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A Night to remember

von

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A Night to remember
 

Die Stille Ebene...

Als Yuna umringt von ihrer Garde zwischen den Felsen hervortrat und zum ersten Mal die wilde Schönheit dieses Landstrichs mit eigenen Augen betrachten konnte, spürte sie ein leichtes Ziehen in ihrem Herzen. Ihr ganzes Leben lang hatten Geschichten um diese Gegend sie begleitet. Hatten ihr geflüstert von den großen Heldentaten vergangener Zeiten und von den mutigen Medien, die sich hier ihre Kämpfe mit Sin geliefert hatten. Sie wusste nicht genau, was für ein Bild sie von der Stillen Ebene gehabt hatte. Aber auf diesen Anblick war sie nicht vorbereitet gewesen.

Schier endlos breitete sich das Grasland vor den Reisenden aus. Zerklüftete Felsen ragten in der Ferne auf – die ersten Vorläufer des Gagazet-Gebirges, das sich hinter der Ebene befand. Klare, würzige Luft wurde vom leichten Wind bewegt und strich fast zärtlich durch das feine Gras. Dies hätte eine Idylle sein können, wären nicht die Narben der Kämpfe in Form von Kratern und tiefen Rissen im Boden so deutlich zu sehen gewesen.

Je länger Yuna die Ebene betrachtete, desto stärker wurde ihr bewusst, dass es von nun an erst richtig gefährlich werden würde. Sicher, sie hatten schon viel zusammen durchgestanden und es mochte sogar sein, dass ihre Reise die wohl ungewöhnlichste war, die ein Medium jemals bestritten hatte. Immerhin waren sie alle Verräter an Yevon. In der Geschichte Spiras hatte es so etwas unter den Medien noch nie gegeben. Sollte sie scheitern und die Stille Zeit nicht einläuten können, würde ihr Name sicher schnell in Vergessenheit geraten. Schneller als es üblich war. Doch das änderte nichts daran, dass sie es von hier an mit unbekannten Gefahren zu tun hatten. Niemand, der den Weg von hier an fortgesetzt hatte, war jemals wieder zurückgekehrt. Aber darüber durfte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Ihre Entscheidung war gefallen. Sie würde alles daran setzen, Sin für weitere zehn Jahre zu vertreiben und Spira eine Zeit des Friedens zu schenken. Alles andere war Nebensache. Bis auf...

„Yuna, sollen wir gehen?“

Sie spürte eine leichte Berührung an ihrem rechten Arm und sah auf. Tidus stand neben ihr und sah mit nachdenklichem Blick auf die Ebene hinaus Richtig, erinnerte sich Yuna, er hatte ja keine Ahnung, was dieser Ort für sie bedeutete. Was er für so viele Menschen in Spira bedeutete. Sicher war die Stille Ebene ein Synonym für Hoffnung. Und sicher auch für Verlust. Wie viele Medien hier gestorben waren, während sie gegen Monster kämpften oder gar während sie die Hohe Beschwörung ausführten, vermochte er sich wohl kaum vorzustellen. Eine Weile sah Yuna ihn einfach nur schweigend an, dann nickte sie und drehte sich zu den anderen um, die sie bis hierher begleitet hatten.

Sie alle hingen im Augenblick ihren eigenen Gedanken nach, das sah Yuna ihnen deutlich an. Auron war in den Anblick der Landschaft versunken – vermutlich dachte er an seine letzte Reise über die Ebene. Für einen kurzen Augenblick wurde Yuna wieder einmal bewusst, dass er Tidus’ und ihren Vater begleitet hatte. Wie mochte es wohl für ihn sein, gleich zwei Medien auf ihrer letzten Reise zu begleiten? Er wirkte stets so besonnen und ruhig, doch vielleicht war es auch eine Last für ihn, Braska einst sterben lassen zu müssen. Kimahri hielt sich wie immer etwas abseits der Gruppe auf. Er war erstaunlich gesprächig geworden im Laufe ihrer Reise und anscheinend hatte er etwas wie Zuneigung zu Tidus entwickelt. Es wunderte Yuna kaum, dass die beiden sich gut verstanden, denn auch wenn ihr Äußeres unterschiedlicher nicht sein konnte, glichen sie sich in ihren Ansichten doch mehr, als sie selbst vermuten mochten. Rikku war nachdenklicher geworden, seit sie die Donnersteppe passiert hatten. Yuna wusste, dass sie verzweifelt nach einem Weg suchte, um das Unvermeidliche abzuwenden. Und obwohl es keinen Sinn haben würde, rührten sie die Bemühungen ihrer Cousine dennoch.

„Und du bist tatsächlich nie weiter als bis zur Stillen Ebene gekommen?“

Als wäre diese Frage ein geheimes Kommando gewesen, drehten sich alle Mitglieder der Gruppe zu Lulu und Wakka um, die sich wieder einmal eines ihrer kleinen Wortgefechte zu liefern schienen. Die Schwarzmagierin warf ihnen einen entnervten Blick zu, bevor sie sich dem ehemaligen Blitzballspieler an ihrer Seite zuwandte.

„Hörst du eigentlich jemals auf, mich das zu fragen?“

„Nicht, bevor ich nicht die ganze Geschichte kenne“, entgegnete Wakka und hob die Hand zum Gruß, als er als erster den Hang hinunter auf die Ebene schritt.

Lulu seufzte und schüttelte den Kopf. „Seine Fragerei ist wirklich anstrengend.“

„Gib’s doch zu, das magst du an ihm.“ Tidus grinste breit und beeilte sich, hinter Wakka her zu kommen. Kaum hatte er ihn eingeholt, begannen die beiden miteinander zu flachsen.

„Natürlich... Pah!“ Als letzte der Gruppe setzen sich nun auch Lulu und Yuna in Bewegung. „Dieser Kindskopf muss es ja wissen.“

Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her. Lulus Blick blieb fest auf Wakkas Rücken geheftet und Yuna meinte, etwas Unversöhnliches darin zu entdecken. Aber konnten sich die beiden wirklich so wenig leiden? Nein... Daran zweifelte Yuna erheblich. Sie waren zusammen aufgewachsen und glichen Geschwistern und nie hatte es Probleme gegeben. Erst seit... Ja, seit Chappu gestorben war, hatte sich ihr Verhältnis verändert. Zuerst waren sie sich gegenseitig ein Trost gewesen, doch dann war etwas dazugekommen, das Yuna bis heute nicht ganz zuzuordnen vermochte. Trotz ihrer Nähe schienen sich die beiden aus dem Weg zu gehen und ständig gereizt aufeinander zu reagieren. Es war ihr unverständlich, wie so etwas passieren konnte, ohne dass es einen klar ersichtlichen Grund dafür gab. Wiesen sie sich vielleicht gegenseitig die Schuld an Chappus Tod zu? Oder waren sie beide so mit Erinnerungen behaftet, dass sie den anderen nicht mehr ertragen konnten? Aber wäre es so gewesen, dann wäre einer von ihnen in Besaid geblieben. Beide zusammen hätten so niemals auf die Reise gehen können, dessen war Yuna sich ganz sicher.

„Was ist? Worüber denkst du nach?“

Lulu warf Yuna einen besorgten Blick zu und erst jetzt merkte das Medium, dass sie beinahe schon mitten auf der Ebene waren. Die ganze Zeit hatte sie versonnen zu Boden geblickt und war ihren Gedanken gefolgt.

„Oh, nichts weiter. Es ist nur...“ Yuna wusste nicht recht, was sie sagen wollte und zog darum schließlich nur stumm die Schultern hoch.

„Ah, ich verstehe.“ Lächelnd deutete Lulu nach vorn, wo Tidus, Rikku und Wakka in ein Gespräch vertieft waren. „Du machst dir schon wieder Gedanken um andere.“

„Was? Nein! Ich hab nur... hm...“

„Gib es auf“, lachte Lulu und tätschelte Yuna liebevoll den Rücken. „Du bist leichter zu durchschauen als ein Glas Wasser. Ich kenne dich einfach viel zu lange, um nicht zu sehen, was in dir vorgeht.“

„Es tut mir leid, Lulu. Ich sollte mich im Moment wirklich mehr auf andere Dinge konzentrieren.“

Seufzend hob Lulu die Hände. „Wieso habe ich dir eigentlich nie beibringen können, dich nicht ständig für alles zu entschuldigen? Das treibt mich irgendwann noch mal in den Wahnsinn.“ Sie schüttelte den Kopf, wirkte aber entgegen ihrer Worte nicht wirklich aufgebracht. „Würdest du dich weniger um andere Sorgen, dann wärst du jetzt nicht hier. Du hättest niemals den Wunsch verspürt, ein Medium zu werden. Und du hättest niemals dein friedliches Leben in Besaid aufgeben wollen. Könnte dich dann irgendetwas auf dieser Welt dazu bringen, die Stille Zeit einläuten zu wollen?“

Verwundert blickte Yuna auf und betrachtete Lulu von der Seite. Sie war immer wie eine große Schwester für sie gewesen. Von klein auf hatte sie sich um Yuna gekümmert, ihr Ratschläge gegeben und sie aufgebaut, wenn es ihr nicht gut ging. Sie hatte ihr geholfen, erwachsen zu werden. Und im Laufe der Zeit hatte sie es sogar geschafft, Yunas Fröhlichkeit zu durchschauen. Sie kannten einander zu gut. Doch was sie ihr nun zu sagen versuchte, konnte oder wollte Yuna nicht so recht verstehen.

Lulu hatte das Zögern des Mediums bemerkt und lächelte. „Es wundert mich, dass du noch nicht von selbst darauf gekommen bist. Yuna, du darfst niemals aufhören, an andere zu denken. Aber ein Medium zu sein, das bedeutet nicht nur, deine Aufgabe zu erfüllen. Es bedeutet, deinem Handeln einen Sinn zu geben. Allem, was du tust, ein Herz zu verleihen. Du musst dich selbst vergessen und versuchen, nur auf die Bedürfnisse derer zu achten, für die du diese Reise unternimmst. Es ist ein hartes Los – vielleicht des härteste, das ein Mensch jemals tragen musste. Aber alle Medien wissen, dass dies der Kern ihrer Bestimmung ist. Wenn du zweifelst oder kurz davor stehst, alles aufzugeben… Dann erinnere dich immer daran, für wen du das alles tust. Und erinnere dich an die Leben derer, die du zu retten vermagst. Und an die, die bereits mit dir auf einem Weg gewandert sind.“

„Für wen... ich das alles tue?“ Yunas Blick war noch immer auf Lulu geheftet. Doch ihre Gedanken glitten zurück in die Nacht, in der alles anders geworden war. In der sich etwas verändert hatte. Nicht nur in ihrem Herzen. Der Grund ihrer Reise war nun ein anderer. Und sie kam sich schmutzig vor, weil sie eben nicht mehr nur für alle Menschen in Spira lebte. Noch hatte sich niemand aus ihrer Garde zu dem geäußert, was zwischen ihr und Tidus geschehen war. Sie alle verhielten sich sehr diskret und fast so, als ob sie nichts bemerkt hätten. Dabei war es sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis –

Langsam dämmerte es Yuna, was Lulu ihr zu sagen versuchte. „Was meinst du damit, wenn ich zweifle oder davor stehe, alles aufzugeben?“

Weit vor ihnen schrie Rikku empört auf und schimpfte auf Tidus ein. Wakka krümmte sich vor Lachen und auch Tidus schien die kleine Al Bhed nicht besonders ernst zu nehmen. Die beiden jungen Männer zogen feixend weiter, während sich Rikku hinter ihnen von Auron besänftigen ließ.

Könnte es doch nur immer so sein, dachte Yuna wehmütig und unterdrückte ein Seufzen. Könnte Spira doch ein anderer Ort sein.

Aber es lag ja in ihrer Hand, diesen „anderen Ort“ zu schaffen. Es lag ganz allein in ihrer Hand und das war eine Gewissheit, die ihr Angst machte. Schon seit Beginn ihrer Reise war sie in jeder einzelnen Sekunde davon überzeugt gewesen, dass sie es bis nach Zanarkand schaffen würde. Dass sie tatsächlich die Hohe Beschwörung erhalten und ausführen würde. Und dass sie Spira die Stille Zeit schenken könnte. Warum sie so fest davon überzeugt war? Das konnte sie sich selbst nicht beantworten. Sie wusste nur, dass es so war. Und gerade weil dem so war, verletzte Lulus Anspielung sie so sehr.

„Yuna...“ Die Schwarzmagierin wandte sich etwas ab, ehe sie zu sprechen begann. Beinahe als könnte sie ihrer Freundin nicht in die Augen sehen. „Glaub nicht, dass ich nicht verstanden hätte, was du für ihn fühlst. Ich habe es in deinen Augen gesehen als du es noch nicht einmal geahnt hast. Aber ich war mir sicher, dass du es nicht so weit kommen lassen würdest. Bei ihm... Bei ihm war das etwas anderes. Er wusste nicht, worum es geht. Er wusste nicht, wohin er dich begleitet. Was dich am Ziel dieser Reise erwarten würde.“

„Ich konnte es ihm nicht sagen“, gab Yuna schuldbewusst zurück. „Bis heute nicht.“

Urplötzlich blieb Lulu stehen und sah Yuna an. „Du hast es ihm nicht gesagt?“

„Nein“, entgegnete Yuna kopfschüttelnd.

„Aber warum nicht?“

„Ich wusste nicht, wie. Ich... Ich konnte einfach nicht. Schon bevor... vor dieser Nacht habe ich darüber nachgedacht, ob er nicht ein Recht hat, es zu erfahren. Aber jedes Mal denke ich daran, wie weh ihm das tun wird. Ich sehe ihm in die Augen und ich erkenne, dass er mir vertraut. Und dieses Vertrauen kann ich einfach nicht enttäuschen.“

„Er wird es erfahren. Spätestens in Zanarkand.“

„Ich weiß. Aber bis dahin ist es gut so wie es ist. Ich befürchte, er würde versuchen, mich irgendwie zu retten. Das wird ihn nur hilflos machen. Und das wäre mehr als ich ertragen könnte. Darum ist es besser so.“ Yuna sah Lulu bittend an. „Du wirst ihm doch nichts sagen, oder?“

Für einen kurzen Augenblick war sie sich nicht sicher wie die Ältere reagieren würde. Lulus Gesicht konnte eine Maske sein. Und dann war es schwierig zu erkennen, wofür das Herz darunter gerade schlug.

„Nein. Ich werde ihm nichts sagen.“

Erleichterung überkam Yuna und sie lächelte ihre Freundin dankbar an. „Kannst du auch den anderen...?“

„Ja“, gab Lulu zurück und setzte sich wieder in Bewegung. Yuna folgte ihr mit zwei Schritten Abstand. Irgendwie fühlte sie sich beunruhigt, was die Richtung anging, die ihr Gespräch genommen hatte. Lulu war also nicht gerade angetan von dem, was sich zwischen ihr und Tidus entwickelte. Nun, was hatte sie erwartet? Dass sich dadurch alles ändern würde? Nein. Eigentlich nicht. Sie hatte schon tief genug in sich hinein gehorcht, um sich sicher zu sein, dass sie ihre Reise immer noch über alles andere stellte. Aber woher sollte Lulu das wissen? Wie konnte sie sich sicher sein, dass Yuna nicht zweifelte?

Natürlich. Natürlich dachte Lulu, dass sie zweifeln könnte. Dass sie aufgeben könnte. Aber wie könnte sie das? Wie könnte sie ihre Garde durch Spira führen und sie all diese furchtbaren Dinge erleben lassen, um dann einfach aufzugeben? Wie könnte sie Wakka enttäuschen, der in den Grundfesten seines Glaubens erschüttert war und nun sogar mit einer Al Bhed auf Reisen ging? Wie könnte sie Auron das Versprechen brechen lassen, das er ihrem Vater gegeben hatte? Und wie könnte sie die Hoffnung all der Menschen, die auf sie zählten und für sie beteten, zerstören? Das war ihr völlig unmöglich! Aber natürlich wusste Lulu das nicht. Vielleicht ahnte sie das noch nicht einmal?

Die Sonne versank inzwischen am Horizont und am Firmament leuchteten schwach die ersten Sterne. Aus einiger Entfernung war der Ruf eines Chocobos zu hören. Sicher würden sie bald die Herberge erreichen, von der Auron am Morgen gesprochen hatte. Wenn sie dort angekommen waren, gab es wohlmöglich keine Gelegenheit mehr für Yuna, sich Lulu zu erklären.

„Hör mal“, begann sie also und musterte beim Sprechen die zerklüfteten Berge in der Ferne, „ich habe nicht vor, meine Reise abzubrechen. Ich kann nichts an meinen Gefühlen für ihn ändern, aber ebenso wenig kann ich mich meiner Verantwortung entziehen. Seit ich ein kleines Mädchen war, wollte ich das hier tun. Und ich hatte lange Zeit, mir alles genau zu überlegen. Dass es jetzt so gekommen ist, war nicht meine Absicht. Wenn du deswegen schlecht von mir denkst, kann ich gar nichts dagegen tun. Aber ich möchte, dass du weißt, dass für mich immer noch die gleichen Dinge zählen wie zu Beginn meiner Reise.“

Auron löste sich aus der Gruppe vor ihnen. Geduldig wartete er darauf, dass die beiden Frauen ihn erreichten. Kurz bevor sie ihn Hörweite waren, nahm Lulu Yunas Hand.

„Ich weiß. Tut mir leid, wenn ich unfair dir gegenüber war. Ich mache mir wie immer nur Sorgen.“

Liebevoll drückte Yuna die Hand der Schwarzmagierin. Dann erreichten sie Auron und Yuna konnte die Lichter der Herberge nicht allzu weit entfernt entdecken.
 

In Rins Läden gab es eigentlich alles, was das Herz eines müden Wanderers begehrte: Ein weiches Bett, eine warme Mahlzeit und natürlich auch hilfreiche Gegenstände, die einem in der Wildnis das Leben zu retten vermochten. Die Filiale auf der Stillen Ebene bildete da keine Ausnahme.

Nachdem das Medium und ihre Garde die Herberge erreicht und Quartier bezogen hatten, war ihnen zuerst ein Essen serviert worden, das die kargen Mahlzeiten der letzten Tage auf Wanderschaft wieder wett machte. Entspannt und gut gelaunt saßen sie alle zusammen und redeten über die Dinge, die ihnen widerfahren waren und die noch auf sie zukommen würden. Sogar der schweigsame Kimahri brachte sich in das Gespräch mit ein – sehr zum Staunen der Angestellten, welche die ungewöhnliche Gruppe freundlich bedienten.

„Morgen früh bei Tagesanbruch sollten wir weiterziehen“, beschloss Auron schließlich und erhob sich. „Ihr solltet euch ausruhen. Der Aufstieg zum Berg Gagazet ist anstrengend und langwierig.Und genießt es, noch einmal in weichen Betten zu liegen. Wir lassen die Zivilisation bald hinter uns.“

Mit diesen Worten ließ Auron die anderen allein. Für einige Minuten herrschte absolute Stille. Dann erhoben sich auch Wakka, Rikku, Kimahri und Lulu, wünschten den anderen eine Gute Nacht und verschwanden in ihre Zimmer.

Verunsichert sah Yuna ihren Freunden nach. Seit jener Nacht war sie nicht mehr mit Tidus allein gewesen. Und nun saßen sie sich gegenüber, beide stumm und nachdenklich. In einer Ecke des Raumes flackerte ein unstetes Feuer, das etwas Wärme und Behaglichkeit schenkte. Ein altes Uhrwerk tickte gleichmäßig vor sich hin. Es erinnerte Yuna an das Schlagen eines kleinen schwachen Herzens.

Eine ganze Weile hielt diese seltsame Stimmung an. Schließlich erhob sich Tidus, umrundete den Tisch und blieb neben Yuna stehen. Sie befürchtete, dass er wütend auf sie sein könnte, weil sie sich so abweisend verhielt, doch als sie zu ihm aufsah, lächelte er sie an.

„Du solltest auch schlafen gehen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ Er legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter, dann verließ auch er den Raum.

Allein gelassen mit sich und ihren Gedanken starrte Yuna ins Feuer. Was war nur los mit ihr? Die Hohe Beschwörung war zum Greifen nah und allzu viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Die wenigen Tage, die ihr noch blieben, wollte sie doch eigentlich nur glücklich sein dürfen. Und zu diesem Glück gehörte nun einmal auch er. Sie wünschte sich, von ihm in die Arme genommen zu werden. Doch gleichzeitig fürchtete sie sich auch. So als ob jede seiner Berührungen, jedes seiner Worte die Dinge unausweichlicher machte. Als ob sie ihm mit jedem Kuss, den sie auf seine warmen Lippen hauchte, eine Lüge in die Seele brannte. Lulu gegenüber hatte sie behauptet, dass sie ihm nicht weh tun wollte. Und dass sie ihm deshalb nicht sagen konnte, welches Schicksal ihr bevor stand. Und in dem Moment, als sie die Worte ausgesprochen hatte, hatte sie es auch als Wahrheit empfunden. Aber ein anderer Teil dieser Wahrheit war auch, dass sie sich selbst nicht eingestehen wollte, was geschehen würde.

Diese Erkenntnis traf Yuna wie ein Schlag. Jahrelang hatte sie auf diese Reise hin gearbeitet. Sie hatte sich ganz dem Schicksal Spiras verschrieben und war sich so sicher gewesen, dass sie genau das hier wollte. Dass sie sich genau an diesem Ort befinden wollte, kurz vor dem Ziel. Niemals hatte irgendetwas sie zweifeln lassen. Nichts hatte sie von ihrer Überzeugung abbringen können. Das Ende der Geschichte war ihr von Anfang an bekannt gewesen. Nie hatte jemand über den Verbleib und das Schicksal ihres Vaters gelogen. Er war ein Held und man errichtete Statuen zu seinen Ehren. Die Menschen erzählten Geschichten vom Hohen Medium Braska, das die Stille Zeit gebracht und dafür sein Leben gelassen hatte. Nein. Nein, es hatte niemals Lügen gegeben und niemals hatte Yuna sich irgendwelchen Illusionen hingegeben. Am Ende wartete der Tod auf sie. Und die Stille Zeit auf ganz Spira. Das war der Preis, den ein Medium zu zahlen hatte.

Warum also verschloss sie sich jetzt, nach all den Jahren, der Wahrheit? Warum wollte sie auf einmal nicht mehr akzeptieren, dass sie mit offenen Augen in ihr Verderben ging? Die Antwort war ebenso simpel wie unheimlich: Weil es nun jemanden gab, dessen Leben ihr wichtiger war als ihr eigenes.

Seufzend schob Yuna den Stuhl zurück, auf dem sie saß, und stand auf. Diese Gedanken brachten sie nicht weiter. Im Gegenteil: Sie machten sie nur unglücklich. Und das wollte sie auf keinen Fall sein. Wenn es nur noch wenige Tage gab, die sie mit ihrem Freunden verbringen konnte, dann wollte sie diese auch genießen. Und überhaupt konnte sie sich so kurz vor dem Ziel keinen Pessimismus erlauben. Eine große Aufgabe stand ihr bevor. Auf die sollte sie sich konzentrieren. Und nicht auf ihre albernen Gefühle.

Ich sollte einfach ein bißchen frische Luft schnappen. Tief durchatmen, ein paar Schritte gehen... Das wird mir sicher helfen, einen klaren Kopf zu bekommen.

Als Yuna die Seitentür öffnete, die aus der Herberge auf die Stille Ebene führte, schlug ihr ein kühler, aber nicht unangenehmer Wind entgegen. Es war inzwischen dunkel geworden und hoch über der Ebene leuchteten Millionen Sterne wie kleine Diamanten. Staunend trat Yuna hinaus und schloss die Tür hinter sich. Die Ruhe, die hier herrschte, beruhigte ihren aufgewühlten Geist sofort. Den Blick zum Himmel gerichtet entfernte sie sich langsam von der Herberge. Ja, es war eine gute Idee gewesen, hier draußen nach der Stille zu suchen, die sie in sich selbst nicht hatte finden können. Fast so als wäre die Welt in zwei Teile gespalten. Der eine befand sich in der Herberge – verknüpft mit einem dunklen Schicksal, dem sie nicht zu entgehen vermochte. Und der andere lag hier auf der Stillen Ebene und war so weit von allen Pflichten und Ängsten entfernt, dass ihr das eigentliche Leben beinahe unwirklich vorkam.

Wie lange Yuna dort gestanden und zu den Sternen aufgesehen hatte, konnte sie nicht sagen. Erst als sie hinter sich Schritte vernahm, schrak sie auf und drehte sich um – unsanft aus ihrer Meditation gerissen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“

Tidus stand einige Schritte von Yuna entfernt und schenkte ihr einen zerknirschten Blick. Er wirkte müde und abgekämpft. Vermutlich hatte er schon geschlafen – sein Haar zumindest war zerzaust und er unterdrückte ein Gähnen.

„Keine Sorge, so etwas bringt mich nicht um“, entgegnete Yuna. Sie fragte sich, was er hier draußen tat. Aber sicherlich war es auch ihm ein Rätsel, weshalb sie mitten in der Nacht aus der Herberge verschwunden war.

„Kannst du nicht schlafen?“

„So ungefähr. Ich... “ Wie sollte sie ihm erklären, was in ihr vorging, ohne ihm die Wahrheit zu sagen? „Ich musste einfach mal den Kopf frei bekommen. Es ist einfach viel zu viel passiert in der letzten Zeit.“

Tidus nickte verständnisvoll und streckte sich ausgiebig.Die Dunkelheit legte sich wie ein schwarzer Mantel um ihn und liess ihn vor Yuna beinahe wie einen Doppelgänger aussehen, der allein aus einem Schatten geformt worden war. Und sie wusste nicht, ob es an der Nacht lag, am Schutz der Dunkelheit oder an etwas anderem... Aber plötzlich wurde der Wunsch, seine Nähe zu spüren, übermächtig.

„Gut. Ich wollte nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Dann geh ich mal wieder schlafen.“ Tidus wandte sich zum Gehen. Und im gleichen Augenblick trat Yuna vor, griff nach seiner Hand und schmiegte sich an seinen Rücken.

Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen. Tidus stand ganz still da, während sich Yuna mit geschlossenen Augen an ihn lehnte. Sie spürte seine Wärme und ganz leise vernahm sie auch das Schlagen seines Herzens. Eine Ewigkeit hätte sie so verharren können. Aber die Ewigkeit war eine Lüge, das wusste sie.

„Ich hatte schon Angst, dass ich etwas falsch gemacht haben könnte.“

Er sprach diese Worte ganz leise, aber für Yuna erreichten sie laut und klar ihr Herz. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren Magen, aber er war keineswegs unangenehm. Sie spürte, dass er nach ihrer freien Hand griff, sie anhob und behutsam ihre Handfläche küsste. Seine Lippen... Sie sehnte sich nach seinen Lippen. Nach seinem Atem, seinen Augen...

„Seltsam, dass wir nur nachts zueinander finden.“

Langsam wandte Tidus sich zu Yuna um. Seine Arme schlossen sich um ihren Körper und sie drückte sich so fest an ihn wie sie konnte. Dies war der Ort, an den sie gehörte. Nein, das war nicht ganz richtig. Der Ort war gleichgültig. Es war der Mensch. Dieser Mensch. Niemals hatte sie geglaubt, dass ein anderer Mensch ihr das Gefühl geben könnte, nach Hause zu kommen. Aber so war es. Wenn sie bei ihm war und wenn er sie in seinen Armen hielt, dann war sie zuhause. Wie gern hätte sie dieses Gefühl in sich verankert. So fest in sich eingeschlossen, dass sie niemals mehr darauf verzichten musste. Wenn sie nur immer wieder darauf zurückgreifen könnte... Dann bräuchte sie sich vor nichts mehr zu fürchten.

„Tidus...“

Sie wollte ihm sagen, was sie fühlte. Sie wollte es so sehr, aber welche Worte konnten wohl ausdrücken, was sie empfand? Nichts von dem, was sie hätte sagen können, kam dem, was in ihrem Herzen war, auch nur nahe. Es wäre eine Lüge gewesen. Ein halbherziger Versuch, etwas Unerklärliches zu erklären.

„Ich möchte nicht, dass du gehst“, flüsterte sie stattdessen. Und dann verschwand die Welt um sie herum.

Wenn jemand noch vor einigen Tagen zu ihr gesagt hätte, dass sie und Tidus sich unter dem Sternenhimmel über der Stillen Ebene lieben würden, so hätte es Yuna vor Scham wohl die Sprache verschlagen. Doch in diesem Moment war sie gar nicht fähig, auch nur an Scham zu denken. Tidus Hände auf ihrer bloßen Haut... Der Wind, der sanft über ihren entblößten Körper strich... Seine Küsse, in denen sie beinahe versank... All das machte sie in diesem Augenblick zu einem glücklicheren Menschen als sie sich je erträumt oder erhofft hatte. In ihr schien ein Feuer zu brennen, das heisser als tausend Sonnen war. Und sie konnte von der Nähe ihres Liebhabers nicht genug bekommen. Immer wieder zog sie ihn an sich, küsste ihn, fuhr ihm mit den Händen durch das blonde Haar. Und er lächelte sie an, so als gäbe es kein Unglück und kein Leid auf der ganzen Welt. Als wären nur sie beide wichtig und sonst nichts. Und im Grunde war es auch das, was in diesem Moment zählte: Sie beide, deren Körper zu einem wurden. Der Rest war egal. Mochte die Welt in diesem Moment untergehen – es wäre bedeutungslos.

Sicher hatte er geahnt, dass sie unerfahren war. Vielleicht hatte er es auch gewusst. Sie sah es in seinen Augen, als er sich über sie beugte. Besorgnis konnte sie darin lesen und die stumme Bitte um Erlaubnis. Wie konnte er sich unsicher sein? Spürte er denn nicht, wie entschlossen sie war? Und als ihr die Tränen in die Augen traten, weil sie nicht erwartet hatte, dass es so sein würde, da bereute sie nicht eine einzige Sekunde in dieser Nacht. Und sie war sich sicher, dass sie das auch niemals tun würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Princesskittylin
2012-10-29T21:17:53+00:00 29.10.2012 22:17
Hallo! Ich muss unbedingt einen Kommentar unter dieser FF lassen, echt unter die Haut gehend, wie du Yunas Sicht der Dinge beschreibst. Ich finde nur das ende mit Tidus hättest du entweder ausbauen oder in einem zweiten Teil einbauen können, weil das Thema echt supi ist!
Liebe Grüße, Princesskittylin
Von:  Honoka5
2009-01-16T20:34:30+00:00 16.01.2009 21:34
Wow! Das ist einfach klasse und hat soviel Gefühl.
Yunas Zweifel sind so verständlich und du bringst die sehr intensiv rüber. Wirklich eine tolle FF. *total gerührt ist*

Bye! Honoka5 ^^
Von:  Arrandale
2007-04-11T08:27:38+00:00 11.04.2007 10:27
*den mund nicht mehr zu kriegt*
einfach herrlich..wunderbar geschrieben..ich bin..echt..sprachlos...und ich will mehr!!!
das is ja wie ne sucht die FF zu lesen, einfach hamma...was andres kann ich da nich sagn
*mund zuklappt*
Von:  Reitas-TsukiTenshi
2007-03-21T14:49:16+00:00 21.03.2007 15:49
O.O Was denn, eine so super FF und noch keinen Kommentar?! Das kann es einfach nicht geben und muss schnell geändert werden. ^.~

Ich bin jedenfalls schwer begeistert von deinem Text. Super schön geschrieben und richtig romantisch. *schwärm*
Würde mich sehr freuen wenn du noch mehr so schöne Texte mit Tidus und Yuna schreiben würdest. *großer Tidus und Yuna Fan ist ^^*
Lieben Gruß
Selene


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