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Abel to Cain

~ Original ~
von

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remember me...

Autor: -Neya-
 

Story: Original
 

Genres: Drama, Shounen-ai (einseitig)
 

Rating: PG-13
 

Kapitel: Oneshot - 1/1 – abgeschlossen
 

Wortanzahl: 3325
 

Schreibstil: Präsens, Ich-Perspektive
 

Zeit: ca 6 Std. auf 2 Tage verteilt
 

Musik: Juuousei OST - Love's a Cradle
 

Note: Die Figuren, Schausplätze etc. gehören mir.
 

Kommentar: Die Geschichte habe ich für einen WB geschrieben. Was ich damit ausdrücken wollte, ist, dass Cain/Kain in der Bibel als der Sünder, der erste Mörder der Menschheit, das verdorbene Kind "betitelt" wird sage ich mal. Nyo, ich wollt hier mal n anderes Cain/Abel - Verhältnis darstellen, in dem nicht nur Cain sondern auch Abel keine allzu weiße Weste hat. Aber nehmt das alles nicht zu ernst, beim Schreiben war ich selbst ein wenig verwirrt, was ich da fabriziert war. - Kurz: einfach ohne nachzudenken drauf losgeschrieben und hinterher geguckt, was da eigentlich alles steht.
 


 


 

~ Abel to Cain ~
 


 

„Cain!“ Ein lauter Kinderschrei hallt über das Schulgelände der Friedrich-Berg Grundschule hinweg. Ein kleiner, schwarzhaariger Junge von sieben Jahren läuft lachend über den mit weißem Schnee bedeckten Innenhof und dreht sich hin und wieder um. Seine dunkelblauen Augen strahlen und er winkt seinem Bruder zu, der unsicher hinter ihm hertrottet. Schwarze Haare und ebenfalls dunkelblaue Augen blicken zu ihm zurück, betrachten den weißen puderigen Schnee, der seit der letzten Unterrichtsstunde vom Himmel herab gefallen ist und nun einen Großteil des Bodens unter sich bedeckt. Der erste Schnee in diesem Winter…
 

„Cain… es schneit!“, ruft der kleine Junge wieder und wieder aus, während er sich lachend im Kreis dreht und versucht, einige der kleinen Flocken zu fangen, die auf ihn hernieder rieseln.
 

Schweigend bleibt der andere Junge stehen, beobachtet seinen Bruder, wie er vor Freude strahlend seine Hände gen Himmel streckt, um die weiße Pracht zu erhaschen. „Abel…“, flüstert er und das Bild seines Bruders beginnt vor seinen Augen zu verblassen. Alles um ihn herum versinkt in einem kalten, leeren Weiß, das alles um ihn herum verschluckt.
 

„Cain!“ Immer wieder hört er seinen Bruder nach sich rufen, hört ihn lachen, aber nach und nach beginnt alles zu verschwimmen, als würde ein dichter Nebel aufziehen, der seine Erinnerungen in einen dichten, undurchdringlichen Mantel hüllt. „Cain…“
 

~*~*~*~*~*~
 

„Abel…“, wispere ich leise und blicke auf den kalten, grauen Stein herab, der auf einem mit gelben Tulpen bewachsenen Grab steht. Ein lauer Wind fegt über den verlassenen Friedhof hinweg, wirbelt einige der Kirschblüten auf, die zu Tausenden auf dem feuchten Boden verstreut liegen und treibt sie über die Gräber hinweg. Wie kleine Schneeflocken tanzen sie in der Dämmerung umher, ehe sie leblos zu Boden segeln.
 

Eine leichte Gänsehaut bildet sich auf meinen Unterarmen und ich stecke meine Hände in die Hosentaschen. Jedes Mal, wenn ich dich besuchen komme, habe ich das Gefühl, als wolltest du mir etwas sagen… aber vielleicht ist es auch ganz allein mein quälendes Gewissen, dass mich denken lässt, dass du mir etwas mitteilen willst… dass du mir sagen willst, dass es okay ist, was ich tue.
 

Es ist jetzt genau vier Monate her, seit du den Unfall hattest… seit ich den Unfall hatte, denn es ist nicht dein Name, der diesen Grabstein ziert. Abel… nein, ich bin derjenige der vor vier Monaten von einem Auto angefahren wurde und nun unter der kalten Friedhofserde liegt, einsam und von aller Welt verlassen.
 

„Wie fühlt es sich an hier zu sein? Geht es dir gut, Abel?“, frage ich ihn, erhalte aber wie immer keine Antwort darauf. Meine Augen bleiben an der Inschrift kleben, die in großen Lettern das Wort Cain wiedergibt. Bist du böse auf mich? Hasst du mich für das, was ich getan habe? Bitte sag es mir Abel, hast du mich noch lieb?
 

~*~*~*~*~*~
 

„Nein... ich mach das nicht… Cain du spinnst wohl!“, ruft der schwarzhaarige Junge aus, und greift zu seiner Verteidigung nach einem Sofakissen, dass er seinem Gegenüber schwungvoll um die Ohren haut. Es ist nicht das erste Mal, dass sein Bruder mit einen seiner verrückten Ideen zu ihm kommt, aber jetzt hat er den Bogen wirklich überspannt.
 

Mit einem schwachen Grinsen hebt der Getroffene das Kissen auf und beginnt langsam, seine Finger in den weichen Stoff zu graben, das Kissen somit immer mehr und mehr zusammenzupressen. „Feigling“, kontert er enttäuscht und lässt sich zurück auf den Fußboden sinken, auf dem er seit ihrer Unterhaltung sitzt. Manchmal ist sein Zwillingsbruder aber auch wirklich zu rein gar nichts zu begeistern.
 

Schmollend verzieht der etwa Dreizehnjährige den Mund und wirft seinem Bruder einen beleidigten Blick zu. Was soll das heißen, Feigling?! Und wieso springt er jedes Mal darauf an, wenn sein Ebenbild ihn wieder anstachelt, wieso kann er nicht einmal bei seiner Meinung bleiben? „Nur wenn du es für dich behältst“, murmelt er schließlich und fixiert leicht beschämt einen kleinen grünen Fleck an der Wand.
 

Auffordernd streckt der am Boden liegende Junge seine Hand nach dem anderen aus und lächelt triumphierend. Auch wenn sie optisch nicht zu unterscheiden sind, so erkennt man doch an ihren Verhaltensweisen, wer von beiden nun wer ist… sofern sie wollen, dass es jemand erkennt. Manchmal ist es ein recht amüsanter Zeitvertreib, wenn sie ihre Mitmenschen, sogar die eigenen Eltern mit ihrem Lieblingsspiel ’Wer ist Wer’ in den Wahnsinn treiben. „Mach ich nicht… versprochen“, erwidert er und wartet, bis sein Bruder von sich aus, die Distanz zwischen ihnen überwindet.
 

Scheu krabbelt er zu ihm hinüber, bleibt schweigend neben seinem Bruder sitzen und streicht zaghaft durch dessen schwarze Haarpracht. Ein blaues Augenpaar fixiert das seinige, bevor er ebenfalls eine Hand in seinen Nacken spürt. „Hast du mich lieb, Abel?“, vernimmt er plötzlich die Worte seines Bruders und läuft leicht rot im Gesicht an.
 

„N… natürlich. Das fragt man doch nicht! Cain du bist blöd!“, jammert der andere Junge beschämt und kaut auf seiner Unterlippe. Es steht außer Frage, dass er seinen Bruder mehr als alles andere auf der Welt lieb hat, aber das so offen zu sagen, ist ihm dann doch ein wenig unangenehm.
 

Ein Schmunzeln schleicht sich über sein Gesicht, als er sich vom Boden erhebt und dem immer noch verunsicherten Jungen durch die Haare fährt. „Weißt du… ich hab dich sehr lieb…“, wispert er und beugt sich leicht zu ihm vor, streift sacht mit seinem Mund über die Lippen seines Bruders, bevor er sein Gesicht in dessen Halsbeuge bohrt und ihn umarmt.
 

„Cain…“ Unfähig darauf zu reagieren, verharren sie so. Keiner wagt es den Körperkontakt zu unterbrechen, zu angenehm fühlt sich diese vertraute Wärme an, die durch sie hindurchströmt. „Ich hab dich auch lieb… Cain…“
 

~*~*~*~*~*~
 

Nachdenklich greife ich in meine Jackentasche und ziehe eine Packung Davidoff Zigaretten, sowie ein Feuerzeug heraus. Wenige Sekunden später steigt feiner Rauch auf und der Geruch von Nikotin hüllt mich ein, schnürt mir regelrecht die Kehle zu. Du hast diese Marke geliebt, kein Wunder, du warst einer derjenigen, die täglich eine halbe Schachtel weggeraucht haben… weißt du, wie sehr ich das gehasst habe, Abel?
 

Aber anders als manch andere Leute, habe ich jetzt nicht mehr die Wahl zwischen Raucher oder Nichtraucher. Ich habe es wie einen Teil von dir übernommen… sieht du mich Abel? Das alles tue ich nur für dich… damit du weiter leben kannst… denn es gibt niemanden außer dir, der Cain vermissen würde. Niemanden außer dir, daher musst du an meiner Stelle in dieser Welt gegenwärtig bleiben, verstehst du?
 

Ich nehme einen tiefen Zug von dem Glimmstängel und puste nach kurzer Zeit den Rauch wieder in die kühle Abendluft. Im Gebüsch ist das regelmäßige Gezwitscher einiger Spatzen zu vernehmen, sowie das gleichmäßige Blätterrascheln, das von großen Weiden ausgeht, die ihre langen Äste fast bis zum Erdboden herabsenken. Die Augen schließend, verharre ich einige Minuten so, konzentriere mich nur auf das sanfte Rauschen, ähnlich einem Flüstern… Abel, was willst du mir sagen?
 

Tut es dir leid? Willst du dich dafür entschuldigen, dass du mich belogen hast?

Ich kann dich nicht verstehen… vielleicht weigert sich mein Geist aber auch einfach nur, deine Worte für mich verständlich zu machen. Du hast gewusst, wie viel du mir bedeutest, dass du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist… aber trotzdem hast du mich damals schamlos belogen, denn du hast mich nicht geliebt… nicht so sehr, wie ich dich, denn sonst hättest du mich nicht in aller Öffentlichkeit betrogen.
 

„Feigling…“ Leise dringt dieses eine Wort über meine Lippen, als ich mich zu dem Grab hinabbeuge und eine der Tulpen umknicke, ihr langsam den schlanken Hals umdrehe und sie breche. Getrennt von ihrem Körper, verweilt die Blüte in meiner Hand. Du hast Tulpen nie gemocht… obwohl es meine Lieblingsblumen sind.
 

Schmerzt es dich hier zu liegen, Abel? Hier, unter diesem Meer aus Tulpen, die dich bis in alle Ewigkeit daran erinnern werden, dass du deinen eigenen Bruder, dein Gegenstück, so schändlich hintergangen hast?
 

~*~*~*~*~*~
 

Dicke Regentropfen prasseln auf die Erde nieder, machen ein Weiterkommen gerade zu unmöglich, wenn man darauf aus ist, trocken zu bleiben. Unter einem alten, schon recht lädierten Bushaltehäuschen steht ein etwa sechzehn Jahre alter Junge und blickt trüb auf die großen Pfützen, die sich auf der Straße bilden und bei jedem vorbeifahrendem Auto kleine tropfenförmige Wellen in Richtung Bordstein auslösen.
 

Seit über einer Stunde wartet er hier nun schon auf seinen Bruder. Eigentlich hätte er schon mit dem letzten Bus hier eintreffen sollen, aber außer einigen älteren Herrschaften ist niemand aus der Buslinie ausgestiegen. Ein unruhiges Gefühl nagt in seiner Brust, ein Gefühl von Verlust, das sich immer dann in ihm ausbreitet, wenn er über mehrere Stunden von ihm getrennt ist.
 

Die dunklen Wolken über ihm wallen auf zu großen schwarzen Bergen und es fängt an zu donnern. Ein Knall, dass man annehmen könnte, die Welt ginge unter… ein Knall, dem kurz darauf ein greller Blitz folgt, der aggressiv aus der pechschwarzen Wolkendecke hervorzuckt und die Landschaft für den Bruchteil weniger Sekunden erhellt.

Aber das alles interessiert ihn nicht. Er nimmt es nur unbewusst wahr, als wäre das Gewitter über ihm ganz weit entfernt.
 

„Wo bist du…“ Ihm ist kalt, was weniger mit dem herbstlichen Wetter, als mit der Tatsache zusammen hängt, dass sein Bruder nicht auftaucht und ihn noch nicht einmal informiert hat. Warum hat er nicht gewollt, dass er mit zur Nachhilfe kommt? Sie machen doch sonst auch immer alles gemeinsam, nur dieses Mal schien es so, als wolle er ihn nicht dabei haben… als wolle er alleine mit diesem Jungen sein, der eine Klassenstufe über ihnen ist.
 

Ein bitteres Lächeln schleicht sich über seine Lippen und er lässt sich langsam an der rauen Holzwand des Häuschens hinab auf den Boden sinken. Er ist doch auch gut in Englisch, wieso konnte er ihm nicht weiter helfen… wieso?
 

Schwaches Scheinwerferlicht erhellt die Straße und kurz darauf hält der mit Graffiti besprühte Bus vor der Haltestelle an. Fast schon gehetzt blickt der Junge auf, sucht mit seinen Augen den Innenraum des Busses ab, in der Hoffnung, er würde ihn ausfindig machen.
 

Stille… das laute Grollen des Donners, das Prasseln der Regentropfen auf dem Holzdach des Häuschens… alles verstummt um ihn herum. Was tut sein Bruder da mit diesem Jungen…?
 

~*~*~*~*~*~
 

Ein verbittertes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich den brennenden Zigarettenstummel auf meinem Handrücken ausdrücke. Ein weiteres rotes Mal hinterlassend, das nun meinen Körper ziert… mich immer wieder aufs quälende daran erinnert, was ich in diesem Moment, wo du diesen fremden Jungen umarmt hast, empfunden habe.
 

Abel… du hattest keine Ahnung, was du mir in diesem Augenblick angetan hast. Es tut weh… es schmerzt mich bis heute. Du hast es nicht gesehen, du hast einfach weggeguckt, als du ausgestiegen bist. Du warst dir deiner Schuld bewusst, darum hast du meinen Blick gemieden… stimmt es, Abel? Du warst schon immer ein Feigling… wenn ich daran zurückdenke, wie sehr ich dich gehasst habe, wird mir speiübel.
 

Wie gerne hätte ich dir meine Finger um deinen weißen, schlanken Hals gelegt und zugedrückt… auf dich eingeschlagen, bis du winselnd und jammernd zusammenbrichst und zitternd vor meinen Füßen liegst. Ich hätte dann sogar noch zugetreten…
 

Keuchend verharrt mein Blick auf dem Grabstein, ein leichter Schwindel überkommt mich und ich sacke zu Boden. Kniend vor deinem Grabe bete ich zu Gott, dass du meine Gedanken nicht hören kannst… dass du all die bösen Erinnerungen, die dunklen Empfindungen die ich dir gegenüber hegte nicht siehst.
 

Ich hätte dir nie wehtun können Abel, auch wenn du es verdient hättest, für dein Vergehen ausgepeitscht zu werden wie die damaligen Sünder. Im Gegensatz zu dir, war ich dir gegenüber immer treu. Nicht einmal im Traum käme es mir in den Sinn, dich mit irgendeinem anderen Menschen zu betrügen… anders wie du, habe ich dich aus tiefstem Inneren geliebt.
 

Eine kleine Drossel hüpft über den Grabstein hinweg und flattert hoch in die sich biegenden Äste der Weide. Frei sein wie ein Vogel, an keine Regeln gebunden zu sein... wie sehr ich sie doch darum beneide.

In dieser Gesellschaft, die trotz ihrer großen Reden immer noch in ihrem konservativem Muster fest hängt, jeden ausgrenzt, der sich gegen die Regeln und Vorgänge des Normalseins sträubt… in dieser Gesellschaft ist kein Platz für uns gewesen.
 

Vielleicht warst du deshalb auch darum bemüht mich von dir wegzustoßen, dich von mir zu distanzieren, um somit nicht zum Opfer der Moralvorstellung anderer Menschen zu werden. „Ich hätte trotz allem zu dir gehalten… egal was passiert wäre“, wispere ich leise und taste mit meinen Fingerspitzen durch die feuchte, dunkle Erde.
 

Wie gerne würde ich dich noch ein letztes Mal berühren…
 

~*~*~*~*~*~
 

„Mach auf“, ruft der schwarzhaarige Jugendliche aufgebracht und hämmert mit den Fäusten wie ein Verrückter gegen die verschlossene Badezimmertür. Schon seit über einer Stunde hat sein Bruder sich dort eingeschlossen und weigert sich standhaft diesen Raum zu verlassen.
 

Leises Wasserrauschen ist zu vernehmen, ebenso wie die laute Musik, die aus einem kleinen Radio nach außen dringt. „Verschwinde endlich Cain!“, hört er die Stimme seines Bruders, dessen kalter Tonfall ihm einen schmerzhaften Stich versetzt.
 

Warum tut er das? Warum läuft er vor ihm davon? Liegt es daran, dass er seit einigen Wochen in einer Beziehung ist? Stört es ihn vielleicht, dass er in seiner Nähe sein will…
 

Verzweifelt schlägt er seine Hände gegen das weiße Holz. „Mach endlich diese verdammte Tür auf Abel!“, schreit er immer und immer wieder, während sich im Inneren des Raumes nichts weiter tut.
 

Schwer atmend lässt er die Hände sinken und sackt wie eine leblose Puppe auf den kalten Fußboden herab. „Bitte… mach die Tür auf…“, bringt er wimmernd hervor und vergräbt sein von Tränen benetztes Gesicht in seinen Handflächen. Er hält diese Distanz nicht länger aus- Diese gefühllosen Blicke und die abweisenden Worte… jedes von ihnen schneidet sich wie eine scharfe Glasscherbe in sein Herz, zerreißt ihn innerlich, ohne jegliches Erbarmen.
 

Nach einiger Zeit hört er, wie ein Schlüssel sich im Schloss umlegt und die Tür vorsichtig geöffnet wird.

Ein anderer Junge vom gleichen Alter und Aussehen bleibt vor ihm stehen und blickt hin und her gerissen zu ihm hinab.
 

„Wieso… verstehst du es nicht Cain?“, fragt er ihn leise, mit einem leicht bitteren Unterton in seiner Stimme, als er sich langsam zu ihm herabbeugt und durch seine Haare streicht. Mit geröteten Augen blickt der andere Junge auf, sieht in das traurige Gesicht seines Bruders, der ihn die letzten Wochen immer wie Luft behandelt hat.
 

„Weil es dafür keinen Grund gibt!“, fährt er ihn hysterisch an und schubst seinen Bruder von sich weg, der erschrocken nach hinten fällt und mit weit aufgerissenen Augen zu ihm aufblickt. Taumelnd stolpert der andere Junge davon, rennt die lange Treppe hinauf und schlägt laut krachend seiner Zimmertür hinter sich zu.
 

„Ich hasse dich Cain!“, hört er ihn hinter sich her schreien. Wie ein Echo hallen diese Worte in seinem Kopf wieder… Hass… „Ich hasse dich!“
 

~*~*~*~*~*~
 

Wie lange ich an diesem Tag geweint habe weiß ich nicht mehr… ich war ein Nervenbündel, ein seelisches Wrack, etwas, zu dem du mich gemach hast. Habe ich dich wirklich so sehr bedrängt Abel? Hat meine Zuneigung, die Liebe die ich dir entgegengebracht habe, dich so sehr erdrückt, dass du dir nicht anders zu helfen wusstest, als mich wie Dreck zu behandeln?
 

In meinem Leben gab es nie etwas Wichtigeres als dich, weißt du überhaupt wie sehr ich unter dir gelitten habe? Unter deine brüderliche Liebe, die du mir entgegengebracht hast, die aber immer nur die eines Bruders gewesen ist… nie mehr…
 

„Vielleicht habe ich deinen Hass verdient Abel…“ Ja, vielleicht bin ich selbst schuld daran, dass sich unser Verhältnis so rapide verschlechtert hat. Dass aus den ehemals unzertrennlichen Zwillingsbrüdern, zwei voneinander unabhängige Persönlichkeiten wurden, so wie die Leute es um uns herum wahrgenommen haben…
 

Ich weiß nicht, was in dir vorging Abel… du hast nicht mehr mit mir gesprochen, dabei haben wir uns doch immer alles erzählt. Ich weiß nur, dass ich kein unabhängiger Mensch gewesen bin.
 

So wie die Luft zum Atmen, so habe ich dich gebraucht. Ohne dich erschien mir alles so sinnlos und leer… du warst die einzige Person die mich je verstanden hat, anders als Vater und Mutter, die sich mehr um ihre Geschäftspartner bemüht haben als um uns. Bis zu diesem Tag habe ich, naiv wie ich scheinbar war, geglaubt, dass nichts uns auseinander bringen könnte… auch nicht dieser andere Junge, mit dem du dich regelmäßig getroffen hast… wir gehören zusammen, so und nicht anders habe ich es immer gesehen.
 

Es ist meine Schuld, dass du an diesem Abend in diesem verwirrten Zustand das Haus verlassen hast… ganz allein meine Schuld… auch wenn ich nicht hinter dem Steuer saß…
 

~*~*~*~*~*~
 

Dicke weiße Flocken fallen in Scharen aus der dunkelgrauen Wolkendecke herab. Der erste Schnee in diesem Winter…

Es ist Mitte Dezember und auf den Strassen herrscht reger Verkehr, Leute hetzen durch die überfüllten Geschäfte, um auf den letzten Drücker noch ihre Weihnachtseinkäufe zu tätigen, während das dichte Schneetreiben immer mehr und mehr zunimmt.
 

Ein kalter Wind fegt über die Straßen hinweg, wirbelt den Schnee auf, der sich wie eine dichte Wolke wieder auf den Boden herabsinken lässt. Schwer atmend drängt sich ein schwarzhaariger Junge durch den Menschenstrom, rempelt eine ältere Frau an, die ihm laut hinterher schimpft und bahnt sich seinen Weg in Richtung Park.
 

Er weiß, dass er ihn dort findet, Abel seinen Bruder, der nach ihrem Streit hastig das Haus verlassen hat. Sein Atem steht in einer weißen Wolke vor seinem Gesicht, als er einige Meter vor sich einen schwarzen Wuschelkopf an der Kreuzung erblickt. Seine Pupillen weiten sich und er beschleunigt sein Tempo nochmals.
 

Ihm ist kalt, obwohl er den ganzen Weg von Zuhause aus bis hierher gelaufen ist. Ein unangenehmes Gefühl hat ihn gepackt nachdem sie ihre Auseinandersetzung hatten. Beklemmend und beinahe schmerzhaft hat es sich angefühlt, wie eine innere Alarmglocke die plötzlich losgegangen ist.
 

Getrieben von dem Gedanken seinen Bruder einzuholen, ihn zu packen und nie wieder loszulassen, stürmt er auf die Kreuzung zu. Schneeflocken tanzen vor seinen Augen und der kalte Wind schlägt ihm erbarmungslos ins Gesicht. Der Boden ist glatt und feucht, er muss aufpassen, dass er nicht aus Versehen ins Stolpern gerät und ausrutscht.
 

Halt suchend streckt er seine Hände nach ihm aus, als sein Bruder sich umdreht. Dunkelblaue Augen starren ihn an, spiegeln Panik und Angst wieder, die ihn dazu bewegen loszulaufen. Ohne auf den Verkehr zu achten läuft er auf die Kreuzung, dreht sich nochmals nach seinem Zwillingsbruder um, der nun mit entsetztem Gesichtsausdruck am Straßenrand stehen bleibt.
 

Wie in Zeitlupe beobachtet er, wie sein Ebenbild auf der Fahrspur das Gleichgewicht verliert, ins Taumeln gerät und wenige Sekunden später von einem grellen weißen Licht bedeckt wird.
 

Die Leute um ihn herum schreien entsetzt auf.

Hupen, lautes Reifengequietsche und ein Knall… mehr nimmt er um sich herum nicht mehr war. Seine Augen verharren auf dem kleinen Körper, der durch die Luft geschleudert wird und mit einem dumpfen Aufprall auf der vereisten Straße liegen bleibt.
 

Der erste Schnee in diesem Winter…
 

~*~*~*~*~*~
 

Nicht du bist in diesem Moment gestorben, sondern ich. Jegliches Gefühl in mir wurde in diesem Sekundenbruchteil abgetötet… zurück blieb allein der Gedanke daran, dass ich meinen eigenen Bruder, den Menschen, den ich am meisten geliebt habe, in den Tod getrieben habe.
 

„Ich habe es nicht verstanden Abel…“, bringe ich mit erstickter Stimme hervor und wische mir den kalten Schweiß von der Stirn. Ein Gefühl der Übelkeit kriecht durch meinen Magen, während eine kalte Hand gegen meine Kehle drückt, versucht, mir die Luft abzuschnüren… Ist das deine Form von Rache Abel? Hasst du mich für das, was ich dir angetan habe?
 

So wie der sündige Junge im Buche Gottes, der damals seinen Bruder aus Eifersucht mit einem Stein erschlug, so habe auch ich dich ermordet… Ja, ich war immer eifersüchtig. Jedes Mal, wenn dir jemand auch nur zu nahe gekommen ist, hätte ich vor Eifersucht explodieren können.
 

Egoistisch, das war ich. Für mich allein wollte ich dich haben, niemand sonst sollte Hand an dich legen außer mir. Aber letzen Endes habe ich dich nicht bekommen, sondern die Engel haben dich an den Händen gepackt und dich mit sich fort getragen.
 

Abel, unschuldig und rein, wie in der Bibel… während du deinen Frieden im Himmel gefunden hast, werde ich bis an mein Lebensende durch die Hölle gehen, die du mir durch deinen Tod erschaffen hast. Ich werde für dich leben… ich werde für dich leiden, denn es ist Cain, der damals gestorben ist.
 

~*~*~*~*~*~
 

Blaulicht und lautes Sirenengeheul hallt über die Straße hinweg. Das regelmäßige Piepen der Geräte, an denen ein blutüberströmter Junge angeschlossen ist und das hektische Reden der Ärzte, die sich um den zerbrochenen Körper sammeln, dringen an sein Ohr.
 

Wie in Trance starrt er auf die geschlossenen Lider seines Bruders, beobachtet, wie ein rotes Blutrinnsal an seiner Wange hinab läuft und auf die Barre tropft. Das Piepen wird lauter, immer unregelmäßiger, bis hin zu einem Dauerton, der sich tief in sein Gedächtnis hineinfrisst.
 

Den weißgekleideten Mann neben sich nimmt er gar nicht wahr, der schon seit einiger Zeit auf ihn einredet, versucht ihn aus diesem Dämmerzustand herauszuholen, der ihn immer noch gefangen hält. Wie eine Marionette die an ihren Fäden baumelt und sich nicht selbstständig bewegen kann.
 

Ein Ruckeln geht durch den Wagen, als er vor einem großen Mehrstöckigen Gebäude zum Stehen kommt. Das örtliche Krankenhaus, aus dessen Eingangstür bereits mehrere Männer in weißen Kitteln gelaufen kommen. Die Hintertür des Notrufwagens wird aufgerissen und der scheinbar schlafende Junge wird eilends hinausgetragen.
 

„Cain ist tot…“, flüstert der Junge leise und bleibt bewegungslos im Wagen sitzen, die Worte des Pflegers neben sich ignorierend. Immer wieder murmelt er sie vor sich her, wie ein Mantra, ohne dass er nicht mehr weiterleben kann. „Cain ist tot…“
 

~*~*~*~*~*~
 

„Hast du es gehört? In diesem Moment habe ich dir ein neues Leben geschenkt Abel… bist du glücklich darüber?“ Geistesabwesend beobachte ich die gelben Tulpen, die sacht im Wind hin und her tanzen, ihre Hälse biegen, sich winden… wie ein Trauertanz, der nur von kurzer Dauer ist. „Willst du mir immer noch nicht antworten…?“
 

Schwermütig stehe ich auf. Meine Glieder sind schwer wie Blei, sodass mich jede Bewegung eine enorme Anstrengung kostet. Dies ist meine Bürde die ich bis an mein Ende zu tragen habe. Die Bürde der Schuld, der Schande… die eines Brudermörders! Für das, was ich dir angetan habe, werde ich bis ans Ende der Zeit in der Hölle schmoren und um deine Vergebung betteln.
 

Langsam kehre ich dem Grab meinen Rücken zu.

Morgen werde ich dich wieder besuchen Abel, solange bis du dich dazu bereit erklärst, mir meine Sünde zu verzeihen. Und solange werde ich kommen, dich immer wieder daran erinnern, was zwischen uns gewesen ist, selbst wenn andere dich schon längst vergessen haben.
 

Du bist der einzige, der mich je wirklich verstanden hat… und du bist auch der einzige der um mich trauern wird, Abel… denn es gibt niemanden sonst, der Cain vermisst, den sündigen Bruder, den Verstoßenen.
 

Niemand außer dir…
 

Der Wind fährt mir durch die Haare, wirbelt abermals die kleinen weißen Blütenblätter vom Boden auf, die durch die Luft tanzen, wie kleine Schneeflocken. Ein warmer Luftzug streift meinen Nacken und ich erschaudere. Leise, beinahe einem Wispern gleich, dringt es an mein Ohr. Zweifelnd drehe mich wie von selbst zu deinem Grabe um.
 

Inmitten der gelben Tulpen steht ein kleiner sieben Jahre alter Junge und streckt seine Hände nach den weißen Blüten aus. Seine Augen leuchten vor Freude und er winkt mir lächelnd zu.
 

„Cain... Cain, es schneit!“
 


 

~ Ende ~
 


 


 

Kommis, sowie Buttons oder Sicherheitsnadeln bitte hier abgeben. ^^
 

Baba -Neya- ("^^)
 

P.S. Wenn jemand fragen hat, was nun mit Mad Life passiert/los ist, kann mir ne ENS schreiben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (29)
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Von: abgemeldet
2009-08-04T13:43:58+00:00 04.08.2009 15:43
wow :O

die geschichte is der hammer....ich hab ganz fasziniert gelesen....einfach toll...
wie du geschrieben hast....wirklich schön...
hach..ich weiß gar nich was ich noch schreiben soll *sprachlos*

glg
Moe_
Von: abgemeldet
2008-12-09T20:52:29+00:00 09.12.2008 21:52
Hab ich sie!
So, da ich jetzt meine Sprache wiedergefunden und die Gänsehaut einigermaßen vertrieben habe, versuche ich nun mit den wenigen unzureichenden Worten die mir eigen sind, dir mitzuteilend das die Geschichte wirklich atemberaubend ist.
Zwischendurch war ich drauf und dran abzubrechen, weil sie so beklemmend war. Aber ich habs geschafft und sie ist absolut genial.
Von:  ReiRei-chan
2008-11-12T16:45:13+00:00 12.11.2008 17:45
Eine Geschichte bei der ich sprachlos geworden bin. Ich fand es eigentlich nicht sonderlich verwirrend, also vom Inhalt her, aber es war sehr aufwühlend und aufzehrend, denn die Gefühle von Cain waren einfach zu groß um sie fassen zu können.
Ich kann es nachvollziehen und dennoch entzieht es sich mir auf eine surreale Art und Weise. Ein seltsames Gefühl.
Ein unglaubliches Werk.
Und ein Satz ist mir ganz besonders aufgefallen: Du hast Tulpen nie gemocht… obwohl es meine Lieblingsblumen sind.
Von: abgemeldet
2008-02-09T12:09:26+00:00 09.02.2008 13:09
Schnee... ja, allein das macht mich irgendwie traurig.
Natürlich hab ich God Child gelesen und auch da am Schluss geweint. Ich scheine anfällig für Abel/Cain Stories zu sein... und für melancholische Stimmungen.
Ich weiß nicht, aber in letzter Zeit lese ich fast nur noch, wenn auch ungewollt, Dramen oder Unhappy-Endings und irgendwie hilft mir das mit meinen momentanen verkorksten Gedanken klar zu kommen. ^^'
Aber ich muss sagen, deine Geschichte übertrifft so manches, was ich in dieser Richtung so gelesen hab. (Ob das jetzt ein kompliment ist, naja xD')
Oh, und du machst mich ganz neidisch auf deinen Schreibstil! Hört es sich kitschig an, wenn ich ihn mit Schnee vergleiche...? Wie gesagt: Verkorkste Gedanken.

Und besser spät als nie: Es wundert mich wirklich nicht, dass du den 1. Platz gemacht hast.

Ich glaube, der letzte Satz war der Schönste. Ja, Schnee ist wichtig.

So, ich hoffe, du kannt mir diesen dusseligen Kommi verzeihen ^^'(hab nicht wirklich übung darin...)
Das ganz mitgenommene C-chan~
Von:  Yuku
2007-08-31T13:14:12+00:00 31.08.2007 15:14
Wunderschön...
*sprachlos*
*is nur am heulen*
Ich kann vollkommen verstehen dass du damit gewonnen hast.
Das kommt auf meine Favoritenliste.
*völlig aufgelöst*
Ich versichere dir, ich hab noch nie sowas schönes gelesen...
Von: abgemeldet
2007-04-20T21:01:24+00:00 20.04.2007 23:01
Wunderschöne Story. Sehr traurig, aber schön.
Von: abgemeldet
2007-04-09T10:30:42+00:00 09.04.2007 12:30
wahh diese geschichte ist total toll!!!
an vereinztelten stellen bekahm ich richtig gänsehaut
grosses kompliment ^^
Von: abgemeldet
2007-03-24T10:35:57+00:00 24.03.2007 11:35
Also ich finde deine Geschichte echt klasse und ich glaube, ich kann mir von dir eine gewaltige Scheibe abschneiden!!Aber echt!!
Ich habe vor kurzem meine erste Geschichte, die ich jemals geschrieben habe veröffentlicht! Sie heißt Homo no Kyodai! Ich würde mich sehr freuen, wenn du mal das erste Kapitel lesen würdest.
Du hast echt einen super schreibstil an dem ich noch arbeiten musst^^ aber es ist jo noch nie ein Meister vom Himmel gefallen!!
Doch ich glaube, ich habe einen Meister gefunden^^
Von:  Asuka
2007-01-14T23:38:17+00:00 15.01.2007 00:38
Ist das traurig...
Die armen beiden...

Ich bin echt beeindruckt, du hast das "thema" super verarbeitet. Der Wechsel zwischen erinnerungen und realität ist echt gelungen, sehr wirkungsvoll. Und das ende... da bleibt einem echt die Luft weg.

Super, wirklich!

Alles Liebe,
Asuka
Von:  Ryuzaki
2007-01-07T11:22:02+00:00 07.01.2007 12:22
ICH KONNTE ES NICH LESEN WEIL ICH ZUM WEINEN ANGEFANGEN HAB!!!
Genau so eine Geschichte hab ich auch geschrieben, also Verhältnis Kain+Abel..... Vermutlich denken auch mehr so wie ich, bin nich unbedingt die Religiösteste.
Ich hab auch noch so eine Geschichte.... Kain und Abel naja. Mir hat Kain immer Leid getan, ich mochte ihn viel lieber also stelle ich Kain (Er kommt in den meisten meiner Geschichten als eine der Hauptpersonen vor) immer als unschuldiges Lämmchen dar und Abel als verzogenen Bengel der seinen Bruder dazu bringt für seine Untataen durch die Hölle zu gehn... Spätetestens nach God CHild von Kaori Yuki hab ich Kain zu lieben gelernt!!!
Danke dass du das mal so geschriebn hast
Lawliet The Justice


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