One Shot
Ein neues Jahr
Die Augen des Schwertkämpfers fühlten sich schwerer denn je an. Bald konnte er der Versuchung
nicht mehr Stand halten, sich dem Druck der Augenlider zu unterwerfen und sie für diese Nacht
endlich zu schließen. Also - eindeutig - diese ganze Weihnachts- und Neujahrssache war nichts
für ihn. Nie, aber auch wirklich nie, hatte sich für ihn auch nur ein einziges Mal die Möglichkeit
ergeben, mehr als zwei Mal pro Tag irgendwo ins Land der Träume zu verschwinden. Ungerecht!
Aber sowasvon!
Es war der letzte Tag des Jahres. Der 31. Dezember. Und es war viertel vor zwölf.
Und seine vermaledeiten Augen wollten einfach nicht mehr offen bleiben! Er hatte das Gefühl,
würde er jetzt einschlafen, könnte er gleich achtundvierzig Stunden durchpennen. Wenn nicht,
noch mehr. Was sollte er nur machen?
Dummerweise befand sich auch niemand in der Nähe, der Zorro hätte wachhalten können.
Sämtliche Mitglieder der Strohhutbande waren an Land der Insel gegangen, an der sie extra zu
Sylvester angelegt hatten, um dort der Gesellschaft fremder Leute und dem Alkohol zu frönen.
Ganz bewusst hatte Zorro abgelehnt, mitzukommen, in der Hoffnung, endlich etwas Schlaf
zu finden. Leider war sein Plan, es wach bis ins neue Jahr zu schaffen, um hinterher nicht
sagen zu müssen, er hätte alles verschlafen.
Eine lächerliche Viertelstunde! Was war das denn schon? Eigentlich, angesichts der Zeit,
die er im Wachzustand verbracht hatte, nichts. Und doch...gerade war alles so perfekt. In
eine Decke gehüllt lehnte er draußen an der Rehling und erwartete ein kleines Feuerwerk
weit entfernt in der kleinen Stadt. Es war wirklich gemütlich.
...
Sein Herz umgab eine wohlige Wärme. Der Grünhaarige öffnete vorsichtig die Augen,
schloss sie jedoch gleich wieder, da ihn ein grelles Licht blendete. Aus irgendeinem
Grund war ihm das aber außerordentlich egal, denn zu diesem Zeitpunkt befand sich
sein Körper in einem aufregend und zeitgleich beruhigend neuem Zustand. Ihn störte
auch nicht, als ihm trockene Fingerspitzen über die Wange strichen. Sie schienen ihn
und er schien sie zu kennen. Alles war so vertraut.
Er spürte die Wärme eines anderen Körpers, wurde von zwei Armen an diese Wärme
geschmiegt und es fühlte sich so wunderbar an, als würde die ganze Welt (oder auch
nur dieser Moment) aus dem Gefühl der Vertrautheit bestehen. Erneut streichelten
sanfte Finger sein Gesicht.
Dann hörte er seinen Namen. Die Stimme war...er kannte sie...sie war warm und
weder zu laut noch zu leise...sie war perfekt...sie umspielte diesem Moment ganz zart.
"Zorro?"
Ja, da war sie wieder...so wohlklingend.
"Zorro?"
Einfach nur schön.
"Zorro!"
Moment.
"Zorro!!"
Halt, stop! Wo war denn all die Wärme geblieben?
"Zorro, verdammt nochmal!"
Augenblicklich zuckte der ganze Körper des Schwertkämpfers zusammen. Er riss die
Augen auf und fand sich in völliger Dunkelheit wieder. Noch dazu war es fürchterlich kalt.
Klar.
Er war auf der Flying Lamb. Ein Blick aufs Festland brachte ihm seine gesamte Situation
wieder verdammt nahe. Sylvester.
Er hatte doch nicht etwa schon alles verpasst...?
Moment, da war doch eben gerade noch eine Stimme gewesen.
Zorro drehte verwirrt seinen Kopf herum und sah direkt in die blauen Augen des Schiffkochs.
Dass es sich um ihn und seine Augen handelte, konnte er auch nur anhand der glühenden
Zigarette und der Spiegelung vieler Stadtlichter auf der nassen Netzhaut erkennen.
"Na endlich.", kam es von Sanji, der sich wie selbstverständlich neben den müden
Schwertkämpfer setzte und eine Flasche vor ihnen abstellte.
"Was machst du hier? Wie spät ist es?", fragte Zorro etwas durcheinander.
Angesprochener lachte leise: "In fünf Minuten beginnt das neue Jahr."
Das war nur eine Antwort.
Der Blick des Grünhaarigen wanderte zu der Flasche, die vor ihren Füßen stand: "Sekt?"
"Mhm, ganz recht. Du willst doch wohl nicht mit dir selbst auf ein weiteres Jahr voller Streit
und Prügelei anstoßen, oder?"
Nun, das waren tatsächlich alle Antworten.
Zorro lächelte und war froh, dass ihm die Dunkelheit ein guter Freund blieb, und das für
sich behielt. Sein Blick suchte nach dem kleinen Licht der Zigarette. Wahrscheinlich betrachtete
Sanji gerade die Stadt. Vielleicht war das auch ganz gut so, denn aus irgendeinem Grund
fühlte Zorro sich wohl. Er dachte an seinen Traum.
Plötzlich sah er das Zigarettenlicht und hörte den anderen fragen: "Sag' mal, das ist ja
wirklich arschkalt. Darf ich mit unter die Decke?"
Moment! Wie? Was? Mit unter die Decke? Also das ging doch wirklich zu weit. Wusste Sanji
denn nicht, dass er hier neben Zorro saß? Zorro! Der Mann, mit dem er auf Streit und Prügelei
anstoßen wollte!
Mit unter die Decke?
Es wurde warm, denn unter all den Gedanken hatte ein beiläufiges "Klar" den Mund des
Schwertkämpfers verlassen.
Wann war das denn passiert?
Er spürte den Arm des Blonden an seinem. Nicht nur den Stoff des blauen Hemdes, nein,
den ganzen Arm! Von der Schulter bis zum Ellenbogen war alles mit der Wärme eines anderen
Körpers bedeckt. Uuh. Gänsehaut.
Auf einmal wurde Sanji etwas hibbelig: "Gleich..."
"Was gleich?"
"Countdown, Zorro, Countdown."
Wie schnell vergingen denn heutzutage fünf Minuten?
Auf der Insel hörte man plötzlich ganz entfernt, wie eine große Menge von Stimmen begann,
abwärts zu zählen. Zehn, neun, acht, sieben, sechs.
Als die Fünf zu hören war, flüsterte Sanji mit. Vier, drei, zwei.
"Eins.", kam es schließlich ganz, ganz leise aus Zorros Mund.
Und im nächsten Moment widerfuhr ihnen soetwas wie ein Wunder. Zumindest wollte Zorro es so
nennen, denn etwas anderes hätte niemals die Magie dieses Momentes beschreiben können.
Von der Mitte der Insel wurde ein Feuerwerk gezündet. Zuerst bildeten sich viele kleine, bunte
Kreise am Himmel, dann wurden sie immer größer. Mal in rot, mal in grün, mal waren viele Farben
vermischt und glitzerten einzigartig am schwarzen Firmament.
Während dieses Spektakels konnte der Schwertkämpfer seinem inneren Widerstand nicht mehr
entgegenwirken. Er musste Sanjis Gesicht einfach betrachten. Durch das helle Licht am Himmel,
fiel ihm dies auch nicht sonderlich schwer.
Magie.
In den Augen des Smutjes spiegelten sich sämtliche Farben des Feuerwerks und verliehen
dem schmalen Gesicht einen so kindlichen und ehrlichen Ausdruck. Plötzlich drehte auch Sanji
seinen Kopf herum. Er lächelte erst, forderte Zorro dann aber wortlos dazu auf, wieder den
Himmel anzusehen. Er tat es.
Und was sie dann sahen, raubte beiden Männern für einen kurzen Moment den Atem.
Die Rakete explodierte, der Knall war lauter als alle anderen zuvor und daraus resultierte ein
riesiger, goldener Kreis, der glitzerte, wie eine Wiese, die vom Tau bedeckt war und von der
Sonne angestrahlt wurde. Die einzelnen Partikel funkelten mehrmals auf und schwebten ganz
langsam Richtung Erde. Ganz langsam...
Plötzlich spürte Zorro, wie Sanjis Hand nach seiner suchte. Er umfasste sie zärtlich und atmete
tief durch, als wolle er den Geruch dieser schönen Nacht für immer in sich aufnehmen.
Irritiert blickte der Grünhaarige in das Gesicht des anderen, das seinem zugewandt war. Er
spürte warmen Atem auf seiner Haut.
Doch kein Wort durchquerte die winterliche Kälte. Irgendwann blickten beide auf einen ungewissen
Punkt in der Dunkelheit. Das Feuerwerk war beendet worden. Von der Insel hörte man Musik
und das Gejubel vieler Menschen. Allerdings leise genug, um es nicht lästig zu finden.
Ein neues Jahr.
Nach einer kleinen Weile regte sich der blonde Smutje: "Hey, wir haben noch gar nicht angestoßen."
Er wollte gerade nach der Flasche Sekt greifen, als ihm auffiel, dass Zorros Kopf auf seiner
Schulter lag. Bis jetzt hatte er das überhaupt nicht bemerkt. Und allem Anschein nach schlief
der Schwertkämpfer, denn weder Sanjis Worte noch die kurze zuckende Bewegung hatten ihn dazu
veranlasst, seinen Kopf zu heben.
Unwillkürlich musste der Koch grinsen, wusste er doch, wie es um den armen Zorro die letzten
Tage bestellt gewesen war. Er streichelte dem Schlafenden liebevoll über die Wange und lächelte
zufrieden: "Auf ein weiteres Jahr voller Streit und Prügelei, Zorro."
Ende