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Das Blut der Lasair

von

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Alle begegnen irgendwann ihrem Schicksal

Alle begegnen irgendwann ihrem Schicksal
 


 

Sie fuhr sich langsam mit den Fingern durch das Haar, so wie sie es immer tat, wenn sie ihren Gedanken nachhing. Lucien betrachtete sie und stellte fest, dass er sie nie durchschaut hatte, obwohl sie sich unglaublich nahe standen. So war das immer gewesen und vielleicht war es das, was er an ihr, seiner kleinen Schwester, so faszinierend fand. Der Schein der Flammen tanzte auf ihrem rotbraunen, langen Haar und ihrer zarten, blassen Haut und tauchte ihre gesamte Erscheinung in warmes Licht. Ihre Augen schienen abwesend aus dem Fenster zu starren, doch in ihrem Kopf wirbelten die Gedanken ebenso umher wie die Schneeflocken draußen.

Ob sie sich Sorgen machte? Catherine blickte in seine Richtung und schüttelte den Kopf.

„Es wird schon alles gut gehen.“ meinte sie, worauf er sie überrascht anblickte.

„Was?“ fragte er.

„Es wird schon alles gut gehen.“ wiederholte sie.

Ohne ein weiteres Wort legte sie das Buch beiseite, in dem sie schon lange nicht mehr gelesen hatte, erhob sich und ging zum Fenster hinüber. Lucien schauderte. Er hatte doch überhaupt nichts gesagt. Seit einer Stunde warteten sie auf die gemeinsamen Eltern und er hatte nichts gesagt. Catherine fuhr mit ihren schlanken Fingern am Fensterrahmen nach oben und sah den Schneeflocken zu, die durch die kalte Nachtluft wirbelten und sich hier und da am Fenster niederließen, um sofort an der erwärmten Glasscheibe zu schmelzen.

‚Alle begegnen irgendwann ihrem Schicksal. Und alle begegnen irgendwann dem Tod.’

Catherine erinnerte sich noch gut an diese Worte, denn damals hatte sie Angst gehabt. Angst vor den Männern in schwarzen, eleganten Anzügen, aus deren Mündern sie kamen. Angst vor ihrem Vater Jacques, zu dem sie immer aufgeblickt hatte. Und Angst vor ihrer Mutter Clarisse, die sie in diesem Moment nicht liebevoll und beruhigend in ihre Arme genommen hatte, sondern mit derselben starren Miene dem Gespräch beiwohnte wie auch ihr angetrauter Ehemann. Es war keine Nacht wie diese gewesen, in der Catherines Horizont erweitert wurde – wie sie selbst zu sagen pflegte, um die Tatsache möglichst neutral zu halten -, sondern ein strahlender Frühlingstag, an dem im Garten der alten Villa, die die Familie du Ravin schon seit Jahrhunderten bewohnte, die ersten Blüten am Flieder aufgegangen waren.

Draußen heulte der Wind und rüttelte an den Klappläden.

Die Männer waren von der Bruderschaft gesandt worden und erfüllten nur einen Auftrag: Catherine sollte die Wahrheit erfahren und begreifen. Ob sie sie verkraften würde – als sechsjähriges Mädchen – war Sache der Eltern … oder interessierte es überhaupt jemanden?

Catherine hatte daran schon oft gezweifelt und tat es auch jetzt noch, denn es war fast unmöglich, aus dieser Erkenntnis keinen Schaden davonzutragen.

‚Ohne uns würde die Welt in Finsternis versinken. Regierungen und Imperien kommen und gehen, aber wir haben der Menschheit von Anbeginn Sicherheit gegeben. Wir sind das letzte Bollwerk gegen das Böse. Das Böse, von dessen Existenz der Rest der Menschheit gar nichts weiß.’

Obwohl sie diese Worte nur an diesem einen Tag gehört hatte, hatten sie sich in ihr Gedächtnis eingebrannt und sie nie wieder losgelassen. Die Bruderschaft existierte. Die societas sancta. Der heilige Orden. Das war die Wahrheit, die Catherine die letzten vierzehn Jahre ihres Lebens begleitet hatte.
 

Plötzlich erblickte sie draußen einen Schatten und schreckte zurück.

„Was?“ Catherine reagierte nicht, sondern sah starrr in den Garten hinaus, um zu sehen, ob dort wirklich etwas war. „Was?“ fragte Lucien noch einmal. Sie schüttelte nur stumm den Kopf. „Man sollte meinen, du erschrickst nicht mehr so leicht. Hast du etwas gesehen?“

„Ich bin mir nicht sicher.“ entgegnete sie und spürte, wie sich die kleinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Noch einmal huschte ein Schatten vorbei und Catherine zuckte zusammen.

„Was?“

„Hast du das nicht gesehen?“

„Was?“

„Da war etwas. Ein Schatten.“ Lucien erhob sich und blickte ebenfalls hinaus. Dann schüttelte er den Kopf.

„Da ist nichts.“ Catherine blickte immer noch nach draußen, während er sich wieder setzte. „Ich glaube, du solltest dich ausruhen. Die letzten Nächte warst du durchgehend wach und du hast es dir ja nicht nehmen lassen, in die Universität zu gehen.“

„Ich kann doch wohl nicht sagen, dass ich wegen nächtlicher Jagdzüge auf Zombies & Co. meine Klausuren nicht schreiben kann.“ meinte sie nüchtern.

„Nein, das kannst du nicht.“ stimmte Lucien ihr zu. Catherine hatte sich halb zu ihm umgedreht und wandte dem dunklen Garten den Rücken zu.

„Du hast Recht. Ich sollte mich wirklich ein bisschen ausruhen.“ Lucien nickte. „Weckst du mich, wenn sie zurück sind?“

„Sicher.“ Catherine blickte noch einmal in den Garten, doch sie erblickte nur ihr Spiegelbild in der Fensterschreibe und verwarf den Gedanken an das, was dort draußen lauern konnte.

Obwohl sie kaum Schlaf brauchte, war es durchaus möglich, dass ihr ihre Sinne Streiche spielten.

„Soll ich dich nach oben begleiten?“ fragte Lucien, da er fand, dass sie ziemlich unschlüssig herumstand.

„Blödsinn! Ich werde wohl in meinem Elternhaus allein in mein Zimmer gehen können!“

„Ich dachte nur. Immerhin haben wir keinen Strom, draußen stürmt es, wir sind allein…“

„Und ich habe nur den Schein der Petroleumlampe, der mich über die dunkle Treppe und durch die noch dunkleren Gänge begleitet?“

„Entdeckst du wieder deine poetische Ader?“ Catherine winkte ab.

„Nein, aber im Ernst: ich habe keine Angst vor der Dunkelheit.“ meinte sie und nahm die Lampe.

„Brauchst du dein Buch nicht?“

„Nein.“

„Was ist das eigentlich?“

„Internationale Klassifikation psychischer Störungen.“ Lucien schüttelte den Kopf. Er hatte ihren Entschluss, an der Sorbonne Psychologie zu studieren nicht verstanden und tat es auch jetzt nicht. „Ich weiß, dass du das nicht verstehst.“ meinte sie sanft und lächelte. „Im Grunde ist es doch egal, was wir tun.“ fügte sie hinzu.

„Wie meinst du das?“

„Seien wir ehrlich: was spielt es schon für eine Rolle, welchen Beruf wir lernen, wo wir doch eh nie ein normales Leben führen werden?“ erklärte sie matt. Ihre Augen forderten ihn dazu auf, etwas zu sagen, doch er blieb stumm.

Vielleicht wusste er, dass sie Recht hatte. Und selbst wenn er das nicht wusste, so wusste er, dass der Schein nach außen gewahrt werden musste. Und wie sah es aus, wenn die Kinder von Jacques du Ravin nicht studierten? Was würde man davon halten? Nichts. Oder zumindest wenig. Und noch dazu war das eines der Risiken, die vermieden werden mussten, damit die gutbürgerliche Fasssade der Familie nicht zu bröckeln begann. Für die Welt dort draußen war Catherine Valérie du Ravin Studentin der Psychologie im dritten Semester und eine junge Frau mit Zielen. Dass sich diese Ziele manchmal darauf beschränkten, die Nacht zu überleben, wusste niemand. Sie war nun einmal, wer sie war. Oder was sie war.
 

Catherine verließ den Salon und ihren Bruder und trat in die Halle hinaus, wandte sich schnell der breiten Treppe zu und stieg diese nach oben. Ihre Schritte hallten auf der Steintreppe, da sie ihre Stiefel noch nicht ausgezogen hatte.

„Langsam sollte ich mir Gedanken darüber machen, welche psychischen Schäden ich eigentlich habe, wenn ich schon Gespenster sehe.“ murmelte sie und ging oben an der Treppe angekommen nach links in den dunklen Gang hinein, der zu ihrem Zimmer führte. Sie biss sich auf die Lippen und atmete tief durch. Der Schein der Lampe warf einen flackernden Schatten auf die großen Ölgemälde, die ihre Vorfahren zeigten. Catherine hatte schon bei Tag das Gefühl, dass sie ihr nachblickten, doch nun jagte ihr die Vorstellung wieder eine Gänsehaut über den Rücken.

„Jetzt stell’ dich nicht so an!“ schalt sie sich selbst und es wirkte. Ruhig ging sie den restlichen Weg zu ihrer Tür und öffnete sie.
 

Eisige Kälte schlug ihr entgegen. Catherine kämpfte sich mit klappernden Zähnen und halb gefrorenen Gliedern zum Fenster durch, stellte die Lampe auf einem kleinen Tisch daneben ab und drückte das Fenster zu. Es war doch nicht möglich, dass der Sturm ein gut verschlossenes Fenster aufdrückte. Unsicher sah sie sich um, doch in ihrem Zimmer war alles, wie sie es verlassen hatte – bis auf den Schnee oder besser gesagt: das Wasser, das der Schnee auf ihrem Fußboden hinterlassen hatte. Zitternd rieb sie ihre Hände aneinander.

Sie meinte, der Sturm habe an Gewalt verloren, doch vielleicht hörte sie das Heulen auch nur nicht mehr so laut, da sie sich daran gewöhnt hatte. Catherine ging noch einmal zum Fenster und blickte prüfend hinunter in den Garten. Sie konnte nicht einmal bis auf den Boden sehen, so dicht war das Schneetreiben draußen, doch dort unten sah sie eine Gestalt. Catherine erschrak und blickte noch einmal genauer hin, doch da war nichts mehr. Leicht irritiert schüttelte sie den Kopf und hob ihren Blick in den Himmel. Weder der Mond noch ein einziger Stern waren zu sehen, doch das hatte sie in solch einer Nacht auch nicht erwartet.
 

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Hallo!

Es freut mich, dass du dich für meine Geschichte interessierst. Kommentare sind willkommen, auch wenn ich nicht immer auf sie antworten werde können.
 

Die Mission der Bruderschaft ist aus dem Film 'Van Helsing' entnommen, weil ich sie einfach so fesselnd finde. Ich hoffe, das stört dich nicht. Weitere Ähnlichkeiten gibt es - meines Wissens nach - aber nicht, sonst hätte ich die Kategorie 'Crossover' gewählt.
 

Liebe Grüße. Elena.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-02-11T18:53:39+00:00 11.02.2008 19:53
Sehr detailreich beschrieben und die Story klingt wirklich interssant. Man spürt richtig die düstere Stimmung und das mit dem Studium kommt nicht kitschig rüber.^^ Ich will dir versuchen bei jedem Kapüitel ein Kommetnar zu hinterlasen. So sieht es erstma mehr aus und ich kann auch kleine Stellen bemängeln oder loben. XD
Von: abgemeldet
2008-01-26T13:59:21+00:00 26.01.2008 14:59
echt super geschrieben!
Wenn ich mehr zeit habe lese ich auch die anderen kapittel!
Eine Frage: Ich schreibe auch grad an einem fanfic, aber mir fällt nichts ein, wie die vampiere sterben können!
Weil kreuze und kirche hat jeder....
Fällt dir da was ein?
lG
Seizo


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