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Die sieben Schicksale

von

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Die Zefrir

Während die Freunde sich mit Margus unterhielten, fand im Hafen von Tritos ein anderes Gespräch statt. Dort lag am Kai elf ein schnittiger aus Mahagoniholz gefertigter Drei-Master vor Anker. So oft die Seeleute den Segler auch schon gesehen hatten, jedes Mal bewunderten sie die hölzerne Figur am Galion aufs Neueste. In liebevoller Gestaltung und bis ins kleinste Detail erarbeitet, zeigte sie Zefrir, das Einhorn der Meere, das scheinbar wie lebendig das Schiff durch das Wasser zog. Der Kopf mit dem langen Horn auf der Stirn war lang gestreckt. Die Mähne wehte wild in der Luft. Die Beine waren wie in einem schnellen Lauf weit ausgestreckt. Bei stürmischer See hatte es immer den Anschein, als wenn Zefrir sich durch das raue Wasser, das sich an ihm brach, hervorkämpfen würde. Zu beiden Seiten des Bugs standen in großen, verschnörkelten Messinglettern sein Name, und damit auch der Name des Schiffes. Einige Männer der Besatzung, die aus Menschen und Elben bestand, luden Kisten und Truhen voll mit feinsten Stoffen, Teppichen und Gobelins und Fässer mit Proviant und Wasser auf das Schiff. Andere Mitglieder waren damit beschäftigt, die Ladungen in den Schotten zu verstauen, das Deck zu säubern und die Segel zu flicken.

Ein Mann von Anfang dreißig lief mit großen Schritten hinunter zu den Kabinen im Vorderdeck, wo sich auf der Steuerbordseite die Kapitänskajüte befand. Er klopfte kurz, aber kräftig an die Tür und stieß sie auch schon sofort auf. Die gesamte linke Wand wurde von Regalen eingenommen, hinter dessen Glastüren ordentlich aufgereiht Bücher über die Seefahrt, Länder Eredians, Schiffsbau und Seekarten befanden. An der rechten Wand standen längs eine schmale Koje und eine große Truhe mit Kleidung sowie ein kleines Schränkchen mit einer schnörkellosen Schale, gefüllt mit Wasser. Zwei Laternen hingen gleichmäßig verteilt von der Decke herab und spendeten abends, wenn das Tageslicht verschwunden war, genügend Licht. Vor den Regalen befand sich ein Schreibtisch aus kräftiger Eiche, hinter dem eine Elbin saß und mit einem weißen Federkiel Eintragungen in einem kleinen Buch machte. Die kurzen, bordeauxroten Haare waren zu einem Seitenscheitel frisiert und fielen ihr ins Gesicht. Dabei wurden die leicht gebogenen Augenbrauen und die mandelförmigen haselnussbraunen Augen verdeckt. Die gerade, kleine Stupsnase war vor Konzentration leicht gekräuselt und die vollen Lippen waren gespitzt. Ein weißes Rüschenhemd lag locker auf den schlanken, aber doch kräftigen Schultern, dessen bauschigen Ärmeln bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt waren. Sie sah nicht auf, als der Mann die Tür schwungvoll aufriss und vor den Schreibtisch trat. Unbeirrt tunkte sie die Federspitze in ein Fässchen und schrieb weiter.

"Was gibt es?", fragte sie mit rauchiger Stimme, die es gewohnt war Befehle zu erteilen.

"Tobey kam gerade zurück", sprach der Mann. Sein Name lautete Christian Bradshaw und war Erster Offizier auf der Zefrir sowie ein enger Freund der Elbin. Vor fünf Sommern war er der Besatzung von Natalya, der ,Roten Rächerin', wie sie auch genannt wurde, beigetreten. Den Namen verdankte sie den vielen Auseinandersetzungen mit den Piraten, denen sie sich mutig entgegenstellte und dabei schon das eine oder andere Schiff versenkt hatte.

"Ich hatte ihm aufgetragen", sprach Chris weiter, "sich ein wenig in der Stadt umzuhören. Dabei hat er erfahren, dass Cooking Jack in der Stadt ist."

Natalya hielt im Schreiben inne und hob erstaunt den Kopf.

"Jack ist hier?", hakte sie nach. Chris nickte bestätigend mit dem Kopf. Natalya legte die Feder neben das Büchlein und lehnte sich im Stuhl zurück. Von ihrem Platz aus blickte sie nachdenklich aus dem Bullauge hinaus und sah auf das Achterdeck eines Handelsschiffes, das am Kai neben der Zefrir ankerte.

"Die ,Wild Bull' liegt doch hier auch vor Anker, oder?", fragte Natalya schließlich.

"Ja, das ist richtig. Es gab auch schon eine Auseinandersetzung zwischen Jack und Gorick, die aber glimpflich ausgegangen ist. Tobey hatte nämlich gehört, dass eine Frau, wahrscheinlich eine Freundin von Jack, sich in das Geschehen eingemischt hat. Sie soll Gorick sogar mit einem Bogen bedroht haben."

"Was hat Gorick vor?"

"Er sammelt seine Männer um sich", antwortete Chris. "Er scheint ziemlich wütend zu sein und ist auf Vergeltung aus."

"Und wo hält sich Jack auf?", wollte Natalya wissen. Sie kannte Gorick und wusste, dass er brutal und unberechenbar war. Niederlagen hatte er noch nie akzeptieren können. Und schon gar nicht, wenn diese durch eine Frau kam. Von einer Frau besiegt zu werden, war für Gorick die größte Demütigung von allen. Er wird sich grausam an ihr rächen, dachte Natalya grimmig.

"Er wollte zum alten Einsiedler."

"Gut", meinte die Elbin und verließ mit entschlossenen Schritten die Kajüte, während Chris neben ihr Schritt hielt. "Die Männer sollen die Ladung auf das Schiff bringen, und zwar schnell. Sie können sie später immer noch verstauen. Dann bringst du die Zefrir zur Bucht bei den Klippen. Da ist ein Landesteg. Ich werde dort mit Jack auf euch warten."

"Willst du etwa alleine gehen?", fragte Chris unbehaglich. Der Gedanke, dass sein Kapitän Gorick allein gegenüberstehen würde, gefiel ihm nicht.

"Ich will Gorick nicht warnen."

Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich Natalya von ihrem Freund und lief mit sicheren Schritten die Planke zum Kai hinunter, während Chris mit lauter Stimme den Männern Befehle zurief sich zu beeilen und die Ladungen vorerst auf das Deck abzustellen. Langsam und darauf bedacht keine Aufmerksamkeit zu erregen, ging Natalya die Straße entlang, wobei die Enden ihrer roten Schärpe, die sie um ihre Taille gebunden hatte, wild um sich flatterten und der stärker werdende Wind am Kragen der Bluse zerrte. Sobald die Elbin die Stadt verlassen hatte, lief sie geschwind über den grasigen Untergrund hinauf zur Ebene, wo die kleine Hütte des Einsiedlers stand. Dort blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte überrascht auf den weißen Höllenwolf vor sich, der sie mit gesträubtem Nackenfell bedrohlich anbellte und ihr die gefährlichen Fangzähne zeigte. Hinter einem der Fenster der Behausung erschien das Gesicht des alten Mannes und kurz darauf öffnete sich auch schon die Tür. Natalya erkannte Jack sofort, der zusammen mit einer jungen Frau aus der Hütte heraustrat, die zu dem Karach´nak ging und ihm sanft eine Hand auf den Kopf legte, woraufhin er seine Angriffshaltung aufgab und die Elbin mit aufgerichteten Ohren wachsam beobachtete, während Jack auf sie zutrat.

"Natalya, schön dich mal wieder zu sehen", begrüßte er sie lächelnd und mit einem fragenden Unterton in seiner Stimme. Er fragte sich, was die junge Elbin zu Margus führte und bekam prompt die Antwort darauf.

"Gorick ist auf den Weg hierher", kam Natalya ohne Umschweife zur Sache, wobei sie den Wolf nicht aus den Augen ließ. "Gehört der etwa zu euch?"

Jack nickte, aber bevor er etwas sagen konnte, trat Kid an seine Seite, der die Elbin fragend musterte.

"Was ist los?", wandte er sich an den Freund.

"Wir müssen weg hier. Gorick ist auf Rache aus."

"Verdammt", fluchte Kid leise, während Syreene näher kam. Natalya sah währenddessen hinauf aufs Meer, wo sich stolz die Zefrir einen Weg durch das Wasser bahnte. Sie streckte einen Arm aus und wies auf ihr Schiff.

"Dort ist die Zefrir", sagte sie zu Jack. "Ich habe Anweisung gegeben, dass meine Männer unten in der Bucht auf uns warten sollen."

"Wir haben Pferde dabei", entgegnete Jack und wies auf die drei Tiere, die friedlich am Pferch standen. Natalya seufzte leise und blickte zurück nach Tritos. Mit schmalen Augen beobachtete sie eine große Gruppe Männer, die, von einem bekannt aussehenden Mann angeführt, die Stadt verlassen wollten.

"Könnt ihr die Pferde nicht zurücklassen?", fragte sie grimmig.

"Niemals!", antwortete Kid entschlossen. "Chitone ist ein Geschenk meines Vaters. Ich werde sie sicher nicht hier lassen."

"Dann solltet Ihr Euch beeilen", meinte Natalya ungehalten. "Gorick ist nämlich in Anmarsch."

Während Jack und Syreene zu den Pferden gingen und sie losbanden, trat Kid auf Margus zu, der bisher schweigend im Eingang der Hütte gestanden hatte. Der junge Mann nahm einige Goldstücke aus seinem Geldbeutel heraus und überreichte sie dem Alten.

"Ihr habt uns sehr geholfen, Margus", sprach er und verbeugte sich leicht. "Ich danke Euch dafür. Doch jetzt müssen wir gehen."

"Ich verstehe, mein Prinz", erwiderte Margus und hielt Kid die Schriftrolle mit dem Rätsel hin. "Nehmt dies mit. Ihr werdet es noch auf Eurer Suche brauchen."

Mit einem Kopfnicken bedankte sich der junge Mann und stieg in den Sattel seines Pferdes, während Syreene die junge Elbin hinter sich hinaufzog. Gemeinsam ritten sie eiligst die Anhöhe auf der anderen Seite hinunter, wo sie einem ausgetretenen Pfad entlang zur Bucht folgten. Ein langer Landesteg verlief weit auf das Wasser hinaus, an dessen Ende die Zefrir gerade den Anker auslegte. Die Bucht war vor sehr langer Zeit eine beliebte Anlegestelle für Schmuggler gewesen, da die weit hinaufragenden scharfkantigen Klippen selbst die größten Masten vor den neugierigen Blicken der Stadtwache verbargen. Am Ende des Steges wurden die Freunde von Christian erwartet, der bei dem Anblick der Reittiere sofort den Befehl gegeben hatte die Seitenluke des Schiffes zu öffnen. Es war nicht das erste Mal, dass sie Tiere mit sich führten, so dass in einem der unteren Decks entsprechende Boxen eingerichtet waren, die bei jedem Hafenbesuch mit neuem Stroh gefüllt wurden. Mit einem rasselnden Klirren der schweren Eisenglieder öffnete sich die Luke, die mit einem dumpfen Poltern auf den Steg aufkam. Währenddessen waren die Freunde bei Chris angekommen, der bei dem Anblick von Ghost mit weit aufgerissenen Augen erschrocken einige Schritte zurückstolperte. Natalya sprang schwungvoll vom Rücken des Pferdes und trat auf den Ersten Offizier zu.

"Bereite alles für ein schnelles Ablegen vor", befahl sie ihm. "Es wird nicht lange dauern und Gorick wird hier mit seinen Männern auftauchen."

Sie blickte den Pfad, den sie gekommen waren, zurück, während die Freunde ihre Tiere in den Unterbau des Schiffes führten. Chris sah fassungslos zu, wie der weiße Wolf ihnen folgte.

"Und ... was ist mit diesem Karach´nak?", fragte er zögernd.

"Er scheint zu dieser Frau zu gehören."

Ungerührt drehte sich Natalya zum Schiff, kletterte die Strickleiter hinauf und zog sich gekonnt über die Reling. Chris folgte ihr kopfschüttelnd. Während er dafür sorgte, dass die Zefrir den Anker lichtete und wieder Fahrt aufnahm, begab sich die junge Elbin zu ihrem Steuermann auf das Achterdeck.

"Sobald wir aus der Bucht sind", sagte sie zu ihm, "steuerst du erst einmal nah an der Küste entlang."

"Wohin soll es denn gehen?", fragte Chris neugierig, der auf das Achterdeck geklettert kam.

"Das werde ich erst dann wissen, wenn ich mit Jack gesprochen habe."

"Und was ist mit der Ladung?"

Chris schaute auf das Deck hinab, wo sich noch einige Kisten und Truhen stapelten, die nur behelfsmäßig mit einigen Seilen gesichert waren. Sobald sie auf dem offenen Meer waren, würden sich die Männer daran machen sie in den unteren Decks zu verstauen.

"Wir haben einen Auftrag."

"Achte darauf, dass wir ohne Schaden hier heraus kommen", antwortete Natalya stattdessen. Sie beobachtete, wie Jack und seine Freunde das Deck betraten und sich umsahen. "Und dann komm in meine Kajüte."

Die Elbin kletterte leichtfüßig die Leiter zum Hauptdeck hinunter und gab zwei Männern Anweisung ein paar Stühle in die Kapitänskajüte zu bringen. Mit einem kräftigen "Aye, Aye" führten sie den Befehl ihres Kapitäns aus. Jack gab sie mit einem Kopfnicken zu verstehen, ihr zu folgen und führte die Freunde hinunter in ihren Raum, wo sich Natalya hinter den Tisch setzte.

"Ich bin Natalya aus dem Hause Corochtan", fing sie an, nachdem die Freunde sich gesetzt hatten.

"Mein Name ist Kid Hawk und dies ist Syreene."

"Hawk?" Durch den Namen aufmerksam geworden, verschränkte Natalya ihre Arme auf der Tischplatte und beugte sich vor. "Seid Ihr etwa der Bruder des Königs?"

"So ist es."

"Darf ich fragen, was Euch nach Tritos geführt hat?"

Natalya blickte kurz zu Jack hin, als sie zögernd ihre Frage stellte. Verunsichert durch die plötzliche Wendung, die das Geschehen genommen hatte, wusste die Elbin nicht, wie sie jetzt vorgehen sollte.

"Ich meine, Jack ist in der Stadt nicht gerade willkommen, seid er Goricks Schiff verlassen hat."

"Nun, das war mir vorher nicht bekannt", erklärte Kid langsam, woraufhin Natalya verständnisvoll nickte.

"Wir werden Kurs auf die Hafenstadt Okeanid nehmen", sagte sie und nahm die Tatsache hin, nicht weiter in der Angelegenheit aufgeklärt zu werden. "Dort wird die Ladung gelöscht. Ich kann Euch selbstverständlich bis dorthin mitnehmen. Aber wenn Ihr wollt, dann werden wir auch einen anderen Hafen ansteuern, wo Ihr von Bord gehen könnt."

"Ich danke Euch für das Angebot. Doch bis jetzt sind wir noch nicht dazu gekommen über unser weiteres Vorgehen zu sprechen."

"Natalya könnte uns helfen", gab Jack zu bedenken, der an das Rätsel dachte. Die Freunde sahen ihn fragend an. Bevor er aber seine Worte genauer erklären konnte, ertönte ein Klopfen an der Tür und Chris trat ein.

"Wir sind aus der Bucht raus", berichtete er ganz seiner Position entsprechend mit sachlicher Stimme. Natalya nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis und blickte dann wieder zu Jack hinüber.

"Also, was meintest du damit, ich könnte euch helfen?", wollte sie energisch wissen, während Chris sich rittlings auf einen Stuhl setzte und seine Arme auf die Rückenlehne legte. Jack sah aber Kid an.

"Der Ort, der in dem Rätsel genannt wird, ist Bandits Keep. Um dorthin zu kommen, brauchen wir ein Schiff."

"Ich soll euch nach Bandits Keep bringen?", lachte die Elbin ungläubig auf. "Du weißt selber am Besten, wie gefährlich die Insel ist. Ich werde doch meine Mannschaft nicht in Gefahr bringen."

"Wie kommst du auf Bandits Keep?", mischte sich Kid ein. In Gedanken ging er den Wortlaut des Gedichtes durch und erinnerte sich nicht an einen Hinweis, der auf die Insel deutete.

"Furiosan war der erste Mann, der einen Fuß auf die Insel gesetzt hatte", begann Jack zu erklären. "Er war zu seiner Zeit der schlimmste Pirat, der damals die Meere unsicher gemacht hatte. Durch einen Sturm kam sein Schiff vom Kurs ab und sie gelangten zu der damals noch unbewohnten Insel. Daraufhin hatte er sie nach sich selbst benannt und sein Lager dort aufgeschlagen. Er hatte vorgehabt eine ganze Flotte aufzubauen, um der alleinige Herrscher der Meere zu werden. Doch dazu kam es nie, denn das Alter machte sich bei ihm bemerkbar, und er starb schließlich. Da sich aber zu der Zeit bereits schon eine Menge Schurken auf der Insel befanden, wurde sie schließlich unbenannt in Bandits Keep."

Nachdem Jack geendet hatte, sah Kid ihn eine Weile nachdenklich an, bis er sich Natalya zuwandte. Sie hatte mit gerunzelter Stirn dem Piraten zugehört und hin und wieder fragende Blicke mit Chris getauscht.

"Ich kann verstehen, wenn Ihr meine Bitte ablehnt", sprach Kid nach einer Weile entschlossen zu Natalya. "Aber wie Jack bereits sagte, wir müssen nach Bandits Keep. Würdet Ihr uns dorthin bringen?"

"Worum geht es eigentlich?", mischte sich jetzt Chris in das Gespräch ein. Ihm behagte die Wendung der Unterhaltung gar nicht. Kein Mann von Ehre wagte sich auch nur in die Nähe von Bandits Keep. Die Insel war fest in den Händen von allerlei Schurken. Vom einfachsten Dieb bis hin zum schlimmsten Mörder konnte man dort jeden antreffen.

"Jemand versucht die Macht über Eredian an sich zu reißen", antwortete Kid ruhig und sah den Ersten Offizier dabei an. "Und dies will er mit Hilfe von gewissen Gegenständen erreichen, die von den Göttern geschaffen und hier auf Eredian versteckt wurden. Wir sind im Besitz eines Rätsel, das uns einen Hinweis auf den ersten Ort gibt, wo sich eines der Gegenstände befindet. Und das scheint wohl Bandits Keep zu sein."

"Wieso kämpft Ihr nicht einfach gegen diese Person?"

Natalya war über das eben gehörte verwirrt.

"Weil wir nicht wissen, wer dahinter steckt. Es gibt einen Orden, der sich ,Das schwarze Auge' nennt. Wir konnten einige Mitglieder festnehmen und befragen, aber scheinbar wissen wohl nur wenige, wer ihr Meister ist."

Die Elbin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander, während sie über die Worte von Kid nachdachte. Ein unbekannter Feind bedeutete nichts Gutes, da man keine Möglichkeit hatte diesen anzugreifen. Die Freunde schauten den Kapitän abwartend an.

"Bandits Keep", murmelte Natalya leise vor sich hin. "Versteht mich nicht falsch, Prinz. Wir haben nicht gerade wenige Gefechte mit den Piraten gehabt, so dass meine Mannschaft nicht unerfahren ist. Aber die Rede ist hier immerhin von Bandits Keep. Wir können nicht einfach so durch die dortigen Gewässer segeln und seelenruhig am Hafen anlegen, wie sonst auch immer. Es würde zu Schlachten führen. Gegen ein Schiff, vielleicht aber auch gegen zwei, können wir ankommen, aber nicht gegen mehr. Die Zefrir ist für das Transportieren von Handelsgütern gedacht und nicht als Schlachtschiff."

"Gibt es noch eine andere Möglichkeit, wie man dorthin kommt?"

"Nur die Möglichkeit sich einer Piratenbande anzuschließen."

"Und wenn Ihr unter einer Piratenflagge segeln würdet?", schlug Kid vor. Er wusste um die Gefahr, die eine solche Reise mit sich brachte. Aber sie brauchten unbedingt ein Schiff.

"Ihr befindet Euch auf der Zefrir." Chris lachte belustigt auf. "Sicher, wir könnten uns als Piraten tarnen, aber niemand würde uns das glauben."

"Es ist die Galionsfigur", fügte Natalya erklärend hinzu. "Sie ist einzigartig unter ihresgleichen, da kein anderes Schiff eine vollständige Figur am Bug besitzt. Egal, wo wir auch anlegen, die Zefrir zieht die Blicke immer auf sich. Selbst bei den Leuten, die sie schon unzählige Male gesehen haben. Wir werden jetzt einige Tage unterwegs sein, bis wir den Hafen von Okeanid erreicht haben. Ich kann Euch nur den Rat geben, von dort aus zurück nach Castle Shelter zu reiten und nach einer Möglichkeit zu suchen den Orden auf eine andere Art zu bekämpfen."
 

Später am Abend stand Natalya auf dem Achterdeck an der Reling und schaute auf das im Dunkeln glitzernde Wasser hinaus. Gedankenvoll strich sie zärtlich über das weiche Holz unter ihren Händen, während sie die frische salzige Luft einatmete und den Kopf dem sanften Wind entgegen hob. Nur das beruhigende Knacken und Knarren des Holzes um sie herum und das Plätschern der Wellen, das sich am Rumpf des Schiffes brach, war zu hören. Die meisten Besatzungsmitglieder hatten sich zu einem wohlverdienten Abendessen eingefunden und nur der Steuermann und ein Mann im Ausguck befanden sich mit der Elbin auf dem Deck. Zusammen mit Chris und ihren Gästen hatte Natalya in ihrer Kajüte das Essen eingenommen und dabei über Belanglosigkeiten gesprochen. Sie hatten es tunlichst vermieden ein Wort über den Orden oder Bandits Keep zu verlieren. Nach dem Essen hatte die Elbin dafür gesorgt, dass zwei Kabinen für ihre Gäste hergerichtet wurden und war auf das Oberdeck gegangen. Seitdem genoss sie das sanfte Schaukeln des Schiffes, während sie nachdenklich auf das Meer hinaussah. Mit leisen Schritten stellte sich Chris an ihre Seite und stützte sich auf die mit Elbenrunen verzierte Reling.

"Mein ursprüngliches Leben", begann Natalya mit wehmütiger Stimme, "das Leben in meinem Stamm konnte mich nie richtig ausfüllen. Bäche, Flüsse, Seen, ja sogar der Regen haben ständig meinen Namen gerufen und eine unerfüllte Sehnsucht in mir geweckt. Und eines Tages habe ich den Entschluss gefasst die Meere zu umsegeln. Meinem Stamm war diese Entscheidung egal, aber nicht meiner Familie."

"Was ist passiert?", fragte Chris behutsam. Obwohl Natalya ihm vieles anvertraut hatte, hatte sie ihm bisher nie etwas von ihrem früheren Leben erzählt.

"Ich stamme aus einer Dynastie von Sehern. Es war an mir eines Tages die Position meines Großvaters bei seinem Tode einzunehmen. Eines Abends ging ich zu seiner Höhle, um ihm meine Entscheidung mitzuteilen. Doch er hatte es längst gewusst. Er sagte zu mir: "Geh wieder in die Nacht hinaus. Der Entschluss, denn du dabei mit dir trägst, wird entscheiden, ob du Natalya Corochtan bist oder Natalya ohne Namen." Ich habe die Welt als Natalya Corochtan betreten, aber verlassen werde ich sie als Natalya ohne Namen."

Natalya lehnte sich mit dem Rücken an die Reling und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann sah sie ihren Ersten Offizier an, der seinen Kopf auf seine Arme gelegt hatte und auf das Meer blickte.

"Ich erzähle dir dies nicht ohne Grund", sagte sie schließlich und wartete ab, dass Chris sie ansah. "Während mein Großvater mir die Fähigkeiten eines Sehers beibrachte, erzählte er mir von einer Prophezeiung. Sie sagte voraus, dass sich ein schwarzer Meister aus dem Norden erheben wird und Eredian mit einer dunklen Wolke bedeckt. Gleichzeitig würden sich ihm aber sechs Mächte aus dem Westen entgegenstellen und sich auf eine lange Reise begeben. Viele Aufgaben werden sie meistern müssen, bis sie dann auf die Dunkelheit treffen können. Ohne das Wissen meines Großvaters hatte ich damals meine eher schwachen Fähigkeiten genutzt um herauszufinden, wie die Prophezeiung ausgehen wird. Doch ich sah nur verworrene Bilder. Eine Hand, die durch einen Wasserfall nach einem Schild greift. Riesige Bäume, von Ranken umschlungen, in deren Ästen seltsame Tiere sitzen. Ein Einhorn, das über das Wasser galoppiert. Eine wunderschöne Frau, aus deren Fingerspitzen Blitze schossen, und die von einem ... weißen Wolf ... angegriffen wird."

Aus schmalen, blauen Augen sah Chris die Elbin an, während er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und sich ihr ganz zuwandte.

"Ein weißer Wolf?", wiederholte er schließlich die Worte und beobachtete aufmerksam seinen Kapitän. "Hast du ihnen davon erzählt?"

"Nein, noch nicht", antwortete Natalya leise und blickte wieder auf das sanfte, ruhige Meer hinaus. "Vielleicht, wenn wir einen großen Bogen machen und irgendwo an der Nordküste ankern, können wir den Auseinandersetzungen mit den Piraten umgehen."

"Trotzdem bleibt es riskant."

Mit der Hüfte lehnte sich Chris wieder an die Reling und verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust. Er wusste genau, worauf Natalya hinauswollte, und es behagte ihm keineswegs. Und doch, würde sich sein Kapitän dazu entschließen die Reise nach Bandits Keep zu unternehmen, würde er auf jeden Fall dabei sein.

"Die See im Westen ist noch unerforscht und die Reise würde auch zu lange dauern", sprach Chris weiter, wobei er sich in Gedanken eine Karte von Bandits Keep vorstellte. "Damit bleibt für uns nur die Möglichkeit an der Ostküste entlang zu segeln. Aber dort sind die Gewässer voller Strömungen und das Wetter ist ziemlich stürmisch."

"Damit würden die Männer schon fertig werden."

"Ich weiß, aber wird die Zefrir dabei beschädigt und wir geraten dann in einen Konflikt mit den Piraten ..."

Chris musste seinen Satz nicht erst zu ende ausführen, da Natalya sich auch so gut vorstellen konnte, was mit ihnen dann geschehen würde. Das Überleben auf dem Meer hing stets von der Beschaffenheit des Schiffes und von der Kompetenzfähigkeit des Kapitäns und seiner Mannschaft ab. Auch wenn die Zefrir aufgrund ihrer schnittigen Form mit zu den schnellsten Schiffen gehörte, konnte eine Beschädigung am Rumpf ihr Untergang sein, besonders dann, wenn die Besatzung dann noch in einen Kampf verstrickt wäre.

"Sind die Männer im Gemeinschaftsraum?", fragte Natalya ohne weiter auf den Kommentar ihres Ersten Offiziers einzugehen.

"Zumindest die meisten", kam nickend die Antwort. Schweigend und in sich gekehrt, schritt die Elbin mit festen Schritten über das Deck zum Niedergang, gefolgt von Chris, der sich mühelos ihrem Schritt anpassen konnte. Kurz bevor sie unter Deck gingen, legte Natalya den Kopf in den Nacken und blickte hinauf in den dunklen Abendhimmel, an dem sich bereits einige Sterne zeigten. Der Ruf eines Adlers weckte ihre Aufmerksamkeit, der schon die ganze Zeit über der Zefrir folgte. Stirnrunzelnd beobachtete sie eine Weile den Raubvogel bei seinen kreisenden Zügen, bevor sie dann die schmale Treppenstiege hinab ging.

Aus dem Gemeinschaftsraum, der genügend Platz für die dreißigmannstarke Crew bot, drangen die ausgelassenen Stimmen der Männer, die den Tag mit Kartenspielen und einigen Flaschen Rum abklingen lassen wollten. Von allen Seiten drangen Rufe zu Natalya herüber, nachdem sie den Raum betreten hatte, die sie einluden sich mit zu den vereinzelten Gruppen dazuzugesellen. Für Natalya war es anfangs schwer sich gegen die einzelnen Seeleute zu behaupten. Angefangen hatte sie als Leichtmatrose auf einem kleinen Handelsschiff, auf dem man ihr die schwersten Aufgaben übertragen hatte, in der Annahme, dass sie im nächsten Hafen von Bord gehen würde. Doch niemand hatte mit ihrem eisernen Willen gerechnet, mit dem sie alle Schwierigkeiten meisterte. Neben ihren täglichen Arbeiten, wie das Deck zu schrubben, die Segel zu flicken, dem Smutje beim Kartoffelschälen zu helfen und vielen weiteren Verrichtungen, achtete sie immer auf die Gespräche des Kapitäns und des Ersten Offiziers, anhand denen sie mit der Zeit lernte ein Schiff zu manövrieren und zu befehligen, Kurse zu berechnen, das Wetter vorherzusagen und vielen anderen Dingen. Es dauerte sieben Jahre bis Natalya zum Ersten Offizier aufstieg und langsam von ihren Kameraden als eine der ihren akzeptiert wurde. In dieser Zeit hatte sie jede Chance genutzt, um ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass sie nicht einfach nur eine schwächliche Frau sei. Nach vier weiteren Jahren dann hatte sie endlich genügend Geld, um sich ihren großen Traum von einem eigenen Schiff zu erfüllen, das ganz nach ihren eigenen Wünschen erbaut wurde. Einige ihrer Kameraden verließen zusammen mit ihr nach der Fertigstellung der Zefrir das kleine Handelsschiff, um unter ihrer Flagge weiter auf dem Meer zu segeln. Nach und nach schlossen sich ihnen weitere Männer an, die beeindruckt von den Fertigkeiten der jungen Elbin waren, und aus der Mannschaft wurde eine geschlossene Gemeinschaft, die in ihrem Kapitän nicht nur ihren Befehlshaber sahen, sondern auch als einen Freund.

Zielstrebig ging Natalya auf einen langen Tisch zu, auf dem sie mit einem geschmeidigen Satz sprang, von wo aus sie den ganzen Raum überblicken konnte. Die Gespräche der Männer verstummten augenblicklich, wodurch eine Stille eintrat, in der man das Fallen einer Stecknadel hätte hören können, und alle Augen waren gespannt auf ihren Kapitän gerichtet. Natalya drehte sich langsam einmal um die eigene Achse, wobei sie jeden einzelnen Mann musterte, während sie sich fragte, ob sie auch das Richtige tat.

"Es dürfte unlängst bekannt sein", hallte klar und deutlich ihre kehlige Stimme durch den Raum, ohne dass sie sie erheben müsste, "dass der Bruder des Königs sich an Bord befindet."

Leises Gemurmel erhob sich an einigen Tischen, die ihre Zustimmung über diese Feststellung bekundeten.

"Nun ist es so, dass der Prinz mich um Hilfe gebeten hat. Wie er mir erzählte, gibt es einen Orden, der sich über die einzelnen Königreiche verbreitet hat und Leute rekrutiert. Dieser Orden stellt für ganz Eredian eine Gefahr dar, weil ihr Meister nach der Herrschaft der Welt strebt. Niemand weiß, wer dieser Meister ist noch wo er sich aufhält. König Hawk hat aber herausgefunden, dass der Orden auf der Suche nach einigen Gegenständen ist, die von den Göttern erschaffen wurden. Diese Gegenstände würden diesen Meister eine Macht verleihen, der man nichts entgegenzusetzen hat, daher ist der Prinz ebenfalls auf der Suche nach ihnen. Mittlerweile weiß er auch, wo sich einer dieser Gegenstände befinden soll und hat mich gefragt, ob wir ihn dorthin bringen könnten."

"Die Fahrt geht also nich nach Okeanid?", kam aus einer Ecke die Frage, woraufhin sich Natalya der rauen, schleppenden Stimme zuwandte.

"Wie geplant nehmen wir Kurs auf die Hafenstadt, wo wir dann die Ladung löschen", antwortete sie bereitwillig ihrem Smutje, einem schlanken, leicht gebeugten Mann mittleren Alters. "Doch wohin es danach geht, entscheidet ihr. Entweder nehmen wir den nächsten Auftrag an, der uns weit nach Süden führen wird, oder aber wir werden den Prinzen helfen und ihn nach Bandits Keep bringen."

Kaum dass ihr der Name der Insel über die Lippen gekommen war, brach ein höllischer Tumult unter den Männern aus, die lautstark ihre Bedenken ob der möglichen Aufgabe kundgaben. Natalya machte aber keine Anstalten ihre Mannschaft zu beruhigen, da sie bereits mit dem Aufruhr gerechnet hatte, und verschränkte daher nur abwartend die Arme vor der Brust. Auch Chris, der die ganze Zeit über unter der Tür am Rahmen angelehnt dastand, sah dem Treiben mit unbeteiligter Miene zu, während er die Stärke seines Kapitäns, mit der die Elbin ihre Mannschaft leitete, bewunderte.

"Jetzt haltet mal die Schnauze, Jungs! Bei eurem Theater kann man ja sein eigenes Wort kaum verstehen."

Ein hochgewachsener Elbe mit braunem, strähnigem Haar, dessen Name Pitch war, stand von seinem Platz auf und versuchte mit erhobenen Händen seine Freunde zu beruhigen. Sein von Wetter gegerbtes Gesicht wies mehrere Narben auf, von denen eine davon über seine gesamte linke Wange verlief, die in seinem Haaransatz an seiner Schläfe endete. An seinem abgewetzten Gürtel trug er zwei scharfgeschliffene Dolche, die er mit meisterhaftem Geschick werfen konnte.

"So ist es schon besser", nickte Pitch dann sichtlich zufrieden, nachdem das laute Gemurmel seiner Kameraden langsam nachließ. "Also, Cap, was denkst du über diese Sache?"

Ohne dem aufmerksamen Blick des Mannes auszuweichen, sah Natalya ihn für einige Sekunden fest an, bevor sie ihm schließlich antwortete.

"Die Reise wäre sehr gefährlich. Die Gefahr, Piraten zu begegnen, ist weitaus größer, als auf den Handelsrouten. Und selbst wenn wir die Insel erreichen, wären wir noch lange nicht in Sicherheit. Doch es ist nicht auszuschließen, dass dieses Unternehmen von Erfolg gekrönt sein könnte."

"Du willst dem Prinzen helfen, richtig?", hakte Pitch nach, der die Gedanken seines Kapitäns genau wissen wollte.

"So weit ich weiß, ist dies momentan die einzige Möglichkeit, die dem König zur Verfügung steht, um etwas gegen den Orden zu unternehmen. Die Welt, die wir kennen, ist im Begriff auseinanderzufallen, sollte der Orden sein Ziel erreichen und die Gegenstände seinem Meister übergeben. Ich habe großes Vertrauen in euch und euren Fähigkeiten. Von daher bin ich sicher, dass wir es nach Bandits Keep schaffen können. Doch die Entscheidung, ob wir den Prinzen bei seiner Aufgabe helfen oder nicht, überlasse ich euch. Bis wir Okeanid erreicht haben, habt ihr Zeit darüber nachzudenken."

Nach diesen Worten stieg Natalya vom Tisch herunter und begab sich zu Chris, um mit ihm zusammen den Raum zu verlassen, während die Männer eine Weile nur schweigend an ihren Plätzen saßen und über das eben gehörte nachdachten. Erst nach langer Zeit, als ihr Kapitän zusammen mit ihrem Ersten Offizier bereits in ihrer Kajüte saß, fingen die Männer an darüber zu reden und das Für und Wider abzuwägen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-04-08T18:41:37+00:00 08.04.2006 20:41
Ein neues Kapi! *luftsprung mach* War natürlich wieder klasse! *dich ganz fest knuddel dafür*

LG


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