Zum Inhalt der Seite



On a winters Day... Engel, Erlebnisse, Fiction

Autor:  Yujianlong
Ich sass im Bus nach Hause. Draussen schneite es und die Lichter der Strasse waren nur schwach zu erkennen.
Ich blickte nach draussen ohne die Schneeflocken zu sehen, die im stürmischen Wind tanzten. Das Glas speigelte schwach das Innere des Buses und ich nahm eine Bewegung hinter mir wahr. Langsam kehrte mein Blick aus der Ferne zurück und ich drehte mich um. Neben dem fast freien Sitz links von mir stand ein Mann. Oder zumindes dachte ich, dass es sich um einen Mann handelte. Er trug einen Kapuzenumhang und sein Gesicht lag im Schatten. Stumm starrte er mich an - vermutete ich - und wollte wohl auf den Sitz neben mir. Ich räumte meine Einkaufstüte zur Seite und der Kapuzenmann setzte sich. Ich drehte das Gesicht wieder zum Fenster, beobachte ihn durch die Scheibe.
Seine Körperhaltung wirkte seltsam. So als ob er starke Schmerzen hätte. Er hatte die Hände ineinander verkrallt und presste sie so stark zusammen, dass die Gelenke weiss hervorstachen. Sein Rücken war gebeugt und sah sehr verkrampft aus. Da er sich nicht bewegte, begann ich damit, seine Kleidung zu mustern. Schwarzer Umhang, genäht mit einem bunten Faden. Und wenn ich sage bunt, dann meine ich das auch. Ungefähr nach jedem zweiten Stich schien sich die Frabe zu verändern. Von Blau über Grün bis hin zu Rot war alles dabei. Der Umhang war aus feinem Stoff gemacht und sah aus wie massgeschneidert. Die Hose, die man von den Knien an abwärts sehen konnte, war dunkelblau. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn sonst hätte ich mich umdrehen müssen und das wäre dann ein bisschen auffällig gewesen.
Nach einiger Zeit wandte ich dann doch den Kopf und schaute den seltsamen Mann direckt an. Augenblicklich blickte er auf und ich konnte etwas von seinen dunklen Haaren sehen. Ich vermute mal, dass es sich dabei um schwarz oder dunkelbraun handelete. Ich blickte in das scheinbare Nichts unter der Kapuze und wartete. Mir war schon etwas mulmig zumute, doch ich blieb stur und starrte weiter. Dann drang eine Stimme an mein Ohr, die nur von dem seltsamen Mann vor mir stammen konnte. Irgendwie sanft und gleichzeitig so eisig, dass es mir kalt den Rücken runter lief. "Hör auf damit!"
Ich hatte keine Ahnung was er damit meinte, also starrte ich ihn nunmehr fragend an.
"Hör auf die Glücklich - Zufriedene zu spielen. Das schmerzt.", meinte er nur ruhig und drehte den Kopf, blickte wieder Richtung Boden.
"Was meinen sie damit?", fragte ich zornig. Schliesslich kannte der Typ mich ja gar nicht. Und ausserdem, was sollte der Scheiss mit 'das schmerzt'?
"Ich gehöre zu jenen die die Flügel der Menschen sehen können. Doch Menschen haben nur einen Flügel. Du jedoch, du hast zwei. Schillernd, weiss und rein. Doch du leidest darunter, nicht wahr? Menschen wollen fliegen, das liegt in ihrer Natur. Doch dazu müssen sie denjenigen finden, der den passenden Flügel zu ihrem eigenen hat. Bei dir ist das anders! Du hast schon zwei Flügel und müsstest eigentlich fliegen können. Aber das Gesetz besagt, dass Menschen nur zu zweit fliegen können. Problem: Keiner wird mit dir fliegen wollen, weil du kein Gegenstück zu deinem Flügel mehr benötigst. Problem zwei: Deine Sehnsucht nach Fliegen ist noch sehr viel grösser als die eines normalen Menschen.
Du wirst nie fliegen. Du bist dazu verdammt, anderen deine Flügel zu leihen, wenn ihr eigener gebrochen ist. Doch sobald die Schwinge geheilt ist, wirst du wieder alleine sein..."
Ich blickte den Mann verängstigt an. Was sollte das ganze? War der Kapuzenträger vielleicht verrückt? Noch einmal musterte ich ihn, auf der Suche nach allfälligen Hinweisen; Nichts. Der Bus stoppte, der Mann stand auf. Ich starrte ihm nach, wie er in das Schneegestöber hinaustrat. Und gerade als er in der Dunkelheit zu verschwinden begann, sah ich es. Zwei eisblaue Flügel, riesig, wuchsen aus seinen Schultern. Der seltsame Mann drehte noch einmal den Kopf, blickte wohl in meine Richtung und.. verschwand!

Nun sitze ich hier am Fenster und schaue den Schneeflocken beim Tanzen zu. Es ist der sechste Winter seit jenen Ereignissen im Bus. Ich bin einsam. Die Dunkelheit ist mein einziger Begleiter, und die Schneeflocken tanzen.


Zum Weblog