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Doppelkrone - Chronik einer Reise ins Unbestimmte

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1. Station: Der Tempel Ysaap - Avalass

Ein Fuchs von furchterregender Größe erschien am Absatz der langen Treppe, die hinauf zum Tempel Ysaap führte. Das Blut in seinem Fell glänzte im Licht der sinkenden Sonne. Es gab kaum eine Stelle, die nicht in das metallene Rot des Fuchsblutes getränkt war. Oder war es noch fremderes Blut?

Auf dem Rücken des Fuchses lag eine Gestalt, die ihre gesamtes Aussehen durch ihren schwarzen Mantel verborg. Die Hände waren tief in die Nackenhaare des Tieres gekrallt, aber ansonsten zeigte die Person keine Reaktion als sich der Fuchs nach einer kurzen Pause an den Aufstieg machte.

Die Priester waren keineswegs herzlos und verspürten durchaus den Drang dem verletzten Mann zu helfen, aber der Anblick der riesigen Bestie hatte sie zu Stein erstarren lassen. Sie wussten, dass es im Norden ein Reich gab, indem riesige Tiere lebten und Menschen mit ihnen zusammen friedlich in einer Einheit. Sie lebten zusammen und im gegenseitigem Nutzen.

Der Fuchs benötigte sichtlich all seine Macht, für jede einzelne Stufe – und die Treppe hinauf zum Tempel maß genug von diesen langen Stufen. Selbst junge Lehrlinge scheuten vor dem Weg zurück. Das Tier jedoch machte keinerlei Anstalten aufzugeben, sondern drückte sich mit einem gequältem Röcheln von einer Steinstufe zur nächsten. Noch immer traute sich keiner einen Finger zu rühren, aber einige liefen hastig in dem Tempel. Sie hatten Angst, denn die Bestie näherte sich mit jeder endlos scheinenden Minute. Nur eine Priesterin samt ihren Gehilfen blieb zurück.

Das Blut trat aus den Wunden, in solchen Massen, dass jeder normale Fuchs, vor allem Mensch schon seinem Blutverlust erliegen wäre. Man spürte die erstaunliche Willenskraft des Tieres mit der es die Kapuzengestalt näher an dem Tempel trug. Vermutlich der Besitzer des Fuchses und nicht minder verletzt als dieser selbst. Er hatte knapp die Hälfte geschafft, als er stoppte. Erschöpft hob der Fuchs den Kopf und blickte ihnen mit trüben Augen entgegen. Er schwankte gefährlich und fiel doch nicht. Die junge Priesterin war ergriffen von der Treue des Tieres zu seinem Herren und rannte die Stufen hinunter. Ihre Lehrlinge erwachten aus ihrer Starre und folgten ihr. Das verwundete Tier zuckte kurz zurück, als die Frau seinen Träger berühren wollte. Sie lächelte sanft und befahl ihren Gehilfe ihr zur Hand zu gehen. Vorsichtig zogen sie den Mann von dem Rücken des Fuchses. Er stöhnte und begann vor sich hin zu murmeln. Die Priesterin schlug verwirrt die Kapuze zurück und erkannte, dass es noch ein Junge war, den sie vor sich hatte. Sein Haar hatte eine seltene kobaltblaue Färbung, es war kurz und völlig durcheinander. Im Haar klebten Schlamm, Blätter, kleine Zweige und Streifen zerrissenen Papiers in vielen Farben. Es roch nach Schwefel. Die Frau rümpfte die Nase als sie die Aschrückstände sah. „Herrin!“

Sie zuckte zusammen und stoppte ihre Beobachtungen. Abwesend stülpte sie dem Jungen die Kapuze wieder über. „Schnell, schafft ihn in meine Gemächer. Wir müssen uns um seine Wunden kümmern.“, rief sie aufgebracht, „Johan, bitte renn in die Stadt und such den Doktor. Wir brauchen jemanden für das Tier. Ich habe Befürchtungen, dass meine Heilkünste für das Tier nicht reichen. Auch bei dem Jungen bin ich mir unsicher. Sie beide stammen nicht aus unserem Lande und beide tragen sie furchtbare Verletzungen. Beeil dich, Junge.“

Der Rest der Gehilfen half den Fremden in den Tempel zu bringen und die Priesterin wandte sich dem Tier zu. „Einen eisernen Willen besitzt du, aber diese Eigenschaft ändert nicht, was du bist. Ich riskiere viel deinen Herren in den Tempel zu bringen, doch das ist alles, was ich wagen kann. Doch will ich dich nicht hier draußen lassen und warten bis dein Ende gekommen ist. Komm folge mir, junger Fuchs aus dem Reich der Doppelkrone.“
 

Yuris wachte auf. Er kniff die Augen zusammen und versuchte sich zu bewegen. Sofort überkam ihn ein ganzer Schwarm verschiedenartigster Schmerzen. Es brannte, zwickte, drückte, stach und pochte an jeder bekannten Stelle. War dies die Hölle, so entsprachen die Qualen durchaus seinen Erwartungen. Er öffnete die Augen. Die Hölle schien ein recht komfortabler Ort zu sein. Der Junge befand sich in einem großen Zimmer mit vielen hellen Farben. Verschiedene Bilder waren an die Wände gepinselt und er erkannte die Gestalten darauf. Es waren unter anderem der Gott der Rache Erbakus, Gott der Spiele Izas, Göttin der Vernunft Travis und das im Reiche Avalass gern gesehene Gesicht des Reichsgründers Avalon. Also eher nicht die Hölle, schloss Yuris daraus.

Natürlich! Die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse kehrte zurück. Er hatte mit der jungen Magierin Sabeth, dem Wolfsmensch Rexis und seinem getreuen Leas gegen die Vampire im Schloss nahe Aketh gekämpft. Was war passiert und wieso befand er sich in diesem Zimmer? Hatten sie gewonnen? Und wo waren seine Freunde? Zu viele Fragen stapelten sich gleichzeitig auf und nun schmerzte ihm auch noch der Kopf.

Die Tür zum Zimmer wurde geöffnet und Yuris’ setzte sich erschrocken auf. Sofort bekam er die Quittung für seine ruckartige Bewegung und der Schmerzensgrad verzehnfachte sich auf einen Schlag. In seinem Kopf begann sich alles wirr zu drehen und er stöhnte. Jemand legte ihm die Hände auf die Brust und er wurde wieder herunter gedrückt. „Ihr solltet Euch wirklich noch nicht bewegen, Herr. Eure Wunden sind so schlimm, dass selbst der alte Greis kapitulieren wollte und er hat schon so einiges in seinem hohen Alter gesehen. Es gibt keinen bessren als ihn in unserem Reich, Herr.“

Aus dem Ton der Stimme und dem ständigen „Herr“ schloss Yuris, dass es sich bei dem Mädchen wohl um eine Dienerin handeln müsse. Befand er sich im Hause eines reichen Mannes? „Bitte, lass das förmliche Gerede mit dem Herr.“, bat er sie unruhig. Ihr Gesicht sah er im Moment noch nicht, da der Junge die Augen wegen des Schwindelanfalls lieber noch geschlossen hielt. Die Dienerin kicherte kurz, wahrscheinlich über seinen bitteren Gesichtsausdruck. „Ich hörte, ihr- du stammst aus dem weiten Norden. Ich habe großen Respekt vor deinem Volk.“, sagte sie etwas zögerlich. Yuris lächelte knapp. Wenigstens funktionierten seine Lachmuskeln noch. „Dann gehörst du zu einigen wenigen. Viele Leuten begegnen uns mit großer Abscheu.“, antwortete er heiser. „Haben solche Leute dich so verletzt?“, fragte das Mädchen neugierig. „Vampire. Sie haben keinen Respekt vor jeglichem Leben. Sag, wie komme ich hierher und war niemand bei mir? Du musst wissen, dass ich mich noch kaum erinnern kann. Ich stand mit meinen drei Freunden eben noch mitten im Kampf und jetzt wach ich in einem Zimmer irgendwo in Avalass auf.“

Ein kurzer Moment des Schweigens folgte. Der Junge blinzelte und sah gezwungenermaßen zur Seite. Die Dienerin goss gerade etwas Wasser in ein Glas. Sie zuckte kurz zusammen als sich ihre Blicke begegneten. „Ein riesiger Fuchs trug dich vor unseren Tempel. Herrin Juana half als einzige und ließ dich in ihre Gemächer bringen, damit man deine Wunden versorge. Dein Freund wurde auch vom alten Greis behandelt, ebenso großer Schock für den alten Mann, vor allem die Größe des Tieres. Sonst niemand, nur ihr beide.“, beantwortete sie seine Frage und hielt ihm das Glas an die Lippen. Yuris löste seine trockenen Lippen von einander und wie gut es tat, als die Flüssigkeit diese berührte, sich durch seinen Mund wälzte und die ausgetrocknete Kehle befeuchtete.

Das Glas wurde wieder auf den kleinen Tisch neben seinem Bett gestellt und das Mädchen lächelte ihn verlegen an. Yuris versuchte es zu erwidern, aber verschiedene Gedanken bedrückten ihn. Was war aus seinen anderen Gefährten geworden? Hoffentlich hatten auch sie die Flucht aus dem Schloss geschafft. Schmerzvoll erinnerte er sich an ihre große Niederlage. Oh wie hatten sie doch vorher noch große Töne gespuckt und allen versprochen die Vampire zu besiegen. Im Endeffekt war die Entscheidung so schnell gefallen, dass man nur blinzeln musste, um alles zu verpassen. Es war nicht seine erste Niederlage seit er seine Heimatstadt verlassen hatte. Aber diesmal saß das erdrückende Gefühl der Niederlage irgendwie noch tiefer als sonst. Vielleicht weil er der hübschen Baronstochter versprochen hatte - die wahrlich zu den Schönsten ihres Standes zählte - dass er sie vor den Vampiren schützen werde. Oh wie würde sie über ihn lachen, wenn er mit Wunden übersäht und eingezogenem Schwanz zu ihr zurückkehrt!

Vor Scham wandte er sich von der verwirrten Dienerin ab. Das Mädchen hob die Schultern und hastete wieder aus dem Raum ohne ein weiteres Wort. Der Junge seufzte. Es war nun wirklich keine Zeit an Frauen zu denken. Bevor er sich ganz anderen Dingen zuwenden konnte, wurde die Tür ein weiteres mal aufgeschlagen und diesmal traten gleich drei Personen ein. Eine zweifellos das Mädchen von eben, die andere eine Frau mit langen schwarzen Haaren im typischen rotweißen Gewand einer Priesterin aus dem Süden Avalass und als letztes betrat ein alter Mann den Raum. Er vermutete, dass es sich um den Arzt hielt, der ihm und seinem Freund das Leben gerettet hatte.

„Siehst schon nicht mehr so blass aus, Zackenjunge.“, krächzte der kleine Mann. Sein Haar war tiefgrau und sein langer Bart reichte ihm fast bis an die Fußspitzen. Trotz des kantigen und faltenreichen Gesichts machte er einen freundlichen Eindruck, vielleicht durch seine großen braunen Augen. Yuris fand, dass etwas sehr beruhigendes darin lag. Aber für die Bezeichnung ‚Zackenjunge’ (wohl aufgrund seiner Frisur) zog er ihm einiges an Sympathiepunkten wieder ab. „Seid nicht gleich so schroff zu unserem Gast. Er muss sich wie im Zwinger fühlen.“, tadelte ihn die Priesterin, „Du hast lange geschlafen. Sag Junge, wie ist dein Name?“

„Y-Yuris. Wie lange wenn ich fragen darf, Heilige Mutter?“, erwiderte er angespannt. Sie lachte. „Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten. Wie auch du ziehe ich die einfache Anrede vor. Ich bin die Priesterin Juana, ich half dir auf den Stufen zum Tempel. Doch zu deiner Frage: Siebenmal wechselten Hukky und Zeldes die Plätze, während du dich ausgeruht hast.“, sagte sie freundlich. „Eine Woche?!“, entfuhr es ihm voller Entsetzen. „Und du wirst das Bett noch eine Weile deine Heimat nennen müssen, Bursche. Vampire sagt das Mädchen, Vampire, ha! In meinem langem Leben sah ich keinen einzigen dieser Unglücksboten hier! Schatten sind sie, Geschichten für kleine Kinder hier bei uns! Aber geben tut es keine. Vielleicht im Dreizahngebirge, tief in Falläen-Stein, aber hier! Gott möge deine wilde Fantasie segnen, Junge.“, kicherte der Doktor. Yuris zog scharf die Luft ein und Juana legte dem alten Mann eine Hand auf die Schulter. „Nun, dein Freund ist schon wieder fast wieder ganz auf den Beinen, aber er winselt ständig wie ein kleiner Welpe. Es bereitet ihm denke ich Sorge, dass er sein Herrchen nicht besuchen kann.“, sagte er und wieder verfiel er in sein spöttisches Lachen, „Vampire!“

„Es ist wahr, ich schwör auf alles, was ihr wollt! Eine kleine Provinz etwas nördlich von Aketh bat um unsere Hilfe. Eine Vampirfamilie hatte sich in dem Hauptsitz des Barons eingenistet und sie töteten viele der jungen Mädchen. Wir versuchten gegen sie zu kämpfen, aber ihre Macht ist groß, selbst so fern von ihrer Heimat noch.“, erklärte der Junge ernst. Die junge Dienerin schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Der kleine Doktor wollte gerade loskichern, aber die Priesterin gab ihm einen Klaps auf den Kopf. „Genug jetzt, alter Mann. Ein Wort noch und ich hetz’ dir persönlich alle verfügbaren Götter an den Hals. Ich glaube dem Jungen, zumindest dass er gegen Vampire gekämpft hat. Welcher Irrsinn ritt dich gegen solche Teufel anzutreten?“, entgegnete Juana. Das frage ich mich auch, brummte er in Gedanken. Ihr wurde klar, dass er die Antwort lieber für sich behalten wollte. „Na gut, es bleibt noch viel Zeit zum Reden. Du willst dich sicher noch etwas schonen. Die Schmerzen sind sicher unerträglich. Maia wird dir etwas zu Essen bringen und sich um alles andere kümmern, dass du benötigst.“, fuhr die Priesterin fort. Yuris vermutete hinter Maia die Dienerin neben seinem Bett. „Heute wird es noch teuflisch schmerzen, aber keine Sorge. Morgen lässt die Wirkung der Salbe nach. Sie lässt alles immer etwas schlimmer wirken, aber dafür heilt sie unglaublich schnell. Schlafe noch eine Nacht und du wirst sehen, dir geht es besser als jemals zuvor.“

Der Junge wollte durchaus keinen Zweifel an seinen Worten hegen, aber bei den Schmerzen war das schwer vorstellbar. Juana nickte ihm kurz zu und dann verschwand sie mit dem Doktor rasch aus dem Raum. „Jetzt hatte sie es aber eilig.“, murmelte Yuris. „Die Priesterin steht sehr unter Druck. Das Oberhaupt unseres Tempels ist nicht gerade glücklich mit der Anwesenheit eines Kronenländlers und eines Fuchsriesen.“, sagte das Mädchen. Jetzt fühlte er sich schlecht. Wieder brachte jemand völlig Fremdes ein großes Opfer für ihn. Riskierte mehr als nur eine kurze Moralpredigt, damit es ihm gut ging. Yuris sah betrübt auf seine Decke. Er wollte jetzt auf keinen Fall wieder an die Ereignisse in Sahrring denken, aber schlechte Erinnerungen lassen sich niemals gut vertreiben.

Den Rest des Tages sprach er kaum noch mit dem Mädchen und als Zeldes die Sonne vom Himmel vertrieb, schlief er sofort ein.
 

Die Schmerzen hatten am nächsten Morgen tatsächlich nachgelassen. Er konnte sich aufsetzen ohne dass ihm dabei jeder Knochen schmerzte. Neben seinem Bett lag seine Kleidung und ein kleines Becken mit sauberem Wasser. Yuris wusch sich kurz damit und zog dann die Sachen an. Maia hatte seine Kleidung über Nacht wohl gewaschen, denn es war kein einziger Blutfleck mehr zu sehen. Er betrachtete sich im großen Spiegel des Zimmers. Seine Körpergröße entsprach der eines ausgewachsenen Mannes, aber sein junges Gesicht verriet immer wieder sein wahres Alter: 15! Yuris konnte noch so viele Leute überragen, er wurde immer wie ein Kind behandelt. Eine schwarze Hose aus Nadelleder schützte seine langen Beine. Das Leder eines Nadeltiers war sehr stabil und schützte auch noch gegen Feuer. Der weiße Gürtel stand im völligen Kontrast zu dem Schwarz der Hose. In hellem Blau waren Runen auf den Stoff genäht worden, die ihn vor Unheil schützen sollten. Zumindest glaubte Seirra daran. Mit einem Grinsen dachte er an die aufgedrehte Piratin. Ein dunkelblaues Hemd aus weicher Haffiwolle mit einer halbherzig zugebundenen Krawatte folgte. Selbst die oberen Hemdknöpfe schloss Yuris aus bloßer Faulheit nie. Wolle der Haffi aus dem kalten Nordosten war ein weiteres seiner Kleidungsstücke mit nützlichen Fähigkeiten. In warmen Gebieten kühlte es angenehm, befand man sich aber in kälteren Regionen, wärmte es den Körper. Er liebte das Hemd, was ihm seine Mutter vor der Abreise gegeben hatte. Auch wenn es nicht schwarz war, immerhin war das seine Lieblingsfarbe, weshalb er oft schief angeschaut wurde. Der Junge streifte noch die leichte schwarze Jacke über - sein dicker Mantel mit der Pelzkapuze würde ihn zu sehr wärmen - und lachte dann knapp. Niemand würde ihn für einen Kronenländler halten mit solchen Sachen. Die sauberen und feinen Kleider erinnerten mehr an die Menschen aus Sahrring. Alles was ihn jedes Mal verriet war sein ständiger Begleiter Leas. Der Fuchs maß von der Höhe her etwa so viel wie ein Pferd, überragte diese in der Länge – nicht zuletzt durch seinen langen Schweif. Ansonsten unterschied ihn nicht viel von den kleinen Tieren, aber Menschen hatten Angst vor den großgewachsenen Tieren aus Doppelkrone. Yuris zuckte mit den Schultern. Vielleicht war die Angst ja berechtigt, immerhin konnte Leas einem Mann locker den Kopf abbeißen, ohne sich groß anzustrengen. Er hatte aber auch Menschen getroffen, die keine Furcht vor dem Fuchs hatten. Er dachte an ihren kurzen Aufenthalt auf der abgeschiedenen Insel Balass Ki’. Das Missverständnis war sehr amüsant gewesen und Leas hatte es genossen für einen Gott gehalten zu werden.

Maia schreckte ihn aus seinen Gedanken, als sie den Raum betrat. „Guten Morgen. Du bist gerade richtig aufgewacht. Wir können deinen Freund draußen kaum noch halten.“, sagte sie mit einem leichten Lächeln. Yuris spürte eine Woge der Erleichterung. Endlich konnte er Leas wiedersehen. Die Dienerin rauschte wieder aus dem Zimmer und er folgte ihr hastig. „Welcher Tempel ist dies hier eigentlich? Ich bin immer noch recht durcheinander.“, rief der Junge ihr hinterher. „Ysaap, südlich von Aketh wohl gemerkt. Dein kleiner Fuchs hat dich unnötig weit getragen. Wieso ließ er dich nicht weiter nördlich oder in Aketh behandeln?“, erwiderte Maia. Das fragte sich Yuris jetzt auch. „Ich muss ihm wohl gleich ein paar Fragen stellen.“

Als sie aus dem Tempel waren erwartete ihn eine riesige Treppe und er stöhnte. Die vielen Stufen erinnerten ihn an den Leuchtturm, den er in Sahrring hatte hochklettern müssen. Nach der Treppe rannten sie noch ein Stück weiter weg durch einige Felder. Endlich erreichten sie ein kleines Waldstück an einem Bach. Schon aus der Ferne sah Yuris wie sein Freund aufsprang und dabei alle Personen in seiner Nähe von den Beinen schmiss. Der Fuchs hetzte ihm entgegen und er machte sich auf den Zusammenstoß gefasst. Trotzdem blieb ihm die Luft weg als der Riese ihn ansprang und zu Boden riss. Er glaubte neue Knochen brechen zu hören, als der Fuchs mit seinem gesamten Gewicht auf ihm lag. Die riesige Zunge der Tieres bearbeitete sein Gesicht ohne Gnade und Yuris versuchte verzweifelt ihn zu stoppen. Er zog schroff an einem Büschel Haare und Leas rollte sich mit einem kurzen Schnaufen zur Seite. Der Junge setzte sich auf und wischte sich das Gesicht ab. Maia stand etwas beängstigt abseits und betrachtete die beiden abwechselnd. Seine Kleidung jedenfalls war nicht mehr sauber. „Schäm dich! Iba soll dich strafen! Willst du, dass ich auf der Stelle sterbe?“, tadelte er den Fuchs, der schuldbewusst die Ohren anlegte. „Mich gefreut.“, sagte Leas und die Dienerin zuckte überrascht zusammen als sie seine Stimme vernahm. „Hast du auf dem Weg hier her dein Gehirn zurückgelassen? Sprich in ordentlichen Sätzen!“, setzte Yuris seinen Tadel fort. Der Fuchs kratzte sich hinter dem Ohr statt zu antworten und der Junge stand seufzend auf. Er lächelte und streichelte dem Tier sanft durch das Fell. „Ich schulde dir wieder mein Leben, mein Freund. Auch ich habe dich vermisst und mir große Sorgen gemacht.“, sagte der Junge und Leas schmiegte seinen Kopf an Yuris’ Schulter.

Der Doktor, samt Gehilfen und Juana hatte sich inzwischen zu ihnen gestellt. Sie beobachteten das seltsame Paar still. Die Priesterin trat vor und streckte eine Hand aus, um das weiche Fell des Fuchses zu berühren. „Einen treuen Partner hast du da, Yuris. Ich war am Anfang auch sehr erschrocken, muss ich gestehen. Man sieht nicht alle Tage solch ein Tier.“, sagte Juana. Der Junge nickte. „In Doppelkrone ist es für jedes Kind mit 12 Jahren Pflicht sich einen Partner zu suchen. Für gewöhnlich bleiben Mensch und Tier bis in den Tod zusammen. Ich habe mit Leas ein gutes Los gezogen. Er ist sehr verspielt, aber auch stark und sehr verlässlich. Nur sein endloser Magen ist mir mit der Zeit das größte Problem geworden und er handelt oft mehr nach seinem Magen als nach seinem Verstand.“, entgegnete er grinsend. Der Fuchs schnaubte beleidigt. „Wobei ich mich wieder frage, wie ich an so ein Kind geraten bin. Deine Nachteile will ich erst gar nicht anfangen aufzuzählen, ich wäre vor der nächsten Morgenstunde nicht fertig.“, spottete das Tier. Maia kicherte leise und Yuris spürte wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er verschränke die Arme. „Schamloser Lügner. Ohne mich wärest du aufgeschmissen!“, erwiderte der Junge. „Dein Beschützerkomplex bringt uns in jeder Stadt in Schwierigkeiten und du heulst viel zu leicht. Außerdem hast du einen Drang dazu mit deinem Wissen anzugeben.“, zählte Leas auf. Yuris wurde noch um einiges roter, als die Dienerin laut lachen musste und auch Juana lächelte. „Dafür habe ich keinen Mutterkomplex, habe Angst vor Wasser und hohen Orten!“, fauchte er. Die beiden Freunde funkelten sich gegenseitig an. Dann lachten sie beide.

„Ich bin froh, dass es euch wieder so gut geht. Als ihr vor unserem Tempel aufgetaucht seid, hatte ich große Angst ihr würdet sterben.“, sagte Juana. „Wir sehen nicht so aus, aber wir hatten schon einiges an Verletzungen hinter uns. Langsam haut uns nichts mehr um.“, entgegnete Leas. „Mutter – ich meine Juana. Könnte ich mit meinem Freund alleine reden? Ich muss ihn einige wichtige Sachen fragen.“, fragte der Junge. Sie nickte. „Natürlich. Wir gehen sofort. Ich werde Maia etwas zu Essen holen lassen für euch.“, antwortete die Priesterin. „Vielen Dank für all eure Hilfe! Ich weiß nicht, wie ich das alles wieder gutmachen kann.“, erwiderte Yuris und verbeugte sich kurz. „Das musst du auch gar nicht. Als Priesterin liegt mir auch das Wohl meiner Mitmenschen am Herzen. Egal aus welcher Ecke unserer Welt sie auch stammen.“, sagte sie sanft. Der Junge lächelte dankbar und auch Leas bedankte sich. Dann wurden die beiden alleine gelassen.

Yuris setzte sich erschöpft auf den Boden und sah der Gruppe nach. „Wo sind Rexis und Sabeth?“, fragte er zuerst. „Kann ich dir nicht sagen. Ich hab dich genommen und bin gerannt wie der Teufel, als das Schloss zusammenfiel. Ich glaube aber die beiden haben rechtzeitig die Flucht ergriffen.“, brummte der Fuchs. „Du glaubst?“, entfuhr es dem Jungen. Sein Partner zuckte verärgert mit den Ohren. „Es ging halt alles ziemlich schnell.“, verteidigte er sich. „Und wieso bist du zu einem Tempel gerannt? Der dazu noch weit weg ist!“, fuhr ihn Yuris an. „Ich bin nur dem Zeichen gefolgt. Es hat ständig in diese Richtung gezeigt. Wenn es auftaucht, ist es immer wichtig oder?“, entgegnete Leas trocken. „Es ist wieder aufgetaucht? Ich wüsste zu gern, was es damit auf sich hat!“

Dieses Zeichen regte ihn wirklich auf, aber scheinbar konnte man es einfach nicht abstellen. Wann immer es auftauchte, warteten Ärger und Kampf schon auf sie. Es war die Art Reiseführer, auf die man lieber verzichtet. Aber wieso dieser Tempel? Alles sah so friedlich aus und es gab keine Hinweise auf irgendwelche Gefahr.

„Fragen über Fragen. Dabei haben wir nicht wirklich Zeit uns um diesen Ort zu kümmern. Was wird aus der Baronstochter und den Vampiren?“, sagte der Junge aufgebracht. „Ich habe das Gefühl, dass sie nicht mehr unsere Hilfe benötigt. Frag mich nicht warum, aber ich denke unsere Aufgabe da oben ist erledigt.“, erwiderte der Fuchs ruhig. „Ich wäre trotzdem dafür ihnen einen Besuch abzustatten. Im Gegensatz zu dir, habe ich kein solches Gefühl. Außer vielleicht ein großes Hungergefühl.“

Er blinzelte als ein kleiner Schatten vom Tempel in ihre Richtung hetzte. Maia kam genau im richtigen Augenblick. Sein Magen würde keine Minute länger mehr aushalten. „Maia!“, rief Yuris und sprang auf, um ihr zu zuwinken. Leas hatte sich neben ihm erhoben und kniff die Augen zusammen. „Ich glaube, du musst noch ein wenig auf dein Essen warten.“, sagte er. Hinter dem Mädchen erschienen noch andere Schatten. Sie waren kleiner als die Dienerin. Yuris erkannte die Goblins und zog scharf die Luft ein. Nun hörten sie auch Maias Schreie und die beiden rannten ihr entgegen. „Edelas!“

Für einen kurzen Moment erschien der gewohnte blaue Schimmer um seine Hände. Dann lag in jeder Hand einer der einzigartigen Dolche mit Rundklingen am Griff. Die Waffen waren aus einem festen Metall gefertigt und ihre schwarz-silberne Legierung verlieh ihnen das passende Aussehen. Nach all den Kämpfen konnte Yuris inzwischen schnell und besonders geschickt mit ihnen umgehen. Am Anfang hatte er noch Probleme gehabt, aber jetzt nicht mehr!

„Lauf weiter!“, rief er Maia zu und das Mädchen stürzte überrascht zwischen den beiden hindurch. Die Goblins stießen ihren grauenvollen Kampfschrei aus und schwangen ihre Keulen. „Es sind fünf. Drei ich, zwei du?“, sagte Leas ruhig. Der Junge grinste. „Zwei du, zwei ich. Der schnellere kriegt den Bonus.“

Yuris sprang geschickt über die Köpfe der Monster, wandte sich augenblicklich wieder um und stieß einem Goblin den langen Dolch in den Rücken. Von der Seite näherte sich eine Keule. Er drehte die Waffe um und schlug der Kreatur mit der scharfen Rundklinge den Kopf von den Schultern. Mit einem Ruck löste er die Waffe aus dem Fleisch des Goblins und er fiel neben seinem Kameraden zu Boden. Grinsend wandte er sich um. Leas war gerade mit seinem 2. Gegner beschäftigt und der fünfte Goblin rannte verängstigt davon. Yuris sprintete ihm hinterher. Er hatte den Goblin schon fast in Reichweite, als seine Beine plötzlich über etwas stolperten und er zu Boden fiel. Erschrocken fing er sich mit einer Rolle ab und sah auf. Sein Fuchsfreund stürzte sich auf den unterlegenen Gegner. „Das war Betrug! Du hast mir absichtlich deinen Schwanz vor die Beine geschwungen!“, protestierte Yuris. „Augen auf beim Laufen.“, spottete Leas. Schnaubend wandte sich der Junge der Dienerin zu. „Was ist passiert?“, fragte er. „Sie tauchten plötzlich aus dem Nichts auf und griffen den Tempel an. Diese Kreaturen und noch andere Gestalten. Vampire?“, antwortete sie und Yuris warf seinem Freund einen raschen Blick zu, „Es scheint als wollen sie den heiligen Krug klauen, der im Inneren des Tempels versteckt liegt. Ihr müsst uns helfen!“

„Keine Sorge, wir kümmern uns darum! Ich kenne auf dieser Welt nur eine Vampirfamilie, die es wagen würde einen Tempel anzugreifen.“, sagte Yuris und schwang sich auf Leas’ Rücken. „Versteck dich irgendwo.“, rief Leas dem Mädchen zu und dann lief er los. Maia beobachtete erstaunt mit welcher Geschwindigkeit der Fuchs sich bewegen konnte. Er war schneller als ein Pferd!

„Warum sind sie hier?“, brummte der Junge schlecht gelaunt. „Weil wir ihr Schloss zerstört haben?“, erwiderte Leas. „Ich bitte dich! Das war nun wirklich nicht unsere Schuld. Naja, wenigstens brauchen wir uns um die Tochter des Barons vorerst keine Sorgen machen.“

Mit großen Sprüngen meisterte Leas die Treppe mit Leichtigkeit und er hetzte an den flüchtenden Priestern vorbei ins Innere des Tempels. Die Heiligen warfen ihnen missbilligende Blicke zu, aber ein riesiger Fuchs war im Moment ihre geringste Sorge. Das Tier stoppte erschrocken als eine Tür an der Seite zersplitterte und Holzteile quer durch den Flur flogen. Juana kam herausgerannt in Begleitung ihrer Lehrlinge und die verängstigte Gruppe presste sich an die gegenüberliegende Wand. Goblins begannen aus dem Raum zu strömen und Leas stellte sich mit einem Satz zwischen die beiden Fronten. „Yuris, such die Vampire. Ich kümmere mich um das Kleinzeug.”, sagte sein Freund. Der Junge nickte und kletterte von seinem Rücken. Juana packte ihn am Arm, bevor er weglaufen konnte. „Ich habe keine Zeit für Erklärungen!“, rief Yuris. „Du schaffst die Vampire nicht alleine. Ich werde dir helfen. Nicht umsonst bin ich die Dienerin Gottes!“, erwiderte sie. Er sah, dass Diskussionen keinen Sinn hatten und hob die Schultern. Sie liefen los. „Wisst Ihr, wo sie sind?“, fragte er. Die Priesterin nickte und er ließ sie vorauslaufen.

Die Vampire wollten gerade ihre Hände an den Krug legen, als er mit Juana durch die aufgebrochene Tür schlitterte. Die zwei Bluttrinker wandten sich ihnen überrascht zu. „Finger weg!“, schrie die Priesterin. „Sieh an, sieh an. Unser kleiner Möchtegernheld.“, spottete der größere von beiden. „Rick und Kahl! Was habt ihr vor?“, erwiderte Yuris verärgert. Der kleinere Vampir Kahl grinste breit. „Hol dir die Antwort doch.“, quiekte er vergnügt und hob die Fäuste. Der Junge ging in Kampfstellung. Die Beine leicht eingenickt, einen Arm vor und einen hinter sich gehalten. „Tretet lieber zurück, Priesterin.“, sagte er angespannt. „Was denkst du, wieso ich mit dir gekommen bin? Um jetzt wegzurennen? Nein, ich kämpfe mit dir. Auch ich habe den einen oder anderen Trick drauf. Du musst sie mir nur vom Halse halten.“, entgegnete Juana. Yuris blinzelte. „Beherrscht Ihr die Kunst des Webens?“, fragte er überrascht und sie lächelte geheimnisvoll.

Kahl kicherte vergnügt und schwang sich in die Lüfte. Ein Schwarm Fledermäuse kam auf sie zu. Die Priesterin duckte sich hastig hinter ihm. Yuris überkreuzte die Hände vor seinem Gesicht. „Curio!“, schrie er und die Waffen stießen ein violettes Licht aus. Es bildete einen Schutzschild und Kahl bremste zu spät. Er prallte dagegen und violette Fäden fesselten den Vampir. „Was zum-“, ächzte dieser und versuchte sich zu befreien. „Ich mache Fehler niemals zweimal.“, erwiderte der Junge. Hinter ihm begann Juana in einer fremden Sprache einen Zauberspruch zu weben. „Kahl, du verdammter Idiot. Lässt dich von diesem Balg fangen! Mama würde vor Scham sterben, wenn sie dich so sieht.“, fuhr ihn sein Bruder an. Der junge Vampir fletschte wütend die Zähne, aber so sehr er sich auch anstrengte, die Fesseln gaben nicht nach. „Alles muss man selber machen!“

Yuris warf einen kurzen Blick hinter sich. Die Priesterin war immer noch tief in ihre Magie versunken. Nun war Rick an der Reihe anzugreifen und der blauhaarige Junge wirbelte die Dolche ein wenig herum, um den Vampir nervös zu machen. Doch im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder ließ er sich nicht so leicht reizen und in eine Falle locken. Außerdem konnte Yuris nicht gegen ihn kämpfen und gleichzeitig die fesselnde Kraft von Curio aufrechterhalten. Er hoffte die Priesterin würde ihr Weben in der nächsten Minute beenden. Rick sprang über das Hindernis namens Kahl hinweg und stürzte auf den Jungen nieder. Die langen Finger des Vampirs griffen nach Yuris’ Gesicht und Yuris warf sich zurück. Der Vampir nutzte sein Ungleichgewicht, denn der Junge hatte die Rechnung ohne die überragende Schnelligkeit seiner Art gemacht. Bevor Yuris richtig reagieren konnte, wurde ihm das linke Bein weggeschlagen und er fiel zu Boden. Der rechte Rundklingendolch flog ihm aus der Hand. Der Vampir drückte ihn hastig mit all seinem Gewicht zu Boden und hinderte ihn seinen linken Arm zu bewegen. Hinter Rick begannen die violetten Fesseln sich aufzulösen. Entsetzt versuchte Yuris einen Blick zu Juana zu werfen, aber er bekam sie nicht in sein Sichtfeld. Rick grinste. „Sie ist gleich nach dir dran.“, sagt der Vampir und hob die spitzten Fingernägel an den Hals des Jungen. Yuris spürte die Berührung auf seiner Haut und das darauffolgende leichte Brennen. Iba, ist das mein Ende?!, fluchte er gedanklich.

Eine mächtige Stimme donnerte plötzlich durch den Raum. Im ersten Moment erkannte er die Stimme der Priesterin nicht. Sie schien regelrecht zu brüllen, ein Echo trug ihre Worte durch den ganzen Raum und ließ sie immer wiederhallen. Yuris verstand kein Wort dieser fremden Sprache. Die Vampire wohl auch nicht, aber sie spürten es. Rick schrie vor Schmerz und Yuris konnte ihn ohne Probleme von sich werfen. Zwar hatten sich Kahls Fesseln gelöst, aber er war unfähig anzugreifen. Gequält wälzte er sich über den Boden und hielt sich die Ohren zu. Der Junge wusste, dass es dem Vampir nichts nutzte. Die Stimme von Juana kümmerte sich nicht um solche physischen Barrieren. Sie drang direkt an den Geist. Viel wusste Yuris vom Weben nicht, aber es war eine sehr alte Kunst.

Als die südlichen Inseln durch die Große Flut vernichtet wurden, waren viele ihrer Bewohner auf das Festland umgesiedelt. Mit ihnen kam auch diese Art der Zauberei, jedoch war sie unter den Menschen nicht weit verbreitet.

Im Gegensatz zur verbreiteten Magie, die vererbt und mit bloßer Stimmkraft kontrolliert wurde, berief sich das Weben auf reine geistige Kraft. Und man musste die Sprache der Dunklen Zunge beherrschen. Eine Sprache aus dem Süden, die in vielen Ländern verboten war. Durch das Konzentrieren von Gedanken wurde eine starke Energie erzeugt. Dann löste man Körper und Geist, um diese Kraft freizusetzen. Man war in diesem Moment völlig schutzlos und falls ein Gegner jetzt den Körper des Webers zerstörte, musste der Geist auf Ewigkeit im Diesseits verweilen. Es war gefährlich, aber dafür war der Schaden durch so einen Zauber tödlich. Man konnte in die Gedanken seines Gegners eindringen und ihn von innen zerstören. Ihn zwingen Dinge zu tun, ohne dass er sich wehren konnte. Die Dunkle Zunge war eine mächtige, aber vor allem gefährliche Sprache. Ein Grund mehr für viele einen Bogen um sie zu machen.

Yuris merkte, dass sich Juana mehr auf Kahl konzentrierte. Der Vampir würde nicht mehr lange durchhalten. Hastig wandte er sich Rick zu, der wieder auf die Beine gekommen war. „Das Blatt hat sich gewendet. Keine Angst, ich schick den Rest deiner Familie bald hinterher.“, sagte der Junge. Eins musste man Rick lassen, er war noch recht flink, obwohl ihm Juana sehr zugesetzt hatte. Er wich vielen von Yuris’ Attacken aus, bekam jedoch keine Chance für einen Gegenangriff. Yuris zuckte erschrocken zusammen, als Kahl einen schrillen Schrei ausstieß und urplötzlich verstummte. Sein Bruder starrte mit weit aufgerissenen Augen an einen Fleck hinter dem Jungen. „Yuris!“ Juanas Stimme klang wieder normal, mit einem Schwung Zorn.

Er nutzte Ricks Zustand und schmiss ihn zu Boden. Der Vampir realisierte seinen Fehler zu spät. „Das wirst du büßen, Hexe!“ , keifte Rick erzürnt. Yuris stach ihm mit beiden Dolchen in die Brust und sein Feind stöhnte vor Schmerz. Blut lief aus seinem Mundwinkel und Yuris spürte wie sich die Muskeln des Vampirs anspannten, um sich zu befreien. Er wusste inzwischen, dass man ihre Rasse nicht durch einfache Wunden töten konnte. „Dein Bruder erwartet dich. Emias i’ju cas.“, flüsterte der Junge und Flammen züngelten aus seinen Waffen hervor. Ricks Körper fing Feuer und der Vampir schlug wild um sich. Für Yuris’ Geschmack befand er sich etwas zu nah am Feuer, aber er konnte Rick jetzt nicht einfach loslassen. Am Ende würde er wieder entkommen und sich in einem nahen Fluss einfach löschen. Als es auch für ihn langsam zu gefährlich wurde, packte ihn jemand am Arm und zerrte ihn fort. Etwas empört sah er zu Juana. „Willst du mit ihm sterben?“, fragte sie gereizt und schüttelte langsam den Kopf, „Dieser Kreatur ist nicht mehr zu helfen.“
 

Die Goblins schienen den Tod ihrer Herren gespürt zu haben und ergriffen die Flucht. Juana betrachtete neben ihm das Ergebnis der vielen Kämpfe. Viele der schönen Gemälde waren zerstört, Wände eingerissen, Türen aus den Angeln gerissen und...und...und. Es gab kaum etwas, dass nicht Schaden genommen hatte. Eine wirkliche Überraschung stellte für Yuris die Tatsache dar, dass niemand gestorben war. Es gab viele Verletzte, aber keiner von ihnen war dem Tode nah. Leas trottete auf ihn zu. Sein Freund hinkte leicht und Yuris betrachtete besorgt seinen linken Vorderlauf. Das Fell war an einer Stelle etwas grau oder gar nicht mehr zu sehen. Eine Verbrennung? „Nicht weiter schlimm, einer von diese Goblins hat mit seiner Fackel auf mich eingeschlagen. Es schmerzt ein wenig, aber das Fell wird nachwachsen.“, brummte der Fuchs. Der Junge schüttelte kurz den Kopf. „Jetzt ist es nur eine Verbrennung, aber das nächste Mal muss vielleicht dein ganzes Bein für deine Fehler bezahlen. Du musst besser aufpassen.“, tadelte er Leas.

„Oh nein!“, schrie Juana plötzlich und Yuris wandte sich erschrocken um. Die Priesterin blickte zu dem Raum, in dem sie eben die Vampire besiegt hatten. Ihr Gesichtsausdruck beschrieb blankes Entsetzen. „Was ist passiert?“, fragte der Junge beunruhigt und sie drehte sich zu ihm. „Der heilige Krug ist verschwunden! Oh Herr, Herr Avalon. Eben stand er noch da, aber nun...so viele böse Omen an einem Tag. Oh Herr...“, antwortete Juana verzweifelt. Sie fuhr fort immer wieder „Oh Herr“ zu flüstern. Yuris legte die Stirn in Falten. Er verstand die Priesterin nicht, aber das lag vielleicht an seinem geringen Verständnis der ganzen Religion. Möge es der Glauben in Avalass oder in einem der anderen Reiche sein, er konnte sich für keinen der vielen Götter begeistern, die angebeten wurden. In Doppelkrone war Yuris ohne jegliche Religion aufgewachsen und auch ohne die Hilfe irgendwelcher Götter. Vielleicht gab es sie tatsächlich, doch wer konnte dies schon mit Sicherheit sagen? Bevor kein leibhaftiger Gott vom Himmel stiege oder irgendein anderes übermächtiges Wesen, würden sich die verschiedenen Länder weiter über die rechtmäßige Religion streiten.

„Was ist an diesem Krug so besonders?“, erkundigte sich Leas. Die Priesterin sah ihn an, als wenn er gerade alle Götter ihrer Religion beleidigt hätte. Schließlich schien sie sich wieder gefasst zu haben und sah die beiden eindringlich an. Juana versicherte sich noch, dass niemand auf sie achtete, dann ergriff sie das Wort. „Es ist mehr als nur ein Krug. Für alle in diesem Tempel, nein, sogar das ganze Volk Avalass ist er von großer Bedeutung. Viele der Pilger kommen in Ysaap vorbei, um dieses heilige Artefakt wenigstens einmal gesehen zu haben. Erbakus selbst soll ihn erschaffen haben und er gab ihn unserem Herren Avalon zusammen mit seiner Tochter, als dieser alle Prüfungen des Gottes bestand. Es war auch dieses Gefäß, welches Avalon kurz darauf den Tod brachte, als er daraus trank. Der verschlagene Erbakus wollte sein Kind nicht weggeben und seine Niederlage gegen einen Mensche konnte er auch nicht akzeptieren. Er füllte nicht nur Wein in den Krug, sondern auch etwas Gift. Avalons gutes Herz brachte ihm den Tod. Niemals hätte er einem Gott trauen sollen, vor allem nicht dem der Rache. Jedoch konnte sich Erbakus über seine Schandtat nicht lange erfreuen. Seine Tochter Tarvis verfluchte ihren Vater für seinen Verrat an dem Menschen. Sie floh aus dem Schloss von Erbakus. Der Verlust seiner Tochter traf den Gott sehr und aus Wut schmiss er den Krug weg. Das Artefakt landete auf dem Land der Sterblichen, hier in Ysaap und der Gott der Rache schrie ihm nach: ‚Um meine Tochter hast du mich betrogen, Menschenkind. Deine Rasse ist nicht weniger verschlagen als wir Götter. Sollen sie doch dieses Unglücksstück haben’.“

Yuris dachte über den knappen Exkurs in die Geschichte des Krugs nach. Diese ganzen Göttergeschichten waren wirklich zum Verzweifeln!

„Was macht den Krug wichtig für Vampire?“, murmelte der Junge nachdenklich. „Er ist ein Werk der Götter. Man sagt, wer aus ihm trinkt, kann Unsterblichkeit und große Macht erlangen. Einen Status gleich den Göttern selbst.“, sagte Juana finster. „Unsterblichkeit haben die Vampire bereits.“, erwiderte Leas. Sein Partner nickte. „Das Ganze gefällt mir nicht. Ich fürchte wir haben versagt, Leas mein Freund. Das Zeichen führte uns wohl her, damit wir den Krug beschützen, aber nun ist er fort. Ich fühle, dass etwas Schreckliches geschehen wird, sollten wir ihn nicht wiederfinden.“, sagte Yuris angespannt. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Wir müssen gehen Juana. Ich würde gerne länger bleiben und mich für die Gastfreundschaft ausreichend bedanken, aber die Zeit drängt. Etwas treibt uns seit langer Zeit quer durch das Land und lässt uns an keinem Ort lange verweilen. Doch wir sehen uns mit Sicherheit wieder und zwar mit dem Krug in meinen Händen. Dies ist mein Versprechen an Euch: Ich werde Euch das heilige Artefakt Eures Gottes wiederbeschaffen, auch wenn es mein Leben kostet.“

Yuris verbeugte sich vor der Priesterin und Leas nickte zustimmend. „Ich wusste vom ersten Moment an, dass an euch beiden mehr ist, als man sieht. Das Schicksal scheint ein wachsames Auge auf eure Reise zu haben. Ich vertraue euch aus vollem Herzen, auch wenn wir kaum von einander wissen. Möge Travis über euch wachen und unser Herr Avalon euch in eurem Kampf beistehen. Doch bitte wagt nicht zu viel. Es lohnt sich nicht sein Leben wegzuwerfen wegen eines einzelnen Gegenstandes. Mögen noch so viele Götter ihn berührt haben. Ein Menschenleben ist kostbar. Auch ich danke euch für eure Hilfe im Kampf gegen diese Monster und ersehne unser Wiedersehen mit großer Hoffnung. Lasst euch niemals von eurem Ziel abbringen und folgt stets eurem Herzen.“, sagte die Priesterin. Der Junge verbeugte sich noch einmal ehrfürchtig. „Habt Dank für Eure Worte.“, entgegnete Leas. Ein seltsames Licht ergriff die Halle und die Zeit schien zu erstarren. Das eisigblaue Leuchten tauchte den Tempel in einen Ort völliger Stille. Yuris lächelte knapp, als vor ihnen in der Luft ein Zeichen erschien. Es veränderte seine Form mehrmals bis es endlich zu einem Pfeil wurde. Hoch? Neben Yuris riss auch der Fuchs ungläubig die Augen auf. Der Pfeil deutete nach oben. Die Welt war plötzlich wieder normal und die Zeit begann wieder normal zu laufen.

Juana blinzelte. „Was ist passiert?“, fragte sie verwundert und rieb sich die Augen. „Unser Zeichen zur Abreise. Keine Angst, die Augen gewöhnen sich gleich wieder an Eure Umgebung. Es ist gewöhnungsbedürftig in so grelles Licht zu starren.“, antwortete Yuris. Die Priesterin fuhr sich noch einmal über die Augen, dann nickte sie. „Tut mir leid, dass ich euch im Moment nicht helfen kann. Passt gut auf und viel Glück.“

Er schwang sich auf Leas’ Rücken und der Fuchs flitzte den Flur entlang zum Ausgang des Tempels. Die Lehrlinge sahen ihnen etwas erschrocken nach. „Tut dein Bein nicht weh?“, fragte der Junge überrascht. Der Fuchs schnaubte kurz. „Und wie! Aber sag mir lieber, wieso der Pfeil in den verdammten Himmel zeigt!“

Yuris blickte auf und beobachtete eine zeitlang stumm die Wolken. „Vielleicht gibt es ja doch ein Reich der Götter.“, sagte er mit einem Grinsen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Selma
2007-02-19T15:07:39+00:00 19.02.2007 16:07
Hiho,
hatte dir ja schon über icq gesagt, dass der Beginn der Story spitze ist. Ich bin mal gespannt wann Kapitel 2 denn soweit schreibfertig ist, das man es lesen kann. ^^

Mfg
Selma ^^
Von: abgemeldet
2007-02-11T22:21:00+00:00 11.02.2007 23:21
Hey Süße Q_Q!
Das is echt ne verdammte Schande, dass dir noch keiner n Kommentar dazu geschrieben hat >_< (ich weiß, ich bin ja selbst so spät dran *hust* xD) Schande über euch, Schande über eure Kühe..!
Dabei ist die FF wahnsinnig toll geschrieben und hier sind sooo tolle Ideen eingebaut <3! Schon allein der ganze Aufbau ist super O__O! <3 Yuris und der Fuchs sind sooo niedlich ;__; (btw is des Bild in der Charbeschreibung von Yuris auch total süß °-°)
Ich mag auch Vampirgeschichten jeglicher Art total gern ;p
Die Story würd ich gern ma verzeichnen xD <3
Soooo toll <3 Mehr!
Lieb dich <3


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