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A Vampire's Past

von

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TITEL: Entre dos luces (Zwielicht) & Bodas de sangre (Bluthochzeit)

SPECIES: RPG, Fantasy/History

AUTOR: Clover

E-MAIL: BlackPapillon@aol.com

URL: http://www.totallypeach.de.vu

RATING: PG 14

WARNINGS: übersinnlich/Gewalt (anged.)/Rape (anged.)/Romantik/Lime

NOTE: Auch eine ältere Geschichte... ich finde es schade, dass sie so kurz ist, aber na ja. Anne Rice schreibt doch besser, wieviel Vampire in Ich-Form muss die Welt sonst noch ertragen? Jedenfalls mag ich an der Geschichte, dass sie recht gut recherchiert ist. Und mir gefällt José *José-Fanclub* ^^ (mein Gott, Mädel, den hast du selbst erfunden... waah...) Besonders die Szene im Garten, nachts...hehe, aber lest selbst!

INHALT: Review auf Rachels Vergangenheit bis hin zu ihrer Erschaffung. "Entre dos luces" ist aus allwissender Sicht geschrieben, "Bodas de sangre" aus Rachels Sicht.
 

~ ENTRE DOS LUCES ~
 

16. Juli 1808, Bailén (Andalusien)

"Nieder mit Frankreich!" Glitzernde Tüllen-Bajonetts in der untergehenden Sonne, Schreie, Schüsse, salzige Tränen, Blut, Schweiß. Von weitem schon sichtbar die Franzosen, wie sie ein lebendes Bollwerk bilden und die verzweifelten Spanier, die scharenweise fallen, durch Musketenschüsse oder Stiche der Bajonett-Klingen. "Jesus Maria, Geheiligte! Gib uns unser Spanien wieder, du linker Franzose!" Fernán y Rosales stürmt vor, seine Muskete hoch über den Kopf gerissen. Er konnte schon lange nicht mehr nachladen, also erwehrt er sich seines Lebens mit der schweren Schulterstütze des spanischen Gewehres. Wie ein Rachegott wütet er unter den französischen Soldaten. Aber ein einzelner Mann kann zwar einen Kampf gewinnen, jedoch niemals keinen Krieg. Und die vermutliche Sinnlosigkeit dieses Unterfangens wird ihm schmerzhaft bewusst, als die kupferrot verfärbte Klinge eines Gegners aus seiner Schulter ragt. "Nein!" keucht er. Er lässt sich nach vorne kippen und dreht sich langsam um. Vor ihm steht ein Kind. Gerade fünfzehn Jahre alt sollte der sein, der einen y Rosales niederstreckt? Verbissen schlägt Fernán nun auf den Jungen ein, obwohl er weiß, dass dieser genau so leben will wie er. Er spürt nicht, wie er in Raserei anfängt zu schreien, wie der Junge am Boden liegt und er dennoch nicht einhalten kann. Erst als sich sein Gegner nicht mehr rührt, ein blutbeflecktes, zerstochenes Häuflein Elend, hält er keuchend inne. "Nein ..." So viele Männer waren unter seinen Händen gestorben. Nein, das ist Krieg, sagte er sich. Das ist Krieg. Er beugt sich zum dem Jungen hinunter und nimmt ihm die Muskete aus den verkrampften Händen. Er sieht auf. Der Kampf geht weiter. "Maria Mutter, ich kann nicht mehr." Er stolpert weiter, über die Leichen von Feinden, Freunden und Pferden. Keine Zivilisten. Wenigstens etwas. Plötzlich muss er an seine Frau Angelíca denken. Ob es ihr gut geht? Doch gleich muss er weiter, denkt nicht mehr an sie. Wie im Traum geht er langsam auf die Front der Franzosen zu und schießt in ihre Reihen hinein. "Nun krepiert doch endlich!" ruft er in Französisch. "Wollt ihr wohl!" in Spanisch. Kugel zischen an ihm vorbei, ein Streifschuss am Bein. Und er hört sich lachen. "Ihr trefft mich nicht, euch aber werde ich schon treffen, ihr..." Er lacht nochmals kurz auf. "Das war für meinen kleinen Bruder, du spanische Missgeburt," zischt ein Franzose und spuckt ihm ins Gesicht. Langsam zieht er das Bajonett aus dem Herzen des Spaniers, der gurgelnd zusammenbricht und dessen Herz langsam, viel zu langsam, aufhört zu schlagen. Und es wird Nacht. Drei Tage später ergeben sich die Truppen Napoleons dem spanischen General Francisco Javier Castaños.
 

9. Juli 1808, Montefrío

In der schwülen Mittagssonne rührt sich niemand. In den Gassen bellen nicht einmal mehr die Hunde und die Kinder sitzen bei ihren madres, die nähen oder Mittagsschlaf halten. Sofern man in Zeiten wie diesen schlafen kann. Angelíca y Rosales sitzt am Fenster ihrer Kammer. Die wildwachsenden Oleanderblüten in ihrem Garten duften, aber nicht wie sonst zaubert ihr der Anblick der hübschen blassroten Pflanzen ein Lächeln in ihr ebenmäßiges Gesicht. Nein, sie mag nicht lächeln, denn sie hat ihr Herz, ihr Leben mit ihrem Mann ziehen lassen, auf dass er das Reich des entthronten Bourbonenkönigs Ferdinand VII. verteidige. Sie hat Angst um ihn, denn als gute Christin hält sie nichts vom Morden. Aber Zweifel nagen bereits an ihr. Hat Gott sich nicht schon von ihr abgewandt, indem er ihr Fernán nahm? Noch eine Strafe mehr? Denn entgegen all ihrer Sehnsüchte blieben ihre leidenschaftlichen Gebete ungehört - sie konnte ihrem Fernán kein Kind gebären. Ein Sohn wünschte er sich und sie wollte ihm diesen Wunsch erfüllen. Nun war er weit fort und insgeheim wusste sie, dass es nichts genützt hatte, die Nacht vor seinem Einzug zur spanischen Armee das Lager mit ihm zu teilen. Was habe ich nur getan?, fragte sie sich, immer und immer wieder. Sie war streng christlich erzogen worden und fügt sich immer den heiligen Geboten. Sie rezitiert jeden Abend aus der Schrift, reinigt sich vor Kirchengängen, kennt fast alle Kirchenlieder auswendig. Sie will eine gute Christin sein. Sie will einen Sohn. Aber wofür straft Er sie mit Kinderlosigkeit?

Schreie reißen sie aus dem tranceähnlichen Zustand dumpfer Verzweiflung. "Lucia? Was ist?" Sie bleibt sitzen und wartet auf die Antwort ihrer Zofe. "Lucia?" Wieder Schreie, Gelächter. Sie steht kerzengerade auf und bekreuzigt sich. Die Schreie werden immer lauter, gequälter, ersterben. Dann neuerliche Schreie. Das ist Aretta. Dann Julio. Hastig läuft sie zu ihrer Kommode, reißt die Schublade auf und wirft die goldenen Ketten, Madonnenfiguren und Kreuze aus dem Fenster. Schließlich läuft sie auf ihre kleinen Balkon und sieht hinab. Die Stimmen werden lauter. Als sie im Angesicht dieser schwindelerregenden Höhe steht, wird die Tür aufgerissen. Tränen laufen ihr über die Wangen. "Ich kann nicht, Fernán, ich kann nicht!" ruft sie. Und obwohl sie ahnt, was jetzt passiert, steigt sie hinab und setzt sich auf die kleine Steinbank. Wartet. Als drei französische Soldaten vor ihr stehen, lächelt sie und sagt mit starken spanischen Akzent "Bonjour!"
 

27. Mai 1809, Granada

"Madre Mia... Verehrteste, sie haben ein gesundes Kind zur Welt gebracht!" Die Amme hält mit einem strahlenden Lächeln ein schreiendes, in Leinen gewickeltes Etwas in den Armen. "Seht, es hat sogar das selbe Mal wie ihr an seinem rosa Mund... sie ist wunderschön."

Angelíca y Rosales ist schwach und fiebert. Dennoch stemmt sie sich mit letzter Kraft auf ihrem zerwühlten Lager auf. "Was sagtest du da, Nina? Ist es ein Sohn? Sag mir das es ein Sohn ist!"

Die Amme ist sichtlich bestürzt. "Nein, Signorina, da haben sie mich missverstanden. Ich sagte, es ist ein Mädchen. Aber..." Sie zuckt zurück, als Angelíca sich keuchend an ihren Rock klammert. "Nein," flüstert sie. "Nein ..."

"Signorina..."

"Raus! RAUS!" Von Weinkrämpfen geschüttelt sinkt Angelíca zusammen. Die Amme bekreuzigt sich und geht hinaus. "Das ist nicht christlich, Signorina." sagt sie bestürzt und schließt die Tür hinter sich.

"Ich bin nicht christlich... ich habe einen Bastard ausgetragen!" flüstert Angelíca. Sie ringt die Hände und wimmert leise.
 

~ BODAS DE SANGRE ~
 

Das schlimmste für meine Mutter war, dass ich anders aussah. Ich hatte das gleiche Mal wie sie oberhalb meines Mundes und hatte dieselben großen, braunen Augen, wenn auch ein wenig heller. Meine Haare aber hatten nichts spanisches mehr - hellbraun bis golden waren sie und noch dazu kaum zu bändigen, wenn ich sie mir zusammenstecken wollte, weil sie so widerborstig gelockt waren. Alle wussten, was ich war. Meine Mutter ertrug meinen Anblick kaum noch und so überließ sie es jährlich wechselnden Gouvernanten, mich zu erziehen. Ich war immerfort auf der Suche nach wahrer Anerkennung um meiner Selbst willen; ich wollte nicht diese mitleidigen Blicken jener, die erst mit freundliche Worten kamen um dann meiner Abstammung zu spotten, wenn ich ihnen den Rücken kehrte.

Ich lernte rechnen, lesen und kalligraphieren, mehr, als Spanierinnen der mittleren Klasse normalerweise zugestanden wurde. Aber meine Gouvernanten hielten es für nötig, damit ich nicht jemandem neide oder gar Hass empfinde. Sie reduzierten mein Gefühlsleben auf schulische Oberflächlichkeiten. Dabei konnte ich meine Mutter für ihre Kälte nicht hassen, denn ich lernte noch nicht einmal richtige Liebe kennen. Auch Freunde waren damals wie Schall und Rauch, sodass ich viel mit mir selbst zu tun hatte. Ich las viel - erst verschlang ich spanische Literatur, dann französische, deutsche, englische, russische; ich interessierte mich für die Malerei, Architektur und Bildhauerei. Meine Neugier kannte keine Grenzen. Ich glaube, dass ich mir daraus etwas erhofft hatte, aber niemand honorierte meine Wissbegier, nicht ohne vorgehaltener Hand im Hof, beim Waschen, auf den Straßen, auf Feiern. Die Gesellschaft war für mich nur ein feindseliger Haufen aus versnobten Reichen; für sie war ich nichts als sin valor, wertlos. Wenn meine Mutter mit mir sprach, hielt sie mich an, doch wenigstens den Flamenco oder Bolero zu erlernen, den alle im meinem Alter doch könnten. Wie sehr wollte ich tanzen! Ich liebte es, den Klängen der andalusischen Gitarre, dem Klappern der Kastagnetten und dem Zapateado der Männer zu lauschen, den Stimmen der Mädchen, am liebsten zum Cante grande, tragische Epen meiner heimatlichen Tanzmusik. Am meisten liebte ich es aber, mich selbst dazu zu bewegen, meinen Körper zu den sanften Akkorden zu wiegen. Aber ich schämte mich - wenn ich die anderen Mädchen sah, mit ihren dunklen Haaren, ordentlich und straff zurückgesteckt, ihren konzentriert zusammengekniffenen Mündern und diesem ungebändigten Stolz in ihren kohlumrandeten Augen. Wenn ich mir meine Augen schminkte, sah ich aus wie auf einem Begräbnis und meine Haare ließen sich durch keine einzigen "Wundermittel" weder straffen noch färben. Einmal stahl ich mir ein Messer von einem Bediensteten und schnitt sie mit streichholzkurz, was den erfreulichen Nebeneffekt hatte, dass meine Mutter sich wegen mir richtiggehend schämte. Ein halbes Jahr lang verbot sie mir den Unterricht und es tat mir fast schon wieder leid. Aber das war es mir wert - ich beklagte mich nie, sondern machte Zeichen, Zeichen, die eindeutig waren: "Ich weiß, wie du mich hasst, ich weiß es. Aber du kannst mich nicht brechen. Niemals."

*

"Raquel, du bist sechzehn Jahre alt."

Ich legte meine Stickerei beiseite und sah die Frau, die sich Mutter schimpfte, schweigend an.

"Und ich halte es nun für richtig, dich freizustellen."

Ich ahnte es, aber fragte dennoch: "Wofür?"

Sie schnalzte verärgert mit der Zunge. "Für eine Hochzeit."

Abrupt stand ich auf. "Mit wem?" Hochzeiten wurde immer von langer Hand vorbereitet und Töchter hatten nichts zu sagen. Mir jedoch bis zum Schluss nichts zu erzählen, sah ihr ähnlich.

"José de Marillo y Suárez." Sie sah mich weiterhin ausdruckslos an.

Meine Hände zitterten, aber ich wollte mir keine Blöße geben und blieb stehen. José de Marillo y Suárez kannten alle - den verkrüppelten José, der von den Kindern auf der Straße gehänselt wurde, den die hübschen Signoritas auslachten, wenn er höflich war. Er mochte höchsten fünfundzwanzig sein, war gepflegt und schien bis auf seine Verküppelung normal. Aber jedes Makel ist ein Wunde, in die alle Salz streuen.

"Wann?" fragte ich schließlich.

"Nach dem Namenstag des Santa Lucino."

In zwei Wochen also.

"Er stammt aus dem Adel Aragons. Er war einverstanden, als dein Onkel ihn anschrieb. Die Mitgift ist aber auch beachtlich."

Damals war ich noch klein und naiver als heute; ich sah nicht den verborgenen Sinn hinter dieser "hohen Mitgift" - sie wollten mich loswerden, diesen kleinen, hellhaarigen Bastard. Das sie ihre Familie gleichzeitig in den Stammbaum eines Adeligen heiraten konnten, musste ihnen ja nur passen.

Sie stand auf und ging an mir vorbei. Ich war schockiert und verängstigt und das wusste sie. "Das wird nicht einfach für ein so junges Ding wie dich. Er ist viel auf Reisen, interessiert sich nur für Kunst und Dichtung. Er ist ein Träumer." Sie lachte leise. "Aber sein Vermögen ist wirklich bemerkenswert."

*

Die Hochzeit war sehr prunkvoll. In diesem Moment, als José und ich von den Stufen der San Antonio Kirche stiegen, vor Gott nun als Mann und Frau, fühlte ich die Blicke der anderen, die mich immer ausgelacht hatten. Was lächelten sie neidisch hinter ihren wippenden Fächern! Ich war eine strahlenden Sonne, als ich neben José saß und mich störte seine verkrüppelten Beine nicht. Er war mein Adonis, wie er mit seinem schleppenden Gang neben mir durch ihre Reihen entlangging. Das einzige, was diesen Tag zu trüben vermochte, war der traditionelle Tanz des Brautpaares - José war nicht in der Lage, einen schnellen Flamenco oder Bolero zu tanzen. Als einer seiner Getreuen mich um den Tanz bat, weigerte ich mich und blieb bei ihm sitzen, wenn auch nicht ohne eine gewisse Bitterkeit in dem Lächeln, das ich José schenkte.

Als ich abends in sein Anwesen gezogen war, legte ich mich in sein großes Bett und wartete. Ich wollte eine gute Ehefrau sein - ich mochte ein Bastard sein, aber ich war wohlerzogen. Ich wartete lange, aber er kam nicht aus seinem Arbeitszimmer zu mir. Irgendwann schlief ich ein. Als ich gegen Mitternacht aufwachte, stand er in der Tür und betrachtete mich. Ich schwieg. Was sollte ich auch sagen? Ich dachte, meine Reize wären ihm genug, zu mir zu kommen. Ich trug ein weißes Seidenhemd, dass meine weiblichen Rundungen betonte. Wenigstens von der Figur her unterschied ich mich nicht von anderen meines Alters, ebenso wie sie war ich schlank und wohlproportioniert. Aber er blieb stehen.

"Wollt ihr nicht schlafen, Senõr?" fragte ich darauf.

"Doch."

"Warum... warum kommt ihr dann nicht zu mir?" Ich fühlte mich merkwürdig, als ich das sagte. Beschmutzt.

"Weil du in meinem Bett liegst."

War dies nun nicht unseres? fragte ich stumm.

"Hast du nicht ein eigenes?" fragte er.

"Ja." sagte ich leise.

"Dann geh da hin, Mädchen. Ich bin müde." Schweigend stand ich auf, ging an ihm vorbei und schlich mich mit Tränen in den Augen in mein Zimmer. So endete also der perfekteste Tag meines Lebens. Ein vergleichbarer sollte auch für die nächsten zwei Jahre nicht folgen. José mied mich wie der Tag die Nacht. Er war ständig auf Studienreisen, kaufte Bilder, Skulpturen, alte Schriften, die er mir zuhauf schickte. Seine Briefe waren endlose Abhandlungen über das korrekte Verwalten seines Anwesens - nach der Heirat hatte er seinem Verwalter gekündigt, als er erfuhr, dass ich Rechnen und Schreiben konnte - nie sprach er von mir als seine Frau. Ich bekam Besuch von seinen Freunden, mit denen ich in der Bibliothek über Gott und die Welt redete. Themen wie José oder Kinder waren so tabu wie ich für meine Mutter.

Meine Tage in Josés Anwesen klumpten sich zu beflissener Routine, die mich wahnsinnig machte. Zuweilen aß ich nichts mehr, beleidigte meine Zofen und Diener auf das Gröbste, zeriss meine Kleider. Ich tobte wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommen hatte. Nie war ich so aus der Haut gefahren. Ich war immer das Mauerblümchen, dazu ein französischer Bastard, eine wandelnde Gotteslästerung. Nun entzog sich mir auch noch die einzige Person, durch die ich gehofft hatte, einen Platz in dieser scheußlichen Welt zu finden. War ich ihm nicht gut genug? Das musste es sein. Ich hatte diese scheußlichen Haare, diese kleine gerade Nase, dieser natürlich rote Mund, diese milchige Haut - nie im Leben spanisch! Ich war eine Missgeburt. Ich hing meine Spiegel zu, ließ die im Hause verteilten Spiegel fortschaffen. Mir war es egal, dass die Dienerschaft munkelte, ich sei verrückt geworden. Mir war es egal, dass ich meine Haare nicht länger frisierte, sondern sie offen ließ, als wäre ich ein Straßenkind. Ich ließ sie nicht mehr schneiden. Irgendwann reichten sie mir über die Hüfte und mir war das alles nur recht. Es spielte keine Rolle mehr. Ich wartete nicht länger auf die Rückkehr Josés, sondern verwünschte ihn nur noch.

Eines Tages verrauchte meine angestaute Wut jedoch mit einem Schlag. Eine Zofe kam scheu mit einem Paket in mein Zimmer. Ihre Ängstlichkeit machte mich rasend und ich warf sie mit Ach und Krach aus meinem Zimmer. Als ich mich einigermaßen wieder gefangen hatte, öffnete ich das Paket. Es war von José. Ich riss den beiliegenden Kuvert auf und las seine Nachricht.
 

Raquel,

Anbei findest du ein kleines Geschenk. Bewahre es gut auf, trage es, wenn ich heimkehre.
 

José de Marillo y Suárez
 

Ich las mir die spärlichen Zeilen mehrmals durch und setzte mich auf die Bettkante. Mein Blick schweifte unstet umher wie der einer Kranken, bis ich schließlich das erwähnte Geschenk gewahrte. Vorsichtig öffnete ich die dunkelgrüne Samteinlage. Ein blutroter Stein funkelte in dem Stoff. Ich nahm die filigrane Goldkette und legte sie mir um. Wie eine Schlafwandlerin stand ich auf, nahm das Tuch vom Spiegel und betrachtete mich. Bin ich das wert? Bin ich eine teure Goldkette wert? Bin ich seiner paar Zeilen wert?

Radikaler hätte meine Änderung nicht sein können. Ich frisierte mich, zog mir ordentliche Kleidung an, ging wieder zur Kirche, machte Geschenke unter der Dienerschaft. Ich war wie geläutert. Ich kam auf die Idee, dass dies Liebe sein musste - diese verzehrende Hingabe für jemanden, selbst wenn er hunderte von Meilen entfernt sein mochte. Ich redete mit jedem, als sei er José, lachte, tanzte zu imaginärer Musik durch die Flure, so dass es schon wieder unheimlich anmutete.

Er kam eines Tages um Mitternacht. Erschöpft und ausgezerrt sah er aus, als ob er tagelang nichts gegessen hätte. Ich scheuchte die Diener davon und machte alles selber - ich richtete das Abendessen an, legte neue Kleidung bereit und schleppte eine riesige Porzellanschüssel mit Wasser in sein Zimmer. José sprach kein Wort, aber ich nahm alles schweigend hin, einzig und allein beglückt von seiner Anwesenheit. Als wir zu zweit an der großen Tafel saßen, rührte er sein Essen nicht an.

"Habt ihr keinen Hunger, Senõr?"

Er starrte unentwegt auf den Kerzenhalter, auf dem neben ihm eine Kerze rußend niederbrannte. "Nein." sagte er angebunden.

Ich stocherte in meinem Braten herum. "Gut", sagte ich übertrieben freundlich, "dann nicht." Die Enttäuschung über all meine Mühen schwang in meiner Stimmer mit. Selbst wenn er dies bemerkt hatte, so verriet er es nicht.

Abrupt stand er auf. "Ich muss fort."

Maßlos verwundert trat ich auf ihn zu. "Aber warum? Ihr seid doch gerade erst hier und..." Ich erschrak. Seine Augen glitzerten wie Opale, schwarz und unheimlich lagen sie tief in seinen Augenhöhlen. Sein Gesicht war so nahe betrachtet eine weiße, ungefertigte Maske. Er sah gut aus, aber etwas... unnormales lag in seiner plötzlichen Attraktivität. "Ihr... ihr habt euch verändert, Senõr." Er blieb stehen. Ich verstand nicht warum er so nervös wirkte, so angespannt.

"Mag sein." sagte er rau, "aber ich gehe jetzt."

Ich versperrte ihm den Weg. "Nein! Ihr seht ungesund aus. Legt euch schlafen! Als eure Frau weiß ich, was ich zu tun habe, also-"

"Nichts weißt du, Weib!" brüllte er. Sein Gesicht war widernatürlich verzerrt. Es machte mir Angst. So hatte er noch nie mit mir gesprochen, niemals war er verbal dermaßen grob geworden. Trotz meiner unsäglichen Angst brachte ich solche enorme Wut auf, dass ich mich getraute, ihm zu wiedersprechen. "Oh ja, Senõr, ich weiß es! Ich kenne euch! Ich habe euch beobachtet! Ich weiß, wie schnell ihr anfällig für Krankheiten werdet und ich weiß, wie ihr dafür euch hasst! Wie sehr hasst ihr diesen verkrüppelten, unvollkommenen José, der nie in seinem Leben auf einer Tanzfläche gestanden hat! Warum liebt ihr wohl die Kunst? Weil sie versucht, vollkommen zu sein. Weil fehlbare Menschen versuchen, über ihre Unvollkommenheit mit vollkommenen Werken hinwegzutäuschen! Darum und nur deshalb seid ihr soviel fort! Ihr vagabundiert herum, als ob ihr kein zu Hause hättet, keine Frau, die auf euch wartet und euch wärmt!" Schwarze Tränen aus Salz und verschmierter Kohle rannen mir über meine Wangen und verschmutzten mein Lieblingskleid. "Ich weiß nicht, bei Gott, warum ihr plötzlich zurückkommt, vielleicht ist dies ja auch nur ein Abschied!" Damit meinte ich die Kette, die ich mir abrupt vom Hals riss und vor seine Füße warf. Stumm standen wir da und ich wollte ihn mit einem Mal umarmen und nur noch für mich haben. Ja, ich wollte José, den verkrüppelten, den Hinkefuß! Aber ich wollte auch José, den Liebhaber, der die Kunst liebt, als wäre sie eine schöne Frau in seinen Armen. Ich liebte ihn dafür, dass er um die Vollkommenheit wusste, die wir beide nicht erhalten haben. Der Bastard und der Krüppel. Aber keiner von uns beiden rührte sich. Irgendwann drehte ich mich um und ging hocherhobenen Hauptes in mein Zimmer, nur um weinend auf meinem Lager zusammenzubrechen.

Am nächsten Morgen war er fort. Sein Essen stand erkaltet auf dem Tisch, die Kerzen waren erloschen. Und mein Leben ging weiter. Ich wollte ohne ihn lachen können, ohne ihn vor meinem Spiegel stehen und mich schön finden. Aber immer war da dieser wutentbrannte José, der mich in meinen Träumen verfolgte; ich machte mir insgeheim tausend Vorwürfe. Ich ging nicht mehr zu Kirche und betet nicht mehr. Ich sah darin keinen Sinn mehr, denn an Wunder mochte ich nicht glauben. Wunder gab es in den Märchen, die die Bischöfe allsonntäglich dem staunenden Volk anpreisten. Aber die Realität war schlicht und unspektakulär. Ich war vollkommen vereinsamt, wie eine alternde Witwe.

Jeden Abend setzte ich mich auf die Terrasse und lauschte den zirpenden Grillen oder der Musik und dem Gelächter in der hellerleuchteten Nachbarschaft. Ich schrieb Gedichte, übte mich an einem Mantel und Degen-Roman. Es war zum Davonlaufen, wie sehr ich mich in Selbstmitleid suhlte.
 

"Raquel!"

Diese Stimme kannte ich. Ich stand von meiner Bank auf und blickte nach unten. Zwischen den Myrtenbäumen und Oleanderbüschen stand José. Er trug französische Stoffe und war furchtbar herausgeputzt. Sein schwarzes Haar war ordentlich zusammengebunden, aus seinen Ärmeln und seinem goldbestickten Hemdskragen blitzten weiße Rüschen, seine Schuhe waren mit goldenen Schnallen besetzt, die im fahlen Mondlicht leuchteten. Er hatte noch nie wirklich unattraktiv ausgesehen, aber es stand ihm extrem gut.

Ich sah ihn an und hätte gleich am liebsten wieder kehrt gemacht. "Senõr!" sagte ich schließlich.

Er schien nach Worten zu suchen und sah mich unverwandt an. "Ich weiß, ich bin lange nicht mehr hier gewesen.." begann er schließlich, "aber... ich habe nachgedacht."

Ich überlegte. So unberechenbar war José nicht, dass er es jetzt nicht ehrlich meinen würde. "Wartet , Senõr! Wartet auf mich!" Er antwortete nicht und ich verschwand fliegenden Fußes in meinen Zimmer und warf einen leichten, roten Seidenmantel über mein weißes Nachthemd. Meine Schuhe waren zu laut auf den Fayenceböden des Anwesens, also huschte ich barfuss durch die Flure, wie ein Dieb. Als ich den Garten betrat, saß José auf einer Steinbank und starrte nur hinauf zu meinem Balkon. Er wirkte jugendlicher als sonst, sein Gesicht sah gepflegt und erholt aus. Ich schlich mich leise an, überzeugt davon, dass er mich nicht hören könne. "Ich höre dich, Raquel." Er drehte sich zu mir und lächelte.

Mir stockte der Atem. Nie im Leben hatte dieser Mann mir ein Lächeln geschenkt.

"Ich habe nachgedacht," sagte er und stand auf. "Wir beide... sind uns gar nicht so unähnlich." Er winkte mich leicht heran, eine grazile Bewegung, die ich ihm nie zugetraut hätte.

Wir spazierten über das kalte Gartenpflaster und den gepflegten Rasen der Anlage. "Du hast viel gelitten," sagte er, "Ich weiß, dass deine Mutter es dir nie einfach gemacht hat."

Ich schwieg.

"Auch ich hatte es nie einfach. Mein Vater hat mich nicht richtig akzeptieren können, nie wollte er wahrhaben, dass sein Sohn ein Krüppel von Geburt an sein soll. Aber..." Er lachte leise. "Er starb als ich dreizehn war. So war nur noch meine Mutter da und sie liebte mich abgöttisch."

"Eine Mutter..." sagte ich leise. "Ihr wart glücklich, nicht wahr, Senõr?" Er bleib stehen und pflückte eine Oleanderblüte. Vorsichtig wollte er sie in mein Haar binden, aber ich zuckte zurück. So lächelte er nur traurig und hielt sie fest. "Ja. Im Vergleich zu dir führte ich ein paradisisches Leben."

Ich errötete. "Ich kann mich wehren", sagte ich, kaum überzeugt von meinen eigenen Worten.

"Das hast du aber nie."

Sein vertrauter Ton verwirrte mich. Meine Ohren rauschten und mein Herzschlag war ein unregelmäßiges Dröhnen in meiner Brust. "Doch, bestimmt", ereiferte ich mich und schaute weg. Was für einen Unsinn redete ich da! Wehren? Getobt hatte ich, wie ein Kind! Nichts weiter.

"Ich habe es dir nicht leichter gemacht... obwohl ich wusste, dass wir beide soviel gemeinsam hätten tun können."

Und er erzählte mir von Venedig, von Athen, London und Moskau, von Wien und Paris. Er breitete vor meinen Augen einen schillernden Teppich aus Abenteuern, Sagen, Bauwerken und fremden Kulturen aus, der in mir kindischen Erstaunen hervorrief. Manchmal redete er so schnell, dass ich ihn bitten musste, dies noch mal zu wiederholen und er bewies eine engelsgleiche Geduld. Irgendwann schwieg er und wir setzten uns auf eine Bank. "Paris war wunderschön", sagte er. "Paris... war die Erfüllung."

"Wieso?" fragte ich. Er wich meinen Blicken aus.

"Das erste Mal in meinem Leben habe ich die wahre Vollkommenheit entdeckt."

Ich sagte nichts. Der Moment war zu magisch.

"Raquel, stell dir vor, du hättest die Gabe, wie ein Bildhauer oder ein Maler, etwas so vollkommenes zu erschaffen, dass die Menschen sich davor fürchten. Und mehr noch..." Er sah mich an. "Es ist lebendiger als jede Skulptur, lebendiger als jedes Gemälde." Meine Intuition sagte mir, zu gehen, aber dieser neue José war einfach zu wunderbar. Warum jetzt gehen? Warum ihn erneut verlieren? Ich erschauerte, als seine Hand über meine Wange fuhr. Seine Augen glitzerten dunkel. "Die fleischgewordene Perfektion... wäre das nicht wunderbar?"

"Ja," sagte ich leise, "das wäre... José, ich weiß nicht ob das richtig ist..." Er hatte eine Hand auf meine Hüfte gelegt und öffnete meine Haarspange.

"Ich möchte dich an dieser Vollkommenheit teilhaben lassen," sagte er und seufzte leise. Er schob meine Ärmel hoch und zögerte. "Ein Grund mehr," murmelte er und hielt meine Arme prüfend ins Mondlicht. Meine beiden Handgelenke waren von mehreren Einschnitten unschön angeschwollen und hatten sich bereits dunkelviolett verfärbt. Ich zog meine Arme weg und hob meine Spange auf. "Es ist kalt." sagte ich und zog den leichten Mantel enger um meine Schultern.

"Warte!" rief er halblaut. Ich drehte mich um. Maria, war er schön. Und das trotz seines schleppenden Ganges, denn nun strahlte er eine solche Grazie aus, eine überirdische Erhabenheit. Ich drehte mich um und ging hastig weiter. "Es ist spät", sagte ich laut, "und ich bin müde."

"Warte!" Es war, als ob seine pure Willenskraft mich dazu gebracht hätten, stehenzubleiben. Ich zitterte unkontrolliert. "Ich will rein." sagte ich eingeschüchtert. José war neben mich getreten und zog mich an sich. Ich hörte sein Herz dumpf in seiner Brust schlagen. Er roch nach teurem Parfüm. "Bring mich rein", sagte ich weinerlich. Warum hatte ich solche Angst? Wieso fühlte ich mich... als Opfer? Ich suchte nach einer Erklärung in seinem Gesicht, das auf mich herabsah, aber als ich meinen Kopf hob, schrie ich auf. Seinen Lippen entblößten spitze Zähne und er starrte mich gierig an. Ich riss mich laut schreiend los und stolperte durch das Gebüsch. Ich fiel hin und spürte warme Erde in meinem Gesicht, aber ich raffte mich auf und lief weiter um mein Leben. "LASS MICH!" schrie ich, als ob ich ihn so abhalten konnte. Aber José humpelte nicht mehr. Und er holte mich mit Leichtigkeit ein, war noch nicht einmals außer Atem, als er mich fest an den Schultern packte und herumriss. Sein Gesicht war wieder vollkommen normal. Hatte ich alles nur fantasiert?

"Was hast du?" fragte er bestürzt.

Ich starrte ihn aus tränenverschleierten Augen an, mein Atem ging flach. "Du... du..."

"Du bist ja vollkommen verwirrt.." Er umarmte mich zärtlich und ich ergab mich seinen Armen. Er küsste mich auf die Stirn und strich mir meine wirren Haare aus meinem Gesicht. "Nicht weinen..." flüsterte er und küsste mich. Es war mein erster Kuss. Und mein letzter als sterbliche Frau. Er küsste meine Wange, mein Haar, meinen Hals. Als er mich biss, klammerte ich mich keuchend wie eine Ertrinkende an ihn. Ich schrie heiser, aber zu spät, zu spät. Als er endlich aufhörte, hielt er mich an den Schultern fest. Ich starrte ihn aus großen Augen an. Was dann folgte, war rein instinktiv. "Du blutest ja," sagte ich und befühlte mit meinen Finger seinen blutverschmierten Mund. Und dann küsste ich ihn. Ich sah seine pulsierende Halsschlagader unter seiner Haut und spürte, wie durstig ich war. Es war wie eine schwarze Hochzeit, die statt mit goldblitzenden Eheringen mit Blut besiegelt wurde, nicht vor Gott, sondern vor der Dunkelheit.

*

Wir reisten nach Paris. Obwohl er nicht viel älter war als ich, schien er dennoch einiges mehr zu wissen. Er lehrte mich, mich in der Dunkelheit zu bewegen, zu jagen und mich vor niederen Dämonen zu hüten. Diese wunderbare Zeit dauerte zwei Monate an. Dann verschwand er für immer aus meinem Leben. Aber ich verstand ihm. Er hat seine Buße vor mir getan und ich ließ ihn ziehen, denn nun konnte er ein anderes Leben leben, genauso, wie ich es nun tat. Aber ich glaube auch, er liebte jemanden anderes mehr als mich. Ich hörte von einem gewissen Joel, aber das störte mich nicht weiter. Immerhin hatte José mir sein gesamtes Vermögen überantwortet. Ich bezog ein kleines Palais und ließ mir einen hübschen Marmorsarg bauen, ging auf die Jagd, lernte andere kennen. Wirkliche Beziehungen ging ich nie wirklich ein, denn ich hatte meine Leidenschaft für diese wunderbare Stadt entdeckt, in der es nur so von schaffenden Geistern wimmelte. Ich suchte sie auf, immer wieder verzückt von meiner Eigenschaft, ihnen als Inspiration zu dienen. Manchmal fragte ich mich, wieso die Menschen krampfhaft an Gott glauben, wenn die dunkle Seite für sie so sehr faszinierend ist. Aber so war es immer, ist es noch immer und nie anders wird es sein.



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