Zum Inhalt der Seite

Anime Evolution: Past

Dritte Staffel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Lehrgeld

1.

Müde rieb sich Makoto Ino die Augen. Verdammt, der Tag war wieder lang. Zu lang. Er schlief zu wenig und vor allem zu selten, und das machte sich langsam fatal bemerkbar.

Die Flotte, die Hekatoncheiren, die Anelph, all das lief in seinen Händen zusammen. Vor allem aber sein absolutes Sorgenkind: Die Blockadeflotte.

Sechs Long Range Area Observer, kurz LRAO genannt, trugen jeweils einen jener brandgefährlichen Torpedos bei sich, welche das Resonatorfeld verursachten. Menschen die älter als vierundzwanzig Jahre waren wurden in diesen Feldern verlangsamt. Das konnte bis zu absolutem Stillstand führen. Verließen sie das Feld wieder ohne das ihre Körpergeschwindigkeit wieder angepasst wurde, dann hatte dies den gleichen Effekt wie ein paar tausend Liter fast kochendes Wasser, das durch ein enges Gespinst aus Eisröhren getrieben wurde. Je nachdem wie stark die Menschen – oder vielmehr ihr KI – verlangsamt wurde, je nachdem wie nahe sie dem Normalzustand gewesen waren, äußerte sich das Verlassen des Feldes entsprechend verheerend.

Die Menschen wurden innerlich zerfetzt, zerrissen oder starben an Schock.

Lediglich jüngere Leute und erfahrene KI-Meister konnten dem widerstehen.

Dies vor allem war der Grund für groß angelegte Umstrukturierungen bei der Flotte und bei den Hekatoncheiren gewesen. Alle Streitkräfte, die im Kanto-System bleiben mussten, konnten mit dem Feld in Berührung kommen. Dies konnte den Tod der Besatzungen bedeuten, weshalb die UEMF, genauer gesagt seine Schwester Sakura versucht hatte, so viele Soldaten außerhalb der Risikogruppe wie möglich für Makotos Kommando zu bekommen.

Und das Ergebnis war ein verdammt junges Offizierscorps und ein verdammt junger Kader. Viele waren im Feld befördert worden und hatten wenig Erfahrung in den neuen Rängen und neuen Aufgaben.

Nun, es wurde langsam besser, aber die ersten beiden Wochen waren Makoto und sein Stab der Mittelpunkt des Kanto-Systems gewesen – und anscheinend zuständig für jede noch so dumme Frage!
 

Wieder rieb er sich die Augen. Es wurde besser. Auch wenn das die letzten Wochen sein Mantra gewesen war, es entbehrte nicht einer gewissen Realität. Die Fragen wurden weniger, die Entscheidungen die er endlich delegieren konnte wurden mehr. Die Verantwortung wechselte immer mehr zu denen, die sie eigentlich tragen sollten, die Offiziere der Teileinheiten. Und sein erfahrener Stab wurde nach und nach entlastet und konnte sich auf die Kommandoebene beschränken.

Lediglich die Blockadeflotte behielt er noch unter seiner persönlichen Fittiche. Die Blockadeflotte und die sechs Korvetten Alpha bis Foxtrott, die für je einen LRAO und einen Resonatortorpedo als Ausgangs- und Wartungspunkt dienten.

Müde sah der junge Offizier auf das holographische Bild von Lorania, der Welt, die sie verteidigten. Die derzeitigen Positionen der LRAO waren rot markiert und die Wirkungsbereiche ihrer Torpedos als dicke blaue Scheiben eingezeichnet worden. Vier umkreisten, der Fliehkraft gehorchend, den Äquator dieser Welt; über Nord- und Südpol hatten die Trägerkorvetten stabilen Orbit etabliert.

Von dort konnten die LRAO starten und notfalls neue Positionen einnehmen. Entweder um zu fliehen, falls dieser Notfall jemals eintrat, oder um das Feld zum Gegner zu tragen… Falls auch dieser Notfall jemals eintrat.

Bisher war die Lage ruhig und Makoto war dankbar dafür.

Weitere Schiffe der Anelph waren aus der Flotte desertiert und auf eigene Faust nach Kanto zurückgekehrt, womit die UEMF nun auf dreiundvierzig Schiffe aller Klassen zurückgreifen konnte, die ihre Verbündeten aufzubieten vermochten.

Makoto lachte rau. Soweit sie auf ihn und Kei Takahara hörten. Das war die Einschränkung.

Viele der Schiffe hatten schwer Prügel bezogen bevor ihnen die Flucht gelang und lagen nun mehr oder weniger beschädigt im Dock; über die Hälfte hatte leichte Mannschaftsprobleme, weil sie keine reine Anelph-Besatzung gehabt hatten. Das Ergebnis waren etwas über zweitausend gefangene Naguad und Angehörige weiterer Völker des weit verzweigten Imperiums, die sich in Haft befanden. Nun, das war immer noch besser als zweitausend Leichen zu haben.

Und auch wenn das Oberkommando der UEMF in Frage gestellt wurde, die gefangenen Naguad hatte man nur zu gerne zu ihm abgeschoben.
 

Positiv zu vermerken war, dass die Streitkräfte des Imperiums die Monde Jomma und Dipur komplett aufgegeben hatten, um sich nach Laccus zurück zu ziehen, der neunten Welt des Systems. Auf ihr befand sich das Regionalkommando der imperialen Marine. Und das regional bezog sich nicht nur auf das Kanto-System, sondern auf alle umliegenden Marken. Die Macht, die sich dort konzentrierte war enorm, nicht genug um die UEMF zu vernichten, geschweige denn die Anelph. Aber es würde reichen, ihnen ein oder zwei empfindliche Stöße zu versetzen, ein paar wichtige Schiffe auszuschalten, die sie noch bitter brauchen würden.

Auf Lorania war die Lage noch weit verfahrener. Die Naguad hatten ihre Leute nicht von dieser Welt abgezogen. Teilweise weil ihnen die Blockade dies nicht gestattete, teilweise, weil sie sich davon einen Vorteil versprachen. Außerdem arbeiteten noch immer viele staatliche Behörden mit den Besatzern zusammen. Merkwürdigerweise aber nicht der Inlandsgeheimdienst, das Auge Irams.

Zur Zeit standen sich Anelph-Miliz und Militär mehr oder weniger Auge in Auge gegenüber und wartete auf den ersten Schritt des Gegners – akribisch überwacht von ein paar Kompanien Hekatoncheiren, vor denen beide Seiten einen geradezu heiligen Respekt hatten.

Abgesehen davon, dass dies wichtige Kräfte band, die anderswo sinnvoller eingesetzt werden konnten, ärgerte Makoto an dieser Situation die Tatsache, dass der erste Schuss und der erste Tote durchaus zu einem Sturm der Gewalt führen konnte, der hunderten, ach, zehntausenden Anelph und Naguad das Leben nehmen konnte. Und wie die breite Bevölkerung dann über die Terraner dachte, konnte sich Makoto bildhaft vorstellen.
 

Jomma und Dipur, eigentlich ein Thema für sich. Die beiden Monde waren übersäht mit zivilen und militärischen Einrichtungen, Werften und Raumhäfen, deren Kapazitäten sie nun voll nutzen konnten und es auch mussten. Aber beide Monde waren zu weit entfernt um im Notfall von detachierten LRAO mit Resonatortorpedos beschützt werden zu können. Zudem hatte er sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass nicht Megumi das Regiment führte, oder vielmehr zwei Regimenter, sondern ihre Verwandte Jora Kalis als ihr Double.

Junge, wenn das raus kam, den zusätzlichen Ärger konnte er nicht auch noch gebrauchen.

Aber im Großen und Ganzen war es das. Megumi flog Akira ins Ungewisse nach, Joan war mit ihm da draußen, ihre Band belagerte ihn Tag und Nacht, um Informationen zu erhalten.

Das war der Status Quo gewesen, bis vor drei Tagen ein eintreffender Frachter die Nachrichtenlage auf den neuesten Stand gebracht hatte.

Und zu Makotos endloser Erleichterung eine geistig gesunde und nur ein klein wenig verschreckte Joan Reilley bei einem riesigen Empfang der Naguad auf Naguad Prime gezeigt hatte.

War alles doch nicht so schlimm? Konnte sich, abgesehen von der Rebellion im Kanto-System noch einiges oder alles zum Guten wenden?

Verdammt, er vermisste Joan. Es war schön, dass Torum Acati ihr doch nicht den ganzen Verstand aus dem Hirn geblasen hatte. Oder Akira Superman hatte irgendeinen Weg gefunden, ihr das Gedächtnis wiederzugeben – bei ihm selbst hatte es ja funktioniert.

Aber er vermisste sie schrecklich und wünschte sich, sie würde jetzt, genau jetzt bei ihm sein.
 

„Colonel.“

Makoto sah auf. Es gab nur eine Handvoll Leute, die sich direkt zu ihm durchstellen konnten. Und jene die es konnten wussten, dass dies nur in einem Notfall geschehen sollte.

Diese Leute wussten ganz, ganz genau, wie er einen Notfall definierte.

Nun, Hitomi wusste es definitiv, und wenn sie sich direkt durchstellte, dann brannte die Luft.

„Was gibt es, Captain?“

Die junge Frau, Schülerin der legendären Fushida High, Veteranin des zweiten Marsangriffs und Weggefährtin der Troja-Mission sah ihn ernst an. Verdammt ernst. Teufel, ernst genug, dass sich Makoto wünschte, nicht im einigermaßen sicheren Kern der Axixo-Basis zu sitzen, sondern weit, weit entfernt auf dem heimischen Erdmond.

„Sir, der Frachter LOQUEN hat vor fünf Stunden das Kanto-System betreten.“

Noch so ein Problem. Die Anelph waren eine stellare Gesellschaft. Was bedeutete, sie waren zu einem großen Teil vom Außenhandel abhängig. Tausende Firmen hatten hunderttausende Verträge mit Tausenden Firmen in irgendwelchen Ecken des Imperiums. Termine mussten eingehalten, Frachten verschifft und Daten versendet werden. Positiv daran war, dass die regelmäßig eintreffenden Frachtschiffe die neuesten Nachrichten aus den Systemen mitbrachten, die sie verlassen hatten.

Negativ war, dass dieses ständige kommen und gehen die Gefahr der Infiltration immens erhöhte.

„Und?“ fragte Makoto ein klein wenig ungehalten. Der Schlafmangel machte sich bemerkbar.

„Der Update kommt direkt aus dem Nag-System.“ Hitomi holte sichtbar tief Luft. „Commander Otomo hat offensichtlich vor dem Rat der Naguad im Namen der UEMF kapituliert. Vollständig und bedingungslos.“

Makoto sprang auf. „WAS, BITTE?“

„Otomo-sama hat…“

„Ich habe es schon beim ersten Mal verstanden, aber glauben kann ich es nicht! Was bildet dieser Kerl sich nur ein? Oder noch besser, was plant er? Akira, Akira, warum ziehst du den Ärger immerzu an?“

„Das ist noch nicht alles, Sir. Wie Sie wissen wurde Commander Otomo von seinem Urgroßvater zum Erben des Hauses Arogad erklärt.“

„Ja, über diese Information verfügen wir seit zwei Tagen. Und?“

„Nun, Commander Otomo hat vor dem Haus Arogad kapituliert, nicht vor dem Rat.“

Tausende Gedanken gingen Makoto durch den Kopf. Die meisten davon waren zu seiner eigenen Überraschung positiv. Verdammt positiv. „Akira, du Arsch. Ich weiß nicht, ob ich dich jetzt küssen oder treten würde, wenn du jetzt neben mir wärst.“

„Das ist aber noch nicht alles, Sir.“ Wieder schluckte Hitomi. Entschuldigend zuckte sie mit den Achseln. „Sir, der Vorsitzende des Hausrats, Oren Arogad, hat die kapitulierten Gebiete, also die Erde, die AURORA und alles was wir im Kanto-System erobert haben, Akira Otomo als persönliches Lehen gegeben.“

Makoto fühlte sich für einen Moment, als hätte jemand die Zeit eingefroren. Ein eiskalter Schauer ging ihm über den Rücken und eine kalte Hand griff nach seinen Eingeweiden. „Das… Das ist genial! Einfach genial! Verdammt noch mal, wir gehen von Alarmstufe eins sofort auf drei zurück. Alle können einen Gang runterschalten.“

Hitomi blinzelte verwirrt. „Sir?“

„Verstehst du denn nicht, Mädchen? Wir sind jetzt Teil des Imperiums. Dazu noch persönlicher Besitz der Arogad. Wenn uns also jemand krumm kommt, hat er eine der mächtigsten Familien direkt an der Kehle!“

„Entschuldige, wenn ich deinen Optimismus nicht teile, Mako“, erwiderte sie frustriert. „Abgesehen davon dass sie es auf der Erde überhaupt nicht gerne sehen werden, dass wir kapitulieren, und dem sicher nicht zustimmen werden, die Anelph werden nicht sehr erfreut sein, dass wir plötzlich auf der anderen Seite stehen. Und dann ist da noch Akira. Was, wenn ihm diese Macht zu Kopf steigt und…“

„Aber, aber, Hitomi-chan“, tadelte Makoto, „das mit der Erde werde ich schon regeln. Setze sofort eine Dringlichkeitsnachricht für Eikichi Otomo auf. Er muß die Kapitulation so schnell es geht verifizieren. Die Anelph brauchen eigentlich auch nur zu kapitulieren, und zwar gegenüber Akira oder einem seiner direkten Vertreter, um ebenfalls sein persönlicher Besitz, ich meine in Sicherheit zu sein. Und was das ausnutzen angeht…“

Hitomi schluckte ein drittes Mal, als sie Makotos diabolischen Blick sah. „Ja?“

„Akira ist viel zu blöde, um so eine Machtfülle zu missbrauchen.“ Übergangslos begann der Colonel zu lächeln. „Also mach dir darüber mal keine Sorgen, ja?“

„Du spinnst, Mako“, tadelte Hitomi. Mit einem Schmunzeln fügte sie hinzu: „Aber ich gebe die Nachrichten weiter. Sollen wir uns alle Naguad-Uniformen anziehen oder dürfen wir weiterhin im Weiß der UEMF herumlaufen?“

„Die Naguad-Militäruniformen sind hässlich“, schloss Makoto.

„Alles klar. Dann gehe ich mal ein ganzes System ins Chaos stürzen, Colonel.“

Die Verbindung erlosch und Makoto stöhnte unterdrückt. Nicht nur das Akira mal wieder seinem Ruf gerecht wurde, wirklich, wirklich Mist zu bauen, nicht nur das er sich mal wieder nicht mit einfachen Lösungen zufrieden gegeben hatte – mit dieser Nachricht hatte er Makoto mindestens für weitere zwanzig Stunden von der nächsten Schlafperiode fortgerückt. Das war das Schlimmste daran.
 

2.

Nachdenklich betrachtete Eikichi Otomo die schriftliche Order auf seinem Schreibtisch. Seit fünf Tagen lag sie da und er hatte nicht gewagt, sie auch nur anzufassen, so heiß erschien sie ihm. Nach anfänglicher Unordnung, ja, nach dem üblichen Chaos, das einer von Akiras Aktionen folgte, hatten die Anelph tatsächlich kapituliert und sich Aris Arogad ergeben.

Damit war das gesamte Kanto-System – wenn die Naguad-Rechtsexperten zustimmten – das persönliche Eigentum seines Sohnes.

Und vor ihm lag der Gegenstand, der dessen Eroberung zwei weitere Glanzstücke zuordnen würde, die Kapitulationserklärung von Erde und Mars.

Es fehlte nur noch seine Unterschrift. Die Streitkräfte waren seit Tagen informiert und die Bevölkerung wurde von den Medien immer wieder auf die Vorteile hingewiesen wenn Blue Lightning das Sol-System als sein persönliches Eigentum schützen konnte.

Akut wurde es sowieso frühestens sobald Naguad-Einheiten oder deren Verbündete in den Bereich eindrangen, den die Erde als Sicherheitsparameter betrachtete, also alle umliegenden Systeme. Und selbst dann würde die Kapitulation nur auf dem Papier existieren, geboren um den Truppen im Kanto-System Zeit zu erkaufen und der Erde ein wenig Legitimität zu geben.

Denn wenn wirklich alles schief ging was schief gehen konnte, dann würde man den neuen Machtzuwachs von Haus Arogad als Gefahr verstehen, versteckte Rebellion oder Abspaltung vom Imperium. Und dann wurde es erst richtig ungemütlich.

Aber jeder Tag, jeder verdammte Tag den sie dadurch gewannen, half die Flotte auszubauen, die Mannschaften auszubilden. Drei Bismarck lagen auf Kiel, eine würde noch diesen Monat fertig werden. Mit einer gut trainierten Mannschaft konnte sie das entscheidende Zünglein an der Waage sein.
 

Das Dokument vor ihm, es brauchte nur noch seine Unterschrift. Alles in ihm widerstrebte dem Gedanken zu kapitulieren. Alles in ihm widerstand dem Gedanken, ausgerechnet seinen größten Feinden nun doch noch die Erde in die Hände zu spielen. Alles in ihm…

Verdammt, verdammt, verdammt. Wieso hatte alles so kommen müssen?

Nachdenklich betrachtete der große Japaner seine Hände. Er selbst hatte ein paar dünne Tropfen Naguad in seinen Genen, das stand schon lange fest. Zudem hatte ihn Futabe-sensei vor siebzig Jahren so weit ausgebildet wie er gehen wollte und konnte. Wenn er einen Spiegel gehabt hätte, dann hätte ihn ein Mann angelächelt, der bestenfalls aussah wie Ende dreißig, trotz der weiß gefärbten Koteletten. Und seine Lebenserwartung war mit den achtzig Jahren, die er schon hinter sich hatte, noch nicht einmal ansatzweise erreicht. Tausend Jahre konnten es durchaus noch werden.

Verdammt, tausend Jahre, die er eigentlich hatte mit Helen verbringen wollen. Eigentlich.

Eikichis Hände krampften, ballten sich zu Fäusten.

Alles was ihm nun geblieben war, das war seine ursprüngliche Aufgabe wahr zu nehmen und die Erde zu verteidigen.

Nur auf einem vollkommen anderen Level als damals.
 

Als der Alarm aufgellte, sah Eikichi nicht einmal auf. Es hatte so kommen müssen. Ja, er hatte es sogar herbeigesehnt. Eindringlingsalarm. In diesem Moment mussten hunderte Kommandosoldaten aus dem sieben Aufzügen fluten, die OLYMP mit der Titanen-Station verbanden. Zugleich würden ein, zwei Fregatten, die geheimnisvolle Zwischenlandungen auf der Erde gemacht hatten und nun am OLYMP angedockt waren, weitere zwei- bis vierhundert Eliteinfanteristen entlassen, zum Sturm auf die Zentrale der UEMF. Zum Sturm auf ihn.

Das Personal des OLYMP hatte klare Anweisungen, die eigenen Leben zu retten und sich nicht auf Kämpfe einzulassen. Wächter hatten sich zurückzuziehen, Zivilpersonal sich zu ergeben. Eikichi stellte sich vor, wie dieser Umstand den Angreifern vollkommen egal war, wie sie wild auf alles schossen, was nicht ihre Uniformen trug. Wie sie in einem See aus menschlichem Blut bis zur Zentrale wateten und dort jeden erschossen, den sie antrafen.

Nein, das würden sie nicht tun. Genauso wie es eine Eroberung war, so war es auch eine Image-Aktion. Diese Infanteristen, waren es Russen, Amerikaner, Franzosen?

Ihr Auftrag lautete sicherlich zu verhindern, dass die UEMF kapitulierte und die Kontrolle der Erdverteidigung in qualifiziertere Hände als die seinen zu legen.

Etwas tun, was der Rat der UEMF in den letzten fünf Tagen mehrfach zurückgewiesen hatte.
 

Auf dem Gang vor seinem Büro wurde geschossen, aber die Schüsse wurden nicht erwidert.

Schwere Militärstiefel rannten an seinem Büro vorbei, mitten in die Zentrale.

Eikichi dachte an das Fachpersonal, das dort gerade Dienst tat. Die meisten von ihnen waren schon dabei, seit die UEMF zur Abwehr der Daishis gegründet worden war. Sie kannten ihren Dienst und sie sahen ihn als große Ehre an. Sie waren die Fähigsten der Fähigsten. Ihnen würde nichts passieren, denn ohne sie würde die Erdverteidigung auf Monate im Chaos versinken. Das gleiche würde auch passieren, wenn diese Soldaten die Kooperation verweigerten.

Eikichi lächelte dünn. Es lief mal wieder alles auf ihn hinaus.

„Entschuldige, Akira, aber diesmal bin ich im Mittelpunkt“, murmelte Otomo amüsiert.
 

Dann wurde das Schott zu seinem Büro geöffnet, schwarz maskierte Bewaffnete drängten herein und legten auf ihn an. Der Befehl an ihn sich nicht zu bewegen erklang auf sieben verschiedenen Sprachen.

Respekt. Die Staaten, die sich bisher nicht der UEMF angeschlossen hatten, konnten zumindest untereinander eine Zusammenarbeit bewirken. Das ließ doch für die Zukunft hoffen.

Eikichi ignorierte den Befehl und sprang auf.

Die vordere Reihe der Schützen wich angstvoll zurück, ein Teil drängte wieder auf den Gang zurück.

„Wer ist hierfür verantwortlich?“, blaffte der Japaner laut.

Langsam öffnete sich die Reihe und einer der Männer trat vor. Er öffnete Schutzmaske und nahm die Kapuze ab. „Major Stafford, Army Ranger. Ich erkläre Sie hiermit für verhaftet und Ihrer Position enthoben, Otomo. Jemand, dem die Verteidigung der Erde wirklich am Herzen liegt, wird für Sie übernehmen.“

„Ich… verstehe. Meine Leute?“

„Die Aktion war nicht gegen den OLYMP gerichtet. Nur gegen den inkompetenten Befehlshaber. Niemandem ist etwas passiert. Wer kooperiert wird seinen Posten behalten. Wer nicht kooperiert wird ausgetauscht.“

„Ich… verstehe.“

„Drehen Sie sich jetzt um und legen Sie die Hände an die Wand, Eikichi Otomo. Meine Männer werden Ihnen Handschellen anlegen. Danach werden wir Sie von der Plattform schaffen.“

„Sikorsky wird es nicht zulassen, dass Sie die Titanen-Station dafür benutzen.“

„Commander Sikorskys Kooperation brauchen wir nicht. Wir schaffen Sie mit einer Fregatte fort. Nun drehen Sie sich langsam um, Otomo.“
 

Eikichi schmunzelte. Die Situation hatte etwas Unwirkliches. Nun, drei Viertel seines Lebens hatte aus unwirklichen Situationen bestanden, wenn er es sich eingestand.

„Es ist einer der letzten beiden freien Legaten, richtig? Er hat den Plan ausgearbeitet und einige unserer Verbündeten und Blockfreie zu dieser Aktion verführt.“

„Darüber liegen mir keine Informationen vor“, sagte der Major schroff. Es war offensichtlich, dass er log.

„Nun, Sie sollten sich vor allem über eines im Klaren sein. Jetzt wo die Naguad kein Interesse mehr haben mit den Legaten zu kooperieren, werden sie sich den Cores zuwenden.“

„Die Core-Zivilisation wurde nicht verifiziert. Propaganda Ihres Sohnes.“

„So schlau ist Akira nicht“, wandte Eikichi ein und erntete ein paar Lacher.

„Das stimmt nicht. Ich habe mit ihm gekämpft“, meldete sich einer der Maskenträger zu Wort. „Er kann verteufelt viel, wenn er es nur will.“

„Auch wieder wahr“, erwiderte Eikichi und lächelte teuflisch.

Ja, die Situation jetzt war wie viele in seinem Leben. Und meistens waren die Unwirklichkeiten mit Faszination verbunden gewesen. Seine größte Faszination aber…

Eikichis Gedanken schweiften zurück, zurück in eine ferne Vergangenheit, in eine Zeit bevor der OLYMP überhaupt in seinen kühnsten Träumen existierte.

**

Ein Matsuri war immer etwas Besonderes. Für den fünfjährigen Eikichi bedeutete es jede Menge Süßigkeiten, noch mehr zu essen, viel zu staunen und vor allem die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Eltern Ryuji und Nanako.

Tintenfisch am Spieß, Zuckerwatte, Natto, das Matsuri war groß und bunt.

„Schling nicht so, Eikichi. Du verdirbst dir noch den Magen“, tadelte Vater. Er war groß, stolz und ernst.

„Nun lass ihn doch, Ryuji. Aber nach der Zuckerwatte ist Schluss, kleiner Mann.“

Seine Mutter war ebenfalls groß. Groß, schlank und unglaublich schön. Und sie war so sanft und nett und warm. Der kleine Eikichi hielt ihr die Zuckerwatte hin. „Abbeißen?“

Mit einem warmen Lächeln kniete sie sich in ihrem Yukata herab und biss eine kleine Ecke aus dem weißen Gespinst.

Eikichi lachte über das ganze Gesicht, dann hielt er sie seinem Vater hin.

Der große Mann seufzte genervt, beugte sich vor und biss genau die Stelle ab, an der Nanako zuvor geknabbert hatte.

Mutter errötete und Vater lächelte sie an.
 

„Na, wenn das nicht die Otomos sind.“

Vater sah wieder auf, erkannte die Neuankömmlinge und verbeugte sich knapp. „Berger-sama. Yodama-sama.“

„Lassen Sie doch dieses Sama weg, mein guter Ryuji-kun“, tadelte der Mann mit den braunen Haaren lächelnd. „Wir sind nicht auf der Arbeit.“

„Gewiss, Berger-sama, aber…“

„Sie sind Ryuji Otomo?“, sagte die Frau neben Berger überrascht. „Sie sind ja genauso wie Michael Sie immer beschreibt. Es freut mich Sie kennen zu lernen. Und das ist Ihre Frau Nanako? Wenn ich so hübsch wäre, würde ich einen Massenauflauf an Männern hinter mir her ziehen.“

Mutter errötete. „Nicht doch, Yodama-sama.“

Die große, schlanke Frau neben Michael Berger war noch größer als Mutter und auch wunderschön. Nicht so schön wie seine Mutter, fand er. Aber…

„Und das ist Eikichi, hm?“ Michael Berger ging in die Knie, damit er mit dem Fünfjährigen auf einer Augenhöhe war. „Ich erwarte von dir eine ganze Menge, junger Mann.“ Mit diesen Worten tätschelte er dem Kind den Kopf, und das machte Eikichi unglaublich stolz. „Jawohl, Michael!“

Mutter hüstelte erschrocken und Vater setzte zu einem Tadel an.

„Das ist in Ordnung“, sagte Berger lächelnd. „Ich bin Deutscher. Wir kennen das sama und die anderen Anhänge nicht. Also, Eikichi, es freut mich dich kennen zu lernen.“

„Apropos kennen lernen“, sagte die große schlanke Frau und langte hinter sich. Sie zog einen widerstrebenden kleinen Menschen hervor, der ebenfalls braune Haare wie Michael hatte und genauso alt zu sein schien wie Eikichi.

Mit mütterlicher Geduld schaffte es Yodama-sama, den kleinen Mensch vor sich zu stellen. „Das ist unsere Tochter Helen. Sie ist vier. Komm, sag Hallo zu Eikichi, Mädchen.“

„Ha-hallo“, haspelte sie hervor und verschwand wieder hinter ihrer Mutter.

„Verzeihen Sie, aber das Mädchen ist so schüchtern. Ich hoffe das gibt sich mit der Zeit.“

Eikichi sah zu ihr herüber. „Das ist aber ein schöner Name. Ist der auch japanisch? Willst du von meiner Zuckerwatte, Helen?“

Das kleine Mädchen trat wieder hervor, beäugte ihn neugierig. „Zuckerwatte?“

Triumphierend hielt Eikichi ihr seine Süßigkeit hin.

Helen kam ganz hervor, trat direkt vor Eikichi und biss zaghaft von der weißen Masse ab.

„Oh!“, machte sie erstaunt. „Das ist aber lecker.“

„Ach, das ist ja noch gar nichts. Hast du schon mal Tintenfisch gegessen?“

„Tintenfisch?“

Eikichi streckte ihr die Hand entgegen, welche sie zögernd ergriff. „Komm, ich zeig dir wo es sie gibt.“

Unter dem freundlichen Gelächter der beiden Paare eilten die beiden Kinder davon.
 

Michael wurde für einen Moment ernst. „Shinnosuke.“

Neben ihm erschien ein Mann in einem europäischen Anzug, als wäre er dort materialisiert. „Tono.“

„Habe ein Auge auf die beiden.“ „Tono!“

Ryuji winkte mit einer Hand. Neben ihm erschien ein Europäer in einem ähnlichen Anzug. „Karl, nur um sicherzugehen solltest du auch auf sie aufpassen. Wenn sie getrennt werden hat jeder einen Aufpasser.“

Michael Berger nickte zustimmend.

Der Europäer verneigte sich leicht. „Otomo-sama.“

In einem kurzen Augenblick verschwand der Mann.

Wissend lächelten sich die beiden Paare an, bevor sie gemeinsam weiter über das Matsuri schlenderten.

„Was übrigens das Projekt Hokkaido angeht, mein lieber Ryuji…“

„Michael, kein Wort von der Arbeit. Das hast du mir versprochen“, tadelte Eri.

„Ist ja gut. Ich kapituliere, mein Schatz.“ Sie lachten zusammen.
 

3.

Ein heißer Windhauch weckte Eikichi aus einem schwarzen Abgrund ohne Träume. Sofort war der junge Mann hellwach. Das Zimmer war dunkel, kein Geräusch war zu hören.

Langsam glitt er unter der Bettdecke hervor, raffte das Schwert an sich, welches neben ihm geruht hatte und erhob sich. Offizier wollte er werden, den Samurai nacheifern, auch wenn seine Eltern dagegen waren. Es gab wichtigeres, behauptete seine Mutter immer wieder.

Vater schwieg dazu einfach. Aber im Moment war Eikichi froh, das er das schwere Kavallerieschwert neben sich gelegt hatte. Eine dunkle Ahnung machte ihm zu schaffen und der Griff um den blanken Stahl half ihm sich zu sammeln.

Leise schlich der junge Mann auf den Gang hinaus. Die Lehrstunden mit Futabe-sensei machten sich bezahlt, fand er. Lautlos und elegant huschte er durch die Dunkelheit, eigentlich eine Fähigkeit die er sich angeeignet hatte, um nachts noch etwas zu essen aus der Küche stibitzen zu können. Diesmal aber diente sie einem anderen Zweck.

Aus dem Raum seiner Eltern schien eine dunkle Aura hervor zu quellen. Etwas Finsteres, Bedrohliches. Auch wenn er nun schon achtzehn war, wenn Eikichi ohne triftigen Grund hier hereinplatzte, würde es Ärger bedeuten. Andererseits marterte ihn die Ahnung, die Angst. So leise wie möglich öffnete er die Tür einen Spalt breit – und erstarrte.
 

Tausende Emotionen gingen ihm durch den Geist, durch den Verstand, lähmten ihn, drückten ihn nieder, peitschten ihn auf, rissen ihn entzwei.

Seine Eltern lagen auf ihren Futons, die Augen weit aufgerissen und gebrochen. Blut floss über den Boden. Im Hintergrund des Zimmers lagen weitere leblose Gestalten, aber Eikichis Aufmerksamkeit wurde von dem einzigen Menschen gefesselt, der aufrecht stand.

Schwer atmend, auf seine Eltern herab starrend, in der Hand ein Katana, von dem Blut herab floss.

Seine Eltern waren tot. Und dies war ihr Mörder!

Mit einem Aufschrei riss er die Tür auf, zog die Klinge blank und sprang den Gegner an.

Sein Feind fuhr herum, die himmelblauen Augen hinter der Kapuze fixierten ihn, weiteten sich, dann kam das Katana hoch und wehrte den schlanken Kavalleriesäbel Eikichis ab.

Geblockt. Aber das war erst der erste Schlagabtausch gewesen! Er gab Druck auf die Klinge, schob seinen Feind vor sich her, und als seine Wut den Höhepunkt erreichte, da presste er den Maskierten mit einem KI-Schlag von sich fort, ließ ihn gegen die Wand schlagen.

Ein dumpfer Laut des Entsetzens erklang, dann sackte die Gestalt in sich zusammen.
 

„Eikichi“, erklang hinter ihm eine röchelnde Stimme.

Der junge Mann fuhr herum. „Karl! Karl, was ist hier geschehen?“

Er eilte zu dem Mann, der blutend an der Wand lehnte. Ein fürchterlicher Schnitt ging durch seinen rechten Arm, ein weiterer quer über seinen Bauch. „Karl, halte durch! Ich lasse Futabe-sensei rufen!“

Doch der deutsche Gefolgsmann umklammerte den linken Unterarm des jungen Mannes. „Eikichi. Hör mir jetzt genau zu! Deine Eltern sind tot, im Schlaf gemeuchelt. Der Mann, der dies zu verantworten hat, ist Juichiro Tora, unser ewiger Feind! Eikichi, jetzt wo deine Eltern tot sind, musst du das Familienerbe übernehmen! Jetzt musst du den Yodamas dienen, wie dein Vater und deine Mutter es getan haben! Es geht um die Sicherheit einer ganzen Welt, nicht nur um die Familie, nicht nur um Japan!“

Erschrocken sah Eikichi fort – und erkannte wie sein Gegner langsam hochkam. Wieder fixierten ihn die himmelblauen Augen. Dann schleppte sich die Gestalt zum nächsten Fenster hinaus.

„Verdammt!“ Wütend blieb der junge Mann an seinem Platz, presste einen Ballen Stoff auf die stark blutende Wunde des Gefolgsmanns.

„Ich lasse dich nicht sterben, Karl. Nicht dich auch noch!“

**

Der Salon war Licht durchflutet, aber Eikichi Otomo schien es, als würde er hier im Schatten stehen und sich vor dem mächtigen Mann verbeugen, dem seine Eltern gedient hatten.

Tatsächlich schien es in dieser Welt nur zwei Lichtflecken zu geben – ihn und Michael Berger.

„Wie geht es Karl?“ fragte Michael leise, nachdem Eikichi vom Tod seiner Eltern berichtet hatte.

„Er wird es schaffen. Futabe-sensei kam gerade rechtzeitig.“

„Ah, Futabe. Ein sehr großer Mann und ein formidabler KI-Meister. Einer der besten, den die Erde aufbieten kann. Es beruhigt mich zu hören, dass… Es tut mir Leid, was mit deinen Eltern geschehen ist. Aber ich bin sehr dankbar dafür, dass du am Leben bist, mein Junge.“

Eikichi senkte den Kopf. „Ich habe den Attentäter entkommen lassen. Karl hat vier von ihnen getötet, aber den fünften, um den ich mich kümmern musste, den ließ ich entkommen.“ Wütend schnaubte Eikichi Otomo aus.

Michael Berger runzelte die Stirn. „Aber deshalb bist du nicht den ganzen Weg nach Dresden gereist, mein Junge.“

„Nein, Tono. Ursprünglich bin ich hergekommen um Sie zu bitten, mich den Platz meines Vaters einnehmen zu lassen.“

„Ryuji und Nanakos Platz. Sie haben beide für mich gearbeitet. Schwer gearbeitet. Nicht zuletzt deswegen, damit du in einer guten Welt leben kannst, Eikichi.“

„Aber ich habe nachgedacht und bin zu der Entscheidung gekommen, dass ich es nicht kann. Noch nicht kann.

Tono. Wer ist Juichiro Tora?“

Michael Berger zuckte zurück. „Woher kennst du diesen Namen?“

„Karl sagte, die Mörder seien von ihm geschickt worden. Wer ist er? Was will er?“

„Juichiro Tora… Er ist ein sehr mächtiger Mann. Ein großer Krieger und viele sagen, er sei ein Magier. Er ist sehr reich und kaum zu fassen. Sehr vorsichtig. Ich habe versucht ihn töten zu lassen und es auch einige Male selbst probiert, aber bisher war er mir immer einen Schritt voraus. Was er will? Er will die Menschheit versklaven. Und dies auf dem furchtbarsten Weg, den ich mir vorstellen kann. Hm, Eikichi, was denkst du darüber, auf ewig in einem Tank eingesperrt zu sein, während Tora die Kraft deines Gehirns für seine bösen Pläne benutzt?“

„Auf ewig?“

„Oh du würdest in so einem Tank nicht altern. Du wärst nahezu unsterblich, solange dein Körper versorgt wird. Aber du wärst gefangen.“

Eikichis Hände krampften sich. „Eher würde ich sterben.“

„Das ist auch meine Antwort“, murmelte Michael nachdenklich. „Ich lehne dein Angebot ab.“

Eikichi sah auf. „Was?“

„Ich lehne es ab, dass du in meine Dienste trittst. Du bist nicht so weit. Noch nicht. Eikichi. Ich verlange von dir, dass du Karriere beim Militär machst. Wenn du Oberst bist, sprich noch einmal vor.“ Michael sah den Mann ruhig und entschlossen an. „Werde Oberst binnen eines Jahrzehnts.“

„Ich habe mich noch gar nicht entschieden, euch zu dienen, Tono!“ begehrte der Japaner auf.

„Stimmt. Aber ich habe mich bereits entschieden, dich nicht anzunehmen. Kehre nach Japan zurück. Das Familiengeschäft überlasse Karl. Ich kümmere mich um weitere fähige Leute. Konzentriere dich voll und ganz darauf, ein fähiger Offizier zu werden.“

„Tono, ich…“

„Ich brauche einen Eikichi Otomo, der ein guter Offizier und Anführer ist.“

„Tono, zum Militär wollte ich sowieso. Aber zuerst wollte ich Juichiro Tora finden und vernichten!“

Michael Berger nickte. „Und damit du das kannst, brauchst du Macht. Toras Einfluss erreicht sogar die Armee. Du wirst von innen herausfinden wie stark er wirklich ist. Und du wirst diesen Einfluss vernichten.“

Erkenntnis glomm in den Augen des jungen Mannes. „Ich verstehe, Tono.“

„Und wenn die Zeit dafür reif ist, dann werden wir ich von allen Seiten ergreifen und ihn zerquetschen!“ Wütend ballte Michael eine Hand zur Faust und Begeisterung durchflutete Eikichi. „JA, TONO!“
 

„Vater? Wer ist dein Gast?“

„Oh, Helen, komm herein. Eikichi Otomo ist hier.“

„Eikichi? Ich… ich will nicht stören.“

„Helen?“ rief Eikichi erstaunt. Zuletzt hatte er die junge Dame gesehen, als sie ein zwölfjähriges Mädchen gewesen war. Das war lange, sehr lange her und er war sehr gespannt, wie sie nun aussah.

„Du störst nicht.“ Michael winkte den jungen Japaner zu sich. „Wir wollten gerade Kaffee trinken. Geselle dich doch zu uns.“

Eikichi trat zu Michael herüber in den möblierten Wintergarten.

Zögerlich trat die junge Frau zu ihnen. Sie war schlank, groß und braunhaarig. An die braunen Haare erinnerte sich Eikichi besonders gut. Dann die Augen, beeindruckend, himmelblau. Himmelblau…

„Eikichi.“ „Was? Oh, Helen-sama, bitte, setz dich doch. Darf ich dir einschenken?“

„Eikichi, setz du dich. Du bist hier Gast. Helen wird uns die Ehre geben und uns einschenken, nicht wahr?“

Die junge Frau lächelte und Eikichi fühlte Tränen aufsteigen. Verdammt. Verdammt. Verdammt.

„Natürlich, Vater.

Es ist sehr lange her, dass wir uns gesehen haben, Eikichi. Du bist groß geworden.“

„Und du bist noch hübscher als ich dich in Erinnerung habe, Helen-sama.“

Die junge Frau wurde rot. „Ach, damals war ich zwölf und ein Kind.“

„Du bist immer noch ein Kind“, tadelte Michael lächelnd. „Zwei Stück Zucker, bitte.“

„Ja, Vater. Eikichi, möchtest du Zucker oder Milch?“

„Wir können auch Tee ordern. Helen war neulich in Japan und hat ein paar sehr schöne Sorten mitgebracht, als sie ihre Mutter besucht hat.“

„Japan? Warum hast du mich nicht besucht, Helen-sama?“

„Lass doch dieses Helen-sama“, tadelte sie ihn. „Ich… Ich wollte dich besuchen, aber es kam soviel dazwischen und…“ Unwillkürlich berührte sie ihre linke Schulter. „Und dann hatte ich noch diesen Unfall und…“ Sie sah ihm in die Augen, Mitleid heischend und flehentlich.

Bist du mir böse, schienen sie sagen zu wollen.

Unwillkürlich schüttelte Eikichi den Kopf. Nein, er war ihr nicht böse. Konnte ihr nie böse sein.

Um ihre Augen entstand ein Lächeln, das schnell ihren Mund erreichte. „Aber jetzt geht es mir besser“, schloss sie.

Eikichi nickte. Und spürte Dunkelheit in seinem Herzen aufsteigen.

**

Er hatte ein Hotel in der Stadt genommen. Und eine Fahrkarte nach Berlin in der Jacke, um so schnell wie möglich den nächsten Flughafen erreichen zu können, wenn es nötig wurde.

Im Moment aber näherte er sich dem Stadthaus der Bergers. Nicht ganz auf herkömmlichem Weg und auch nicht auf der Straße.

Er huschte eher von Dach zu Dach, verharrte in der Dunkelheit für einen Moment und suchte sich den nächsten Punkt aus, auf den er springen wollte.

Auf dem Dach selbst hatte er eine schnelle und harte Auseinandersetzung mit zwei Wächtern, die er durch K.O. für sich entschied. In nicht ganz drei Sekunden.

Nun hatte er freie Bahn. Er suchte sich den Weg zum Innenhof, wartete die Wache ab und ließ sich hineinfallen.

Das Fenster, welches er heimlich am Nachmittag präpariert hatte, erlaubte es ihm, lautlos einzusteigen.

Von dort zu seinem Ziel im ersten Stock war es wieder ein kleiner Spießrutenlauf. Wie er erwartet hatte, waren die Wachen von Michael die besten. Aber Eikichi war weit mehr als ein verzogenes Rotzgör, das auf Kosten der Eltern weitab der Realität lebte.
 

Er erreichte sein Ziel, eine kleine Zimmerflucht und drang lautlos ein.

Innerhalb des Raumes löschte er seine Präsenz wie Meister Futabe es ihm tausendmal gezeigt hatte. Sein KI reduzierte sich auf ein Minimum und ein paar Spritzer aus einem der Parfumflakons vor der Schminkkommode überdeckten seinen Eigengeruch mit einem Duft, den sein Ziel gewohnt war. Tatsächlich hatte sie dieses Parfum heute selbst aufgelegt.

Derart gerüstet schlich Eikichi in das Schlafzimmer.

Dort lag sie, zusammengerollt unter der Decke, das offene Haar wie eine Flut mit eigenem Leben auf das große Kissen drapiert. Die Augen, die verräterischen himmelblauen Augen geschlossen. So wie sie da lag und friedlich schlief, da gab es keinen Augenblick, in dem Eikichi ihr etwas Böses zutraute. Sei es in Tat oder Gedanken.

Dennoch. Leise huschte er zum Bett herüber und mit einem entschlossenen Griff bedeckte er ihren Mund mit seiner Linken.

Erschrocken riss Helen Yodama die Augen auf, sah ihn an mit den himmelblauen Augen. Doch anstatt zu versuchen zu schreien trat ein Bein nach ihm!

Eikichi lächelte dünn und konterte mit seinem eigenen rechten Bein. Mehr noch, er trat hart zu und stemmte beide ihrer Beine gegen die Matratze.

Nun kamen ihre Arme ins Spiel, doch Eikichi bereitete es wenig Mühe sie mit rechts zu packen und gegen ihren Leib zu drücken.

„Die Augen haben dich verraten“, sagte er leise. „Die Augen des Attentäters, der über dem Bett meiner Eltern stand, mit dem blutbefleckten Schwert in der Hand. Das warst du, nicht wahr?“

Nun wurde die junge Frau ganz aufgeregt, stemmte sich gegen Eikichis Griff, doch der war unerbittlich.

„Du warst es, oder?“

Schließlich nickte sie. Tränen flossen ihre Wangen hinab und undeutlich hörte er sie seinen Namen murmeln.

„Was soll ich jetzt mit dir machen, Helen-sama? Soll ich dich ersticken? Oder soll ich es riskieren und schnell mein Schwert ziehen? Wie soll ich dich töten?“

Ihre Augen brachen, als er dies sagte. Ihr Blick wurde nicht verzweifelt, nicht ängstlich. Nein, sie brachen. Sie brachen auf die Art eines Menschen, der eine große Chance verpasste, der sich in sein Schicksal ergab.

Für einen winzigen Moment fragte sich Eikichi ob es vielleicht richtig war, die Hand von ihrem Mund zu nehmen und ihr die Chance auf Verteidigung zu geben. Aber hatten seine Eltern diese Chance gehabt?

Blitzschnell riss er die Hand von ihrem Mund, ließ ihre Hände fahren und griff nach seinem Kavalleriesäbel, erwartete ihren Schrei und zog die Waffe blank. In einer eleganten Geste ließ er die Klinge auf ihre Kehle niederfahren.

Doch sie schrie nicht, im Gegensatz zu ihm, dessen Stimme durch das ganze Haus hallte.
 

Dann war es vorbei. Eikichi wusste es mit einer Endgültigkeit, die sonst nur der Tod brachte.

Er ließ den Degen fallen und strich über Helens blasse Wangen. Tränen rannen nun seine eigenen Wangen herab und fielen auf ihr Gesicht.

„Ich kann es nicht“, hauchte er. „Du hast meine Eltern getötet, aber ich kann es nicht. Ich kann sie nicht rächen. Nicht, wenn du es bist.“

Sie sah zu ihm auf, berührte seine Wange. „Eikichi, ich…“
 

„YODAMA-SAMA!“

„Geh!“ rief sie ihm zu und deutete auf ein Fenster.

Eikichi verstand. Er ergriff seinen Säbel und sprang durch die Glasscheibe nach draußen. Kurz darauf wimmelte es in ihrem Raum nur so von Wächtern.

Einer von ihnen wollte ebenfalls aus dem Fenster springen.

„Nein, Onkel Seg, es war nur…“

„Es war nur der junge Otomo, hm?“ murmelte ihr Vater. „Was für eine ungestüme Art für ein Rendezvous.“

„VATER! Das war kein Rendezvous! Das war…“

Michael tätschelte seiner Tochter den Kopf. „Ich weiß. Aber so sind die Männer nun mal. Finde dich damit ab, dass es kaum einen unter ihnen gibt, der kein Idiot ist. Und die, die es nicht sind, sind keine Männer.“

„Vater!“ tadelte sie wieder.

„Wie dem auch sei, hier kannst du nicht schlafen. Nicht bei einem zerbrochenen Fenster. Komm, du kriegst einen Gästeraum.“

„Ich glaube nicht, dass ich noch schlafen will“, murmelte sie leise. Wehmütig sah sie auf das zerbrochene Fenster. „Warum muß es so sein?“

Michael lachte. „Weil du es nicht anders verdient hast. Warum soll es dir besser gehen als allen anderen?“

„Vater!“
 

4.

„Zum Militär gehen, hat er gesagt! In zehn Jahren Colonel werden, hat er gesagt“, zischte Eikichi Otomo, während er sich in Deckung begab. In der Allgemeinsprache würde es wohl eher heißen, er drückte sein Gesicht in den Dreck. Und den Rest dazu.

Colonel war er nun, nach nicht einmal sieben Jahren. Dabei geholfen hatten ihm diverse tote Vorgesetzte, die ersetzt werden mussten – und ein massiver Krieg mit der halben Welt.

Hinter und neben ihm zischten die Kugeln der amerikanischen MGs durch den Dschungel, rissen Zweige, Blätter, japanische Körper und Knochen auseinander.

Es kam nicht oft vor, dass Eikichi sich hilflos vorkam. Es kam eigentlich nie vor. Das galt aber nur, bis dieser Krieg begonnen hatte.

Dieser Krieg, der ihn letztendlich bis hierher geführt hatte, eine kleine pazifische Insel namens La Cava, auf der sein Kommando von überlegenen Feindkräften zusammen geschossen wurde.

Weckt nicht den schlafenden Riesen, hatte man ihn einst an der Militärakademie gelehrt. Leider schienen seine Vorgesetzten genau das getan zu haben.

Zwei Zeros der japanischen Luftwaffe stürzten aus dem Morgenhimmel herab und feuerten ihre Bordwaffen auf die vorrückenden amerikanischen Truppen.

„JETZT!“ rief Eikichi und scheuchte damit seine Leute auf die Beine. „LAUFT!“

Der Strand war nicht besonders weit entfernt, lediglich einen guten Kilometer. Keine besonders große Strecke, aber unter Beschuss und mit einer Übermacht im Nacken beinahe unüberwindlich. Der Strand, die Evakuierungsboote, sie mussten ihn erreichen. Dann waren sie im Deckschatten der Geschütze eines Kreuzers, der ihnen soviel Zeit erkaufen konnte wie nötig war, bis alle Überlebenden den Strand verlassen hatten.

Seine Leute sprangen auf, einige feuerten auf die Amerikaner, aber alle rannten in Richtung Strand.

Links neben Eikichi wurde einer seiner Unteroffiziere von hinten getroffen, der junge Rekrut, der zwischen ihnen lief, schien durch die Luft geschleudert zu werden, während das Blut in Fontänen aus seiner Brust austrat.

Das nächste Opfer dieser Salve würde er selbst sein, das erkannte Eikichi Otomo mit seltener Klarheit.

Er wirbelte herum und die Welt verlangsamte sich für ihn. Er sah die Kugeln näher kommen, sah, wie sie sich rotierend durch die Luft heran schraubten, wie sie die Luft in kleinen Druckwellen von sich fort drückten… Und hinter den Kugeln, glaubte er den MG-Schützen sehen zu können, direkt in seine Augen.

Dann waren die Kugeln heran. Eikichi versuchte die Arme hoch zu reißen, aber…
 

Aber er war nicht mehr im Dschungel der subtropischen Insel. Er lief nicht mehr mit seinen Untergebenen ums Leben. Schwer atmend stürzte er zu Boden, eine Hand auf die Brust gedrückt, die andere in den Sand gepresst.

Mühsam, erst nach Minuten des Atem schöpfen, kamen ihm zwei Erkenntnisse. Er lebte noch, und er war nicht mehr auf La Cava.

Langsam hob er den Kopf.

„Keine Sorge. Es ist noch alles an dir dran, Eikichi Otomo“, sagte eine amüsierte Frauenstimme.

Eikichi wandte sich um. Vor ihm stand eine große, schwarzhaarige Frau und musterte ihn mit einem spöttischen Blick. „Und du lebst noch, falls es dich interessiert.“

Müde ließ sich Eikichi auf den Hintern sinken. „Danke. Ich war mir nicht ganz sicher und…“ Nervös kam er wieder in die Höhe. „MEINE MÄNNER!“

„Ich sagte doch, keine Sorge“, tadelte die große Frau und drückte ihn wieder auf den Boden zurück. „Dies hier ist die Dämonenwelt. Und hier ist Zeit relativ. Du verpasst dein kleines Gemetzel nicht, wenn du hier bleibst. Nun, falls es nicht allzu lange wird.“

Sie beugte sich zu ihm herunter. „Was zu trinken, Colonel Otomo?“

„Ich bevorzuge Tai-sa, aber ja, ich hätte gerne was zu trinken, wenn es keine Umstände macht.“

Sie schnippte mit der linken Hand. „Kitsune!“

Aus einem nahen Gebüsch kroch ein Fuchs hervor, stellte sich auf die Hinterpfoten und Eikichi mit klugen Augen musterte. „Was gibt es denn, Chef?“

„Dies hier ist Eikichi Otomo. Hole ihm was zu trinken. Was soll es denn sein? Bier, Sake, Wasser, Saft, Sekt, Schnaps…“

„Ich bin mit Wasser vollkommen zufrieden“, erwiderte der Japaner.

„Das ist Eikichi-chan? Wow, den habe ich mir ganz anders vorgestellt. Wesentlich klüger. Jedenfalls klüger, als in diesen Zeiten eine Uniform zu tragen.“

„Kitsune!“ tadelte die große Frau.

„Bin ja schon weg.“
 

Sie kniete sich vor Eikichi auf den Boden. „Entschuldige, aber die jungen Leute sind leicht zu begeistern und schwer zu bändigen.“ Sie strich sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haares aus dem Gesicht und lächelte ihn an. „Ich bin Dai-Kuzo, die Herrin dieser Welt.“

„Dai-Kuzo? Die große Spinne?“

Die Frau lächelte. „Dai-Kuzo. Ich bin eine Dämonenkönigin.“

Misstrauisch hob der Japaner die Augenbrauen. „Hast du mich gerettet?“

„Ich habe dich hergeholt. Aber nicht gerettet. Noch nicht.“ Ihr Lächeln wurde wahrhaft dämonisch. „Retten kannst dich nur du selbst.“

„Warum bin ich dann hier?“

Dai-Kuzo runzelte die Stirn. „Ich will dir ein paar Fragen stellen. Ich muss wissen, ob du bereit bist. Michael-tono hält große Stücke auf dich. Und Eri-tono hat dich sowieso schon an Sohnes statt adoptiert. Mich interessiert einfach, ob du die Mühe wert bist und ob du die Erwartungen erfüllen kannst.“

Sie lächelte traurig. „Dieser merkwürdige Krieg wütet jetzt schon eine ganze Weile, was? Meinst du, er endet irgendwann einmal wieder?“

Eikichi dachte an die letzten Befehle, die er bekommen hatte. An die Rückzüge in letzter Zeit. An die Nachschubprobleme seiner Einheit. „Sicherlich. Kein Krieg dauert ewig.“

„Aber bis er endet, werden noch ein paar hunderttausend Menschen sterben, oder?“ Es klang wehmütig, und Eikichi erschrak, weil er diesen Tonfall nicht erwartet hatte.

„Das ist wohl richtig.“ Eikichi ballte die Hände. „Er hätte gar nicht erst beginnen sollen.“

Amüsiert hob Dai-Kuzo eine Augenbraue. „Nanu? Sehe ich da einen Hauch Vernunft bei dir?“

Eikichi machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ursprünglich wollte ich zum Militär, um mich zu beweisen. Meinetwegen Ruhm und Ehre zu sammeln. Das wurde egal als… Als meine Eltern im Schlaf ermordet wurden. Dann befahl mir Michael, Soldat zu werden. Ich gehorchte ihm. Aber jetzt halte ich das für keine gute Idee.

Die gesperrten Erdöllieferungen der Amerikaner, die Eroberung der chinesischen Mandschurei, der Philippinen-Feldzug, Indochina… Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich gehört habe, dann bringt dieser Krieg das Schlimmste und das Beste im Menschen hervor. Und das vor allem bei meinem Volk, meinen Mitbürgern.“ Wütend ballte er die Hände. Würde er auf Verwundete im Lazarett schießen oder es gestatten? Würde er Zivilisten töten lassen, einfach weil sie da waren? Würde er… Würde er so tief sinken?

Was war das für ein Oberkommando, das solche Gräuel zuließ? Tolerierte und vielleicht sogar förderte? Gut, das galt für beide Seiten, in einem Krieg behielt niemand eine weiße Weste. Außer, er beteiligte sich gar nicht erst am Krieg. Aber im Moment hielt Eikichi jeden Krieg für sinnlos, bei dem nicht er selbst der Oberkommandierende war. Bei dem nicht jemand wie er so etwas wie einen Kodex vorgab.

Dass dieser Kodex wichtig war, sehr wichtig war, wusste er, wenn er daran dachte, wie unschuldige japanstämmige US-Bürger von den Amerikanern interniert worden waren, während Deutschamerikaner und Italoamerikaner dies nicht wurden.

Und wenn er an die Frontbordelle seiner Armee dachte, die mit koreanischen Frauen ergänzt wurden – gewiss nicht freiwillig - drohte ihm der Kopf zu platzen.
 

„Und, Eikichi Otomo? Was denkst du jetzt über diesen Krieg?“

„Er ist bemerkenswert sinnlos. Egal, mit welcher Begründung er begonnen wurde. Wir haben die Amerikaner angegriffen, weil wir glaubten sie würden verhindern, dass unsere Industrie lebensnotwendige Ressourcen bekommt. Unser Land ist arm an Bodenschätzen und reich an Erdbeben.

Die Amerikaner haben sich verteidigt und die von ihnen protégierten Gebiete zurück erobert. Sie stoppen nicht und rücken weiter vor. Und das werden sie auch noch tun, wenn sie Teile unseres Gebietes erobert haben. Ihnen geht es längst nicht mehr um Verteidigung. Unverhohlen wollen sie erobern und ihren schärfsten Rivalen im Pazifik unter Kontrolle bekommen.“

„Was nicht unbedingt schlecht sein muß.“

„Aber auch nicht gut“, konterte Eikichi. „Oder beides.“
 

Dai-Kuzo schwieg darauf einige Zeit.

Währenddessen kam Kitsune zurück, diesmal in Gestalt eines Menschen in einem kirschroten Kimono. Vor sich hielt sie ein Tablett, auf dem ein großes Glas Wasser stand. Sie reichte es Eikichi. „Und?“, meinte sie wie beiläufig, „was macht euer kleiner Krieg? Wie viele Menschen verwandelt ihr da draußen gerade in Krüppel? Und wie viele werden für Jahre verbittert und unversöhnlich wegen euch?“

„Kitsune-chan!“, ermahnte die große Spinne streng.

„Ist doch wahr“, maulte sie. „Wenn ein Krieg seine eigenen Ideale opfert, dann ist der beste Zeitpunkt ihn zu beenden lange schon vorbei.“

Entgeistert starrte Eikichi die Fuchsdämonin an. Nur zögerlich nahm er das Glas entgegen.

„Entschuldige bitte dieses vorlaute Gör“, sagte Dai-Kuzo ernst, während sie die Füchsin mit einem wütenden Blick fort schickte, „aber sie hat kein Recht die Handlungen der Menschen zu kritisieren, solange wir uns aus ihren Entscheidungen raus halten.“

Eikichi trank einen herrlichen Schluck kühles Nass, dann noch einen. Er sah über den Rand seines Glases zu der großen Spinne. „Ihr haltet euch aus den Entscheidungen der Menschen raus?“

„Das ist unsere Regel. Ihr Menschen habt eure Welt, wir Dämonen haben unsere Welt. Das ist hier so wie fast überall. Nun, es gibt Ausnahmen. Aber dafür seid ihr Menschen noch nicht bereit.“

„Könntet ihr Dämonen denn eingreifen? Könntet ihr zum Beispiel diesen Krieg beenden?“

„Natürlich könnten wir das. Binnen einer Woche wäre er vorbei. Wir könnten alle eure Schiffe versenken oder in ihren Häfen internieren, jeden einzelnen Mann entwaffen und nach Hause bringen. Wir könnten eure Politiker ersetzen und gegen Menschen austauschen, die in Krieg nicht das Wunderheilmittel sehen. Aber würde das etwas nützen?“

Traurig sah sie den jungen Mann an. „Einer der Gründe, warum wir unsere Kontakte mit den Menschen auf ein Minimum beschränken ist ihre Störrigkeit. Würden wir den Menschen befehlen, würden wir sie zwingen, würden sie nur trotzig werden. Eines Tages, ob fern oder nah, würden sie versuchen, uns zu besiegen. Egal ob wir Frieden und Wohlstand bringen. Egal ob wir besser regieren als ihre menschlichen Herrscher. Wir sind da, wir haben sie gezwungen. Also vernichten sie uns oder werden bei dem Versuch selbst vernichtet.

Sie sind so herrlich störrisch, diese Kurzlebigen.“

Eikichi dachte über diese Worte nach. Er dachte daran, wie in der Geschichte seines Volkes die Steinschlossflinten eingeführt worden waren, wie die Missionare als Verbündete ins Land gelassen worden waren… Und wie beides binnen von hundert Jahren ausradiert worden war.

Die Missionare hatten das Land verlassen müssen und die Feuerwaffen wurden vernichtet und nicht neu geschmiedet. Dann, Mitte des letzten Jahrhunderts, hatten die Amerikaner mit drei Kriegsschiffen den Shogun gezwungen, die Isolation Japans aufzuheben. Genauer gesagt Japan als Absatzmarkt für amerikanische Waren zu öffnen.

Es musste pure Ironie sein, dass die Wiedereinsetzung des Tennos und die damit beginnende industrielle Revolution Japan sehr gut getan hatte und sein Land binnen weniger Jahrzehnte zur führenden Macht Südostasiens wurde.

Anscheinend zu mächtig, dachte er grimmig.

Aber im Prinzip war dieses Schicksal genauso wie Dai-Kuzo es befürchtete. Japan hatte sich isoliert und mit der Außenwelt nur über einen holländischen Hafenkontor in Nagasaki gehandelt. Alle anderen Händler waren ausgeschlossen worden: Bis Perry mit seinen drei Schiffen gekommen war und die Japaner gezwungen hatte.

Was nicht hatte sein dürfen war beseitigt worden. Wie hatte sich Japan, ausgerechnet Japan der Segnung der amerikanischen Waren widersetzen können?

Es fiel Eikichi nicht schwer, dieses Gleichnis auf die derzeitigen Verhältnisse umzusetzen.

Eine Welt, in der ein erzwungener Friede herrschte, würde sich irgendwann gegen den richten, der diesen Frieden erzwang: Die Dämonen.
 

„Ihr könntet Menschen als Strohmänner einsetzen.“

„Und dann dabei zusehen, wie sie korrumpiert werden von ihrer Macht, von ihren Möglichkeiten? Über diesen Punkt hast du wohl nicht gut genug nachgedacht, was?“, tadelte Dai-Kuzo ernst.

„Es gibt Menschen, die nicht korrumpiert werden… Vielleicht…“

Dai-Kuzo musterte ihn wie einen Idioten. „Mein Junge. Mein guter, guter Junge. Sprich mir nach: Alle Menschen sind korrumpierbar. Und falls es dich tröstet, die Dämonen sind es genauso.“

„Wie? Seid ihr nicht auf einer höheren Stufe der Erkenntnis? Auf einer edleren Stufe des Bewusstseins?“

„Nun, so kannst du es durchaus ausdrücken, Eikichi Otomo. Wir fallen vielleicht nicht den gleichen Reizen zum Opfer wie ihr Menschen. Aber wir haben eigene Reize, denen wir erliegen können. Im Prinzip sind wir wie ihr.“

„Und was macht euch dann besser? Schlechter? Schlauer? Dümmer? Besonders? Einfacher?“

„Du solltest dringend mal einen Rhetorikkurs machen.“ Dai-Kuzo schmunzelte. „Wir sind nicht besser oder schlechter, auch wenn die meisten Dinge die euch Menschen interessieren für uns keinen Wert haben. Dafür kennen wir viele Dinge, die wir begehren, die für euch keinerlei Wert und nur wenig Substanz haben. Das ist vielleicht der Hauptgrund, warum wir so wunderbar nebeneinander leben können und Frieden halten.“ Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. „Meistens jedenfalls.“
 

„Ich verstehe. Ich glaube zumindest, ein kleines bisschen. Und wie passen Yodama-sama und Michael-sama da hinein?“

Dai-Kuzo strahlte ihn an. „Und schon sind wir wieder am Ausgangspunkt. Nun, unsere Beziehung zu den beiden und ihrem Gefolge ist… Delikat. Und unser gemeinsames Ziel ist etwas, was… normalen Menschen den Wunsch eingibt, sich eine Pistole in den Mund zu schieben und abzudrücken. Wenn du es genau wissen willst, gibt es noch einen Grund dafür, dass wir uns nicht in die Kriege der Menschen einmischen. Und eine wichtige Lektion, die du in diesem Krieg lernen musstest. Du hast sie gelernt, ich sehe es in deinen Augen. Aber bist du bereit, bist du wirklich bereit zu verstehen, was wir hier tun, ohne das du den Wunsch verspürst, vor deiner Zeit deinen Vorfahren zu begegnen?“

Dai-Kuzo schenkte ihm einen tiefen, zwingenden Blick aus vor KI nur so leuchtenden Augen. Es war ein Blick wie in eine Sonne, doch Eikichi konnte seine Augen weder schließen noch abwenden. Er fühlte sich nackt vor dieser Frau, bloß gelegt, aber nicht erniedrigt. Je länger er in diese Augen sah, desto mehr fühlte er sich erhoben, fühlte er Flügel auf seinem Rücken, die seinen Verstand in neue Höhen führten.

„Ich bin bereit“, zischte er. „Ich habe diesen Krieg gesehen und selten etwas Sinnloseres gesehen. Ich weiß nicht mehr wer mein Feind ist und wenn ich darüber nachdenke habe ich es vorher auch nicht gewusst. Ich sehe Leid und Tod um mich herum und weiß zu genau, dass der Verlierer dieses Krieges furchtbar wird leiden müssen. Aber vielleicht ist das nur ein kleiner Preis, um… Um diese Farce endlich zu beenden.

Dieser Krieg bringt in allen das Beste und das Schlechteste zutage, aber für welchen Zweck? Gibt es nicht einen edleren Grund, sein Leben zu wagen? Etwas, was auch Schmerzen, Tod und Verdammnis bringt, aber zum Teufel noch mal dieses Risiko wenigstens lohnt?“

„Die meisten Kriege, ach, alle Kriege sind Knochenmühlen, in denen sinnlos gestorben wird. Jeder Krieg der ausbricht, in dem gekämpft wird ist bereits verloren, sobald er begonnen hat. Verloren für jeden Menschen, der darin stirbt. Vielleicht ist das Ziel, das es zu erreichen gilt edel genug einen Tod zu rechtfertigen. Aber kein Kommandeur sollte jemals vergessen wofür ein anderer starb. Und dieses Opfer immer würdigen.

Das macht einen Krieg nicht besser, nicht verständlicher. Und es hilft nicht, ihn besser zu ertragen. Aber das ist die erste Pflicht im Krieg.

Eikichi Otomo, ich sehe das du verstanden hast. Ich werde dir jetzt etwas sagen und du wirst entscheiden ob du mehr wissen willst. Ob du bereit bist für die reine Wahrheit, für unsere Ziele und die reelle Wirklichkeit über diesen Krieg hinaus.

Michael-tono und Eri-tono sind Menschen, die auf einem anderen Planeten geboren wurden. Sie sind seit dreihundert Jahren auf dieser Welt und helfen uns Dämonen bei unserer großen Aufgabe: Die Erde zu verteidigen. Die ganze Erde und nicht nur einen Staat oder einen Kontinent.“ Sie sah Eikichi auffordernd an.

Der junge Offizier schluckte hart und nickte. „Ich will mehr wissen. Ich will die ganze Wahrheit wissen.“

**

Als die Kugeln auf ihn zurauschten, riss Eikichi Otomo die Arme hoch. KI brandete als sichtbare Aura an seinen Händen auf; er schlug nach den heißen Bleigeschossen und trieb sie aus ihren Bahnen. Seine KI-Beherrschung überraschte ihn, aber im Moment, nach all dem was er von Dai-Kuzo-sama erfahren hatte, wäre er bestimmt motiviert und stark genug gewesen, um die amerikanischen Truppen alleine auszuheben.

Er starrte auf seine Hände, während seine Gedanken sich zu ordnen versuchten. Nein. Nicht hier, nicht jetzt und nicht diese Soldaten. Eikichi warf sich herum, griff rechts zu Boden und packte seinen Rekruten und seinen Unteroffizier am Kragen. Dann schleppte er die beiden so schnell er konnte hinter sich her. „Heute wird nicht mehr gestorben, meine Herren!“
 

5.

Die Szenerie war gut gesetzt. Der Mond stand am Himmel, zu zwei Dritteln gefüllt, die Nacht erfüllte die Luft mit ihren Düften und Geräuschen und der Wald lag finster dar wie in einem Märchen.

Bis ein heller Lichtblitz die Szenerie erhellte. Zwei menschliche Silhouetten sprangen von Baum zu Baum, änderten ständig ihre Richtungen, blieben aber zusammen. Der Grund für die Kurswechsel waren Dutzende Kugeln, die hinter ihnen herzischten, Bäume und Laub trafen.

Danach folgten gut zwanzig weitere Silhouetten.
 

„Flieh!“, rief eine der fliehenden Gestalten. „Ich halte sie auf!“

„Nein, Karen, nein! Wir fliehen zusammen oder gar nicht! Vortein wird mir den Kopf abreißen, wenn dir auch noch etwas zustößt!“

„Darum geht es nicht, du Dummkopf!“ blaffte die Frau namens Karen. „Helen, du bist meine! Ich bin dein Bluthund, und es ist meine Pflicht, für dich zu kämpfen und notfalls zu sterben! Angrid… Angrid hat nur seine Pflicht getan und kam dabei um. Genau das hat Mutter auch gesagt. Genau das hat Vater auch ge… AUUUU!“

Zornig rieb Helen Berger ihre rechte Faust, mit der sie der anderen eine saftige Kopfnuss verpasst hatte. „Die Luft, die du mit reden verschwendet hast, hättest du mit laufen verbringen können! Und jetzt komm endlich!“

Helen setzte sich wieder in Bewegung und Karen folgte ihr automatisch. Wieder wichen sie Beschuss aus, wechselten erneut die Richtung.

„Wie viele sind es, Karen?“

„Drei Menschen, die KI beherrschen und achtzehn Cyborgs. Ich schätze, wir haben gefunden was wir gesucht haben! Jetzt sollten wir uns darauf konzentrieren, hier auch wieder raus zu kommen.“

„Wir. Das ist richtig“, stellte Helen zufrieden fest.
 

Der Verdacht, der die beiden Frauen, die beiden Naguad hier her gebracht hatte war zu heiß gewesen um ihn auf die lange Bank zu schieben. Seit Jahrhunderten jagten sie, das heißt die Dämonen und die Naguad den Magier Juichiro Tora. Und heute Nacht hatten sie vielleicht sein Versteck auf Hokkaido entdeckt.

Über die üblichen Kanäle hatten sie ihre Erkenntnis weiter gemeldet. Aber die Situation duldete keinen Aufschub. Sie hatten selbst sehen müssen, ob die Information richtig war – und wenn es die Gelegenheit zuließ hatten Helen und ihre Cousine Karen das tun wollen, was seit zweihundert Jahren regelmäßig Dämonen und Naguad misslang: Den Erzverräter töten.

Aber irgendetwas war schief gelaufen, von den heimlichen Schatten der Nacht waren sie zu Gejagten geworden.

Nun, zumindest hatten sie herausgefunden, dass der Magier seit der letzten Schlacht wieder enorm an Macht gewonnen hatte. Zeugnis davon waren ihre zwanzig Verfolger. Und auch wenn sie ihn nicht selbst fassen konnten, seine Basis zu vernichten, seine Gefolgsleute zu vernichten und vielleicht seine Ressourcen reduzieren war einen Angriff mehr als wert.
 

Karen sah halb nach hinten, zog ihre Pistole und feuerte zwei schnelle Schüsse ab. Die Kugeln flogen als gleißende Schemen in die Nacht hinaus und hinterließen einen Lichtblitz, als sie auf ihr Ziel trafen. „Neunzehn“, keuchte sie, wechselte erneut die Richtung und trieb Helen vor sich her. „Leider sind sie jetzt gewarnt. Das wird sie langsamer machen, aber auch schwerer zu treffen!“

Helen spürte eine Erschütterung in ihrer direkten Umgebung; etwas, was nicht in den Wald passte. Und das konnte nur ein Mensch oder ein Cyborg sein. Er umging sie seitlich und wollte von Rechts angreifen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie seinen Kugeln elegant auswich, auf einem niedrigen Ast Halt fand und sich zu einem Angriff auf den Feind katapultierte. Ihre Fingernägel glühten auf und schienen zu wachsen. Mit diesen zehn KI-Klingen fuhr sie dem Gegner über die Brust. Er verging in einer Fontäne aus Metall, Blut und Schrott.

Schnell holte sie Karen wieder ein. Sie konnten es nicht mit allen aufnehmen, nur jene vernichten die ihnen zu nahe kamen, bevor sie die beiden Frauen genug verzögert hatten, dass die Übermacht heran kam.

„Wie weit noch?“

„Unser Wagen steht einen halben Kilometer entfernt. Bete, dass sie ihn noch nicht gefunden haben“, antwortete ihre Cousine.

Helen lachte trocken. Sie stieß sich von ihrem Ast herab, rollte kurz über den Boden und lief ein paar Meter auf die Lichtung vor ihnen hinaus – und blieb abrupt stehen.
 

Ungläubig riss sie die Augen auf. Vor ihr stand… Eikichi?

Der Hochgewachsene Japaner hob ein großes Rohr und hievte es auf seine Schulter. Eine Bazooka?

Sie sah in seine Augen, tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Wie kam er hier her? Was wollte er hier? Wo hatte er die Bazooka her, davon hätte sie auch gerne ein paar für ihr persönliches Arsenal. Litt er immer noch unter der Szene damals im Schlafzimmer seiner Eltern? Litt war in diesem Fall jedoch eine sehr starke Verniedlichung, gestand sie sich ein. Er musste sie abgrundtief hassen.

„RUNTER, DUMMKOPF!“ blaffte er sie an. Automatisch ging sie auf die Knie, und Eikichi feuerte die Panzerfaust in die Bäume ab.

Neben ihm stand ein großer grauhaariger Mann, hielt mit der Linken Karen gepackt – ausgerechnet einen ausgebildeten Bluthund der Taral – und mit der Rechten ein schweres MG, als wäre es nur eine leichte Pistole. Durch den Lichtblitz wurden menschliche Umrisse sichtbar, auf die der große Mann sofort das Feuer eröffnete.

Helen fand es bemerkenswert, dass die Waffe in seiner Hand nicht einmal zu rucken schien, geschweige denn ihren üblichen Rückschlag hatte.

Nun eröffneten auch neben und hinter Eikichi und dem großen Mann weitere Soldaten das Feuer.

Die angreifenden Menschen und Cyborgs liefen direkt in einen Hagel aus Blei.

Schon setzten sie zurück, flohen.

Eikichi zog seinen alten Kavalleriesäbel. Er sah den Weißhaarigen an, dessen MG rot nachglühte. „Karl.“

„Schon in Ordnung, Eikichi. Ich passe auf die beiden auf. Hol dir die Beute.“

Eikichi grinste schief und lief los. Seine Leute folgten ihm lautlos.

Helen richtete sich auf, sah Mündungsblitze im finsteren Wald aufleuchten, hörte grausige Schreie. Aber all das entfernte sich immer weiter von ihnen.
 

Karl ging vor ihr in die Hocke. Karen hatte er mittlerweile los gelassen; sie saß auf dem nassen Boden und rieb sich das schmerzende Handgelenk während sie über grobe Männer fluchte.

„Du bist mir ja ein Dummkopf, Kleines. Alleine mit deinem Bluthund ein Nest ausheben zu wollen. Willst du enden wie Angrid?“

Karens Kopf wurde knallrot und Helen duckte sich. Dies war der Mann, mit dem sie damals, im Schlafzimmer von Eikichis Eltern…

„Wenigstens warst du schlau genug, dem nächsten Posten Bescheid zu geben, wohin du aufbrichst. Eikichi war vollkommen aus dem Häuschen. Er hat alles zusammengerafft, was er auf die Schnelle kriegen konnte und ist dir hinterher. Wenn dir und Karen was passiert wäre, Mädchen, dann wäre er nie wieder froh geworden. Weißt du das?“

Helen sah den großen grauhaarigen Mann an. Übergangslos sank sie zu Boden und fiel in tiefste Finsternis.

**

Als sie erwachte, lag sie auf einem Futon. Sie war sauber, soweit sie das feststellen konnte und roch leicht nach Jasmin.

Das war Karens Handschrift, sie liebte Jasmin über alles.

Hatte sie ihrem Bluthund also doch wieder Arbeit beschert. Helen seufzte bei diesem Gedanken.

„Du bist endlich wieder wach. Das ist gut.“

Die Stimme elektrisierte sie, versetzte sie in Höhen und gleichermaßen in Panik. Sie wandte den Blick zur Seite.

Neben ihrem Futon kniete Eikichi. Er trug nun einen weißen Kimono. Neben ihm ruhte der Kavalleriesäbel, auf dem immer noch Blutflecken zu sehen waren. Ein dickes weißes Tuch aus Reispapier lag bereit.

Eikichi Otomo war etwas älter geworden, aber für seine fünfzig Jahre sah er noch sehr, sehr gut aus. Und sein Lächeln war weit intensiver als damals, als…

„Du bist jetzt in Sicherheit, Helen. Dies hier ist mein Privathaus. Karen ist nebenan bei meinen Leuten und trinkt mit ihnen Sake. Sie hat es sich verdient, denn sie hat sich von vorne bis hinten um dich gekümmert und in dieses Bett gesteckt.“ Abwehrend hob Eikichi die Hände. „Ich bin erst seit gut zehn Minuten hier.“
 

Die beiden musterten sich eine Zeitlang. „Wir haben den Stützpunkt ausgehoben. Aber Tora war nicht mehr da. Genauer gesagt scheint er seit Wochen nicht dort gewesen zu sein. Dennoch, ein vernichteter Stützpunkt ist ein Erfolg, den wir mit Stolz weitermelden können.“

Eikichi atmete tief ein und wieder aus. Dann sah er sie wieder an. „Apropos Stolz. Ich… Ich bin jetzt bereit und habe keine Bedenken mehr. Die Konsequenzen mögen sein wie sie wollen, ich werde sie tragen.“

Erschrocken riss Helen die Augen auf. Der Kimono war weiß! Dazu der Säbel und das Reispapier! Wollte dieser Idiot etwa Selbstmord begehen? Der japanischen Tradition des Seppuku folgen? Wollte er in den Tod gehen, weil er sie nicht töten konnte und anders sein Gesicht vor den Eltern nicht wahren konnte.

„Während ich rede werde ich…“, begann Eikichi und griff nach dem Schwert.

Helen schnellte sich vor, landete an seiner Brust und hielt seine Arme auf.

„Du Idiot!“ schluchzte sie. „Du verdammter Idiot, Eikichi! Warum lässt du mich auch nie reden? Ich habe sie nicht getötet! Du musst sie nicht rächen und du musst auch nicht für sie sterben!“

„Sterben? Für wen? Was? Worum geht es, Helen?“

„D-deine Eltern! Als ich damals mit Karl im Schlafzimmer deiner Eltern war, da hatte ich sie retten wollen! Aber ich kam zu spät, ich konnte nur noch Karl retten und die letzten beiden Attentäter töten. Als du dann rein kamst, da… Du hast dich nicht beruhigt und ich bekam es mit der Angst und… Als wir uns dann in Dresden gesehen haben da… Als du in meinem Zimmer standest da war ich bereit zu sterben, wenn nur du es bist, der mich tötet. Du musst nicht sterben, Eikichi! Und wenn doch, dann nimm mich mit dir!“

Der Soldat starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Sein Kiefer war nach unten geklappt. Dann ging sein Blick auf den vorne offenen Kimono, seinen Säbel und das Reispapier. Schließlich zu der Frau, die sich an ihn drängte.

Er begann schallend zu lachen. „Dummkopf! Das Papier ist dazu da um meine Klinge zu reinigen, mehr nicht.

Denkst du wirklich, es können dreißig Jahre vergehen ohne dass Karl mir erzählt wie es damals wirklich war? Oder das dein Vater mir nicht irgendwann einmal erzählt – erzählen muss – was damals passiert ist?

Ich weiß schon seit ich dir in deinem Zimmer in Dresden in die Augen sah, dass du meine Eltern nicht getötet hast.

Entschuldige, aber ich habe versucht dich zu töten. Ich habe mich dessen sehr geschämt und selbst ein ganzer Krieg konnte diese Scham nicht aus meinem Herzen vertreiben. Ich habe mich auf die Jagd nach Tora eingelassen und versucht, dich aus meinen Gedanken zu verdrängen. Ich war richtig gut darin. Ich konnte drei Jahrzehnte auf dich verzichten.“

Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. „Aber dann tauchst du direkt vor mir auf und alles kommt zurück. Dreißig Jahre sind wie weg gewischt, als hätte es sie nie gegeben. Du stehst vor mir und ich fühle mich genau wie damals.“

„Du wusstest es? Und du hast es mir nie gesagt?“ Es war kein Tadel in ihrer Stimme. Nur Bedauern über verschwendete Zeit.

Langsam nahm Eikichi die Frau in seine Arme. „Helen. Wir haben unendlich viel Zeit. Wir haben tausend Jahre und mehr, um… Ich bin kein KI-Meister mit der Kraft deiner Eltern. Aber es reicht um tausend Jahre mit dir zu verbringen. Und ich werde den Teufel tun, noch einen einzigen weiteren Tag zu verschwenden. Mag kommen was da wolle, ich kann Tora jagen, die Erde beschützen und dich lieben.“

Entsetzt krallten sich ihre Hände in seinen Kimono. „Was?“

„Darf ich das nicht sagen? Ich liebe dich, Helen Berger“, sagte er mit sanfter Stimme.

Tränen flossen über ihre Wangen, auf seine Brust, während ihr Gesicht sich an seinen warmen Leib anschmiegte. „Sag es bitte noch mal, Eikichi.“

„Ich liebe dich.“ „Noch mal. „Ich liebe dich.“

„Gut.“ Sie sah auf. „Und jetzt beweise es mir.“
 

Langsam griff sie zum Gürtel ihres Yukatas und zog ihn auf. Ebenso langsam strich sie das Gewand nach hinten.

Eikichi betrachtete ihren wunderschönen, makellosen Körper. „Deine Cousine wird mich umbringen, wenn ich…“

„Pst“, machte Helen und verschloss seinen Mund mit ihrem rechten Zeigefinger. „Dieser Moment gehört einzig uns. Dieser Moment, diese Nacht und das ganze Leben, das darauf folgt.“ Sie griff seinen Gürtel und öffnete ihn.

„Ich lasse dich nicht mehr gehen, Eikichi. Nie wieder.“
 

Epilog:

Beim Gedanken an diese Nacht, beim Gedanken an die vielen Nächte die folgten, voller Gier, Leidenschaft, Liebe und Hunger, ging ein kalter Schauer über seinen Rücken. Er konnte nicht anders und für seine Kinder hoffen – für alle seine Kinder, für die ganze Rasselbande von Akira – dass sie in ihren Leben eine solche erfüllende, unglaubliche Liebe finden konnten.

Mit einem weiteren Seufzer kehrte er in die Realität zurück. Und das waren über zwanzig bewaffnete Kommandosoldaten mit auf ihn gerichteten Schnellfeuergewehren.

Er hielt für einen Moment den Atem an und lauschte. „Ich höre keine Schüsse, Major Stafford.“

„Natürlich nicht. Niemandem wird etwas geschehen, wenn sie kooperieren.“

„Ist die Operation abgeschlossen?“

„Die einzelnen Einheiten haben Vollzug gemeldet und befinden sich auf ihren Positionen.“

Ekichi atmete aus. „Gut. Ouroboros.“

Die Schlange, die sich selber fraß, ein mythologisches Symbol für was? Dummheit? Die Ewigkeit, Zyklen? Auf jeden Fall für unerwartete Handlungen. Eikichi grinste wölfisch.
 

In den Reihen der Kommandosoldaten entstand Unruhe. Der Mann, der mit Akira auf dem Mars gewesen war, trat einen Schritt vor. „Entschuldigen Sie, Commander, aber meinten Sie vielleicht Oruboru?“

Ein anderer meldete sich zu Wort. „Oder eventuell Oroburu?“

„Nein“, mischte sich der Major ein, „sicher war es Orosboros. Oder?“

Eikichi hatte plötzlich stechende Kopfschmerzen. Natürlich, das hätte er sich ja denken können! Ein so ungewöhnliches Wort konnte leicht bei Übersetzungen verstümmelt oder der Landessprache angepasst werden.

„Commander?“, fragte Stafford vorsichtig.

„Wie dem auch sei, wer auf meiner Seite steht, möge jetzt handeln.“

Nun entstand neue Unruhe in den Reihen der Kommandos.

Endlich riss der Erste in jähem Erkennen die Augen auf. „OROSBOROS!“

„ORBORO!“ „OROSBOROS!“ „OROBURU!“ „ORUBORU!“ Die hektischen verschiedenen Versionen des Codeworts wechselten sich schnell ab und die Soldaten reagierten. Jeder von ihnen trug eine kleine Fahne auf der rechten Brust, mit der seine Nationalität definiert wurde. Nun griffen die Soldaten nach dieser Fahne und rissen das mit Klett befestigte Stück Stoff ab.

Danach richteten die Kommandos die Waffen aufeinander, auf der Suche nach jemandem, der das Fahnentag noch trug.

„Keine Bewegung! UEMF!“ „Delta Force!“ „SAS!“ Die Namen der Spezialeinheiten wechselten in schneller Folge und schnell winkten die Waffenläufe eher hilflos auf der Suche nach Zielen durch den Raum. Keine einzige zeigte mehr auf Eikichi.

„Verdammt noch mal!“ blaffte Stafford wütend. „Gibt es denn hier im ganzen Raum nicht einen Soldaten, der wirklich im Dienst des Legaten steht?“

„Anscheinend nicht“, bemerkte Akiras Waffenbruder amüsiert. Er zog ein neues Tag hervor, das einen Hawk-Mecha vor dem Hintergrund des Pazifiks zeigte und befestigte es auf der rechten Brust – das Zeichen der United Earth Mecha Force. „Aber das heißt nicht, dass es da draußen nicht noch welche gibt.“

Lautes Gelächter ging durch den Raum.

„Na, von mir aus. Wäre mir auch schwer gefallen, die guten Teams auseinander zu reißen, die wir in den letzten Tagen gebildet haben. Also, Leute, Trupp eins bleibt hier, und der Rest räuchert diese kleine Rebellion aus!“

„JAWOHL, SIR!“

Stafford grinste Eikichi Otomo an. „Nur ne kleine Panne, Sir. Entschuldigen Sie die Störung.“
 

Otomo indes konnte nicht mehr an sich halten. Er lachte lautstark und musste sich schließlich den Bauch halten.

„Oh, ihr Menschen“, murmelte er, nachdem er sich etwas beruhigt hatte, „ich liebe euch. Ich liebe euch alle.“

„Beruhigend zu hören“, ließ sich der Kommando vom Mars wieder vernehmen. „Lieutenant Riggs, Sir. U.S. Marine Corps. Habe damals mit den Kollegen von der Spetznats beim Schutz der Slayer geholfen. Habe die Zeit nicht vergessen. Und auch nicht, was Akira und Sie geleistet haben.“

Eikichi musterte den jungen Mann und seine drei Begleiter eindringlich. „Hm. Gut. Aber würden Sie das Dokument auf meinem Schreibtisch unterschreiben, das die Erde und den Mars zu Akira Otomos persönlichen Eigentum macht?“

Der große Marine zuckte die Achseln. „Ich bin hier, ich verteidige Sie, Sir. Nehmen Sie das als meine Antwort. Und als die Antwort meiner Kameraden.“

Wieder lachte Eikichi. Aber es war ein leiseres Lachen, wehmütig und ein wenig zu ernst. „Hat sich was damit, dass ich diesmal der Mittelpunkt bin, Akira“, murmelt er leise.

Dann setzte er schwungvoll seinen Namen unter das Dokument, machte einen Scan und schickte es um die ganze Welt.

Ein ganzer verdammter Planet gehörte nun Akira Otomo, nein, ein ganzes verdammtes Sonnensystem. „Hoffentlich kann er wirklich nichts damit anfangen“, murmelte Eikichi in einem Anflug von Panik leise.

**

„Colonel?“

Makoto sah auf. Auch wenn sich die Situation schlagartig beruhigt hatte, gab es noch immer eine Menge zu tun. Na, wenigstens hatte er ausschlafen können. Und Auge in Auge mit Kei Takaraha und Jora Kalis reden können. Der kleine Schwindel war übrigens mittlerweile aufgeflogen, aber Kenji, Takashi und die anderen Kommandeure der Hekatoncheiren hatten sich hinter sie gestellt und das Schlimmste verhindert. Immerhin, nicht alles entwickelte sich schlecht.

„Was gibt es denn, Hitomi?“

„Eben kamen zwei Anfragen auf ein Direktgespräch herein.“

„So?“ Direktgespräche. Mittels ihrer Kommunikationstechnik hielten sie eine permanente Standleitung zur Erde, auf der ein riesiger Strom an Daten in beide Richtungen ausgetauscht wurde. Auf diesem Weg wurden Fernsehen, Radio, Datenbanken und persönliche Post ausgetauscht. Und manchmal auch Direktgespräche.

„Durchstellen. Wer ist denn dran?“

„Eines kommt von Executive Commander Eikichi Otomo, OLYMP.“

„Gut, das wird wahrscheinlich endlich die Antwort auf meine Anfrage sein, ob Onkel Eikichi bei Akiras Spiel mitspielt – oder ob die Reservebank ihm den Spaß verdirbt. Und das andere Gespräch kann warten.“

„Nun, wie man es nimmt. Der Gesprächspartner sitzt im Nag-System, genauer gesagt auf Naguad Prime.“

„Akira? Stell durch, Hitomi!“
 

Ein Bildschirm erwachte vor Makoto zum Leben und zeigte Eikichi Otomo, der mit einer Miene als hätte ihn jemand gezwungen Natto zu essen in die Kamera sah und ein Dokument hoch hielt. „Hallo, Mako. Mit diesem Schrieb ist das Sol-System offiziell Akiras persönliche Spielwiese. Ich hoffe, das reduziert deinen Ärger ein wenig, mein Junge.“

„Dazu kann ich vielleicht was sagen, denn im Moment baut sich eine Standleitung nach Naguad Prime auf, Onkel Eikichi.“

„Eine Standleitung? Akira?“

Ein zweiter Bildschirm flammte auf. „Hallo, Makoto-chan. Du bist ja gr… Hm, hübsch geworden.“

Beim Anblick dieser Stimme fuhr Mako herum und riss die Augen auf. „Was zum… Tante Helen?“

„Ja, glaub es nur. Ich bin es.“

„Helen? HELEN!“

„Ist das Eikichi? Hast du ihn auf der anderen Leitung? Makoto-chan, ich werde dir alles haarklein erklären was die letzten Tage hier passiert ist, aber ich rede gerade über einen Prototyp mit dir. Wir kommen bis nach Kanto, aber nicht bis zur Erde. Kannst du mich über dein Relais direkt durch schalten? Ich muß… Ich würde gerne mit Eikichi reden.“

„Natürlich. Ich richte das ein“, sagte Mako. Oder bildete er sich nur ein, etwas zu sagen? Sein Mund war so merkwürdig trocken. Verdammt, war Helen nicht von Rechts wegen tot?

Oder was hatte Mutter damit gemeint, Helen würde nach dem Unfall zu ihren Ahnen geschickt werden?

Die verdammten Naguad und ihr verdammt blumiger Sinn für Simili!

„Hitomi.“ „Colonel?“ „Bitte schalte beide Verbindungen zusammen und verschlüssele den Kanal optimal. Ich will, dass niemand davon mitbekommt, was zwischen den beiden gesprochen wird, verstanden?“ Das meiste würde privat sein, sehr, sehr privat. Und Mako war nicht in der geistigen Verfassung, einem solchen Gespräch seiner Tante und seines Onkels zu folgen.

„Verstanden, Sir.“

Mako schmunzelte, als ein Countdown in beiden Fenstern die Zeit bis zur Vernetzung anzeigte. „Danach aber, Tante Helen. Ich habe viele Fragen.“

„Und ich werde sie alle beantworten. Übrigens, Megumi, Yohko, Yoshi, Aria, Joan, Gina und Akira geht es gut. Ich soll schön grüßen. Sie melden sich die nächsten Stunden, falls die Leitung stabil genug bleibt.“

„Das ist gut zu hören“, antwortete Makoto, aber da waren beide Bildschirme schon schwarz.
 

Leise seufzend ließ sich Mako zurück sinken. „Hitomi.“ „Ja?“

„Gib eine offizielle Verlautbarung raus. Das Sol-System ist ab sofort das persönliche Eigentum des größten Trottels der Galaxis.“

„Ach, du meinst Akira? Soll ich das wirklich zitieren? Ich habe ein wenig Angst, es mir mit dem mächtigsten Mann in diesem Bereich der Galaxis zu verscherzen.“

„Sehr witzig“, brummte Mako amüsiert. „Gib mir gleich mal ne Leitung zu Stela Sidon Ryon, unserem heißen Draht zum Komitee. Es wird sie freuen, dass die UEMF nachgezogen hat. Das wird ihren mutigen Schritt unterstützen, den sie mit der bedingungslosen Kapitulation vor den Arogad gegangen ist.“

„Gleich, aber erst mal hast du einen Anruf von deiner Cousine. Sie sagt es sei wichtig, bei Yoshis haarigem Hintern.“

Mako wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, auf jeden Fall klang diese Notfallformulierung verdammt witzig.

„Stell sie durch.“
 

Ein Bildschirm erwachte flammend zum Leben und bildete seine Cousine Akari Otomo ab. Seine Wahlcousine, seine Stiefcousine, einen ehemaligen Oni, dem ein neues Leben als Mensch gewährt worden war, nachdem er die ewige Finsternis nebst unendlichem Wahnsinn in Kauf genommen hatte, um seine Freunde zu retten.

Und neben dem hübschen schwarzhaarigen Mädchen stand ein weißhaariger Junge mit dunklen Augen, Michi Torah. Tag und Nacht hatte jemand das unzertrennliche Paar mal genannt und Mako fragte sich unwillkürlich, ob die beiden schon miteinander schliefen. Und wann sie von ihm Tipps wollten.

„Bei Yoshis haarigem Hintern?“ eröffnete er das Gespräch.

„Und bei den haarigen Ei…“, begann Akari, wurde jedoch von Michi übertönt.

„Makoto-o-nii-chan, es ist ernst, verdammt ernst! Wir hatten vorhin Kontakt mit der Dämonenwelt von Kanto und wir stecken in richtigen Schwierigkeiten!“

„Definiere Schwierigkeiten. Ich dachte, die Naguad hätten die Dämonenwelt bei ihrem Angriff damals so sehr in Unordnung versetzt, dass uns von dort keine Gefahr droht.“

„Du erinnerst dich an den ursprünglichen Plan der AURORA, in das Chaos von der Gaswelt Letus einzutauchen, sich im Trümmerfeld zu verstecken und von dort die Evakuierung der Anelph des Komitees voran zu treiben?“

„Ja, ging durch unseren Fehlsprung ja etwas daneben.“

Michi strich sich eine widerspenstige weiße Strähne aus dem Gesicht. „Verdammt, Makoto-o-nii-chan! Wir sind nicht die einzigen, die auf diese Idee gekommen sind. Sag mal, haben wir hier noch einen Feind zu fürchten, außer den Naguad?“

„Eigentlich nicht. Was ist denn da draußen, dass es sogar die Dämonenwelt spürt?“

Michi grinste kalt. „Wie wäre es mit ein paar hundert Angriffsschiffen vom Format einer imperialen Fregatte?“

„Scheiße. Und ich dachte, ich hätte hier mal Ruhe!

Hitomi! Stiller Alarm! Nutze sofort die Standleitung und lass dich mit Akira verbinden! Ich will wissen, was das da draußen sein kann! Und ich will alle wichtigen Offiziere zu einer Konferenz hier in der Axixo-Basis haben, persönlich, nicht virtuell! Und schick eine Korvette aus, sie soll sich vorsichtig bei Letus umsehen!“

„Verstanden. Die Kacke dampft also mal wieder, was?“

„Über das dampfen sind wir schon weit hinaus“, bemerkte Akari trocken.

„Und ihr beide kommt auch zur Konferenz. Sagt Ami Bescheid. Die Slayer sollen auch kommen!“

Plötzlich war Makoto sehr müde. Er rieb sich den Nacken. Ha, Joan hätte schon gewusst, wie sie ihre Finger ansetzen musste, wie sie seine Muskeln zu kneten hatte und ihm dieses warme Gefühl der Behaglichkeit verschaffen konnte. Aber sie war nicht hier. Und im Angesicht der Bedrohung, die dort unerkannt um Letus heranwuchs war er sehr froh darüber.

„Konferenzbeginn in einer Stunde.“ Er sprang auf. Anscheinend brauchte es nicht Akira, um etwas wirklich Verrücktes zu erleben. Aber irgendwie tröstete ihn dieser Gedanke gerade nicht.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2007-04-09T12:16:40+00:00 09.04.2007 14:16
Ich schließe mich voll und ganz an. *g*
ich weiß nur nicht, was ich noch schreiben soll, da ich mich immerzuwiederholen muß: Du schreibst echt Hammergeilomatiko!
Von:  Miyu-Moon
2006-06-02T11:06:56+00:00 02.06.2006 13:06
ha, Akira der größte Trottel der Galaxis....das war gut.^^


Zurück