Konjunktionen mit schocktherapeutischen Folgen
A Highschool Story
Kapitel #32
Vor eventuellen Übergriffen seitens männlicher Fans – in diesem Falle stünde es ungleich schlechter um Hyde – rettete ihn schließlich die atemlose, vor Anstrengung rot angelaufene Erscheinung eines gewissen Braunhaarigen.
„H-Haido...entschuldige bitte die Verspätung...“ Der Langhaarige gab Tetsu gar nicht erst die Gelegenheit, weitere kostbare Zeit mit unrelevanten Erklärungen zu verschwenden, sondern packte ihn am Arm und zerrte ihn zeremonielos aus dem stickigen Gebäude.
„Haido? Bist du sehr wütend auf mich?“, wurde sich besorgt-kleinlaut erkundigt.
Wie bitte? Er, Hyde, wütend? Auf Tetsu? Der Braunhaarige hatte ihn doch bloß einer kannibalistisch veranlagten Fangirlmeute ausgeliefert! Er hatte doch nur zugelassen, dass der Langhaarige fast in der Luft zerrissen wurde!
„Nein.“ Es stimmte. Na ja, fast. Oder? Der Braunhaarige neben ihm seufzte.
„Haido...bist du Gackt über den Weg gelaufen?“ Verdammt. War das etwa so offensichtlich? Blöde Frage. Wenn schon Yuki! erkannt hatte, dass...Och, menno.
„Also doch...“ Tetsu zog mal wieder die unmöglichsten Schlüsse. Blöd nur, dass sie immer zutrafen.
„Soll ich dir erzählen, was nun passiert ist oder übernimmst du die Ehre?“
„Aach...“, versuchte der Langhaarige abzuwinken. Nein, er war wirklich nicht auf den Braunhaarigen wütend. Sondern auf Gackt. Aber am meisten auf sich selbst. Warum gewannen solche trivialen Vorfälle immer an Bedeutung, wenn sie in irgendeiner Weise mit dem Blonden zusammenhingen? Hyde seufzte.
„Wohin gehen wir?“
„In den Park, lenk nicht vom Thema ab.“ Tatsächlich. Jetzt erkannte er auch den gepflasterten Weg wieder, auf dem man sich mit 100%iger Erfolgsrate beide Knöchel gleichzeitig umknicken konnte (manche nutzten diese Möglichkeit, um zwei, drei Wochen Schulferien zusätzlich zu bekommen...).
„Was gibt es da schon groß zu erklären? Er hat mich vor einer Meute Rhinozerosse – äh, Mädchen, meine ich – gerettet und ist dann auch mit ihnen abgedackelt...“, ergab sich Hyde in sein unbarmherziges Schicksal.
„Ohne dich auch nur anzuschauen.“
„Genau! Dieser elende Mistkerl!“ Eine kurze Pause, bis –
„Oh! Äh, das – das spielt doch gar keine Rolle, er...“
„Schon gut, schon gut. Ich verstehe schon.“ Das Grinsen Tetsus wollte irgendwie gar nicht zu der eben gemachten Aussage passen.
„Hmpf.“ Hyde wollte irgendetwas anfügen, um seinem Ärger einen besseren, stilistisch treffender verkleideten Ausdruck zu verleihen als eine vokallose Ansammlung von Buchstaben, doch sein sonst so metaphorisch angereichertes Vokabular beschloss zu diesem Zeitpunkt eine Urlaubspause einzulegen.
Daran war auch Gackt Schuld!
Der Boden knirschte mit von den Regengüssen heruntergerissenen Blättern, die wenigen Bäume der verkümmernden Grünfläche konnten den Autolärm der vielbefahrenen Straßen nur schlecht abdämpfen. Sonnenschein und Kindergelächter waren ein weinerliches Grau – für den Langhaarigen war Herbst angebrochen, schmutzig und kalt.
„Doiha-chan...“ Hyde blickte nicht auf. „Gib...gib nicht auf, lass dich nicht so hängen, das tut mir in der Seele weh.“ /Verzeih mir bitte, dass ich darauf keine Rücksicht nehmen kann!/
Früher war es einfach: Ja. Nein. Vielleicht. Gleich unter der verstohlen hingekritzelten Frage „Willst du mit mir gehen?“ angekreuzt und alle waren glücklich. Nur rachsüchtige Schwestern, Kliniken für Geisteskranke und Eiszeit-Väter passten nicht so recht in das Schema.
Und irgendwie – ganz unerklärlich – fing Hyde an, diese Hindernisse zu hassen.
Die Parkbank, vor der sie stehen geblieben waren, hatte Kratzer (anscheinend hatten sich hier alle angehenden Bildhauer Tokyos verewigen wollen) und erweckte nicht gerade einen sauberen Eindruck – doch ihre strategische Lage (inmitten von Tollkirsche, mit atemberaubendem Ausblick auf eine verdorrende Eiche) überwog. Meistens.
„Tetsu.“ Hyde mochte sich noch so sehr mit der hiesigen Flora beschäftigen wollen – um dieses Gespräch würde er nicht drum herum kommen können (egal, wie sehr er es sich wünschte) und es wäre am gesündesten, es gleich hinter sich zu bringen.
„Ja. Ich weiß.“ Dieses ernste Gesicht...es stand dem Braunhaarigen absolut nicht. Doch Hyde sah sich außerstande, seinem Freund zu helfen. Nicht hierbei.
„Also...“ Also was? Was wollte er eigentlich wissen? WOLLTE er überhaupt etwas wissen? Nein, wollen tat der Langhaarige es nicht. Aber müssen. Ach, es...es – wieso hat es so kommen müssen? Hyde in keiner Weise auf den Ansturm von Verzweiflung, Reue und dem unbändigen Wunsch, alles wieder gutzumachen, gepaart mit der festen Gewissheit, dass es unmöglich war, vorbereitet.
„Tet-chan!“, brach es aus ihm heraus. „Bitte! Sag mir, dass der Kuss damals nichts zu bedeuten hatte! Sag mir, dass es nur deine Art war, mich zu trösten!“ Der Langhaarige trat näher an seinen langjährigen Freund heran, suchte seinen Blick.
„Der Kuss damals hatte nichts zu bedeuten, es war meine Art, dich zu trösten.“ Der Langhaarige schreckte vor dem unbeweglichen Gesicht, der monotonen Stimme dieses ihm völlig unbekannten Menschen zurück.
Auch der Braunhaarige musste bemerkt haben, dass seine Reaktion nicht gerade zu der Verbesserung der Situation beitrug, denn er setzte ein (mehr oder weniger überzeugendes) Halblächeln auf, schaute zur Seite.
„Entschuldige, bitte, Haido. Aber wie kannst du denn so etwas fragen?! Habe ich dich etwa schon einmal auf solche Weise ‚trösten’ wollen?“ Tetsu seufzte, fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Der Langhaarige schüttelte lediglich den Kopf, Augen auf den Boden gerichtet.
Was hatte er auch erwartet? Dass Tetsu einen Lachanfall kriegen würde und die ganze Sache mit Lachtränen in den Augen abwinken würde? (Eine sehr attraktive Vorstellung, zugegeben, doch irgendjemand hatte mal wieder Böses mit ihm vor.)
„Haido, sag mir, was würdest du tun, wenn der Kuss ernst gemeint war? Wenn du wüsstest, dass ich es nicht aufgebeben habe, von einer Wiederholung dessen zu träumen? Dass ich Gackt am liebsten den Hals umdrehen würde dafür, dass er dich vor der Nase weggeschnappt hat? Sag, was würdest du tun?“ Mit jedem Satz war der Braunhaarige immer leiser geworden, während das Leuchten in seinen Augen weiter an Intensität zunahm.
Hyde wurde blass.
Also doch. Dann gab es wohl keine andere Möglichkeit...
„Du willst wissen, was ich tun würde?“ Völlig unwichtige rhetorische Frage, die zur Einstimmung beitragen sollte, der Langhaarige könnte über diese Armseligkeit seiner selbst lachen. „Ich würde mich bei dir für die wundervolle Freundschaft, die wir einmal geteilt hatten, bedanken. Und dann würde ich gehen.“ Seine Stimme zitterte und der Langhaarige hoffte, dass Tetsu es nicht merkte.
Dieser jedoch schien viel zu geschockt zu sein, um auf derlei Begleiterscheinungen zu achten.
„Du...würdest mir wirklich die Freundschaft kündigen?“, flüsterte der Braunhaarige fassungslos.
„Ich liebe dich nicht. Jedenfalls nicht so, wie du es dir wünschst. Weißt du, wenn du den Wunsch, Gackt zu erwürgen, etwas früher geäußert hättest, dann hätte ich dir eigenhändig einen Strick geflochten (ein müdes Lächeln seitens Tetsu war die Belohnung)...Doch nun würde ich ihn mit meinem Leben verteidigen...Tet-chan, wenn du mich akzeptierst, dann musst du auch Gackt akzeptieren. Aber das kann ich von dir nicht verlangen, weil du ja...“ Er konnte es einfach nicht aussprechen – es war so...so unnatürlich. Es sollte so nicht sein.
„Es wäre für uns beide besser, wenn sich unsere Wege trennen würden...“ Nun zitterte seine Stimme vernehmbar.
„Liebst du ihn wirklich so sehr...?“ Unberechtigte Zweifel.
„Ja.“
„Auch wenn er nichts mehr mit dir zu tun haben will?“ Berechtigte Zweifel.
„Ich werde mich mit ihm versöhnen.“
„Was macht dich denn da so sicher?“ Hochgezogene Augenbraue.
Checkst du das Revier ab, Tet-chan? Vergebliche Liebesmüh. Der Langhaarige musste sich ein ironisches Lächeln verkneifen.
„Ganz einfach. Ich werde sonst vor Sehnsucht nach ihm vergehen.“ Schocktherapie. Nicht gerade sehr subtil, dafür umso wirkungsvoller.
Eine Sache jedoch machte Hyde stutzig. Warum strahlte Tetsu mit einem Atomkraftwerk um die Wette?!
„Na, das ist doch schon ein Schritt nach vorn. Jetzt weißt du ja, was du zu tun hast.“ Ein selbstvergessen-fröhliches Einschlagen auf die Schulter des Langhaarigen.
Moment.
Hatte er etwas nicht mitgekriegt? Waren sie nicht gerade dabei, ihre Freundschaft zu beenden oder hatte Hyde nach der Werbepause ein paar bedeutungsschwere Minuten verpasst? Oder sollte das ein Abschied auf tetsuisch werden? Der Langhaarige verstand die Welt – ach, Quack auf die Welt, das ganze verdammte Universum verstand er nicht!
Und Tetsu lachte.
„Du liebst ihn doch! Was bläst du die ganze Zeit Trübsal, hol ihn dir endlich! Ich will meinen fröhlichen, lachenden Haido wieder zurück!“ Es war furchterregend. Keine Spur mehr von Ernsthaftigkeit, Liebeskummer und dergleichen Unnatürlichkeiten (Tetsu war einfach nicht zum Traurigsein geschaffen). Hyde starrte seinen Freund mit großen Augen an.
„Würdest du mir bitte gnädigerweise erklären, was zur Hölle du gerade von dir gibst?“ Der Langhaarige verlor langsam aber sicher die Geduld.
Tetsu legte ihm verschwörerisch einen Arm um die Schultern und zwinkerte ihm zu.
„Vergiss nie den Konjunktiv, mein Lieber! Niemals den Konjunktiv außer Acht lassen.“
„Heißt das, du hast mich die ganze Zeit verarscht?!“ Mit einem Ruck befreite sich der Langhaarige aus der halben Umarmung. Das fand er ganz und gar nicht lustig! Der Braunhaarige schien zu merken, dass übermäßige Verstrahlung und kryptische Analysen der Sprachverwendung keinen besonderen Anklang fanden. Die Wellen wurden etwas reduziert.
„Nein, Haido. Es würde mir nicht einmal im Traum einfallen, dich so hinters Licht zu führen. Ich liebe dich wirklich. Ich liebe dich wie einen Bruder.“
„Dann was soll-“
„Oder vielleicht sollte ich sagen, dass meine brüderliche Liebe zu dir überwiegt. Ich könnte es nicht ertragen, dich wegen eines Kusses zu verlieren. Und außerdem, was würdest du ohne mich machen?“
„Weniger Kopfschmerzen haben, das ist ja wohl sicher!“ Hyde rieb sich die Augen. Was, was...uhmpf. Wenn er ehrlich war, dann war der Langhaarige genauso schlau wie vorher. Tetsu liebte ihn. Oder irgendwie auch nicht. Oder auf eine andere Weise. Oder doch nicht? Hyde stöhnte auf. Sein Hirn drohte aus Protest zu platzen.
„Tet-chan...könntest du dich eventuell so ausdrücken, dass ich dich auch verstehe?“
„Haido-chan...könntest du eventuell deine grauen Zellen auf Trab bringen?“
Nope, keine Chance. Aus dem Braunhaarigen würde er wohl nichts mehr herauskriegen. Es stellte sich hierbei die Frage, ob Hyde wirklich alles herauskriegen wollte. Es wäre ein Lüge zu sagen, dass er sich nicht darüber freute, dass der Braunhaarige keinerlei romantische Gefühle ihm gegenüber pflegte, aber andererseits flüsterte ihm etwas zu, dass dies alles reiner Selbstbetrug war. Tetsu zog ihn in eine Umarmung, strich ihm über das Haar.
„Weißt du, Haido, ich brauche nicht viel. Ich möchte einfach dein bester Freund bleiben. Ich möchte dich glücklich sehen und wissen, dass ich dazu beigetragen habe. Und wenn du mir die Freundschaft kündigtest – das würde ich schlicht und einfach nicht überleben. Du bedeutest mir sehr viel, Haido.“
Der Langhaarige spürte, dass es nicht alles war, er spürte es ganz genau. Doch er war viel zu glücklich darüber, dass er den Braunhaarigen nicht aufgeben musste. Denn, ja, was würde er ohne Tet-chan machen?
Hyde ließ den Braunhaarigen los, streckte sich. Aah, das war doch schon viel besser!
„Ich bin sehr froh“, lächelte er leise.
„Ich auch.“ Traurige Augen? Nein.
„Und? Wollen wir noch etwas essen gehen?“ Hoffnungsschimmer.
„Nur, weil ich dir in einem schwierigen Argumentationsverfahren bewiesen habe, dass ich für immer und ewig dein Freund bleiben möchte, heißt es noch lange nicht, dass ich bereit bin, mein ganzes mühsam zusammengespartes Geld in ein bodenloses Fass namens Takarai Hideto zu werfen!“ Gnadenlos erschlagen.
„Och, jetzt komm schon! Es ist doch nur ein läppisches Mittagessen! Du willst doch nicht, dass deinem ‚immer und ewigen Freund’-Dasein ein jähes, durch Verhungern im Park herbeigeführtes Ende bereitet wird, oder?“ Probeweise Schwächeanfall, von ausdrucksvollem Magenknurren begleitet.
„...wieso nicht...Wenn es mich von den Schulden erlöst, die ich deinetwegen bei dem Restaurantbesitzer machten musste...“ Misstrauen erregende Kampfunlust.
„Pff! So sehr sorgst du dich also um mein Wohlergehen, ja?!“ Probeweise Erpressung.
„Natürlich sorge ich mich um dein Wohlergehen! Aber um das meiner Geldbörse auch. Besonders, wenn beides mysteriöserweise miteinander zusammenzuhängen scheint...“
/Mist verdammter. In letzter Zeit argumentiert Tet-chan zu gut für seine Gesundheit...Ich glaube, ich sollte bald mit der Umerziehung beginnen./
„Ach, Tet-chan...!” Der letzte Trumpf – der berühmte, von dem Langhaarigen über Jahre hinweg perfektionierte Dackelblick.
„Komm, ich bringe dich nach Hause, es ist schon spät.“
Irgendwas flüsterte Hyde zu, dass er seine Tetsu-Erweichungswerkzeuge schleunigst ölen sollte...
„Was heißt hier spät?! Es ist erst fünf Uhr! Und außerdem wäre es mir wirklich viel lieber, du würdest mich in ein Café bringen...“
„Dort kannst du keine Hausaufgaben machen.“
„Das ist doch der Zweck der Sache! Und außerdem kann ich mit vollem Magen besser denken.“
Stille.
„Was ist?“ Verwirrtes Stirnrunzeln.
„Hm. Da muss ich wohl morgen mindestens sieben Fässer Ramen mitbringen...“
Stille.
„Hey! Was soll das denn nun wieder heißen?!“ Wäre Hyde eine Oma, so wäre er dem Braunhaarigen sicherlich mit einem kampfbereit erhobenen Regenschirm nachgejagt. So aber musste er sich nur auf das Nachjagen beschränken, während Tetsu lachend Fersengeld gab.
Oh, tief im Inneren wusste der Langhaarige, dass es alles eine Farce, pure Selbsttäuschung war. Doch in diesem Moment übertönte seine Selbstsucht den stummen Schrei.
TBC
A/N. Mit viel Liebe und wenig Zeit geschrieben. Im wahrsten Sinne des Wortes...(Mist, dabei wollte ich nicht um halb zwei Uhr morgens ins Bett gehen!)
Übrigens, wer Tetsu diesen Schwachsinn, von wegen Bruder und so weiter, tatsächlich abgekauft hat, der möge lieber aufhören zu lesen...Tja. Der Arme. Und Hydie ist grausam. Aber Tet-chan wird sicherlich irgendwann über ihn hinwegkommen. Bis dahin wird er der beste Freund sein... Aber man kann nichts finden, ohne etwas zu verlieren. (Klinge ich gerade, als hätte ich recht wenig Mitleid mit Tetsu? Ich glaube, zu Recht. Irgendwie hat er mir das Kapitel versaut.)
Aber gut. Ihr seid doch so nett und hinterlasst mir ein paar Zeilen eurerseits?