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Musical in Ankh-Morpork

von

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Der langweilige Alltag einer Reporterin

Unsere Geschichte beginnt mit einem kleinen, altersschwachen Kobold. Er schlug jeden Morgen auf Sacharissa Kratzguts Schreibtisch an seine verbeulte Glocke, damit seine Besitzerin pünktlich im Zeitraum zwischen „zu nachtschlafender Zeit, du dummes Ding“ und „zwei Stunden zu spät, neiiin!“ an ihrem Arbeitsplatz erscheinen konnte.

Die Sonne schaute interessiert durchs Fenster, als er lustlos seinen Hammer über die Tischplatte schleifte und auf seine Glocke schlug. Vom Bett an der Wand kam ein Murren und die Decke hob und senkte sich, als ob sich darunter etwas Schreckliches bewegte.

Der Kobold schlug weiter.

»Hör endlich auf, ich bin ja schon wach!«

Das nervtötende Bimmeln hörte nicht auf, bis schließlich ein Kissen quer durch den Raum flog und einen beträchtlichen Teil der Gegenstände auf dem Schreibtisch herunterfegte. Der Kobold sammelte mit stoischer Ruhe seinen Hammer wieder ein und schlug erneut auf die Glocke. Sacharissa fluchte, kämpfte sich aus dem Bett und schaltete den Wecker aus. Es musste einen besseren Weg geben, am Morgen geweckt zu werden, sagte sie sich nicht zum ersten Mal. Der Kobold würdigte sie kaum eines Blickes und schleppte sich wieder zu seiner Kiste.
 

Sacharissa war zweite Chefredakteurin der Ankh-Morpork Times. Ihr Mann und sie hatten die Zeitung quasi aus den Windeln gehoben, es hatte damals einige Aufregung gegeben. Da war die Sache mit dem Patrizier und der Wettkampf mit dem Inquirer...

Aber heutzutage gab es keine richtigen Geschichten mehr. Das Aufregendste, auf das sie dieser Tage hoffen konnten, war das Monatliche Kaffeetrinken des Aufgeklärten Strick-Clubs von Ankh-Morpork! Anscheinend steckte die Nachrichtenwelt in einer sehr lange dauernden Flaute...

Sie leerte ihr Fach auf dem Schreibtisch im Hauptquartier der Times und überflog die Themen, mit denen sie sich heute beschäftigen würde. Selbst der Strick-Club wäre interessanter als das meiste davon...

Sie schulterte ihre Umhängetasche und machte sich auf den Weg vom Gebäude der Times zu ihrer ersten Aufgabe.
 

Es handelte sich um einen kleinen, unwichtigen Diebstahl, der sich während der Nacht in einem Pelzgeschäft ereignet hatte. Die Times würde die Meldung nur drucken, weil der Besitzer des Ladens die Zeitung oft mit kleinen Geldspenden unterstützte. Der Mann erwartete sie schon vor der Tür und machte einen sehr nervösen Eindruck. Bei den Göttern, wahrscheinlich dachte er, sie würde gleich das Diktiergerät herausholen...

Sacharissa gab sich Mühe, ihre Langeweile nicht zu offensichtlich zu machen, als er sie in den Laden führte und ihr leere Kleiderbügel zeigte.

»Können Sie mir eine genaue Beschreibung der gestohlenen Mäntel geben? Vielleicht könnten wir mit einer Suchanzeige...«

»Natürlich, natürlich! Genau daran habe ich auch gedacht!« unterbrach sie der Mann sofort und winkte mit den Händen hin und her. Damit war Sacharissas Job praktisch erledigt, die Suchanzeige würde der Zeitung Geld bringen, und darauf lief dieser Besuch eigentlich hinaus.

Sie notierte sich die Beschreibungen gewissenhaft. (in ein billiges Notizbuch, wie der Ladenbesitzer enttäuscht feststellte) und bat ihn dann aus Höflichkeitsgründen, die Umstände des Verschwindens genauer zu schildern. Während der Mann glücklich vor sich hin plapperte, malte sie eifrig Kringel und geometrische Formen in das Buch, damit war beiden geholfen. Schließlich erklärte sich Sacharissa bereit, die Suchmeldung für ihn zu verfassen, nahm das Geld dafür und verabschiedete sich höflich.
 

Nun der nächste Auftrag... ein Interview mit dem Vorsitzenden eines Vereins namens „Überwäldische Liga der Enthaltsamkeit“. Das klang doch nervenaufreibend spannend. Sie hatte nicht mehr viel Zeit bis zum verabredeten Termin, also machte sie sich auf die Suche nach jemandem, der ihr den Weg erklären konnte.

Das Büro befand sich im ersten Stock eines großen Gebäudes in der Straße der Schlauen Kunsthandwerker. Frau – Sacharissa schaute auf ihren Zettel – John Smith?!? saß hinter einem großen Schreibtisch aus Holz, der aussah, als ob seine schiere Masse den ganzen Fußboden notwendigerweise in den nächsten Sekunden zum Einstürzen bringen musste. Da die Frau genau denselben Eindruck machte, versuchte sich die Reporterin beim Eintreten möglichst leicht zu machen.

»ßeien ßie gegrrüßßt, ßie müßßen Frrräulein ßacharrrrrißßa ßein!« zischelte die Dame fröhlich durch offensichtlich gefälschte spitze Zähne.

»Äh, guten Tag«, antwortete Sacharissa verwirrt, »ich glaube, ich war mit einem Herrn verabredet...«

»Herrrrr ßmißth ißt leiderrr... verrrhindert. Mein Name ißt Dorrreen Winkingß, ich verrrrtrrrete ihn.« Sacharissa schüttelte höflich die dargebotene Hand.

»Nun, Frau Winkings...« begann Sacharissa das Interview, nachdem sie sich gesetzt hatte, wurde aber sofort durch ein »Nennen ßie mich Dorrreen« unterbrochen.

Sie begann noch einmal. »Also gut, Doreen, bitte erklären Sie unseren Lesern einmal in Kürze, womit sich Ihre Organisation beschäftigt.«

»Die Überrrrwäldißsche Liga derrr Entchaltßamkeit«, sagte die Frau mit einem enttäuschten Blick auf das billige und stark beschädigte Notizbuch der Reporterin, »chilft Vampirrren in derrr ganßen Welt, ßich ein neues Leben aufßubauen. Wißßen ßie, dieße ganße Angelegencheit mit dem Herunterrrreißen von Nachtchemden und daß ßaugen von B-Worrt...«

»Wovon?«

»...von B-Wort«, wiederholte Doreen und machte klar, dass sie das nicht genauer erklären konnte, »dieße ganße ßache ist fürchterrrlich rrrückschrittlich. Wirrr Vampire gehen nun feßten Schritteß in die ßukunft, ßum Wohle derrr Gemeinschaft...«

Die Reporterin unterbrach sie erneut. »Und was genau tut nun die Liga?«

»Jedeß Mitglied ßschwört einen Eid, daßß err oderrr ßie nie wiederrr B-Worrrt anrührrt. Dann bekommt err oder ßie ein schwarrßes Band, daßß err trrägt.« Sacharissa nickte. Die Schwarzbandler sah man immer häufiger auf den Straßen Ankh-Morporks. Otto, der Fotograf der Times, war selbst einer davon.

»Die Liga«, fuhr Frau Winkings fort, »achtet darrrauf, daßß derr Eid von jedem eingechalten wird, eß gibt ßelbstchilfekreise mit gemeinsamen Geßang, Tischtenniß und Kakao. In derr Öffentlichkeit ßetzt sich die Liga fürrr die Gleichberrechtigung ein, wirrr wollen endlich alß vollwerrtige Mitglieder derr Geßellschaft anerkannt werrden.«

»Vielen Dank. Was ist Ihre eigene Aufgabe in der Organisation?«

»Ich bin ßSchatzmeißterrrrin derrr ßweigstelle Ankh-Morpork. Und ich leite manchmal auch die ßitzungen«

»Ah, und Herr Smith?« wollte Sacharissa wissen und fragte sich, wohin der Akzent von Frau Winkings so schnell verschwand.

»Err ist Prresident.«

»Was sind die Pläne der Liga für die nähere Zukunft?«

»Daßu müssen ßie wißßen, daßß die grrroßartige Arrrbeit, die die Liga leißtet, in derrr Öffentlichkeit kaum bekannt ißt. Eß gechörrt eine ganße Menge mehr daßu, alß nurrr ein schwarrrßeß Band ßu trragen... Jedenfallß steckt viel Arrbeit darrrin, und Arrbeit koßtet Geld, und daß tun auch Kakao und Tischtennißbälle. Die Liga plant, eine grroße ßSpendenakßion ausßurufen, damit vielleicht neue Inveßtoren gewonnen werrrden können...« Frau Winkings sprach noch eine ganze Weile von der Notwendigkeit von Spendengeldern, vom Finanzsystem der Liga und dem Wohl der Gemeinschaft. Sie beendete ihren Vortrag mit dem Satz: »... und damit unßere Aktion bekannt wirrd, möchten wirr in jederr ßweiten Ausgabe Ihrer ßeitung eine Annonße aufgeben.«

Sacharissa wurde hellhörig. »Wissen Sie schon, wie der Text aussehen soll?«

Anstatt zu antworten, reichte die Frau ihr ein Kärtchen, auf dem er stand, sowie einen Beutel mit Geldstücken, die lustig klimperten. »Danke, Doreen, Sie werden Ihre Annonce schon morgen in der Zeitung bewundern können.«

»Ich choffe, daßß auch alle anderrren Bürrrgerrr Ankh-Morporrrkß ßie bewundern.«

»Dessen bin ich mir sicher. Ach, und bevor ich es vergesse: wie alt sind Sie?«

Die Temperatur im Raum schien schlagartig zu fallen.

»ßo etwaß frrrragt man einen Vampirrr nicht.«
 

Der restliche Tag bestand aus Schreibtischarbeit. Zwei Artikel mussten geschrieben und den Zwergen zum Druck gegeben werden, außerdem die beiden Annoncen, außerdem noch eine große Reportage vom vorletzten Tag, das Finanzbuch musste auf den neuesten Stand gebracht werden und sie hatte außerdem noch eine Stunde „Schalterdienst“*.

Irgendwann am Nachmittag kam William de Worde, ihr Geschäftspartner und angetrauter Ehemann, zufällig an ihrem Schreibtisch vorbei, sah ihr müdes Gesicht und blieb stehen.

»Geht es dir gut?« Er gab ihr einen flüchtigen Kuss.

»Danke, ich bin nur etwas geschafft...«**

Er überlegte einen Moment. »Wann sind wir eigentlich das letzte Mal zusammen ausgegangen?«

»Letzten Monat. Weißt du noch? Großvaters Geburtstag?«

»Das zählt nicht. Hör zu, heute Abend habe ich Zeit, wir treffen und um 7 bei Harga, ja?«

»Gern«, sagte Sacharissa, die jetzt schon viel bessere Laune hatte.
 

Nun, sie hätte es wissen müssen. Oder können. William kam in den seltensten Fällen zu Verabredungen mit ihr. Ihm passierte immer irgendetwas Spannendes, das ihn dann davon abhielt, seinen Pflichten als Ehemann*** nachzukommen. Er war schon mehrere Stunden zu spät, Sacharissa war schon beim zweiten Teller Bratkartoffeln angelangt...

»Kommt deine Verabredung auch nicht?«

Sie drehte sich um. Der, der sie angesprochen hatte, saß schon fast so lange wie sie allein am Nebentisch, aber sie hatte ihm bis jetzt keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Nun merkte sie, dass er ein Vampir war. Ihr Blick glitt automatisch zu seinem Oberarm, an dem ein schwarzes Band befestigt war.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er: »Keine Angst, ich beiße nicht. Zumindest nicht mehr.« Er lächelte und setzte sich an ihren Tisch. »Ich heiße Sebastian, aber du darfst mich Basti nennen.«

»Auf wen wartest du, Basti?«

»Ich habe auf jemanden aus der Musikergilde gewartet. Ohne Berechtigung darf ich in der Stadt nicht musizieren.«

»Was spielst du denn?«

»Alle möglichen Instrumente, eigentlich alles, womit sich Geld verdienen lässt. Ich bräuchte es wirklich...«

»Da bist du nicht der Einzige« seufzte Sacharissa. Abgesehen von den spitzen Zähnen und anderen subtilen Zeichen sah ihr Gegenüber nicht sehr wie ein Vampir aus. Er wirkte eher wie ein ganz normaler junger Musiker (zu große Sachen, müdes Gesicht, ungekämmtes Haar, fahrige Bewegungen). Junge Musiker waren immer arbeitslos und/oder in Geldnot.

»Besonders gern spiele ich Musik von zu Hause. Überwäldische Musik hat dieses besondere Etwas.«

»Kannst du mir einmal etwas vorspielen?« fragte sie und deutete auf die Gitarre, die der Vampir neben sich stehen hatte.

»Ich darf nicht, weil ich keine Lizenz habe. Die Gitarre war für das Vorspielen bei dem Typen von der Gilde gedacht.« Basti sah sie traurig an. Sacharissa war eine sehr gesetzestreue Person, aber nach einem Moment der Überlegung kam sie zu dem Schluss, dass dieser Mann es einfach brauchte und sagte: »Spiel trotzdem.«

Schweigend griff der Vampir nach der Gitarre, zupfte an ein paar Saiten und fing dann richtig mit Spielen an. Ein Lied, noch eins... als die Musik aber mehr und mehr Aufmerksamkeit in der Gaststätte erregte, legte er die Gitarre zur Seite.

»Und? Wie findest du es?«

»Schade, dass ich den Text nicht verstehe. Aber die Melodie ist wirklich... interessant. Man möchte am liebsten gleich mitsingen.«

Basti nickte traurig und strich tröstend über seine Gitarre.
 


 

*Der Schalter im Eingangsbereich des Hauptquartiers der Times war die Stelle, an der sich Bürger beschwerten, die aus verschiedenen Gründen keinen Brief an die Redaktion verfassen konnten. Manchmal wollten sie aber auch den Weg zur nächsten Wäscherei wissen.
 

**Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Langeweile eine körperliche und geistige Anstrengung ist, die nicht unterschätzt werden sollte.
 

***Abwaschen, den Müll raustragen, mit ihr einkaufen gehen, Spinnen töten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  RoseVampireKero
2010-12-25T15:32:24+00:00 25.12.2010 16:32
tolle Geschichte =^-^= ich liiiebe Vampire =^-^=
Von:  MaiRaike
2009-09-01T13:33:52+00:00 01.09.2009 15:33
Suuuupi

Mit Fuuußnoten!
Die Pflichten eines Ehamannes gefallen mir. Velleicht sollte ich mir auch einen anschaffen. Der Müll muss rausgebracht werden.

Oh, der aufgeklärte Strick-Club hat nichts mit den Näherinnen zu tun, oder?
Von:  Schorsi
2007-10-26T11:48:16+00:00 26.10.2007 13:48
Wie toll! XDDD
Ich hoffe, dass die Geschichte bald fortgesetzt wird - es macht unheimlichen Spaß die Geschichte zu lesen! XDDD

Wie mein Vorredner schon sagte - dein Stil kommt sehr nah an Terry Pratchett heran - einfach großartig! XDDD
Weiter!! >_<
Von:  Jarmina
2007-06-23T18:04:21+00:00 23.06.2007 20:04
Hey, ich finde deinen Schreibstil echt klasse, du klingst genau wie Terry Pratchett! Sag mir bescheid wenn du das nächste Kapitel fertig hast ja? Bis jetzt gefällt mir die Geschichte sehr gut, und ich würd gern mehr davon lesen. ^__^


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