schritt von ihm weg und zeigten von beiden Seiten mit dem Finger auf ihn. „Chiaki war’s“, platzte es gleichzeitig aus ihnen heraus. Er erdolchte seine Freunde, die sich zu ihren Freundinnen gesellten, mit seinen Blicken. Miyako und Natsuki schauten sich mit offenen Mündern und großen Augen um. Seufzend wandte Chiaki sich an Maron und setzte ein Lächeln auf. „Es ist ein Geburtstagskuchen“, sagte er und hielt ihn leicht hoch. „Alles Gute nachträglich.“ Zähneknirschend versuchte er sein Lächeln nicht zu verlieren, als Miyako und Natsuki beim Anblick des Kuchens prustend loslachten - versuchte seine Unsicherheit über diesen Fehlversuch zu verstecken. Maron blickte mit halboffenem Mund überrascht zwischen ihm und den Kuchen hin und her. Sie trug eine schwarze Sportleggings, ein weißes T-Shirt und eine dünne Sportjacke drüber, Die Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Der sportliche Look gefiel ihm sehr an ihr. „Du...hast... einen Kuchen... gebacken?“, fragte Maron, war wohl so sprachlos, dass sie erstmal die richtigen Worte finden musste. Chiaki nickte bejahend, wartete schwerschluckend auf ihre endgültige Reaktion. Ihre Mundwinkel zuckten nach oben und ein ungläubiges und zugleich großes, strahlendes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Er lächelte erleichtert zurück, als sie auf ihn zuging. „Wir bräuchten übrigens einen neuen Handmixer“, merkte er schief grinsend an. Maron blickte ihn zunächst erschrocken an, ehe sie schmunzelte. „Ist schon okay“, kicherte sie und beugte sich vor, inspizierte den Kuchen. „Das ist so süß von dir.“ Chiaki warf Shinji und Yamato ein triumphierendes Grinsen zu. Die beiden kicherten kopfschüttelnd nur und verschwanden mit ihren Freundinnen aus der Küche. Maron lächelte immer noch mit rosaroten Wangen. Sie schnappte sich ein Messer und eine Gabel und schnitt den Kuchen an, legte sich ein Stück auf einen kleinen Teller. „Weißt du“, setzte sie an, „Ich hatte erwartet, dass du eher der Typ für Fertigmischungen bist“, sagte sie und nahm einen Bissen, nickte. „Hmm-Mh.“ Verwirrt sah Chiaki sie an, worauf sie kauend erklärte: „Du weißt schon - diese Fertigbackmischungen aus der Box.“ „Es gibt Fertigbackmischungen??“ Warum hat ihm das keiner gesagt!? Maron nickte, schmunzelte amüsiert über seinen Gesichtsausdruck. „Du... hast da was...“, merkte sie an und entfernte ein bisschen Teig, was an seinem Hals klebte. Chiaki war noch etwas neben der Spur, als sie ihm daraufhin einen süßen Kuss auf die Lippen drückte. „Danke“, lächelte Maron liebevoll, lehnte ihre Stirn an seiner an. Zufrieden legte Chiaki seine Arme um sie, küsste innig ihren Mund. Sofort wurde der Kuss von ihrer Seite fordernder und sie umfasste seinen Nacken. Er küsste sie mit derselben Intensität zurück, zwang sich gleichzeitig aber zur Kontrolle. Seit einer Woche schwankten sie zwischen leichten, unschuldigen Küssen, bis hin zu heißem, hormongesteuertem Rumgemache. Doch mehr als Küssen machten sie nicht. Zu mehr wollte er noch nicht gehen. Konnte noch nicht gehen. Vorerst wäre da noch eine bestimmte Sache, die Chiaki seit Tagen auf dem Herzen lag und in der er Maron erstmal fragen musste. Was vorhin Kaiki auch angesprochen hatte. Etwas schweratmend beendete er den Kuss, legte sein Gesicht an ihrer Schulter ab. Es war jedes Mal sehr überwältigend und aufwühlend. Sanfte strich sie ihm durch die Haare, drückte ihm zur Entschuldigung einen sanften Kuss auf den Nacken, welche nicht nötig war. Chiaki hob seinen Kopf, blickte sie liebevoll an. Maron war in den letzten Monaten so weit gekommen und sie handhabt alles so gut… Ihre Fortschritte bei der Therapie waren nicht zu übersehen. Er war stolz auf sie und freute sich auch für sein Mädchen. Trotzdem fühlte er sich ein bisschen wie ein Außenseiter, wenn jeder andere um sie herum einen Teil zur Unterstützung beitrug, nur er nicht. Er wollte sie unterstützen. Wollte das nicht nur verbal zum Ausdruck bringen, sondern es ihr auch zeigen. Dafür wollte er sie und ihre Kondition besser verstehen können. Damit er lernen und sich für sie bessern konnte. Damit er gleichzeitig auch für die Beziehung besser sein konnte. Und er wollte vertrauen darin haben, dass Maron nicht zu einem anderen Mistkerl überwechselte, sobald sie sich ausreichend gebessert hatte. Und es gab eine Person, die ihm darin helfen konnte. Chiaki atmete tief durch, blickte seinem Mädchen in die Augen. „Ich will Midori- ich meine, Dr. Anzai kennenlernen.“   *** Es war Montagnachmittag. Maron saß im Wartezimmer von Midori’s Praxis. Der Klang von monotoner, langweiliger Jazzmusik war zu hören. Sie versuchte ihre Ohren zu spitzen, hörte aber nichts aus dem Sprechzimmer. Nicht mal ein Gemurmel oder gedämpfte Stimmen. Maron rieb sich gähnend mit dem Ärmel die Augen. Das Warten war anstrengend. Nervös und sichtlich unruhig spielte sie mit ihren Haaren. Normalerweise hätte sie jetzt ihre Sprechstunde, aber Midori wollte Chiaki zunächst alleine kennenzulernen. Eigentlich hatte Maron erwartet, dass sie mit ihm auf der Couch sitzen würde und mit ihrer Anwesenheit ihm beistand, während sie miteinander redeten. Aber Midori hatte irgendein Quatsch mit „Ehrlichkeit erweist sich zu zweit“ und „bei drei ist einer zu viel“ gesagt. Darüber war Maron irritiert und hatte erwartet, dass Chiaki es auch wäre, doch zu ihrer Überraschung stimmte er einfach zu. Vielleicht wollte er auch mit Midori allein reden. Maron war sich nicht sicher, wieso sie so nervös war. Sie war besorgt darüber, dass Chiaki Midori nicht mochte, dem war sie sich zumindest sicher. Es gab nichts, was sie mehr wollte als seine volle Unterstützung. Und sie hatte das Gefühl, dass dieses erste Gespräch seine Auffassung zur Therapie im Allgemeinen prägen würde. Schließlich war ihr erstes Gespräch mit ihr in gewisser Weise positiv prägend gewesen. Maron hoffte auch, dass Midori Chiaki mögen würde. Nicht nur, weil er der Sohn von ihrem Partner war...  Sie hatte eher Angst, dass Midori etwas in ihm sehen könnte, dass sie dazu zwingen würde ihre Beziehung zu entmutigen. Bereits in der vergangenen Woche hatte Midori ihr mehr Beziehungsratschläge gegeben, als Maron auffassen konnte. Mit Chiaki in einem Haushalt zu leben, war letzten endlich doch nicht so, wie Maron es sich in ihren Tagträumen immer erträumt hatte. Es war nicht hundertprozentig perfekt - denn gleichzeitig war immer noch diese unsichtbare Wand zwischen ihnen, die beide voneinander trennte vollkommen sie selbst zu sein. Selbst wenn sie unter sich waren. Es war nicht leicht die letzten Monate so einfach hinter sich bringen zu lassen. Maron selbst hatte immer noch ihre leichten Zweifel, was seine Entschlossenheit bezüglich ihrer Beziehung anging und sie konnte ihm ansehen, dass er in irgendwelchen Bezügen auch seine Bedenken hatte. Was ihre Therapie anbelangt, so sagte Chiaki ihr zwar, wie sehr er sich über ihre Fortschritte freut, aber Maron merkte, dass er auch seine Sorgen darin hatte. Sie wusste, dass er Angst hatte, dass sie ihn und seine Berührungen nicht mehr wollen würde. Und sie wünschte sich, dass sie ihm irgendwie zeigen und verstehen lassen konnte, dass er mehr war, als nur dieses aufregende Kribbeln auf ihrer Haut, welches nur ein kleiner Punkt in ihrer endloslangen Liste an Gründen darstellte, wieso sie mit ihm zusammen war. Er war fürsorglich, liebenswert, gutherzig, verständnisvoll und großartig... sie liebte ihn und seine Person bedingungslos. Wenn sie einander ihre Zuneigung zeigten, bestand es derzeit meist nur aus Küssen und Kuscheleinheiten – was natürlich nicht schlecht war. Sie hielten sich für mehr jedoch noch zurück. Wenn Maron ehrlich mit sich war, so vermisste sie seine Berührungen auf ihrem Körper, die ihr eine Gänsehaut bereiteten und die Liebe und Leidenschaft, die sie mit sich brachten. Plötzlich schwang die Tür auf. Automatisch sprang sie von ihrem Sitz auf, als Chiaki raustrat. Einen guten Eindruck machte er nicht... Sein Blick traf auf ihren und er streckte Maron seine Hand entgegen. „Gehen wir?“ Maron nahm nickend seine Hand, die warm war und seine Finger verschränkten sich in ihre. Gerade als sie aus der Praxis rausgingen, blickte sie kurz hinter sich, sah Midori mit einem kleinen Grinsen an ihrer Bürotür stehen. „Bis zum nächsten Mal, Chiaki!“ Er stieß ein paar unverständliche Flüche aus, erwiderte darauf jedoch nichts. FIFTY-FIVE ---------- FIFTY-FIVE   Chiaki wusste nicht, wie er sich das erste Treffen mit der Freundin seines Vaters immer vorgestellt hatte. Zumindest nicht so - in ihrem Sprechzimmer. In einer Therapiesprechstunde. Welches nicht so sonderlich gut ablief. Er war an dem Nachmittag Midori ins Büro gefolgt, hatte Maron, die mit einem bedenklichen Blick ihm hinterher sah, im Wartezimmer zurückgelassen. „Chiaki“, begrüßte die Frau ihn, nachdem er auf der Couch sich hingesetzt hatte und sie ihm gegenüber auf einem Sessel. „Ich darf dich doch duzen, oder?“ Nur zu, gab Chiaki mit einer einladenden Geste wortlos zu verstehen. „Super“, sagte Midori lächelnd, hatte plötzlich Stift und Notizbuch in den Händen. „Ich habe schon so viel von dir gehört.“ Das glaubte er ihr. Mit einem freundlichen Lächeln sah sie ihn an. „Was kann ich für dich tun?“ Ohne um den heißen Brei zu reden, schoss Chiaki direkt los: „Ich hätte ein paar Fragen zu Maron.“ Midori hob eine Augenbraue. „Warum fragst du mich und nicht Maron selbst? Sie hat eine nette Stimme, die du sicher lieber hören würdest als meine. Ich bin dafür bekannt, dass ich plapperte.“ Zumindest war sie ehrlich. „Ich hätte Fragen zu Maron’s Zustand“, erklärte er. „Ich rede ständig mit Maron, aber sie hat einfach nicht die Infos, die ich brauche.“ „Hmm.“ Midori nickte verstehend. „Und deshalb bist du zu ihrer Therapeutin gekommen, um diese Fragen zu stellen?“, fragte sie. Er machte ein Gesicht, als wäre es selbstverständlich, worauf sie etwas schmunzelte. „Fragen zu stellen ist eigentlich mein Job, aber ich schlage dir einen Deal vor…“ Ihm gefiel es nicht, wohin das führte. „Ich stelle dir immer zwei Fragen, die du mir beantwortest und ich beantworte dir jede deiner Fragen.“ Chiaki presste sich für einen Moment innerlich fluchend die Lippen zusammen, hätte er sich sowas denken können. „Zwei für eine ist nicht fair…“ „Das Leben ist nicht fair“, entgegnete sie schulterzuckend und fing direkt mit ihrer ersten Frage an: „Wie fühlst du dich, hier zu sein?“ „Ich fühle mich genervt“, antwortete er ehrlich. „Wie läuft es so, seitdem du wieder in Momokuri bist?“, fuhr sie fort. „Gut.“ „Gut?“ „Ja, gut.“ „Wirklich gut?“ „Ja. Wirklich gut. Verdammt gut.“ Genervt seufzte Chiaki aus, fragte direkt seine Frage, die er sich verdient hatte: „Wie kann ich Maron helfen?“ Das war der einzige Grund, warum er überhaupt hierhergekommen war. Er fühlte sich nicht nur wie ein Außenseiter, was ihre Therapie anbelangte. Chiaki war sich auch nicht sicher, wie er weiter vorgehen sollte in ihrer Beziehung. In jeglicher Hinsicht. Emotional, körperlich, sexuell.... Obwohl letzteres für ihn keine Eile hatte. Er musste nur wissen, wie er mit seinem Mädchen umgehen soll. Auch wenn es bescheuert von ihm war, überhaupt über den Umgang mit ihr nachzudenken… Die Sache war auch, dass Maron nicht mehr so wie früher war. Sie war nicht mehr so still und zurückhaltend. Nun ließ sie ihre Emotionen raus, wenn sie etwas aufregte. Sie staute sich alles nicht mehr zusammen. Chiaki war sich sicher, dass dies Resultat ihrer Behandlung war, zusammen mit den Sportkursen und den ständigen Ermutigungen, ihre Emotionen zu reinigen. Er wusste nicht einmal mehr, wie er sie küssen sollte. Er wusste nicht, wann es in Ordnung war, sie zu berühren oder wann es akzeptabel war, beschützend und sauer zu sein. Er wusste nicht, wann er ihren Stuhl herausziehen oder ihre Autotür aufmachen sollte. Er wusste nicht, wann er sie halten oder wohin seine Hände gehen sollten. Er wusste nicht, ob er ein aktiver Teil ihrer Therapie sein konnte. Er wusste nicht, welche Art von Liebe sie jetzt brauchte, die er ihr zeigen sollte. Midori runzelte ihre Stirn. „Das ist eine ziemlich breitgefächerte Frage, Chiaki“, sagte sie, schürzte ihre Lippen und seufzte schließlich. „Du kannst Maron helfen, indem du für sie da bist“, antwortete sie zunächst sanft, ehe ihre Stimme wieder ernster wurde. „Zeig ihr Zuneigung ohne Erwartungen und am wichtigsten: indem du dich zusammenreißt.“ Chiaki blickte sie ohne Regung an. „Nun, erzähl mir von deiner Mutter.“ „Erstens: das ist keine Frage“, wendete er ein. „Zweitens: was meinst du mit ‚zeig ihr Zuneigung ohne Erwartungen‘?“, fragte er irritiert. „Glaubt sie, ich erwarte etwas? „Erwartest du denn etwas?“ „Erwartest du, dass ich etwas erwarte?“ „Erwartest du von mir, dass ich erwarte, dass du etwas erwartest?“ „W-Was??“ Stoppend hielt Chiaki seine Hände in die Höhe. „Okay, Stopp. Hör auf damit. Du kannst eine Frage nicht mit einer Gegenfrage beantworten.“ „Du hast als Erster meine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet“, erwiderte Midori. „Ist das deine bevorzugte Ausweichmethode?“ Tief atmete Chiaki durch, hielt sich die Stirn. „Nein, meine bevorzugte Ausweichmethode wäre dich anzufluchen und ich wäre kurz davor das zu tun. Nur damit du das weißt.“ „Oh, wie lustig“, schmunzelte sie, schrieb sich etwas auf. In den nächsten zwanzig Minuten lief es schließlich somit ab, dass er jede ihrer Fragen zu seiner Familie, seiner Vergangenheit oder sonst irgendwelchen willkürlichen Schwachsinn knapp beantwortete. Im Gegenzug bekam er weitere, kleine Erkenntnisse über Maron. Er erzählte Midori beispielsweise von seiner Mutter und im Gegenzug sagte sie ihm, wie beruhigend und zärtlich eine einfache Rückenmassage für sein Mädchen sein konnte. Als Midori schließlich nach dem Tag fragte, als er gegangen war, wurde es Chiaki unangenehm. „Möchtest du mir erzählen, was an jenem Tag geschah, als du die Stadt verließ?“ Ohne nachzudenken, antwortete er: „Nein.“ „Nein?“ Sie krauste die Stirn, verschränkte ihre Beine und lehnte sich zurück. „Warum nicht?“ „Es ist einfach... nicht etwas, auf das ich stolz bin. Es hat keinen Sinn, darüber zu reden. Maron und ich haben schon alles darüber besprochen.“ „Mir ist bewusst, dass du es mit ihr besprochen hast, aber ich möchte, dass du es mit mir besprichst.“ Augenrollend atmete Chiaki durch die Nase tief ein und wieder aus. „Habe lange Zeit nicht geschlafen, ein paar Tabletten zu viel genommen, halluziniert, habe mich dann mit Maron gestritten, mit ihr geschlafen, fühlte mich scheiße und habe dann die Stadt verlassen“, fasste er in einem Atemzug zusammen. „Chiaki“, sagte Midori sanft und dennoch ernst, „Das ist nicht etwas, wo du an Details sparen sollst. Ich möchte alles über diesen Tag hören. Jedes einzelne Detail. Und die restliche Stunde kannst du mich alles fragen, was du willst.“ Skeptisch blickte Chiaki sie an, biss sich auf die Lippe. Die Frau wusste, wie sie einen erpressen konnte. „Ich weiß nicht, wie lange ich überhaupt wach war...“, begann er nach einigen Momenten schließlich zu erzählen. Er erzählte ihr von seiner Halluzination von Maron, vorauf Midori keine Miene verzog. Er erzählte von seinem Tag in der Schule und wie er dann, wie ein Irrer, nach Hause fuhr, um nach den Haarspangen, die es letztendlich nicht gab, zu suchen. Er erzählte ihr, wie es zu dem Streit mit Maron kam, wie sie ihn geschlagen hatte und wie sie beide Sex miteinander hatten. Zusammenfassend beschrieb er ihr, wie elend er sich dabei und danach gefühlt hatte und erzählte ihr von seinen Gesprächen mit Shinji, Kaiki und Maron, ehe er Momokuri verließ. Midori nickte, während sie schrieb. „Eine Frage...“, sagte sie. „Hmm?“ „Seit du wieder zurück bist, haben du und Maron wieder Sex miteinander gehabt?“ Chiaki fuhr sich eine Hand über das heiße Gesicht. „Nein“, antwortete er und fügte schnell hinzu: „Ich will wieder mit ihr schlafen.“ Er spürte, wie sein Gesicht noch heißer wurde. Verlegen und beschämt strich er sich durch die Haare. „Ihr Liebe zeigen und so… Aber seit dem letzten Mal bin ich mir unsicher, da es mehr als schiefgelaufen war. Und ich weiß, dass das Thema irgendwann wiederaufkommen würde, zumal wir im selben Haus und im selben Zimmer wohnen. Es wäre außerdem unfair gegenüber Maron das ständig zu vermeiden…insbesondere, weil sie schon immer etwas übervoreilig in solchen Sachen war.“ Er biss sich kurz auf die Lippe. „Mir macht es nichts aus zu warten“, schloss er achselzuckend ab. Verstehend nickend blickte Midori von ihrem Notizblock auf. „Nun, Maron sehnt sich nach Zuneigung und Intimität“, sagte sie. „Ich denke jedoch, dass sie ihre Schwierigkeiten hat, beides auseinanderzuhalten, weshalb ihre Bedürfnisse sich in beide Richtungen bei ihr ausprägen. Das würde ich gerne mit ihr demnächst durchgehen, bevor ihr beide euch aufeinander stürzt.“ Chiaki neigte stirnrunzelnd seinen Kopf. Sein Mädchen kannte doch den Unterschied zwischen Zuneigung und Intimität. Doch anstatt etwas zu erwidern, hörte Chiaki Midori weiter zu, wie sie über Maron’s sexuelle Bereitschaft sprach. Nachdem sie zu Ende geredet hatte, war die Sprechstunde schon um. „Weißt du, Chiaki.“ Der Angesprochene zog trocken eine Augenbraue hoch. „Was ich dir im Ganzen raten kann ist: sei ein Mann und rede mit Maron. Danach wirst du bestimmt keine Probleme mehr haben mit ihr in die Kiste zu steigen.“ Chiaki fiel der Mund auf, wollte gerade etwas erwidern, als Midori ihm ins Wort fiel: „Anstatt dich auf Maron zu fixieren, solltest du dich auf dich selbst fokussieren, damit es in eure Beziehung bergauf geht. Ansonsten sehe ich schwarz für eine gemeinsame Zukunft bei euch. Schließlich besteht bei dir auch Verbesserungsbedarf in gewissen Dingen.“ Er stieß einen spöttischen Laut aus. „Das entscheide aber immer noch ich“, brachte er stur entgegen. „Ich weiß. Du solltest aber wiederkommen“, sagte Midori unbeirrt, „Eine weitere Sprechstunde könnte dir guttun.“ Frustriert stand Chiaki auf, nahm seine Jacke und ging zur Tür. Er zweifelte, ob er wiederkommen will. Denn wirklich geholfen hatte sie ihm seiner Meinung nach nicht. *** Stillschweigend beobachtete Maron ihren Gegenüber, der seit dem Verlassen von Midori’s Praxis kaum ein Wort gesprochen hat. Chiaki blickte aus dem Fenster, beobachtete gedankenverloren die vorbeilaufenden Menschen auf den Straßen. Er hatte schon vorher darauf bestanden, sie heute zum Abendessen einzuladen. Und nun saßen beide sich am Tisch gegenüber, aßen ein paar Bisse und schwiegen sich größtenteils an. Was war nur los? Vor Sorge hatte Maron ihren Appetit verloren, schob träge ihr Essen mit der Gabel hin und her. „Hast wohl keinen Hunger“, sagte Chiaki in einem fragenden Ton. Maron sah von ihrem Teller zu ihm auf. „Du hast gestern schon nicht viel gegessen“, merkte er an. Mit erhobener Augenbraue fragte sie: „Wie viel hatte ich denn gegessen?“ „Eine halbe Reisschüssel und zwei Bissen Frühlingsrollen“, antwortete er prompt und nahm einen Schluck von seinem Wasserglas. „Mir war nicht bewusst, dass jemand meine Kalorienzufuhr im Auge behält“, antwortete sie spitz. Er rollte mit den Augen. „Du sagtest, du würdest auf dich selbst achten. Entschuldige, dass ich mich um dich sorge.“ Sichtlich irritiert holte er den Kellner und fragte nach der Rechnung. Augenrollend schnaubte Maron auf, ebenfalls irritiert. Sie sah, wie Chiaki das Essen bezahlte und zusammen begaben beide sich nach draußen zum Parkplatz. Allerdings wollte noch keiner ins Auto einsteigen. Stattdessen lehnten beide sich mit dem Rücken daran an, die Hände in den Jackentaschen vergraben. „Wirst du mir erzählen, was in der Praxis passiert ist?“, fragte Maron. Sie wusste, dass es sie nichts anging, und dass die Gespräche mit Midori vertraulich waren. Aber ihre Neugier war zu groß und sie erzählte Chiaki schließlich auch alles. Sie waren Partner! Maron wusste, dass er mit Midori über ihre Beziehung reden wollte. Soviel war ihr klar. Auf emotionaler Basis machten sie Fortschritte. Sie hatten zwar immer noch diese Momente mit kleinen, unbedeutsamen Streitereien, von denen Maron sich sicher war, dass sie jedes Paar hatte, aber die vergingen schnell auch wieder. Sie hatten auch ihre kleinen, unscheinbaren, allerdings auch bedeutsamen Momente. Wie zum Beispiel, wenn er darauf achtet, dass sie in der Innenseite auf dem Bürgersteig geht. Oder wenn er ihr genau das richtige Buch zurechtlegte, welches sie abends las, wenn sie noch nicht müde war. Oder wenn er ihr das flauschigste Kissen überließ. Im Gegenzug ließ sie bei ihm immer die Zwiebeln aus, weil er sie nicht mochte. Oder sie legte ihm immer sein Handy auf dem Nachttisch hin, weil er das blöde Ding immer verlegte. Sie harmonisierten beide auf einer merkwürdigen Art und Weise, aber es funktionierte. Als Paar waren sie eine Einheit. Jeder Tag brachte neue Erkenntnisse übereinander mit sich und ihre Liebe wuchs. Chiaki seufzte laut, gewann damit Maron’s Aufmerksamkeit. Sie blickte ihn bedrückt an. „So schlimm?“ Emotional war ihre Beziehung von Beginn an immer solide gewesen, doch körperlich…war ihre Kondition ein großes Problem gewesen. Fürs erste Mal hatten sie es erfolgreich überwunden, aber wer konnte ihr sagen, ob sie jetzt wieder auf Anfang waren - seit jenem Tag. Vielleicht-… „Hör auf.“ Überrascht blinzelt Maron Chiaki an, der jetzt einen Arm um ihre Taille gelegt hatte. „Du denkst gerade zu viel nach.“ Ertappt senkte sie ihren Blick. Seufzend rieb er sich mit der freien Hand den Nacken. „Es war nicht schlimm. Ich muss an mir einiges bessern, damit wir- damit unsere Beziehung in Ordnung sein wird. Und Midori sagte, dass sie mit dir einiges besprechen und klären will.“ „Was denn?“ „Was weiß ich, Maron“, stöhnte er entnervt, „Irgendein Scheiß über den Unterschied zwischen Zuneigung und Intimität.“ „Zuneigung und Intimität?“, fragte Maron verwundert. Es war immer eine Überraschung, über was für Themen Midori mit ihr reden will. Maron dachte über die Definitionen der beiden Begriffe nach und wenn sie ehrlich war, sah sie keine Unterschiede zwischen ihnen. Chiaki’s Hand auf ihrer Taille drückte sie und sie traf seinen Blick. Sie verstand den Ausdruck in ihnen nicht. „Du verstehst den Unterschied, oder?“, fragte Chiaki ernst. Verneinend schüttelte Maron langsam den Kopf. „Was glaubst du ist der Unterschied?“, fragte sie ihn stirnrunzelnd. Chiaki wandte seinen Kopf von ihr ab und ließ sie los. „Intimität ist…“, setzte er nachdenklich an, zog seine Augenbrauen zusammen. „Uhm, Zuneigung ist…“ Wieder verstummte er. Auf einmal lehnte sich Chiaki zu ihr hin, drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. Mit einem warmen Kribbeln auf der Haut schloss Maron genüsslich ihre Augen. Doch dann zog er sich zurück. „Das war Zuneigung ohne Intimität“, sagte Chiaki. Maron runzelte wieder die Stirn, dachte an die letzten Tage seit seiner Rückkehr zurück, in der er ihr nur solche nervig süßen Stirnküsse gab und ihr demnach wohl nur Zuneigung zeigte. Bevor sie dazu eine Bemerkung machen konnte, waren plötzlich seine Lippen auf ihren. Er küsste ihren Mund und sie keuchte überrascht auf, als ihre Lippen sich öffneten und sie seine Zunge spürte. Sie stützte sich mit den Händen auf seinen Schultern ab. Es war nicht so, dass Maron den Kuss nicht genoss… aber es fühlte sich so fordernd an. So gierig, gefühllos und plötzlich - was nicht unbedingt ungenießbar war, aber es erinnerte Maron an dem Tag als sie Sex hatten, bevor er ging. Chiaki löste sich nach wenigen Sekunden von ihr, wofür sie fast dankbar war. Seine Augen blickten sanft in ihre und er legte eine Hand auf ihre Wange. „Das war Intimität ohne Zuneigung“, sagte er. Bevor Maron eine Verbindung in allem herstellen konnte, waren seine Lippen wieder auf ihren, aber diesmal sanfter und mit mehr Gefühl. Sachte und liebevoll strich sein Daumen über ihre Wange - das komplette Gegenteil zu dem vorigen Kuss. Maron erwiderte zart den Kuss. Er entfernte sich wieder von ihr, allerdings ohne Erklärung. Brauchte er auch nicht – sie verstand auch so. Maron stellte fest, dass sie eine Kombination von beiden bevorzugte und sie war sich sicher, dass Chiaki es in ihrem leicht überwältigten Lächeln spüren konnte. Räuspernd richtete sie sich gerade und nickte zum Auto, gab ihm wortlos zu verstehen, dass sie nach Hause fahren sollten.   Die Fahrt nach Hause und den Rest des Abends verbrachte Maron mit Nachdenken. Grübelte über ihr Gespräch mit Chiaki nach. Während sie sich einen Kaffee in der Küche machte und Kekse für den nächsten Tag backte, war er oben bei Kaiki, unterhielt sich mit ihm und spielte wahrscheinlich Schach. Abschließend ging Maron auch hoch, um ihre Tabletten bei Kaiki zu holen. Im Büro angekommen waren Vater und Sohn gerade fertig mit ihrer Schachrunde und Chiaki wünschte Kaiki eine gute Nacht, ging schon mal nach oben ins Zimmer. Maron sah ihm für einen Moment hinterher, ehe sie sich mit einem freundlichen Lächeln Kaiki zuwandte und ihre Medikamente nahm. Kurz quatschte sie mit ihm, ehe sie ebenfalls ging. Im Zimmer angekommen bemerkte Maron, dass Chiaki nirgends zu sehen war. Daraufhin hörte sie das plätschernde Geräusch von fließendem Wasser im Bad, realisierte sofort, dass er duschen war. Normalerweise hätte Maron es mit einem Schulterzucken abgetan und hätte sich mit einem Buch -oder so- beschäftigt, während sie auf ihn wartete. Doch irgendwas trieb sie dazu sich der Badezimmertür zu nähern und sie aufzumachen. Chiaki schien sie in der Duschkabine nicht zu hören. Mit einem bestimmten Gedanken entledigte Maron sich geräuschlos ihren Klamotten und betrachtete sich für einen Moment im Spiegel. Sie war nervös, auch wenn sie es nicht sein sollte. Schließlich hatte Chiaki sie schon nackt gesehen und kannte jeden Zentimeter ihres Körpers. Aber jetzt war sie dünner als vorher, was ihm leichte Sorgen bereitete, aber gleichzeitig war ihr Körper durch den Sport definierter. Und womöglich war sie attraktiver als vorher. Sie war durchaus glücklicher, fühlte sich wohler in ihrer Haut. Sie war glücklich mit ihrer schmalen Taille und den definierten Kurven. Sie war zufrieden mit ihrer relativ kleinen Körbchengröße. Und die Narben… die waren einfach da. Maron hatte mit Midori schon über ihre Narben und ihre Unsicherheiten wegen ihnen geredet und wie sie sie gezielt immer verstecken wollte. Letztendlich kam Maron zu der Erkenntnis, dass all diese Mühe sinnlos war. Die Narben gehörten genauso zu ihr dazu, wie die Wachstumsstreifen auf ihren Beinen oder die winzigen, dunklen Flecke auf ihrer Haut. Maron lernte sie zu akzeptieren und ihr Magen drehte sich nicht mehr beim Anblick von ihnen. Tief nahm sie Luft und steuerte auf die Duschkabine zu, öffnete sie und trat ein. Erschrocken zuckte Chiaki etwas zusammen, der mit dem Rücken zu ihr gewandt war. „Maron? Was machst du-“ Er verstummte direkt, als Maron ihn von hinten umarmte. Seine Muskeln versteiften sich für einen Moment vor Perplexität. Sie legte ihre Wange auf seinen Rücken ab, während das heiße Wasser auf ihnen herabprasselte. Er bewegte sich nicht, war vollkommen erstarrt. „Maron…?“, brachte er schließlich zu Stande, seine Atmung hatte sich beschleunigt. „Was machst du da?“ „Dir Intimität und Zuneigung zeigen“, antwortete sie ihm. „...Geht das nicht draußen…? Außerhalb der Dusche.“ „Nein. Nun sei still und genieß einfach.“ Mit den Worten strichen ihre Hände über seine muskulöse Brust, worauf er seufzte und fuhren anschließend weiter herab. Ein kaum hörbares Stöhnen entkam ihm, als ihre Hände ihr Ziel erreichten und ihn verwöhnten. Gleichzeitig verteilte sie kleine, liebevolle Küsse auf seinen Rücken, drückte ihren Körper, ihre Brust an ihn. Nach einiger Zeit hörte sie, wie seine Atmung noch schneller ging, er nicht aufhören konnte zu Seufzen und zu Stöhnen und er schließlich ihren Namen unter Flüchen laut keuchte. Ihre Lippen formten sich zu einem erfolgreichen Grinsen. Sein Körper zuckte und verkrampfte sich und sie merkte, wie er schweratmend mit einer Hand eines ihrer Handgelenke packte, sie dazu brachte zu stoppen und sich mit der anderen Hand an der Wand vor ihm abstützte. Ehe Maron reagieren konnte, hatte Chiaki sich umgedreht, ihre beiden Hände genommen und sie an die geflieste Wand gedrückt. Er küsste sie leidenschaftlich. Stöhnend erwiderte sie den Kuss, keuchte erregt auf, als seine Hände über ihre Kurven glitten. Er drückte ihr seinen Unterleib ans Bein und sie bemerkte sofort, dass er wieder hart war, was sie noch mehr anregte. Ihre Arme legten sich um seinen Nacken und ihre Beine öffneten sich noch etwas mehr. Seine Lippen fanden sich auf ihrem Hals und Nacken wieder, die sie dort liebkosteten. Abschließend wanderte er unter Küssen weiter herab zu ihren Brüsten, während seine Hände ebenfalls von ihrer unteren Rückenhälfte und ihrem Po etwas weiter herabwanderten zu ihrer heißen Mitte. Laut stöhnte sie seinen Namen auf, als er sie an all ihren sensiblen Stellen gleichzeitig verwöhnte. Mit seinen Händen, Fingern, Lippen. Seine Küsse und Berührungen brannten wie seidiges Feuer auf ihrer Haut. Kurze Zeit später überwältigten sie diese unbeschreiblichen Gefühle, die er mit seinen Liebkosungen verursachte und sie schrie vor Lust. Ein tiefes, raues, zufriedenes Kichern war von ihm zu hören. Für einen Moment sahen beide sich tief in die Augen, fanden sowohl Begierde als auch Liebe in den Blicken des jeweils anderen wieder. Ihre Münder kollidierten, als er sie anpackte, etwas hochnahm und sie ihre Beine fest um seine Hüfte schlang. Sie spürte ihn in ihr und beiden entkam ein unterdrücktes Stöhnen. „Fuck…so warm… so gut“, wisperte er kaum hörbar, presste sie noch mehr gegen die Badezimmerwand. Während er an Tempo zunahm, verlor sie sich unterdessen in dem intensiven Gefühl ihrer verbundenen Körper, war unfähig irgendwelche Worte zu denken. Gleichzeitig spürte sie, wie er zärtliche, sanft und liebevoll Küsse auf ihrem Gesicht und ihren Hals verteilte, was sie noch mehr um den Verstand brachte. Küssend gab sie ihm dieselbe Zärtlichkeit und Liebe zurück, während ihr Körper sich seinem Rhythmus anpasste. Es war nichts, außer das Keuchen und Stöhnen von beiden sowie das prasselnde Wasser im Raum zu vernehmen. Nach einiger, langer Zeit kamen sie erneut, erreichten gemeinsam ihren zweiten Höhepunkt. Schweratmend und dennoch entspannt legte Chiaki seinen Kopf auf ihre Schulter ab. Drückte sie noch enger an sich, als es noch möglich war. „So gut“, entkam es ihm erschöpft und dennoch zufrieden. „Ja?“, kicherte Maron leise, legte ihr Ohr an seine Brust an, hörte sein schnell schlagendes Herz. „Fantastisch“, versicherte er ihr, mit einem breiten Grinsen in der Stimme und auf dem Gesicht. Sie erwiderte das Grinsen mit einem strahlenden Lächeln. Chiaki nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie gefühlvoll, strich ihr dann die nassen Haare von der Stirn und drückte ihr darauf einen zarten Kuss. „Ich liebe dich so sehr.“ „Ich liebe dich auch.“ Maron gab ihm ein paar sanfte Küsse über sein Herz. „Vom ganzen Herzen.“ Ihre Hände fanden seine und ihre Finger verschränkten sich fest ineinander. Fertig geduscht, fand sich das Paar im Bett wieder. Doch an Schlaf war in der Nacht noch nicht zu denken. Stattdessen verbrachten sie die halbe Nacht damit, sich mit ihrer Intimität vertraut zu machen. Intimität war allein war an sich zwar gut. Genauso wie Zuneigung. Aber zusammen waren beide perfekt. FIFTY-SIX --------- FIFTY-SIX   Zwei Tage später saß Chiaki wieder in Midori’s Sprechzimmer. Nicht nur, weil er fasziniert von ihren Therapietricks war, sondern weil er auch beschlossen hatte, sie regelmäßig für Sprechtermine zu sehen. Schließlich hatte er ein wunderschönes Mädchen an seiner Seite, die er für sein Leben lang glücklich machen will - und es gab kein schöneres Gefühl, als sein Mädchen glücklich zu sehen. Und dafür musste er zunächst mit seinen eigenen Problemen klarkommen. Maron saß neben ihm auf der Couch, trank gemütlich einen Cappuccino. Sie sah putzig aus und scheint sich wohl in diesem Büro zu fühlen. Es war eigentlich ihre Sprechstunde, da Chiaki noch keinen Zeitplan mit Midori hatte. Diese war gar nicht überrascht ihn zu sehen, als sie in ihr Büro eintrat. „Schön dich wiederzusehen, Chiaki.“ Midori lächelte. „Wollen wir loslegen?“ * Ein paar Wochen vergingen. Montags begleitete Chiaki Maron immer zu ihrer Sprechstunde, saß in den Gesprächen mit dabei, während donnerstags sie allein mit Midori war. Er hatte ebenfalls seine privaten Sprechstunden bei der Therapeutin mittwochs. Zu Hause war das Leben mit seinem Vater perfekt und ihr Verhältnis konnte nicht besser sein. Zwei- bis dreimal die Woche gingen sie nach nebenan zu ihrem Vater und den Toudaijis, aßen dort. Seit dem einen Tag ging es in ihrer Beziehung auch allmählich bergauf. Alles normalisierte und stabilisierte sich wieder und Chiaki war noch nie so zufrieden mit seinem Leben, wie jetzt. Insbesondere mit der jetzigen Routine. Er realisierte auch, warum er Routinen mochte. Er wusste, immer was ihn erwartete und die kleinen Überraschungen dazwischen reichten gerade aus, um seine Tage angemessen unvorhersehbar zu machen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang folgte Chiaki den neuen Ablauf. Zusammen wachten er und Maron auf und gingen zur Schule. Er strengte sich an, um seine Noten zu verbessern und den Stoff, den er verpasst hatte, nachzuholen. Nebenbei hing er mit Yamato und seinen Freunden ab. Maron konzentrierte sich auf ihre kleinen Herausforderungen, wie sich weniger ihre Kapuzen überzuziehen und sich zu verstecken oder nicht mehr so nah an den Wänden zu laufen. Es war offensichtlich keine schnelle Genesung und die Veränderungen, die sie in ihren Alltag vornahm, waren so subtil, dass es den meisten nie auffallen würde. Außer ihm.   An einem Montag saß Chiaki auf dem Schuldach an ihrem Tisch. Maron war auf Toilette gegangen und anstatt zu warten, war er schon mal vorgegangen. Yamato und Miyako waren noch nicht da, weshalb Chiaki allein am Tisch saß, wartete und zur Tür starrte. Zehn Minuten später kam schließlich sein Mädchen, die durch die Tür geschossen kam und ein riesiges Lächeln auf dem Gesicht trug. Seine Lippen formten sich automatisch auch zu einem Lächeln. Maron lief auf ihn zu und sprang ihn nahezu an, was ihn ein wenig überraschte. Sie hopste auf seinem Schoß, er hielt sie achtsam fest und ihre Arme legten sich um seinen Nacken. Sie küsste ihn innig, löste anschließend ihre Lippen voneinander und blickte ihm freudestrahlend in die Augen. „Ich habe Toki berührt“, sagte sie plötzlich, grinste ihn immer noch wie eine Grinsekatze an. „Er kam mir entgegen und ich habe seine Schulter gestreift -ausversehen!- und ich bin nicht ausgerastet, oder so!“, sprach sie in einem Atemzug so schnell weiter, dass Chiaki kaum mithalten konnte. „Ich habe mich zwar...-keine Ahnung- komisch gefühlt? Aber es war keine völlige Panik, weißt du?“, lächelte sie. Chiaki hörte zu und lächelte zurück, obwohl er insgeheim das Bedürfnis verspürte Toki eine reinhauen zu wollen. Es war nicht so, dass er sich unsicher fühlte, aber er war es nicht gewohnt, Maron so zu sehen. Chiaki wusste, dass sie an ihren Berührungsproblemen arbeitete. Doch ihre gelegentlichen, kleinen Faustschläge mit Yamato hinterließen bei ihm schon dieses Brennen in der Brust. Aber es war nur Yamato. Er tat ihr nichts und hatte sowieso nur Augen für Miyako. Aber es ließ ihn trotzdem... wie ein besitzergreifender Mistkerl fühlen. Chiaki presste sich die Zähne zusammen und schenkte seinem Mädchen ein schmales Lächeln. „Das ist wirklich toll, Maron.“ Bei dem verräterischen Ton seiner Stimme erstarb ihr Lächeln. „Was ist?“, fragte sie verwundert. Er realisierte, dass er diesen Erfolg für sie gerade ruinierte. Er fühlte sich bescheuert und schuldig. Mit einem aufgesetzten Lächeln küsste Chiaki sie sachte. „Reden wir später mit Midori darüber“, sagte er ihr. Maron runzelte die Stirn, stand von seinem Schoß auf und setzte sich auf dem Stuhl neben ihn hin. Sie nickte wortlos, holte ihr Buch aus der Tasche und begann zu lesen. Na toll. Jetzt war sie stinkig auf ihn. Chiaki wollte sich selbst in den Hintern treten.   Am Nachmittag erwartete Midori die beiden bereits in ihrem Büro. Als das Paar sich zusammen auf dem Sofa hingesetzt hatte, war das Erste was Maron direkt sagte: „Ich habe heute Toki, einen Mitschüler von uns, berührt und Chiaki ist jetzt komisch drauf“, und zeigte mit dem Finger auf ihn. Chiaki strich sich mit beiden Händen über das Gesicht, während Maron und Midori ihn erwartungsvoll anblickten. „Was stimmt denn nicht, Chiaki?“, hakte Midori nach. „Nichts.“ Er wandte sich an Maron. „Es ist nichts“, beharrte er. „Die Sache hat mich nur... überrascht. Und...“, brachte er entgegen, fuhr sich durch die Haare, „Es... ist nur dämlich.“ Und peinlich. „Dämlich?“ Midori legte ihren Kopf schief. „Wieso?“ „Ja, wieso?“, fragte Maron mit einem genervten Blick. Er hasste es, wenn beide sich gegen ihn aufspielten. „Nun komm. Du solltest darüber reden, Chiaki“, sagte Midori ruhig. Er seufzte. „Am liebsten würde ich jeden Dreckskerl, der sie anfasst, eine reinhauen“, gestand er. Maron machte ein Gesicht, als hätte sie die Antwort nicht erwartet, während bei Midori das Gegenteil der Fall schien. Sie lächelte ein wissendes Lächeln, wusste ganz genau, was Chiaki sagen würde. „Bist du eifersüchtig?“ „Nein.“ „Wirst aber besitzergreifend.“ „Nein“, log er, doch bei Midori’s durchbohrenden Blick fügte er hinzu: „Vielleicht...Ein bisschen.“ „Was?!“ Fassungslos schaute Maron ihn an. „Das ist doch absurd! Heute war... riesig für mich! Und du-… Du bist so-…!“ Sie gestikulierte wild. „Was will ich bitte mit Toki?! Außerdem bin ich kein Besitz!“ „Maron”, fiel Midori mahnend dazwischen. Maron verstummte, atmete tief durch. Midori wandte sich Chiaki wieder zu. „Also, Chiaki. Vertraust du Maron nicht?“ „Es ist nicht Maron, der ich nicht vertraue!“, wendete er ein. „Hör zu“, sagte er anschließend an Maron gerichtet, die ihre Arme vor sich verschränkt hatte. „Jungs in unserem Alter haben nur eines im Kopf.“ Sie runzelte irritiert die Stirn. „Und? Von mir bekommen sie nichts.“ Leise und mit rosanen Wangen fügte sie hinzu. „Du bist und bleibst der Einzige.“ Chiaki strich sich unbeholfen durch die Haare, während Midori leise kicherte. Die restliche Sprechstunde diskutierten sie über seine besitzergreifenden Tendenzen und Maron’s Gefühle darüber. „Es ist nicht so, dass es mir gefällt“, sagte sie. „Ich meine, ich kann ihn irgendwo verstehen. Ich habe mich genauso gefühlt... Wenn es um Chiaki und der Schlampe, Yashiro, ging.“ Er verdrehte seufzend seine Augen, währen Maron weitersprach. „Also vermute ich mal, dass er genauso empfindet“, schloss sie schulterzuckend ab. „Nur ist meine Konkurrenz unendlich.“ Er schnaubte bei der letzten Bemerkung, weil es lächerlich war. „Chiaki? Hättest du dem was hinzuzufügen?“, frage Midori. „Abgesehen davon, dass ihre letzte Bemerkung lächerlich sei und sie sich um keine Konkurrenz Sorgen machen muss – Nein“, brachte er trocken entgegen. „Aber-“ Er nahm einen tiefen Atemzug. „Es wäre falsch von mir zu behaupten, dass ich nicht mit denselben... Unsicherheiten zu kämpfen habe.“ Jetzt hatte er es doch zugegeben. Er war unsicher. Midori lächelte sanft, als Chiaki sich dies eingestand. * Tage vergingen. Es war Donnerstag und gerade kuschelten er und Maron ein wenig auf dem Bett, nachdem sie von ihrer Privatsprechstunde mit Midori nach Hause kam. „Wie war deine Sitzung?“, fragte Chiaki, als er bemerkte, wie nachdenklich sein Mädchen war, seit sie nach Hause kam. Davor, nach der Schule, war alles noch in Ordnung bei ihr gewesen. Maron gab ihm als Antwort nur ein Schulterzucken. Seufzend kraulte Chiaki ihren Nacken, gab ihre einen sanften Kuss auf den Kopf. „Willst du darüber reden?“ Sie seufzte schwer, blickte ihn an. „Wir können am Montag darüber reden“, sagte Maron leise. Chiaki zog seine Augenbrauen zusammen. „Montag?“ Soll er wirklich vier Tage warten, bis er erfahren durfte, was heute mit ihr los war? Seine Augen trafen auf ihre. „Können wir beide nicht ein Gespräch miteinander haben, ohne das Midori Moderator und Schiedsrichter spielt?“ Sie senkte ertappt ihren Blick. „So meinte ich das nicht...“ „Ich weiß.“ Er ließ sie los, setzte sich auf und lehnte sich in seine Kissen zurück. „Aber denkst du nicht, dass diese Beziehung mittlerweile aus drei Leuten besteht? Mein armer Vater hätte auch gerne was von seiner Freundin.“ Maron biss sich auf die Lippe. „Weißt du, es gab mal eine Zeit, in der du mir ohne Probleme alles erzählen konntest“, merkte Chiaki zusätzlich an. Zugegeben, er hatte letztens auch die „Warten wir, bis wir mit Midori reden“-Karte eingesetzt, aber da musste sie nur ein paar Stunden warten und keine paar Tage. Und er hatte sie nur einmal eingesetzt. Maron hingegen schien immer auf ihre gemeinsamen Sitzungen zu warten, um irgendwelche Probleme in ihrer Beziehung klären zu wollen. Er persönlich hatte nichts gegen Midori. Privat, als Kaiki’s Freundin, mochte er sie sogar. Als Therapeutin war sie in Ordnung und mit seinen sowie ihren gemeinsamen Sitzungen war er zufrieden. Aber welchen Nutzen haben sie, wenn Maron und er sie nicht im realen Leben anwenden konnten? Maron seufzte laut und verdrehte ihre Augen. „Es geht um Uni“, murmelte sie, setzte sich auf und lehnte sich, wie er, zurück. „Oh“, brachte Chiaki nur entgegen, hatte dies nicht erwartet. „Du hast darüber noch nicht nachgedacht, oder?“ „Nicht wirklich.“ Seit seiner Rückkehr hatte er sich erstmal darauf konzentriert alles Verpasste nachzuholen. Aber ihm war schon aufgefallen, dass Yamato und Miyako in den Mittagspausen viel über Universitäten, die sie zusammen besuchen wollen, sprachen. „Bis zum Schulabschluss sind es noch ein paar Monate. Genug Zeit, um sich noch darüber Gedanken zu machen“, sagte er. Früher hatte er jeden Tag in Hier-und-Jetzt gelebt, aber jetzt freute er sich sogar seine Zukunft zu planen. Insbesondere eine Zukunft mit seinem Mädchen. Maron spielte gedankenverloren mit ihren Haaren. „Nun...Keine Ahnung, ob es für mich überhaupt was bringt.“ „Warum denkst du so?“ Sie machte ein langes Gesicht, schnaubte. „Mal ganz ehrlich, Chiaki. Ich...Ich kann nicht-“ Sie brach kopfschüttelnd ab. Er wollte sie halten, aber sie schüttelte ihn ab. „Mein Heilprozess dauert zu lang“, platzte es frustriert aus ihr heraus. „Ich habe Ewigkeiten gebraucht, um mich einzugewöhnen, als ich zu meinem Vater zog. Genauso lang, wie ich gebraucht habe, um mich hier einzugewöhnen. Wie soll ich mich in einem überfüllten Studentenwohnheim einfinden? Oder überhaupt in einem vollen Uni-Campus? Ich kann das einfach nicht...“ Sie biss sich auf die Lippe. „Ich müsste nach Alternativen suchen, die online was anbieten...“ Chiaki blickte Maron an. „Wer sagt denn, dass wir in ein Wohnheim einziehen?“ Mit gerunzelter Stirn sah sie ihn schief an. „Was?“, fragte er leicht schmunzelnd. „Mich bekommst du nicht in so eine Sardinenbüchse rein. Wir ziehen einfach in eine Wohnung außerhalb des Campus zusammen. Das wird lustig.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Eine ganze Wohnung nur für uns allein“, flüsterte er Maron mit tiefer Stimme ins Ohr. Maron schien seinen Enthusiasmus darüber im Moment nicht zu teilen. Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, war sie mit ihrem Kopf ganz woanders. „Ich muss mir die am wenigsten überfüllten Wege zu jedem Kurs einprägen. Ich muss einen Platz weit weg von Menschen finden. All diese Dinge erinnern mich daran, dass ich noch weit entfernt bin von...“ Normal, vollendete Chiaki in Gedanken. Aber sein Mädchen hatte einen weiten Weg hinter sich, im Vergleich zu dem, wo sie angefangen hatte - worüber er natürlich stolz war. „Ich komm immer noch nicht in deinen dämlichen Schrank rein“, murmelte sie kaum hörbar. „Was?“, fragte er verwundert. „Dein begehbarer Kleiderschrank. Das Ankleidezimmer“, stellte sie murrend klar. „Ich bin nur noch einen halben Meter davon entfernt, da eintreten zu können, ohne auszuflippen.“ „Mensch, Maron“, stöhnte er auf, „Du denkst zu viel nach. Glaub mir, du bist schon so viel besser“, erinnerte er sie. „Erinnerst du dich noch an Toki?“ „Scheiß auf Toki.“ Okay. Anscheinend hatte sie einen ihrer alles-ist-scheiße-Tage, wie Chiaki nun feststellte. Diese Tage kommen und gehen und er mochte sie nicht. Maron wird, während ihres Genesungsprozesses, offensichtlich weiterhin mehr Rückschläge erleben als Erfolge. Und sie wird sich darüber aufregen, während er tatenlos dabei zusah. Doch heute Abend würde er nicht tatenlos bleiben wollen. Sie war so weit gekommen. Genauso wie er weit gekommen war. Er wird nicht zulassen, dass es bei ihr wegen sowas Kleinem noch zu Rückschritten kommt.   „Komm“, sagte Chiaki und stand vom Bett auf. Maron blickte ihn verwirrt an. Er nahm ihre Hand und zog sie mit vom Bett runter. Er führte sie zu seinem Ankleidezimmer, stand mit ihr einen Meter von der Tür entfernt. Sofort bemerkte Chiaki, wie Maron sich neben ihn versteifte. Er wusste, dass sie ursprünglich zur Therapie gehen wollte, um ihn anzupissen und in dieses Zimmer reinkommen zu können (um wahrscheinlich zu schnüffeln, als er weg war). Dieses kleine, eigentlich unspektakuläre Zimmer war unzugänglich für sie und er vermutete mal, dass es sie in den Wahnsinn trieb. Nach all der Zeit würde es ihn nicht überraschen, wenn sie sich mittlerweile eine völlig übertriebene Vorstellung von dem Zimmer gemacht hatte. Dass er darin eventuell Pornos oder ähnliches verstecken würde. Dabei war dieses Zimmer eher stinkend langweilig. Diente einfach dazu Kleider, Schuhe und alte Notizbücher und Ordner zu verstauen. Und dennoch hatte sein Mädchen Angst vor diesem Zimmer, umging es immer. Der Wäschekorb stand nun draußen neben dem Bad und ihre Klamotten stopfte sie bis zum Rand voll in die Kommode, weigerte sich sie in dem Zimmer zu tun. Maron hatte versucht ihm zu erklären, wieso sie nicht rein konnte und teilweise konnte Chiaki es verstehen, aber teilweise auch nicht. „Ich sagte dir doch, ich kann nicht“, hörte er Maron sagen, die mit schimmernden Augen zu ihm aufsah. Die Hoffnungslosigkeit in ihrem Ausdruck brach ihm das Herz. Und verleitete ihn noch mehr dazu ihr helfen zu wollen. Chiaki packte Maron an den Schultern und drehte sie zur Tür herum. „Du kannst es. Ich bin bei dir.“ Auch wenn sie versuchte nicht mehr abhängig von ihm zu sein, so war er dennoch bereit ihr jederzeit seine Hilfe anzubieten. Dieses Zimmer war eines ihrer Hürden, die sie unbedingt überwinden wollte und da wird er ihr auch helfen, wenn sie ihn ließ. Ein kleines, nervöses Lächeln bildete sich auf Maron’s Lippen. „Okay“, sagte sie. Chiaki nickte verstehend und nahm ihre Hand. „Schließ deine Augen“, sagte er ihr sanft. „Und entspann dich.“ Einige Male atmete Maron tief durch. Er massierte mit einer Hand ihre Schulter, sodass ihre Haltung sich entspannte. Sie ging zwei Schritte, sodass sie nur noch einen halben Meter von der Tür entfernt waren. Maron öffnete ihre Augen und Chiaki merkte, wie sie sich direkt wieder versteifte. Ein dünner Schweißfilm war auf ihrer Stirn. Er drückte ihr beruhigend die Hand. Für einen Moment hatte Chiaki es in Erwägung gezogen alles abzubrechen und sie von ihrem Leid zu erlösen. Schließlich würde er alles tun, damit sie glücklich war. Aber dann rief er sich in Erinnerung, dass es langfristig zu ihren Gunsten war. Und wenn sie es heute schafften, würde sie es umso mehr glücklich machen. „Shhh“, flüsterte er Maron ins Ohr und legte ihre schwitzige Hand auf die Türklinke. Ihr Arm zitterte, doch sie hielt die Klinke eisern fest. Chiaki legte seine Hand über ihre und zusammen drückten sie die Klinke runter, machten die Tür auf. Während Chiaki in das dunkle Zimmer auf seine hängenden Klamotten reinschaute, war Maron fast am Hyperventilieren. Er legte seine Arme um sie, umarmte sein Mädchen von hinten, strich mit seinen Händen in einem sanften Rhythmus über ihre Oberarme. „Schließ deine Augen, atmete tief durch und visualisiere.“ Nickend tat Maron wie ihr geheißen und nahm einen tiefen Atemzug. Sie atmete hörbar ein und wieder aus, wiederholte dies ein paar Male, bis sich ihr Körper wieder etwas entspannte. Wieder nickte sie, diesmal mit einem entschlosseneren Gesichtsausdruck. „Wir gehen rein“, sagte sie, schnappte sich seine Hand und ging einen mutigen Schritt nach vorne, die Augen weiterhin geschlossen. Als sie für einige Momente wie gelähmt stehen blieb, ging Chiaki um sie herum, nahm ihre Hände und führte sie rückwärtslaufend schrittweise rein. Vorher hatte er noch schnell das Licht angemacht. Ihre Hände hielten sich krampfhaft bei ihm fest. Er behielt ihre Atmung und ihr Gesicht im Auge, achtete darauf, dass sie nicht in Panik verfiel. So weit, so gut. „Du machst das gut“, sprach er sanft mit einem ermutigenden und stolzen Lächeln. „Hmmm.“ Maron verzog darauf nur nervös ihr Gesicht, versuchte angestrengt ruhig zu atmen. Nach wenigen Schritten standen sie schon mitten im Raum. Langsam sank Chiaki zu Boden, zog Maron mit zu sich runter. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand hinter sich an und nahm sein Mädchen in die Arme, während sie sich zwischen seinen Beinen platzierte. Zitternd umarmte Maron ihn zurück, vergrub ihr Gesicht in seiner Brust. Chiaki drückte ihr einen lieben Kuss auf die Wange und sagte ihr, wie stolz er auf sie war. Sie hatte es geschafft. Und es war egal, ob er ihr nun dabei geholfen hatte. Oder dass sie Monate dafür jetzt gebraucht hatte. Oder dass sie Medikamente nehmen musste, um nicht einen kompletten Nervenzusammenbruch zu bekommen. Die Hauptsache war, dass sein Mädchen es geschafft hatte und tränenfrei sich in diesem kleinen Zimmer gerade befand. Allmählich löste Maron sich von ihm, öffnete ihre Augen und blickte sich erstaunt, überrascht und geschockt um. Konnte es kaum glauben. Im nächsten Moment bildete sich ein riesiges, strahlendes Lächeln auf ihrem wunderschönen Gesicht. Chiaki lächelte stolz zurück. „Weißt du…Ich habe an die Hütte da draußen gedacht“, offenbarte Maron in einem leicht verlegenen Ton und blickte ihn an, hatte nach wie vor ein ungläubiges Dauergrinsen auf den Lippen. „Echt?“, lächelte Chiaki, strich ihr eine Strähne hinters Ohr. „Wir sollten mal wieder dorthin fahren.“ Sie nickte zustimmend, ihre Augen schweiften wieder durch das Zimmer. Blieben an jeder Box und jedem Regal um sie beide herumhängen. „Was ist das?“, fragte sie und zeigte auf einen alten Karton. „Alte Skizzenbücher und Zeichnungen“, antwortete er ihr schulterzuckend. „Nichts Besonderes.“ „Darf ich sehen?“ Tu dir keinen Zwang an, gab er ihr wortlos mit einer einladenden Geste zu verstehen. Maron holte sich den kleinen Karton und schaute rein, blätterte fasziniert die Bücher durch, während sie es sich an ihm gemütlich machte. Chiaki schaute ihr schweigend dabei zu, legte seine Wange auf ihrem Kopf ab. „Wenn du dich an einer Uni bewerben willst, in welche würdest du gehen wollen?“, durchbrach er die Ruhe zwischen ihnen. Sie zuckte mit den Schultern. „Auf jeden Fall nicht so weit weg von allen hier“, sagte Maron verlegen lächelnd. Nickend stimmte Chiaki ihr zu. „An was für ein Studium hast du gedacht?“ „Wirtschaft? Business?“, antwortete Maron grübelnd und biss sich verlegen auf die Lippe. „Hört sich vielleicht doof an, aber ich will eventuell mal ein eigenes Geschäft aufmachen.“ Er hob überrascht seine Augenbrauen. „Willst du das mit Kochen und so verbinden? Also ein Restaurant eröffnen?“ „Darüber bin ich mir noch nicht sicher. Ein Restaurant. Ein Imbiss. Ein Café. Eine Patisserie. So viele Möglichkeiten.“ Schulterzuckend blickte sie ihn an, mit leuchtenden Augen. Chiaki blickte erstaunt zurück, hatte nicht erwartet, dass sie sich schon so viele Gedanken über die Zukunft gemacht hatte. „Es ist eine doofe Idee, oder?“, fragte Maron, unsicher wegen seines Gesichtsausdruckes. Er schüttelte schnell den Kopf. „Nein! Quatsch, nein. Es ist nicht doof. Ich denke, das passt perfekt zu dir.“ „Wirklich?“ Mit roten Wangen schenkte sie ihm ein kleines, dankbares Lächeln und widmete sich wieder dem Skizzenbuch in ihren Händen zu, blätterte weiter darin rum. „Was ist mit dir? Willst du in die Kunst gehen?“, fragte Maron ihn interessiert und hielt das Buch hoch. Chiaki schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist und bleibt ein Hobby.“ Zeichnen diente ihm nur, um abzuschalten. Außerdem waren seine Zeichnungen nichts Weltbewegendes oder etwas, worauf er stolz war. „Aber du bist wirklich gut“, hörte er Maron sagen, die ihm eine alte Skizze von einem Gitarre-spielenden Yamato vor die Nase hielt. Seufzend versuchte Chiaki das Thema zu wechseln. „Weißt du, du tust dich gut hier. Hier drin, mein ich“, merkte er laut an. „Gib dir selbst ein bisschen mehr Anerkennung.“ In dem Moment schien Maron sich wieder zu erinnern, wo sie war. „Alles dank dir, Chiaki“, erwiderte sie sanft und dankbar zugleich, gab ihm einen süßen Kuss auf den Mund. „Gib dir selbst ein bisschen mehr Anerkennung“, wiederholte sie seine Worte kichernd, ehe sie sich seinem alten Skizzenbuch wieder widmete. In dem Moment bekam Chiaki sowas wie eine Erleuchtung. Wenn er sich sein Mädchen ansah, die in diesem kleinen, staubigen Zimmer mit ihm saß, wovon sie monatelang noch nicht mal die Tür öffnen konnte - so realisierte er, dass er ihr nur helfen konnte, in dem er sich über ihre Kondition schlau gemacht hatte, um ein größeres Verständnis dafür zu entwickeln. Es war durchaus interessant und bereichernd und er war stolz darauf ihr mit Erfolg helfen zu können. Und diese Erkenntnis ließ ihn schließlich wissen, was für eine Zukunft er anstreben wollte. Er dachte an seine Mutter zurück, der er nicht helfen konnte. Aber vielleicht konnte er anderen Leuten helfen, die sich genauso hoffnungslos fühlten wie er. Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. „Was grinst du so?“, fragte Maron amüsiert. „Stelle mir nur vor, wie mein Name mit Doktortitel aussieht.“ „Doktor?“, brachte sie erstaunt entgegen, „Doktor in was?“ Chiaki blickte sie an, kicherte. „Psychologie.“   ----------------------- Wünsche allen schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr ♥ FIFTY-SEVEN ----------- Wünsche allen ein frohes neues Jahr :)   ---------------------------   FIFTY-SEVEN   Maron lag hellwach im Bett. Allein. Chiaki befand sich im Gästezimmer. War nur zwanzig Schritte von ihr entfernt (die hatte sie extra nachgezählt). Es war ein Experiment, wofür beide sich in den letzten Wochen vorbereitet haben. Ebenso hatten sie ausführlich mit Midori und Kaiki darüber gesprochen. Die beiden Ärzte hatten ihnen zunächst im Detail die Theorie von Schlaf, Träume und der Psyche erklärt. Midori hatte ihnen diverse Entspannungsmethoden vorgestellt und verschiedene Behandlungsverfahren, wie man mit Albträumen umgehen kann, um daraufhin besser Schlafen zu können. Hauptsächlich bestanden diese Behandlungsmethoden darin, dass der Schlafende selbstständig den Verlauf der Albträume ändern und den Horror reduzieren kann, um gleichzeitig die Angst zu mindern. Beispielsweise konnten sie versuchen zu lernen luzide zu träumen. Maron hatte noch nie davon gehört, aber Midori erklärte es ihr als die Fähigkeit, Träume aktiv ändern zu können. Dafür mussten sie sich bewusst sein, dass sie träumten, dass sie selbst eigentlich in Sicherheit waren und dass sie die Entscheidung haben das Leid zu beenden. Ein anderer Therapieansatz, welchen Midori ihnen vorstellt hatte, war eine Methode, in der sie sich die Ereignisse der Albträume in ein Traumtagebuch wiederholt aufschrieben (oder in Chiaki’s Fall: sie sich aufzeichneten), damit sie es besser verarbeiteten konnten. Zusätzlich sollten sie sich ein anderes Ende der Träume ausdenken und in dem Buch festhalten. Auch hier soll der Kern darin liegen, dass sie den Verlauf der Albträume nach ihren Wünschen ändern können. Zusammen mit all den Gesprächen, hatten beiden noch Medikamente, wie Schlaf- und Beruhigungstabletten sowie auch Tabletten, die die Schlafqualität verbessern sollen, verschrieben bekommen. Diese Tabletten lagen gerade in einer kleinen Schale auf dem Nachttisch, zusammen mit einem Glas Wasser. Maron kämpfte mit sich, sie zu nehmen.   Während sie in die Dunkelheit blickte, versuchte sie die aufkeimende Angst bestmöglich zu unterdrücken. Ihre Augen schweiften umher, das Licht des Mondes ließ sie nur Umrisse von allem erblicken. Sie bleib beim Ankleidezimmer hängen und beäugte nervös die Türklinke, achtete darauf, dass die sich nicht nach unten bewegte. Ein Monat war es her, seit Maron es mit Chiaki’s Hilfe da reingeschafft hatte. Sie hatte sich damals, zu dem Moment, stolz und stark gefühlt, aber jetzt... jetzt bereitet der Gedanke an diesen kleinen Raum ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Es war, als wurde sie in das verängstigte Mädchen in Osaka zurückversetzt. Nein! Hör auf, mahnte Maron sich in Gedanken, gab sich innerlich eine Ohrfeige und nahm tief Luft. Sie kniff sich die Augen zusammen. Mit einigen tiefen Atemzüge versuchte sie ihren Puls zu beruhigen. Sie stellte sich vor, dass sie mit Chiaki an einem schönen sonnigen Tag draußen war. Am Fluss auf einer schönen, blumigen Wiese. Sie versuchte sich die warme Sommerbrise und das Gefühl von seinen Armen um ihre Taille vorzustellen. Arme, die sie sicher und fest hielten. Er würde ihr sanft und mit tiefer, rauer Stimme süße Dinge ins Ohr zuflüstern, mit ihren Haaren spielen und liebevolle Küsse auf ihrem Hals verteilen. Diese Vorstellung beruhigte Maron so weit, dass sie wieder normal atmen konnte, doch es war nicht dasselbe, wie wenn Chiaki bei ihr war. Er fehlte ihr. Seine beruhigende Präsenz. Das Gefühl seiner starken Arme um sie. Die Sicherheit, die er ihr gab. Am liebsten wollte Maron vom Bett aufspringen, die zwanzig Schritte zwischen ihnen überbrücken und sich in seine Arme werfen. Sie könnte ihn anrufen oder schreiben, doch dann würden sie eventuell in alte Gewohnheiten zurückverfallen. Mit einem frustrierten Laut vergrub Maron ihren Kopf unter ihren Kissen und wälzte sich hin und her. Sie war müde. Aber ihr Verstand wollte sie aus Angst nicht schlafen lassen. Wieder fiel ihr Blick auf die Tabletten auf dem Nachttisch. Jeder verließ sich auf sie. Sie durfte nicht versagen. Sie wollte nicht versagen. Du schaffst das!, dachte Maron sich, nahm die Medikamente und schluckte sie alle runter, leerte in einem Zug auch ihr Wasserglas. Anschließend legte sie sich wieder hin, umarmte ganz fest Chiaki’s Kissen. Innerhalb von wenigen Minuten spürte sie, wie ihre Lider schwer wurden und ihr Körper sich entspannte. Ehe sie sich versah, schlossen sich ihre Augen und sie schlief ein. Der Albtraum hieß sie direkt willkommen.   Maron befand sich wieder in der dunklen Kammer, eingesperrt von dem Monster. Gefesselt und geknebelt. Sie versuchte zu schreien, doch jeglicher Laut von ihr erstickte. Blieben unerhört. Tränen liefen ihr herunter und sie schluchzte hilflos in der Dunkelheit. Doch dieses Mal wurde ihr irgendwie bewusst, dass dies alles nur ein Traum sein musste. Vielleicht waren es die Erinnerungen daran, dass das Monster im Gefängnis eingesperrt war oder dass sie -ihr Körper- sich in Momokuri in Sicherheit befand. Nachdem Maron das erkannte, waren all ihre Fesseln weg und sie konnte aufstehen. Sie lief zwei Schritte in der Dunkelheit und erfasste die Tür. Mit aufkeimender Hoffnung machte Maron sie auf. Es war hell und warm. Und sie trat in einen vertrauten Raum, welches ihr definitiv das Gefühl von Sicherheit, Komfort und Heimat brachte. Lächelnd stand sie in Chiaki’s Zimmer und ihr Lächeln wurde breiter, als sie ihn sah. Sie ging auf ihn zu, wollte ihn berühren, umarmen, als- Der Traum endete und Maron etwas überrascht wachte auf. Sie befand sich nach wie vor in Chiaki’s Zimmer, auf dessen Bett. Allein. Es war jedoch hell im Raum. Allerdings nicht so hell, wie in ihrem Traum. Maron sah auf die Uhr. 7:28. Überrascht blinzelte sie mit geweiteten Augen. Das letzte Mal als sie auf die Uhr geschaut hatte, war es stockdunkel und nach drei gewesen. Sie hatte vier Stunden durchgeschlafen! Und das, ohne schreiend und total verängstigt aufzuwachen! Völlig aus dem Häuschen, sprang Maron vom Bett auf und rannte aus dem Zimmer raus, lief schnurstracks zum Gästezimmer. Sie stoppte für einen Moment, als sie sah, dass die Tür einen großen Spalt auf war. Das Bett war nicht gemacht, sein Skizzenbuch lag mit Stift offen darauf und Chiaki war nicht da. Sofort ging Maron die Treppen runter und atmete erleichtert auf, als sie ihn mit Kaiki’s reden hörte. Lächelnd steuerte sie auf die Küche zu.   Chiaki und sein Vater verstummten, als sie eintrat und ihr Lächeln gefror etwas, als sie ihn sah. Während sie sich voller Energie fühlte, aufgrund ihres Erfolgserlebnisses, so sah er aus als hätte er kein solches Erlebnis gehabt. Seine Augen wirkten müde und schwer. Ihr Herz sank. Während ihr Lächeln fiel, lag ein stolzes Lächeln auf seinen Lippen. „Hey“, sagte Chiaki sanft, streckte seine Arme nach einer Umarmung aus. Maron ging auf ihn zu, legte ihre Arme um seinen Nacken und setzte sich auf seinen Schoß hin. „Hey“, erwiderte sie genauso sanft, strich ihm durchs Haar. „Guten Morgen, Maron“, kam es von Kaiki warm lächelnd. „Guten Morgen.“ „Wie es scheint, hattest du eine erholsame Nacht“, merkte Chiaki an. Ihre Lippen zuckten zu einem Lächeln hoch, doch sie bemerkte sofort, wie erschöpft er wirkte. „Konntest du nicht...?“, fragte sie leise. Er senkte für einen Moment seinen Blick, seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht...“ Bedauern war in der Stimme zu hören. „Das ist kein Beinbruch“, sagte Kaiki in einem ermutigenden Ton. „Kleinere Niederlagen gehören im Leben dazu. Nur nicht aufgeben.“ Chiaki ging auf ihn nicht ein, seufzte schwer. Maron strich ihm zärtlich über den Hinterkopf, drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Vielleicht beim nächsten Mal.“ Er setzte ein Lächeln auf und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“ Mit seinem Arm auf ihrem Rücken drückte er sie an sich. „Nun, erzähl.“ „Was soll ich groß erzählen?“, verdrehte Maron ihre Augen. „Haben die Gespräche und die Vorbereitungen mit Midori geklappt?“, fragte Kaiki interessiert. Sie überlegte für einen Moment und nickte bejahend. „Ich denke schon. Es hat eine Weile gebraucht, bis ich mich überwunden habe die Tabletten zu nehmen. Ich war die ganze Zeit kurz und dran gewesen aufzugeben“, gestand sie, „Auf jeden Fall habe ich sie gegen drei genommen, bin eingeschlafen und... hatte einen Albtraum.“ Sie biss sich auf die Lippe, während Chiaki ihr in einem beruhigenden Rhythmus über den Rücken strich. „Aber anderes als sonst, hatte ich so einen Moment, wo ich realisierte, dass nichts davon echt war und ich nur träumen musste. Und dann wurde es heller und ich war nicht mehr gefangen...“ Mit einem seligen Lächeln schaute Maron zu Chiaki, der sie noch stolzer anblickte. „Das ist für den Anfang wirklich super“, sagte Kaiki ebenfalls mit einem stolzen Lächeln. Nickend rutschte Maron zu ihrem Sitz neben Chiaki runter. Gerade als sie mit Frühstücken anfangen wollte, klingelte es an der Tür. Kaiki stand mit seiner Kaffeetasse auf und ging zur Tür. „Morgen“, hörte sie die Stimme ihres Vaters sagen. „Sakura war heute beim Bäcker und hat’s ein wenig übertrieben.“ In dem Moment kam Kaiki mit Takumi in die Küche zurück. Ihr Vater hielt eine große, bräunliche Papiertüte in der Hand. „Hat wer noch Hunger?“ „Ich“, kicherte Maron. „So gut gelaunt heute?“, sagte Takumi schmunzelnd und legte die Sachen ab. Maron hielt ihm vier Finger hoch. „Habe vier Stunden durchgeschlafen.“ „Ach!“ Sein Gesicht leuchtete auf. „Du meine Güte! Das ist großartig, Maron!“ Er wollte auf sie zugehen und umarmen, doch sie versteifte sich, hielt stoppend ihre Hand hoch. So sehr Maron es auch wollte, so war sie leider noch nicht soweit. Takumi hielt inne, verlor sein stolzes Lächeln dennoch nicht. „Ich bin stolz auf dich“, sagte er. Dann wandte Takumi sich an Chiaki. „Und wie sieht es bei dir aus?“ Er presste die Lippen zu einem schmalen Lächeln zusammen und senkte leicht beschämt seinen Blick. Anscheinend schien ihr Vater ihn zu verstehen, klopfte ihm auf die Schulter. „Es wird schon.“ * Über die Tage und Nächte wurden weiter Versuche gemacht. Nicht jeder Versuch verlief so erfolgreich, wie der Erste, für Maron. In der zweiten Nacht schon, wachte sie von einem Albtraum auf und blieb dann die ganze Nacht lang wach. Genauso wie Chiaki. Für ihn war es nach wie vor schwierig überhaupt ohne Maron schlafen zu wollen. Aber er versicherte ihr, dass er daran arbeitete dies zu überwinden. Beide sprachen regelmäßig mit Midori in ihren privaten Sprechstunden über ihre Albträume. Maron hatte zwar schon öfters, seit sie ihn kennengelernt hatte, mit Chiaki über ihre Albträume geredet, aber irgendwie war es ein anderes Gefühl sie mit Midori zu besprechen. Womöglich weil Midori alles aus objektiver, professioneller Sicht betrachten konnte. Wenn Maron es schaffte zu schlafen, dann meistens nur drei bis vier Stunden maximal. Keine sieben Stunden, die normal benötigt waren für einen Menschen. Aber laut den Ärzten soll es sich mit der Zeit noch entwickeln. Aufgeben und die Hoffnung verlieren, wollten Maron und Chiaki auch nicht.   Gähnend kam Maron morgens aus dem Zimmer raus. Sie hatte geschlafen, zwar ohne Albtraum, aber dennoch nicht viel. Eventuell nur zwei Stunden, weil sie lange Zeit nicht einschlafen konnte. Wie jeden Morgen ging sie an Chiaki’s Gästezimmer vorbei. Und wie immer war die Tür einen Spalt offen. Für gewöhnlich war das Zimmer meist leer und er erwartete sie kaffeetrinkend in der Küche. Doch anders als sonst, fand Maron das Zimmer nicht leer vor. Verblüfft machte sie die Tür etwas weiter auf und sah Chiaki friedlich schlafend auf dem Bett. Maron konnte nicht anders als stolz zu lächeln. In dem Moment als sie die Tür wieder zumachen und ihn schlafen lassen wollte, sah sie sein Traumtagebuch neben ihm auf dem Bett liegen. Leise ging Maron auf seine schlafende Gestalt zu und nahm es an sich. Gerade als sie es zuklappen und auf dem Nachttisch legen wollte, fiel ihr Blick auf die offene Zeichnung. Flammen waren zu sehen, ein Engel mit ausgestreckter Hand und eine Hand, aus der Ich-Perspektive, die nach dem Engel reichte. Ihre Augen wurden größer als ihr auffiel, dass der Engel Ähnlichkeiten mit ihr hatte. Automatisch ging ihre Hand zu ihrer Halskette, die er ihr geschenkt hatte und ein berührtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Kurz setzte Maron sich hin und blätterte durch die vorherigen Seiten. Ihr Herz zog sich bei all den Abbildungen der dunklen Flammen zusammen. Sofort blätterte sie zu dem Engel zurück, lächelte sanft und strich mit den Fingern über die Bleistiftlinien. Überrascht zuckte Maron zusammen, als zwei Arme sich um ihre Taille schlangen. Schlafgetrunken schmiegte Chiaki sein Gesicht an ihre untere Rückenhälfte. „Mein Engel...“, murmelte er, worauf Maron noch mehr lächeln musste. Eine Weile streichelte sie ihm über die Haare, sah anschließend wie seine Augen zuckten und er langsam seine Lider öffnete. Müde grinsend blickte Chiaki zu ihr auf, blinzelte beim hellen Licht der Morgensonne. „Morgen“, sagte Maron, blickte liebevoll auf ihn herab. „Morgen...“ Erleichtert atmete er auf. „Es ist schon so hell hier...“ Kichernd strich sie ihm über die Wange, drückte ihm einen Kuss auf den Kopf. „Zeit fürs Frühstück, Schlafmütze.“ Mit einem rauen Kichern erhob er sich vom Bett und zusammen begaben sie sich nach unten. * Die Zeit verging. Es wurde von Mal zu Mal einfacher einschlafen oder überhaupt allein schlafen zu wollen beziehungsweise zu können. Nicht jede Nacht verlief gleich gut ab, aber das war okay. Gerade lag Maron mit Chiaki engumschlungen auf dem Bett zusammen, hatte einen lange Weile damit verbracht sich zu küssen und liebkosen und zu kuscheln. „Bist du schon müde?“, fragte Maron warmlächelnd, küsste seine Nasenspitze. Chiaki verneinte kopfschüttelnd. „Ich will noch nicht rüber“, sagte er. „Außerdem ist es gerade so gemütlich hier“, fügte er hinzu, hakte sein Bein mit ihres ein. Kichernd konnte Maron dem nicht widersprechen. Anschließend beschlossen sie noch einen Film anzuschauen. Nach ungefähr zwanzig Minuten spürte Maron sanfte Atemzüge auf ihrem Nacken. Sie drehte ihren Kopf und sah, wie Chiaki eingeschlafen war. Liebevoll blickte sie ihn an, beobachtete ihn für einige Momente und strich ihm zärtlich durch die Haare. Er sah so friedlich aus, wenn er schlief und gerade wollte sie diesen Frieden nicht stören, um ihn ins Gästezimmer zu schicken. Weshalb sie ihn schlafen ließ. Außerdem war es eine gefühlte Ewigkeit her (über drei Wochen, um genau zu sein), seit sie beide das letzte Mal zusammen geschlafen hatten. Wenn Maron ehrlich mit sich war, so sehnte sie sich jede Nacht nach ihm und sie konnte sich ganz gut vorstellen, dass es Chiaki nicht anders ging. Gähnend hielt Maron sich eine Hand vor den Mund. Sie merkte, wie auch sie allmählich müde wurde. Seufzend schaltete sie den Fernseher aus, gab Chiaki einen Kuss auf die Stirn und kuschelte sich an ihn. Er regte sich etwas im Schlaf und seine Arme legten sich automatisch um sie. Mit einem Lächeln legte Maron ihren Kopf an seine Brust an, umarmte Chiaki zurück. Sie spürte, wie er sachte ihr einen Kuss auf den Kopf drückte, welches ihren ganzen Körper mit dieser schönen Wärme umhüllte. So schön es auch war, dass er und sie Fortschritte machten, was ihre Albträume und Schlafgewohnheiten anging - am allerschönsten war es aber immer noch zusammen in den Armen des anderen einzuschlafen. FIFTY-EIGHT ----------- FIFTY-EIGHT   „Lust auf ein Mitternachtssnack? Ich habe ziemlichen Hunger.“ Maron blickte schmunzelnd zu Chiaki rüber, nachdem sie sich ein sauberes Shirt übergezogen hatte. Vor ein paar Minuten hatten sie beide eine lange, gemeinsame Dusche hinter sich. Und Stunden zuvor hätten beide eigentlich schlafen sollen, aber das hatte sich nach einigen vermeintlich unschuldigen Kuscheleinheiten schnell erledigt, als er unter der Decke verschwand und sie mit nicht mehr so unschuldigen Küssen bedeckte und verwöhnte. „Ich frage mich wieso“, fragte sie verspielt grinsend, rollte mit den Augen. Chiaki grinste breit, stand noch immer mit Handtuch um die Hüfte vor ihr. „Ich komme gleich wieder.“ Damit ging Maron gut gelaunt in die Küche runter, holte sich und ihm einen Snack. Es war ziemlich ruhig in der Villa und für gewöhnlich hätte ihr es Angst gemacht, so allein in einem großen Haus zu wandern. Aber sie rief sich in Erinnerung, dass Chiaki bei ihr war. Kaiki war für eine ganze Woche auf Geschäftsreise, weshalb das Paar die Villa für sich allein hatte und diese Tatsache zu Gunsten ihrer Zweisamkeit gerne ausnutzte. Maron hatte sich und ihrem Freund schnell ein paar Kleinigkeiten geholt und stieg die Treppen wieder nach oben. Im Zimmer angekommen, stoppte sie überrascht, als sie Chiaki nicht fand. Im nächsten Moment hörte sie ein Geräusch aus dem Bad. Es hörte sich nicht gut an. Maron stellte die Sachen auf dem Couchtisch ab und klopfte an der Badezimmertür. „Chiaki?“ Die Tür war nicht abgeschlossen und schwang leicht auf. Ohne zweimal Nachzudenken öffnete sie die Tür und keuchte schockiert auf, als sie ihn auf dem Boden neben der Toilettenschüssel sitzen sah. Den Kopf mit der Hand abgestützt. Er war leichenblass. „Chiaki!“ Sofort kniete Maron sich vor ihm hin, wollte ihn berühren, doch er drehte sich von ihr weg, übergab sich wieder. Sie strich ihm über den Rücken. „Chiaki, geht’s dir nicht gut?“ Natürlich geht’s ihm nicht gut, du Dummie!, dachte sie sich direkt, wollte sich für die dumme Frage in den Hintern treten. Auf einmal hörte sie eine kleine, entfernte Stimme, bemerkte anschließend, dass sein Handy neben ihn auf dem Boden lag. Maron hob es auf und nahm es an ihr Ohr hoch. „Hallo?“ „Maron!“ Es war Kaiki. „Was geschieht gerade?“ „Uhm…Chiaki geht es gerade nicht gut“, antwortete sie, strich Chiaki über den Rücken, der sich nicht mehr über die Toilettenschüssel beugte, aber seinen Kopf auf den Knien abgelegt hatte und leicht zitterte. Sie hörte Kaiki schwer seufzen. „Ich wollte eigentlich warten, bis ich zurückkomme und ihm es persönlich sagen, aber irgendwie... wusste er schon, weshalb ich anrief.“ „Was ist passiert?“, fragte sie fast flüsternd. Wieder war ein schweres Seufzen zu hören. „Seine Mutter ist letzte Nacht verstorben.“   Die Stimmung in den darauffolgenden Monaten war genauso gräulich taub, wie der Winter selbst. Chiaki wollte nicht zur Beerdigung gehen und obwohl Maron nicht verstand wieso, respektierte sie seine Entscheidung. Kaiki versicherte ihm, dass sie eine schöne Zeremonie bekommen würde, aber das ließ Chiaki unberührt. „Immer noch kein Hunger?“, fragte Maron besorgt, während sie ihre Schüssel leerte. Chiaki hatte keinen Bissen gegessen. „Nein, nicht wirklich“, sagte er mit einem ausdruckslosen Blick nach unten. Er stand auf, gab ihr einen kleinen, flüchtigen Kuss, als Dank für das Essen, verschwand anschließend nach oben.   Seufzend blieb Maron zurück, räumte alles weg. Sie fragte sich, wieso sie es nicht kommen gesehen hatte. Sie hatte natürlich nicht erwartet, dass Kyoko für immer leben würde, aber sie hätte nicht gedacht, dass ihr Tod so früh käme. Außerdem war Maron so sehr mit ihren eigenen Problemen und Dämonen fokussiert gewesen, dass sie vergaß, dass Chiaki selbst welche hatte. Seit dem Anruf, hatte er keine volle Mahlzeit mehr gegessen. Manchmal stocherte er in seinem Essen rum und nippte daran. Dieses spezielle Thema war im Moment ihr Hauptaugenmerk. Wenn sie ihn nur zum Essen bringen könnte, dann könnte sie anfangen, an den anderen Sachen zu arbeiten. * „Ich weiß nicht, wie ich ihm noch helfen kann...“, sagte Maron mit hoffnungsloser Stimme, als sie einige Abende später mit Kaiki im dessen Büro saß. „Er isst nicht genug. Schlafen tut er entweder schlecht oder kaum, obwohl ich bei ihm bin.“ Sie machte ein schmerzliches Gesicht. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Kaiki.“ „Trauer und Depressionen sind nicht leicht, Maron...“ „Ich weiß.“ „Das einzig wichtige, was du für ihn tun kannst, ist für ihn da zu sein“, sagte Kaiki sanft. „Wir alle müssen für ihn da sein. Ich könnte nochmal versuchen mit ihm zu reden, aber ich kann nichts versprechen“, fügte er hinzu, der Blick voller Sorge. „Hmm. Midori kommt auch nicht durch ihn hindurch“, seufzte sie schwer, atmete frustriert aus. „Ich habe mit ihr auch schon geredet.“ Maron nahm ihre Beine auf dem Ledersessel hoch und umarmte ihre Knie. „Er ist noch in sich gekehrter, als ich ihn jemals erlebt habe. Er redet nur, wenn man ihn anspricht. Manchmal. An anderen Tagen… ist es wie, als wäre er eine leere Hülle. Er geht zur Schule und zur Therapie, macht seinen Alltag, aber es fühlt sich wie ein kaputter Kassettenrekorder an.“ Maron versuchte sich in Chiaki hineinzuversetzen. Sie hatte selbst ihre Mutter verloren, weshalb sie seinen Schmerz eigentlich nachvollziehen sollte. Aber seine Situation war anders. Maron hatte sich schuldig gefühlt, weil sie ihre Mutter nicht retten konnte. Chiaki fühlte sich jedoch schuldig, weil er glaubt, seine Mutter im Stich gelassen zu haben. „Versuchen wir ihm noch etwas Zeit zu geben“, hörte Maron Kaiki sanft sagen. „Wie sagt man so schön: die Zeit heilt alle Wunden.“ Immer noch mit einem hilflosen Gefühl in der Brust, nickte sie und verließ sein Büro.   Überrascht zog Maron ihre Brauen zusammen. Man könnte sie verrückt nennen, aber… Zwei Toaststücke fehlten. Sie war den halben Samstag unterwegs gewesen, war nach Hause gekommen und direkt zur Küche gegangen, um sich etwas zu Essen zu machen. Da fiel ihr die Toastpackung ins Auge, die schmaler wirkte. Maron wusste, dass niemand anderes den Tag über Zuhause war, außer Chiaki, da Kaiki bis in die Nacht im Krankenhaus sein wird. Hatte er sich wirklich ein Sandwich gemacht? Plötzlich tauchte Chiaki in der Küche auf, sah nicht viel anders aus. Hatte immer noch dunkle Ringe unter den Augen und war blass. „Hey…“ Sachte küsste er Maron zur Begrüßung. „Hast du heute was gegessen?“, fragte sie ihn direkt, bevor er wieder hoch ging. Chiaki blickte sie an, blinzelte. „Ich hatte, uhm… ein halbes Sandwich zum Mittagessen.“ Ihr Herz sprang vor Freude. „Fühlst du dich besser?“, fragte Maron. Er zuckte mit den Schultern, rieb sich den Nacken. „Keine Ahnung…“, murmelte er, „Vielleicht.“ Für einige Momente standen sie noch da. „Wenn du was willst, sag mir Bescheid?“, fragte Maron, freute sich schon darauf ihm was zu machen. Chiaki nickte, schaute sie an und senkte seinen Blick wieder. Er wirkte zurückhaltend, als er sich zu ihr bewegte und stoppte, um ihr einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken und seine Arme um sie zu legen. „Danke, dass du so geduldig bist“, flüsterte er, glitt mit den Fingern ihr durch die Haare. „Ich weiß, ich bin anstrengend...aber ich denke, dass es langsam bergauf geht.“ Sein kleines Grinsen, als er wegging, war für sie ein Beweis dafür, dass seine Worte wahr waren. * „Du wolltest mich sprechen?“ Sakura lächelte erfreut, als Maron in ihr Büro reinkam. „Ah, Maron!“, sagte Sakura, während sie vor ihrem Computer am Schreibtisch saß. „Wie war dein Tag?“ „Nicht schlecht, schätze ich“, antwortete Maron schulterzuckend. Sie hatte soeben ihre Sprechstunde mit Midori gehabt, in der sie im Grunde genommen bei ihr nach Rat gesucht hatte, wie sie Chiaki noch helfen konnte. Er sagte zwar, dass es langsam bergauf ging, aber viel hatte sich in den letzten Wochen nicht geändert. Plötzlich hörte Maron ein Geräusch, welches sie zuerst nicht zuordnen konnte. In der nächsten Sekunde hört sie ein kleines Bellen und Kläffen. Maron blickte nach unten und sah neben Sakura eine große Box, in der ein Welpe gegen die Pappwände kratzte. In der Box war eine Schale mit Wasser und ein Fressnapf, nur war das Futter um den Hund herum verstreut. „Warum hast du einen Hund hier?“ „Darüber wollte ich mit dir reden“, sagte Sakura, bückte sich zu dem Welpen runter. „Er war ein Geschenk. Aber ich befürchte, dass ich ihn hier im Büro nicht behalten kann. Viel zu ungeeignet und er hatte schon einige Unfälle angerichtet.“ Lächelnd nahm sie den Hund hoch. Maron bemerkte die angeknabberten Kabel und zerrissenen Papiere in einer Ecke. „Und zu Hause hat Miyako eine starke Tierhaarallergie.“ „Stimmt, sie bekommt schon keine Luft, wenn ein Hund oder Katze in der Nähe ist und sie ihn noch nicht mal berührt hat.“ „Wie dem auch sei“, kam es von Sakura, mit Blick auf den Welpen in ihren Händen. „Ich hatte mir gedacht, dass du und Chiaki euch um ihn kümmert?“ Überrascht blinzelte Maron sie an. „Was? Du kannst uns nicht einfach einen Hund aufdrücken. Und müsstest du nicht Kaiki fragen, ob er Haustiere in seinem Haus will?“ Sakura machte ein enttäuschtes Gesicht. „Tut mir leid, ich wollte dir nicht meine Probleme aufzwingen“, sagte sie resigniert, „Ihr müsst natürlich nicht, wenn ihr nicht wollt.“ Sachte setzte sie den Hund wieder in die Box ab. Ihr Ton bereitete Maron ein schlechtes Gewissen. „Was wirst du mit ihm machen?“, fragte sie. Der Hund sah sie mit großen Augen an. Sie hockte sich zu ihm runter. „Ich muss schauen, ob ich einen neuen Besitzer finde... Ich brauch auch einen Ersatz für die Box.“ Sakura seufzte laut. „Er ist schon drei Mal ausgebüxt.“ Die großen, süßen, schwarzen Kulleraugen ließen Maron nicht los. „Okay“, sagte sie laut, stieß einen Seufzer aus. „Wir werden ihn über das Wochenende babysitten.“ Sakura strahlte sie mit einem freudigen Lächeln an.   Mit der Box in den Händen, begab Maron sich nach Hause. Bellend sah der Hund zu ihr auf, hechelte und wackelte mit seinem Schwänzchen. Seufzend setzte sie die Box ab und machte die Tür auf. „Mach uns ja keine Probleme“, murmelte sie, als sie die Box wieder hochnahm und reinging. Kaum war sie drinnen, bellte der Hund etwas lauter. „Ja, ja... ich hol dich gleich raus.“ Sie ging mit ihm zum Wohnzimmer. „Maron?“ Chiaki kam die Treppe heruntergelaufen, rieb sich die mit Augenringen gezeichneten Augen. „Was ist das für ein Lärm?“ „Er hier ist der Lärm“, antwortete sie, nahm dem Welpen raus. Verwundert und mit einem Fragezeichen im Gesicht blinzelte Chiaki den Hund verdutzt an, der ihn vergnügt anbellte. „Sakura hat ihn geschenkt bekommen, aber sie kann ihn nicht behalten“, erklärte Maron ihm, „Sie hat mich darum gebeten, dass wir auf ihn aufpassen, ehe sie entscheiden kann, wie die Zukunft für ihn aussieht.“ „Oh. Okay.“ Chiaki nahm ihr den Hund ab, der erneut bellte. „Wie alt ist er denn?“ „Acht Wochen, sagte Sakura.“ Maron zuckte mit den Schultern. Nickend setzte er sich mit dem Hund auf die Couch hin, setzte ihn auf seinem Schoß ab und streichelte seinen Kopf. Mit einem kleinen Lächeln blickte Maron auf Chiaki herab. „Ich bin Duschen und zieh mich um. Bin gleich wieder da.“ Mit den Worten lief sie nach oben, ließ ihn mit dem Hund im Wohnzimmer zurück. Nach zwanzig Minuten war sie fertig geduscht und hatte ihre Klamotten gewechselt. Als sie die Treppen nach unten ging, hörte sie den Hund wild bellen und kläffen. Ein wenig besorgt darüber, was los war, erhöhte sie ihr Tempo und eilte ins Wohnzimmer. Überrascht stoppte Maron an der Tür, als sie Chiaki sah, der mit dem Hund spielte. Er hatte sich eine Blume von der öden Plastikpflanze auf dem Tisch genommen und wedelte es hin und her, während der Hund versuchte es zu fangen. Es war ein süßer Anblick. Nicht nur, weil der Hund niedlich war. Was Maron besonders überraschte, war das Lächeln auf Chiaki’s Gesicht. Es war eine Ewigkeit her, seit sie ihn das letzte Mal so lächeln sah. Oder so verspielt. Wie sehr sie sein Lächeln vermisst hatte. Chiaki schien ihre Rückkehr noch nicht bemerkt zu haben und sie hielt sich für eine Weile noch im Hintergrund, wollte seinen Spaß nicht stören. Maron beobachtete, wie er den Hund kraulte, der ihn anbellte, worauf er leise lachte. Wie sehr sie sein Lachen vermisst hatte. „Bist du hungrig?“, hörte sie ihn mit dem Hund sprechen. „Komm. Schauen wir mal, was wir für dich haben.“ Chiaki nahm den Fressnapf und das Futter, was Sakura ihr mitgegeben hatte, aus der Box raus und schüttelte dem Hund was ein. Zweimal bellte der Hund erfreut auf und begann zu essen. „So ist es gut“, sagte Chiaki, streichelte ihm kurz über den Kopf. Dies zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht. Leicht überrascht hielt sie sich ihre Wange. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie selbst gelächelt hat. Aber sie konnte nicht anders. Maron konnte sich selbst ein erleichtertes und zugleich warmes Lächeln bei dem Anblick einfach nicht verkneifen. Sie beschloss sich ihnen anzuschließen. „Sorry, habe eine Weile gebraucht unter Dusche“, sagte sie, als sie reinkam und grinste ihn an. Zu ihrer inneren Freude, sah Chiaki mit einem verspielten Grinsen zu ihr auf. „Ich müsste meinem Vater sagen, dass er dir die Wasserrechnung gibt“, scherzte er. Kichernd setzte Maron sich neben ihn hin, stupste ihn mit dem Ellenbogen von der Seite an. Er lachte ebenfalls. Der Hund schaute zu beiden auf, bellte. „Oh, bist du fertig?“ Chiaki blickte kurz in den leeren Fressnapf und nahm den Welpen auf seinen Schoß hoch. „Guter Junge“, sagte er, kraulte ihn. Der Hund machte es sich auf seinem Schoß gemütlich. „Süß“, sagte Maron, strich mit einem Finger sachte über das Fell. Nickend stimmte Chiaki zu. „Hat er eigentlich einen Namen?“ Sie schüttelte achselzuckend den Kopf. „Da er noch keinen festen Besitzer hat, hat er noch keinen Namen, schätze ich.“ Chiaki blickte auf den Welpen herab, schürzte seine Lippen. „Wieso behalten wir ihn nicht?“, fragte er, sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. Sichtlich überrascht krauste Maron die Stirn, hatte das von ihm nicht erwartet. „Keine Ahnung... Ehm, wenn du willst, können wir ihn behalten, schätze ich. Dann sage ich Sakura Bescheid.“ Verwundert neigte Chiaki leicht seinen Kopf. „Willst du ihn nicht?“ „Doch, doch!“, wendete sie schnell ein. „Er ist süß!“ Und er bringt dir Freude, fügte sie im Stillen hinzu. Sein Lächeln wurde breiter. „Cool.“ Er nickte zufrieden. „Wie wollen wir ihn nennen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Denk du dir einen Namen aus.“ „Nein, ich möchte, dass du ihm einen Namen gibst.“ „Oh, okay.“ Grübelnd blickte Maron auf den Hund herab, der zu ihrem Schoß tapste. Kichernd streichelte sie ihn, worauf er glücklich mit dem Schwänzchen wackelte. „Wie wäre es mit Keiko?“ Der Name steht für Freude und Glück. „Keiko...“ Chiaki wog den Namen kurz ab und nickte lächelnd. „Klingt gut. Findest du nicht auch, Keiko?“ Keiko bellte zur Antwort, worauf beide lachten. Als Kaiki am Abend nach Hause kam, war die Überraschung groß, aber er akzeptierte den neuen Mitbewohner ohne Probleme. Nach einer Weile war Chiaki wieder mit dem Hund am Spielen, während Maron vergnügt mitmachte, mit ihm lachte und jede Sekunde seiner verspielten Seite genoss. Womöglich hatten alle Recht und die Zeit heilt alle Wunden. Es ging wieder bergauf. Von Tag zu Tag aß er mehr, schlief mehr, war wieder mehr er selbst. Dieses Mal würden seine Wunden heilen. FIFTY-NINE ---------- FIFTY-NINE   Es war ein schöner Sommertag. Perfekt für eine Hochzeit im Freien. Wie schnell die Zeit vergangen war. Maron kam sich vor, als wäre Weihnachten erst gestern gewesen. Dabei waren es schon acht Monate her. Sie und ihre Freunde hatten alle erfolgreich die Schule beendet und haben mit der Uni angefangen. Sie und Chiaki sind nach Inaba gezogen, lebten zusammen mit ihrem Hund Keiko. Waren, bei nur einer Stunde Fahrt, auch nicht weit von ihren Familien in Momokuri entfernt. Nun saßen beide da, in der ersten Reihe und sahen Takumi und Sakura dabei zu, wie sie gegenseitig sich „Ja“ sagten. Maron sah das Lächeln auf den Gesichtern der beiden, freute sich aufrichtig für sie. Ihr Vater war die Woche furchtbar nervös gewesen. Er tat ihr leid, auch wenn sie darüber etwas schmunzeln musste. Sakura erging es nicht besser. Miyako und Maron hatten nur mit den Augen gerollt. Umso schöner war dennoch der Moment, als die blassen Gesichter ihrer Eltern sich erhellten, sie vor dem Altar zusammenstanden und sich die Gelübde aufsagten. Das Paar strahlte förmlich, waren perfekt füreinander. Maron spürte, wie Chiaki, der seinen Arm auf ihrem Rücken ruhen hatte, sie drückte. Er hatte heute seine Okay-Tage. Nicht schlecht, aber auch nicht gut. Okay, einfach. Der Verlust seiner Mutter nahm ihn immer noch ziemlich mit, aber es besserte sich. Er war okay. Maron konnte mit einer Hand ablesen, wie oft er einen richtig guten Tag im Monat hatte. Zum größten Teil waren seine Stimmungen im neutralen Bereich. Manchmal hatte er jedoch Tage, wo er ein ziemliches Tief hatte und wo selbst Keiko ihn nicht aufheitern konnte. Diese Tage bereiteten ihr immer am meisten Sorgen. Da war sie froh, wenn er seine Antidepressiva nahm. Umso erleichterter war Maron, dass heute nicht so ein Tag war. Sie sah zu Chiaki auf, als er sie leicht drückte. Er erwiderte ihren Blick mit einem undurchdringbaren Ausdruck in den Augen, den sie nicht ganz lesen konnte. Ohne Weiteres brach Chiaki den Blickkontakt schließlich ab und sah wieder nach vorne. Seufzend wandte Maron sich auch nach vorne. Genau in dem Moment, als der Standesbeamte das Paar als Mann und Frau ernannt und der Kuss anschließend folgte. Dann begann die Feier. *** „Willst du was vom Büffet?“ Chiaki zuckte auf Maron’s Frage kurz mit den Schultern. Hunger hatte er eigentlich nicht, aber er konnte ihr ansehen, dass sie ihm unbedingt was bringen wollte, weshalb er schließlich nickte. „Habe Kohldampf“, sagte er mit einem kleinen, schiefen Lächeln. Verstehend nickend stand Maron auf und lief zum Büffet, welches am anderen Ende der Feier war, ließ ihn am Tisch zurück. Für einige Momente sah Chiaki ihr hinterher, beobachtete, wie ihr hübsches, pastellfarbenes Kleid hin und her schwang. Schließlich war sie unter den Menschen verschwunden. Es war ein schöner, warmer Tag mit blauem Himmel, der sich langsam, aber sicher verdunkelte. Im Sekundentakt liefen Gäste an ihm vorbei, die das Brautpaar mindestens ein Duzend mal beglückwünschten. Es gab eine Tanzfläche sowie Live-Musik. Im gesamten herrschte überall eine gute Stimmung. Nur konnte sich Chiaki nicht wirklich davon anstecken lassen. Was ihn frustrierte, denn er wollte diesen schönen, guten Tag für Maron nicht ruinieren. So scheiße es auch klang, aber im Moment wünschte er sich mit seinem Mädchen zu Hause in Inaba zu sein, wo Keiko auf sie wartete. Nur würden sie jedoch erst morgen zurückfahren…hoffentlich ließ der Hund bis dahin alle Kissen auf dem Sofa ganz. Bei dem Gedanken an Keiko konnte Chiaki sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Sie konnten Keiko zwar ohne schlechtes Gewissen allein zu Hause lassen, aber für den Fall, würde ein Nachbar nach ihm sehen. „Na?“ Chiaki schaute zu der Stimme auf, sah wie Yamato sich auf einem freien Platz an seinem Tisch hinsetzte. „Hübsche Tasche, Yama-Tina“, merkte Chiaki an, den Blick auf die kleine, pinke, glitzernde Tasche in seinen Händen gerichtet. „Passt perfekt zu deinem Outfit.“ Yamato verdrehte seine Augen. „Meine Verlobte holt kurz was aus dem Auto, während ich ein Gentleman bin“, brachte er entgegen. Das Hochzeitsfieber musste sich unter seinen Freunden ausgebreitet haben. Denn seit Monaten hatte Miyako durch die Blume versucht Yamato irgendwelche Signale, Hinweise und Andeutungen zu geben, bis er es in irgendeiner Weise schnallte. Hatte mehr oder weniger funktioniert. Nervös war sein Freund auf jeden Fall gewesen – was noch milde ausgedrückt war. Letztendlich hatte er ihr sturzbetrunken einen Antrag gemacht, den sie tränenreich akzeptiert hatte. Chiaki’s Blick schweifte für einen Augenblick zur Tanzfläche, wo Natsuki und Shinji engumschlungen zur Musik hin und her schwankten. Diese beiden waren zwar weder verlobt noch verheiratet, aber seit einem Monat ist bekannt, dass sie bald zu dritt in einem Haushalt leben werden. Ob es geplant war oder ein Unfall, steht mal außer Frage... Die Freude auf den Nachwuchs ist auf jeden Fall groß. Chiaki war etwas erstaunt darüber, dass seine Freunde solche großen Schritte auf sich nahmen. Dabei waren sie alle gerade mal neunzehn oder zwanzig. Nicht, dass er das alles sich nicht mit Maron vorstellen wollen würde. Eher im Gegenteil. Seinem Mädchen einen schönen Ring anzustecken; sie in einem wunderschönen weißen Kleid zu sehen; das Bund fürs Leben schließen und eine Familie gründen…Das war für ihn definitiv nicht auszuschließen. Nur nicht in naher Zukunft. Dafür waren sie noch nicht soweit. Vielleicht in fünf, sechs Jahr? Erstmal das Leben gemeinsam genießen, die Welt besichtigen… „Ich geh mal zu Miyako.“ Yamato’s Stimme riss Chiaki völlig aus den Gedanken. „Wir sehen uns, Kumpel.“ Mit einem kurzen Winken verabschiedete er sich von seinem besten Freund, der davonging. Keinen Moment später sah er Maron, die mit zwei Tellern sich durch die Gäste drängte und auf ihn zukam. Chiaki beobachtete, wie ein männlicher Gast versehentlich mit ihr zusammenstieß. Er entschuldigte sich, worauf sie die Entschuldigung mit einem höflichen Nicken abtat und ungehindert weiterlief. Es war erstaunlich, was für Fortschritte sein Mädchen gemacht hatte. Man konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass es mal eine Zeit gab, in der sie nicht neben Yamato oder Shinji sitzen konnte, ohne zu hyperventilieren. „Was grinst du so?“, fragte Maron interessiert, als sie beide Teller auf dem Tisch abstellte und sich neben ihn hinsetzte. Chiaki hatte gar nicht gemerkt, dass sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln hochgezogen haben. „Passiert halt, wenn ich dich sehe“, antwortete er, was auch in gewisser Weise der Wahrheit entsprach. Er war froh darüber, dass sein Mädchen das normale, glückliche Leben lebte, was sie sich wünschte. Auch wenn es seit dem Tod seiner Mutter leider an Glück gemangelt hatte... Aber das würde sich ab sofort wieder ändern. Er hatte sich selbst versprochen, sie für immer glücklich machen zu wollen. Und er würde mit aller Macht dafür sorgen, dass er dieses Versprechen auch einhielt. Chiaki legte einen Arm um ihre Schultern und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Danke, dass ich dich habe“, flüsterte er liebevoll. Verlegen lief Maron rot an. „Komm, iss. Sonst stehlen dir die Fliegen noch das Essen.“ Kichernd nahm er seine Gabel in die Hand und nahm einen Bissen. „Du meine Güte, manche Leute tanzen, als hätten sie einen Stock im Arsch“, kam es plötzlich von ihr, während sie zur Tanzfläche blickte. Chiaki folgte ihrem Blick und hätte sich fast vor Lachen verschluckt. Viel mehr lachte er über ihren Kommentar, der wie aus dem Nichts einfach kam, als über die Gäste, die sie meinte. Maron stimmte in seinem Lachen mit ein und zusammen beobachteten sie die Menschen, witzelten etwas rum und genossen auf ihrer Weise die Feier. Stunden später, nachdem die Sonne untergegangen war, löste sich die Feier und es wurden Massenweise sich vom Brautpaar verabschiedet, die sich auf den Weg zu den Flitterwochen machten. Maron und Chiaki warteten abseits von der Menge darauf, dass der Ansturm sich etwas löste, damit sie sich verabschieden konnten. Dabei bemerkte Chiaki wie unruhig sein Mädchen wurde und wie nervös und angespannt sie allmählich wirkte. „Was ist los?“ „Hm?“ Maron sah zu ihm auf, errötete etwas und sah weg. „Es ist nichts.“ „Nun sag schon“, hakte er nach, ließ nicht locker. Augenrollend seufzte sie auf. „Es ist nichts. Das Warten nervt nur...“ Plötzlich nahm sie seine Hand, ging einen Schritt Richtung Parkplatz. „Lass uns einfach gehen und ich ruf beide morgen an. Meinem Vater kann ich auch versuchen eine Umarmung zu geben, wenn sie wieder zurück sind.“ In dem Moment fiel ihm der Groschen. Seine Augen weiteten sich. Chiaki zog Maron wieder zu sich und sah zum Ausgang. Es standen nicht mehr so viele Leute bei Takumi und Sakura. Hauptsächlich nur ihre Familie und Freunde. „Komm“, sagte er nur, zog Maron mit sich, die anfing zu stottern. „W-W-Warte!“ Doch er hörte nicht auf ihre Proteste. Auf keinen Fall ließ er zu, dass sie kniff, diese Gelegenheit sausen ließ und es am Ende noch bereute. Keinen Augenblick später standen sie vor dem Brautpaar. Chiaki verabschiedete sich zuerst von Sakura und dann Takumi. Daraufhin folgte Maron, die es ihm nachmachte - sich zuerst von Sakura mit einer herzlichen Umarmung verabschiedete und sich anschließend ihrem Vater zuwendete. Nervös kaute sich ihre Lippe etwas rum, ging nach einigen langen Momenten einen zögernden Schritt auf Takumi zu. Und dann noch einen. Und dann noch einen... Und dann war sie bei ihm, legte ihre Arme um ihren Vater, drückte ihn fest. Takumi umarmte Maron mit einem riesigen Lächeln zurück, drückte ihr sogar einen Kuss auf den Kopf. Es war ein schöner, herzerwärmender Anblick, was jeden um sie herum ein riesiges Lächeln aufs Gesicht zauberte. „...liebe dich, Papa“, kam es von Maron halbschluchzend, halblachend, die sich ein paar Freudentränen mit einem Finger wegwischte. *  „Hättest du was dagegen, wenn wir nicht in der Villa übernachten?“ Chiaki warf Maron einen fragenden Seitenblick zu, die immer noch ein breites Dauergrinsen auf den schönen Lippen trug, während er fuhr. „Wo willst du denn übernachten?“, fragte er. „Es gibt einen Ort, den ich sehr vermisse“, sagte sie mit einem Seufzen und sah wieder zu ihm. „Ich würde gerne die Nacht in der Hütte verbringen.“ Chiaki schmunzelte. „Und was machen wir mit unseren Koffern, die in meinem alten Zimmer stehen?“ „Die können wir morgen abholen“, rollte sie mit den Augen. Lachend nickte er. „Okay, Madam, wie Sie wünschen.“ In weniger als dreißig Minuten fuhren sie außerhalb der Stadt zum Hügel und den Hügel rauf zur Hütte. „Hach!“, entkam es Maron, als sie die frische Nachtluft ein- und ausatmete, „Hier waren wir seit Ewigkeiten nicht mehr.“ „War eine gute Idee von dir, diesen Ort mal wieder zu besuchen“, sagte Chiaki mit einem Hauch von Nostalgie in der Stimme. Sie schlossen die Hütte auf und gingen rein. Chiaki zog mit wenigen Handgriffen die Couch zu einem Bett aus und ließ sich plumpsend darauf fallen. Maron tat es ihm nach, seufzte zufrieden. Für einige Minuten lagen sie da, rührten sich nicht. Sie hatten das Fenster auf, ließen die frische Nachtluft rein, um der Sommerhitze entgegenzukommen. Draußen waren Eulen, das Zirpen von Zikaden und das Rascheln von Blättern in der Ferne zu hören. „Maron?“ „Hm?“ „Bist du glücklich?“, fragte Chiaki leise. Er drehte seinen Kopf, als sie sich auf den Ellenbogen abstützte und ihn ansah. „Wieso fragst du?“, wisperte Maron. „Nun sag schon.“ „Ja, ich bin glücklich.“ Er setzte sich auf, blickte auf sie herab. „Auch mit mir?“, fragte er mit tiefer Stimme unsicher. Sie blinzelte ihn mit großen Augen leicht verwundert an. „Natürlich“, sagte sie in einem sanften, zuversichtlichen Ton, „Wieso sollte ich nicht?“ „Weil ich einen schlechten Job darin mache, dich glücklich zu machen.“ Seufzend fuhr Chiaki sich durch die Haare. „Ich weiß, ich bin nicht einfach. Werde es wahrscheinlich auch nie werden. Dennoch will ich mein Bestes geben, um für dich ein besserer Freund zu sein. Einen, den du auch verdienst hast.“ Maron lächelte ein mattes Lächeln. „Das ist dann nicht fair dir gegenüber“, sagte sie schließlich, legte ihre Hand auf seine. „Ich bin auch nicht einfach. Werde es nie sein. Ich meine, ich brauche Tabletten, die mir helfen normal zu sein. Zu funktionieren.“ Sanft streichelte sie ihm über die Wange. „Wir sind nun mal gezeichnet. Innerlich als auch äußerlich. Die Narben heilen, verschwinden aber nicht. Du bist nicht perfekt und ich bin nicht perfekt, dass weißt du…“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das macht uns irgendwie perfekt, schätze ich.“ Er atmete etwas erleichtert aus, legte sich wieder hin. „‚Perfekt füreinander geschaffen‘ würde man wohl sagen, was?“ Nickend kicherte Maron leise, legte ihren Kopf auf seinem Arm ab. Chiaki drehte sich zur Seite, schlang seinen anderen Arm um sie, drückte sie an sich. Er spürte, wie sein Mädchen ihre Hand auf seine Brust legte, sein Herzschlag durch das Hemd spürte. Sie sah anschließend zu ihm auf und ihre Blicke trafen sich. Lange schaute er ihr tief und fest in die dunklen Augen. „Küss mich“, wisperte sie. Er strich mit dem Finger federleicht über ihren Arm, spürte, wie sie unter seinen Berührungen erschauderte. Plötzlich krallten sich ihre Finger in sein Hemd und sie zog ihn zu sich. Presste sich an ihn. Und ihre Lippen trafen sich, küssten sich leidenschaftlich. Seine Atmung beschleunigte sich als ihre Hände unter sein Hemd schlüpften und heiße Spuren über seine Haut, über seinen Muskeln fuhren. Er schlang seinen Arm, der unter ihrem Kopf war, um ihre Schultern, drehte sie zunächst so, dass sie auf ihm lag. Seine Hände strichen über ihren Rücken, zogen ihr den Reißverschluss des Kleides gleichzeitig runter. Daraufhin drückte er sie rücklings auf das Bett, ohne dabei den Kuss zu unterbrechen. Er war über sie gebeugt, sein Knie zwischen ihren Beinen. Mit wenigen Handgriffen hatte er sich sein Hemd ausgezogen. Sie wölbte sich und seine Hände schoben ihr das Kleid von der Brust, während seine Lippen zu ihrem Hals herabwanderten, über ihren Schlüsselbeinen strichen und ihren Nacken liebkosteten. Ihre Arme schlangen sich fest um seinen Nacken, krallten sich in seinen Haaren fest. Atemlos keuchte sein Mädchen in sein Ohr. Er konnte ihr schnell schlagendes Herz gegen seine Brust spüren. Plötzlich war sie wieder über ihm. Hatte sich das Kleid komplett entledigt. Gebannt und mit Lust verschleierten Augen beobachtete er, wie sie auf ihm saß, ihre Finger über seine Rippen gleiten ließ. Sie legte ihre Hände auf seine Brust, genau über sein rasendes Herz. Lehnte sich näher zu ihm runter, strich mit ihren Händen zu seinem Bauch herab. Gleichzeitig begann sie seinen Hals zu küssen, worauf er scharf Luft nahm. Ihre Lippen kräuselten sich auf seiner Haut zu einem Lächeln, streiften seine Kieferpartie, seinen Hals, seinen Nacken. Unterdessen legten sich seine Arme um ihre warme, fast nackte Haut. Sie presste sich noch mehr an seinen Körper. Konnte ihn mit Sicherheit hart unter sich spüren. „Fuck“, wisperte er, als ihre Lippen Millimeter von seinen entfernt waren. Dieses Mädchen brachte ihn mit einem Blick allein um den Verstand. Als sie seine Lippen mit ihren streifte, riss sein Geduldsfaden und er nahm mit beiden Händen ihr Gesicht, küsste sie fordernd und gierig. Als würde er keine Luft bekommen und sie wäre sein Sauerstoff. Genauso hungrig küsste sie ihn zurück. Es war durchaus lange her, seitdem sie sich das letzte mal so nah waren. Und genau dem Moment, war die Sehnsucht nach ihr, nach ihren Küssen, nach ihren Händen, Berührungen, ihrem Körper unerträglich. Eine Hand umfasste ihren Nacken und er vertiefte den Kuss leidenschaftlich, was sie aufseufzen ließ. Seine andere Hand glitt ihren Rücken herunter, öffnete ihren BH und warf es achtlos weg. Küssend begab er sich zu ihrer Brust, während seine Hände sich weiter herab begaben. Erregt rekelte sie sich unter ihm, keuchte unter seinen Berührungen, verlagerte ihre Hüfte. Ihre Atmung war schnell und schwer. Seufzend und stöhnend wanderten ihre Hände ebenfalls über seinen Körper, strichen über jede seiner Narben, verursachten ihm eine heiße Gänsehaut. Als sie am Bund seiner Boxershorts zupfte, hob er unter ihr seine Hüfte an, sodass sie ihm das Kleidungsstück runterschob. Mit einem Ruck entfernte er auch ihr das letzte Stück Stoff. Ihre Haut schimmerte im sanften Mondlicht, besonders ihre Narben stachen hell hervor. Sie war so wunderschön. Liebevoll strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Er legte ihr einen Finger unters Kinn und drehte sie zu sich, versiegelte ihre Lippen miteinander. Ein ersticktes Stöhnen entkam ihm, als sie sich an ihm rieb und seine Erregung sowie sein Verlangen nach ihr noch mehr wuchs. Er packte sie an der Hüfte, übte noch mehr Druck aus und brachte sie lauter zum Stöhnen. Beide keuchten auf, als sie sich auf ihm herabsenkte. Ihre Arme schlangen sich fest um den Körper des anderen, ließen keinen Millimeter Luft dazwischen. Mit einer Hand umfasste er ihre Wange und küsste sie innig. Gemeinsam ließen sie sich fallen. Ließen sich von ihren Gefühlen, ihrer Liebe und Leidenschaft leiten.   Für eine Weile lag Chiaki noch wach im Bett, streichelte Maron über die nackten Schultern, die müde, erschöpft und dennoch liebevoll zu ihm aufsah. Den ganzen Tag über sah sie perfekt aus. Kleid, Make-Up, Haare saßen perfekt. Nun lag sie mit einer dünnen Decke um ihren nackten Körper vor ihm. Das Make-Up verschmiert. Und die Haare in alle Richtungen wild abstehend. Die braunen Augen, die klar und leuchtend in seine blickten. Die Lippen geschwollen rot wie seine. So war sie. Das Mädchen, dass er liebte. Sein Mädchen. Ein wenig chaotisch. Ein wenig kaputt. Ein wenig ruiniert. Ein schönes Desaster. Genauso wie er.   -------------------------- Noch ein Kapitel und dann ist der Schlussstrich gezogen :) SIXTY [Final] ------------- SIXTY [Final]   Mit einem schläfrigen Seufzen drehte Maron sich im Bett um, kuschelte sich müde ins Kissen ein. Ein Geräusch war zu hören, welches sie aus ihrem Schlummer riss. Es klang wie ein Weinen. Oder ein Quengeln? Träge öffnete sie ihre Augen, blinzelte gegen das Sonnenlicht. Ihre Sicht klärte sich und ihr Blick fiel zuerst auf den wunderschönen, funkelnden Ring an ihrem Ringfinger. Es zauberte ihr automatisch ein Lächeln aufs Gesicht. Plötzlich hörte sie Chiaki’s Stimme, welches sich mit diesem Quengeln aus der Ferne vermischte. „Maron.“ Sie setzte sich auf, als im selben Moment Chiaki reinkam, mit einem weißen Bündel im Arm, aus dem die Geräusche kamen. Es bewegte sich und ein kleiner Arm tauchte auf, welches sich nach ihr ausstreckte. Maron hob ihren Arm, reichte nach der kleinen Hand. Sie hörte, wie Chiaki wieder ihren Namen sagte. Irritiert runzelte sie die Stirn.   „Maron.“ Überrascht schreckte Maron auf, fand sich im Auto auf dem Beifahrersitz wieder. Etwas verwirrt blinzelte sie, kniff sich die Augen zusammen und rief sich ihre Erinnerungen wieder zusammen. Sie war mit Chiaki im Auto unterwegs gewesen und musste eingeschlafen sein. Es war nur ein Traum. Aber ein schöner Traum... Ein kleines, verträumtes Lächeln bildete sich um ihre Lippen, als Maron daran zurückdachte und sie strich sich unbewusst über den nackten Ringfinger. „Na, du Schlafmütze“, grinste Chiaki sie von der Fahrerseite amüsiert an. Keiko bellte hinten aufgeregt in seiner Transportbox. Seufzend rollte Maron mit den Augen. „Sind wir schon da?“ „Gerade angekommen“, sagte Chiaki und stieg aus, war keinen Augenblick später bei ihr und öffnete ihre Beifahrertür. Maron blickte sich beim Aussteigen um. Yokohama erinnerte sie an Osaka. Modern, groß und viele Wolkenkratzer. Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen in solch riesigen Großstädten zu leben. Zu sehr hatte sie sich an die kleineren Größen, wie Momokuri oder Inaba, gewöhnt. Chiaki hatte inzwischen ihre Koffer rausgeholt und checkte schon mal ins Hotel ein, während Maron sich um Keiko kümmerte. Zum Glück war das ein hundefreundliches Hotel. Gerade haben sie Semesterferien und die verbrachten die beiden damit durchs Land zu fahren. Ähnlich wie bei einem Roadtrip. Einige Städte und Orte hatten sie schon hinter sich, wie Kyoto oder Mount Fuji. Osaka hatten sie auch schon besucht und Maron hatte ihrem Freund ihre alte Heimat gezeigt. Waren sogar zusammen auf dem Friedhof ihre Mutter besuchen. Jetzt waren sie in seiner alten Heimat zu Besuch. Maron war gespannt darauf die Stadt zu erkunden. *** Nachdem das Paar ihre Sachen im Zimmer abgelegt hatte, gingen sie auch direkt wieder raus, damit Chiaki seinem Mädchen den Ort zeigen konnte, wo er aufgewachsen war. Typische Sehenswürdigkeiten wurden sich angeschaut und er zeigte ihr hier und da ein paar Orte, die zu seinem alten Leben gehörten. Eigentlich gab es davon auch nicht viel zu zeigen, da er nicht so lange hier gelebt hatte. Seinen alten Kindergarten. Seine alte Grundschule. Den Park, zu denen er immer gerne spielen gegangen war... Alles nichts Spektakuläres, aber Maron schien von allem verzückt und begeistert zu sein. Was ihn wiederrum amüsierte. Einen bestimmten Ort wollte -beziehungsweise musste- er mit ihr besuchen. Dafür gingen sie vorher noch in ein Blumengeschäft, kauften einen kleinen Strauß. Anschließend zeigte Chiaki ihr den Weg zum Friedhof. Keiko hatten sie an der Leine, der brav neben ihnen herlief. Immer mal blieb Maron kurz stehen und strich ihm über den Kopf, sagte ihm, wie artig er sei und dass er sich gut benahm. Vor dem Friedhof blieb Chiaki für einige Momente stehen, schluckte schwer. Es war das erste Mal, seit er seine Mutter vor über einem Jahr verlassen hatte, dass er wieder in der Stadt war. Genauso wie es das erste Mal war, dass er sie -ihr Grab- besuchte. Seine Hand um die Blumen verkrampften sich vor Anspannung. Plötzlich spürte er, wie Maron seine freie Hand nahm und mit dem Daumen sachte über seinen Handrücken strich. „Bereit?“, fragte sie sanft. Chiaki nahm tief Luft und nickte. Gemeinsam liefen sie durch den Friedhof. Vor dem Grab blieben sie schließlich stehen und Chiaki spürte, wie alles in ihm sich zusammenzog. Maron nahm ihm die Blumen ab und sah mit einem ruhigen Blick ihm dabei zu, wie er Blätter vom Grab entfernte. „Hallo, Ms. Nagoya“, sagte Maron, hockte sich runter und legte die Blumen ab. „Ich bin Maron...und das ist Keiko“, sprach sie weiter, strich Keiko über den Kopf, der sich neben sie gesetzt hatte. Chiaki stand auf der anderen Seite neben ihr, die Hände unbeholfen in die Jackentaschen gesteckt. Ein klein wenig musste er sich ein Schmunzeln verkneifen. Als sie vor ein paar Wochen das Grab ihrer Mutter in Osaka besucht hatten, war Chiaki überzeugt davon gewesen, dass sie ein Zelt hätten mitnehmen sollen. Oder zumindest Klappstühle. Ununterbrochen hatte Maron mit dem Grabstein geredet und wunderte sich auch noch laut, wo seine Manieren waren, als er sich nicht vorgestellt hatte. „Chiaki hat mir so viel von Ihnen erzählt. Ich habe...viel Gutes über Sie gehört.“ Chiaki rollte mit den Augen. Maron strich sich ihre Haare nach hinten und warf ihm einen strengen Blick zu. „Sag Hallo“, sagte sie ihm stumm. Erneut rollte er mit den Augen. „Uhm, Hi“, sagte er, zog es vor, einfach nur zu stehen und ein paar ruhige Momente zu verbringen, in der er seinen Respekt zollte. Schulterzuckend plauderte Maron weiter: „Wir leben jetzt in Inaba, haben eine eigene Wohnung. Die meisten Studenten leben in Studentenwohnheimen, aber das stand für uns nicht in Frage.“ Sie hielt hier inne und schaute zu ihm hoch, als würde er übernehmen wollen, aber Chiaki gab ihr mit einem Nicken nur zu verstehen, dass sie weiterreden soll. „Die Uni läuft gut. Sie sollten Chiaki’s Noten sehen. Er ist ziemlich schlau. Und talentiert. Ich mein... wirklich talentiert. Er kann alles aus dem Gedächtnis zeichnen. Einfach nur erstaunlich“, lächelte Maron, „Außerdem wird er ein großartiger Doktor sein. Ich studiere nur Businessmanagement und hoffe eines Tages mein eigenes Geschäft zu leiten. Das wird zwar nicht das Leben von irgendwen verändern, oder so…aber ich bin mir sicher, dass Chiaki das Leben von vielen verändern wird. Ich weiß es. Er hat meins verändert...“ Sie lächelte ihn liebevoll an, setzte sich auf und hakte sich bei ihm ein. „Willst du nichts sagen?“, fragte Maron ihn in einem sanften, ermutigenden Ton. Chiaki räusperte sich, spielte nervös mit seinem Claddagh-Ring und schabte unsicher mit den Füßen. „Es tut mir leid, dass ich dich hier verrotten ließ.“ Maron zog scharf Luft ein und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Chiaki“, mahnte sie zischend. „Ja, ja, ich weiß“, verdrehte er seine Augen, „Wie auch immer, ich wollte dich besuchen kommen, Blumen vorbeibringen und dir sagen, dass es mir leidtut und dass ich mein Bestes versuchen werde, ein glückliches, erfülltes Leben zu leben. So wie du es dir von mir wünschtest.“ Er warf Maron einen Seitenblick zu. „Und ich wollte, dass du mein Mädchen kennenlernst.“ Diese schenkte ihm das wunderschönste Lächeln und küsste sanft seine Wange. „Hast du gut gemacht.“ Mit einem erleichterten Gefühl atmete er aus. Für eine Weile war es still zwischen ihnen und eine kühle, erfrischende Brise wehte vorbei, spielte mit Maron’s wunderschönen Haaren, die in der Sonne hell leuchteten - was ihn etwas ablenkte. Maron lehnte ihren Kopf an seine Schulter an. „Danke, dass ich sie kennenlernen durfte“, sagte sie. Chiaki nickte. „Danke, dass du mich dazu überredet hast“, brachte er entgegen. Das Grab seiner Mutter zu sehen, ließ ihn nicht zusammenbrechen, zu seinem Erstaunen. Es tat zwar irgendwo weh, aber es war ertragbar. Aber er würde sich nicht von dem Schmerz in seinem Inneren dominieren lassen. Chiaki spürte, wie Maron seine Hand drückte und ihre Finger mit seinen verschränkte. Er sah zu ihr runter, tauschte mit ihr einen stummen Blick aus und lächelte. „Lass uns gehen“, sagte er, ehe sie zusammen den Friedhof schließlich verließen.   Sie kehrten in ihr Hotelzimmer zurück, schalteten den Fernseher an und legten sich entspannt ins Bett. Seufzend legte Chiaki seinen Kopf auf Maron’s Kopf ab. Auf ihrer anderen Seite lag Keiko, der schon im Land der Träume zu sein schien. „Was wollen wir morgen machen?“, hörte Chiaki sein Mädchen fragen. Er rutschte etwas runter und drückte Maron einen Kuss auf die Lippen. „Was auch immer wir wollen“, antwortete er schief grinsend, schlang seine Arme um sein Mädchen und kuschelte sich an sie. Beschloss ein Nickerchen zu halten, während sie sich ihrem Film anschaute. Sanft strichen ihre Finger durch seine Haare, gaben ihm das schöne, warme Gefühl von Liebe und Zuneigung. Genüsslich schloss er seine Augen. Ein glückliches, zufriedenes Lächeln haftete auf seinen Lippen. Er war glücklich und würde wie versprochen ein glückliches Leben führen. Er hatte schließlich eine Familie, die ihn liebte, unersetzbare Freunde und ein wunderschönes Mädchen an seiner Seite. Wie Midori damals sagte: „Das Leben ist nicht fair.“ Das Leben war für beide nicht fair gewesen, aber so war es nun mal und man muss versuchen das Beste daraus machen. Der Weg dahin war zwar nicht leicht, aber letzten Endes es wert gewesen. „Schlaf gut“, wisperte Maron ihm sanft zu. Er spürte ihre weichen Lippen auf seine Schläfe. Leise hörte Chiaki das engelsgleiche Summen von seinem Mädchen, ehe er einige Momente später in den Schlaf driftete.   -------------------------------- Ende! 😊 Danke an die, die diese riesige Story gelesen, favorisiert, kommentiert und empfohlen haben! ♥ Danke an die, die zukünftig das Ende hier erreichen :D Vielleicht liest man sich irgendwo wieder!   LG mairio Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)