... which makes me cry every night
It’s the fear…
… which makes me cry every night
Noch bevor ich mich auf die Seite drehe und meine Hand ausstrecke, um über das Laken des Doppelbettes zu tasten, weiß ich bereits, dass ich alleine bin. Die Decke ist an der Stelle zurückgeschlagen und kein Hauch von Körperwärme ist mehr zu spüren. Kurz schließe ich die Augen, wobei sich meine Hand in das Bettlaken verkrallt. Er ist wie immer gegangen, bevor irgendjemand sonst aufgewacht ist und er wird erst wiederkommen, wenn alle bereits schlafen. So war es bis jetzt immer und so wird es wohl auch die nächsten Monate und Jahre weiter gehen.
Ein Seufzer entrinnt mir, während Stimmen in meinem Kopf anfangen zu hallen. Gespräche, längst vergangene Wortfetzen… »Warum lässt du ihn nicht einfach stehen… Du hast jemand besseren verdient… Pack deine Sachen, nimm deinen Sohn an die Hand und geh…« Gehen… Doch wohin? Zu meinen Verwandten? Nein, ich kann dieses Haus nicht verlassen und auch nicht den Mann, der in ihm wohnt. Ich kann ihn genauso wenig verlassen, wie meine Mutter es damals konnte. Eine unsichtbare Verbindung existiert, auch wenn nur wenige sie wahrnehmen können.
Ich öffne die Augen, doch die Bilder, die bei diesen Gedanken immer wieder auftauchen, kann ich nicht loswerden. Stets versuche ich sie in meinen Hinterkopf zu verbannen, doch scheitere ich jedes Mal. Sie überfluten mich glatt und zeigen mir die Realität, die ich nie hatte sehen wollen, die ich immer durch Phantasien versucht hatte zu ersetzen…
Laute Stimmen, die durch das Haus hallten, scheinbar im Streit miteinander. Ein Knall und sie drangen nur noch gedämpft an meine Ohren. Doch nicht lange und die eben noch geschlossene Tür wurde wieder geöffnet und nach ein, zwei lauten Ausrufen, dessen Inhalte teilweise schon tief ins vulgäre Vokabular übergingen, erneut geräuschvoll in ihre Angeln geschmissen. Wütend polterten Schritte die Treppe hoch und nach einem weiteren Zuschlagen einer Zimmertür herrschte wieder Stille, wenn auch eine recht unangenehme.
Ich lag in meinem Bett, die Augen krampfhaft geschlossen, die Hände in der Bettdecke verkrallt. Wie sehr wünschte ich mir doch jedes Mal, es würde endlich ein Ende finden, doch wurde ich immer wieder aufs Neue aus meinen Illusionen, meiner Traumwelt, in der alles perfekt und harmonisch war, herausgerissen. Wann oder wie es angefangen hatte, wusste ich nicht. Es war einfach so geschehen. Von einem Tag auf den anderen war alles zerstört und nur noch der Hass aufeinander wandelte durch die Flure und Zimmer unseres Hauses. Wie schnell sich zwei Liebende, die sich jahrelang angehimmelt haben, hassen konnten, konnte mir nicht besser vor Augen geführt werden.
Und wie um mich noch schlechter zu fühlen, tauchten Bilder längst vergangener Tage vor meinem inneren Auge auf. Bilder eines schönen und friedlichen Wochenendtages, wo wir alle so viel Spaß hatten, einen Spaziergang machten und Abends gemeinsam beisammen saßen... Wie lange lag diese Zeit schon zurück… Tage? Monate? Oder gar Jahre?
Ich starrte in die Dunkelheit, während sich ein leises Stimmchen in meinen Kopf schlich und anfing mir Dinge einzureden, von denen ich eigentlich nichts hören wollte. Immer wieder kehrte sie zu mir zurück, egal wie stark ich versuchte, sie zu verdrängen. »Was ist, wenn Vater anfängt aggressiv zu werden… Was ist, wenn er Mutter schlägt…«, flüsterte sie mir leise zu. Krampfhaft starrte ich zur Decke. »Was ist, wenn sie sich trennen…« Ich wollte ihr nicht Glauben schenken, doch breitete sich trotzdem ein Gefühl in mir aus, das nach und nach mein ständiger Begleiter geworden war.
Angst.
Was ist, wenn sich meine Eltern wirklich scheiden ließen? Einige meiner Freunde mussten dieses Schicksal bereits über sich ergehen lassen. Was war, wenn ich nun an der Reihe war? Ich wollte nicht allein gelassen werden, denn das wäre es, was meine Eltern mir damit antun würden. Sie würden mich im Stich lassen, brauchte ich sie doch noch so sehr.
»Was ist los mit dir…«, fragten mich meine Freunde öfters, doch sagte ich immer nur »Nichts…«. Früher hatte ich ihnen all meine Sorgen anvertraut, aber nun entfernte ich mich durch mein Schweigen und meine aufgesetzte Fröhlichkeit immer weiter von ihnen. »Sie werden sich alle von dir abwenden… Du wirst bald ganz alleine sein… Keiner wird sich mehr mit dir abgeben wollen…«, keimte das Stimmchen wieder auf. Ich verfluchte es, redete mir ein, dass das niemals passieren würde, konnte aber nicht verhindern, dass ein Teil von mir, der Stimme zustimmte. Eine Träne bahnte sich seinen Weg über meine Wange. Schnell wischte ich sie weg, versuchte mich wieder zu fangen, doch folgte bereits eine weitere.
Auf einmal ertönten wieder Schritte, die mich unter der Decke zusammenzucken ließen. Etwas Weiches fiel die Treppenstufen hinunter und landete mit einem dumpfen Laut an dessen Ende auf dem Boden. Dann rief meine Mutter mit Tränen erstickter Stimme, mein Vater solle diese Nacht gefälligst unten verbringen. Als Antwort kamen von unten lediglich die Geräusche des Fernsehers. Ignoranz herrschte dort und nur zu gern hätte ich gewusst, was mein Vater dachte.
Es war nur ein Satz, eine Geste gewesen, die meine Mutter gemacht hatte, doch ging ein schmerzvoller Stich durch meine Brust. »Er verletzt sie, seelisch… Zermürbt sie… Lässt sie Leiden… Sie wird bald genug haben und gehen…« Ja, sie wird gehen und mich mitnehmen, ob ich will oder nicht. Ich, meine Gefühle, alles war in dieser Angelegenheit egal. Aber trotzdem brauchten meine Eltern einander, waren glatt abhängig von dem jeweils Anderen, auch wenn es vielleicht keiner zugeben würde… Nein, sie würden nicht einfach so auseinander gehen. Oder doch? Ich hasste diese Ungewissheit und gleichzeitig hasste ich mich, dass ich so an allem zweifelte und mich selbst bemitleidete.
Über das Haus hatte sich nun eine unangenehme Stille gelegt, die mich frösteln ließ. Ich rutschte noch tiefer unter meine Decke, zog sie schon halb über mein Gesicht, wobei sie die Tränen, welche mir nun frei über mein Gesicht liefen, aufsogen und nasse, kalte Flecken hinterließen. Ja, ich weinte, doch kein Geräusch, kein Schluchzen kam über meine Lippen, hatte ich mir angewöhnt keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Und so schlief ich voller ungewisser Ängste ein, wie es schon fast jede Nacht der Fall war…
Tief atme ich durch und drehe mich auf den Rücken. Immer wieder nehme ich mir vor, nicht mehr darüber nachzudenken, doch kann ich es einfach nicht sein lassen. Damals konnte ich es nicht und bis heute hatte ich es auch nicht ablegen können.
Ja, meine Mutter hatte meinen Vater nicht verlassen können und eine Zeit lang hatte ich auch wieder etwas fröhlicher mit ihnen leben können, doch nun bin ich in der Situation, in der ich nie sein wollte, die ich immer mit angsterfüllten Augen betrachtet hatte. Stets hatte ich mir vorgenommen, meine Kinder und mich selber nie so leiden zu lassen. Ich wollte fröhlich mit meiner Familie leben, doch scheint es wie ein Fluch zu sein. Ein Fluch, dem man nicht entkommen kann.
Ich schließe meine Augen, versuche meine Atmung wieder zu normalisieren und wische mir mit der einen Hand über das Gesicht, um die nassen Spuren zu beseitigen, während die andere noch einmal leicht über das Bettlaken neben mir streicht. Dann schlage ich kurzerhand die Bettdecke zurück und stehe auf. Einige Sekunden vergehen, während ich das, was mir soeben durch den Kopf gegangen war, noch mal überdenke und wieder in meinen Hinterkopf sperre, dann setze ich ein leichtes Lächeln auf. Ich weiß, dass mein Sohn anders ist, als ich es damals war, und die ganze Sache versteht, denn nichts bleibt in einem Haus verborgen. Das ist das, was ich in meiner Kindheit gelernt habe. Dir bleibt nichts erspart.
Leise leiten mich meine Füße zur Küche, bringen mich fort von dem Ort, wo ich meinen Gefühlen freien Lauf lasse und hin in meinen alltäglichen Trott.
Ein Kaffee steht dampfend auf dem Tisch, was mir ein Schmunzeln auf die Lippen trieb.
Ein echtes...