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SaYuKaNe

Magische Liebe
von

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0. Der Beginn des Schicksals

Es liegt fast siebzehn Jahre zurück.

In einer regnerischen Nacht, in einem dichten Wald, stellten sich die Weichen des Schicksals neu. Es war nebelig, fast schon unheimlich, denn es war alles so trüb, das man nicht sehen konnte was vor einem lag und es war dunkel. Schrecklich dunkel. Als ob alles Licht absorbiert worden war. Der Wind heulte durch die Äste und es klang wie Geflüster von einer Körperlosen Stimme. Bissig und scharf. Rau und Alt.

Sie klammerte sich an ihren Begleiter, einen hoch gewachsenen Mann in schwarzer Kutte. Die Kapuze verdeckte sein Gesicht vor der Außenwelt. Sie konnte nicht mehr laufen, die Schmerzen waren zu stark. Auch sie trug eine schwarze Kutte mit Kapuze und ihr Gesicht war nicht erkennbar, aber ein paar feuerrote Haarstränen hingen heraus. Der Stoff der Kutte spannte an ihrem Leid, sodass man die breite Kugel im ganzen Umfang sah.

Sie war Schwanger.
 

Der Weg war steinig und schwer. Beide mussten sich konzentrieren damit sie nicht auf dem frischen Matsch ausrutschten. Sie kannten ihr Ziel. Es war ganz in der nähe, doch der Regen mit seinem undurchdringbaren Nebel versperrte ihnen hartnäckig den Weg. Er stützte sie, so gut es nur ging. Doch leider hatten die Wehen bereits eingesetzt und sie spürte, dass das neue Leben in ihr nicht mehr lange warten wollte. Es wollte die Welt mit all seinen Sinnen erkunden. Es war nicht mehr viel Zeit. Sie kämpften sich tapfer durch die dichten Wälder, bis sie endlich den dumpfen Klang der Kirchenglocke vernahmen, auf dem sie so sehnlich gewartet hatten.

„Bist du sicher, dass wir das richtige tun?“ Die Stimme der jungen Frau war müde und spröde. Sie standen einander jetzt gegenüber. „Du wirst bald einen anderen heiraten. Wir können es nicht behalten.“ Seine Stimme war rau und klang beruhigend für sie. „Aber…“ Sie brach im Satz ab, da sie eine Welle des Schmerzes überkommen hatte. „…ich liebe nur dich! Ich will es nicht weggeben.“ Er umarmte sie fest, fast wäre ihr das Herz vor Glück stehen geblieben. Dann gab es einen kurzen Kuss. Es war ein Abschiedskuss. Jetzt war der Schmerz in ihr verdoppelt worden, sie konnte fast nicht mehr atmen. „Du wirst für immer die einzige für mich sein. Es wird ihm im Waisenhaus besser gehen. Glaube mir, auch mir wird das Herz zugeschnürt.“ „Das ist nicht gerecht!“ Sie konnte die Tränen kaum noch halten. Ihre Hände drückten ihren Bauch. „Wir müssen gehen, die Zeit drängt. Du krümmst dich schon seit Stunden vor Schmerzen. Es ist bald soweit!“
 

So brachen in ihr alle Widerstände und sie folgte ihm zur Schwelle des Waisenhauses. Es lag völlig im Nebel und man Sah nur die dunkle Front. Er Klopfte mit dem Türklopfer und es erklang ein weiteres Mal die Glocke. Und wie ein Zeichen des Schicksals platzte die Fruchtblase, als die beiden über die Schwelle geführt würden von einer jungen Dame in weiß. Man führte sie in einem Raum. Die Dame half der jungen Frau auf eine Liege, ihr Begleiter drückte kräftig ihre Hand. Sie lag da, während alle die Geburt vorbereiteten. Viele Frauen sammelten sich um sie, halfen ihr beim entkleiden. Sie sagten, wann sie pressen sollte und sie tat es. Sie hätte sich freuen sollen, doch sie fühlte in sich nur eine unendliche Leere, als es schmerzhaft aus ihr heraus brach. Es wollte leben. Und die Schwestern nahmen das Neugeborene, einen kleinen Jungen, mit sich in einen anderen Raum, um es zu säubern und zu wickeln. Er wollte leben.
 

Sie lag da, völlig abwesend von dieser Welt und starrte die Decke an. Sie trug ein weißes Kleid, es war leicht Blut verschmiert. Der Mann war mit den Schwestern mitgegangen, um sich von seinem Sohn zu verabschieden. Sie hatte es verloren, ihr erst geborenes Kind. Einige Tränen liefen langsam aus den starren hellblauen Augen. Die feinen Züge ihres Gesichts waren erstarrt, die rosa Lippen leicht bleich. Die Wangen waren gerötet und glitzerten von den Tränen. Sie lag da wie Tod. Sie war Tod, innerlich zwar, aber der Wille zu Leben war nicht mehr da. Sie hatte sie verloren, ihren Sohn und den Mann den sie über alles liebte. Es war alles vorbei.

Langsam zog draußen die Wolkendecke auf. Sie lag da wie eingefroren bis der Mann mit dem Baby in den Armen in das Zimmer trat. „Sieh nur unser Sohn.“ Er legte ihr vorsichtig das kleine weiße Bündel in die Arme und es war so, als ob das Leben in sie zurückgekehrte. Sie strich mit den Fingern über die blasse Haut. Er hatte vereinzelte rote Haare. „Er ist so wunderschön.“ Und wieder kamen ihr die Tränen. Das Baby hob die Fäustchen und kniff die Augen zusammen. „Du wirst eines Tages ein neues Kind haben, ohne mich. Und du wirst wieder glücklich sein.“ Ein leiser süßer Schmerz durchfuhr sie wie ein Blitz. „Sicher.“ Ihre Stimme war nur noch ein wispern, ausgemergelt vom Schreinen bei der Geburt. „Wir können ihm einen Namen geben.“ Sie sahen sich an. Die Schwester kam dazu. „Dann nennen wir ihn doch…“„Tut mir leid, wir müssen ihn zu den anderen bringen.“ Die Schwester riss das kleine Bündel aus ihren Armen und verzweifelt musste sie sehen, wie man ihr den Sohn wieder wegnahm. „NEIN!!! MEIN KIND…“ Der Mann packte sie an den Armen. „Wir müssen jetzt gehen!“ Sie werte sich mit Armen und Beiden gegen ihn, doch sein griff wurde nur noch fester. Und dann verschwanden sie plötzlich spurlos. Nur noch der tragische Klang des Babyschreiens war zu hören. Unter dem Schrei mischte sich erst still, dann immer lauter ein unendliches Echo: „NERO…

Vergessen

1.Vergessen
 

Ich kann mich an nichts erinnern aus dieser Nacht. Jedenfalls an nichts deutliches-wenn man bedenkt das ich erst zwei Jahre alt war, als es passierte.

Eigentlich war es eine Nacht wie jede andere, auch wenn es ungewöhnlich kalt war für diese Jahreszeit. Es war in der Nacht vom 29. Mai auf den 30., fast zwei Tage nach meinem 2. Geburtstag. Eigentlich kann ich mich selbst nicht an meinen Geburtstag und die zwei Tage danach erinnern, aber meine Großeltern erzählten mir dass der Unfall, in dieser schicksalhaften Nacht geschehen war. Wir fuhren mit unserem Auto auf der Landstraße. Es war eine klare Nacht, der Himmel hang voller Sterne und nirgends war nur eine Wolke zu sehen. Ich kann mich noch ganz genau an den traumhaften Himmel erinnern, da ich Sterne so sehr liebe. An den Unfall allerdings, kann ich mich nur noch Bruchstückhaft erinnern. Es ist als hätte jemand eine Videokassette zu oft überspielt, sodass manche Szenen verschwunden waren. Bei meinen Erinnerungen war es ähnlich, es war als ob sie in der Leere verschwunden waren. Immer wenn ich versuchte mich zu erinnern, war es als ob die Kassette an dieser Stelle überspielt war und ich sah nur noch Schnee vor meinen Augen, ein Meer aus schwarz und weiß.
 

Wir wollten nur nach Hause fahren, zu unserem schönen großen Haus am Rande des dichten Waldes- zu meinem Märchenschloss. Mein Vater saß am Steuer auf der rechten Seite, meine Mutter als Beifahrerin auf der linken während ich in meinen Kindersitz hinten saß. Ich war müde, die letzten Tage waren so aufregend gewesen, da ich so viele neue Eindrücke kennengelernt hatte, ich hatte kaum geschlafen. Die beiden waren sehr glücklich. Im Radio lief ein schönes Lied, es wirkte beruhigend auf mich, auch wenn ich nicht mehr weiß warum. Wir waren auf dem Rückweg von meinen Großeltern, die wir alle zusammen anlässlich zu meinen Geburtstag besucht hatten. Ihr Haus war nur eine Stunde von unserem entfernt, deshalb waren wir auch schon fast wieder zuhause, als mein Vater plötzlich scharf bremsen musste. Der Ruck war so stark, dass er durch meinen ganzen Körper fuhr und ich aus meinen süßen Träumen gerissen wurde. Ich war von der Musik eingeschlafen. Als ich sah was vor uns dunkles auf uns zu kam, wünschte ich mir nichts sehnlicher als wieder zu Träumen. Ich hatte Angst.

Meine Mutter wirkte angespannt, mein Vater versuchte den Motor neu zu starten, aber es gelang ihm nicht. Es gab einen seltsamen Knall der mich zum weinen brachte. Meine Mutter versuchte mich zu trösten, ich werde niemals ihre vor Angst geweiteten Augen vergessen, die sich in dieser Nacht bis in meine Seele gebrannt hatten.

Ich wollte nach hause, nach hause in mein kleines Bettchen. Ich wollte nicht in diesem Alptraum verweilen! Doch es wurde nur noch schlimmer. Es wurde auf einmal ganz kalt, so kalt das die Scheiben gefroren und verächtlich klirrten. Meine Eltern drückten gegen die Türen, die sich vom Auto knackend lösten, oder vielmehr abbrachen. Dann flog die Tür auf meiner Seite weg. Meine Mutter riss mich aus meinen Kindersitz, nachdem sie mit einem seltsamen Gegenstand den Gurt durchtrennt hatte. Sie nahm mich in ihre warmen Arme und gemeinsam mit meinem Vater rannten wir vom Auto weg. Doch als wir die dunkle Straße passieren wollten, war es als ob uns eine unsichtbare Barriere davon abhalten wollte. Wir saßen in der Falle…
 

Diesem Teil meiner Erinnerung traute ich nicht über den Weg. Die rätselhaften Ereignisse waren einfach zu unwirklich. Es war alles nicht logisch, deshalb weiß ich nicht ob es sich so zugetragen hat. Die Kinder im Kindergarten sagten, ich hätte etwas dazu erfunden, damit der Unfall nicht so langweilig sei. Ich fand diese Unterstellung ekelhaft, als ob man sich darüber freuen würde, dass die eigenen Eltern gestorben waren. Ich hatte keinen Grund, die Geschichte auszuschmücken. Das ganze war schon schwer genug zu ertragen.

Am schlimmsten ist für mich das sich an dieser Stelle die Bilder sprunghaft änderten und wie kleine Momentaufnahmen auf mich einprasselten. Sie waren völlig zusammenhaltlos. Zuerst sah ich meinen Vater, wie er versuchte mich und meine Mutter vor dem dunklen zu beschützten, dann hörte ich den Mark erschütternden Schrei meiner Mutter. Dann sah ich wie dunkle Gestalten ihre Hände nach mir ausstreckten. Es folgten grüne und rote Lichtblitze, die durch die Luft aufeinander zuschossen. Der Wind peitschte nach mir und riss gleichzeitig das Auto in die Höhe. Dann spürte ich einen unerträglichen Schmerz im ganzen Körper und ein helles Licht blendete mich und brannte ganz schrecklich in meinen Augen. An dieser Stelle, dem letzten Bild in meinen Erinnerungen, schreckte ich immer wieder zusammen und schrie aus Leibeskräften, da der Schmerz von damals wieder allgegenwärtig war.

Danach hörte ich nur noch ein grausliches Echo in meinem Kopf, eine dunkle Stimme schrie den Namen meiner Mutter. An mehr konnte ich mich nicht erinnern, auch nicht wenn ich mich anstrengte. Ich bekam schreckliche Kopfschmerzen, wenn ich es trotzdem jagte weiter vorzudringen zu wollen.

Nachdem ich es das erstemal versucht hatte, war etwas Schreckliches mit mir geschehen. Der Schmerz war damals so unerträglich gewesen, gar schon vibrierend in einem Kopf, dass etwas Seltsames geschehen war. Ich selbst weiß nicht was passiert war, aber meine Großeltern erzählten mir von unglaublichen Dingen. Sie sagten, alle Gegenstände in meiner Umgebung hätten zuerst geleuchtet und wären dann um mich herum geschwebt. Als sie dann einem Eimer Wasser auf mich geschüttet hatten, wär ich wieder zu mir gekommen und alle Gegenstände wären abrupt heruntergefallen und auf dem Boden zerschellt, wie Glas. Aber sie meinten nicht, dass es schlimm gewesen wäre, vielmehr war es schlimmer gewesen, mich so leiden zu sehen. Sie schilderten mir alle Details, aber ich erinnerte mich an nichts. Für mich waren ihre Beobachtungen und Erzählungen essentiell, da meine Erinnerungslücken stark auseinanderklafften. Ich war kein richtiger Mensch, vielleicht bin ich es auch heute noch nicht.
 

Damals und heute, immer noch fühle ich mich so hilflos. Was bin ich schon wert, wenn ich mich an so vieles, was mein sogenanntes Leben sein soll, nicht erinnere? Jedenfalls halten mich die anderen in meinem Umkreis für verrückt, vielleicht sogar für gefährlich. Andere dagegen für lächerlich und unreif. Beide Positionen sind mir fremd. Ich habe noch nie einen Menschen nach seinem äußeren Erscheinungsbild beurteilt. Warum auch? Man beurteilt ein Buch ja auch nicht nach seinem Einband, sondern nach dem Inhalt. Für mich ist das mit Menschen dasselbe: Ich beurteile sie nicht nach ihrem Äußeren, sondern nach ihrem Charakter. Mich interessiert nur ihr Inhalt nicht ihre Fassade. Manchmal, aber nur ganz selten, da schiebe ich sie in Schubladen, aber nicht ohne sie vorher genau studiert zu haben. Ich bin ein Mensch, der nicht unter Menschen leben kann, da er ihre Falsche Art, ihre geheucheltes Interesse nicht ertragen kann. Ich will Leute um mich, die mich um meiner selbst mögen und mich nicht als Freundin wählen aufgrund von Herkunft und Stand. Ich will keine Leere Hülle ohne Inhalt sein-ohne Seele. Man kauft ja auch kein Buch mit leeren Seiten.
 

Nach dem Tod meiner Eltern, bei diesem Unfall, war ich drei Tage von der Erdoberfläche verschwunden. Was in dieser Zeitspanne geschehen war, weiß ich nicht mehr. Nach drei Tagen tauchte ich auf der Landstraße wieder auf und wäre beinahe von einem Auto überfahren worden, weil der Fahrer mit meinem plötzlichen Auftauchen nicht gerechnet hatte. Wie aus dem nichts sei ich damals auf der Straße-derselben Straße auf der ich verschwunden war- wieder aufgetaucht. Der Fahrer, ein Mann mittleren Alters, groß gewachsen mit leicht groben Gesichtszügen, war über mein Erscheinen so dermaßen geschockt gewesen, dass er bei den Polizisten nur noch wirres Zeug dahergeredet hatte. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war dass mindestens hundert Polizisten drei verdammte Tage lang jeden Stein in ganz England nach mir abgesucht hatten. Meine Großeltern-zwei nette Menschen und meine scheinbar einzig lebenden Verwandten- hatten eine große Suchaktion nach mir gestartet. Eine nette Polizistin kümmerte sich um mich. Niemand wunderte sich darüber, dass ich den Unfall ohne einen Kratzer überlebt hatte, während meine armen Eltern verbrannt waren; bis zur Unkenntlichkeit zerstört waren. Sie nannten es ein Wunder. Ich glaubte nach diesem Tag nicht mehr an Wunder, denn wer alles verloren hatte, sah im Leben keinen tieferen Sinn mehr. Alles war bedeutungslos. So fühlte ich mich, auch wenn ich erst so klein war. Die Polizistin brachte mich zu meinen Großeltern, nachdem ich ein paar Stunden im Krankenhaus untersucht worden war und man nichts festgestellt hatte. Als ich nach (für mich) einer langen Zeit- fast einer ganzen Ewigkeit- ihnen gegenüberstand, brach alles aus mir heraus. Als man mich gefunden hatte mit leeren Gesichtsausdruck und Augen weit weg von dieser Welt, hatte ich keine Regung gezeigt. Auch nicht als ich im Krankenhaus eine Tetanusspritze bekommen hatte. Ich hasste eigentlich Spritzen, aber ich hatte nichts empfunden, als die Nadel in meinen Arm glitt. Ich war Gefühllos. Vollkommen betäubt von dem was mit mir geschehen war.
 

Als ich meine Großeltern wiedererkannt hatte, kam meine Seele wieder zu Leben. Ich rannte auf sie zu, die Tränen bahnten sich ihren Weg ungehindert und fast zügellos wie ein tosender Fluss, aus meinen Augen. Alle waren so froh, dass ich überlebt hatte. Ich dagegen verfluchte mich dafür, dass gerade ich überlebt hatte. Meine lieben Eltern hatte ich verloren, was gibt es schlimmeres für ein Kind, als das? Auch wenn sich meine Oma und mein Opa die alle größte Mühe gaben, damit ich eine glückliche Kindheit hatte, fühlte ich mich immer einsam und verlassen. Die ersten Jahre waren schwierig für mich und sie, denn sie wussten einfach nicht wie man mir helfen konnte. Ich wollte nichts essen, nicht nach draußen und ich sagte kein Wort- zu niemanden. Ich lebte einfach in den Tag hinein, in meiner eigenen kleinen Welt, wo es mein Märchenschloss mit meinen lieben Eltern noch gab. Andere Kinder hatten sowieso Angst vor mir, weil sie nicht verstehen konnten, dass sich meine Augen- und Haarfarbe veränderten. Zur damaligen Zeit waren meine Haare dunkelbraun und meine Augen tief smaragdgrün. Ich trug ständig mein schwarzes Trauerkleid, sogar zum schlafen. Meine Augen waren leer, sodass mich die anderen Kinder in unserem Dorf, nur das eigenartige Todeskind nannten. Meine Stimmung änderte sich erst als Mei Mei, eine violette Katze in mein Leben trat.
 

Es war im zweiten Trauerjahr. Die Nachbarskinder hatten mich an einem Baum gefesselt, damit ich nicht ihr Spiel verderben konnte. Das taten sie sehr oft, sodass ich mich schon gar nicht mehr dagegen werte, so wie ich es noch am Anfang getan hatte. Irgendwann hatte ich völlig resigniert und eingesehen, dass mich hier niemand haben wollte. Doch trotz dieser Selbsterkenntnis tat es nicht weniger weh so abgelehnt zu werden. Sie spielten gerade fröhlich verstecken- ein dicker Junger war mit suchen dran- nur ich war an meinem vertrauten Baum, der einzige Mensch der dieses seltsame Knacken aus dem Gebüsch wahrnahm. Der Dicke, -der Unglaublicher weise ein Tacken beleibter war als ich, was ihm in seinem persönlichen Staus eine Stufe über mir stehen ließ- hielt plötzlich und völlig rückartig im Rennen inne. Er starrte auf etwas Dunkles zwischen den Gräsern die sich ringsherum hoch empor zwängten. Seine Augen weiteten sich als etwas Kleines blitzschnell auf ihn zusprang. Seine Panik griff auf die anderen Kinder, die vom Geschrei hergelockt worden waren und neugierig ihre Verstecke verlassen hatten, über. Nur mich ließ das ganze völlig kalt. Was interessierten mich schon diese armseligen Dorfdeppen, sollten sie doch von irgendeiner Kreatur zerrissen werden. Mir drohte schließlich keine Gefahr und außerdem hatten sie es verdient. Sie hatten es alle verdient.

Der Dicke lag völlig apathisch auf dem Rücken, all seine Freunde musterten die seltsame lila Kreatur auf seiner großen groben Brust. Sie fingen auf einmal glockenhell an zu lachen, als sie das Fellbündel als violette Katze erkannten. Der dicke sprang rückartig auf und rannte laut heulend und nach seiner Mami schreiend davon, wovon das Kindergekicher nur noch mehr anschwoll. Ich war sichtlich enttäuscht, die Kreatur die ich mir herbeigewünscht hatte war nicht gekommen. Niemand nahm weiter Notiz von mir. Keiner machte Anstalten mich los zu binden, warum auch? Im Grunde war ich ja nicht existent.
 

Alle waren sie fasziniert von dem lila Kätzchen. Doch dieses seltsame Kätzchen würdigte sie keines Blickes, vielmehr starrte es mich undurchdringlich an. Auch die anderen bemerkten dies nach einer Weile-da ihre kleinen Gehirne viel länger brauchten als meines. Höhnisch sangen sie: "Seht nur das Todeskind, seht nur das Todeskind. Selbst die Katzen mögen es nicht, selbst die Katzen mögen es nicht…" Ihre hohen Kinderstimmen mündeten in einen endlosen Singsang. Plötzlich knurrte die Katze, es schien beinahe ein menschliches Knurren zu sein. Es war beängstigend. Alle zwölf starrten mich an. Ich konnte in ihren Augen die Angst sehen, sie war fast plastisch fassbar. Ein weiteres Knurren ertönte. Die Meute trennte sich beim davonlaufen in alle Himmelsrichtungen und ich konnte ihr Gekreische bald immer noch aus weiter Ferne hören. Ich war nun allein mit der Katze. Das Knurren war blitzartig verstummt, als die Kinder fortgerannt waren. Die Katze starrte mich jetzt noch stärker an, als ob sie meine Gedanken lesen wollte. Ihre violetten Augen fixierten mich, wodurch meine Herzsequenz stark anstieg. Ich hatte Angst.

"Bitte, tu…mir…nichts…", meine Stimme war nur ein leichtes wispern. Die Katze zeigte ihre Krallen und setzte zum Sprung an. Mein Herz wäre beinahe stehen geblieben, als die Taue, die mich an der Eiche festhielten, plötzlich zu Boden fielen. Sie waren durchtrennt worden, wie mit einem scharfen Küchenmesser. Aber da war kein Mensch weit und breit. Nur die Katze die jetzt auf meiner Brust kauerte und schnurrte. Ich streichelte über ihren Kopf und spürte tief in mir, dass sie mir nichts Böses wollte. "Danke! Es ist nett von dir, dass du mich befreit hast", lächelte ich sie an. Seit einer Ewigkeit hatte ich wieder aus tiefsten Herzen gelacht. "Wollen wir Freunde sein? Ich bin" Sayuri." Ich mochte meinen vollen Namen nicht besonders, weil die anderen Kinder mich damit aufzogen. Eigentlich war ich stolz auf ihn, bedeutete er kleine Lillie und stammte von meiner Mutter, die Japanerin gewesen war. Trotzdem benutzte ich lieber die Kurzform Sayu.
 

Wie als Antwort schleckte sie mir über das Gesicht. "Hast du auch einen Namen?" Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Ich blinzelte. "Dann nenn ich dich… hm… ähm…Mei Mei!" Ihr schien dieser Name auf anhieb zugefallen, denn sie sprang von meinem Oberkörper runter und schmiegte sich an meine Beine. "Dann lass uns nachhause gehen, Mei Mei."

Als ich mit dieser merkwürdigen Katze nachhause kam und sich zudem meine Haar und Augenfarbe völlig verändert hatten- nämlich violett- starrten mich meine Großeltern erst einmal mit ganz großen Augen an. Mein Opa musterte mich zehnmal von allen Seiten, bis er begriffen hatte, dass mein dunkelbraunes Haar und meine smaragdgrünen Augen verschwunden waren. Doch als sie mein lächelndes Gesicht entdeckten, war die Freude der Furcht gewichen und beide schlossen mich herzlich in ihre Arme. Ich erzählte Oma die Geschichte wie ich Mei Mei begegnet war und fragte mit einem Dackelblick ob ich sie behalten könnte. Meine Oma lächelte nur und sagte: "Sie ist deine Schicksalsgefährtin, sie hat nur auf dich gewartet. Du kannst sie behalten." Von da an trug ich mein Trauerkleid nicht mehr und war ein glückliches Mädchen. Ich hatte einen Freund gefunden und wenn ich nachts im Bett schlief und Mei Mei sich an mich kuschelte, fühlte es sich sogar so an als ob meine Mutter mich in den Armen hielt.

Die anderen Kinder hatten jetzt Respekt vor mir und nannten mich das mutige Katzenmädchen und ein paar Mädchen freundeten sich sogar mit mir an. Nur vor meiner Gefährtin hatten sie ein bisschen Angst, was mich nicht weiter störte. Ich war endlich nicht mehr allein.
 

Dieses neue glückliche Leben hätte immer so weitergehen können, doch wieder wurde meine Welt vom grausamen Schicksal zermahlen: Ich war gerade elf gewordenen, als uns ein Brief ereilte der sagte, das ich schon vor meiner Geburt bei einem Internat weit von London angemeldet wurde. Meine Eltern hätten dies so vor ihrem Tod verfügt. Ich verstand am Anfang nicht, warum ich auf ein Internat gehen sollte, wo doch eine der besten Schulen bereits in unserer Nähe war. Meine Großeltern erklärten mir an diesem Tag- meinem Geburtstag- das ich und meine Eltern anders als alle anderen übrigen Menschen auf dieser Welt waren. Ich wäre etwas ganz besonderes. Ich hätte ein ganz besonderes Talent: "Omi, was habe ich für ein besonderes Talent?", hatte ich sie mit brennender Neugierde gefragt. An ihrer Stelle antwortete mein Großvater für sie: "Dein Vater und deine Mutter konnten übermenschliche Dinge vollbringen." Ich verdrehte die Augen. "Was für übermenschliche Dinge denn?" Meine Großmutter nickte und er sprach weiter. "Sie konntenzaubern!" sagte er und seine Stimme klang dabei ehrfürchtig. "Sie konnten zaubern? Und ich bin die Queen!" Er schien von dieser Antwort enttäuscht zu sein. "Sayuri meine kleine, du bist sozusagen… eine… Hexe." Ich starrte meine Großmutter an, dabei mussten meine Augen so groß wie Tennisbälle gewesen sein. "Ich bin eine was? Hexe?! Werdet ihr langsam senil?!" In diesem Moment bekam ich die erste Ohrfeige meines Lebens von meinem Großvater. Ich war fassungslos und mir stiegen die Tränen vor Wut in die Augen. "So redest du nicht mit uns! Es ist alles wahr, was wir dir sagen!Du bist eine Hexe und sollst auf das Internat um deine magische Ausbildung anzutreten, wie damals dein Vater.Dort wirst du hoffentlich lernen deine übersäumende Energie besser zu beherrschen, damit die Vorfälle aus der Vergangenheit sich nicht mehr wiederholen können!" Er hatte fast nur gebrüllt, dies war eine Primere, denn eigentlich war er ein sanftmütiges Wesen von Mann. Meine Großmutter nahm mich in den Arm, denn ich hatte mittlerweile angefangen heftig und schluchzend zu weinen. "Sie ist doch noch ein Kind! Du kannst sie doch nicht so anschreien, dass ist sie doch nicht gewohnt. Sie ist doch so sensibel und zerbrechlich. Willst du sie wieder verlieren?"
 

Das war eine Anspielung auf meine frühe Kindheit, in der ich in meiner eigenen Welt gelebt hatte, weil ich niemand brauchte. Mein Großvater entschuldigte sich bei mir uns weinte sogar dabei. Es tat ihm in der Seele weh, dass er mich geschlagen hatte. Ich dagegen dachte damals, ich hatte es verdient, weil ich so ein böses Mädchen gewesen war. Ich habe ihnen vergeben, schließlich war ich selbst Schuld daran. Ich wollte mich in Zukunft bessern und brav meine magische Ausbildung an einer der besten Zauberschule der Welt absolvieren.
 

Am Ende der Sommerferien sollte das neue Schuljahr beginnen. Ich musste mich von all meinen Freundinnen verabschieden, da sie alle auf Schulen für Normalsterbliche gingen, aber ich versicherte ihnen, das wir uns ja im Winter wiedersehen würden, doch daraus sollte ja nichts werden. Meine geliebten Großeltern brachten mich zum Bahnhof, wo der Zug in die Berge abfuhr. Ich war zu aufgeregt um mir alle Einzelheiten zu merken. Ich verabschiedete mich herzlich und tränenreich von den Liebsten Menschen der Welt, wie viele andere auch. Doch ich war bestimmt die einzige die sich an diesem Tag von ihnen für immer verabschieden sollte. Denn ich sah meine Großeltern danach niemals wieder.
 

Meine Erinnerungen tragen mich noch bis in den Winter. Ich hatte mich im Internat gut eingelebt und hatte sogar noch mehr Freunde gefunden als ich zuhause hatte. Meine Oma schrieb mir jede Woche einen Brief. Es fühlte sich nicht schmerzlich an so weit weg von ihnen getrennt zu sein, den Weihnachten rückte immer näher. Ich liebte das Schloss auf dem Hügel, war regelrecht von seinen vielen Gängen, Räumen und Treppen gefesselt. Mich störte auch nicht die Schuluniform, die aus einem Pullunder, einer Bluse, einer Krawatte, Rock und Strümpfe, schwarzen Schnürschuhen und einem schwarzen Umhang bestand. Mich störte auch nicht die Aufteilung in verschiedene Häuser, denn Hauptsache es ging mir gut. Ich liebte den Mädchenschlafsaal, dort waren alle meine Freundinnen. Mein Haus hatte mich wie eine Familie bei sich aufgenommen. Ich war so glücklich.
 

Je näher der Weihnachtsabend kommt, desto schwächer werden meine Erinnerungen. Ich erinnere mich an einen Jungen mit langen hellblonden Haar und ganz tief Rubinroten Augen. Sie faszinierten mich und Er faszinierte mich noch viel mehr. Ich war ihm hemmungslos verfallen und unaufhebbar in ihn verliebt. Er war vier Jahre älter; etwas ganz besonderes wie ich. Wir verstanden uns gut, was vielen nicht gefiel, denn er stammte aus einem Haus mit dem meines seit Jahrhunderten verfeindet war. Mir war das egal, solange ich in seiner Nähe sein durfte, war ich glücklich. Ich war berauscht, wie unter Drogen. Meine Freundinnen machten sich Sorgen um mich, weil ich mich so verändert hatte. Ich erklärten ihnen ich sei nur verliebt, doch sie faselten etwas davon das er mich mit einem Liebestrank vergiftet hätte, damit ich alles tat was er wollte. Ich wollte das alles nicht hören und ging blind in mein Verderben.

Er war der Junge meiner Träume, sein Name klang wie Musik-Shiba. Mei Mei möchte ihn nicht und verkroch sich in seiner Nähe in irgendwelche Ecken. In ihren Augen sah ich abgrundtiefen Hass und Verachtung, aber auch ein Quäntchen Furcht. Es schien mir als ob sie ihn schon mal begegnet war. Sie verhielt sich untypisch für eine Katze. Ich ignorierte ihre indirekten Warnungen vor der Gefahr, schließlich war sie nur eine dumme Katze. Shiba konnte wunderbare Geschichten erzählen und brachte mich mithelfe seiner Magie in die schönsten Traumwelten meiner Kindheit zurück. Ich fühlte mich bei ihm geborgen, da er mir das Gefühl gab die wichtigste Person in seinem Leben zu sein. Dies beteuerte er mir jeden Tag aufs Neue und dies brachte mein Herz vor Glück zum schlagen. Er verstand sich gut darin mir Komplemente zu machen und mich so jede Sekunde weiter willenlos zu machen. Er sagte immer, ich sei sein Schicksal und er liebe mich mehr als sein Leben. Ich glaubte ihm jedes Wort und hätte alles Denkbare für ihn getan. Er war mein Schicksal.
 

Er brachte mich soweit das ich nur noch Zeit mit ihm verbringen wollte. Jede freie Minute wollte ich bei mir sein. Dies war keine Liebe mehr, denn es war mehr Besessenheit als das. Ich wusste nicht was er vor hatte, aber er plante etwas. Mein Instinkt hatte er sich bis zum Schluss nicht Untertan gemacht und ich ahnte etwas Schreckliches. Ich hatte verschwommene Visionen von der Zukunft, die mich ängstigten. Doch ich war immer noch ein naives Kind das an die einzig wahre Liebe glaubte und ihm so schutzlos ausgeliefert war. Es war zu spät um einen Schritt zurück zu machen. Ich war an allem Schuld was geschehen würde. Es war ganz allein meine Schuld!

Shiba brachte mich kurz vor Weihnachten, als ich eigentlich zurück zu meinen Großeltern fahren sollte, dazu bei ihm zu bleiben. Und unerklärlicherweise hatte es auch so heftig geschneit, dass der Zug nachhause nicht abfahren konnte. Ich war nicht traurig noch hatte ich Sehnsucht nach meinen Großeltern. Ich hatte alles was ich wollte: Shiba…

Es war Heiligabend, alle freuten sich auf die Geschenke, nur ich freute mich auf etwas noch viel schöneres. Shiba wollte mich um acht Uhr am Astronomieturm treffen, er wolle mir etwas ganz besonderes zeigen. Ich wartete auf ihn kurz vor der Falltür in meinem schönsten Kleid; ein Traum aus weiß. Er nahm mich bei der Hand als er mich und führte mich in die Finsternis. Ich ging ihm nach ohne mir große Gedanken zu machen. Wir verließen das Schulgelände, was eigentlich für Schüler verboten war, aber es störte mich kaum. Als wir die Grenze des Geländes erreicht hatten, waren wir an einem anderen Ort. Er war mir seltsam vertraut. Er zeigte mir die Sterne die in dieser Nacht so hell wie noch nie leuchteten.

"Ich möchte dir etwas ganz besonderes schenken, Sayuri." sagte seine süße Stimme und er umarmte mich. "Noch eine schöne Überraschung?" Er nickte. "Es wird dich für immer an mich binden, dann kann uns selbst der Tod nicht mehr trennen." Er sagte ständig so erwachsene Dinge, die mich befremdeten. "Mach die Augen zu." Ich schloss meine Augen und horchte nach seinem regelmäßigen Atem der immer näher kam. Er legte mir eine Kette um. Es war ein roter Rubin an einer silbernen Gliedkette- so rubinrot wie seine Augen. Der Rubin war kalt als er meine Haut berührte. Unser Atem war sichtbar und schwebte wie Dampf in der Luft. Seine Hände waren so kalt wie Eis als sie meine umfassten. "Ich liebe dich, Sayuri!" Er zog mich näher zu sich heran. Dann küsste er mich, das hatte ich mir so gewünscht, aber es fühlte sich am Ende nicht richtig an. Es war der erste Kuss meines ganzen Lebens, es fühlte sich himmlisch an. Mir wurde ganz warm und seine Lippen lagen ganz sanft auf meinen. Doch als er sich von mir löste war der Zauber zwischen uns erloschen. Ich konnte wieder klar denken. Als ich in seine roten Augen sah, durchzuckte mich es wie ein Blitz. Es waren die Augen eines Dämons! Die Augen des Mannes der vor neun Jahren meine Eltern ausgelöschte hatte.
 

Ich schlug seine Hand weg als er mich berühren wollte. Seine Augen zeigten tiefen Schmerz. Er wollte sich auf mich stürzen, doch ich schleuderte einen Zauber gegen ihn, der ihn auf der Stelle erstarren ließ. Aus der unmittelbaren Nähe waren Schreie zu hören und ich rannte in diese Richtung durch die dunkle Nacht. Bald blitzten die ersten Dächer in der Dunkelheit auf. Mein Herz wubberte in meiner Brust. Ich war schon mal hier gewesen! Ich erkannte das Haus was sich vor meinen Füßen erstreckte sofort wieder. Rote und grüne Lichtblitze erhellten die roten Dachziegel als sei heller Tag. Es war das Haus meiner Großeltern! Ich umklammerte meinen Zauberstarb fest in meiner rechten Hand und rannte noch schneller als zuvor unsere Auffahrt hinauf. Ich war erst elf Jahre alt, noch fast ein Kind, aber ich war bereit für sie mein Leben zu geben. Ich stand auf der Veranda, die Haustür lag im Hauseingang, als ob sie von einer starken Explosion aus den Angeln gesprengt worden war. Die Fensterscherben lagen auf dem Boden zerstreut zu meinen Füßen, alle Lichter waren im Haus gelöscht worden. Das Haus lag toten still da und schien fast auf mich gewartet zu haben. Es war bitterkalt, noch kälter als der Wind, der sich durch die Bäume zwängte. Ich sah eine schreckliche Verwüstung. Mein zuhause, dass mir so viele Jahre Trost gespendet hatte, glich einem Schlachtfeld. Überall lagen einzelne Ziegelsteine aus der Häuserfront. Dachziegel waren herunter gefallen und auf dem Boden in kleine Bröckchen zerbärstet. Die Treppe nach oben war eingestürzt. Es roch verbrannt und leichter Rauch kam aus den Räumen im Erdgeschoss, die einmal Küche und Wohnzimmer gewesen waren.

Ich stand wie versteinert vor dem schwarzen Loch, was einmal unsere Eingangstür gewesen war, unfähig mich zu rühren. Die Blumen, kleine violette Stiefmütterchen lagen ausgerissen unter den Blumenkästen auf den Fensterbänken. Mir liefen die Tränen unbewusst über die Wangen, als ob ich etwas ahnte. Ich trat über die Schwelle in den dichten Rauch. Es gab einen lauten Knall von oben. Dann fing alles um mich herum an zu brennen. Es wird dunkel…
 

Der unerträgliche Schmerz von damals löschte meine Erinnerungen an dieser Stelle aus. Ich wusste nicht mehr was nach dem Feuer geschehen war, oder wie ich es überlebt hatte. Es war alles finster. Das Band war gerissen. Nach drei Tagen tauchte ich im Mädchenschlafsaal gegen Mitternacht wieder auf. Ich trug nur noch mein weißes Kleid und war von Kopf bis Fuß klitschnass. Das Wasser tropfte auf den schönen Dielenboden und den roten Teppich. Meine schweren Schritte hatten die anderen Mädchen geweckt. Sie sahen mich als das Licht über uns erstrahlte an, als ob sie einen Geist gesehen hatten. Meine beste Freundin Julianna umarmte mich. Doch ich spürte nichts, rein gar nichts. Man brachte mich ins Hospital, wo mir erklärt wurde, das meine Großeltern bei einem Feuer ums leben gekommen waren. Die Umstände wären mysteriös, selbst für magische Welt. Ich sah sie alle mit ausdruckslosem Blick an und fragte mich, wem der Mann mit dem weißen Haar diese Schauergeschichte erzählte: Man hätte meinen verbrannten Mantel in der Eingangshalle unseres Hauses gefunden. Mein Zauberstarb lag im Vorgarten. Aus diesen Gründen fragten sie mich ob ich da gewesen sei. Ich antwortete auf keine ihrer Fragen, sondern saß steif und teilnahmelos auf dem Krankenbett. Ich erkannte keins der Gesichter der Personen die sich um mein Bett versammelt hatten. Es waren sicher einige meiner Lehrer und Lehrerinnen, aber das interessierte mich im Moment nicht. Ich wollte allein sein, ganz allein. Julianna kam jeden Tag und brachte mir neue Blumen. Sie war ein nettes Mädchen mit honigblonden Locken und strahlend Saphir farbenden Augen. Sie hatte ein Lächeln, das jeden erreichte. Nur mich nicht. Immer wenn sie kam blickte ich heraus zum Fenster und hörte ihr nicht zu, wenn sie mir etwas erzählen wollte. Doch sie blieb stur bei mir, egal wie sehr ich sie auch ignorierte.
 

Julianna erzählte mir, dass Shiba verschwunden sei, als auch ich verschwunden war und dass nur noch sie sich an ihn erinnern konnte. Alle anderen wussten mit seinem Namen nichts mehr anzufangen. Es war als hätte er niemals existiert. Ich sah sie das erste Mal nach drei Wochen an. In meinen Augen regte sich etwas. Etwas was tief in mir um Gehör kämpfte, wollte sich mitteilen. Mir stockte der Atem, meine Augen füllten sich mit Tränen. In mir hatte die Erkenntnis über meine heile Traumwelt gesiegt. Sie waren alle Tod. Alle die ich je geliebte hatte, hatten mich für immer verlassen. Ich war ganz allein-für immer…

Sie ließ mich fast zwei Stunden hemmungslos weinen, bis sie mich tröstete und ich ihr alles erzählte woran ich mich aus der Weihnachtsnacht erinnern konnte. Sie lächelte mich hoffnungsvoll an und sagte ich hätte alles überstanden. Alles würde wieder gut werden. Das hatten sie damals auch gesagt.

Noch am selben Abend, als Julianna gegangen war, kam meine Hauslehrerin mit einer anderen Person die ich nicht kannte im Schlepptau zu meinem Bett. Meine Hauslehrerin, eine nette Frau, an die ich mich aber kaum noch erinnern kann, stellte mir die andere Person-eine Frau- als meine Tante vor. Eine Tante? Ich hatte doch gar keine Tante! Ich hatte doch niemanden mehr. Die Lehrerin ließ mich mit der Fremden allein. Die Frau war recht hübsch. Da sie Groß und schlank- die Figur eines Filmstars- war. Sie hatte ein nettes Lächeln, fast wie Julianna. Doch so hatte sie ebenfalls dasselbe blonde Haar und dieselben rubinroten Augen wie Shiba und der Mann vor neun Jahren. Ich hatte Angst vor ihr! Ihre Gesichtszüge waren sanft und feminin, die Lippen leicht geschwungen, voll und rot wie ihre Augen. Ihr Haar trug sie offen und es fiel in sanften Kaskaden über ihre Schultern. Sie trug einen dicken schwarzen Rollkragen Pullover, der sie noch dünner wirken ließ als sie schon war. Dazu trug sie eine verblasste Jeans und hohe schwarze Stiefel mit Pfennigabsatz.
 

Sie lächelte die ganze Zeit, was für mich schwer zu ertragen war. Ich mochte sie nicht. "Wer sind sie?", fragte ich sie mit deutlicher Feindseligkeit in der Stimme. "Ich bin Pei Unoa, deine Tante, Sayu." Sie lächelte weiter. "Ich habe keine Tante! Ich bin ein Waisenkind…" Das Wort tat weh. Sie schien zu überlegen was sie sagen sollte. "Na gut! Ich bin nicht deine richtige Tante. Ich bin deine Patentante und war die beste Freundin deiner Mama. Sie hat mich darum gebeten, falls ihr und deinem Papa mal was zustoßen sollte…" Sie hielt inne. Ihr Blick zeugte von tiefem Schmerz. "…solle ich mich um dich kümmern." Ich war misstrauisch, aber auch neugierig. "Sie kannten meine Mutter?" Sie kramte ein altes Foto hervor, das sie mit meiner Mutter zeigte. Die beiden mussten sechszehn gewesen sein, als das Bild aufgenommen worden war. Sie trugen Uniformen die ich nicht kannte. Pei hatte noch längeres Haar als jetzt. Sie winkte mir aus dem Foto zu, meine Mutter lächelte ihr warmes Lächeln. Sie hatte lila Locken, die ihr über die Schultern fielen. Es war als ob mich ein Blitz treffen würde. "Da waren wir gerade sechzehn, das war in Japan, zwei Jahre vor deiner Geburt." Sie verstummte und leise schlichen sich Tränen in ihre Augenwinkel. "Oh, entschuldige…" Ich reichte ihr ein Taschentuch. "Warum kommen sie erst jetzt? Jetzt da meine Großeltern nicht mehr sind?" Sie wischte sich die Tränen weg. "Ich hab das so mit deinen Großeltern abgemacht, falls auch sie dich nicht… falls sie sterben sollten, bevor du Volljährig bist, sollte ich mich um dich kümmern." Ich sah sie an und sie tat mir leid. Sie kämpfte gegen weitere Tränen. "Sie sollen sich um mich kümmern?" Sie nickte. "Nenn mich doch nicht immer Sie, ich bin doch noch gar nicht so alt! Nenn mich einfach Pei. Ich bin gekommen um dich abzuholen. Du wirst ab jetzt bei mir leben, Sayu." Sie sah hilflos aus. "]Sie… Pei, wo werden wir den wohnen?" Ich versuchte mich mit dem Gedanken anzufreunden, schließlich ließen mich die Erwachsenen nicht alleine für mich Sorgen. Ich war ja noch ein Kind. Sie lächelte. "Du wirst bei mir in Japan leben. Dort gibt es eine hervorragende Schule für Zauberei, die Saija Akademie. Das ist dieselbe Schule die deine Mama und ich besucht haben, als wir so alt waren wie du." Ich starrte sie an. Ich sollte meine Heimat verlassen? Alles aufgeben und noch einmal neu anfangen? Aber ich hatte keine andere Wahl: Entweder eine neue Zukunft in Japan oder im Kinderheim in England. Ich wählte Japan, auch wenn mir die Sache nicht gefiel. Ich wollte noch einmal dorthin.

"Du hast eine Katze oder?" Ich nickte. Sie grinste. "Ich hab aber einen großen Hund namens Aoi. Hoffentlich vertragen sich die beiden gut." Ich dachte an meine arme Mei Mei, ein großer Hund würde sie für den Rest ihres Lebens tyrannisieren. "Pei, wann fliegen wir nach Japan?" Sie umarmte mich stürmisch, was sich seltsam anfühlte und lächelte. "Schon morgen! Sobald alle deine Sachen gepackt sind kann`s losgehen. Dir werden deine Freunde sicher sehr fehlen." Sie drückte mich noch fester und ich sah mein ganzes Leben vor mir davon fliegen…
 

Das erste Treffen mit Pei war eine schöne Erinnerung. Ich weiß zwar nicht, warum ich sie am Anfang so doof fand, aber sie ist mir über die Jahre sehr wichtig geworden. Pei konnte mir soviel erzählen, was ich von meinen Eltern nicht wusste. Es war einfach nur schön. Das neue Leben mit ihr in Japan war recht erträglich, auch wenn ich die neue Sprache erst lernen musste. Ich fühlte mich nicht mehr einsam, aber trotzdem bin ich ein unvollständiger Mensch.

Das Band meiner Erinnerung ist mittlerweile so brüchig, das es immer mehr schwarze Stellen in meinem Film gibt. Ich hoffe dass ich mich eines Tages wieder an alles erinnern kann denn sonst…

Ich habe gehört das ein Mensch der alle seine Erinnerungen verliert von der Erde verschwindet, als hätte er niemals existiert.

Ich hoffe so etwas geschieht nicht mit mir.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: abgemeldet
2007-05-20T15:17:06+00:00 20.05.2007 17:17
Huhu^^

Der Prolog ist wirklich traumhaft schön geschrieben! aber auch verdammt traurig! Ich bin wahnsinnig gespannt,wie es weiter geht!
Hoffe,man erfährt sowohl was von den letern,als auch von dem Kind!

HDGDbis bald!
Patrizia-chan
Von: abgemeldet
2007-05-08T16:05:07+00:00 08.05.2007 18:05
TT
wie traurig ... ihr armes kind ...
trotzdem find ich kapitel eins sehr gut!
schreib weiter, okay?!
LG Princess-Yuki


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