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Strange Relationship

From a different point of view
von

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Bruderliebe

Achtung: Hier werden mal wieder Leute gequält (ich bin chronischer Sadist) und wer den Titel liest weiß schon, wodrum es noch geht. Also wer ein Problem damit hat soll´s halt nicht lesen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Muaik: Yeah Yeah Yeahs, John Butler Trio, Kyo
 

Alex´ nächtlicher Gefühlsausbruch hatte Chris verwirrt und aufmerksam gemacht. Er beobachtete seinen Bruder und versuchte rauszufinden, was mit ihm los war. Während diesen Beobachtungen wurden Chris´ eigene Gefühle immer stärker. Er begann Alex wirklich zu lieben. Trotzdem liebte er Rico auch noch genauso wie vorher. Es war die schwierigste Situation, in der er jemals gewesen war. Er wusste nicht, was er tun sollte und auch nicht, wem er sich vielleicht anvertrauen konnte. Rico war die naheliegendste Lösung und er konnte ihn in einem wegen seiner Drogenvergangenheit fragen. Aber wie würde er darauf reagieren? Wahrscheinlich eifersüchtig, aber hoffentlich auch verständnisvoll.
 

Rico erschrak als es an der Tür klingelte und er einen frierenden Chris davor fand. Chris erschrak seinerseits über den Gesundheitszustand seines Freundes. Rico war blass und abgemagert. Er musste sich am Türrahmen abstützen, damit er nicht umkippte, so schwach war er. Als er ihn so sah vergas Chris all seine eigenen Probleme. „Ach du Schande, was ist denn mit dir los?!“, fragte er, als er sich von dem Schock erholt hatte und sie im Flur standen. „Hab die Grippe; Fieber und so. Du siehst auch nicht aus als ob es dir gut ginge“ Typisch Rico; auch wenn er selbst krank war, wollte er immer noch wissen, was mit anderen los war und bemerkte ihre Probleme. „Ich will dich nicht damit belasten, wo es dir doch schon so schlecht geht“, antwortete der Jüngere und sie gingen ins Wohnzimmer. „Du belastest mich nicht. Erzähl schon“ Rico setzte sich auf die Couch, wo er offensichtlich geschlafen hatte. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine leere Packung Fiebertabletten. Chris dachte nochmal darüber nach, dann erzählte er alles. Er versicherte seinem Freund, dass er ihn trotzdem liebte und, dass seine Liebe zu Alex irgendwie eine andere war. Rico sah ihn mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Belustigung an. Dann schüttelte er den Kopf und musste lachen. Das Fiebermittel hatte ihn wohl high gemacht. „Weißt du, wahrscheinlich sollte ich dir das nicht erzählen, aber kurz vor Weihnachten kam dein Bruder mit demselben Problem zu mir. Ihr zwei seid einfach unmöglich in so Sachen. Wenn du einen guten Rat hören willst, dann würde ich dir sagen, dass du den ersten Schritt machen solltest. Alex ist nämlich zu schüchtern und macht sich Sorgen um den psychologischen Effekt von seinen Gefühlen“ Chris sah ihn geschockt an und Rico bekam einen minutenlangen Lachkrampf, der sich in ein Husten verwandelte und dann wieder in ein Lachen. „Jetzt hör auf zu lachen, das ist nicht witzig“, sagte Chris schmollend. „Entschuldigung. Es ist nur so bekloppt“, antwortete Rico atemlos. Von einer Sekunde auf die andere fiel seine Stimmung in den Minusbereich. „Aber, wenn ihr wirklich zusammenkommt, was wird dann aus uns? Das geht doch gar nicht“, murmelte er und sah aus als ob er anfangen würde zu weinen. „Doch, das geht. Außerdem bezweifle ich, dass wir zusammenkommen. Wir sind Brüder, verdammt. Das ist etwas, das nicht geht. Und ich liebe dich über alles, Rico“ Chris sah ihm tief in die tränenerfüllten braunen Augen und nahm seine Hand. „Warum liebst du mich? Wie kann man mich lieben?“ Die Tränen tropften auf ihre vereinten Hände. „Hör auf mit dem Quatsch. Wer würde dich nicht lieben? Du bist der beste Mensch auf der Welt“, sagte Chris und nahm ihn in den Arm. Rico hielt sich an ihm fest und brach in Schluchzen aus. Fünf Minuten später hatte er sich wieder beruhigt, aber nur um dann nervös zu werden und schließlich wieder in Lachen zu versinken. „Sag mal, hast du außer Fiebermittel noch irgendwas genommen? Das ist ja abnormal“, meinte Chris und hoffte auf eine vernünftige Antwort. Stattdessen bekam er einen fragenden Blick und den nächsten Lachkrampf. Es war zwecklos; Rico stand vollkommen neben sich. Als er wieder deprimiert war stand er plötzlich auf, ging in die Küche und kam mit einer Flasche Whisky und einer Packung Tabletten wieder. Beides war halb leer. Er gab Chris die Flasche und behielt die Tabletten. „Hey, warte. Was ist das da?“, fragte der Jüngere und schnappte sich die Packung. Es waren starke Antidepressiva, die man eigentlich nur bekam, wenn man sie brauchte. „Hat dir irgendein Arzt die Dinger gegeben? Hast du die alle heute geschluckt?“, fragte Chris und Rico nickte auf jede Frage. „Jetzt ist Schluss. Du bist high genug“, sagte der Jüngere und versuchte streng zu klingen. „Man ist nie high genug“, murmelte der Andere und hatte die Whiskyflasche aufgesetzt, bevor sein Freund noch irgendwas machen konnte. Chris war ratlos. Er packte die Tabletten in die Tasche und ging zum Telefon. Alex antwortete erst nach dem zehnten Klingeln und sein Bruder erklärte ihm die Situation in unzusammenhängenden Sätzen. „Du musst schnell kommen. Er ist vollkommen am Arsch!“, rief er verzweifelt in das Telefon. Alex versprach ihm, sich zu beeilen und stand tatsächlich wenige Minuten später auf der Tür. Inzwischen hatte Chris den Whisky leergemacht, damit Rico nicht noch betrunkener werden konnte. Die Brüder waren genauso ratlos wie vorher. „Er darf auf keinen Fall einschlafen“, meinte Alex, „Wir müssen ihn wach halten, bis er wieder von dem Trip runter ist. Mal gucken, was er für Horrorfilme hier rumliegen hat“ Er wollte sich schon daranmachen einen passenden Film auszusuchen, als sein Bruder sagte: „Spinnst du? Der ist voll auf Psychodrogen, er kriegt einen Anfall, wenn wir einen Film gucken. Willst du ihm ein Trauma verpassen?“ Alex schämte sich ein bisschen, dass er nicht daran gedacht hatte. „Hast ja recht“, murmelte er, „Wie wäre es, wenn wir an die frische Luft gehen. Hilft bestimmt“ Dagegen hatte auch Chris nichts einzuwenden. Rico war in der Zwischenzeit in einen Halbschlaf gefallen und hatte noch gar nicht bemerkt, dass sie zu dritt waren. Als er seinen zweiten Besucher entdeckte grinste er breit und nuschelte: „Alex... weißt du was... dein Bruder liebt dich“ Der Angesprochene schien ihn nicht ernst zu nehmen. „Ja, schon klar. Komm, steh auf. Wir gehen ein bisschen raus“, antwortete er und zog den Betrunkenen auf die Füße. Als er Chris ansah errötete dieser und lächelte beschämt. Alex wusste nun wirklich nicht, was er davon halten sollte. War das etwa die Antwort auf all seine Fragen? War Chris in ihn verliebt? Er wollte es nicht wirklich wissen, es hätte ihn in Versuchung geführt. Sie schleppten den halb-ohnmächtigen Rico durch die Stadt, ihre Bemühungen zeigten auch schon bald Wirkung, er wurde wieder klarer im Kopf und verfiel in eine dauerhafte Depression. Als sie wieder zurückkamen brachten sie ihn ins Bett und legten sich selbst daneben, damit er in seinem Zustand nicht allein war und weil sie auch müde waren. Rico schlief gleich darauf tief und fest. „Hat er recht?“, fragte Alex.

„Was meinst du?“

„Liebst du mich?“

„Weißt du doch“

Chris war sich nicht sicher, was er sonst auf diese Frage antworten konnte, ohne ihr Leben zu verändern. „Ich meine nicht so wie einen Bruder, sondern... du weißt schon“ Alex war auch unsicher und überrascht von sich selbst, dass er diese Fragen einfach so stellen konnte ohne nervös zu werden. „Es ist kompliziert. Reden wir morgen drüber, okay“, antwortete Chris und sein Bruder gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Bald waren sie alle eingeschlafen. Sie erwachten lange Zeit später von einem Geräusch. Es war ein Krachen, als ob etwas gegen eine Wand geknallt wäre. Wenige Sekunden später stellte Chris überrascht fest, dass es draußen stürmte. Das Geräusch war von der Straße gekommen und es war unmöglich, festzustellen, was es gewesen war, weil man wegen dem starken Regen nichts sehen konnte. Eine Figur rannte auf das Haus zu und wenige Sekunden später wurde die Haustür geöffnet und Kelly stand klatschnass im Flur. „Was denn hier los?“, fragte sie als sie die drei Männer oben auf der Treppe entdeckte. Sie murmelten gleichzeitig einige unverständliche Sachen und sahen sich ratlos an. „Schon klar“, sagte das Mädchen und verschwand im Badezimmer. „Was die wieder denkt...“, meinte Alex kopfschüttelnd. Sie konnten es sich wirklich lebhaft vorstellen.
 

Nach diesem Zwischenfall ging es mit Rico´s Gesundheit komischerweise wieder bergauf, was seine Freunde trotzdem beruhigte. Alex und Chris waren mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo sie nicht mehr normal miteinander reden konnten. Es war für die Beiden unmöglich, sich auch nur im selben Raum aufzuhalten ohne nervös zu werden und sich ständig `unauffällig´ gegenseitig zu beobachten. Jeder hatte Angst davor, dass der andere das gefährliche Thema ansprechen könnte und so gingen sie sich ziemlich aus dem Weg. Chris spürte wieder das altbekannte Gefühl von vollkommenem Liebeskummer und obwohl es schmerzvoll war, genoss er jede Sekunde davon. Er war am Leben, das war es, was diese Emotion ihm vermittelte. Wenn er nachts wach lag und in sein Kissen weinte, fühlte er sich verzweifelt aber gleichzeitig auch befreit. Es war abnormal, fast als ob er beide Phasen einer bipolaren Depression gleichzeitig durchmachen würde. Für ihn selbst war es am allerwenigsten verständlich, dass man sich über negative Gefühle freuen konnte, aber er musste halt damit leben. Die Tage vergingen und bald war Silvester gekommen. „Es ist jedes Mal ein Riesen-Besäufnis. Aber was an Silvester passiert, wird nie wieder erwähnt, egal wie krass es ist“, hatte Kelly gesagt. Chris überlegte hin und her, ob das eine gute Grundlage für sein endgültiges Liebesgeständnis Alex gegenüber war. Vielleicht konnte er warten, bis sein Bruder betrunken war und es ihm dann sagen, um seine Reaktion zu testen. Wenn sie positiv war, war es gut; wenn sie negativ war, konnte er es auf den Alkohol schieben. So würde er es machen. Er hatte es sich alles zurechtgelegt; um Mitternacht wollte er es ihm sagen, wenn alle anderen am meisten abgelenkt waren. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war seine eigene Unfähigkeit sich mit dem Trinken zurückzuhalten und diversen Versuchungen zu widerstehen. Die sturzbesoffene Kelly machte ihn an, allerdings war er zu dem Zeitpunkt noch zu nüchtern für Sex mit der Ex. Rico verführte ihn gleich zweimal, einmal bevor und einmal wonach Chris es mit einem extrem scharfen Unbekannten getan hatte, der sich als Myriam´s Bruder herausstellte und der eigentlich hetero war. Er bekam außerdem von allen möglichen Leuten immer wieder Drinks in die Hand gedrückt, die er natürlich alle leerte. Das führte dazu, dass er um zwölf so dicht war, dass er nicht mehr denken, geschweige denn sprechen konnte. Nach allem was er an diesem Abend getan hatte, hätte ihm Alex sowieso kein Wort mehr geglaubt. Er erwachte erst am nächsten Mittag wieder und fand sich gedächtnislos auf dem Fußboden liegend. Um ihn herum war das totale Chaos und einige Leute schliefen noch in den Überresten der Party. Es fiel ihm wieder ein, was er vorgehabt hatte und er schämte sich vor sich selbst, dass er es nicht geschafft hatte. Das machte doch alles keinen Sinn, glaubte er und ließ sich wieder auf den Boden sinken, um weiterzuschlafen, was allerdings nicht klappte. Eine Ewigkeit später war er endlich imstande aufzustehen und duschen zu gehen, nur um sich danach vollkommen erschöpft auf sein Bett fallen zu lassen. Dort versuchte er seine Gedanken zu sortieren. Er wusste, dass er es Alex nicht gesagt hatte, er wusste auch, dass er in der Nacht mindestens dreimal Sex gehabt hatte, war sich aber nicht sicher mit wem. Die Erinnerung an Kelly´s verzweifelten Versuch ihn rumzukriegen war das letzte, was er noch sicher wusste, alles andere war verschwommen. Er wunderte sich sowieso über das Verhalten des Mädchens. Sie war schon früh total besoffen gewesen und es schien ihr alles egal zu sein. Soweit er wusste hatte sie einen Freund, wollte den sogar heiraten. Er kam zu dem Schluss, dass sie wohl mal wieder eine `Phase´ durchmachte. Das konnte zur kollektiven Gefahr für die Weltbevölkerung werden, wenn man nicht aufpasste.
 

Da er momentan seine eigenen Probleme nicht lösen konnte, beschloss Chris sich Kelly´s Schwierigkeiten zu widmen. Aber anscheinend war sie nirgends aufzufinden. Niemand hatte sie an diesem Tag gesehen und auch am Tag danach erschien sie nicht wieder. „Normalerweise sagt sie wenigstens bescheid, wenn sie weg geht“, meinte Rico, der versuchte seine offensichtliche Sorge zu verstecken. Er suchte zusammen mit Chris, Alex und Myriam´s Bruder die Stadt ab, in der Hoffnung, ihre Freundin irgendwo zu finden. Auch Anrufe bei diversen Bekanntschaften führten zu keinem Ergebnis. Sie war weg. Als es dunkel war gaben sie auf und beschlossen, sie am nächsten Tag als vermisst zu melden. Chris konnte in der Nacht nicht schlafen. Er lief im Haus herum und erschreckte sich fast zu Tode als das Telefon klingelte. Er hob den Hörer ab und meldete sich voller Nervosität. Die leise, angstvolle Stimme am anderen Ende der Leitung hätte er unter tausenden erkannt. Es war Kelly June, die wohl Todesangst ausstehen musste. Er konnte ihre tränenerstickten Worte kaum verstehen, hörte nur das Meer im Hintergrund sehr nah rauschen. Plötzlich brach die Verbindung zusammen. Panisch rannte Chris nach draußen. Er wusste, dass er sie am Meer suchen musste; er würde sie suchen, bis er sie gefunden hatte. Das Gespräch hatte sich sehr nah angehört, also musste sie in der Nähe sein. Vielleicht stand sie sogar bei Rico vor der Haustür, von wo aus man fast ins Meer spucken konnte. Chris war kaum ein paar Meter gelaufen, da fing es zu allem Überfluss auch noch an zu schneien und ein schneidender kalter Wind kam auf. Der junge Mann ignorierte die Kälte und rannte weiter Richtung Strand. Niemand war dort, soweit er sehen konnte, also suchte er weiter. Im Hintergrund des Telefongesprächs glaubte er, die Hafensirene gehört zu haben, also lief er entgegen der Windrichtung zum Hafen. Die Gebäude und Anlegestellen für die Schiffe lagen verlassen da. Es war dunkel und unheimlich. Die vereinzelten Straßenlampen warfen dämmeriges Licht auf die Umgebung und verursachten große Schatten, die sich zu bewegen schienen. Chris nahm all seinen Mut zusammen und rief nach Kelly June, bekam aber keine Antwort. Er rannte zwischen den Gebäuden hindurch und sah sich aufmerksam um. Keine Menschenseele war zu sehen. Vielleicht hatte er sich geirrt und sie war nicht hier. Vielleicht wurde sie irgendwo festgehalten und gefoltert. Vielleicht war sie schon längst tot. Er durfte nicht einmal daran denken. Seine Beine wurden schwer und er begann, die Kälte und Müdigkeit zu spüren. Hätte er doch bloß Alex geweckt und ihn mitgenommen. Anrufen konnte er seinen Bruder auch nicht, er hatte kein Handy und wusste die Telefonnummer nicht auswendig. Doch in dieser Nacht hatte er das Glück ausnahmsweise mal auf seiner Seite. Eine Telefonzelle war scheinbar gerade erst aus dem Boden gewachsen. Er war sich sicher, dass sie vor fünf Minuten noch nicht da gewesen war. Ganz funktionstüchtig sah sie auch nicht aus und die Tür, die Chris vorsichtig öffnete, hing aus den Angeln. Ein zerfleddertes altes Telefonbuch war an die Wand genagelt worden und unter dem Dreck auf dem Fußboden fand sich etwas Kleingeld. Chris suchte die Nummer raus, warf das Geld ein und drückte mit seinen halberfrorenen Fingern die Tasten. Nichts geschah. Er legte den Hörer wieder auf, das Geld kam wieder rausgefallen und er versuchte es nochmal. Diesmal versetzte er dem Telefon zusätzlich noch einen Schlag, was zumindest zu einem Freizeichen im Hörer führte. Nach dem dritten Versuch klingelte es endlich durch. Alex meldete sich verschlafen und Chris erklärte ihm atemlos was passiert war. Sein Bruder war mit einem Mal hellwach und versprach, sofort zu ihm zu kommen. Nachdem er aufgelegt hatte, suchte Chris weiter das Hafengelände ab. Nirgends war die Spur einer menschlichen Existenz zu entdecken und mittlerweile lag der Schnee schon zentimeterhoch. Einige Male rutschte er aus, fiel hin und schlug sich die Hände und Knie auf. Er ging zur Straße, weil er annahm, dass Alex mit dem Auto käme. Auf dieser Straße war nicht besonders viel los, doch endlich waren mal wieder Menschen zu sehen. Als Chris auffiel, wo er hingeraten war, wäre er fast vor Schreck wieder gefallen. Auf der anderen Straßenseite standen einige leicht bekleidete junge Frauen und auf dieser Seite ein paar Jungs, die größtenteils noch jünger waren als er. Niemand bemerkte ihn und er wollte sich schon wieder aus dem Staub machen, als ein älterer Mann auf ihn zutrat. „Na, Kleiner. Neu hier?“, fragte er und musterte sein Gegenüber gierig. „Nein, ich ähm... wollte grad wieder gehen... hab mich verlaufen“, antwortete Chris und wandte sich zur Flucht. „Aber du musst doch noch nicht gehen. Komm mit rein und wir unterhalten uns ein bisschen“ Der Mann packte ihn und zerrte den wehrlosen Jungen in ein kleines Gebäude. Dort stieß er ihn in einen Raum, unter eine Lampe, um ihn richtig anzusehen. Die kleine Schönheit, die er aus der Kälte `gerettet´ hatte, verschlug ihm die Sprache. „Meine Güte, was haben wir denn da für ein Prachtexemplar? Da hast du einen guten Fang gemacht“, sagte eine andere Männerstimme aus der Dunkelheit. Dieser Mann hörte sich jünger an und hatte einen Akzent, den Chris nicht richtig einordnen konnte. Als die beiden anfingen zu lachen packte ihn schlussendlich doch die Panik und er versuchte wegzulaufen, woran man ihn hinderte. „Ganz ruhig, Kleiner. Wir wollen dir nicht wehtun. Wir wollen dir helfen einen Haufen Geld zu verdienen und uns selbst ganz nebenbei auch noch zu bereichern“, flüsterte der Ältere, der ihn festhielt und gleichzeitig seinen Körper mit den Händen erforschte, wobei er immer wieder seine Zufriedenheit äußerte. Chris versuchte mit aller Kraft sich loszureißen, aber er schaffte es nicht. Hinter ihm wurde etwas auf einen Tisch gestellt und ein Koffer wurde geöffnet. „Es wird etwas Überzeugungskraft brauchen, aber du wirst einsehen, dass du jetzt uns gehörst“, sagte der zweite Mann dicht hinter ihm, packte seinen Arm und band einen Gürtel darum. Das nächste, was Chris spürte war ein unglaublich schmerzhafter Nadelstich und eine Flüssigkeit, die in seine Vene gespritzt wurde. Die Kräfte verließen ihn und alles wurde schwarz.
 

Chris erwachte von einem pochenden Schmerz in seinem ganzen Körper. Seine Hände waren gefesselt und er war nackt. Der Junge ließ sich nicht anmerken, dass er wach war und versuchte so gut es ging sich totzustellen. Er überlegte fieberhaft, wie er aus dieser Situation entkommen konnte, am besten ohne irgendjemand mit reinzuziehen. Bevor er eine Lösung gefunden hatte wurden seine Schmerzen einen Moment lang unerträglich, sodass Chris sich bis aufs Äußerste zusammenreißen musste um nicht laut aufzuschreien. Ein schwer atmender Mann befreite sein Opfer von den Handfesseln. Eine Tür wurde zugeschlagen und Chris war allein. Er öffnete langsam die Augen, bunte Punkte tanzten in seinem Blickfeld. Der Raum, in dem er sich befand, war kalt, grau und trostlos, wie eine Gefängniszelle. Er lag auf einer Art Tisch, auf dem wohl schon öfter solche Sachen gemacht worden waren. Stöhnend richtete er sich auf und suchte eine Möglichkeit zur Flucht und seine Klamotten. Letztere fand er in der Ecke neben der Tür, die der einzige Ausweg aus diesem Verlies war. Ohne auf die Schmerzen und die Kälte zu achten zog er sich hastig an und lauschte den Geräuschen im Nebenraum. Anscheinend waren nur zwei Personen dort. Wenn er es schaffte sich an ihnen vorbeizuschleichen, hätte er gute Chancen zu entkommen. Es würde schwierig werden, weil er sich nicht besonders stark fühlte, könnte aber klappen. Sein Vorhaben wurde unerwarteterweise von der Tatsache unterstützt, dass diese Personen ein Radio anmachten. Er sah durch das Schlüsselloch und fand beide Männer mit dem Rücken zu ihm und innerhalb des Lichtkegels. Wenn sich tatsächlich einer von ihnen umdrehte, würden sie ihn nicht sehen können. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt, stieg durch die Öffnung und bewegte sich dicht an der Wand entlang auf den Ausgang zu. Zuerst glaubte er, die Tür in die Freiheit wäre verschlossen, aber sie war einfach nur furchtbar schwer. Er öffnete sie fast geräuschlos und schlüpfte nach draußen. Die kalte Nachtluft belebte seine Sinne und mit wiedergewonnener Kraft rannte er so schnell er konnte wieder in die Richtung aus der er vorher gekommen war. Als er sich in Sicherheit glaubte, ließ er sich entkräftet gegen eine Wand fallen und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Die Welt drehte sich und immer noch blitzten die bunten Lichter vor seinen Augen. Alles um ihn herum sah gleich aus. Er wusste, wenn er in die falsche Richtung lief, würden sie ihn wieder schnappen. Die Kälte war mittlerweile unerträglich geworden und er lief wieder weiter, getrieben von der Angst zu erfrieren. Er war hierher gekommen, um Kelly zu retten und hatte es nicht geschafft, im Gegenteil: er hatte es mal wieder hingekriegt selbst in Schwierigkeiten zu geraten und gar nichts erreicht. Er war nutzlos. Was wäre schon dabei, sich einfach in den Schnee zu legen, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen? Soviel er es auch versuchte, er hatte es nie geschafft, sein Leben oder die Welt zu verändern. Jedes Mal, wenn er dachte, er hätte es endlich geschafft wurde er wieder an den Anfang zurückgeworfen. Wo blieb da das eigentliche Leben, das man genießen sollte, solange man es hatte? Der endgültige Sinn des Lebens war sowieso der Tod, also machte das alles nichts. Er war auf einem riesigen Bootssteg angekommen und blickte auf das schwarze, unendliche Meer. Von Weitem kam eine Figur auf ihn zugelaufen und rief irgendetwas. Panik erfasste ihn; das war sicher einer von diesen Kerlen. Es gab keinen Ausweg... doch, einen gab es. Er rannte stolpernd auf das Ende des Stegs zu und ließ sich einfach über die Kante fallen, ohne nachzudenken.
 

Alex rief nach seinem Bruder, aber anstatt zu ihm zu kommen lief der in die andere Richtung, auf das Wasser zu. Er sah ihn fallen und schrie vor lauter Panik auf. Innerhalb von Sekunden war er am Steg angelangt und schlitterte zu dessen Ende, wobei er seine Jacke auszog, um schwimmen zu können. Er sprang in das eisige Wasser und wurde einen Moment lang von der Kälte gelähmt. Suchend streckte er die Arme nach allen Seiten aus, bevor er wieder auftauchte, um Luft zu holen. Zwei Sekunden später tauchte er wieder nach unten und suchte seinen Bruder. Tatsächlich bekam er nach kurzer Zeit dessen Arm zu fassen und zog ihn mit sich nach oben. Erleichtert stellte er fest, dass das Herz des Jüngeren noch schlug. Unter größter Kraftanstrengung schaffte er es, sie beide auf den Bootssteg zu befördern. Sobald er auf dem Boden lag fing Chris an zu husten und spuckte das Wasser aus, das er geschluckt hatte. „Chris?... Chris, hörst du mich? Bitte, mach die Augen auf!“, flüsterte Alex atemlos und zitternd. Aber sein Bruder tat ihm den Gefallen nicht. Er bewegte sich immerhin und war anscheinend außer Lebensgefahr. Vorsichtig packte der Ältere ihn in seine zurückgelassene Jacke ein und trug ihn zu seinem Auto, das er in einer Seitengasse abgestellt hatte. Dort legte er ihn auf den Beifahrersitz, setzte sich daneben und drehte die Heizung an. Sie mussten jetzt nur noch nach Hause kommen. Zuerst dachte er daran, in ein Krankenhaus zu fahren, aber die hätten Chris sicherlich in die Psychiatrie eingewiesen und auch dort behalten. Das wollte er auf jeden Fall verhindern. Wie in Trance fuhr er vom Hafen zu seinem Haus und brachte seinen Bruder rein. Er füllte die Badewanne mit warmem Wasser, zog den Kleinen aus und setzte ihn vorsichtig hinein. Er versuchte, sich den Körper nicht zu genau anzusehen und sich darauf zu konzentrieren, dass sein Kopf nicht unter Wasser rutschte. Nach einigen Minuten bekam Chris schon wieder etwas Farbe und zitterte nicht mehr so stark. Jetzt erst wurden Alex seine eigenen durchnässten Klamotten und die Kälte bewusst. Er zog sich aus, wickelte sich in ein Handtuch und setzte sich neben die Heizung, von wo aus er immer noch auf seinen Bruder aufpassen konnte. Wenige Zeit später bewegte Chris sich endlich wieder und stöhnte auf. Alex setzte sich neben ihn auf den Badewannenrand und versuchte ihn bei Bewusstsein zu halten. „Chris, nicht wieder einschlafen!... Komm schon, mach die Augen auf!... Chris, bitte... bleib bei mir“, sagte er und strich dem Kleineren die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie in Zeitlupe öffneten sich seine Augen und er sah seinen großen Bruder verwirrt und müde an. „Endlich...“, flüsterte Alex überglücklich und streichelte das blasse Engelsgesicht. Chris brachte fast ein Lächeln zustande, aber als er merkte, dass er nackt war wich dieses einem erschrockenen Gesichtsausdruck, er versuchte von dem Anderen wegzurücken und zog die Beine an seinen Körper. „Hey, es ist okay. Ich tu dir doch nichts. Entspann dich“, sagte Alex beruhigend und zog seine Hand zurück. Der Kleine schien kein Wort von dem was er sagte zu verstehen und seine blauen Augen zeigten unendliche Panik. „Ich ähm... lass dich allein, okay? Du kannst dich in Ruhe anziehen und so“, sagte der Ältere und verschwand aus dem Badezimmer, um dasselbe zu tun. Ein paar Minuten später kam auch Chris raus. „Es tut mir leid. Hab mich nur erschrocken als ich nackt in einer Badewanne aufgewacht bin“, murmelte er ohne seinen Bruder anzusehen. „Ist doch klar. Würde ich auch“, antwortete Alex. Ohne Vorwarnung kam der Kleine auf ihn zugesprungen, umarmte ihn und brach in Tränen aus. Er zitterte immer noch haltlos und sprach kein Wort. Alex hob ihn hoch und trug ihn zu seinem Zimmer. Sie legten sich unter die wärmenden Bettdecken und lagen einfach nur da, bis ihnen etwas wärmer wurde und Chris sich wieder beruhigt hatte. „Willst du drüber reden?“, fragte Alex leise, woraufhin Chris den Kopf schüttelte, flüsterte: „Nicht jetzt“ und sich ganz nah an seinen Bruder kuschelte. Den Älteren überkam wieder das altbekannte Gefühl, das er in letzter Zeit immer in Gegenwart des anderen gespürt hatte. Das wirkte besser gegen die Kälte als alles sonst. Lächelnd sagte er: „Wie du willst, mein Engel. Ich bin so froh, dass du hier bist, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich hab dich lieb“ Chris lächelte auch und sah ihn dann ernst an. Er schien es sich nochmal zu überlegen, dann sagte er: „Ich wollte dir schon lange was sagen. Jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit hatte, habe ich es nicht geschafft, aber diesmal... es ist mir sehr wichtig... und es ist kompliziert. Alex... ich... liebe dich... du bist mein Bruder, aber trotzdem liebe ich dich“ Sein Bruder sah ihn entgeistert an. „Chris, du... weißt schon, dass du das Ganze grade noch komplizierter gemacht hast?... Ich habe schon länger dieselben Gefühle für dich, aber... ich habe mich zurückgehalten... du stellst meine Selbstbeherrschung auf die Probe... wir wissen beide, dass es unmöglich ist“ Nachdem er das gesagt hatte, befreite sich Alex aus der Umarmung und setzte sich auf. Chris setzte sich neben ihn und seine kleine Hand strich über den Rücken des Größeren. „Solange wir es wirklich wollen, ist nichts unmöglich“, flüsterte er und küsste seinen Bruder sanft auf die Wange. Alex drehte seinen Kopf leicht in die richtige Richtung, bis ihre Lippen sich zu einem zarten Kuss trafen. Einen Moment lang zweifelte er an seiner Moral, riss sich dann aber zusammen und rückte hastig von Chris weg, der ihn angstvoll ansah.

„Tut mit leid. Es geht einfach nicht“

„Aber...“

„Nein, Chris! Erst wenn die Hölle gefriert können wir zusammen sein!“

Er war aufgesprungen und lief aus dem Zimmer. Er ließ einen vollkommen verzweifelten Chris zurück, der weinend zusammenbrach. Sein Bruder wollte ihn nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  feuerregen
2008-03-05T18:58:56+00:00 05.03.2008 19:58
jetzt mal eine mich ausgesprochen irritierende frage:
wieso hat eine so gute story keine kommis??

also ich fand sie toll, hoffe mal, dass bald das nächste kapitel online gestellt wird.
chris' leben ist ja ne nummer.... der arme tut mir so leid!
mein liebling ist ja rico! *g*
und mich würde es irgendwie freuen, wenn alex, chris und rico ne dreiecksbeziehung anfangen! ^^"

lg, feuerregen


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