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Father Dest's Erbe

Fortsetzung zu "Sinnlose Versprechen"
von

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„Du kannst dich nicht verstecken! Die Wahrheit kommt immer ans Licht! Früher oder später wirst du dich ihr stellen müssen!“
 

Fast eine Woche hat sich Jason Zeit gelassen, um über sein weiteres Vorgehen nachzudenken. Tyrone von Zundersby hatte sich, seitdem er ihm jedwede Kommunikation mit der Außenwelt zu Aspirs Zwecken genommen hatte, nicht mehr gemeldet. Und obgleich das Jason mehr als nur recht war, so war er dennoch noch vorsichtiger geworden, was seine politische Aktivitäten anbelangte. Er verzichtete auf den gesamten Email-Verkehr und auch auf sein Telefon.

Auch Holly hat nichts mehr von sich hören lassen. Ebensowenig hat er sich bei ihr blicken lassen. Er verdrängte jeden Gedanken an den Schmerz in ihrem Gesicht. An die Furcht, die sie letztens eindeutig verspürt hatte. Die er in ihr ausgelöst hatte!

Eigentlich schottete er sich noch mehr ab als vorher. Und doch war er immer zufriedener mit sich. Sein nächster Schritt war bald vollends ausgereift und wartete nur noch darauf, in die Tat umgesetzt zu werden. Die FA würde noch die Zeit erhalten, sich zu wünschen, sich nicht mit ihm angelegt zu haben. Jedes einzelne Mitglied, das keine großen Stücke auf ihn gehalten hatte. Das ihn herabwürdigend angesehen und behandelt hatte. Und Lance,... der für den Tod von Kelvin Sartaren mitverantwortlich war. Die Macht, die die FA gewiss innehatte – daran zweifelte nicht einmal er –, war das ideale Mittel für den Gegenschlag. Tyrone hat sich zu oft in sein Leben eingemischt. Und in das anderer Leute. Die Stadt war nicht Zundersbys Territorium, selbst wenn dieser davon fest überzeugt war. Jason wollte seinen Einfluss brechen. Ihn fallen sehen. In die Erbarmungslosigkeit der Tiefe!
 

Mit strenger Miene sah Jason in den Spiegel und strich sich das Haar zurück. Seine rehbraunen Augen funkelten nur matt und selbst der wenige Glanz, der in ihnen zu finden war, entsprang mehr dem Gefühl der Selbstherrlichkeit als dem der Leidenschaft. Den Kopf hin- und herdrehend beäugte er sich selbstkritisch, nickte aber nach geraumer Zeit.

Er war so weit.
 

Bedächtig überprüfte er ein weiteres Mal an diesem Abend den Inhalt einer schwarzen Ledertasche, ehe er sie sich über die Schulter warf. Anschließend schlüpfte er in ein paar dunkler Halbschuhe und perfektionierte sein tadelloses Erscheinungsbild. Leise öffnete er die Haustür und machte sich im Schutz der Dunkelheit auf den Weg. Egal, wie oft er einen Fuß vor den anderen setzte, fühlte er sich so stark wie noch nie zuvor, obgleich er genau wusste, unentwegt beobachtet zu werden. Tyrone von Zundersby hat abermals seine Leute auf ihn gehetzt und die Beschattung seit seinem Anruf verstärkt. Der Schlossherr mochte Jason für einen Nichtsnutz halten, der seinem Vater nicht das Wasser reichen konnte, und doch ließ er nichts anbrennen. Zumindest ließ er ihn keine Sekunde aus den Augen, auch wenn das nur in Form irgendwelcher Männer war, denen er anscheinend genug Geld geboten hat, dass sie ihm als willenlose Diener fungierten.

Auf Jasons Lippen legte sich ein starres Lächeln. Wie konnte man diesem Menschen nur folgen? Wie konnte man nur sein letztes bisschen Verstand opfern, um Befehle dieses Kerls auszuführen? Vermutlich waren sie so blind vor Gier, dass sie nicht einmal sahen, wie er ihnen selbst Schaden zufügte.

Gleichgültig schüttelte der junge Sartaren den Kopf. Sollten diese Männer doch in ihr Unglück laufen. Er hatte die Stadt vor Tyrone gewarnt und kaum einer hat ihn ernst genommen. Bisweilen verfolgte er ein anderes Ziel als Asht-Zero in eine bessere Zukunft zu führen. Die Bürger hatten ihm - bis auf wenige Ausnahmen - nicht helfen wollen. Dann sollten sie sich am Ende aber auch nicht beschweren, wenn sie immer unzufriedener und ärmer wurden.

Jason hatte nur noch ein Ziel vor Augen: Tyrone alles zu nehmen, was ihm lieb und teuer war! Und das war die Macht, die er innehatte. Der weit reichende Einfluss, den er stets vollends auszuschöpfen versuchte. Jason musste dort angreifen, wo er am verwundbarsten war.
 

Als sich die kühle Luft wie ein Schraubstock um seinen Körper wand, begann ein hohes Gebäude vor ihm aufzuragen. Von der ersten Etage an wirkte es fast wie ein Koloss, den nichts und niemand zum Einsturz bringen konnte. Und doch verlieh es den Eindruck von reiner Anmut. So zwiespältig das Gebäude auch wirken mochte, es diente einzig dem Zweck, den Anschein zu geben, der FA keinen Unterschlupf zu gewähren. Es war viel zu auffallend, als dass man dort Mitglieder einer wichtigen, unentdeckt bleiben wollenden Organisation vermuten würde. Und doch war es rein aus diesem Grund errichtet worden: Es war in der Tat der Aufenthaltsort von Fathers Addendum.

Erneut verzog sich Jasons Mundwinkel zu einem Schmunzeln. Die Information hierzu hatte er durch ein Mitglied der FA selbst. Dass er zwar nicht durch rechte Mittel an sie gekommen war, überging er geflissentlich in seinen Gedankengängen. Lance hätte ihn ja nicht allein aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausziehen lassen müssen. Selbst schuld, wenn er nicht anwesend gewesen war. Verbot hin oder her…

Sicheren, aber langsamen Schrittes näherte er sich stetig dem beeindruckenden Bauwerk. Dass Tyrones Männer ihm dicht auf den Fersen waren, tat er gedanklich mit einem Schulterzucken ab. Zum einen würden sie die FA ebenso wenig hier vermuten wie der Rest der Stadt, zum anderen wollte Jason die Aufmerksamkeit ohnehin von sich ablenken. Solange Zundersby ihm nicht sofort hierher folgte, konnte sein Plan mühelos aufgehen. Daher hielt er sich auch nicht lange vor der gläsernen Tür auf, die in das Innere des Gebäudes führte. Selbstbewusst löste er den Sensor aus und trat in die große Eingangshalle, die man schon von außen zum größten Teil begutachten konnte. Doch ihn interessierten weder die marmornen Fliesen, die den Boden schmückten, noch der lupenreine Glanz, der überall vorzuherrschen schien, als ob sich niemals ein Staubkorn in das Gebäude verirren würde. Geradewegs lief er auf den Informationsschalter zu, der von zwei Frauen in schwarzem Kostüm, in dessen linker Brusttasche eine rote Blume steckte, besetzt war, die ihn freundlich anlächelten.

„Guten Abend“, erhob die sichtlich jüngere von beiden die Stimme.

Jason nickte nur, aber umgarnte die blonde junge Dame mit seinen Blicken. Doch sie ließ keine Regung außer der übertriebenen Freundlichkeit in ihrem Gesicht erkennen. Nicht einmal ein sanfter Rotschimmer überzog ihre Wangen. Irgendwie wunderte das Jason überhaupt nicht. Schließlich gehörten mit Sicherheit alle Mitarbeiter des Unternehmens, hinter dessen verschlossenen Türen jedoch die FA tagte, zu Fathers Addendum. Als er von dem Firmensitz erfahren hatte, war der junge Sartaren äußerst misstrauisch gewesen. Doch bis dahin hatte er hinter der Versicherung auch keine Organisation vermutet, die mit seinem Vater gemeinsame Sache gemacht hatte. Also warum sollte dann jemand anders hinter das Versteck der FA kommen? Es war klar, dass sich die Anhänger seines Vaters irgendwo treffen mussten, doch selbst er hätte einen wenig bewohnten, unauffälligen Stadtteil vermutet. Da es aber letztendlich nicht von Belang war, wo er die FA finden würde, nickte er ein weiteres Mal der jungen Dame zu, ehe er an ihr vorbeiging gen Aufzug. Die beiden Frauen wussten gewiss, wer er war, weshalb sie ihn ohne weitere Höflichkeitsfloskeln ziehen ließen. Er war kein gewöhnlicher Kunde und seine Anwesenheit schien dennoch bisher keinen besonderen Eindruck zu hinterlassen. Trotz allem lag eine Spannung in der Luft, die die Moleküle zum Vibrieren zu bringen schien.

Als die Fahrstuhltür aufging, rannte ein groß gewachsener Mann mit einem Telefon am Ohr Jason beinahe um. Kaum dass er an ihm vorbei war, drehte er sich zu dem jungen Sartaren um. Neugierig musterte er ihn, hielt sich aber nicht lange damit auf und führte sein Telefonat fort, das er für einen Moment unterbrochen hatte. Obgleich Jason die Blicke auf sich spürte, betrat er gleichgültig den Lift und drückte zielsicher auf die weiße 9 auf einem kreisrunden Untergrund. Kaum dass er den Finger wieder zurückgezogen hatte, schlossen sich schon die Türen und der Fahrstuhl setzte sich mit einem kaum hörbaren Summen in Bewegung. Während er sanft nach oben glitt, streifte Jason seinen Mantel glatt, ebenso sein Jackett, das er unter ihm trug. Er hätte nervös sein müssen. Er hätte eine unbändige Unruhe in sich verspüren müssen. Und doch war so beherrscht wie noch nie zuvor. Jedes noch so kleine Detail hatte er hundertmal durchdacht und nichts in seinem Vorhaben hat ihm auch nur einmal größere Sorgen bereitet. Er wusste genau, wie er zu handeln hatte, um den Erfolg zu erzielen, den er sich erhoffte.

Seine Augen wurden von Minute zu Minute gefühlskälter, was sich in seiner gesamten Haltung widerspiegelte. Er war nicht hierhergekommen, um sich mit zwei Wimpernschlägen abfertigen zu lassen. Nein, heute würde er triumphieren. Nur er. Und sonst keiner.

Der Fahrstuhl hielt an und er atmete ein letztes Mal tief ein. Mit einem überheblichen Lächeln auf den Lippen trat er direkt in einen großen Konferenzraum und unwillkürlich ruhten mehr als ein Dutzend Augenpaare auf ihm.

„Guten Abend, die Herren“, ließ er mit einer angedeuteten Verneigung verlauten und trat ein paar Schritte auf die Männer zu, die ihn erwartet hatten. Das ließen nicht nur ihre Mienen erkennen. Einer von ihnen deutete auf einen leeren Stuhl. Jason kam der stummen Aufforderung nach und ließ sich zwischen zwei älteren Männern nieder. Dass immer noch alle Augen auf ihn gerichtet waren, ließ ihn unbeeindruckt. Vielmehr genoss er jede Nuance der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Die FA würde sich noch wundern. Oh ja, das würde sie! Langsam ließ er seine Augen von einem zum anderen wandern. Die meisten der Anwesenden hatte er noch nie gesehen, doch als auf zwei meerblaue Seelen traf, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck merklich. Er schenkte Lance jedoch nicht mehr Beachtung als den anderen Mitgliedern.

„Wie ich sehe, ist es für Sie keine Überraschung, dass ich hier erscheine“, fuhr Jason nach einer ganzen Weile des einvernehmlichen Schweigens selbstsicher fort. „Sehr schön, denn so können wir gleich zum Geschäftlichen kommen.“

Mit einem Knall beförderte er die mitgebrachte Tasche auf den dunkelbraunen, ovalen Tisch und nahm das Zusammenzucken des Mannes zu seiner Rechten mit Wohlwollen zur Kenntnis.
 

„Kelvin Sartarens Sohn“, meldete sich jemand zu Wort. Jason sah auf und suchte die Person, die eben gesprochen hatte. Es war ein gut, wenn nicht sehr gut gekleideter Mann mit kurzem dunkelbraunen Haar und matten eisblauen Augen. Jason schätzte ihn auf Anfang vierzig, obgleich er wesentlich jünger gewirkt hätte, wenn sich nicht die ersten tiefen Falten in seinem recht markanten Gesicht abgezeichnet hätten. „Es ist uns eine Ehre, Sie hier willkommen zu heißen.“
 

„Sparen Sie sich Ihre Lügen“, erwiderte Jason scharf und holte im selben Moment eine dunkelblaue Mappe hervor.
 

„Ihre Ungezügeltheit ließ sie scheitern“, kam es maßregelnd zurück, doch Jason ließ die Worte einfach an sich abprallen.
 

„Ich habe Ihnen etwas mitgebracht“, verkündete er und schnippte die Mappe von sich weg, so dass sie über den Tisch glitt. Punktgenau kam sie vor dem Mann mit den eisblauen Augen zum Erliegen. Nachdem er es gewesen war, der die Stimme erhoben hatte, vermutete Jason, dass er der Verantwortliche hier war. „Diese Informationen dürften Sie interessieren.“
 

Eine große Hand legte sich auf das Dunkelblau. „Welche Gegenleistung?“
 

„Wir verstehen uns“, lächelte Jason überheblich.
 

„Du willst mit diesem Nichtsnutz doch nicht etwa wirklich verhandeln?“ Seufzend lehnte sich ein ihm wohl bekannter Mann in seinem Stuhl zurück. Dunkelgraue Augen fokussierten Jason geringschätzig.
 

Mit dir “, betonte Jason verächtlich, „habe ich nicht geredet.“
 

Der andere schüttelte nur den Kopf. In seinem Gesicht stand deutlich das Wort Versager geschrieben. Aber Jason war es gleich, für was er ihn hielt.

„Wer die Mahnungen meines Vaters als hirnrissig bezeichnet und dann behauptet, mich zeichne nichts aus, der steht nicht auf meiner Verhandlungsliste.“

Als er wieder zu dem Mann sah, dessen Hand noch immer ungerührt auf der Mappe ruhte, streifte er für einen Moment Lance‘ Silhouette. Er zwang sich, seine Blicke nicht länger als nötig auf ihr haften zu lassen. Lance war neben ein paar anderen eben das Übel, das er in Kauf nehmen musste, um sein Ziel zu erreichen.
 

„Du lässt dich wie damals viel zu leicht provozieren“, drang es belustigt an seine Ohren.
 

„Wenn du dich da mal nicht irrst“, wandte Jason seinen Kopf noch mal nach links. Das Lächeln in seinem Gesicht war eiskalt. Den Mitgliedern der FA schien das nicht entgangen zu sein, denn ihre Mienen verloren mit einem Mal an Geringschätzung.

„Nun zurück zum Wesentlichen“, fuhr er berechnend fort und sein unmittelbarer Gegenüber nickte zustimmend, während er die Mappe weiterhin unter seinen langen Fingern vergrub. Bisweilen hielt er beide Hände auf ihr ineinander verschränkt.

„Was verlangen Sie für dies hier?“, beugte sich der braunhaarige Mann nach vorne und stierte Jason offen an.
 

„Nun“, meinte Jason gedehnt und reizte damit die Nerven, die um ihn herum immer blanker lagen, gezielt aus.
 

„Überschätze dich nicht, Kleiner.“

Abermals war es das Mitglied, dem Jason vor gut einem halben Jahr im Park begegnet war. Es hatte durch seine Ansagen als Ersatz des Mülleimers gedient, den Jason aus seinen Angeln gekickt hatte. Dass er dabei den kürzeren gezogen hatte, sollte jener noch bereuen.
 

„Das darf ich zurückgeben“, zuckte der blonde junge Mann nur mit den Schultern, beachtete jenen aber nicht mehr weiter. Um ihn herum herrschte absolute Stille. Nur ein gelegentliches Räuspern erfüllte den steril wirkenden Raum. „Spielt die Informationen gegen Tyrone von Zundersby aus“, lächelte er.
 

Intensive Blicke ruhten unentwegt auf ihm, die nun noch stechender wurden. Er hatte viele Informationen zu Lasten Zundersbys beschafft, nur hatte er keine Mittelsmänner mehr, sie geschickt auszuspielen. Wer also sonst war dafür prädestiniert neben Fathers Addendum? Zweifellos besaßen sie die richtigen Mittel, um Tyrone ein Schnippchen nach dem nächsten zu schlagen. Bis er irgendwann fiel. Nur würde die FA dabei ihre Anonymität verlieren, das heißt, sie müsste sich zu erkennen geben. Und das war genau das, worauf der Schlossherr wartete. Jason spielte mit dem Feuer, aber je länger er hier im Konferenzraum saß, desto mehr Spaß bereitete es ihm.

„Unter meiner Führung, versteht sich“, fügte er verspätet, aber genießend an.
 

„Wieso sollten wir darauf eingehen?“, hob sein Gegenüber die rechte Braue.
 

„Weil ihr dann den bis dato mächtigsten Mann der Stadt fallen seht. Den Mann, der meinen geschätzten Vater und euren Anführer getötet hat.“ Für den Bruchteil einer Sekunde sah er zu Lance, der schon die ganze Zeit regungslos, aber nicht minder aufmerksam als die anderen, auf seinem Stuhl saß. „Das Netz wird in sich zusammenfallen, sobald sein Fadenspinner vernichtet wurde. Ist es nicht das, was ihr begehrt?“

Diabolisch grinsend bettete er sein Kinn auf seine übereinander gelegten Hände, während seine Ellbogen auf dem Tisch gestützt waren.
 

Ein Raunen glitt durch die Reihe. Alle Blicke hafteten nun an dem Mann mit den eisblauen Augen, der jedoch immer noch keine Miene verzog. Er bestand wahrlich aus Selbstbeherrschung und -disziplin pur. Doch das war genau das, was Jason als Aspir so mochte. Denn es waren exakt die Eigenschaften, die ihn so weit gebracht hatten. Wer glaubte, Tyrone hätte ihm die Zügel aus der Hand genommen, der hatte sich mächtig geschnitten. Jetzt begann die ganze Schose erst richtig!

„Mhh“, machte der Mann in den Vierzigern und richtete sich anschließend auf. „Wie wäre es mit einer Abstimmung?“, fragte er in die Runde.
 

Plötzlich redeten alle durcheinander. Selbst jene, die bis eben keinen Laut von sich gegeben hatten, begannen mit ihren Nachbarn angeregt zu diskutieren. Zwar verstand Jason immer wieder nur Bruchteile, doch er erkannte nach geraumer Zeit, dass die Tendenz, seinem Vorschlag zuzustimmen, dominierte. Selbstgefällig lehnte er sich zurück und beobachtete das bunte Treiben mit Hochgenuss.

Erst knapp eine halbe Stunde später kehrte wieder die fast schon gespenstische Ruhe ein, die zuvor vorgeherrscht hatte.

„Einigkeit über allem anderen?“, brachte Jasons Gegenüber die Luft zum Vibrieren.

Alle nickten, wenn auch der ein oder andere nur zaghaft.

„Jason Sartaren“, fuhr der Mann fort. „Wir gehen nur unter einer Bedingung auf Ihren Handel ein.“
 

„Bedingung?“, wiederholte Jason spöttisch.

Die FA hatte es bislang nicht geschafft, Tyrone das Handwerk zu legen und stellte jetzt eine Bedingung? Am liebsten hätte er aufgelacht, doch er zügelte sich. Schließlich brauchte er Fathers Addendum.
 

„Wir führen gemeinsam“, kam es ernst zurück. „Keine Hinterhalte, keine Versteckspielchen, keine Intrigen. Jede Entscheidung beruht auf einer Absprache zwischen uns allen und erst bei einer Übereinstimmung wird gehandelt.“
 

Jason kehrte für einen Moment in sich. Dass er nicht allein das Zepter in der Hand halten sollte, widersprach seinem Plan. Doch würde sich das negativ auf das Ergebnis auswirken? Konnte er die Mitglieder in die Richtung lenken, in der er sie haben wollte? Mittels Diplomatie?

Wohl oder übel musste er sich unterordnen, wenngleich ihm das äußerst missfiel. Er hatte viel dazugelernt und er würde seine Vorgehensweise irgendwie durchsetzen können. Und manchmal waren sinnvolle Vorschläge weiterer Personen ohnehin sehr nützlich, wenn sie dasselbe Ziel anstrebten.

„Einverstanden“, willigte Jason ein.
 

Als der Vertrag mündlich geschlossen war, war der Inhalt der Mappe, die Jason mitgebracht hatte, schneller auf dem Tisch verstreut als er schauen konnte. Mit einem Lächeln nahm er zur Kenntnis, wie die Informationen bei den Männern ankamen. Teils nickten sie anerkennend, teils legten sie ihre Stirn in Falten, als ob sie nicht glauben könnten, was sie da lasen. Doch alles, was schwarz auf weiß gedruckt stand, war wahr. Selbst für den Waffenhandel hatte Jason seit zwei Tagen einen Beweis. Zwar nur einen dürftigen, aber er hatte immerhin einen. Seine Quellen würde er allerdings niemals preisgeben.

In dem Durcheinander stand er irgendwann unbemerkt auf und stieg in den Fahrstuhl. Als sich die Türen vor seiner Nase schlossen, fuhr er sich galant durchs blonde Haar. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schlacht zwischen der FA und Tyrone von Zundersby ihren Höhepunkt erreichte.
 

Die Wahrheit! Ja, die Wahrheit! Auch du wirst sie sehen müssen!“
 

Sanft glitt die Fahrstuhltür auf und Jason betrat die Eingangshalle, die bisweilen nur noch spärliches Licht beleuchtete. Die beiden Damen von vorhin waren nirgends zu sehen, weshalb sich Jason freimütig auf einem der Stühle an der Wand niederließ und seinen Kopf in den Nacken legte. Mit geschlossenen Lidern atmete er leise ein und aus und genoss seinen Triumph. Er hatte die FA in der Hand! Und wie sie nach den Informationen und Beweismitteln lechzten, die er mitgebracht hatte! Wie räudige Hunde nach Futter!
 

Abermals glitt die Fahrstuhltür auf und alsbald hallten Schritte durch die große Halle. Jason machte sich nicht die Mühe zu schauen, wer unweit von ihm stehen blieb. Allein der Geruch verriet Lance. Er trug immer noch dasselbe Aftershave. Das würde sich wohl nie ändern.

Es vergingen einige Minuten, in denen Jason Lance‘ Blicke auf sich spürte und in denen er ihnen keine Beachtung schenkte. Irgendwann schlug er seine Lider dann doch auf und begann kalt zu lächeln.

„Ich erwarte von dir zukünftig mehr Vorsicht“, begrüßte er den schwarzhaarigen jungen Mann und untergrub den Spott in keiner Weise, den er offen auf den Lippen trug.
 

Lance erwiderte nichts, sondern blickte ihn nur weiterhin an. Seine meerblauen Augen funkelten, seine Lippen waren fest aufeinandergepresst. Und doch wirkte er vollkommen entspannt, wie er so lässig dastand, die Rechte locker in der Hosentasche vergraben.
 

„Habe ich dir mal wieder die Sprache verschlagen?“, grinste Jason. „Und komm mir bloß nicht mit irgendwelcher Reue, falls du ihr wieder mächtig werden solltest.“

Langsam stand er auf und sah Lance herabwürdigend an.
 

Doch jener entgegnete immer noch nichts. Jason schüttelte darüber nur den Kopf und machte ein paar Schritte auf den Lift zu. „Deine Lakaien hatten nun genug Zeit, die Unterlagen auswendig zu lernen“, hob er eine Hand und drückte dann auf einen Knopf, der die Fahrstuhltür öffnete.

Aber er kam nicht dazu, ihn zu betreten, denn er wurde plötzlich von zwei starken Armen gepackt und an einen festen Körper gedrückt.
 

„In Einsamkeit möchte ich dich nicht fallen sehen“, hauchte Lance in Jasons Ohr. „Und dort“, fuhr er über die linke Brust seinen Freundes, „tief versteckt, lodert etwas, das du nicht auf ewig verbannen kannst.“
 

Obgleich Jason seine Augen zu schmalen Schlitzen verengte und immer noch ein kaltes Lächeln auf den Lippen trug, begann sich eine Wärme in ihm auszubreiten, deren Ursprung in Lance‘ Berührungen lag.

„Hast du dich mit Holly abgesprochen?“, kam es gefühllos aus seinem Mund, während er sich nicht rührte.
 

„Du weißt es, Jason. Die Wahrheit offenbart sich dir jeden Tag aufs Neue.“ Lance‘ Worte waren immer noch nicht mehr als ein Flüstern. Sacht strichen sie über Jasons nackte Haut seines Halses.
 

„Die Wahrheit hilft einem auch nicht immer weiter“, meinte Jason gleichgültig und zuckte mit den Schultern. Die Arme um seinen Körper übten unentwegt leichten Druck aus. Er spürte jeden einzelnen Zentimeter, der nicht dorthin gehörte und dennoch das Blut in seinen Adern rauschen ließ.
 

„Aspir…“ Es glich nur einem Zischen und doch versteifte sich Jason. „Er wird nicht auf ewig schlummern!“, fügte Lance laut und deutlich an.
 

Dann ließ er Jason los.
 

„Willst du dich ihm ausliefern?“ Lange hallten seine Worte an den Wänden wider.
 

Gemächlich drehte sich Jason zu Lance um. Seine Miene war von reiner Kälte durchtränkt. „Dir liefere ich mich gewiss nicht mehr aus.“
 

Fest sah Lance ihn an. „Ich werde“, bohrte er einen Finger in Jasons Brust, „sie in dir wiedererwecken.“

Damit stieg er in den Fahrstuhl und ließ die Tür schließen. Ehe sie ihm jedoch den Blick auf Jason gänzlich verwehrte, raunte er: „In Einsamkeit lass ich dich nicht...“ Und doch verschluckte sie sein letztes Wort.
 

Untergehen? Hatte Lance das sagen wollen? Er? Dass er nicht lachte! Der nächste, der dem Untergang geweiht war, war Tyrone von Zundersby. Und kein anderer!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  inulin
2007-11-01T20:15:02+00:00 01.11.2007 21:15
Da war die Dosis Lance ja endlich. *gg*
Hmm... Irgendwie süß, wie er beinah genau das Selbe zu Jason gesagt hat, wie Holly. Und noch viel süßer find ich ja, wie er sich noch immer so um seinen Freund bemüht. Das kann ja wohl kaum alles Berechnung gewesen sein. Möglich das Lance mit ihm zusammengekommen ist, weil es zum Plan gehört hat, aber das was er nun vorhat basiert ja wohl eher auf ehrlichen und tiefen Gefühlen, die er für Jason hegt. Und diese Seite mag ich an diesem Charakter. Nicht nur den "bösen" Teil, für den ich ja eh ne Schwäche hab. ^^
Ich freu mich auf den nächsten Teil, in der Hoffnung, dass er genauso schnell kommt, wie die bisherigen Kapitel. Denn jetzt wird es ja wirklich spannend. Es scheint wieder etwas besser zu laufen.
Von: abgemeldet
2007-11-01T16:12:10+00:00 01.11.2007 17:12
Na langsam gehts echt rund (ich glaub ich wiederhol mich).
Aber was stand denn nu in der Akte drinnen? Ich glaub ich hab nich gut genug aufgepasst ^^""""

Greetz Morri


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