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Das Blut der Lasair

von

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Eine Geschichte ohne Moral

Eine Geschichte ohne Moral
 


 

Sie fühlte Lestats Hände, die sie fest um ihre Zehen schlossen, und atmete tief durch, ehe sie ihn wieder anblickte und ihm zunickte, dass er weitersprechen konnte.

„Margaret wurde ebenfalls gefoltert. John Stewart hatte sich zuvor erhängt, also war Margaret somit die letzte, die noch übrig war. Die Vorsteher der Kommission, die sich mit dem Fall beschäftigte, wendeten scheinbar eine ‚sichere und sanfte’ Methode der Folter an. Sie befestigten ihre bloßen Beine in einer Halterung, sodass das Gewicht auf ihre Beine immer wieder durch Eisenbarren erhöht werden konnte und langsam ihre Glieder zerdrückte. Margaret versprach, alles zu gestehen, als sie die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte, doch sobald sie aus der Folter befreit war und gestehen sollte, wies sie mit erneut aufflammender Leidenschaft und Mut jegliche Anschuldigungen von sich.“

Lestat machte eine kleine Pause und blickte Catherine prüfend an.

„Was geschah dann?“ fragte sie leise mit kratziger Stimme.

„Margaret wurde erneut gefoltert. Sie erduldete Schläge, Schnitte, und Knochenbrüche. Die Folterknechte achteten sehr genau darauf, dass sie niemals aus Schmerzen in Ohnmacht fiel, sondern immer bei Bewusstsein war, und zogen die Tortur so lange hin, bis Margaret sich schließlich noch einmal verzweifelt dazu bereit erklärte, alles zu gestehen.“

„Sie schnitten in ihre Haut. Sie verrengten ihre Gelenke. Sie brachen ihre Knochen. Sie brachen ihren Willen. Sie erhielten, was sie wollten.“ murmelte Catherine, da sie sich an eine ihrer Visionen erinnerte, und Lestat nickte.

„Margaret gestand alles, was ihr vorgewurfen wurde, stimmte jeder Anschuldigung zu – egal, was diese betraf.“

„Wahrscheinlich war sie so geschwächt und so erschöpft, dass sie überhaupt nicht mehr wusste, was sie gefragt wurde.“ überlegte Catherine.

„Ja, sie war am Ende. Sie konnte nicht mehr.“

„Alles, was sie wollte, war, dass es aufhörte. Dass die Schmerzen endlich aufhörten.“ entgegnete Catherine und nickte bei sich.

„Sie wusste, dass es keine Hoffnung mehr gab.“

„Wurde sie daraufhin verurteilt und hingerichtet?“ fragte Catherine, da sie sich wieder auf die Fakten konzentrieren wollte.

„Nein. Ihr Ehemann kam schließlich ins Gericht. Wo er vorher abgeblieben ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall brachte er einen Anwalt für Margaret mit. Ihre Hoffnung kehrte zurück. Vielleicht sah sie die Möglichkeit ihrer Rettung … die Möglichkeit auf Rückkehr ihr normales Leben. Sie widerrief ihr Geständnis. Alles, was sie unter Folter gesagt habe, sei falsch und unwahr gewesen. Gott sei ihr Zeuge, dass sie unschuldig sei. Zu ihrem Mann sagte sie, er habe lange gebraucht, bis er kam.“

Catherine lief eine Gänsehaut über den Rücken. Die Geschichte an und für sich war schon brutal, doch dass dann auch noch so genau letzte Äußerungen bekannt waren, war unheimlich. Sie wusste aus ihren Träumen, dass es keine Rettung für Margaret Barcley gegeben hatte, wenn Margaret Barcley wirklich die Frau aus ihrem Traum war.

„Leider kam der Anwalt zu spät. Vielleicht war er auch einfach nicht fähig, Margarets Schicksal abzuwenden. Sie wurde verurteilt und 1618 nach ihrer Genesung von der Folter durch Verbrennen hingerichtet.“ schloss Lestat mit leiser Stimme seine Ausführungen, worauf Catherine nickte.

„Meinst du, sie war wirklich eine Hexe?“

„Ich denke schon. Hattest du nicht eine Vision, die sie mit anderen in Crossbost bei einem Ritual gezeigt hat?“ fragte Lestat nach.

„Schon, aber… Ich weiß nicht. Mir geht gerade so viel durch den Kopf, aber ich kann nicht einmal einen klaren Gedanken fassen.“ gestand sie und schloss die Augen.

Catherine spürte, wie sich Lestat unter ihren Füßen bewegte und sie ein wenig zur Seite schob, sodass er den Oberkörper zu ihr neigen konnte. Seine Lippen berührten zärtlich ihre Schläfe und küssten dann ihren Haaransatz.

„Lestat…“

„Hm?“

„Wenn du das machst, kann ich überhaupt nicht mehr denken.“ gab sie zu.

Lestat lachte leise und blickte sie kopfschüttelnd an.

„Vielleicht sollten wir das ohnehin auf morgen verschieben.“ meinte sie und lächelte. „Gehen wir nach oben?“

„Wenn du willst, machen wir das natürlich.“ stimmte Lestat ihr zu, erhob sich schnell und hob Catherine von der Couch auf seine Arme.

„Willst du mich nach oben tragen?“

„Natürlich.“

„In das Gästezimmer, bitte. Ich weiß nicht, ob Lea bereits ein anderes Zimmer bezogen hat.“

„Zu Befehl, Madame.“ grinste er, ging mit ihr auf den Armen zu Tür, löschte das Licht und trug sie dann nach oben.
 

Catherine fühlte wenig später die weichen Kissen unter ihrem Körper und sank zufrieden in sie. Sie hatte schnell geduscht und sich einen Pyjama angezogen, und kroch nun schnell unter die Decke, um nicht zu frieren.

„Und du bist doch müde – wenn du für eine Sterbliche auch ziemlich nachtaktiv bist.“ murmelte Lestat leise, um sie nicht mehr als nötig aufzuwecken.

Sie sollte ruhig schlafen, wenn sie konnte. Der heiße Dampf des Wassers klebte noch in ihrem Haaransatz, ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Lider ruhig geschlossen. Seine liebste Catherine. Sanft strich er ihr über die Wange und berührte ihre Stirn mit seinen Lippen.

„Bleibst du hier, Lestat?“ fragte sie leise.

„Natürlich, ma cherie.“ flüsterte er und streichelte weiter ihre Wange, ihren Kiefer und ihren Nacken.

Catherine seufzte und blickte ihn noch einmal an. Sie wünschte, er würde nicht kurz vor Sonnenaufgang zurück in seinen Kellerraum gehen, um dort vor dem Licht geschützt zu sein. Sie wünschte, er könnte bei ihr bleiben. Sie wollte nicht nur neben ihm einschlafen, sondern auch neben ihm erwachen.

„Lestat?“

„Ja, ma cherie?“

„Ich liebe es, wenn du das sagst.“ gestand sie lächelnd.

„Ich weiß, ma cherie.“

„Du sagst es aber nicht nur deshalb, oder? Nicht nur, weil ich es mag…“

„Nein, Catherine, bestimmt nicht. Ich liebe es, diese Worte zu sagen. Ich liebe es so sehr – mindestens so sehr wie du sie zu hören liebst.“ gab er zu und Catherine lächelte. „Ich habe sie schon so oft gesagt, Catherine, aber niemals ehrlich gemeint… bisher niemals ehrlich und ernst gemeint.“

„Das ist schön – also für mich, meine ich.“

Lestat lachte leise und sah, dass Catherine ihm Platz im Bett machte.

„Was wolltest du eigentlich gerade wissen, als du meinen Namen gesagt hast?“ fragte er, streckte sich aber neben ihr aus.

„Ich dachte daran, dass es schön wäre, neben dir aufzuwachen.“ erklärte sie und blickte ihn offen an.

„Das ist nicht möglich…“

„Weshalb nicht? Wir könnten dicke, lichtundurchlässige Vorhänge überall anbringen, sodass das Sonnenlicht nicht…“

„Es geht nicht nur darum. Wenn ich ruhe, nehme ich meine Umgebung zwar wahr, damit ich mich zur Not gegen einen Angriff schützen kann, aber ich kann Freund und Feind nicht unterscheiden. Ich würde dich angreifen, da ich dich nur als Eindringling wahrnehmen würde.“ erklärte er und Catherine nickte nachdenklich.

„Schade.“ murmelte sie und schloss die Augen. „Wirklich schade.“

„Bist du enttäuscht?“

Catherines Augen öffneten sich und sie drängte sich näher an ihn, während sie ihn anblickte und sie seinem fragenden Blick begegnete.

„Nein, nicht enttäuscht, aber etwas traurig.“ gestand sie und fühlte, wie er seinen Körper etwas zu ihr drehte.

„Du glaubst nicht, wie gerne ich dich bis zur höchsten Mittagsonne in den Armen halten würde, mit dir im hellen Sonnenschein durch Paris spazieren würde, aber ich bin nun einmal…“

Catherine riss ihre Finger zu seinen Lippen nach oben, hinderte ihn mit ihnen an jedem weiteren Wort und schüttelte leicht den Kopf.

„Für mich bist du perfekt, Lestat.“

„Du bist auch nicht normal.“

„Danke.“ gab Catherine zurück, nahm es ihm aber nicht übel.

„Versuch’ zu schlafen, ma cherie. Ich bleibe hier, solange es geht.“ bat er versprechend und Catherine schloss ihre Augen wieder.
 

Catherine träumte in dieser Nacht von George, doch wieder saß er nur auf dem Boden mit seinen Hunden und summte ein Lied vor sich hin. In ihrem Traum setzte sich Catherine langsam auf einen der Sessel und blickte den Jungen an.

Plötzlich lächelte sie und legte den Kopf schräg, als dem Mund des Kindes ganz leise Silben entsprangen, die sie wiedererkannte. ‚Héo naefre wacode dægréd tó bisig mid dægeweorcum’ Es war ein Gedicht, doch George erfand eine Melodie zu den Worten, die das traurige Gedicht in ein wunderschönes, sehnsüchtiges Lied verwandelte.

Catherine legte den Kopf zurück und fühlte sich einen Moment lang von ihren Gefühlen niedergedrückt, ehe sie tief einatmete und George genau zuhörte, der immer und immer wieder dasselbe Gedicht sang.

„Niemals war ihr vergönnt, der hübschen, jungen Maid,/ die Zeit, des Himmels morgentliche Glut zu betrachten,/ und niemals fand sie die Ruh, nur Augenblicke zu rasten./ In diesem Leben voller Neid und Augen, die verachten,/ wurde sie niedergedrückt von Arbeit, Pflichten und Lasten./ Zu eng war geworden die Welt, die einst erschien so weit./ Doch stets erblickte sie das tägliche Vergehen der Sonne,/ stand dort im letzten Lichte nachdenklich und noch lange,/ während die Kälte der Nacht über die Moore zu ihr kroch,/ in ihr Herz schlich und die junge Maid machte ganz bange,/ sodass sie verzagt leise wieder fragte: Was bleibt mir noch – / jetzt da in mir gestorben jedes Vertrauen und jede Wonne?/ In diesem verzweifelten Augenblick erkannnte sie dann,/ was ihr schweigsames Herz so lange schon musste missen,/ erkannte mit sinkendem Mut, welche Zukunft sie ersann/ und ihren sehnlichsten Wunsch, den sie nie durfte wissen.“



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