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Frei wie der Wind aber dennoch gefangen

von

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Stadt - Zusatzkapitel

Vor fast fünfhundert Jahren machte sich eine Nomadengruppe in ferne Länder auf, um eine Heimat zu finden. Sie lebten sehr genügsam und achteten einander. Doch war es ihnen wichtig endlich sesshaft werden und eine Existenz gründen zu können. Dennoch wurden sie aufgrund ihrer Herkunft von allen Leuten vertrieben, die sich nicht mit dem herum gereisten Pack abgeben wollten. Man verschrie sie als Diebe und besitzergreifende Egoisten. So wanderten die Nomaden weiter. Manch einer schloss sich ihnen auf ihrer langen und beschwerlichen Reise durch alle Länder an. So wurde aus der kleinen Gruppe von 26 Reisenden ein Volk aller Nationalitäten von annähernd 350 Menschen.
 

Und endlich fanden diese Reisenden ihren Platz, den sie als ihr neues zu Hause auserkoren. Sie begannen Häuser zu bauen, wie sie es von ih­ren Vorfahren gelernt hatten und schon bald entstand eine neue, große Stadt. Die Menschen wurden sesshaft. Sie bestellten Felder und ernteten reich. Allen ging es gut und so beschloss man einen Tempel zu bauen, um den Gottheiten der verschiede­nen Nationen zu huldigen. Alle arbeiteten zusammen und der Tempel wurde prunk­voll und prächtig. Die Menschen der anderen Städte und Dörfer sahen dies und wur­den neugierig. Natürlich wollten sie sich die neue Stadt ansehen und ihren Tempel besuchen. Doch als die ersten Reisenden vorbei kamen, wurde ihnen der Zutritt ver­weigert. Die Menschen hatten sich verändert.
 

Der Reichtum und ihr Wohlbefinden machten sie selbstgefällig und egoistisch. „Ihr wolltet uns nicht aufnehmen und habt uns weg gejagt, wie die Hunde! Schert euch, ihr unwürdiges Pack!“, riefen sie feind­selig und warfen mit Steinen nach den Menschen. Wütend ritten diese von dannen und erzählten anderen von ihrer Begegnung. Auch diese Menschen machten sich nun auf, um die Stadt zu sehen, die von ihren Bewohnern so vehement verteidigt wurde. Doch als sie ankamen, sahen sie, dass die Menschen der Stadt eine hohe Mauer er­richtet hatten. Kein Fremder sollte ihr Heim betreten, das sie so lange gesucht und schließlich schweißtreibend errichtet hatten. Als sie um Einlass baten, wurden sie ge­nauso beschimpft, wie der erste Reisende es ihnen berichtet hatte. Aufgebracht rit­ten sie in ihre Heimat zurück und auch sie berichteten ihren Freunden von der feind­lich gestimmten Stadt. Niemand sollte je wieder dorthin reisen.
 

Doch eines Tages im Winter nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Menschen hatten Wachen auf ihrer Mauer aufgestellt, damit sich kein Feind der Stadt nähern konnte, ohne dass sie es merkten. Doch als die Sonne aufging und den Schnee gleißend hell aufleuchten ließ, sahen sie, dass etwas auf das Tor zuging. Eine Frau kämpfte sich durch den hohen Schnee. Sie war erschöpft und fror erbärmlich. Sie klopfte an das Tor. „Bitte, gewährt mir Einlass. Ich habe einen langen Weg hinter mir und bin schwanger. Helft mir.“, flehte sie. Die Wachen berieten sich kurz und schickten schließlich einen Mann hinab, der der Frau öffnete. „Habt Dank. Habt vielen Dank.“, zitterte sie und wurde hineingeführt. Doch was die Frau sah, erschreckte sie zutiefst.
 

Die Stadt war verschmutzt und überall lag Dreck und Unrat herum. Einige Obdachlo­se lungerten in den kleineren Gassen herum und wärmten sich an selbst angehäuften Feuern. Nichts vom einstigen Prunk war mehr übrig. Einzig und allein der Tempel ragte prachtvoll über den Dächern der Häuser hervor. Der Gestank war erbärmlich ebenso wie die Menschen. Voll gefressen und dick lugten sie aus ihren Fenstern her­vor und starrten auf den Neuankömmling. Die Zeit hatte aus den genügsamen und sich achtenden Nomaden egoistische, selbstsüchtige und zynische Menschen ge­macht, die sich ausschließlich um sich selbst kümmerten. Die Wache brachte sie in eine Wohnstube, in der ein Feuer brannte. Auf dem Boden lag knöcheltief der Dreck und die Frau setzte sich auf einen Stuhl nahe der Flammen.
 

„Habt Dank.“, sagte sie und hielt ihren Arm schützend um ihren Bauch, während sie sich aufwärmte. „Weib?! Komm her und mach unserem Gast etwas zu essen!“, brüllte der Wachsoldat und au­genblicklich ertönte auf der Treppe ein Poltern. Eine dicke Frau kam schnaufend her­unter gelaufen. Sie wickelte sich in ihren Morgenmantel, dessen Saumende ebenso schmutzig war, wie der Boden selber. Die Menschen achteten einander nicht mehr. Wüste Beschimpfungen brummenden ging die Hausfrau, ohne auf die Schwangere zu achten, an den Ofen und entzündete das Holz. Dann nahm sie einen Topf, den sie not­dürftig mit einem dreckigen Tuch auswischte und stellte ihn auf den Ofen.
 

Wasser aus einer Karaffe, Gemüse und Fleisch fand sich schnell an. Verschüchtert saß die junge Frau da und konnte nicht begreifen, was mit dieser Stadt geschehen sein sollte. Gerade fünf Jahre wahren seit ihrer Erbauung vergangen. Langsam aß sie das heiße suppenartige Gebräu, was ihr vorgesetzt wurde und seltsam zwischen ihren Zähnen knirschte. Nach fast zwei Stunden, in denen sie alleine in der Stube saß, kam der Wachposten wieder. „Du wirst jetzt zum Stadtrat gebracht. Sie entscheiden, was weiterhin mit dir geschieht.“ Die junge Frau nickte und folgte dem dicken Mann durch die dreckigen halb verschneiten Straßen, in denen sich immer noch keine Menschenseele rührte. Dennoch spürte sie die versteckten Blicke der Anwohner.
 

An diesem Tag entschied der Stadtrat, dass man sich um die junge Frau kümmern würde, bis ihr Kind da sei. Dann solle sie eine eigene Behausung bekommen und ihre eigene Existenz aufbauen. Dankbar ergab sich die Schwangere in ihr Schicksal und folgte einer anderen Wache zu einem Haus, dessen Baustil sie noch nie zuvor gese­hen hatte. Nun gut, sie war eine einfache Frau, die nie zuvor die Grenzen des Landes verlassen hatte. Neugierig sah sie sich deshalb um, als sie durch die Stadt geführt wurde. Jedes Haus war individuell erbaut worden und sah komplett anders aus, als das vorherige. Man wies ihr in dem Haus ein Zimmer zu und ließ sie alleine. Erst am nächsten Morgen wurde sie geweckt, damit sie mit anderen Frauen in der Küche ar­beiten konnte. Auch in ihrem Zustand wurde keine Rücksicht auf sie genommen. Selbst hoch schwangere Frauen arbeiteten schwer.
 

Doch eines Tages geschah das Unglück. Gerade machte sich die junge Frau fertig, um des morgens hinab zu gehen und zu arbeiten, als ein anderes Mädchen die Tür aufriss. Erschrocken sahen sich die Beiden an. Dann lief das Mädchen davon und schrie nach der Hausherrin. Diese kam auch sofort heran geeilt und machte sich von der Situation selber ein Bild. Mit gesenktem Kopf stand die Schwangere da, doch ihr Bauch war verschwunden. „Was hat das zu bedeuten?!“, schrie die Alte sie an und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Ich... es tut mir leid... ich habe nur so getan, als wenn ich schwanger wäre, damit ich einmal diese Stadt sehen darf.“, beichtete die junge Frau ängstlich. Wütend wurde sie von der Hausherrin und den anderen Frauen, die hier arbeiteten, angestarrt. „Du bist eine dreckige Lügnerin, die es nicht verdient hier zu leben!“, schrie die Alte und spuckte sie an.
 

Später am Tag wurde die Frau zum Stadtrat gebracht. Die Hausherrin trug das Ver­gehen vor den Ratsherren vor und zog sie, wie um ihre Aussage zu untermauern, an ihren Haaren hoch. Weinend und mit verquollenem Gesicht bat die Jüngere um Ver­ständnis und Asyl. Mit grausamer Gleichgültigkeit starrten die Ratsherren die ge­schundene und verprügelte Frau an, die sie so schrecklich hintergangen hatte. Sie berieten sich kurz. Dann verkündeten sie ein schnelles Urteil. „Da du uns so dreist hintergangen und dir unser Vertrauen erschlichen hast, können wir dir nicht verge­ben. Du hast unser Essen gegessen und unser Wasser getrunken. Und das, obwohl du es nicht verdient hättest.“, der oberste Ratsherr holte einmal Luft. „Bitte.“, weinte die junge Frau.
 

„Das Urteil lautet Tod aufgrund des Hochverrats, den du an dieser Stadt begangen hast.“ Erschrocken starrte sie die Männer an, die mit ihren eisernen Mienen wie erfroren da saßen. „Nein, bitte. Ich mache alles wieder gut. Versprochen!“, bat sie, auch als sie weg gezerrt wurde. „Hört mich an!“, rief sie, doch die Tür wurde hinter ihr geschlossen und sie in ein Gefängnis gebracht. Man stieß sie die Treppe hinab und schleppte die halb Benommene in ihre Zelle. Dort soll­te sie die restliche Zeit ihres Lebens fristen, bis sie hingerichtet wurde. Dies geschah bei Anbruch des nächsten Morgens.
 

Früh wurde die Trommel geschlagen, die zur Volksversammlung rief. Alle versammel­ten sich auf einer Art Marktplatz, in dessen Mitte ein Galgen stand. Die Verräterin wurde zitternd und wimmernd aus dem Gefängnis heraus geschliffen. Man hatte ihr ihre Kleidung abgenommen und sie in einen einfachen Sack gesteckt. Vor Kälte und vor Angst schlotternd wurde sie auf den Galgenpodest gestellt. Dann wurde ihr Ver­gehen und das darauf folgende Urteil verlesen. Sie fiel auf die Knie. Die Sonne war noch nicht zusehen, doch der Horizont war bereits in ein helles Orange gefärbt.
 

Es würde nicht mehr lange dauern. Die Menschen schrien wütend und warfen die junge Frau mit Steinen und gammligem Gemüse ab. Schützend hob sie ihre bebenden Arme vor sich. Dann zerrten sie zwei der Wachen auf die Beine und legten ihr den Strick um den Hals. Ihr Körper war geschunden und von Blutergüssen übersät. „Gnade!“, schrie sie, doch keiner wollte sie erhören. „Vollstreckt das Urteil.“, befahl der oberste Ratsherr. Ein letztes Mal sah die junge Frau auf den hohen Balkon, auf dem die obersten Männer der Stadt auf sie hinab sahen, während ihr die Tränen die Sicht nahmen. Dann wandte sie ihren Blick auf den Horizont und schloss die Augen. Ihr Atem kristallisierte vor ihrem Mund, während sie scharf die Luft einsog und wieder ausstieß. Ein letztes Mal.
 

Dann legte der Henker einen Hebel um und unter ihr öffnete sich eine Falltür. Es ruckte, als das Seil ihren Sturz bremste und die Schlinge ihr die Luft abschnürte. Verzweifelt bäumte sich ihr Körper ein letztes Mal auf, doch schließlich hatte sie den Kampf verloren. Jubelnd schrien die Menschen auf. „Elende Verräterin!“, schrien sie. Dann nahm das Schicksal jedoch seinen Lauf. Die Sonne verschwand, bevor sie überhaupt aufging und ließ sie in kompletter Dunkelheit zurück. Dann ging ein blutroter Mond auf. Angst erfüllt starrten die Menschen in den Himmel. „Was ihr getan habt, war nicht rechtens. Ihr habt eine junge Frau getötet, als sie euer Asyl ersuchte.
 

Einst wart ihr ein gütiges Volk, doch die Selbstsucht und der Reichtum verschlang euch. Dafür werdet ihr alle bestraft.“, hallte eine dunkle, grollende Stimme, die alles erzittern ließ. Schreiend stieben die Menschen auseinander und versteckten sich in ihren Häusern. Nichts ahnend was daraufhin geschehen sollte. Auf Befehl des Gottes fingen die Gebäude an zu leben; und sie verschlangen die Menschen und nahmen sie in sich auf. Alle waren von einem auf den anderen Tag gefressen von ihrer eigenen Selbstsucht.

Seit diesem Tag ist aus der Stadt eine Geisterstadt geworden, der sich nie wieder je­mand näherte. Lediglich Schutz suchenden gewährt die Stadt Einlass, ohne die Besu­cher zu verschlingen. Seit diesem Tag schläft sie und jenen, die es wagen, sich inner­halb ihrer Mauern zu wagen, erscheint es, als würde sie einatmen. All jene, die böser Absichten waren, wurden verschlungen und verließen nie wieder die Stadt. Dies be­sagt die Legende.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  FinAP
2008-07-30T21:34:12+00:00 30.07.2008 23:34
Hi Will-chan!
Hättest du mir gesagt, dass du das Kappi schon hochgeladen hast, hättest du schon viel früher einen Kommentar gekriegt. *schmollend guck*
Jedenfalls is die Legende voll cool und auch irgendwie gespenstisch. Wuaha, dass es so eine Stadt wirklich geben soll. *erschauer* Da will ich lieber nicht mit den tauschen. Aber geschieht den Leuten irgendwie zu recht, dass die Stadt so verkommen ist und dass die Leute gefressen wurden. +.+ Am ekeligsten fand ich aber die Stelle, als die Frau mit dem dreckigen Lappen den Kessel/Topf ausgewischt hat. buärks! schrecklige Vorstellung.
Nun denn. WIdme ich lieber gleich dem nächsten kappi ^^
Bis dahin *flausch*



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